Georg Simmel: Philosophische
Kultur
Alfred Kröner Verlag,
Leipzig 1919 (2. Auflage)
Das Relative und das
Absolute im Geschlechter-Problem (S. 58-94)
(-> 58) Auf allen Gebieten des inneren Daseins wie auf denen, die
aus dem erkennenden und handelnden Verhältnis der Innerlichkeit zur Welt
erwachsen, ergreifen wir den Sinn und den Wert eines einzelnen Elementes
durchgängig in seinem Verhältnis oder als sein Verhältnis zu einem
anderen Element - zu einem anderen, das seinerseits sein Wesen an jenem
bestimmt.
In dieser Relativität aber beharren sie nicht beide, sondern eines von
ihnen, mit dem anderen alternierend, wächst zu einem Absoluten auf, das
die Relation trägt oder normiert.
Alle grossen Relationspaare des Geistes: Ich und Welt, Subjekt und
Objekt, Individuum und Gesellschaft, Beharrung und Bewegung, Stoff und
Form, und viele andre - haben dies Schicksal erfahren, dass jede ihrer
Seiten einmal zu einem breiten und tiefen Sinn aufwuchs, mit dem diese
Seite ihre eigene engere Bedeutung und ihren Gegensatz zugleich umfasst.
Die Grundrelativität im Leben unserer Gattung besteht zwischen der
Männlichkeit und der Weiblichkeit; und auch an ihr tritt dieses typische
Absolutwerden der einen Seite eines Paares relativer Elemente in die
Erscheinung.
Wir messen die Leistung und die Gesinnung, die Intensität und die
Ausgestaltungsformen des männlichen und des weiblichen Wesens an
bestimmten Normen solcher Werte; aber diese Normen sind nicht neutral, dem
Gegensatz der Geschlechter enthoben, sondern sie selbst sind männlichen
Wesens.
Ich lasse für jetzt Ausnahmen, Umkehrungen, Weiterentwicklungen dieses
Verhaltens beiseite.
Die künstlerischen Forderungen und der Patriotismus, ebenso (-> 59)
wie der Kosmopolitismus, die allgemeine Sittlichkeit und die besonderen
sozialen Ideen, die Gerechtigkeit des praktischen Urteils und die
Objektivität des theoretischen Erkennens, die Kraft und die Vertiefung
des Lebens - all diese Kategorien sind zwar gleichsam ihrer Form und ihrem
Anspruch nach allgemein menschlich, aber in ihrer tatsächlichen
historischen Gestaltung durchaus männlich.
Nennen wir solche als absolut auftretenden Ideen einmal das Objektive
schlechthin, so gilt im geschichtlichen Leben unserer Gattung die
Gleichung: objektiv = männlich.
Jene durchgehend menschliche, wohl in tiefen metaphysischen Gründen
verankerte Tendenz, aus einem Paar polarer Begriffe, die ihren Sinn und
ihre Wertbestimmung aneinander finden, den einen herauszuheben, um ihn
noch einmal, jetzt in einer absoluten Bedeutung, das ganze
Gegenseitigkeits- oder Gleichgewichtsspiel umfassen und dominieren zu
lassen, hat sich an der geschlechtlichen Grundrelation der Menschen ein
historisches Paradigma geschaffen.
Dass das männliche Geschlecht nicht einfach dem weiblichen relativ
überlegen ist, sondern zum Allgemein-Menschlichen wird, das die
Erscheinungen des einzelnen Männlichen und des einzelnen Weiblichen
gleichmässig normiert - dies wird, in mannigfachen Vermittlungen, von der
Machtstellung der Männer getragen.
Drückt man das geschichtliche Verhältnis der Geschlechter einmal krass
als das des Herrn und des Sklaven aus, so gehört es zu den
Privilegien des Herrn, dass er nicht immer daran zu denken braucht, dass er Herr ist, während die Position des Sklaven dafür sorgt,
dass er seine
Position nie vergisst.
Es ist gar nicht zu verkennen, dass die Frau ausserordentlich viel
seltener ihr Frau-Sein aus dem Bewusstsein verliert als der Mann sein
Mann-Sein.
Unzählige Male scheint der Mann rein Sachliches zu denken, ohne dass seine Männlichkeit gleichzeitig irgendeinen Platz in seiner Empfindung
einnähme; dagegen scheint es, als würde die Frau niemals von einem
deutlicheren oder dunkleren Gefühle, dass sie Frau ist, verlassen; dieses
bildet den niemals ganz verschwindenden Untergrund, auf dem alle Inhalte
ihres Lebens sich abspielen.
Da das differentielle, das Männlichkeits-Moment in den
Vorstellungsbildern und Normsetzungen, in den (-> 60) Werken und
Gefühlskombinationen, dem Bewusstsein seiner Träger leichter
entschwindet, als das entsprechende an dem Weiblichkeitsmoment geschieht,
- denn für den Mann als den Herrn knüpft sich innerhalb seiner
Lebensbetätigungen kein so vitales Interesse an seine Relation zum
Weiblichen, wie die Frau es an ihrer Relation zum Männlichen haben muss -
so heben sich die männlichen Wesensäusserungen für uns leicht in die
Sphäre einer überspezifischen, neutralen Sachlichkeit und Gültigkeit
(denen die spezifisch männliche Färbung, wo sie etwa bemerkt wird als
etwas Individuelles und Zufälliges subordiniert wird).
Dies offenbart sich in der unendlich häufigen Erscheinung, dass Frauen
gewisse Urteile, Institutionen, Bestrebungen, Interessen als durchaus und
charakteristisch männlich empfinden, die die Männer sozusagen naiv für
einfach sachlich halten.
Auf der gleichen Grundlage der männlichen Herrschaft drängt eine
andere Tendenz auf das gleiche Resultat.
Von jeher hat jede auf subjektiver Übergewalt beruhende Herrschaft es
sich angelegen sein lassen, sich eine objektive Begründung zu geben, das
heisst: Macht in Recht zu transformieren.
Die Geschichte der Politik, des Priestertums, der
Wirtschaftsverfassungen, des Familienrechts ist voll von Beispielen.
Insofern der Wille des pater familias, der dem Hause auferlegt ist, als
"Autorität" erscheint, ist er nicht mehr willkürlicher
Ausnutzer der Macht, sondern der Träger einer objektiven Gesetzlichkeit,
die auf das Überpersönlich-Allgemeine der Familieninteressen geht.
Nach dieser Analogie und oft in eben diesem Zusammenhang entwickelt
sich die psychologische Superiorität, die das Herrschaftsverhältnis
zwischen Männern und Frauen den männlichen Wesensäusserungen
verschafft, sozusagen in eine logische; diese verlangen normative
Bedeutung daraufhin, dass sie die sachliche, für alle, ob männliche, ob
weibliche Individuen gleichmässig gültige Wahrheit und Richtigkeit
offenbaren.
Dass so das Männliche zu dem schlechthin Objektiven und sachlich Massgebenden verabsolutiert wird - und zwar nicht nur dessen empirische
Gegebenheit, sondern so, dass auch die aus dem Männlichen und für das
Männliche erwachsenden Ideen und idealen Forderungen zu
übergeschlechtlich-absoluten werden (-> 61) - das hat für die
Beurteilung der Frauen verhängnisvolle Folgen.
Hier entsteht auf der einen Seite die mystisierende Überschätzung der
Frau.
Sobald man nämlich dennoch zu dem Gefühl gelangt ist, dass hier, trotz
allem, eine Existenz auf völlig selbständiger, normativer Basis
vorliegt, fehlt nun jedes Kriterium für sie, die Möglichkeit zu jeder
Übersteigerung und jedem Respekt vor dem Unbekannten und Unverstandenen
ist eröffnet.
Auf der andern Seite aber, näherliegend, erheben sich alle Missverständnisse
und Unterschätzungen daraus, dass ein Wesen nach
Kriterien beurteilt wird, die für ein entgegengesetztes kreiert
sind.
Von hier aus kann die Selbständigkeit des weiblichen Prinzips gar
nicht anerkannt werden. So lange es sich einfach um eine Brutalisierung
der weiblichen Wesensäusserungen (nach Wirklichkeit und Wert) durch die
in derselben Ebene liegenden männlichen handelt, so lange war von einem
Appell an eine über beiden gelegene Instanz des Geistes Gerechtigkeit zu
hoffen.
Sobald aber diese höhere Instanz selbst wieder männlich ist, ist
nicht abzusehen, wie die weibliche Wesensart zu einer Beurteilung nach
Normen kommen soll, die auf sie anwendbar wären.
Tritt hiermit den Frauen, ihren Leistungen, Überzeugungen, praktischen
und theoretischen Lebensinhalten der absolute Massstab entgegen (den die
für die Männer gültigen Kriterien bilden), so setzt sich dem zugleich
ein relativer zur Seite oder gegenüber, der nicht weniger aus der
Prärogative der Männer stammt und oft die genau gegenteiligen
Forderungen stellt.
Denn der Mann fordert von der Frau doch auch, was ihm, nun gleichsam
als einseitiger Partei, in seiner polaren Beziehung zu ihr wünschenswert
ist, das im traditionellen Sinne Weibliche, das aber nicht eine
selbstgenugsame, in sich zentrierende Eigenart bedeutet, sondern das auf
den Mann Orientierte, das ihm gefallen, ihm dienen, ihn ergänzen
soll.
Indem die Prärogative der Männer den Frauen diese Doppelheit der Massstäbe auferlegt, den männlichen, als übergeschlechtlich Objektives
auftretenden, und den zu diesem gerade korrelativen, oft ihm genau
entgegengesetzten, spezifisch weiblichen - können sie eigentlich von
keinem Standpunkt aus vorbehaltlos gewertet werden.
Die spöttisch kritische Attitüde gegenüber den Frauen ist deshalb so
durchgehend, aber auch so banal und billig, weil, sobald man sie (->
62) von einem jener Kriterienkreise aus wertet, der entgegengesetzte
auftaucht, von dem aus sie insoweit gerade entwertet werden müssen.
Und nun setzt sich diese Doppelheit einander ausschliessender
Ansprüche, gleichsam ihre Form bewahrend und nur ihre Dimensionen
ändernd, innerhalb des inneren Bedürfnisses fort, mit dem der Mann als
einzelner sich an die Frau wendet.
Ist der Mann - was erst später zu seinen tieferen Folgen kommen wird -
das im äusseren und inneren Sinne zur Arbeitsteilung und durch
Arbeitsteilung bestimmte Wesen, so wird der so vereinseitigte Einzelne in
der Frau die Ergänzung seiner einseitigen Qualitäten suchen, also auch
in ihr ein differentielles Wesen, das diese Ergänzung durch die
mannigfaltigsten Grade von annähernder Gleichheit bis zu radikaler
Gegensätzlichkeit zu leisten hat: die inhaltliche Besonderheit der
Individualität fordert eine ihr korrelative inhaltliche Besonderheit von
der Frau.
Daneben aber verlangt die Differenziertheit als Lebensform überhaupt
ihre Ergänzung und Korrelation: das einheitliche, womöglich zu gar
keinem besonders betonten Inhalt zugespitzte, in dem undifferenzierten
Naturgrunde wurzelnde Wesen.
Es ist das Verhängnis stark besonderter Individualisierung, dass sie
diese beiden einander ausschliessenden Ansprüche oft mit gleicher Stärke
stellt, einerseits auf eine andere, ebenso entschiedene
Individualisiertheit, nur gleichsam mit umgekehrtem Vorzeichen und Inhalt,
andererseits auf die prinzipielle Aufhebung solcher Individualisiertheit
überhaupt.
Der jeweilige besondere Inhalt und die allgemeine Form des männlichen
Lebens bedürfen zu ihrer Ergänzung, ihrem Frieden, ihrer Erlösung
zweier Korrelate, die untereinander entgegengesetzt sind.
Es ist oft die Problematik, ja die mehr oder weniger entwickelte
Tragödie von Verhältnissen, dass der Mann die Erfüllung des einen
dieser Bedürfnisse durch die Frau als selbstverständlich hinnimmt und
sein Bewusstsein ganz durch das Fehlen der andern beherrschen lässt, die
logisch mit jener gar nicht simultan sein kann.
Nur den Frauen von sozusagen genialer Weiblichkeit scheint es gegeben,
zugleich als durchaus differentielle Individualisiertheit und als Einheit,
deren Tiefenschicht.
die Kräfte aller Besonderungen noch in voller Ungeschiedenheit
enthält, zu wirken - analog dem (-> 63) grossen, in eben dieser
Zweiheit wirkenden Kunstwerk, und gleichgültig gegen deren begriffliche
Unverträglichkeit; in den typischen Fällen ist diese indes hinreichend
wirksam, um durch den Wechsel des fordernden Standpunktes die Frau in
jedem Fall als das Wesen erscheinen zu lassen, dem gegenüber der Mann
noch das Recht der Forderung, der Beurteilung aus der Höhenlage
objektiver Normierung heraus besitzt.
Die mit alledem angedeutete äussere und kulturgeschichtliche
Entwicklung ist doch wohl das Phänomen einer in der überhistorischen
Basis des Geschlechtsunterschiedes wurzelnden Bestimmtheit.
Das entscheidende Motiv des ganzen Erscheinungskreises ist das oben
angedeutete: der Geschlechtsunterschied, scheinbar eine Relation zweier
logisch äquivalenter, polarer Parteien, ist dennoch für die Frau
typischerweise etwas Wichtigeres als für den Mann, es ist ihr
wesentlicher, dass sie Frau ist, als es für den Mann ist, dass er Mann
ist.
Für den Mann ist die Geschlechtlichkeit sozusagen ein Tun, für die
Frau ein Sein.
Aber dennoch oder vielmehr gerade damit ist jene Bedeutsamkeit des
Geschlechtsunterschiedes für sie, genau angesehen nur eine
sekundäre Tatsache; sie ruht in ihrem Weibtum als in einer absoluten
Wesenssubstanz und - etwas paradox ausgedrückt - gleichgültig dagegen,
ob es Männer gibt oder nicht.
Für den Mann gibt es diese zentripetale, für sich seiende
Geschlechtlichkeit gar nicht.
Seine Männlichkeit (im sexuellen Sinne) ist viel durchgehender mit der
Beziehung zu der Frau verbunden, als die Weiblichkeit der Frau mit der zum
Manne.
Dies anzuerkennen, ja vielleicht nur zu begreifen, hindert uns die
naive Voraussetzung, die ja gerade in Frage steht: dass die Weiblichkeit
nur eine Relationserscheinung zum Manne wäre und dass, wenn diese
Relation wegfiele, nichts übrig bliebe; es bleibt tatsächlich kein
neutraler "Mensch", sondern eine Frau übrig.
Es ist deshalb sicher in vielen Fällen keine Selbsttäuschung (was ein
billiger Skeptizismus und eine nicht viel kostspieligere Schematik
freilich leicht behaupten können), wenn Mädchen sich einer
leidenschaftlichen Sehnsucht nach einem Kinde, aber keiner nach einem
Manne bewusst sind.
Am extensivsten aber zeigt sich die Selbständigkeit des
Geschlechtlichen an der Frau (-> 64) in dem von aller weiteren
Beziehung zum Manne unabhängigen Verlaufe der Schwangerschaft und daran, dass
es in den Urzeiten der Menschheit offenbar sehr lange gedauert hat,
ehe man überhaupt die Verursachung der Schwangerschaft durch den
Geschlechtsakt erkannte.
Dass die Frau in der tiefsten Identität von Sein und Weibsein lebt, in
der Absolutheit des in sich bestimmten Geschlechtlichen, das für
seine Charakterwesentlichkeit der Relation zum anderen Geschlecht nicht
bedarf, das macht ihr freilich, nun von einer anderen Schicht aus gesehen,
in der singulären historischen Erscheinung auch diese Relation, gleichsam
den soziologischen Ort ihres metaphysischen Wesens, besonders wichtig;
während für den Mann, dessen spezifische Geschlechtlichkeit sich nur an
dieser Relation aktualisiert, sie eben deshalb nur ein Lebenselement unter
anderen ist, kein character indelebilis wie dort - so dass die Beziehung
zur Frau trotz ihrer für seine Geschlechtlichkeit entscheidenden
Bedeutung doch im ganzen nicht jene vitale Wichtigkeit für ihn
besitzt.
Offenbar ist das typische Verhalten dieses: die Erfüllung des
sexuellen Begehrens hat die Intention, den Mann aus der Beziehung zu
lösen, die Frau an die Beziehung zu binden.
Es ist allgemeine Erfahrung, dass die Frau den Mann umso mehr liebt,
wenn sie sich ihm hingegeben hat, ja dass ihre wirkliche, tiefgründige
Liebe oft erst damit entsteht - oft dadurch noch unterstützt, dass die
Schwangerschaft schützende Anlehnung fordert.
Ebenso allgemein aber ist die Erfahrung, dass der Mann von der Frau,
.die sich ihm hingegeben hat, sehr bald nichts mehr wissen will - was dann
zu einer der ethisch widerwärtigsten Erscheinungen führt: dass er die
Frau um ihrer Hingabe willen verachtet, und sie mit besserem Rechte
zu verlassen und durch diese Verachtung den Ärger über die eigene
Schwäche oder das eigne Unrecht abzureagieren.
Das allgemeine Schema aber ist auch hier, dass für den Mann die
sexuelle Frage eine Relationsfrage ist, also überhaupt verschwindet,
sobald er, weil der motivierende Trieb gestillt ist, an der Relation kein
Interesse mehr hat, sein Absolutes ist mit seinem Geschlechtlichsein nicht
verbunden.
Für die Frau ist dieses eine Wesensfrage, die ihre Absolutheit
sekundär auch in die aus ihr hervorgegangene Relation hineinträgt.
(-> 65) Der Mann mag durch Erlebnisse des erotischen Gebietes zur
Raserei oder zum Selbstmord gebracht werden, er fühlt dennoch, dass sie
ihn im tiefsten nichts angehen - soweit solche Dinge, die ihre Beweislast
nicht tragen können, ausgesprochen werden dürfen.
Selbst in den Äusserungen so erotischer Naturen wie Michelangelo,
Goethe, Richard Wagner finden sich genug Imponderabilien, die auf diese
Rangierung des erotischen Erlebnisses in ihnen hinweisen.
Das Absolute, das die Sexualität oder die Erotik als kosmisches
Prinzip darstellt, wird für den Mann zur blossen Relation zur
Frau; die Relativität, die dieses Gebiet als Beziehung zwischen den
Geschlechtern besitzt, wird für die Frau zum Absoluten, für sich
Seienden ihres Wesens.
Das schliessliche Ergebnis dieser Konstellation ist auf der einen Seite
das häufig festgestellte Gefühl, als ob auch die vollkommenste Hingabe
einer Frau einen letzten Vorbehalt ihrer Seele nicht löste - weil sie
eben in sich geschlechtlich ist, nicht nur in der Beziehung zum Mann, als
wäre ein heimliches Sichselbstgehören und Insichgeschlossensein in ihr,
das sie zwar auch, da sie sich eben ganz gibt, in den Tausch einsetzt, das
sich aber auch in ihm nicht zu dem andern hin öffnet, sondern, obgleich
ihm zu eigen geworden, dabei noch immer an seinem Wurzelgrunde und in
seiner Umfriedetheit beharrt.
Ein in der Realität ganz einfaches Verhalten wird hier in seinem
begrifflichen Ausdruck diffizil und leicht verwirrbar.
Indem der Mann sein Leben und Leisten in die Form der Objektivität und
damit über die Gegensatztatsache der Geschlechtlichkeit hinweghebt,
besteht diese letztere für ihn wirklich nur in der Relation, als die
Relation zu den Frauen.
Für diese aber, mit ihren letzten Wurzeln in die Tatsache ihres
Frauentums verwachsen oder mit ihr identisch, ist die Geschlechtlichkeit
ein Absolutes, ein Für-sich-Seiendes geworden, das in der Beziehung zum
Manne nur eine Äusserung, eine empirische Realisierung gewinnt.
Innerhalb ihres Bezirkes aber hat diese Beziehung - weil sie eben das
Phänomen des fundamentalen Seins der Frau ist - für sie die
unvergleichlichste Bedeutung und hat deshalb zu dem im tieferen Sinne ganz
irrigen Urteil geführt, dass das definitive Wesen der Frau statt in sich
selbst zu ruhen, mit dieser Beziehung (-> 66) zusammenfiele, sich in
ihr erschöpfte.
Die Frau bedarf gar nicht so sehr des Mannes in genere, weil sie das
sexuelle Leben schon sozusagen in sich hat, als das in sich beschlossene
Absolute ihres Wesens; um so mehr bedarf sie, wenn dies Wesen in die
Erscheinung treten soll, des Mannes als Individuum.
Der Mann, der viel leichter sexuell zu erregen ist, weil es sich dabei
für ihn nicht um eine Bewegtheit der Wesenstotalität, sondern nur einer
Teilfunktion handelt, hat dazu nur eine ganz generelle Anregung
nötig.
So können wir die Erfahrungstatsache begreifen, dass die Frau mehr an
dem einzelnen Manne, der Mann mehr an der Frau im allgemeinen hängt.
Aus dieser fundamentalen Struktur wird es verständlich, dass einerseits der psychologische Instinkt von jeher die Frau als das
Geschlechtswesen bezeichnet hat und dass andrerseits die Frauen selbst
sich so oft dagegen auflehnen und diese Bezeichnung als irgendwie
unzutreffend empfinden.
Dies liegt daran, dass man unter Geschlechtswesen - in Übertragung
dessen, was dies für den männlichen Standpunkt bedeuten könnte - ein
solches zu verstehen pflegt, das primär und in seiner Basis auf das
andere Geschlecht gerichtet ist.
Dies aber gilt typischerweise für die Frau nicht.
Ihre Geschlechtlichkeit ist gerade viel zu sehr ihre immanente
Beschaffenheit, macht viel zu unbedingt und unmittelbar ihr urtümliches
Sein aus, als dass sie erst in der Intentionierung auf den Mann hin oder
als solche Intentionierung entstehen oder ihr Wesen gewinnen sollte.
Am einleuchtendsten wird dies vielleicht an dem Bilde der alten
Frau.
In viel früheren Jahren als der Mann überschreitet die Frau die obere
Grenze des erotischen Reizes im aktiven wie im passiven Sinne.
Aber abgesehen von seltensten Ausnahmefällen und den
Verfallserscheinungen des ganz hohen Alters, wird sie dadurch keineswegs
vermännlicht, oder was hier wichtiger ist, geschlechtslos.
Nun alle auf den Mann hinzielende Sexualität als solche erloschen ist,
bleibt ihrem gesamten Wesen das weibliche Cachet unverändert
erhalten.
Alles an ihr, was vielleicht bis dahin an der erotischen Beziehung zum
Manne Ziel und Sinn zu besitzen schien, enthüllt sich jetzt als ganz
jenseits dieser Beziehung gestellt, als ein eigenzentraler, aus sich
selbst bestimmter Besitz ihres Wesens.
Darum (-> 67) erscheint es mir auch keineswegs erschöpfend, wenn man
eben dieses Wesen, statt in die Relation zum Manne, nun in die zum Kinde
auflösen wollte.
Natürlich ist die unermessliche Bedeutung, die diese Relation ebenso
wie die andere für die Frau hat, gar nicht diskutabel.
Allein wie sie gewöhnlich behauptet wird, ist sie auch nur eine
Definition vom Standpunkt des sozialen Interesses aus, eine Abwandlung
jener anderen Einstellung der Frau in einen von ihr abführenden
Zweckzusammenhang, bestenfalls eine Projizierung ihres eigensten und
einheitlichen Wesens in die Zeitreihe und eine ausserhalb ihrer gelegene
Vielfachheit.
Unmittelbar folgt aus jener Zielsetzung, dass die Frauen schliesslich
nur für die Männer da sind.
Denn da aus der nächsten Generation die weiblichen Elemente als
Endzwecke ausscheiden, vielmehr wieder nur als Mittel für die dann
nächste Generation dienen, innerhalb deren dasselbe Spiel sich wiederholt
- so bleiben als Zwecke, um derentwillen eben dieses sich abrollt, nur die
männlichen Elemente aller Generationen übrig.
Schon diese logische Konsequenz zeigt darauf hin, dass all solche
Relationen nur Erscheinungen des metaphysischen Wesens der Frau
sind, in denen dieses in seiner Geschlossenheit und seinem Beisichsein
dennoch nicht aufgeht.
Freilich ist dieses Wesen bis in seine letztergründbare Tiefe hinein
ganz und gar weiblich, aber diese Weiblichkeit ist nicht in demselben
Sinne Erscheinung, nichts Relatives, also etwas "für andere" -
so wenig damit, um Missverständnissen vorzubeugen, etwa ein Egoismus
gemeint ist; schon weil Egoismus immer eine Beziehung zu Anderem ist, ein
Sich-nicht-genügen an dem eigenen Sein, ein Hinsehen auf ein Ausserhalb,
das man erst in dieses Sein einsaugen möchte.
Obgleich es der populären Ansicht widerstreitet: dem tiefsten Wesen
des Mannes liegt dieses Sich-zum-Mittel-machen, dieses Verlassen des
eigenen Zentrums viel näher als dem der Frau.
Er schafft das Objektive oder wirkt in das Objektive hinein, sei es in
den Erkenntnisformen der Vorstellung, sei es in schöpferischer Gestaltung
gegebener Elemente.
Sein theoretisches wie sein praktisches Ideal enthält ein Element von
Entselbstung.
Er legt sich immer in eine irgendwie extensive Welt auseinander, so
sehr er sie mit seiner Persönlichkeit durchdringen mag, erfügt (-> 68)
sich mit seinem Tun in historische Ordnungen ein, innerhalb deren er
bei aller Macht und Souveränität als Mittel und Glied gelten kann - ganz
anders als die Frau, deren Sein sich sozusagen auf rein intensiven
Voraussetzungen aufbaut, die vielleicht in ihrer Peripherie störbarer und
zerstörbarer ist als der Mann, aber, so eng mit dem Mittelpunkt verbunden
sich diese Peripherie auch zeigen mag - und in der Enge dieser Verbindung
des peripherischen und des zentralen Seins liegt wohl das Grundschema
aller Frauen-Psychologie -, in diesem Mittelpunkt expansionsloser und
allen ausserhalb gelegenen Ordnungen entzogener ruht.
Mag man das Leben als subjektiv-innerliche Gerichtetheit, mag man es in
seinem Ausdruck an den Dingen erfassen, immer erscheint das männliche
Individuum nach zwei Seiten bewegt, in deren Polarität die Frau nicht
hineingezogen ist.
In jener ersteren Hinsicht ist der Mann einmal nach dem rein Sinnlichen
hingerissen (im Unterschied zu der tieferen weiblichen Sexualität, die
eben deshalb, weil sie weniger affaire d'épiderme ist, im allgemeiner
weniger spezifisch sinnlich ist), der Wille zieht ihn, das Einsaugen- und
Beherrschenwollen - und dann wieder reisst es ihn zum Geistigen, zur
absoluten Form, zu der Unbegehrlichkeit des Transzendenten.
Es ist vielleicht ein Grundirrtum Schopenhauers, die vitale Bedeutung
des letzteren in die blosse Verneinung des ersteren zu verlegen, ein nicht
geringerer Nietzsches, umgekehrt auch in aller Leidenschaft für das
Unsinnliche und Überelementare nur den elementaren Willen zu Macht und
Leben spüren zu wollen.
So einfach scheint mir die Vereinheitlichung nicht herstellbar, sondern
man wird wohl an der Polarität (die ja als solche auch eine Art Einheit
ist), an der Gegnerschaft der beiden innerlichen Richtungen, als einem
Letzten Halt machen müssen.
Demgegenüber verbleibt die Frau in sich, ihre Welt gravitiert nach dem
dieser Welt eigenen Zentrum.
Indem die Frau jenseits jener beiden eigentlich exzentrischen
Bewegungen, der begehrlich sinnlichen und der transzendent formalen steht,
könnte man gerade sie als den eigentlichen "Menschen", als die
im umgrenztest Menschlichen Wohnhafte bezeichnen, während der Mann
"halb Tier, halb Engel" ist.
Und nun in der Wendung (-> 69) zum Objekt: es ist einerseits im
ganzen männliche Art, den Eigenbestand und die Eigengesetzlichkeit der
Dinge als etwas Wesentliches und Bedeutsames anzuerkennen.
Das ganze Ideal eines möglichst sachlichen und reinen Erkennens ruht
auf dieser inneren Voraussetzung.
Daneben wirkt das Interesse am Gestalten und Umschaffen der Dinge, mit
dem entschiedenen Willen, dass sie nun auch so sein und dastehen sollen,
wie der Geist es ihnen auferlegt.
Die Frau als Typus steht jenseits dieses Doppelverhältnisses zu den
Dingen.
Der Idealismus der reinen Theorie, die eine Beziehung zu dem bedeutet,
wozu man eben keine Beziehung hat, ist nicht ihre Sache.
Was sie nicht sich verbunden fühlt, sei es in äusserer oder
ethisch-altruistischer Zweckmässigkeit, sei es in Bedeutsamkeit für ein
inneres Heil, geht sie eigentlich nichts an, als fehlte ihr jene gleichsam
drahtlose Verbindung dazu, die das bloss objektivische Interesse
stiftet.
In Hinsicht auf Gestaltung andrerseits ist das männliche Werk - vom
Schuster und Tischler bis zum Maler und Dichter - die vollkommene
Bestimmung der objektiven Form durch die subjektive Kraft, aber auch das
vollkommene Objektivwerden des Subjekts.
So rastlos und selbstlos tätig aber die Frau sei, von so reichem
Wirken und "Schaffen" innerhalb ihrer Sphäre, von so
entschiedener Fähigkeit, ein Haus, ja einen ganzen Kreis auf den Ton
ihrer Persönlichkeit zu stimmen, so ist die Produktivität im Sinne jenes
Ineinandergehens und gleichzeitigen Selbständigseins von Subjekt und
Objekt doch nicht ihre Angelegenheit.
Erkennen und Schaffen sind Relationsbewegtheiten, mit denen sozusagen
unser Sein aus sich herausgeführt wird, ein Verlegen des Zentrums, ein
Aufheben jener letzten Geschlossenheit des Wesens, die eben dem weiblichen
Typus bei aller äusseren Geschäftigkeit und aller Hingebung an
praktische Aufgaben den Lebenssinn konstituiert.
Das Verhältnis zu den Dingen, das in irgendeiner Weise zu haben
allgemeine Notwendigkeit ist, gewinnt die Frau, sozusagen ohne das Sein,
in dem sie ruht, zu verlassen - durch eine unmittelbarere, instinktivere,
gewissermassen naivere Berührung, ja Identität.
Ihre Existenzform geht nicht auf jene besondere Trennung von Subjekt
und Objekt, die erst in den besonderen Formen von Erkennen und Schaffen
wieder ihre Synthese erfährt.
(-> 70) So ist eigentlich der Mann, der denkende, produzierende,
sozial betätigte, trotz aller Verabsolutierung seiner seelischen Inhalte,
zu der gerade sein Dualismus disponiert, viel mehr ein Relativitätswesen
als die Frau, und so ist auch seine Geschlechtlichkeit nur eine in der
ersehnten oder vollzogenen Relation zu der Frau entwickelte - während das
im tiefsten Sinne bedürfnislosere Sein der Frau (trotz aller "Bedürftigkeit"
ihrer oberflächlicheren Schichten) die Geschlechtlichkeit sozusagen
abstandslos in sich schliesst; ihrem gelebten Sein ist ihr metaphysisches
Wesen unmittelbar verschmolzen, dem inneren Sinne nach durchaus zu
unterscheiden von all ihren Relationen und ihrem Mittelsein in
physiologischen, psychologischen, sozialen Hinsichten.
Fast alle Erörterungen über die Frauen stellen nur dar, was sie in
ihrem - realen, ideellen, wertmässigen - Verhältnis zum Manne sind;
keine fragt, was sie für sich sind; freilich begreifbar genug, weil die
männlichen Normierungen und Forderungen eben nicht als spezifisch
männliche, sondern als das Objektive und schlechthin allgemein Gültige
gelten.
Fühlt man genau hin, was an Bildnissen jüngerer Frauen, mindestens an
ihrer überwiegenden Anzahl, als "Psychologisches" wirkt, so
wird man feststellen, dass es eigentlich gar nicht das Psychologische der
Frau selbst, sondern das Psychologische ihrer Wirkung auf den Mann ist,
was das Bild uns suggeriert.
Und weil man von vornherein nur nach dieser Relation fragt, weil man
die Frau wesentlich oder ausschliesslich in diesem Verhältnis
subsistieren lässt, schliesst man am Ende, dass sie für sich nichts ist
- womit man nur das beweist, was man in der Fragestellung schon
vorausgesetzt hat.
Allerdings wäre auch jene voraussetzungslose Frage: was die Frau denn
für sich oder absolut genommen ist, falsch gestellt oder falsch
beantwortet, wenn man dabei von ihrem Frauentum absehen wollte.
Denn das Frauentum - und dies ist der ganz und allein entscheidende
Punkt - kommt nicht ihr, als einem sozusagen metaphysisch farblosen Wesen,
erst durch jene Relation zu, sondern ist von vornherein ihr Sein
überhaupt, ein Absolutes, das nicht, wie das männliche über den
Geschlechtsgegensatz zu stehen kommt, sondern - weiteres vorbehalten -
jenseits seiner.
(->71) So liegt allerdings in dem männlichen Wesen ein formales
Moment, das seine Aufgipfelung über sich selbst zu einer unpersönlichen,
ja überrealen Idee und Norm vorbereitet.
Das Übersich-selbst-Hinausgreifen in aller Produktion, die
durchgehende Beziehung zu einem Gegenüber, dem sich der Mann mit seiner
Einordnung in weit erstreckte reale und ideale Reihen ergibt, enthält von
vornherein einen Dualismus, ein Auseinandergehen des einheitlichen Lebens
in die Formen des Oben und Unten, des Subjekts und Objekts, des Richters
und des Gerichteten, des Mittels und des Zwecks.
Indem das weibliche Wesen diesen ganzen Gegensätzlichkeiten und
Überbauten, diesen Distanzen zwischen Subjektivem und Objektivem seine
fundamentale Einheitlichkeit gegenüberstellt, offenbart sich die typische
Tragik jedes der beiden Geschlechter.
Für den Mann besteht sie in dem Verhältnis der endlichen Leistung zur
unendlichen Forderung.
Diese Forderung steht auf zwei Seiten,; sie kommt vom Ich her, insofern
es nur aus sich heraus will, nur schaffend leben und sich bewähren will;
in diesem Aktus kommt seiner Intention nach eine Grenze nicht in
Frage.
Auch von Seiten der objektiven Idee, die ihre Realisierung fordert,
besteht keine Einschränkung, in jedem Werke ist die Absolutheit einer
Vollendung ideell angelegt.
Indem nun aber diese beiden Unendlichkeiten aneinandergeraten,
entstehen durchgängige Hemmungen.
Die subjektive Energie, die rein von innen her sich keiner
Beschränkung, ja keines Masses bewusst ist, erfährt ihre Grenze in dem
Augenblick, wo sie sich an die Welt wendet und in ihr ein Objekt schaffen
will; denn alles Schaffen ist nur im Kompromiss mit den Mächten der Welt
möglich, ist eine Resultante aus dem, was wir sind, und dem, was die
Dinge sind; selbst das reine Gedankengebilde zeigt die Begrenzung der an
sich formlos strömenden geistigen Kraft durch die Notwendigkeiten der
Logik, der Sachverhalte, der Sprache.
Und die Idee des Werkes selbst erleidet dadurch, dass es nur durch
psychische und in ihrem Realwerden notwendig endliche Kräfte hergestellt
werden kann, Einschränkung und Verendlichung.
Diese Herabsetzung, Störung, Zerstörung, die alle Produktion trifft,
ist in den Voraussetzungen dieser Produktion selbst angelegt, die Struktur
von Seele und (-> 72) Welt, die alles Schaffen ermöglicht, schlägt
dieses Schaffen selbst mit dem Widerspruch, dass die immanente Forderung
seiner Unendlichkeit mit der immanenten Unmöglichkeit, diese Forderung zu
erfüllen, a priori verbunden ist.
Freilich ist dies eine allgemein menschliche Tragik, insofern alles
praktisch produktive Verhältnis zwischen Mensch und Welt mit ihr belastet
ist.
Aber nur für das Geschlecht, das aus seinen letzten Notwendigkeiten
heraus dieses Verhältnis herstellt, dem das Leben am Objekt, dem
gegebenen und dem zu schaffenden, aus dem eigensten Wurzelgrunde kommt,
wächst aus eben diesem jene Tragik.
Gegenüber dieser tiefen inneren Notwendigkeit entsteht die typische
Tragik des weiblichen Geschlechts aus ihrer historischen Situation oder
wenigstens aus den mehr äusseren Schichten ihres Lebens.
Hier fehlt der die Wurzeln der Existenz spaltende Dualismus, der jene
sozusagen autochthone Tragik bedingt, das Leben wird als ein in sich
ruhender Wert gelebt und gefühlt und ist seinem Sinne nach so in seinen
Mittelpunkt gesammelt, dass selbst der Ausdruck, dass es Selbstzweck sei,
es noch zu sehr auseinanderzieht.
Die ganze Kategorie von Mittel und Zweck, die sich so tief im
männlichen Wesen gründet, ist auf die gleiche Tiefenschicht des
weiblichen überhaupt nicht anzuwenden.
Und nun tritt die Komplikation ein, dass gerade diese Existenzen nach
ihren zeitlichen, sozialen, physiologischen Schicksalen als blosse Mittel
behandelt und gewertet, ja sich selber als solcher bewusst werden: Mittel für den Mann, für das Haus, für das Kind.
Weil sie nicht die Mittel-Wesen sind, sind sie auch nicht die
Arbeits-Wesen (nicht zu verwechseln mit ihrem häufigen Bedürfnis nach
"Tätigkeit") - welche "Intention der Natur" darin
sichtbar wird, dass alle dauernde härtere Arbeit sie verhässlicht, was
bei Männern keineswegs der Fall ist; und doch ist eben dies ihr
Verhängnis, dass sie so gut wie immer die eigentlichen Arbeitstiere
waren.
In die gleiche Richtung weist eine zartere seelische Erscheinung.
Frauen haben, wo man mit ihnen in intimerer Weise verkehrt (die nicht von
vornherein reine Freundschaft oder Kameradschaftlichkeit ist), leicht den
Argwohn, dass man mit ihnen psychologisch experimentieren will, sie zum
Beobachtungsobjekt macht; was sie natürlich sehr verletzt, denn hier
(-> 73) fühlen sie sich noch in absoluterem, ihnen fremderem Sinne zum
"Mittel" entwürdigt, als in der Sexualität.
Nun möchte man ihr Geschick, ein blosses Mittel zu werden, vielleicht
eher traurig als tragisch nennen.
Denn Tragik liegt doch wohl nur da vor, wo ein zerstörendes, gegen den
Lebenswillen des Subjekts errichtetes Schicksal dennoch aus einem letzten
Zuge dieses Subjekts, aus einer Tiefe dieses Lebenswillens selbst gekommen
ist - während rein äussere Mächte, so furchtbar, quälend oder
vernichtend sie seien, ein bis zum Extrem trauriges, aber nie im
eigentlichen Sinne tragisches Los bewirken können.
Der Fall der Frauen aber liegt ganz besonders.
Jenes Herausgehen über sich selbst, jenes Verlassen der tiefen
Gesammeltheit des Lebens, um sich in eine weiterrollende Reihe
einzustellen und ihr und ihren anderen Elementen zu dienen, ist hier doch
keine schlechthin äussere Vergewaltigung.
Es ist zwar nicht in dem metaphysischen Lebenssinn der Frauen angelegt,
aber doch darin, dass sie überhaupt in einer Welt stehen, die voll von
"anderem" ist, zu der ein Verhältnis zu haben unvermeidlich das
reine Ruhen im inneren Zentrum durchbricht.
Nicht innerhalb des tiefsten Beisichseins des Wesens, wie für die
Männer, sondern in der Tatsache des Hineingesetztseins des Wesens in die
naturhafte und geschichtliche Welt entspringt der Dualismus, der die
typische Tragik der Weiblichkeit trägt.
Vielleicht eine Nuance, vielleicht aber auch die tiefere Fundierung
dieser schwierigkeitsbeladenen Funktion der Frauen als "Mittel"
ist der passivistische Charakter, mit dem sie sich, nach allgemeiner
Überzeugung, von dem aktiveren Wesen der Männer abscheiden.
Auf das Symbol dieser Rolle, das ihre Passivität im Akt der
Empfängnis bietet, möchte ich zwar kein Gewicht legen, als entscheidend
vielmehr die zentripetale Tendenz ihres seelischen Wesens
ansprechen.
Eine Existenz, die tief in sich ruht, von Natur her ihren Sinn in
reiner Gesammeltheit auf die eigen-innerliche, relationsfreie
Subjektivität findet, wird in dem Augenblick, in dem sie in die Beziehung
zu ausserhalb stehenden Wesen, zu aggressiveren, auf zentrifugale Tendenz
gestimmten, eintritt, unvermeidlich die duldende, hinnehmende, passive
Rolle spielen.
Allenthalben ist, unabhängig vom Geschlechtsunterschied, (-> 74) diese Konstellation zu beobachten.
Der entschieden nach innen lebende, mit der reinen Zentralität von
Gefühlen und Interessen befriedigte Mensch wird immer ein mehr oder
weniger passives Objekt für anders gerichtete, von vornherein an- und
ausgreifende, auf Relationen angelegte Naturen sein.
Es ist nur die summarische Konsequenz davon, dass er, in die Bewegungen
der Umwelt hineingezogen, den Kürzeren zu ziehen pflegt.
Nicht weil er schwächer oder törichter, gutmütiger oder gegen die
strittigen Werte gleichgültiger wäre; mag alles dies sein oder nicht,
der eigentlich charakterologische Grund ist, dass seine Lebensdirektive
nach innen geht, dass seine Kräfte nicht primär nach aussen hin
strahlen, sich von Natur nicht in Relationen ergiessen, sondern dass er
ein geschlossenes Gebilde ist, mit dem ersichtlich die Welt machen kann,
was sie will.
So hat das passive, "leidende" Wesen der Frauen weder im
Physiologischen noch im Historischen seinen ganz und zuletzt zureichenden
Grund, sondern in der Unentrinnbarkeit des Verhältnisses zwischen einem
in sich beschlossenen, in seinem Mittelpunkt ruhenden Leben und anderen,
deren Aktivität über ihre Peripherie hinauslangt und jene in Relationen
hineinzieht.
Ich führe nur zwei Erscheinungen an, in denen mir der weibliche
Passivismus besondere Nachdrücklichkeit zu gewinnen scheint.
Zunächst, dass der gewaltsame Verlust der "sexuellen Ehre"
die Frau überhaupt "entehrt".
Der männliche Ehrbegriff, wo er nicht historisch deformiert ist, lehnt
es ab, dass die Ehre durch etwas anderes als eine Handlungsweise ihres
Trägers verloren werden kann.
Ein anderer kann mir meine Ehre nicht rauben.
Und wenn es scheint, als wäre ein Mann damit entehrt, dass ein Rowdy
ihn ohrfeigt, so ist nicht die Ohrfeige das Entehrende, sondern dass er
nicht Mut und Kraft hat, den Angreifer niederzuschlagen.
Sobald er das tut, hat ihn die Ohrfeige keineswegs entehrt; immer ist
es nur sein Verhalten, das über seine Ehre entscheidet.
Die vergewaltigte Frau aber ist durch etwas, wobei sie rein passiv war,
schon entehrt.
Auch wenn sie nachher den Vergewaltiger tötet, - was
bezeichnenderweise von ihr nicht verlangt wird, wie entsprechend vom Manne
- ist ihre Ehre dadurch nicht wieder hergestellt.
Dies kann überhaupt durch nichts (-> 75) geschehen, was sie tut -
höchstens dadurch, dass sie von dem Manne geheiratet wird.
Zweitens. Die Konstellationen: der Mann zwischen zwei Frauen, und die
Frau zwischen zwei Männern, offenbaren trotz ihrer Entgegengesetztheit
doch gleicherweise den Passivismus der Frau.
Für den zweiten Fall bedarf dies keiner Ausführung; die Frau ist hier
einfach der Siegerpreis, über den durch das Kräfteverhältnis zwischen
den streitenden Männern entschieden wird, auch wenn die Neigung der Frau
selbst erst das wirkliche Verhältnis dieser Kräfte feststellt.
Formal angesehen, liegt es mit dem ersten Fall genau so, nur dass jetzt
die Frauen die bestimmenden sind, und der Mann der, über den bestimmt
wird.
Allein es besteht der tiefe Unterschied, dass der zweite Fall, mag er
in Wirklichkeit und Dichtung harmonisch, humoristisch oder tragisch
verlaufen, als ein sozusagen angemessenes, an sich keinerlei Opposition
herausforderndes Menschenschicksal erscheint.
An dem andern aber empfinden wir es von vornherein für den Mann als
irgendwie ungehörig, ein blosses Objekt der Konkurrenz zweier Frauen zu
sein, selbst wenn er äusserlich ja der wählende ist.
Während dementsprechend doch die Frau durchaus an ihrem Platze ist,
die Situation ihrem Wesen keineswegs widerstreitet, spielt hier der Mann
durchgehends eine ziemlich jämmerliche Rolle, er erscheint als ein
haltlos hin- und hergeworfener Schwächling: Weislingen, Ferdinand (in der
"Stella"), beinahe sogar Eduard.
Diese instinktive Reaktion unseres Gefühls offenbart, dass für ihn
die Aktivität das allein Angemessene ist und die richtige Proportion
zwischen den Geschlechtern sich verschiebt, sobald nicht die Frau, sondern
er in den Passivismus hineingedrängt ist. -
Dass nun jene sozusagen natürliche Tragik nur im Wesen des Mannes
begründet liegt (indem, wenn einmal die etwas verschwommenen Begriffe
gestattet sind, das Naturhafte zu sehr metaphysische Wesensgrundlage der
Frau ist, um hier einen tragischen Dualismus zu entfalten), ist vielleicht
auch so ausdrückbar.
Der Mann mag noch so sehr für eine Idee leben und sterben, er hat sie
doch immer sich gegenüber, sie ist ihm die unendliche Aufgabe, er bleibt
im ideellen Sinne immer der Einsame (-> 76).
Da dies Darüber und Gegenüber die einzige Form ist, in der der Mann
die Idee denken kann und erlebt, so scheint es ihm, als ob die Frauen
"keiner Ideen fähig" wären (Goethe).
Allein für die Frau ist ihr Sein und die Idee unmittelbar eines, sie
ist, trotzdem eine schicksalshafte Vereinsamung gelegentlich über sie
Herr werden mag, typischerweise nie so einsam wie der Mann, sie ist immer
bei sich selbst zu Hause, während der Mann sein ;,Haus" ausserhalb
seiner hat.
Darum langweilen sich Männer im allgemeinen eher als Frauen: der Lebensprozess
und sein irgendwie wertvoller Inhalt ist bei jenen nicht so
organisch und selbstverständlich verbunden wie bei diesen.
Dass sie durch die kontinuierlichen, kleineren und grösseren Aufgaben,
die das häusliche Leben stellt, eher vor Langerweile geschützt sind als
die Männer, ist auch nur die äusserlich historische Realisierung einer
in der Tiefe angelegten differentiellen Seinsqualität.
Der Lebensprozess als solcher hat für die Frauen -- und dies hängt
mit der metaphysischen Bedeutung des Naturhaften für sie zusammen - nach
Art und Mass offenbar einen anderen Sinn als für den Mann; und zwar eine
Bedeutung, die die "Idee" in einer besonderen Weise in ihn
einschliesst.
Die Anatomen haben festgestellt, dass die Frau bis zur Höhe ihres
körperlichen Lebens in den Proportionen des Skelettes, in der Verteilung
von Fettgewebe und Muskulatur, in der Ausbildung des Kehlkopfes dem Kinde
näher bleibt als der Mann.
Diese Analogie wird sich nicht auf die Körperlichkeit beschränken,
und sie hat Schopenhauer Gelegenheit zu dem naheliegenden und dennoch
nicht unvermeidlichen Schlusse gegeben, dass die Frauen "zeitlebens
grosse Kinder" blieben.
Auf die seelische Existenz hin (die Grenzgebiete zum Physischen
eingeschlossen) angesehen, ist es der Jugend eigen, das Leben vor allem
als solches zu fühlen, als Prozess, als einheitlich strömende
Wirklichkeit, sie will die gebundenen Energien des Lebens entfalten, bloss
weil sie da sind und heraus wollen - im Unterschied vom Alter, für das
die Inhalte des Lebens immer mehr die Prärogative vor seinem Prozess gewinnen.
Von den Frauen nun möchte man sagen, dass sie in irgendeinem Sinne
mehr leben, ein gesammelteres und verfügbareres Leben haben müssen als
die Männer, weil es (->77) noch für das Kind ausreichen muss; ein
grösseres Mass von im übrigen und nach aussen hin sichtbarer Kraft ist
damit noch nicht involviert.
Diese vitale Bedeutsamkeit des Lebensvorganges, dieses, so möchte man
sagen, Versenktsein in die Tiefe des Lebens als solchen, das man an der
typischen Frau fühlt, bewirkt es, dass sich die Idee, der abstrakt und
normativ ausdrückbare, vom Leben selbst ideell getrennte Inhalt seiner,
in ihnen und für sie nicht mit solcher Selbständigkeit und
Vollständigkeit entwickelt.
Nach dem ganzen Daseinssinne, nach der Existenzformel der Frau ist die
Idee auch gar nicht zu solchem Eigenleben in ihr bestimmt.
Indes ist diese Vorstellung, dass der Frau ihre Bedeutung von ihrem Lebensprozess, nicht von dessen Resultaten kommt, noch nicht die völlig
angemessene; denn es handelt sich für sie - und dies ist ihr nun doch
merkbarer Unterschied von der Jugend schlechthin -, wenn man ganz genau
sprechen will, nicht um den Gegensatz voll Prozess und Resultat oder Idee,
sondern um das Leben in dem so einheitlichen Sinne, dass es auch nicht in Prozess
und Resultat auseinandergeht.
Leben und Idee haben hier das Verhältnis der Unmittelbarkeit, aus dem
sich nun der Wert einer innern Welt, oder auch eine Welt innerer Werte
genau so aufbaut wie es für die Männer in der Form der Getrenntheit
beider möglich ist.
Der den Frauen allgemein insinuierte "Mangel an Logik" muss damit zusammenhängen, und soviel Oberflächliches und Schiefes in diesem
Vorwurf liegen mag, so gibt seine Allgemeinheit doch Anweisung auf
irgendein Tatsächliches, aus dem er entwickelt ist.
Die Logik stellt auf dem Gebiet des Erkennens die vollkommenste
Abtrennung und Selbständigkeit des Normativen und Ideellen gegenüber der
unmittelbar lebendigen, seelischen Wirklichkeit dar.
Wer sich an sie gebunden weiss, sieht gewissermassen das Reich des
Wahren sich gegenüber, das in seinem tatsächlichen Denken Nachzeichnung
fordert, aber auch wenn dieses ganz von ihm abbiegt, weder seine innere
Gültigkeit noch den Anspruch an unseren seelischen Verlauf irgendwie
einbüsst.
Durch diesen Charakter der logischen Normen wird die Idee und die
Wirklichkeit unseres Denkens in das schroffste Gegenüber gestellt: dass die letztere nicht ohne weiteres und wie von selbst (->78) die an sie
gestellte Forderung erfüllt, die erstere keine fraglose reale Macht
übt.
Solcher Dualismus aber läuft dem weiblichen Prinzip zuwider.
In seiner Reinheit gedacht, lebt es an dem Punkte, wo die Realität
unserer Daseinsäusserungen und die Idee, das Gesollte, sich nicht
getrennt haben, nicht etwa in einer Mischung beider, sondern in der
ungebrochenen Einheit, die durchaus ein selbstsinniges Gebilde ist, aus
gleich gutem Rechte lebend, wie jede der von dem männlichen Geist
getrennt entwickelten Reihen.
Der aus den fertigen Gegensätzen gezogene Schluss, dass sie ihrem
Begriffe nach eine unmittelbare Einheitlichkeit ausschlössen, gilt eben
nur von dem Niveau der bereits zur Divergenz ausgebildeten Reihen aus,
während hier ja gerade ein besonderer innerer Zustand in Frage steht, in
dem es zu dieser Divergenz nicht kommt.
Dies ist mindestens das regulative Prinzip, die differentielle
Gerichtetheit des weiblichen Wesens ergebend, gleichviel ob in dessen
einzelnen Erscheinungen der Abstand zwischen Logik und seelischer
Wirklichkeit in grösserer oder geringerer Bewusstheit lebt.
Darum ist der Frau die männliche Bemühung auf mannigfaltigsten
Sachgebieten, Sein und Idee zusammenzubringen, so oft
unverständlich.
Sie besitzt vielfach unmittelbar, was für den Mann ein Resultat der
Abstraktion ist, das heisst des Wiederzusammenfügens des zuvor
dualistisch Gespaltenen.
Was man in diesen Fällen den weiblichen Instinkt nennt, ist doch - wie
man es dann auch im einzelnen psychologisch analysieren möge - nur diese
unmittelbare Einheit des seelischen Verlaufes mit den Normen und
Kriterien, aus denen, als von jenem Verlauf gesonderten, ihm die
Richtigkeit kommt.
Vielleicht gibt es einen Instinkt, der aus den gesammelten
Gattungserfahrungen und ihrer Tradierung durch die physischen
Vererbungsträger entspringt; aber es gibt auch einen, der vor aller
Erfahrung liegt, in dem die seelischen Elemente, die sich zur Bildung der
Erfahrung schon gesondert haben müssen, ungeschiedene Einheit sind und
ihre Wahrheitsbedeutung der geheimnisvollen Beziehung - sie wird uns in
kurzem beschäftigen - verdanken, die zwischen dieser tiefgelegenen
Einheit des gesamten seelischen Seins und der des Weltseins überhaupt zu
bestehen scheint; in der ersteren Form des Instinkts haben (-> 79) sich
die Erfahrung-bildenden Elemente wieder zu einer psychischen Einheit
zusammengefunden, die in der andern noch ungetrennt sind.
In beiden Fällen fehlt die Bewusstseinshelle, die diese Elemente (Kant
nennt sie Sinnlichkeit und Verstand) durch Trennung und Reibung
gewinnen.
Es ist sehr merkwürdig, dass, so wenig eigentliche Genies sich unter
den Frauen finden, doch gerade öfters bemerkt worden ist, dass das Genie
etwas von weiblicher Art in sich habe.
Dies bezieht sich sicher nicht nur auf das Schaffen des Werkes, dessen unbewusstes, aus dem Gesamtsein der Persönlichkeit gespeistes Reifen dem
Wachsen des Kindes in der Mutter analog sei.
Sondern es ist die apriorische Einheit von Leben und Idee, auf der das
weibliche Wesen ruht und die das Genie auf der höchsten, am Objekt
produktiven Stufe wiederholt.
Dass im übrigen bei der Dunkelheit jenes metaphysischen Zusammenhanges
und bei der Primitivität des Instinktes, den das bewusste logische
Verfahren zu ersetzen, zu korrigieren, zu sichern strebt, - dass dabei das
Vorbeigreifen des weiblichen Instinktes, des weiblich unmittelbaren
Wissens, ebenso häufig sein kann, wie die Richtigkeit, ist begreiflich.
So ist also der sogenannte Mangel an Logik keineswegs eine einfache
Ausfallserscheinung, sondern nur der negative Ausdruck der durchaus
positiv bestimmten weiblichen Wesensart.
Und eben dies wiederholt sich an einem anderen Phänomen, das jenen
Mangel an Logik gleichsam in eine andere Dimension überträgt.
Man sagt, dass die Frauen nicht gern "beweisen".
Die Logik und der Beweis beruhen auf dem Spannungsverhältnis zwischen
dem realen Verlauf unseres Denkens und der sachlichen, in ihrer
Gültigkeit von diesem Verlauf unabhängigen Wahrheit, auf deren Gewinn
das Denken ausgeht.
In der Logik drückt sich, wie ich andeutete, die Dualistik dieses
Verhältnisses aus, die Tatsache, dass wir uns mit all unserm
tatsächlichen Denken an eine Normierung gebunden wissen, die nicht-
dieser Tatsächlichkeit, sondern einem sich selbst tragenden Reiche des
Wahren angehört. Im Beweise lebt der andere Zug: die Indirektheit,
mit der allein das tatsächliche Denken in unzähligen Fällen jene
selbstgenugsame Wahrheit erreichen kann.
Die rein intellektuelle Bewegung pflegt die Koinzidenz mit ihrem
Gegenstande nicht im Augenblick (-> 80) ihres jeweiligen Einsetzens,
sondern erst am Ende eines mehr oder weniger stationenreichen Weges zu
gewinnen.
Der Charakter des Weges oder der Mittelbarkeit ist eine primäre
Tatsache unserer Intellektualität: nicht jeder Beweis ist ein indirekter,
aber jeder ist etwas Indirektes.
Und zwar vollzieht sich jeder, mag er kurz und einfach oder durch lange
Gliederketten hin verlaufen, so, dass ein Neues, vorläufig
Problematisches, auf ein Festes, bereits Anerkanntes zurückgeführt wird;
das Letzte lässt sich nicht beweisen, weil sein Beweis ja bedeuten
würde. dass es nicht das Letzte ist, sondern seinerseits noch auf einem
Fundamentaleren ruht.
Diese unabänderliche Form alles Beweisens gibt ihm eine Inadäquatheit
zu dem weiblichen Sein in seiner Tiefe und seiner metaphysischen Beziehung
zum Sein überhaupt.
Denn - ob im einzelnen Falle haltbar und vernunftgemäss oder nicht -
eben dieses weibliche Sein wurzelt unmittelbar in dein Fundamentalen
überhaupt, die Frau empfindet das Erste und Unbeweisbare in jedem thema
probandum, für das sie sozusagen den Umweg des Beweises nicht braucht und
nicht brauchen kann.
Die allgemeine Seinsversenktheit des weiblichen Typus lässt ihren
Instinkt wie aus einem, keiner Vermittlung bedürftigen Einssein mit den
Objekten heraussprechen und als wäre ihr Erkennen in jenem Letzten, auf
das alle Beweise zurückgehen und in dem sie wie in nuce liegen, zuhause
und nur in ihm zuhause; so dass die Form des Weges, die all unserm
beweisenden Erkennen eigen ist, sich für sie erübrigt, für sie nicht
zutreffend ist.
Alle hieraus entstehenden Unzulänglichkeiten des Erkennens - da dessen
Aufgaben eben unzählige Male für uns nur auf einem Wege und nicht
im Zusammenfallen von Ausgangspunkt und Ziel zu lösen sind -, die ganze
so oft kritisierte Tatsache, dass die Frauen nicht gern beweisen wollen
und nicht gern etwas bewiesen haben wollen, ist also gleichfalls kein
isoliertes Manko, sondern wurzelt in der fundamentalen Art ihres Typus und
dessen Verhältnis zum Dasein überhaupt.
Es wird sich immer mehr als die eigentliche Formulierung des weiblichen
Wesens, nach seinem metapsychologischen Sinne, zeigen: dass seine
subjektive Struktur gleichsam nach ihrer rein inneren, gleichsam über den
Umfang der Seele nicht hinaus erstreckten (-> 81) Bedeutung, gerade als
solche und unmittelbar eine metaphysische Verbundenheit oder Einheit mit
dem Sein überhaupt besitzt, mit irgend etwas, was man den Grund der Dinge
nennen muss - zu tiefstem Unterschied vom männlichen Wesen, für das in
seiner unmittelbaren, immanenten seelischen Wirklichkeit eben das Wahre,
das Weltsein, die Norm noch nicht wohnt; es sieht vielmehr seiner eigenen
Struktur nach all dies sich gegenüber, als ein zu Gewinnendes oder auch
Ungewinnbares, als ein Befehlendes oder eine intellektuelle Aufgabe.
Darum ist der geistige Ausdruck dieses Wesens die Logik, die auf dem
Dualismus zwischen der real psychologischen Welt und der ideellen Welt der
von jener unberührten Wahrheit ruht - und der Beweis, der die
Indirektheit des Erkennens, die Notwendigkeit des Weges und Umweges zur
Voraussetzung hat.
Vollkommen aber zeigt sich die Eingestelltheit des Mannes auf den
"Beweis" erst in ihrer Erstreckung über das theoretische Gebiet
hinaus: er muss nicht nur die Welt sich, sondern auch sich der Welt
beweisen, mit Taten, Werken, Wesensoffenbarungen.
Mag hierin das Verlangen nach einer tief ethischen Rechtfertigung
seines Anspruchs auf Existenz liegen; allein die Form - und wahrscheinlich
mehr als die Form - dieser Rechtfertigung ist logischer Natur, ganz
abweichend von dem unmittelbaren, beruhigten Wissen um das Sein und sein
Recht, wie es den Frauen über sich selbst und über andere eigen
ist.
Darum lächeln sie oft über die Leidenschaft des Mannes, sich zu beweisen,
besonders wenn er damit Eindruck auf sie zu machen glaubt.
Indem die Frau mit jener, inneren, jenseits des Bedürfnisses nach
Logik stehenden Einheitlichkeit sogleich irgendwie in den Dingen selbst,
in der Wahrheit über die Realität steht, ist sie gegen das Beweisen
gleichgültig, das uns zu dieser Realität erst in der Form des Weges
hinführen soll.
Am vollsten und bedeutsamsten lebt diese von aller Relation zum
Männlichen unabhängige Eigenart der Frau auf dem ethischen Gebiet.
Hier klafft der Dualismus von Wirklichkeit und Idee so gewaltsam, das
ganze Reich des Ethischen scheint so ausschliesslich über diesem Abgrund,
wie über seinem Baugrund, errichtet, als entspräche hier allein die
männliche Wesensformel (-> 82) dem Ernst und der Tiefe der
Probleme.
Deshalb hat ein Denker von so extremem maskulinem Dualismus, von so
unbefangener Ineinssetzung des männlichen und des menschlichen
Wesensideales, wie Weininger gerade an dem ethischen Punkte eingesetzt, um
an ihm die absolute Wertnegativität des weiblichen Wesens zu erweisen,
und zwar durchaus logischer Weise so, dass dieses ihm nicht böse oder
unmoralisch, sondern einfach amoralisch erscheint, von dem ethischen
Problem überhaupt nicht berührt.
Dass indes nicht einzig auf dem Dualismus zwischen dem sittlichen
Imperativ und dem natürlich wirklichen Trieb die sittliche
Lebensmöglichkeit basiert, zeigt die Erscheinung, die man die schöne
Seele nennt.
Für sie ist das Charakteristische, dass ihr sittliches Handeln nicht
erst der Überwindung entgegengesetzter Triebfedern bedarf, sondern aus
der Selbstverständlichkeit eines konfliktlosen Triebes quillt. Für die
schöne Seele ist das Leben gleichsam einreihig, sie will von vornherein
nur, was sie soll.
Auf diese prinzipielle Möglichkeit kommt uns hier alles an: dass die
metaphysische Einheit der Natur in uns und der Idee über uns sich als
innere Harmonie unserer Willenshandlungen offenbare.
Der Wege zu dieser Offenbarung sind zwei; man kann sie den
überdualistischen oder männlichen und den vordualistischen oder
weiblichen nennen.
Sie kann einmal durch allmähliche Läuterung und Unibildung einer
Natur erreicht werden, deren Triebe ursprünglich den sittlichen
entgegenwirken, der die Pflicht ein schwer erfüllter Auftrag ist.
Indem nun jede Selbstüberwindung die nächste erleichtert, und der
dauernde und siegreiche Kampf gegen das Unsittliche zu dessen Schwächung
als dauerndem Erfolge führt, wachsen schliesslich die unmittelbaren
Triebe selbst nach dem Sittlichen hin.
Wo diese Umformung sich vollendet hat, ist der ursprüngliche Dualismus
zu der Einheit der schönen Seele geworden.
Die andere Form der schönen Seele aber braucht keinen Dualismus erst
zu überwinden, sondern besitzt die Einheit als apriorisch inneres
Prinzip; nicht nur als der Preis des Kampfes und der überwundenen
Gegensätze, sondern als das von vornherein ungebrochene Leben des Willens
selbst kann seine Einheit die Idee in sich tragen.
Diese beiden Formen entsprechen genau jenen vorhin angedeuteten (->
83) des Instinktes für das theoretisch Richtige: die eine der allmählich
erwachsene Erfolg der Relation geschiedener Elemente, die andere die vor
aller Scheidung gelegene und deshalb keiner Relation bedürftige Einheit
eben dieser.
Hier liegt der ethische Typus, der unter allen, männlicher- wie
weiblicherseits realisierten, am tiefsten mit dem weiblichen Grundwesen
zusammenhängt, sich am unmittelbarsten aus dessen Lebensformel
entwickelt.
Es wird nachher zu erörtern sein, dass jenes immer empfundene, tiefe
In-sich- und Bei-sich-Sein der Frauen, jenes Leben aus einer
einheitlicheren Wurzel heraus als sie dem Manne zukommt, seine letzte
Bedeutung in der Ahnung oder der metaphysischen Wahrheit davon hat: dass dieses einheitlich eigene Sein zugleich mehr ist als das eigene,
dass sie,
in dem Tiefenmass ihres Versenktseins in sich selbst, mit dem Grunde des
Lebens überhaupt eines sind.
Hier nun drückt sich eben dasselbe, was dort nach der Seite des Seins
geht, nach der Seite des Sollens hin aus.
Der spezifisch männliche Dualismus - bezeichnen wir ihn,
unvollständig genug: "zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden"
- wird von der weiblichen Natur, so oft psychologische und historische
Komplikationen sie auch in ihn verstricken, doch ihrem eigensten Wesen
nach durch eine einheitliche innere Führung ersetzt.
Zunächst ist diese subjektive, unter den seelischen Strömungen rein
solche herrschende Einheit unzählige Male öfter und prinzipieller an
Frauen beobachtet und ihnen selbst bewusster als an Männern: ein
Mit-sich-selbst-im-Reinen-Sein, ein in sich selbst nicht durch eigene
Gegeninstanzen gestörtes Handeln, wie ein Gewächs seine Zweige und
Früchte treibt, ein So-sein und So-handeln-Müssen, das sich doch
unbefangener Freiheit bewusst ist, weil alle Wesensströmungen von selbst
in einer Richtung laufen.
Und nun ist das hier Entscheidende: dass diese immanente, innerhalb des
subjektiven Lebens sich vollziehende Einheit sich zugleich als Einheit mit
der sittlichen Idee, mit dem, was von dieser her vom Subjekt gefordert
wird, empfindet.
Was die dualistische Ethik .als Minderwertigkeit der Frauen verkündet:
dass sie naiver handeln und meistens ein besseres Gewissen haben als die
Männer - geht aus dieser Ungeschiedenheit von Sein und Sollen in ihnen
hervor.
Die innere Ungebrochenheit des praktischen Wesens (-> 84) braucht
freilich so wenig immer die sittlich wertvolle Idee zu realisieren, wie
der andre, der dualistisch-männliche Weg, immer zu ihrer Realisierung
führt; sie zeigt sozusagen nur die Form, aber nicht immer den Inhalt der
schönen Seele.
Wo aber eine spezifisch weibliche Art des Ethischen vorliegt (was
angesichts der seelischen Übergänge zwischen dem männlichen und dem
weiblichen Pol keineswegs bei der Sittlichkeit aller weiblichen Individuen
der Fall ist), da quillt sie aus jener Einheit des Seins, die die Einheit
seiner selbst mit der Idee ist.
Vielleicht ist daraufhin über das für die weibliche
Seinsbeschaffenheit Spezifische der Sittlichkeit zu sagen: dass diese für
sie etwas subjektiv sichreres, aber objektiv gefährdeteres ist als für
die Männer. - In eigenartiger Verwachsung offenbart sich die
ethische und die logische Geschlechtsdifferenz gegenüber dem Ideal der
Gerechtigkeit.
Ich habe Frauen gekannt, an deren ethische Höhe wenige Männer
hinanreichen; allein die Gerechtigkeit als spezifische Tugend besassen sie
nicht, wie sie nicht selten an Männern vorkommt, deren sonstige sittliche
Qualitäten hier und da problematisch sind.
Nicht als ob die Frauen immer ungerecht wären, wie man törichter
Weise behauptet hat.
Vielleicht sind sie zu einheitlich, um die Leidenschaft der
Leidenschaftslosigkeit zu haben, die den männlichen Gerechtigkeitssinn
bedingt.
Denn in eben diesem scheint mir von den beiden Momenten der
Gerechtigkeit, dem ethischen und dem logischen, das letztere im
Allgemeinen das psychologische Übergewicht zu haben, während der
beobachtbare weibliche Gerechtigkeitssinn reiner ethisch orientiert ist;
wofür es bezeichnend ist, dass Ungerechtigkeiten ihr Gefühl oft aufs
Heftigste empören - mehr, als dass die Gerechtigkeit sie beglückte.
Mit alledem aber soll hier nur das tiefe, alles Ausser-Sich ablehnende
Eingesenktsein der Frau in das eigne Sein, das ein absolutes Weibsein ist,
dargestellt werden und hiermit wiederum die Selbständigkeit dieses
letzteren gegenüber der blossen Relation zum Manne, aus der es angeblich
sein Wesen empfängt.
Aber dies begründet doch zugleich, wieso das Frauentum, trotz seiner
inneren Absolutheit, dem männlichen Prinzip die übergeschlechtlich
objektive Welt, die theoretische und die normative, (-> 85) die dem Ich
gegenübersteht, zu stiften überlassen muss.
Um allen Verdacht, den Frauen hiermit eine Deklassiertheit zu
insinuieren, abzuwehren, sei betont, dass es prinzipiell durchaus die
gleichen Inhalte von Geist und Leben sein können, die sich in der
männlichen und in der weiblichen Form realisieren und insofern nur unter
einem verschiedenen Apriori ihrer Synthese stehen.
Und nun noch einmal: gerade die fundamentale, ja absolute Einheit von
Sein und Geschlechtlichsein der Frau macht die Sexualität in ihrem
gewöhnlichen männlichen Relationssinne für sie zu etwas Sekundärem -
so ungeheuer wichtig diese Relation für sie werden mag, weil sie das
Phänomen jenes Absoluten ist und dieses sie praktisch vollkommen in sich
hineinnimmt.
Der Erfolg jener Grundtatsache ist, dass alle Äusserungen der Frauen,
alle Erscheinungen und Objektivierungen ihres Wesens nicht als allgemein
menschlich, sondern zugleich als spezifisch weiblich empfunden werden,
gegenüber den als übergeschlechtlich, als rein sachlich charakterisiert
empfundenen Wesensäusserungen des Mannes.
Dem Manne fehlt die vom Innersten her gegebene Richtungslinie auf einbestimmtes
Äusseres, die der Frau durch die Einheit ihres Seins mit ihrem Weibsein
gegeben ist.
Darum liegt in ihm eine ganz tiefe Intention auf das Allgemeine und
ebendamit auf das Übersubjektiv-Sachliche.
Alle historischen Machtverhältnisse, die seinen Schöpfungen die
Prärogative des objektiv Bestimmenden, in sachlicher Absolutheit den
Geschlechtsgegensatz Dominierenden, weil von ihm nicht Berührten, gegeben
haben, vollstrecken damit nur in den Ordnungen der Zeit den inneren
charakterologischen Unterschied, den das Verhältnis des
Geschlechtsmomentes zur Wesenstotalität bei Männern und Frauen aufweist.
Und dies findet weiterhin sozusagen seinen logischen Ausdruck in der
viel grösseren Schwierigkeit, das typisch männliche Wesen, als das
weibliche, begrifflich festzulegen, zu definieren.
Das allgemein Menschliche, von dem die geschlechtliche Spezialität ein
Sonderfall sein soll, ist mit dem männlichen derart solidarisch, dass keine spezifische Differenz gegen dieses an ihm angegeben werden kann: das
schlechthin Allgemeine lässt sich nicht definieren.
Führt man dennoch gewisse Züge als
schlechthin männliche an, so überzeugt ein genaueres Hinsehen, dass damit immer nur
Differenzen gegen spezifisch weibliche Züge gemeint sind.
Diese aber haben ihr Wesen nicht entsprechend in dem blossen Gegensatz
gegen die männlichen, sondern werden mehr als ein für sich Seiendes,
für sich Bestimmtes empfunden, als eine besondere, aber keineswegs nur
durch einen Gegensatz zu fixierende Art des Menschentums.
Die alte Meinung, von der Schicht brutaler und ignoranter
Selbstüberschätzung bis zu der der sublimsten philosophischen
Spekulation reichend: dass nur der Mann der eigentliche Mensch sei, findet
in dieser grösseren Leichtigkeit, das Wesen der Frau als das des Mannes
zu definieren, sein begriffliches Pendant.
Daher es denn auch unzählige Frauenpsychologien, aber kaum eine
Männerpsychologie gibt.
Und noch einmal dokumentiert sich diese tiefst gelegene
Unterschiedlichkeit der Geschlechter in einer psychologischen
Oberflächenerscheinung: was den durchschnittlichen Mann an den Frauen zu
interessieren pflegt, ist ungefähr das gleiche an der Schneiderin und an
der Prinzessin. - Es ist ohne weiteres begreiflich, dass dieses Verhältnis
der Definitionsmöglichkeiten sich umkehrt, sobald es sich, statt um den
Geschlechtstypus, um Individuen handelt: den einzelnen Mann kann man im
grossen und ganzen besser beschreiben als die einzelne Frau.
Das liegt nicht nur daran, dass die ganze sprachliche Begriffsbildung
unserer Kultur, wegen der sozialen Prärogative des Mannes, auf die
männliche Färbung seelischer Vorgänge eingestellt ist.
Das Genus Frau ist zwar wichtig genug, um bestimmende Begriffe zu
fordern; aber auf ihre Individualisierungen hat sich die Sprachschöpfung
nicht eingelassen und die feinen Nuancen, auf die es hier ankäme,
versagen ebenso oft für die psychologische Schilderung der einzelnen
Frauen', wie sie diesen selbst fehlen, um sich den Männern ganz
verständlich zu machen.
Tiefer liegt indes ein anderer Zusammenhang: die individuelle Frau ist
eben deshalb schwerer zu definieren als der individuelle Mann, weil sie
als Genus leichter zu definieren ist.
Wo schon der allgemeine Begriff als etwas Besonderes, differentiell
Bestimmtes empfunden wird, da ist die Individualisiertheit gewissermassen
in das Generelle hineingezogen und hat sich an ihm erschöpft, so dass für die weitere Individualisierung nicht mehr recht Raum und Interesse
übrig bleibt.
Deshalb gehören in diesen Zusammenhang die Phänomene eines tiefsten
Wesenszuges der Frau: dass das Generelle bei ihr viel mehr als beim Mann
in der Form des persönlich Individuellen lebt.
In der typisch vollendeten Frau wird vieles ganz Gattungsmässige,
eigentlich Unpersönliche, zu etwas völlig Persönlichem, so innerlich
erzeugt, als träte es hier zum ersten Male aus dem Einzigkeitspunkt der
Persönlichkeit heraus in die Welt.
Gewiss gibt es nichts Generelleres als erotische Beziehungen, und
während der Mann sie auch unzählige Male so fühlt und behandelt,
scheinen sie für die Frau das spezifisch persönliche Schicksal zu sein,
nicht ein Gattungsereignis, das sich an ihr abspielt, sondern ihre
innerlich eigenste Produktivität.
Nicht anders in ihrem Verhältnis zum Kinde, vor und nach seiner
Geburt, diesem typischsten aller Verhältnisse, das so tief in das
Untermenschliche hinabreicht.
Für die Frau aber ereignet es sich in der Wurzelschicht der Seele, dieses
völlig Unpersönliche, das sie zum blossen Durchgangspunkt in der
Entwicklung der Gattung macht, wächst aus dem Zentrum, in dem alle
Energien ihres Wesens sich zu ihrer Persönlichkeit zusammengefunden
haben.
Die Personalisierungstendenz des Allgemeinen innerhalb des weiblichen
Wesens ergreift auch die Beziehungen zu ihr: gerade wegen ihrer generellen
Eigenschaften werden die Frauen häufig, vielleicht sogar meistens
geschätzt.
Sehr oft liebt der Mann eine Frau wegen ihrer Schönheit, ihrer
Liebenswürdigkeit, kurz wegen einer Eigenschaft, die sie, trotz der
jeweiligen individuellen Nuance, mit anderen teilt und die insofern gar
nichts mit der Persönlichkeit Identisches oder Solidarisches und nur
graduell von dem Besitz von Reichtum unterschieden ist. -
Daher auch die grössere Untreue der Männer, deren viele, mit Plato zu
reden, die ausschliessende Liebe zu einem Individuum für beschränkt und
sklavisch halten und ihre Liebe in das "weite Meer" der
Schönheit überhaupt ergiessen.
Dennoch ist solche allgemeine Qualität mit der weiblichen
Persönlichkeit, auch für ihre eigene Empfindung, relativ eng verbunden,
enger als beim Manne, weshalb denn der "schöne Mann"
irgendwie als unangenehmer Selbstwiderspruch empfunden wird, d. h. dann,
wenn seine (-> 88) Schönheit als ein Allgemeines, seiner
Individualität Unverbundenes wirkt.
Und endlich: die Sitte, die nichts ist als die Lebensform des sozialen
Kreises, das Verhalten, das dieser um seiner Selbsterhaltung willen zum
Gesetz geprägt hat, scheint aus dem eigensten Instinkt ihrer Natur zu
quellen.
Sie "strebt nach Sitte", die die Bewegung des Mannes oft
hindert; dem Wesen der Frau aber liegt sie an wie eine Haut, die Freiheit,
die für den Mann tausendfach ausserhalb der Sitte liegt, findet sie (alle
singulären Ausnahmen dieses Typischen und Historischen zugegeben) in ihr;
denn Freiheit heisst doch wohl, dass das Gesetz unseres Tuns der Ausdruck
unserer eigenen Natur ist.
In eben diesem Sinne spitzt sich das Streben nach Sitte zu der
unbedingten Wertung der Sexualehre zu, die etwas viel Allgemeineres, von
den besonderen sozialen Positionen Unabhängigeres ist, als alle anderen
Ehren.
Dass sie nun aber zugleich als das Allerpersönlichste empfunden wird,
zeigt sich äusserlich daran, dass die Person des Verletzenden bei ihrer
Verletzung irrelevanter ist, als bei denen sonstiger Ehren.
Bei Beleidigungen muss man, um ihre Bedeutung abzuschätzen, fragen: wer
hat dich beleidigt? Der Verlust der weiblichen Ehre aber ist sozusagen
etwas Solipsistisches, in Bezug auf seine Wertbedeutung gar nicht von
einer Korrelation abhängig.
Die Tatsache dieser Verletztheit überhaupt trifft die Frau so
persönlich, dass es nun schon ziemlich gleichgültig ist, von wem sie
ausgegangen ist. Und dies zeigt wiederum den umfassenden Widerspruch
zwischen dem metaphysischen und dem empirischen Aspekt des weiblichen
Fatums: die innere Unabhängigkeit der weiblichen Werte vom männlichen
Prinzip und die gleichzeitige äussere Abhängigkeit von ihm.
Aus solchen Inkarnationen des Allgemeinen im Persönlichen ist ohne
weiteres begreiflich, dass dieses Wesen zwar in seiner Typik bestimmt
werden kann, dass dagegen sein Persönliches sich als solches leicht der
Definition entzieht.
Wo dagegen das Generelle eines 'Wesens so schlechthin generell ist wie
beim Manne, - so dass seine männliche Besonderheit als solche zum
historischen Synonym der menschlichen Allgemeinheit wird, - da ist die
Bestimmung seiner als einer Individualität eher und schärfer zu treffen,
es ist mehr Platz für sie vorhanden.
So ist es leichter, die Frau zu definieren (-> 89) als den Mann;
aber schwerer, eine Frau zu definieren als einen Mann.
Und auch dies hat sich als ein Ausdruck der grundlegenden Konfiguration
enthüllt, die diesen Fall in einen unendlich viel weiter ausgreifenden
Typus der menschlichen Geistigkeit und Metaphysik überhaupt einstellt: dass
aus der Relativität oder gegenseitigen Bestimmtheit, in der das
männliche und das weibliche Wesen sich darbietet, das erstere in die
Kategorie des Absoluten aufrückt und so seinerseits die ganze
Relativität beherrscht, von der es selbst ein Glied ist. - Ich habe oben
darauf hingedeutet, dass solche Verabsolutierung der einen Seite einer
Korrelation über deren zweiseitige Ganzheit in der Regel nicht auf diese
Seite beschränkt bleibt, sondern dass verschiedene Parteiungen bald die
eine, bald die andere mit dem Akzent des Absoluten auszustatten
pflegen.
Die eigentümliche Stellung des Geistes zu den Weltinhalten
charakterisiert sich damit, dass jedes Absolute irgendwie als ein
Relatives, d. h. aus der Beziehung zu einem anderen, sein Wesen
Bestimmendes, begriffen werden, jedes Relative aber sich über seine
Relation hinweg in ein Fürsichsein und Absolutes erheben kann.
So nimmt, nach allem bisherigen, das männliche Prinzip, nun aber auch das
weibliche seine Stellung jenseits der Relativität, die auf den ersten
Blick beiden ihren Sinn gibt - nimmt sie nicht nur wie in der früheren
Skizzierung unter Gleichgültigkeit gegen die Existenz des männlichen und
seiner Relation zu dieser, sondern in einem positiven Jenseits des
menschlichen Differenziertheitskomplexes, der Männliches und Weibliches umfasst.
Wenn der Mann insoweit über der geschlechtlichen Gegensätzlichkeit
steht, als die objektiven Normen selbst männlich sind (was der
Erscheinung nach oft nur eine historische Vergewaltigung, in seiner Tiefe
aber in der Struktur des männlichen Geistes präformiert ist), so steht
die Frau jenseits ihrer, weil sie ihrem Sein nach unmittelbar an und von
der Quelle lebt, aus der beide Seiten des Gegensatzes fliessen.
Wie der Mann aus jenem Zusammenhang heraus mehr ist als männlich, so
ist die Frau mehr als weiblich, weil sie die allgemeine, die Geschlechter
substantiell oder genetisch zusammenfassende Grundlage darstellt, weil,
sie die Mutter ist.
Wie das Absolute dort sich als übergeschlechtlich (-> 90) Objektives erhebt, das männlich ist, so hier als übergeschlechtlich
Fundamentales, das weiblich ist.
Wie das Tun und Werden dort den Dualismus verzeichnet, in dessen Form der
Mensch über sich selbst hinausgeht und der spezifisch männlich ist, so
das Sein hier die Einheit, in deren Form der Mensch gewissermassen unter
sich selbst hinuntergeht in die ungeschiedene Möglichkeit aller
Entwicklungen.
Gewiss ist dieses Sein kein farbloses, sondern ein weibliches.
Aber seine letzte Tiefe enthebt sich jeder Relation, die es durch den
Gegensatz zur Männlichkeit bestimmen könnte, und lässt das Weibliche,
dessen erstes und unmittelbares Phänomen die Mutterschaft ist, als ein
Absolutes empfinden, von dem das Männliche und das Weibliche im
Relationssinne erst getragen ist.
Und nun macht sich eine metaphysische Voraussetzung, die, fern von jeder
Beweisbarkeit, sich als Ahnung, Gefühl, Spekulation durch die ganze
Geistesgeschichte zieht, hier geltend: dass der Mensch, je tiefer er sich
in das eigene Sein versenkt, je reiner er dies in sich zu Worte kommen lässt, um so näher dem Dasein überhaupt, der Welteinheit überhaupt
steht, um so vollkommener diese. in sich zum Ausdruck bringt.
Nicht nur die Mystik aller Zeiten lebt von dieser Überzeugung, sondern
in den so viel klareren und untereinander so entgegengesetzten Weltbildern
Kants und Schleiermachers, Goethes und Schopenhauers wirkt sie, offener
und verschwiegener, in den mannigfaltigsten Abwandlungen.
Das eigenartig mystische Gefühl, durch das jederzeit eine typische
Attitüde den Frauen gegenüber charakterisiert ist, findet vielleicht
eben hierin einen ausdrückbaren Grund: in dem dunkeln Bewusstsein, dass diese Wesen fester, vollständiger, einheitlicher in ihrem Sein stehen als
der Mann, dass alle Unruhe des Werdens und des Tuns und des Gegenübers
der Dinge ebenso wie des Lebens, .den substantiellen Grund ihres Seins
weniger berührt, weniger in sich einzieht, dass sie in der letzten
Instanz ihres eigenen Wesens unerschütterlicher und tiefer eingesenkt
ruhen - und dass ihnen eben durch dies und in eben diesem Masse der Grund
des Daseins überhaupt, die verborgene, unkennbare Einheit des Lebens und
der Welt der eigene Wurzelgrund ist.
Dass die Frau ihrem echtesten Wesen nach - soweit es also nicht durch
historische Vergewaltigungen (-> 91) und Verschiebungen, durch
Einflüsse, die ihr aus der Relation der Geschlechter kommen,
abgelenkt ist - mehr als der Mann aus ihrem eigenen Grunde heraus lebt,
wäre bedeutungslos, wenn dieser Grund nicht zugleich irgendwie der Grund
der Dinge wäre.
Die Verbindung zwischen beiden liegt in der Mütterlichkeit; aber mit
dieser wird doch nur in der Form, der Zeit und des an Materie gebundenen
Lebens auseinandergelegt, was eine letzte metaphysische Einheit ist.
Und nur gleichsam einen anderen Umriss erhält derselbe Inhalt, wenn
statt des metaphysischen Begriffes des Seins der mehr psychologische oder,
wenn man will, formale des Geschlossenseins der Existenz eingeführt
wird.
Der Mann empfindet wohl im allgemeinen aus der Dualistik seines Wesens
heraus die Frau, so oft er selbst, die Kultur und das Schicksal sie auch
in eine ebensolche hineinreissen mag, als das geschlossenere Wesen; das
heisst als ein solches, dessen einzelne Wesensteile nicht gegeneinander
Partei bilden, sondern in denen die unter allem einzelnen bestehende,
nicht weiter benennbare Seinseinheit sich als unmittelbar enger
assoziativer Zusammenhang äussert.
Und nun ist das Merkwürdige, dass gerade die Geschlossenheit eines
Daseins in sich eine stärkste, symbolische oder metaphysische Anweisung
auf die Welttotalität ausserhalb seiner oder deren Element es selbst ist,
enthält.
Ähnlich wie das Kunstwerk in der undurchbrechlichen Begrenztheit durch
seinen Rahmen sich von der vielfältigen Zerstreutheit der Dinge scheidet
- und ebenso gerade dadurch zu einem Symbol des Daseins überhaupt wird -,
so stellt die Frau eine Einheit dem Manne gegenüber dar, der in die
Vielheit des zersplitterten Lebens verflochten ist. Es ist nicht nur die
Äusserlichkeit der Sitte, die ihr die heftig ausholenden Bewegungen, die
aggressiven Worte, das rücksichtslose Aussichheraustreten von jeher
verbietet.
Vielmehr, dass dieses Vermeiden aller zentrifugalen, weit ausladenden
Äusserungen, diese Zusammengehaltenheit des ganzen Seins, die Form ihrer
Sitte wurde, dies ist der historische Ausdruck für jene
Wesensgeschlossenheit, die alle psychologischen Einzelzustände als ihr
Tieferes und Allgemeineres fundiert.
Dieses einheitliche In-sich-Fertigsein - was natürlich ein ideal
verabsolutierender Ausdruck ist - macht die Frauen zu geschichtsloseren (->
92) Wesen, als die Männer es sind.
Denn Geschichte, die immer Geschichte eines Werdens, Sich-Wandelns,
Sich-Entwickelns ist, entsteht nur, wo ein Wesenskomplex eine Mehrheit
relativ selbständiger Elemente enthält, die sich abstossen oder sich
ausgleichen, sich überholen oder einer höheren Synthese zustreben.
Die innere Differenziertheit des Mannes ist der letzte Grund, weshalb
er Geschichte haben und Geschichte machen kann.
Das fundamental einheitlichere Wesen der Frau ist notwendig das
unhistorischere; das Entwicklungsprinzip, aus der Reibung differenzierter
Wesensteile untereinander folgend, hat nicht in gleichem Masse Macht über
sie; was sich nicht nur in dem früheren "Reifsein" des
Mädchens gegenüber dem Knaben ausdrückt, sondern auch in der -
scheinbar bloss äusserlichen - Tatsache, dass die Funktionen der Frau
auch in hoch entwickelter Kultur sich von denen auf primitiven Stufen
lange nicht so weit unterscheiden, wie entsprechend die männlichen.
Einer der tiefsten Shakespearekenner bemerkt: Shakespeares Männer
haben eine Geschichte, moralisches Wachstum oder moralischen Verfall;
seine Frauen handeln und leiden, aber es ist selten, dass sie wachsen und
sich entwickeln (seldom are transformed).
Und nun gibt diese Daseinsform dem weiblichen Wesen die dunkel
empfundene, die wunderlichsten Reaktionen veranlassende Beziehung zu dem
Ganzen des Seins.
Wie das Kunstwerk, obgleich ein Teil der Welttotalität, doch durch
seine Geschlossenheit wie ein Gegenstück zu ihr ist und damit auf ein
nicht aussprechbares Metaphysisches hinweist, das diese Gleichheit der
Form trägt, so wird es auch diese Geschlossenheitsform des weiblichen
Wesens sein, die von jeher einen Hauch von kosmischer Symbolik über die
Frau gelegt hat - als hätte sie über alle greifbaren Einzelheiten hinweg
eine Beziehung zu dem Grund und dem Ganzen der Dinge überhaupt.
Neben aller Verachtung und Misshandlung der Frauen bricht doch durch
die ganze Kulturreihe, von den Primitiven an, das Gefühl hervor, dass sie
noch etwas Anderes wären als bloss Frauen, das heisst als blosse
Korrelativwesen zu den Männern; indem sie dies freilich sind, hätten sie
doch eo ipso Beziehungen zu den geheimen Mächten, als Sibyllen und Hexen,
als Wesen, durch die hin ein Segen oder ein (-> 93) Fluch aus dem sonst
unberührbaren Schoss der Dinge käme, und die man mystisch zu verehren,
vorsichtig zu vermeiden oder wie Dämonen zu verfluchen hätte.
All diese Brutalitäten oder poetischen Verklärungen haben nicht
irgendeine einzelne Eigenschaft oder ein einzelnes Tun zu ihrem letzten
Grund; obgleich sie zweifellos sämtlich auf ein tiefstes einheitliches
Motiv zurückgehen, will es nicht gelingen, ein derartiges, singulär
benennbares historisch aufzufinden.
Es scheint vielmehr darin zu liegen, dass man ein Wesen, das so tief in
seinem undifferenzierten Sein ruht, so wenig aus sich heraus tritt - eben
in einer besonderen Nähe, in einer Art Identitätsverhältnis zu dem Sein
überhaupt empfand, mag man dies nun als den Urgrund der Natur oder als
das übernatürlich Magische oder als das Metaphysische im reinen Sinne
bezeichnen.
Die besondere Art der Absolutheit der Frau versenkt sie in die Einheit
des Seins, während die Absolutheit des Mannes ihn vom Sein wegreisst zur
Idee.
Nach unseren bestehenden Denkgewohnheiten - wie asymptotisch oder
symbolisch sie sich zur Wirklichkeit verhalten mögen - müssen wir das
Vielspältige, Bewegte, Einseitige, von einer gleichsam ruhenden Einheit
fundamentieren lassen, einer Einheit, die im männlichen Wesen von jenen
dualistischen und differentiellen Lebensformen und Äusserungen sozusagen
aufgesogen ist, in weiblichen aber als dessen fühlbare Substanz weiter
besteht - und als wiederholte die Frau mit jeder Mutterschaft den Prozess,
der aus dem dunkeln ungeschiedenen Grunde die Einseitigkeit und Bewegtheit
des individuellen Gebildes abspaltete und heraushob.
So, kann man sagen: je mehr und tiefer eine Frau in diesem, dem
absoluten Sinne Frau ist, desto weniger ist sie in dem relativen, dem auf
den Mann differentiell bezüglichen Sinne Frau.
Und dasselbe, nur als Paradoxe ausdrückbare Verhältnis gilt für den
Mann; wenn es sein spezifisch Männliches ist, über dem gleichsam
einreihigen subjektiven Leben an der Welt des Objektiven und Normativen zu
bauen, von der aus gesehen die ganze männlich-weibliche Geschiedenheit
etwas prinzipiell Zufälliges ist, so ist er gerade um so weniger Mann (im
Sinne dieser sexuellen Relativität) je mehr er Mann im Sinne jener auf
das Absolute gehenden, durchaus männlich eigenartigen Leistung ist.
In der (-> 94) tiefsten Besonderheit jedes Geschlechtes lebt je eine
der Bedeutungen des "Allgemeinen": das Allgemeine als
Abstraktes, das hinter den Einzelheiten liegt - und das Allgemeine als
substantiell Einheitliches, das vor den Einzelheiten liegt.
Ich bin durchaus nicht geneigt, die Fülle des Lebens in eine
symmetrische Systematik einzusperren.
Will man aber für das hier erstrebte Bild der lebendigen Wirklichkeit
zunächst einmal die anatomische Struktur gewinnen (denn Skelette zeigen
eben jene schematische Symmetrie und erst die physiologischen Prozesse
heben diese in das Spiel des unendlich komplizierten, in keine einfache
Gleichstellung mehr zu fassenden Lebens) - so scheint die Relation der
Geschlechter, durch die sie sich gegenseitig ihre Eigenart gewähren, von
diesem doppelten Absoluten umgeben: auf der einen Seite steht das
Männliche als Absolutes, das mehr als Männliches ist, das die
Objektivität, die um den Preis des Dualismus gewonnene normative Höhe
über aller Subjektivität und aller Gegensätzlichkeit bedeutet - auf der
andern das Weibliche als Absolutes, das die Einheit des menschlichen
Wesens, gleichsam noch vor der Trennung in Subjekt und Objekt, in
substantieller, ruhender Geschlossenheit trägt.
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