Georg Simmel:
Philosophie
des Geldes
Duncker & Humblot
Verlag, Berlin 1900 (1. Auflage)
5. Kapitel: Das Geldäquivalent personaler
Werte - Teil II
(438-455)
Die Umwandlung von Rechten
spezifischen Inhalts in Geldforderungen
Die Erzwingbarkeit
Die Umsetzung von Sachwerten in
Geldwert: der negative Sinn der Freiheit und die Entwurzelung der
Persönlichkeit
Die Wertdifferenz zwischen
persönlicher Leistung und Geldäquivalent
In dem Kapitel über individuelle Freiheit haben wir festgestellt, wie
sehr die Umwandlung von naturalen Verpflichtungen in Geldleistungen dem
Vorteil beider Parteien dienen kann, welche Steigerung seiner Freiheit und
Würde insbesondere der Verpflichtete daraus zieht.
Diese Bedeutung des Geldes für die personalen Werte muß nun aber
durch eine Entwicklungsreihe von entgegengesetzter Richtung ergänzt
werden.
Der günstige Erfolg jener Umwandlung hängt daran, daß der
Verpflichtete bisher eine persönliche Kraft und individuelle Bestimmtheit
in das Verhältnis eingesetzt hat, ohne ein entsprechendes Äquivalent zu
erhalten.
Was ihm die andere Partei bot, war rein sachlicher Natur; die Rechte,
die er aus dem Verhältnis zog, waren relativ unpersönliche, die
Pflichten, die es ihm auferlegte, ganz persönliche.
Indem nun die Form der Geldleistung seine Pflichten entpersonalisierte,
glich sich diese Unverhältnismäßigkeit aus.
Ein ganz anderer Erfolg aber wird eintreten, wenn der Verpflichtete
nicht mit einer sachlichen Gegenleistung glatt abgefunden wird, sondern
wenn ihm aus dem Verhältnis ein Recht, ein Einfluß, eine personale
Bedeutsamkeit zuwächst, und zwar gerade, weil er diese bestimmte
personale Leistung in dasselbe hineingibt.
Dann muß die durch die Geldform zu bewirkende Objektivierung der
Beziehung ebenso ungünstig wirken, wie vorher günstig.
Die Herabdrückung der Bundesgenossen Athens in eine direkte, größere
oder geringere Abhängigkeit begann damit, daß ihr Tribut an Schiffen und
Kriegsmannschaften in bloße Geldabgaben verwandelt wurde.
Diese scheinbare Befreiung von ihrer mehr personalen Verpflichtung
enthielt eben den Verzicht auf eigene politische Betätigung, auf die
Bedeutung, die man nur auf den Einsatz einer spezifischen Leistung, auf
die Entfaltung realer Kräfte hin beanspruchen darf.
In jener Pflicht waren doch unmittelbare Rechte enthalten: die von
ihnen selbst gelieferte Kriegsmacht konnte nicht so gegen ihre eigenen
Interessen verwandt werden, wie es mit dem von ihnen gelieferten Geld
möglich war.
Die Naturallieferung besteht, kantisch zu reden, aus der Pflicht als
ihrer Form (>439) und dem speziellen Inhalt und Gegenstand als ihrer
Materie.
Diese Materie kann nun für sich gewisse Nebenwirkungen haben; sie kann
z.B. als Arbeit der fronpflichtigen Bauern die Persönlichkeit und
Bewegungsfreiheit derselben arg beschränken, sie kann aber auch als
naturaler Beitrag zu den kriegerischen Unternehmungen einer Vormacht diese
zu einer gewissen Rücksicht auf die Beitragenden zwingen.
Während die Pflicht als solche in beiden Fällen die gleiche ist, wird
die Materie, deren Form sie bildet, sie in dem einen Fall für den
Verpflichteten schwer, in dem anderen relativ günstig gestalten.
Wenn nun Geldzahlung an die Stelle dieser naturalen Leistungen tritt,
wird das materielle Moment eigentlich ausgeschaltet, es verliert jede
folgenreiche Qualität, so daß sozusagen nur die reine ökonomische
Pflicht in der abstraktesten Verwirklichung, die sie überhaupt finden
kann, zurückbleibt.
Diese Reduktion ihrer wird deshalb in dem ersten der obigen Fälle das
Fortfallen einer Erschwerung, in dem zweiten das einer Erleichterung
bedeuten, und der Leistende wird also in diesem ebenso herabgedrückt
werden, wie er in jenem erhoben wurde.
Wir finden deshalb die Umwandlung der personalen Dienstpflicht in eine
Geldzahlung öfters als eine bewußte Politik, durch die die Machtstellung
der Verpflichteten heruntergesetzt werden soll, z.B. bei Heinrich II. von
England, der es einführte, daß die Ritter, anstatt ihm in die
kontinentalen Kriege zu folgen, ihre Dienste mit Geld ablösen konnten.
Viele mögen darauf eingetreten sein, weil es im Augenblick als eine
Erleichterung und Befreiung des einzelnen erschien.
Tatsächlich indes bewirkte es eine Entwaffnung der Feudalpartei, die der
König am meisten zu fürchten hatte, und zwar gerade wegen derjenigen
kriegerischen Qualitäten, auf die er selbst bis dahin angewiesen war.
Da bei der Mannschaftsgestellung seitens der Bezirke und Städte kein
derartiges individuelles Element mitwirkte, so hatte für sie sich uns
oben das Umgekehrte ergeben: der Gewinn von Freiheit durch die
Geldablösung jener Verpflichtung.
Was uns all diese Erscheinungen hier so wichtig macht, ist, daß man
aus ihnen den Zusammenhang ganz fundamentaler Lebensgefühle mit ganz
äußerlichen Tatsachen ablesen kann.
Darum ist auch hier die Erkenntnis wesentlich, daß die Bestimmungen, die
das Geld jene Zusammenhänge vermitteln lassen, an ihm zwar am reinsten
und prägnantesten, aber doch nicht an ihm allein hervortreten.
Die historischen Konstellationen, die innerlich von diesem Sinne
getragen werden, lassen sich in eine aufsteigende Reihe ordnen, in der
jedes Glied, je nach den sonstigen Verhältnissen der Elemente, ebenso
deren Freiheit wie deren Unterdrückung Raum gibt. Von der rein personalen
Beziehung liegt das auf der Hand: (>440) diese stellt sich sowohl als
die Härte der persönlichen Unterworfenheit unter eine Person wie als die
Würde freier Vereinigung dar.
Beides ändert sich, sobald das Richtung gebende Element
un-persönlichen Charakter trägt - sei es, daß diese Unpersönlichkeit
die dingliche eines äußeren Objekts, sei es, daß sie die einer Mehrheit
von Personen sei, in der die Subjektivität der einzelnen verschwindet.
Das vorige Kapitel hat uns gezeigt, wie der Übergang hier als
Befreiung wirkt, wie oft der Mensch die Unterworfenheit unter eine
unpersönliche Kollektivität oder eine rein sachliche Organisation der
unter eine Persönlichkeit vorzieht.
Hier will ich nur erwähnen, daß sowohl Sklaven wie Fronbauern es
relativ leicht zu haben pflegten, wenn sie dem Staate zugehörten, daß
die Angestellten in den modernen Magazinen von ganz unpersönlicher
Betriebsart in der Regel besser situiert sind, als in den kleinen
Geschäften, wo der Besitzer sie persönlich ausbeutet.
Umgekehrt, wo von der einen Seite sehr personale Werte eingesetzt
werden, wird die Umbildung der anderen in unpersönliche Formen als
Unwürdigkeit und Unfreiheit empfunden.
Die aristokratische freie Hingebung bis zu den äußersten Opfern hat
oft genug einem Gefühl von Demütigung und Deklassierung Platz gemacht,
sobald ihr zwar geringere Opfer, aber als objektiv gesetzliche Pflicht
zugemutet wurden.
Noch im 16. Jahrhundert erfuhren die Fürsten in Frankreich,
Deutschland, Schottland und den Niederlanden oft erheblichen Widerstand,
wenn sie durch gelehrte Substitute oder Verwaltungskörper regieren
ließen.
Der Befehl wurde als etwas Persönliches empfunden, dem man auch nur
aus persönlicher Hingebung Gehorsam Ieisten wollte, während es einem
unindividuellen Kollegium gegenüber nur Unterwerfung schlechthin gab.
Das äußerste Glied dieser Reihe bilden die auf das Geld, als das
sachlichste aller praktischen Gebilde, gestellten Verhältnisse: je nach
dem Ausgangspunkt und Inhalt hat sich uns die Geldleistung als der Träger
der völligen Freiheit wie der völligen Unterdrückung gezeigt.
Deshalb finden wir sie auch gelegentlich mit großer Entschiedenheit
versagt.
Als Peter IV. von Arragonien einmal die arragonesischen Stände um eine
Geldgewährung anging, erwiderten sie ihm, das wäre doch bisher nicht
üblich gewesen; seine christlichen Untertanen seien bereit, ihm mit ihrer
Person zu dienen, aber Geld zu geben sei nur Sache der Juden und Mauren.
Auch im angelsächsischen England hatte der König kein Recht direkter
Besteuerung, es herrschte vielmehr das alte germanische Prinzip, daß das
Gemeinwesen auf der persönlichen Leistung in Heer und Gericht ruhte.
Als der König das Dänengeld erhebt, angeblich als Schutzgeld zur
Abwehr neuer Einfälle, bezeichnet dies den Verfall des (>441) Staates.
Soweit es in ihrer Macht steht, lassen sich deshalb die Verpflichteten
die Umwandlung des personalen Dienstes in Geldausgaben nur dann gefallen,
wenn die Beibehaltung jenes für sie nicht die Bedeutung einer Teilnahme
an der Machtsphäre der Berechtigten hat; so daß die verschiedenen Kreise
derselben Gruppe sich nach diesem Gesichtspunkte manchmal scharf scheiden.
Die Territorialherren im mittelalterlichen Deutschland, die zur
Aushebung von Gemeinfreien und Hörigen zum Kriegsdienst berechtigt waren,
erhoben später vielfach eine Steuer an Stelle dessen.
Die Grundherren aber blieben von dieser frei, weil sie den Roßdienst
selbst leisteten, also »mit ihrem Blute dienten«.
Woher denn die alte Rechtsregel entsprang: »der Bauer verdient sein
Gut mit dem Sack, der Ritter mit dem Pferd«.
Wenn der moderne Staat wieder den persönlichen Kriegsdienst der
Untertanen eingeführt hat, statt daß der Fürst nur Steuern erhebt und
dafür ein Söldnerheer mietet, so ist dieser Ersatz der Geldablösung
durch unmittelbaren Dienst der adäquate Ausdruck für die wieder
gewachsene politische Bedeutung des einzelnen Bürgers.
Wenn man deshalb gesagt hat, daß das allgemeine Stimm-recht das
Korrrelat der allgemeinen Dienstpflicht sei, so ist dies schon aus dem
Verhältnis der Geldleistung zur personalen Leistung be-gründbar.
Daß despotische Tendenzen so zur Reduktion aller Verpflichtungen auf
Geldleistungen streben, läßt sich aus sehr prinzipiellen Zusammenhängen
herleiten.
Der Begriff des Zwanges wird meistens in ganz ungenauer und schlaffer
Weise angewendet.
Man pflegt zu sagen, daß jemand »gezwungen« sei, den zu seinem
Handeln die Androhung oder Befürchtung einer sehr schmerzlichen
Konsequenz für den Unterlassensfall, einer Strafe, eines Verlustes usw.
bestimme.
Tatsächlich liegt in allen solchen Fällen ein wirklicher Zwang
niemals vor; denn wenn jemand gewillt ist, jene Konsequenzen auf sich zu
nehmen, so steht ihm das Unterlassen der Handlung, die damit erzwungen
werden soll, völlig frei.
Wirklicher Zwang ist ausschließlich der, der unmittelbar durch
physische Gewalt oder durch Suggestion ausgeübt wird.
Z.B. meine Unterschrift zu geben, kann ich nur so wirklich gezwungen
werden, daß jemand mit überlegener Kraft meine Hand ergreift, und die
Schriftzüge mit ihr ausführt, oder etwa so, daß er es mir in der
Hypnose suggeriert; aber keine Todesdrohung kann mich dazu zwingen.
Es ist deshalb ganz ungenau, wenn man vom Staate sagt, er erzwinge die
Befolgung seiner Gesetze.
Er kann tatsächlich niemanden dazu zwingen, seiner Militärpflicht zu
ge-nügen oder das Leben und Eigentum andrer zu achten oder ein Zeugnis
abzulegen, sobald der Betreffende nur bereit ist, es auf (442) die Strafen
für die Gesetzesverletzung ankommen zu lassen; was der Staat in diesem
Falle erzwingen kann, ist nur, daß der Sünder diese Strafen erdulde.
Nur in Hinsicht auf eine einzige Gesetzeskategorie ist der Zwang zur
positiven Erfüllung möglich: auf die Steuerpflicht.
Die Erfüllung derselben (wie die der geldwerten privatrechtlichen
Verpflichtungen) kann allerdings im strengsten Sinne des Wortes erzwungen
werden, indem dem Pflichtigen der betreffende Wert mit Gewalt abgenommen
wird.
Und zwar erstreckt sich dieser Zwang wirklich nur auf Geldleistung,
nicht einmal auf ökonomische Leistungen irgendeiner anderen Art.
Wenn jemand zu einer bestimmten Naturallieferung verpflichtet ist, so
kann er gerade dies Bestimmte, wenn er es eben unter keinen Umständen
produzieren will, zu liefern niemals wirklich gezwungen werden; wohl aber
kann irgend etwas anderes, was er besitzt, ihm weggenommen und zu Gelde
gemacht werden.
Denn jedes solche Objekt hat Geldwert und kann in dieser, wenn auch
vielleicht in keiner einzigen anderen Beziehung für jenes eintreten.
Die despotische Verfassung, die die Unbedingtheit des Zwanges den
Untertanen gegenüber erstrebt, wird deshalb am zweckmäßigsten von ihnen
gleich von vornherein nur Geldleistungen verlangen.
Der Geldforderung gegenüber gibt es überhaupt denjenigen Widerstand
nicht, den die Unmöglichkeit, anderweitige Leistungen absolut zu
erzwingen, gelegentlich des Anspruchs auf solche erzeugen mag.
Es ist deshalb von innerlicher und äußerlicher Nützlichkeit, ein
Quantum von Forderungen, denen gegenüber jegliche Art von Widerstand zu
befürchten ist, auf bloßes Geld zu reduzieren.
Vielleicht ist dies einer der tiefgelegenen Gründe, weshalb wir im
allgemeinen das despotische Regime oft mit einer Begünstigung der
Geldwirtschaft verbunden sehen (die italienischen Despotien z.B. hatten
die durchgängige Tendenz, die Domänen zu veräußern), und weshalb das
Merkantilsystem mit seiner gesteigerten Wertung des Geldes in der Zeit der
unumschränktesten Fürstenmacht ins Leben gerufen wurde.
So ist von allen Forderungen die auf Geld gerichtete diejenige, deren
Erfüllung am wenigsten in den guten Willen des Verpflichteten gestellt
ist.
Ihr gegenüber erlahmt die Freiheit, die allen anderen gegenüber
besteht und deren Beweis und Bewährung nur davon abhängt, was man dafür
auf sich zu nehmen willens ist.
Auch widerspricht dem durchaus nicht die anderweitig so sehr
hervorzuhebende Tatsache, daß die Umwandlung der Naturalleistung in
Geldleistung eine Befreiung des Individuums zu bedeuten pflegt.
Denn der kluge Despotismus wird immer diejenige Form für seine
Forderung wählen, welche dem Untertanen möglichste Freiheit in seinen
rein individuellen Beziehungen läßt. (>443)
Die furchtbaren Tyrannien der italienischen Renaissance sind doch zugleich
die Pflanzstätten der vollkommensten und freiesten Ausbildung des
Individuums in seinen idealen und Privatinteressen geworden, und zu allen
Zeiten - vom römischen Kaisertum bis zu Napoleon III. - hat der
politische Despotismus in einem aus-schweifenden privaten Libertinismus
seine Ergänzung gefunden.
Der Despotismus wird um seines eigenen Vorteils willen seine
Forderungen auf dasjenige beschränken, was ihm wesentlich ist, und Maß
und Art desselben dadurch erträglich machen, daß er in allem übrigen
möglichst große Freiheit gibt.
Die Forderung der Geldleistung vereinigt beide Gesichtspunkte in der
denkbar zweckmäßigsten Weise: die Freiheit, die sie nach der rein
privaten Seite hin gestattet, verhindert absolut nicht die Entrechtung
nach der politischen, die sie so oft vollbracht hat.
Neben diesem Typus von Fällen, in denen der Geldablösung gerade eine
Herabdrückung des Verpflichteten entspricht, steht eine zweite Ergänzung
der im vorigen Kapitel gewonnenen Resultate.
Wir haben gesehen, welchen Fortschritt es für den Fronbauern
bedeutete, wenn er seine Dienste durch Geldzinsung ablösen konnte.
Der ent-gegengesetzte Erfolg tritt nun für ihn ein, sobald die
Umsetzung des Verhältnisses in Geldform von der anderen Seite her
geschieht, d.h. sobald der Grundherr ihm das Stück Land abkauft, das er
bisher zu besseren oder schlechteren Rechten besessen hat.
Die Verbote, die im 18. Jahrhundert und bis tief in das 19. hinein auf
dem Gebiet des alten Deutschen Reiches gegen das Auskaufen des Bauern
ergehen, haben zwar wesentlich fiskalische und ganz allgemein
agrarpolitische Gründe; allein gelegentlich scheint doch das Gefühl
mitgewirkt zu haben, daß dem Bauern ein Unrecht damit geschieht, wenn man
ihm sein Land selbst gegen volle Entschädigung in Geld abnimmt.
Man mag freilich die Umsetzung eines Besitzstückes in Geld zunächst
als eine Befreiung empfinden.
Mit Hilfe des Geldes können wir den Wert des Objektes in jede
beliebige Form gießen, während er vorher in diese eine gebannt war; mit
dem Gelde in der Tasche sind wir frei, während uns vorher der Gegenstand
von den Bedingungen seiner Konservierung und Fruktifizierung abhängig
machte.
Die Verpflichtung gegen die Sache scheint sich so von der gegen eine
Person gar nicht prinzipiell zu unterscheiden, denn nicht weniger streng
bestimmt jene als diese unser Tun und Lassen, wenn wir die empfindlichsten
Folgen vermeiden wollen: erst die Reduktion des ganzes Verhältnisses auf
Geld - mögen wir es nun in einem Fall nehmen, im anderen geben - löst
uns aus den Determinierungen, die uns von einem Außer-Uns gekommen sind.
So geben die häufigen (>444) Zugeldesetzungen des Bauern im 18.
Jahrhundert ihm allerdings eine momentane Freiheit.
Allein sie nehmen ihm das Unbezahlbare, das der Freiheit erst ihren
Wert gibt: das zuverlässige Objekt persönlicher Betätigung.
In dem Lande steckte für den Bauern noch etwas ganz anderes als der
bloße Vermögenswert: es war für ihn die Möglichkeit nützlichen
Wirkens, ein Zentrum der Interessen, ein Richtung gebender Lebensinhalt,
den er verlor, sobald er statt des Bodens nur seinen Wert in Geld besaß.
Gerade die Reduktion seines Landbesitzes auf dessen bloßen Geldwert
stößt ihn auf den Weg des Proletariertums.
Eine andere Stufe der Agrarverhältnisse zeigt die gleiche
Entwicklungsform.
Auf Bauerngütern z.B. in Oldenburg herrscht vielfach noch das
Heuermannsverhältnis; der Heuermann ist verpflichtet, dein Bauern eine
bestimmte Anzahl von Tagen im Jahre Arbeit zu leisten, und zwar für einen
geringeren Lohn als den der freien Tagelöhner; dafür erhält er vom
Bauern Wohnung, Landpacht, Fuhren usw. zu einem billigeren Preise als dem
ortsüblichen.
Es ist also, wenigstens partiell, ein Austausch von Naturalwerten.
Von diesem Verhältnis nun wird berichtet, es charakterisiere sich durch
die soziale Gleichstellung zwischen dem Bauern und dem Heuerling: dieser
habe nicht das Gefühl, ein durch seine weniger vermögende Lage zur
Lohnarbeit gezwungener Mann zu sein; zu-gleich aber, daß die vordringende
Geldwirtschaft dieses Verhältnis zerstöre, und daß die Umwandlung des
naturalen Tausches der Dienste in eine glatte Bezahlung dieser den
Heuermann deklassiere - wenngleich er auf diese Weise doch eine gewisse
Freiheit des Schaltens mit seinem Arbeitsertrag gegenüber der
Gebundenheit an vorherbestimmte naturale Empfänge gewinnen müßte.
Dasselbe Gebiet zeigt dieselbe Entwicklung noch an einer anderen
Stelle.
Solange die Drescher auf den Gütern durch einen bestimmten Anteil am
Erdrusch gelohnt wurden, hatten sie ein lebhaftes persönliches Interesse
am Gedeihen der Wirtschaft des Herrn.
Die Dreschmaschine verdrängte diese Löhnungsart und der dafür
eingeführte Geldlohn läßt es zu jenem persönlichen Bande zwischen
Herrn und Arbeiter nicht kommen, aus dem der letztere ein Selbstgefühl
und einen sittlichen Halt, ganz anders als aus dem erhöhten
Geldeinkommen, gezogen hatte.
Damit zeigt sich an der Bedeutung, welche das Geld für den Gewinn
individueller Freiheit hat, eine sehr folgenreiche Bestimmung des
Freiheitsbegriffes.
Die Freiheit scheint zunächst bloß negativen Charakter zu tragen; nur
im Gegensatz zu einer Bindung hat sie ihren Sinn, sie ist immer Freiheit
von etwas und erfüllt ihren Begriff, indem sie die Abwesenheit von
Hindernissen ausspricht. Allein (>445) in dieser negativen Bedeutung
verharrt sie nicht; sie wäre ohne Sinn und Wert, wenn das Abstreifen der
Bindung nicht sogleich durch einen Zuwachs an Besitz oder Macht ergänzt
würde: wenn sie Freiheit von etwas ist, so ist sie doch zugleich Freiheit
zu etwas.
Erscheinungen der mannigfaltigsten Gebiete bestätigen das.
Wo im politischen Leben eine Partei Freiheit verlangt oder erlangt, da
handelt es sich eigentlich gar nicht um die Freiheit selbst, sondern um
diejenigen positiven Gewinne, Machtsteigerungen, Ausbreitungen, die ihr
bisher verschlossen waren.
Die »Freiheit«, die die französische Revolution dem dritten Stande
verschaffte, hatte ihre Bedeutung darin, daß ein vierter Stand da war,
bzw. sich entwickelte, den jener nun »frei« für sich arbeiten lassen
konnte.
Die Freiheit der Kirche bedeutet unmittelbar die Ausdehnung ihrer
Machtsphäre; nach der Seite ihrer »Lehrfreiheit« z.B., daß der Staat
Bürger erhält, welche von ihr geprägt sind und unter ihrer Suggestion
stehen.
An die Befreiung des untertänigen Bauern schloß sich in ganz Europa
unmittelbar das Bestreben, ihn auch zum Eigentümer seiner Scholle zu
machen - wie schon die altjüdischen Bestimmungen, die den Schuldsklaven
nach einer gewissen Reihe von Jahren freizulassen gebieten, gleich
hinzufügen, er solle nun auch gleich mit einem Besitz aus-gestattet
werden, möglichst sein früheres Grundstück zurückerhalten.
Wo wirklich der rein negative Sinn der Freiheit wirksam wird, da gilt
sie deshalb als Unvollkommenheit und Herabsetzung.
Giordano Bruno, in seiner Begeisterung für das
einheitlich-gesetzmäßige Leben des Kosmos, hält die Freiheit des
Willens für einen Mangel, so daß nur der Mensch in seiner
Unvollkommenheit sie besäße, Gott aber allein Notwendigkeit zukäme.
Und nach diesem ganz abstrakten ein ganz konkretes Beispiel: das Land
der preußischen Kossäten befand sich außerhalb der Flur, auf der die
Bauernäcker im Gemenge lagen.
Da diese letzteren nur nach gemeinsamer Regel bearbeitet werden
konnten, so hat der Kossät viel mehr individuelle Freiheit; allein er
steht außerhalb des Verbandes, er hat nicht die positive Freiheit, in
Flursachen mit zu beschließen, sondern nur die negative, durch keinen
Beschluß gebunden zu sein.
Und dies begründet es, daß der Kossät es selbst bei bedeutendem
Besitz nur zu einer gedrückten und wenig angesehenen Stellung bringt.
Die Freiheit ist eben an sich eine leere Form, die erst mit und an
einer Steigerung anderweitiger Lebensinhalte wirksam, lebendig, wertvoll
wird.
Wenn wir die Vorgänge, durch welche Freiheit gewonnen wird,
zergliedern, so bemerken wir stets neben ihrer formalen, den reinen
Begriff der Freiheit darstellenden Seite, eine materiell bestimmte, welche
aber, indem sie jene zu positiver Bedeutung ergänzt, zugleich ihrerseits
(>446) eine gewisse Beschränkung enthält, eine Direktive, was nun mit
der Freiheit positiv anzufangen wäre.
Es würden sich nun alle Akte mit denen Freiheit gewonnen wird, in eine
Skala gliedern lassen, von dem Gesichtspunkt aus: wie erheblich ihr
materieller Inhalt und Gewinn ist, im Verhältnis zu ihrem formalen und
negativen Momente der Befreiung von bisherigen Bindungen.
Bei dem jungen Manne, z.B., der, aus dem Zwange der Schule entlassen,
in die studentische Freiheit eintritt, ist das letztere Moment das
betontere, und die neue Substanz des Lebens und Strebens, die dessen
positive Seite bildet, zunächst sehr unbestimmt und vieldeutig; so daß
der Student, weil die bloße Freiheit etwas ganz leeres und eigentlich
unerträgliches ist, sich im Komment freiwillig einen Zwang stärkster Art
erzeugt.
Ganz anders liegt das Verhältnis bei einem Kaufmann, der von einer
lästigen Handelsbeschränkung befreit wird; hier ist das neue Tun, um
dessentwillen jene Befreiung wertvoll ist, seinem Inhalt und seiner
Direktive nach sehr bestimmt, er bleibt gar nicht bei der bloßen Freiheit
stehen, sondern weiß sofort, wozu er sie unvermeidlich zu benutzen hat.
Bei einem Mädchen, die aus der einengenden Ordnung des Elternhauses
heraustritt, um sich eine ökonomische Selbständigkeit zu gründen, hat
die Freiheit einen ganz andern positiven Sinn nach Quantität und
Qualität, als wenn sie »gefreit« wird und die Führung eines eigenen
Hauses sich an jene Befreiung als ihr Wesen und Zweck anschließt.
Kurz jeder Befreiungsakt zeigt eine besondere Proportion zwischen der
Betonung und Ausdehnung des damit überwundenen-Zustandes und der des
damit gewonnenen.
Würde man eine solche Reihe je nach dem allmählich steigenden
Übergewicht des einen Momentes über das andere wirklich konstruieren
können, so würde die durch den Geldverkauf eines Objekts gewonnene
Freiheit an einem Endpunkt derselben stehen - wenigstens dann, wenn das
Objekt bisher den Lebensinhalt nach sich bestimmt hat.
Wer sein Landgut gegen ein Haus in der Stadt vertauscht, der ist damit
allerdings von den Mühseligkeiten und Sorgen der Landwirtschaft befreit;
aber diese Freiheit bedeutet, daß er sich sogleich den Aufgaben und
Chancen des städtischen Grundbesitzes zu widmen hat.
Verkauft er aber sein Gut gegen Geld, so ist er nun wirklich frei, das
negative Moment der Befreiung von den bisherigen Lasten ist das
überwiegende, seine neu geschaffene Situation als Geldbesitzer enthält
nur ein Minimum bestimmter Direktiven für die Zukunft.
In der Befreiung vom Zwange des Objekts durch den Geldverkauf ist das
positive Moment derselben auf seinen Grenzwert hinabgesunken; das Geld hat
die Aufgabe gelöst, die Freiheit des Menschen nahezu in ihrem rein
negativen Sinne zu verwirklichen. (>447) So ordnet sich die ungeheure
Gefahr, die die Zugeldesetzung für den Bauern bedeutete, einem
allgemeinen System der menschlichen Freiheit ein.
Allerdings war es Freiheit, was er gewann; aber nur Freiheit von etwas,
nicht Freiheit zu etwas; allerdings scheinbar Freiheit zu allem - weil sie
eben bloß negativ war -, tatsächlich aber eben deshalb ohne jede
Direktive, ohne jeden bestimmten und bestimmenden Inhalt und deshalb zu
jener Leerheit und Haltlosigkeit disponierend, die jedem zufälligen,
launenhaften, verführerischen Impuls Ausbreitung ohne Widerstand
gestattete - entsprechend dem Schicksal des ungefesteten Menschen, der
seine Götter dahingegeben hat und dessen so gewonnene »Freiheit« nur
den Raum gibt, jeden beliebigen Augenblickswert zum Götzen aufwachsen zu
lassen.
Nicht anders ergeht es manchem Kaufmann, für den, von den Sorgen und
Arbeiten seines Geschäftes belastet, der Verkauf desselben das
ersehnteste Ziel ist.
Wenn er dann aber endlich, mit dem Erlös dafür in der Hand, wirklich
»frei« ist, so stellt sich oft genug jene typische Langeweile,
Lebenszwecklosigkeit, innere Unruhe des Rentiers ein, die ihn zu den
wunderlichsten und allem inneren und äußeren Sinne zuwiderlaufendsten
Beschäftigungsversuchen treibt, damit er nur seiner »Freiheit« einen
substanziellen Inhalt einbaue.
Ganz so verhält es sich vielfach mit dem Beamten, der nur möglichst
rasch eine Stufe erreichen will, deren Pension ihm ein »freies« Leben
ermöglicht.
So erscheint uns mitten in den Qualen und Ängsten der Welt oft der
Zustand bloßer Ruhe als das absolute Ideal, bis der Genuß derselben uns
sehr bald belehrt, daß die Ruhe vor bestimmten Dingen nur wertvoll, ja,
nur erträglich ist, wenn sie zugleich die Ruhe zu bestimmten Dingen ist.
Während sowohl der ausgekaufte Bauer wie der Rentier gewordene
Kaufmann oder der pensionierte Beamte ihre Persönlichkeit aus dem Zwange
befreit zu haben scheinen, den die spezifischen Bedingungen ihrer
Besitztümer oder Positionen ihnen antaten, ist - in den hier
vorausgesetzten Fällen - tatsächlich das Umgekehrte eingetreten: sie
haben die positiven Inhalte ihres Ich für das Geld dahingegeben, das
ihnen keine ebensolchen gewährt.
Sehr bezeichnend erzählt ein französischer Reisender von den
griechischen Bäuerinnen, die Stickereien fabrizieren und außerordentlich
an ihren sehr mühseligen Arbeiten hängen: elles les donnent, elles les
reprennent, elles regardent l'argent, puis leur ouvrage, puis l'argent;
l'argent finit toujours par avoir raison, et elles s'en vont désolées de
se voir si riches.
Weil die Freiheit, die das Geld gibt, nur eine potenzielle, formale,
negative ist, so bedeutet sein Eintausch gegen positive Lebensinhalte -
wenn sich nicht sogleich andere von anderen Seiten her an die
leergewordene Stelle schieben - den Ver- (>448) kauf von
Persönlichkeitswerten.
Darum hat die preußische Gemeinheitsteilung im ersten Viertel des 19.
Jahrhunderts das Aufkommen eines unsteten, wurzellosen Tagelöhnerstandes
sehr begünstigt.
Die nationalen Wiesen- und Waldrechte waren eine Beihilfe für die
Existenz des ärmeren Bauern, die das in abstracto ermittelte Äquivalent
absolut nicht aufwog - in Geld ausbezahlt, war es sehr bald verloren, in
Land war es zu klein, um selbständige Bewirtschaftung zu lohnen; so daß
auch diese Landentschädigungen möglichst schnell zu Gelde gemacht wurden
und den Weg zur Proletarisierung und Lockerung der Lebenssubstanz eher
verbreiterten als einengten.
Ganz entsprechend dem Verhalten der griechischen Bäuerinnen berichten
die Ethnologen von der außer-ordentlichen Schwierigkeit, bei
Naturvölkern Gebrauchsgegenstände zu erstehen.
Denn jeder derselben trägt - so hat man dies begründet - nach
Ursprung und Bestimmung ausgesprochen individuelles Gepräge; die
ungeheure Mühe, die auf Herstellung und Ausschmückung des Objekts
verwendet wird, und sein Verbleiben im persönlichen Gebrauch läßt es zu
einem Bestandstück der Person selbst werden, von dem sich zu trennen,
einem der Art nach gleichen Widerstand begegnet, wie von einem
Körpergliede; so daß statt der Expansion des Ich - die die unendlichen
»Möglichkeiten« des Geldbesitzes ebenso lockend wie undeutlich
versprechen - eine Kontraktion desselben eintritt.
Die Klarheit hierüber ist nicht ohne Belang für das Verständnis
unserer Zeit.
Seit es überhaupt Geld gibt, ist, im großen und ganzen, jedermann
geneigter zu verkaufen als zu kaufen.
Mit steigender Geldwirtschaft wird diese Geneigtheit immer stärker und
ergreift immer mehr von denjenigen Objekten, welche gar nicht zum Verkauf
hergestellt sind, sondern den Charakter ruhenden Besitzes tragen und
vielmehr bestimmt scheinen, die Persönlichkeit an sich zu knüpfen, als
sich in raschem Wechsel von ihr zu lösen: Geschäfte und Betriebe,
Kunstwerke und Sammlungen, Grundbesitz, Rechte und Positionen allerhand
Art.
Indem alles dies immer kürzere Zeit in einer Hand bleibt, die
Persönlichkeit immer schneller und öfter aus der spezifischen
Bedingtheit solchen Besitzes heraustritt, wird freilich ein
außerordentliches Gesamtmaß von Freiheit verwirklicht; allein weil nur
das Geld mit seiner Unbestimmtheit und inneren Direktionslosigkeit die
nächste Seite dieser Befreiungsvorgänge ist, so bleiben sie bei der
Tatsache der Entwurzelung stehen und leiten oft genug zu keinem neuen
Wurzelschlagen über.
Ja, indem jene Besitze bei sehr rapidem Geldverkehr überhaupt nicht
mehr unter der Kategorie eines definitiven Lebensinhaltes angesehen
werden, kommt es von vornherein nicht zu jener innerlichen Bindung,
(>449) Verschmelzung, Hingabe, die der Persönlichkeit zwar eindeutig
determinierende Grenzen, aber zugleich Halt und Inhalt gibt.
So erklärt es sich, daß unsere Zeit, die, als ganze betrachtet,
sicher mehr Freiheit besitzt als irgendeine frühere, dieser Freiheit doch
so wenig froh wird.
Das Geld ermöglicht nicht nur, uns von den Bindungen anderen
gegenüber, sondern auch von denen, die aus unserem eigenen Besitz
quellen, loszukaufen; es befreit uns, indem wir es geben und indem wir es
nehmen.
So gewinnen fortwährende Befreiungsprozesse einen außerordentlich
breiten Raum im modernen Leben, auch an diesem Punkte den tieferen
Zusammenhang der Geldwirtschaft mit den Tendenzen des Liberalismus
enthüllend, freilich auch einen der Gründe aufweisend, weshalb die
Freiheit des Liberalismus so manche Haltlosigkeit, Wirrnis und
Unbefriedigung erzeugt hat.
Indem so viele Dinge aber, fortwährend durch Geld abgelöst, ihre
Richtung gebende Bedeutung für uns verlieren, findet diese Veränderung
unserer Beziehung zu ihnen eine praktische Reaktion.
Wenn sich jene geldwirtschaftliche Unsicherheit und Treulosigkeit
gegenüber den spezifischen Besitzen in dem so sehr modernen Gefühle
rächt: daß die Hoffnung der Befriedigung, die sich an ein Erlangtes
knüpft, im nächsten Augenblick schon darüber hinauswächst, daß der
Kern und Sinn des Lebens uns immer von neuem aus der Hand gleitet - so
entspricht dem eine tiefe Sehnsucht, den Dingen eine neue Bedeutsamkeit,
einen tieferen Sinn, einen Eigenwert zu verleihen.
Die Leichtigkeit im Gewinn und Verlust der Besitze, die Flüchtigkeit
ihres Bestandes, Genossenwerdens und Wechselns, kurz: die Folgen und
Korrelationen des Geldes, haben sie ausgehöhlt und vergleichgültigt.
Aber die lebhaften Erregungen in der Kunst, das Suchen nach neuen Stilen,
nach Stil überhaupt, der Symbolismus, ja, die Theosophie, sind Symptome
für das Verlangen nach einer neuen, tiefer empfindbaren Bedeutung der
Dinge - sei es, daß jedes für sich wertvollere, seelenvollere Betonung
erhalte, sei es, daß es diese durch die Stiftung eines Zusammenhanges,
durch die Erlösung aus ihrer Atomisierung gewinne.
Wenn der moderne Mensch frei ist - frei, weil er alles verkaufen, und
frei, weil er alles kaufen kann - so sucht er nun, oft in problematischen
Velleitäten, an den Objekten selber diejenige Kraft, Festigkeit,
seelische Einheit, die er selbst durch das vermöge des Geldes veränderte
Verhältnis zu ihnen verloren hat.
Wenn wir früher sahen, daß durch das Geld der Mensch sich aus dem
Befangensein in den Dingen erlöst, so ist andrerseits der Inhalt seines
Ich, Richtung und Bestimmtheit doch mit konkreten Besitztümern soweit
solidarisch, daß das fortwährende Verkaufen und Wechseln derselben, ja,
die bloße Tatsache der Verkaufsmöglichkeit (>450) oft genug einen
Verkauf und eine Entwurzelung personaler Werte bedeutet.
Daß der Geldwert der Dinge nicht restlos das ersetzt, was wir an ihnen
selbst besitzen, daß sie Seiten haben, die nicht in Geld ausdrückbar
sind - darüber will die Geldwirtschaft mehr und mehr hinwegtäuschen.
Wo es dennoch nicht zu verkennen ist, daß die in Geld erfolgende
Schätzung und Hingabe sie der abschleifenden Banalität des täglichen
Verkehrs nicht entziehen kann, da sucht man wenigstens manchmal eine
Geldform dafür, die von der alltäglichen weit absteht.Die älteste
italische Münze war das Kupferstück ohne bestimmte Form, das deshalb
nicht gezählt, sondern gewogen wurde.
Und nun wurde bis in die Kaiserzeit hinein, bei einem unvergleichlich
verfeinerten Geldwesen, dieses formlose Kupferstück sowohl zu religiösen
Spenden, wie als juristisches Symbol mit Vorliebe verwendet.
Daß der neben dem Geldwert liegende Wert der Dinge sich dennoch
Anerkennung erzwingt, liegt besonders nahe, wenn nicht eine Substanz,
sondern eine persönlich ausgeübte Funktion verkauft wird, und wenn diese
nicht nur in ihrer äußerlichen Verwirklichung, sondern auch ihrem
Inhalte nach individuellen Charakter trägt.
Die folgende Erscheinungsreihe mag das klar machen.
Wo Geld und Leistungen ausgetauscht werden, da beansprucht zwar der
Geldgeber nur das festgestellte Objekt, die sachlich umschriebene
Leistung.
Der sachlich Leistende dagegen verlangt, wünscht wenigstens, in vielen
Fällen noch etwas mehr, außer dem Gelde.
Wer in ein Konzert geht, ist zufrieden, wenn er für sein Geld die
erwarteten Stücke in erwarteter Vollendung hört; der Künstler ist aber
mit dem Gelde nicht zufrieden, er verlangt auch Beifall.
Wer sich malen läßt, ist befriedigt, wenn er das hinreichend gelungene
Porträt in Händen hat; der Maler aber nicht, wenn er den verabredeten
Preis in Händen hat, sondern erst, wenn ihm noch dazu subjektive
Anerkennung und übersubjektiver Ruhm zu teil wird.
Der Minister verlangt nicht nur den Gehalt, sondern auch den Dank des
Fürsten und der Nation, der Lehrer und der Geistliche nicht nur ihre
Bezüge, sondern auch Pietät und Anhänglichkeit, ja, der bessere
Kaufmann will nicht nur Geld für seine Ware, sondern auch, daß der
Käufer zufrieden sei - und das keineswegs immer nur, damit er
wiederkomme.
Kurz, sehr viele Leistende beanspruchen außer dem Gelde, das sie
objektiv als das zureichende Äquivalent ihrer Leistung anerkennen, doch
noch eine persönliche Anerkennung, irgendein subjektives Bezeigen des
Bezahlers, das jenseits seiner verabredeten Geldleistung steht und diese
für das Gefühl des Empfangenden erst zur vollen Äquivalenz mit seiner
Leistung ergänzt.
Hier haben wir das genaue Gegenstück (>451) der Erscheinung, die
ich im dritten Kapitel als das Superadditum des Geldbesitzes beschrieb.
Dort wuchs dem Geldgebenden außer dem präzisen Gegenwert seiner
Aufwendung noch ein Mehr aus dem über jeden einzelnen Objektwert
hinausgreifenden Charakter des Geldes zu.
Aber eben seinem Wesen, das am meisten von allen empirischen Dingen,
mit Jakob Böhme zu reden, Wurf und Gegenwurf miteinander verbindet,
entspricht diese Ausgleichung: personale Darbietungen, die gerade über
ihr Geldäquivalent hinaus noch ein Plus fordern.
Und wie dort nach der Seite des Geldes, so drückt sich hier nach der
Seite der Leistung der Anspruch über den direkten Austausch hinaus in
einer Sphäre aus, die die Persönlichkeit als der geometrische Ort ihrer
Ansprüche umgibt und jenseits jedes einzelnen von diesen besteht.
Der Saldo, der auf diese Weise bei dem Austausch von Geld und
personaler Leistung zugunsten der letzteren bleibt, kann so sehr als das
Überwiegende empfunden werden, daß die Annahme eines Geldäquivalentes
schon die Leistung und damit die Person herabzusetzen scheint: als würde,
was man an Geld erhält, jenem idealen Lohne abgeschrieben, von dem man
sich doch keinen Abzug gefallen lassen will; so wissen wir von Lord Byron,
daß er Verlegerhonorare nur mit den peinlichsten Empfindungen angenommen
hat.
Wo die gelderwerbende Tätigkeit schon als solche des Ansehens
entbehrt, wie im klassischen Griechenland (weil man die soziale Bedeutung
und Produktivität des Geldkapitals noch nicht kannte, dieses vielmehr nur
der egoistischen Konsumtion dienstbar glaubte) - da steigert sich diese
Deklassierung noch besonders angesichts persönlich-geistiger Leistungen:
etwa, für Geld zu lehren und überhaupt geistig zu arbeiten, erschien als
Entwürdigung der Person.
Gegenüber allen aus dem Kern der Persönlichkeit quellenden
Betätigungen ist es eine oberflächliche, die wirkliche Gefühlsweise gar
nicht treffende Vorstellung, daß man »seinen Lohn dahin haben« könne.
Kann man etwa die Aufopferungen der Liebe durch irgendein Tun, selbst
ein gleich wertvolles, aus gleich starkem Ge-fühle fließendes, völlig
vergelten? Es bleibt immer ein Verpflichtungsverhältnis des Ganzen der
Persönlichkeiten bestehen, das vieleicht gegenseitig ist, aber sich der
Aufrechnung auch durch die Gegenseitigkeit prinzipiell entzieht.
Ebensowenig kann ein Vergehen, soweit es innerlicher Natur ist, durch
die Strafe so gesühnt werden, als ob es nun ungeschehen wäre, wie etwa
der äußerlich angerichtete Schaden es kann.
Wenn der Schuldige nach erduldeter Strafe eine völlige Entsündigung
fühlt, so entsteht dies nicht aus einem Quittsein mit der Sünde durch
die gezahlte Strafe, sondern aus einer durch diese bewirkten innerlichen
Umwandlung, die die (>452) Wurzel der Sünde zerstört.
Die bloße Strafe aber zeigt ihre Unfähigkeit, die Missetat wirklich
zu begleichen, in dem weiterwirkenden Mißtrauen und der Deklassierung,
die der Sünder trotz ihrer noch erfährt.
Was ich früher ausführte: daß es zwischen qualitativ verschiedenen
Elementen keine unmittelbare Äquivalenz wie zwischen Aktiven und Passiven
eines Kontokorrents geben könne - das gewinnt seine gründlichste
Bewährung an den Werten, in denen sich die individuelle Persönlichkeit
verkörpert, und wird in dem Maße ungültiger, in dem die Werte, von
dieser Wurzel gelöst, selbständig-dinglichen Charakter annehmen, sich so
ins Unendliche dem Geld nähernd, das der schlechthin inkommensurablen
Persönlichkeit gegenüber das schlechthin Kommensurable, weil das absolut
Sachliche ist.
Es hat einerseits etwas Grauenhaftes, sich die tiefe gegenseitige
Unangemessenheit der Dinge, Leistungen, psychischen Werte vorzustellen,
die wir immerfort wie wirkliche Äquivalente gegeneinander einsetzen;
andrerseits gibt gerade diese Unvergleichbarkeit von Lebenselementen, ihr
Recht, von keinem angebbaren Aquivalent genau gedeckt zu werden, dem Leben
doch einen unersetzlichen Reiz und Reichtum.
Daß die personalen Werte durch das Geld, für das sie dargeboten
werden, gar nicht ausgeglichen werden, mag einerseits der Grund von
unzähligen Ungerechtigkeiten und tragischen Situationen sein; aber
andrerseits erhebt sich doch gerade daran das Bewußtsein von dem Werte
des Persönlichen, der Stolz des individuellen Lebensinhaltes, sich durch
keine Steigerung bloß quantitativer Werte aufgewogen zu wissen.
Diese Inadäquatheit wird, wie wir es schon so oft als typisch
erkannten, bei sehr hohen Summen als Gegenwerten gemildert, weil diese
ihrerseits von jenem Superadditum umschwebt werden, von phantastischen,
über die Zahlbestimmtheit hinausgreifenden Möglichkeiten, die, in ihrer
Art, der in die Einzelleistung hineingegebenen und doch über jede
Einzelleistung hinausreichenden Persönlichkeit korrespondieren.
Deshalb mag man gewisse Objekte oder Leistungen für sehr vieles Geld
wohl hingeben; aber wenn dies nicht erlangbar ist, so verschenkt man sie
lieber, als daß man wenig Geld dafür nehme.
Denn nur dies, aber nicht jenes deklassiert sie. Aus diesem
Gefühlszusammenhang heraus müssen unter feiner empfindlichen Menschen
Geschenke, die den Charakter persönlicher Huldigung haben, ihren Geldwert
gleichsam unsichtbar machen: bei Blumen und Näschereien, die man einer
fernerstehenden Dame allein zu schenken wagen darf, wirkt die rasche
Vergänglichkeit wie eine Aufhebung jedes substanziellen Wertes.
Nun ist weder das Hinausragen der Leistung über ihr Geldäquivalent
(>453) immer von merkbarer Größe, noch, wenn es dies ist,
immer so zum Ausdruck zu bringen, wie in den angeführten Fällen des
Künstlers und des Arztes, des Beamten und des Gelehrten.
Wenn die Leistung sehr unindividuell ist und die Persönlichkeit sich
mit ihr nicht aus dem Durchschnitt heraushebt, wie etwa bei dem
ungelernten Arbeiter, so fehlt der Punkt der Inkommensurabilität, das
Hineinwachsen der mit nichts vergleichbaren Persönlichkeit in das Werk,
die sich immer nur in einer irgendwie singulären Qualität zu erkennen
geben kann.
Andrerseits, ob der Leistende eine Begleichung jenes Saldo auf die
angegebenen Arten erlangt, hängt im Prinzip davon ab, ob seine soziale
Stellung ihm überhaupt derartige ideale Anerkennungen zugänglich macht;
wo sie wegen seiner allgemeinen Untergeordnetheit ausbleiben, erscheint er
natürlich um so herabgewürdigter, je persönlicheres er für Geld und
nur für Geld zu geben gezwungen ist.
So wurden die mittelalterlichen Spielleute verachtet, mit der
gelegentlichen Begründung, daß sie auf Bestellung Lustiges wie Trauriges
sängen, ihre persönlichen Empfindungen damit prostituierten, daß sie
»Geld für Ehre nahmen«.
Um die Ausschließung jenes idealen Lohnes aufrechtzuerhalten, war es
deshalb durchaus konsequent, daß man sie wenigstens in bezug auf den
ökonomischen Lohn auch streng gewissenhaft behandelte: obgleich die
Spielleute allenthalben schlechtes Recht hatten, so wurde ihnen doch, wie
ich schon erwähnte, gerade in bezug auf Hab und Gut unparteilich Recht
gemessen.
Wo der eigentlich personale Wert schlechthin gegen Geld, ohne eine
darüber hinausgehende ideelle Entschädigung, fortgegebeil werden muß,
da findet deshalb eine Lockerung, gleichsam ein Substanzverlust des
individuellen Lebens statt.
Das Gefühl der Tatsache, daß im Geldverkehr personale Werte für
einen inadäquaten Gegenwert ausgetauscht werden, ist sicher einer der
Gründe, aus denen in Kreisen von wirklich vornehmer und stolzer Gesinnung
der Geld-erkehr so oft perhorresziert und sein Gegenpol, die
Landwirtschaft, als das allein Geziernende gepriesen worden ist.
So war es zum Beispiel bei den Adligen der schottischen Hochlande, die
bis zum acht-zehnten Jahrhundert ein ganz isoliertes und rein autochthones
Dasein führten, das aber ganz unter dem Ideal der denkbar höchsten
persönlichen Freiheit stand.
Denn so sehr das Geld diese fördern kann, wenn erst einmal ein eng
gesponnener Verkehr die Menschen in sich verwebt und eingeschlungen hat,
so stark muß man doch vom Standpunkt einer freien, auf sich gestellten
und sich selbst genügenden Existenz aus empfinden, daß der Austausch von
Besitz und Leistungen gegen Geld das Leben entpersonalisiert.
Wenn die subjektiven und die objektiven Seiten des Lebens sich erst
gesondert (>454) haben, so kann freilich die Entpersonalisierung, die
letzteren immer entschiedener ergreifend, der reinen Herausarbeitung der
ersteren dienen; bei einer primitiveren und einheitlicheren Existenz muß
es umgekehrt als eine Unverhältnismäßigkeit und ein Verlust gelten,
wenn Besitz und Leistung, bisher nur persönlich genossen oder persönlich
gewährt, bloß zum Element eines Geldverkehrs und zum Gegenstand seiner
objektiven Gesetzmäßigkeiten werden.
Bei dem Übergange der mittelalterlichen Grundherrschaft des Ritters zu
der modernen Landwirtschaft ist zu konstatieren, daß seine Standes-
begriffe sich zwar dahin erweitern: außer der Kriegstätigkeit sei doch
auch Erwerbstätigkeit für ihn zulässig - aber dies sei eben nur der
Betrieb der eigenen Güter; ein Erwerb, dessen Eigenart ihn nun den
Kaufmann, den Händler womöglich noch mehr verachten ließ, als es vor
seiner Wendung zum Ökonomischen der Fall war.
Das spezifische Gefühl der Würdelosigkeit des Geldverkehrs tritt hier
gerade deshalb so schroff hervor, weil die beiden Wirtschaftsarten jetzt
nahe aneinander gerückt sind.
Es ist eine der durchgehendsten soziologischen Erscheinungen, daß der
Gegensatz zwischen zwei Elementen nie stärker hervortritt, als wenn
derselbe sich von einem gemeinsamen Boden aus entwickelt: Sekten der
gleichen Religion pflegen sich intensiver zu hassen als ganz verschiedene
Religionsgemeinschaften die Feindschaften kleiner benachbarter
Stadtstaaten waren, die ganze bekannte Geschichte hindurch,
leidenschaftlicher als die großer Staaten mit ihren räumlich und
sachlich getrennten Interessen- gebieten, ja, man hat behauptet, daß der
glühendste Haß, den es gibt, der zwischen Blutsverwandten wäre.
Diese Steigerung des Antagonismus, der sich gleichsam von dem
Hintergrund einer Gemeinsamkeit abhebt, scheint in manchen Fällen dann
ein Maximum zuerreichen, wenn die Gemeinsamkeit oder Ähnlichkeit in der
Zunahme begriffen ist und damit die Gefahr droht, daß der Unterschied und
Gegensatz überhaupt verwischt werde, an dessen Bestand wenigstens eine
der Parteien lebhaft interessiert ist.
Je mehr ein tiefer- und ein höherstehendes Element sich einander
nähern, desto energischer wird das letztere die noch bestehenden
Differenzpunkte betonen, desto höher sie werten.
So entsteht der leidenschaftliche und aggressive Klassenhaß nicht
dann, wenn die Klassen noch durch unüberbrückbare Klüfte geschieden
sind, sondern erst in dem Augenblick, wo die niedere Klasse sich schon
etwas erhoben hat, die höhere einen Teil ihres Prestige verloren hat und
ein Nivellement beider diskutiert werden kann.
So empfand der Grundherr in seinem Umwandlungsprozeß in den
wirtschaftstreibenden Gutsbesitzer eine gesteigerte Notwendigkeit, sich
von dem geldwirtschaftenden Kaufmann (>455) abzuscheiden.
Er trieb Wirtschaft, aber zunächst doch nur für den eigenen Bedarf,
er gab doch nicht sein Eigen für Geld hin; und wenn er das tat, so war es
doch schließlich nur das Produkt, er stellte sich doch nicht, wie der
Kaufmann, mit der Unmittelbarkeit persönlicher Leistung in den Dienst des
Geldgebers; wie es von einem ähnlichen Motiv aus - wenngleich unter dem
wesentlichen Mitwirken anderer - dem spartanischen Vollbürger zwar
gestattet war, Land zu besitzen, aber nicht, es selbst zu bebauen.
Jenen Unterschied gegen andere Verkäufer zu betonen, war im Interesse
der aristokratischen Stellung deshalb so wichtig, weil das Geldgeschäft
demokratisch nivellierend wirkt; insbesondere wenn der sozial
Höher-stehende der Geldnehmer, der Tieferstehende der Empfänger der
sachlichen Leistung ist, macht es die Parteien leicht miteinander
»gemein«.
Deshalb empfindet der Aristokrat das Geldgeschäft als deklassierend,
während der Bauer, wenn er statt seiner Natural-leistungen dem Herrn in
Geld zinst, dadurch ein Aufsteigen erfährt.
Das zeigt sich also auch an dem Geldverkauf personaler Werte als das
Unvergleichliche des Geldes, daß es allen Entgegengesetztheiten
historisch-psychologischer Möglichkeiten sich leihend, mit seiner eigenen
Unentschiedenheit und Inhaltlosigkeit doch alle jene zu äußerster
Entschiedenheit ausbildet.
In der so gesteigerten praktischen Welt erscheint das Geld, die
verkörperte Relativität der Dinge, gleichsam als das Absolute, das alles
Relative mit seinen Gegensätzen umschließt und trägt.
-> Teil 3
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