Georg Simmel:
Philosophie
des Geldes
Duncker & Humblot
Verlag, Berlin 1900 (1. Auflage) 1. Kapitel:
Wert und Geld - Teil III (S. 62-100)
Einordnung des wirtschaftlichen
Wertes in ein relativistisches Weltbild
Beispielsweise Skizzierung des
letzteren in erkenntnistheoretischer Hinsicht: der Aufbau der Beweise ins
Unendliche und ihr Umbiegen zu gegenseitiger Legitimierung
Die Objektivität der Wahrheit
wie des Wertes als Relation subjektiver Elemente
Das Geld als der verselbständigte
Ausdruck der Tauschrelation, durch die die begehrten Objekte zu wirtschaftlichen
werden, der Ersetzbarkeit der Dinge
Bevor ich nun aus diesem Begriff des wirtschaftlichen Wertes den des
Geldes als seinen Gipfel und reinsten Ausdruck entwickle, ist es erforderlich,
jenen selbst in ein prinzipiell bestimmtes Weltbild einzustellen, um daran
die philosophische Bedeutung des Geldes zu ermessen.
Denn erst wenn die Formel des wirtschaftlichen Wertes einer Weltformel
parallel geht, darf die höchste Verwirklichungsstufe jener beanspruchen,
über ihre unmittelbare Erscheinung hinaus, oder richtiger: in eben
dieser selbst, das Dasein überhaupt deuten zu helfen.
Das regellose Nebeneinander und Durcheinander der ersten Eindrücke,
die ein Objekt uns bietet, pflegen wir zu organisieren, indem wir eine
bleibende und wesentliche Substanz seiner von seinen Bewegungen, Färbungen,
Schicksalen trennen, deren Kommen und Gehen die Festigkeit seines Wesens
ungeändert lässt.
Diese Gliederung der Welt in die bleibenden Kerne verfließender
Erscheinungen und die zufälligen Bestimmungen beharrender Träger
wächst zu dem Gegensatz des Absoluten und des Relativen auf.
Wie wir in uns selbst ein seelisches Sein zu spüren meinen, dessen
Existenz und Charakter nur in sich selbst ruht, eine letzte, von allem
Ausser-Ihr unabhängige Instanz, und diese genau von jenen unserer
Gedanken, Erlebnisse und Entwicklungen scheiden, die nur durch Beziehungen
zu anderen wirklich oder messbar werden - so suchen wir in der Welt
nach den Substanzen, Größen und Kräften, deren Sein und
Bedeutung in ihnen allein begründet ist, und unterscheiden sie von
allen relativen Existenzen und Bestimmungen - von allen denen, die nur
durch Vergleich, Berührung oder Reaktion anderer das sind, was sie
sind.
Die Richtung, in der dieser Gegensatz sich entwickelt, wird durch unsere
physisch-psychische Anlage und ihr Verhältnis zur Welt präjudiziert.
So innig in unserem Dasein auch Bewegung und Ruhe, Aktivität nach
aussen und Sammlung nach innen verbunden sein mögen, so dass sie ihre Wichtigkeit und Bedeutung erst aneinander (> 63) finden - so empfinden
wir doch die eine Seite dieser Gegensätze, die Ruhe, das Substanzielle,
das innerlich Feste an unseren Lebensinhalten als das eigentlich Wertvolle,
als das Definitive gegenüber dem Wechselnden, Unruhigen, Äusserlichen.
Es ist die Fortsetzung hiervon, wenn das Denken es im ganzen als seine
Aufgabe fühlt, hinter den Flüchtigkeiten der Erscheinung, dem
Auf und Nieder der Bewegungen das Unverrückbare und Verlässliche zu finden, und uns aus dem Aufeinander-Angewiesenen zu dem sich selbst
Genügenden, auf sich selbst Gegründeten zu führen.
So gewinnen wir die festen Punkte, die uns im Gewirr der Erscheinungen
orientieren und das objektive Gegenbild dessen abgeben, was wir in uns
selbst als unser Wertvolles und Definitives vorstellen.
So gilt, um mit den äusserlichsten Anwendungen dieser Tendenz
zu beginnen, das Licht als eine feine Substanz, die aus den Körpern
strömt, so die Wärme als ein Stoff, so das körperliche Leben
als Wirksamkeit substanzieller Lebensgeister, so die seelischen Vorgänge
als getragen von einer besonderen Seelensubstanz; die Mythologien, die
hinter den Donner einen Donnerer, unter die Erde einen festen Unterbau,
damit sie nicht falle, in die Gestirne Geister setzten, die sie in ihren
Bahnen herumführten, suchen nicht weniger für die wahrgenommenen
Bestimmtheiten und Bewegungen eine Substanz, an der diese nicht nur hafte,
sondern die eigentlich die wirksame Kraft selbst ist.
Und über die bloßen Beziehungen der Dinge, über ihre
Zufälligkeit und Zeitlichkeit hinaus wird ein Absolutes gesucht: frühe
Denkweisen können sich mit der Entwicklung, dem Gehen und Kommen aller
irdischen Formen im Körperlichen und Geistigen nicht abfinden, sondern
jede Art der Lebewesen ist ihnen ein unveränderlicher Schöpfungsgedanke;
Institutionen, Lebensformen, Wertungen sind von jeher, absolut, so gewesen,
wie sie jetzt sind, die Erscheinungen der Welt gelten nicht nur für
den Menschen und seine Organisation, sondern sie sind an und für sich
so, wie wir sie vorstellen.
Kurz, die erste Tendenz des Denkens, mit der es den verwirrenden Strom
der Eindrücke in ein ruhiges Bett zu lenken und aus seinen Schwankungen
eine feste Gestalt zu gewinnen meint, richtet sich auf die Substanz und
auf das Absolute, denen gegenüber alle Einzelvorgänge und Beziehungen
auf eine vorläufige, für das Erkennen zu überwindende Stufe
herabgedrückt werden.
Die angeführten Beispiele ergeben, dass diese Bewegung wieder
rückläufig geworden ist.
Nachdem fast alle Kulturepochen einzelne Ansätze dazu gesehen haben,
kann man es als eine Grundrichtung der modernen Wissenschaft bezeichnen, dass sie die Erscheinungen nicht mehr durch und als besondere Substanzen,
sondern als Bewegungen (> 64) versteht, deren Träger
gleichsam immer weiter und weiter ins Eigenschaftslose abrücken; dass sie die den Dingen anhängenden Qualitäten als quantitative, also
relative Bestimmungen auszudrücken sucht; dass sie statt der
absoluten Stabilität organischer, psychischer, ethischer, sozialer
Formationen eine rastlose Entwicklung lehrt, in der jedes Element eine
begrenzte, nur durch das Verhältnis zu seinem Vorher und Nachher festzulegende
Stelle einnimmt; dass sie auf das an sich seiende Wesen der Dinge
verzichtet und sich mit der Feststellung der Beziehungen begnügt,
die sich zwischen den Dingen und unserem Geiste, von dem Standpunkte dieses
aus gesehen, ergeben.
Dass die scheinbare Ruhe der Erde nicht nur eine komplizierte Bewegung
ist, sondern dass ihre ganze Stellung im Weltall nur durch ein Wechselverhältnis
zu anderen Materienmassen besteht - das ist ein sehr einfacher, aber sehr
eingreifender Fall des Überganges von der Festigkeit und Absolutheit
der Weltinhalte zu ihrer Auflösung in Bewegungen und Relationen.
Aber alles dies scheint, selbst wenn es vollkommen durchgeführt
wäre, dennoch einen festen Punkt, eine absolute Wahrheit zu ermöglichen,
ja, zu fordern.
Das Erkennen selbst nämlich, das jene Auflösung vollzieht,
scheint sich seinerseits dem Strome der ewigen Entwicklung und der nur
vergleichsweisen Bestimmtheit zu entziehen, in die es seine einzelnen Inhalte
verweist.
Die Auflösung der absoluten Objektivität der Erkenntnisinhalte
in Vorstellungsarten, die nur für das menschliche Subjekt gültig
seien, setzt doch irgendwo letzte Punkte voraus, die nicht weiter herleitbar
sind; der Fluss und die Relativität der psychischen Prozesse
dürfe doch diejenigen Voraussetzungen und Normen nicht berühren,
nach denen wir erst entscheiden, ob unsere Erkenntnisse denn wirklich diesen
oder einen anderen Charakter tragen; die bloß psychologische Herleitung,
in die alle absolut objektiven Erkenntnisse aufgelöst werden sollen,
bedarf doch bestimmter Axiome, die nicht selbst wieder, ohne fehlerhaften
Zirkel, eine bloß psychologische Bedeutung haben dürfen.
Dies ist nicht nur ein Punkt von der größten Wichtigkeit
für die allgemeine Anschauung der Dinge, auf der sich alles Folgende
aufbaut, sondern auch für viele Einzelheiten derselben so vorbildlich, dass
er der genaueren Erörterung bedarf.
Zweifellos kann die Wahrheit irgendeines Satzes nur auf Grund von Kriterien
erkannt werden, die von vornherein sicher, allgemein und über das
Einzelne hinübergreifend sind; diese Kriterien können auf einzelne
Gebiete beschränkt sein und ihrerseits ihre Legitimation aus noch
höher gelegenen ziehen; so dass eine Reihe von Erkenntnissen
übereinandergebaut ist, von denen jede nur unter der Bedingung (> 65) einer anderen gültig ist. Allein diese Reihe
muss, um nicht in
der Luft zu schweben, ja eigentlich, um überhaupt möglich zu
sein, irgendwo einen letzten Grund haben, eine höchste Instanz, die
allen folgenden Gliedern ihre Legitimation gibt, ohne selbst einer solchen
zu bedürfen.
Dies ist das Schema, in das unser tatsächliches Erkennen sich muss eingliedern lassen, und das alle Bedingtheiten und Relativitäten dieses
an ein nicht mehr bedingtes Wissen knüpft.
Allein: welches nun diese absolute Erkenntnis sei, können wir niemals
wissen.
Ihr wirklicher Inhalt ist niemals mit derselben Sicherheit auszumachen,
die über ihre prinzipielle, sozusagen formale Existenz besteht, weil
der Prozess der Auflösung in höhere Prinzipien, der Versuch,
das bisher letzte doch noch weiter herzuleiten, niemals an seinem Ende
anlangen kann.
Welchen Satz wir also auch als den letztbegründenden, über
der Bedingtheit aller anderen stehenden ausgefunden hätten - die Möglichkeit,
auch ihn als bloß relativ und durch einen höheren bedingt zu
erkennen, bleibt bestehen; und diese Möglichkeit ist eine positive
Aufforderung, da die Geschichte des Wissens sie unzählige Mal verwirklicht
hat.
Irgendwo freilich mag das Erkennen seine absolute Basis haben; wo es
sie aber hat, können wir nie unabänderlich feststellen, und müssen
daher, um das Denken nicht dogmatisch abzuschließen, jeden zuletzt
erreichten Punkt so behandeln, als ob er der vorletzte wäre.
Das Ganze des Erkennens wird dadurch keineswegs skeptisch gefärbt,
wie überhaupt das Missverständnis, Relativismus und Skeptizismus
zu verwechseln, ebenso grob ist wie das an Kant begangene, als man seine
Verwandlung von Raum und Zeit in Bedingungen priserer Erfahrung als Skeptizismus
denunzierte.
Man muss freilich beide Standpunkte so beurteilen, wenn man die
je entgegengesetzten von vornherein als das unbedingt richtige Bild des
Wirklichen festhält, so dass jede sie verneinende Theorie als
Erschütterung »der Wirklichkeit« erscheint.
Konstruiert man den Begriff des Relativen so, dass er logisch ein
Absolutes fordert, so kann man dieses letztere natürlich nicht ohne
Widerspruch beseitigen.
Der Fortgang unserer Untersuchung aber wird gerade zeigen, dass es eines Absoluten als begrifflichen Korrelativums zur Relativität
der Dinge nicht bedarf; diese Forderung ist vielmehr eine Übertragung
von empirischen Verhältnissen - wo allerdings ein »Verhältnis«
sich zwischen Elementen erhebt, welche an und für sich jenseits dieses
stehen und insoweit »absolut« sind - auf dasjenige, was aller
Empirie erst zum Grunde liegt.
Wenn für jetzt zugegeben wird, dass unser Erkennen irgendwo
eine absolute Norm, eine nur durch sich selbst legitimierte letzte Instanz
besitzen mag, der Inhalt derselben aber für unser vorschreitendes (> 66)
Erkennen in fortwährendem Fließen bleiben muss und jeder
momentan erreichte auf einen noch tieferen und für seine Aufgabe zulänglicheren
hinweist - so ist dies nicht mehr Skeptizismus, als das allgemein Zugegebene: dass
zwar alles Naturgeschehen unbedingt ausnahmslosen Gesetzen gehorcht, dass aber dieselben als erkannte fortwährender Korrektur unterliegen
und die uns zugängigen Inhalte dieser Gesetzlichkeit immer historisch
bedingt sind und jener Absolutheit ihres Allgemeinbegriffs entbehren.
So wenig also die letzten Voraussetzungen eines abgeschlossenen Erkennens
als nur bedingt, subjektiv oder relativ wahr gelten dürften, so sehr
darf und muss es doch jede einzelne, die sich uns momentan als Erfüllung
dieser Form anbietet.
Dass so jede Vorstellung nur im Verhältnis zu einer anderen
wahr ist, selbst wenn das ideale, für uns aber im Unendlichen liegende
System des Erkennens eine von dieser Bedingtheit gelöste Wahrheit
enthalten sollte - das bezeichnet wohl einen Relativismus unseres Verhaltens,
der auf anderen Gebieten in analoger Weise gilt.
Für die menschlichen Vergesellschaftungen mag es Normen der Praxis
geben, die, von einem übermenschlichen Geiste erkannt, das absolute
und ewige Recht heissen dürften.
Dieses müsste eine juristische causa sui sein, d. h. seine
Legitimation in sich selbst tragen, denn sowie es sie von einer höheren
Normierung entlehnte, so würde eben diese, und nicht jenes, die absolute,
unter allen Umständen gültige Rechtsbestimmung bedeuten.
Nun gibt es tatsächlich keinen einzigen Gesetzesinhalt, der den
Anspruch auf ewige Unabänderlichkeit erheben könnte, jeder vielmehr
hat nur die zeitliche Gültigkeit, die die historischen Umstände
und ihr Wechsel ihm lassen.
Und diese Gültigkeit bezieht er, falls seine Setzung selbst schon
eine legitime und keine willkürliche ist, aus einer schon vorher bestehenden
Rechtsnorm, aus der die Beseitigung des alten Rechtsinhaltes mit derselben
Legalität fließt, wie sein bisheriges Bestehen. jede Rechtsverfassung
enthält also in sich die Kräfte - und zwar nicht nur die äußerlichen,
sondern auch die idealrechtlichen - zu ihrer eigenen Änderung, Ausbreitung
oder Aufhebung, so dass z. B. dasjenige Gesetz, das einem Parlamente
die Gesetzgebung überträgt, nicht nur die Legitimität eines
Gesetzes A bewirkt, das ein von demselben Parlament gegebenes Gesetz B
aufhebt, sondern es sogar zu einem rechtlichen Akte macht, wenn das Parlament
auf seine Legislation zugunsten einer anderen Instanz verzichtet.
Das heißt also, von der anderen Seite gesehen: jedes Gesetz besitzt
seine Würde als solches nur durch sein Verhältnis zu einem anderen
Gesetz, keines hat sie durch sich selbst.
Gerade wie ein neuer, und noch so revolutionärer Inhalt des Erkennens
(> 67) seine Beweisbarkeit für uns doch nur aus den Inhalten,
Axiomen und Methoden des bisherigen Erkenntnisstandes ziehen kann, wenngleich
eine erste Wahrheit als existierend angenommen werden muss, die nicht
bewiesen werden kann, die wir aber in ihrer selbstgenugsamen Sicherheit
nie erreichen können - so fehlt uns das in sich selbst ruhende Recht,
obgleich dessen Idee über der Reihe der relativen Rechtsbestimmungen
schwebt, deren jede auf die Legitimierung durch eine andere angewiesen
ist.
Freilich hat auch unser Erkennen erste Axiome, die in jedem gegebenen
Augenblick für uns nicht mehr beweisbar sind, weil es ohne diese nicht
zu den relativen Reihen abgeleiteter Beweise käme; allein jene haben
eben doch nicht die logische Dignität des Bewiesenen, sie sind nicht
in demselben Sinne für uns wahr, wie dieses es ist, und unser Denken
macht an ihnen als letzten Punkten nur so lange Halt, bis es auch über
sie zu noch Höherem hinaufkann, das dann das bisher Axiomatische seinerseits
beweist.
Entsprechend gibt es freilich absolut und relativ vorrechtliche Zustände,
in denen ein empirisches Recht aus Gewalt- oder anderen Gründen gesetzt
wird.
Allein das wird eben nicht rechtlich gesetzt; es gilt wohl als Recht,
sobald es da ist, aber dass es da ist, ist keine rechtliche Tatsache;
es fehlt ihm die Dignität alles dessen, was sich auf ein Gesetz stützt;
und es ist tatsächlich das Bestreben jeder Macht, die ein solches
rechtloses Recht setzt, irgendeine Legitimierung desselben aufzufinden
oder zu fingieren, d. h. es aus einem bereits bestehenden Rechte herzuleiten
gleichsam eine Huldigung an jenes absolute Recht, das jenseits alles relativen
steht und von diesem niemals ergriffen werden kann, sondern für uns
nur in der Form einer kontinuierlichen Ableitung jeder aktuellen Rechtsbestimmung
von einer davorliegenden sein Symbol findet.
Wenn aber auch dieser Rückgang ins Unendliche unser Erkennen nicht
in der Bedingtheit festhielte, so würde dies vielleicht einer anderen
Form seiner gelingen.
Verfolgt man den Beweis eines Satzes in seine Begründungen und
diese wieder in die ihrigen usw., so entdeckt man bekanntlich oft, dass der Beweis nur möglich, d. h. seinerseits beweisbar ist, wenn man
jenen ersten, durch ihn zu beweisenden Satz, bereits als erwiesen voraussetzt.
So sehr dies, für eine bestimmte Deduktion aufgezeigt, sie als
einen fehlerhaften Zirkelschluss illusorisch macht, so wenig ist es
doch undenkbar, dass unser Erkennen, als Ganzes betrachtet, in dieser
Form befangen wäre.
Bedenkt man die ungeheuere Zahl übereinandergebauter und sich ins
Unendliche verlierender Voraussetzungen, von denen jede inhaltlich bestimmte
Erkenntnis abhängt, so scheint es durchaus (> 68) nicht ausgeschlossen, dass
wir den Satz A durch den Satz B beweisen, der Satz B aber, durch
die Wahrheit von C, D, E usw. hindurch, schließlich nur durch die
Wahrheit von A beweisbar ist.
Die Kette der Argumentation C, D, E usw. braucht nur hinreichend lang
angenommen zu werden, so dass ihr Zurückkehren zu ihrem Ausgangspunkt
sich dem Bewusstsein entzieht, wie die Größe der Erde dem
unmittelbaren Blick ihre Kugelgestalt verbirgt und die Illusion erregt,
als könnte man auf ihr in gerader Richtung ins Unendliche fortschreiten;
und der Zusammenhang, den wir innerhalb unserer Welterkenntnis annehmen: dass wir von jedem Punkte derselben zu jedem anderen durch Beweise
hindurch gelangen können - scheint dies plausibel zu machen.
Wenn wir nicht ein für allemal dogmatisch an einer Wahrheit haltmachen
wollen, die ihrem Wesen nach keines Beweises bedürfe, so liegt es
nahe, diese Gegenseitigkeit des Sich-Beweisens für die Grundform des
- als vollendet gedachten - Erkennens zu halten.
Das Erkennen ist so ein freischwebender Prozess, dessen Elemente
sich gegenseitig ihre Stellung bestimmen, wie die Materienmassen es vermöge
der Schwere tun; gleich dieser ist die Wahrheit dann ein Verhältnisbegriff.
Dass unser Bild der Welt auf diese Weise »in der Luft schwebt«,
ist nur in der Ordnung, da ja unsere Welt selbst es tut. Das ist keine zufällige Koinzidenz der Worte, sondern Hinweisung
auf den grundlegenden Zusammenhang.
Die unserem Geiste eigene Notwendigkeit, die Wahrheit durch Beweise
zu erkennen, verlegt ihre Erkennbarkeit entweder ins Unendliche oder biegt
sie zu einem Kreise um, indem ein Satz nur im Verhältnis zu einem
anderen, dieser andere aber schließlich nur im Verhältnis zu
jenem ersten wahr ist.
Das Ganze der Erkenntnis wäre dann so wenig »wahr«,
wie das Ganze der Materie schwer ist; nur im Verhältnis der Teile
untereinander gälten die Eigenschaften, die man von dem Ganzen nicht
ohne Widerspruch aussagen könnte.
Diese Gegenseitigkeit, in der sich die inneren Erkenntniselemente die
Bedeutung der Wahrheit gewähren, scheint als Ganzes von einer weiteren
Relativität getragen zu werden, die zwischen den theoretischen und
den praktischen Interessen unseres Lebens besteht.
Wir sind überzeugt, dass alle Vorstellungen vom Seienden Funktionen
besonderer physisch -psychischer Organisation sind, die dasselbe keineswegs
mechanisch abspiegeln.
Vielmehr, die Weltbilder des Insekts mit seinen Facettenaugen, des Adlers
mit seinem Sehvermögen von einer uns kaum vorstellbaren Schärfe,
des Grottenolms mit seinen zurückgebildeten Augen, unser eigenes,
sowie die unzähligen anderen, müssen durchaus von tiefgehender
Verschiedenheit sein, woraus unmittelbar zu schließen ist, dass keines derselben (> 69) den außerpsychischen Weltinhalt in seiner
an sich seienden Objektivität nachzeichnet.
Die so wenigstens negativ charakterisierten Vorstellungen sind nun aber
Voraussetzung, Material, Direktive für unser praktisches Handeln,
durch das wir uns mit der Welt, wie sie relativ unabhängig von unserem
subjektiv bestimmten Vorstellen besteht, in Verbindung setzen: wir erwarten
von ihr bestimmte Rückwirkungen auf unsere Einwirkungen und sie leistet
uns dieselben auch, wenigstens im großen und ganzen, in der richtigen,
d. h. uns nützlichen Weise, wie sie eben solche auch den Tieren leistet,
deren Verhalten durch völlig abweichende Bilder von eben derselben
Welt bestimmt wird.
Dies ist doch eine höchst auffallende Tatsache: Handlungen auf
Grund von Vorstellungen vorgenommen, die mit dem objektiv Seienden sicherlich
keinerlei Gleichheit besitzen, erzielen aus diesem dennoch Erfolge von
einer solchen Berechenbarkeit, Zweckmäßigkeit, Treffsicherheit, dass sie bei einer Kenntnis jener objektiven Verhältnisse, wie
sie an sich wären, nicht größer sein könnten, während
andere Handlungen, nämlich die auf »falsche« Vorstellungen
hin erfolgenden, in lauter reale Schädigungen für uns auslaufen.
Und ebenso sehen wir, dass auch die Tiere Täuschungen und
korrigierbaren Irrtümern unterliegen. Was kann nun die »Wahrheit«
bedeuten, die für diese und uns inhaltlich eine ganz verschiedene
ist, außerdem sich mit der objektiven Wirklichkeit gar nicht deckt,
und dennoch so sicher zu erwünschten Handlungsfolgen führt, als
ob dies letztere der Fall wäre?
Das scheint mir nur durch die folgende Annahme erklärbar.
Die Verschiedenheit der Organisation fordert, dass jede Art, um
sich zu erhalten und ihre wesentlichen Lebenszwecke zu erreichen, sich
auf eine besondere, von den andern abweichende Art praktisch verhalten muss.
Ob eine Handlung, die von einem Vorstellungsgebilde geleitet und bestimmt
wird, für den Handelnden nützliche Folgen hat, ist also noch
keineswegs nach dem Inhalte dieser Vorstellung zu entscheiden, mag er sich
nun mit der absoluten Objektivität decken oder nicht.
Das wird vielmehr einzig davon abhängen, zu welchem Erfolg diese
Vorstellung als realer Vorgang innerhalb des Organismus, im Zusammenwirken
mit den übrigen physisch-psychischen Kräften und in Hinsicht
auf die besonderen Lebenserfordernisse jenes führt.
Wenn wir nun vom Menschen sagen, lebenerhaltend und -fördernd handle
er nur auf Grund wahrer Vorstellungen, zerstörerisch aber auf Grund
falscher - was soll diese »Wahrheit«, die für jede mit Bewusstsein
ausgestattete Art eine inhaltlich andere und für
keine ein Spiegelbild der Dinge an sich ist, ihrem Wesen nach anderes bedeuten,
als eben diejenige Vorstellung, die im Zusammenhang mit der ganzen (> 70)
speziellen Organisation, ihren Kräften und Bedürfnissen, zu nützlichen
Folgen führt?
Sie ist ursprünglich nicht nützlich, weil sie wahr ist, sondern
umgekehrt: mit dem Ehrennamen des Wahren statten wir diejenigen Vorstellungen
aus, die, als reale Kräfte oder Bewegungen in uns wirksam, uns zu
nützlichem Verhalten veranlassen. Darum gibt es soviel prinzipiell
verschiedene Wahrheiten, wie es prinzipiell verschiedene Organisationen
und Lebensanforderungen gibt.
Dasjenige Sinnenbild, das für das Insekt Wahrheit ist, wäre
es offenbar nicht für den Adler; denn eben dasselbe, auf Grund dessen
das Insekt im Zusammenhang seiner inneren und äußeren Konstellationen
zweckmäßig handelt, würde den Adler im Zusammenhange der
seinigen zu ganz unsinnigen und verderblichen Handlungen bewegen.
Diese Erkenntnisse entbehren durchaus nicht der normativen Festigkeit:
ja, jedes vorstellende Wesen besitzt eine prinzipiell festgelegte »Wahrheit«,
die sein Vorstellen im einzelnen Fall ergreifen und verfehlen kann; das
Gravitationsgesetz bleibt »wahr«, ob wir es erkennen oder nicht
- trotzdem es für Wesen mit anderer Raumbildung, Denkkategorien, Zahlsystemen
nicht wahr wäre.
Der für uns »wahre« Vorstellungsinhalt hat die eigentümliche
Struktur, zwar von unserem Wesen völlig abhängig - weil mit keinem
anders beschaffenen Wesen geteilt - zu sein, in seinem Wahrheitswert dagegen
völlig unabhängig von seiner physischen Realisierung.
Indem auf der einen Seite das Wesen mit seiner Konstitution und seinen
Bedürfnissen, auf der anderen ein objektives Sein gegeben ist, steht
ideell fest, was für dieses Wesen Wahrheit ist.
Da diese die für das Wesen günstigsten Vorstellungen bedeutet,
so findet von ihr aus eine Auslese unter seinen psychologischen Vorgängen
statt: die nützlichen fixieren sich auf den gewöhnlichen Wegen
der Selektion und bilden in ihrer Gesamtheit die »wahre« Vorstellungswelt.
Und tatsächlich haben wir gar kein anderes definitives Kriterium
für die Wahrheit einer Vorstellung vom Seienden, als dass die
auf sie hin eingeleiteten Handlungen die erwünschten Konsequenzen
ergeben.
Haben sich nun freilich erst durch die angedeutete Auslese, d. h. durch
die Züchtung gewisser Vorstellungsweisen, diese als die dauernd zweckmäßigen
gefestigt, so bilden sie unter sich ein Reich des Theoretischen, das für
jede neu auftretende Vorstellung nach jetzt inneren Kriterien über
Zugehörigkeit oder Entgegengesetztheit zu ihm entscheidet - gerade
wie die Sätze der Geometrie sich nach innerer strenger Autonomie aufeinander
aufbauen, während die Axiome und die methodischen Normen, nach denen
dieser Aufbau und das ganze Gebiet überhaupt möglich ist, selbst
nicht geometrisch erweisbar sind.
Das Ganze der Geometrie ist also gar nicht in demselben Sinne (> 71)
gültig, in dem ihre einzelnen Sätze es sind; während diese
innerhalb ihrer, einer durch den anderen, beweisbar sind, gilt Ganze nur
durch Beziehung auf ein außerhalb ihrer Gelegenes: au die Natur des
Raumes, auf die Art unserer Anschauung, auf den Zwang unserer Denknormen.
So können sich zwar unsere einzelnen Erkenntnisse gegenseitig tragen,
indem die einmal festgestellten Normen und Tatsachen zum Beweise für
andere werden, aber das
Ganze derselben hat seine Gültigkeit nur in Beziehung auf bestimmte
physisch-psychische Organisationen, ihre Lebensbedingungen und die Förderlichkeit
ihres Handelns.
Der Begriff der Wahrheit, als einer Beziehung der Vorstellungen zueinander
, die an keiner derselben als eine absolute Qualität hafte, bestätigt
sich schließlich auch dem einzelnen Gegenstande gegenüber.
Einen Gegenstand erkennen, so stellt Kant fest, heißt: in dem
Mannigfaltigen seiner Anschauung Einheit bewirken. Aus dem chaotischen
Material unseres Weltvorstellens, dem kontinuierlichen Fluss der Eindrücke,
sondern wir einzelne als zueinander gehörig aus, gruppieren sie zu
Einheiten, die wir dann als »Gegenstände« bezeichnen.
Sobald wir die Gesamtheit der Eindrücke, die zu einer Einheit zusammenzubringen
sind, wirklich in eine solche versammelt haben, so ist damit ein Gegenstand
erkannt.
Was aber kann diese Einheit anderes bedeuten, als das funktionelle Zusammengehören,
Aufeinanderhinweisen und -angewiesensein eben jener einzelnen Eindrücke
und Anschauungsmaterialien?
Die Einheit der Elemente ist doch nichts außerhalb der Elemente
selbst, sondern die in ihnen selbst verharrende, nur von ihnen dargestellte
Form ihres Zusammenseins. Wenn ich den Gegenstand Zucker dadurch als solchen
erkenne, dass ich die durch mein Bewusstsein gleitenden Eindrücke:
weiß, hart, süß, kristallinisch usw. in eine Einheit zusammenfüge,
so heißt das, dass ich diese Anschauungsinhalte als aneinander
gebunden vorstelle, dass, unter diesen gegebenen Bedingungen, ein
Zusammenhalt, d. h. eine Wechselwirkung unter ihnen besteht, dass der eine an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang da ist, weil der andere
es ist, und so wechselseitig.
Wie die Einheit des sozialen Körpers oder der soziale Körper
als Einheit nur die gegenseitig ausgeübten Attraktions- und Kohäsionskräfte
seiner Individuen bedeutet, ein rein dynamisches Verhältnis unter
diesen, so ist die Einheit des einzelnen Objekts, in deren geistiger Realisierung
seine Erkenntnis besteht, nichts als eine Wechselwirkung unter den Elementen
seiner Anschauung.
Auch in dem, was man die »Wahrheit« eines Kunstwerkes nennt,
dürfte das Verhältnis seiner Elemente untereinander sehr viel
bedeutsamer sein, gegenüber dem Verhältnis zu seinem Objekt (> 72),
als man sich klarzumachen pflegt.
Sehen wir einmal vom Porträt ab, bei dem wegen des rein individuellen
Vorwurfs das Problem sich kompliziert, so wird man von kleineren Bestandstücken
aus Werken bildender wie redender Kunst weder den Eindruck der Wahrheit
noch den der Unwahrheit empfangen, sie stehen, soweit sie isoliert sind,
noch jenseits dieser Kategorie; oder von der anderen Seite angesehen: in
Hinsicht der Ansatzelemente, von denen aus das Kunstwerk weitergebildet
wird, ist der Künstler frei; erst wenn er einen Charakter, einen Stil,
ein Farben- oder Formelement, einen Stimmungston gewählt hat, ist
der Zuwachs der weiteren Teile dadurch präjudiziert.
Sie müssen jetzt die Erwartungen erfüllen, die die zuerst
auftretenden erregt haben.
Diese mögen so phantastisch, willkürlich, irreal sein, wie
sie wollen; sobald ihre Fortsetzungen sich zu ihnen harmonisch, zusammenhängend,
weiterführend verhalten, wird das Ganze den Eindruck der »inneren
Wahrheit« erzeugen, gleichviel ob irgendein einzelner Teil desselben
sich mit einer ihm äußeren Realität deckt und damit dem
Anspruch auf »Wahrheit« im gewöhnlichen und substanziellen
Sinne genügt oder nicht.
Die Wahrheit des Kunstwerkes bedeutet, dass es als Ganzes das Versprechen
einlöst, das ein Teil seiner uns gleichsam freiwillig, gegeben hat
- und zwar jeder beliebige, da eben die Gegenseitigkeit des Sichentsprechens
jedem einzelnen die Qualität der Wahrheit verschafft.
Auch in der besonderen Nüance des Künstlerischen ist also
Wahrheit ein Relationsbegriff, sie realisiert sich als ein Verhältnis
der Elemente des Kunstwerkes untereinander, und nicht als eine starre Gleichheit
zwischen jedem derselben und einem ihm äußeren Objekt, das seine
absolute Norm bilde.
Wenn demnach Erkennen überhaupt bedeuten soll: den Gegenstand in
seiner »Einheit« erkennen, so bedeutet es, wie man andrerseits
gesagt hat, ihn in seiner »Notwendigkeit« erkennen. Beides steht in einem tiefen Zusammenhange.
Notwendigkeit ist eine Relation, durch die die gegenseitige Fremdheit
zweier Elemente zu einer Einheit wird - denn die Formel der Notwendigkeit
ist: wenn A ist, so ist B; diese notwendige Beziehung besagt, dass A und B die Elemente einer bestimmten Einheit des Seins oder Geschehens
sind - wobei »notwendige Beziehung« eine völlig einheitliche,
und nur durch die Sprache zerlegte und wieder zusammengesetzte Relation
bedeutet. jene Einheit des Kunstwerks ist ersichtlich genau dasselbe wie
diese Notwendigkeit; denn sie entsteht eben dadurch, dass die verschiedenen
Elemente des Kunstwerks sich gegenseitig bedingen, eines notwendig da ist,
wenn das andere gegeben ist und so wechselseitig.
Und nicht nur unter den so verknüpften Dingen ist die Notwendigkeit
eine Relationserscheinung (> 73), sondern an sich selbst und ihrem reinen
Begriffe nach.
Von den beiden allgemeinsten Kategorien nämlich, aus denen wir
das Erkenntnisbild der Welt bauen: dem Sein und den Gesetzen enthält
keine für sich Notwendigkeit.
Dass überhaupt eine Wirklichkeit da ist, wird durch kein Gesetz
notwendig gemacht, keinem logischen oder Naturgesetze wäre widersprochen,
wenn es überhaupt kein Dasein gäbe.
Und ebenso wenig ist es »notwendig«, dass Naturgesetze
existieren; sie sind vielmehr bloße Tatsachen, wie das Sein, und
erst wenn sie existieren, sind die ihnen unterworfenen Ereignisse »notwendig«;
es kann kein Naturgesetz geben, dass es Naturgesetze geben müsse.
Was wir Notwendigkeit nennen, besteht nur zwischen dem Sein und den
Gesetzen, es ist die Form ihres Verhältnisses.
Beides sind bloße, prinzipiell voneinander unabhängige Wirklichkeiten:
denn das Sein ist denkbar, ohne dass es unter Gesetzen steht, und
der Komplex der Gesetze würde gelten, auch wenn es kein ihm gehorsames
Sein gäbe.
Erst wenn sie beide da sind, erhalten die Gestaltungen des Seins Notwendigkeit,
mit ihr oder in ihrer Gestalt stellt sich das Sein und die Gesetze als
die Elemente einer uns unmittelbar nicht fassbaren Einheit dar: sie
ist die Relation, die sich zwischen dem Sein und den Gesetzen knüpft,
keinem von beiden für sich einwohnend, sondern nur dadurch das Sein
beherrschend, dass Gesetze sind, nur dadurch den Gesetzen als ein
Sinn und Bedeutung ihrer zukommend, dass es ein Sein gibt.
Von anderer Seite her auf dasselbe Ziel zuschreitend, kann man den Relativismus
in Hinsicht der Erkenntnisprinzipien so formulieren: dass die konstitutiven,
das Wesen der Dinge ein- für allemal ausdrückenden Grundsätze
in regulative übergehen, die nur Augenpunkte für das fortschreitende
Erkennen sind.
Gerade die letzten und höchsten Abstraktionen, Vereinfachungen
oder Zusammenfassungen des Denkens müssen den dogmatischen Anspruch
aufgeben, das Erkennen abzuschließen.
An die Stelle der Behauptung: so und so verhalten sich die Dinge - hat
in Hinsicht der äußersten und allgemeinsten Ansichten vielmehr
die zu treten: unser Erkennen hat so zu verfahren, als ob sich die Dinge
so und so verhielten.
Damit ist die Möglichkeit gegeben, Art und Weg unseres Erkennens
sein wirkliches Verhältnis zur Welt sehr adäquat ausdrücken
zu lassen.
Der Vielheit unserer Wesensseiten sowie der abhilfesuchenden Einseitigkeit
jedes einzelnen begrifflichen Ausdrucks für unsere Beziehung zu den
Dingen entspricht und entspringt es, dass kein derartiger Ausdruck
allgemein und auf die Dauer befriedigt, vielmehr historisch seine Ergänzung
durch eine gegenteilige Behauptung zu finden pflegt; wodurch in unzähligen
Einzelnen ein unsicheres (> 74) Hin- und Herpendeln, ein widerspruchsvolles
Gemenge oder eine Abneigung gegen umfassende Grundsätze überhaupt
erzeugt wird.
Wenn nun die konstitutiven Behauptungen, die das Wesen der Dinge festlegen
wollen, in heuristische verwandelt werden, die nur unsere Erkenntniswege
durch Feststellung idealer Zielpunkte bestimmen wollen, so gestattet dies
offenbar eine gleichzeitige Gültigkeit entgegengesetzter Prinzipien;
jetzt, wo ihre Bedeutung nur in den Wegen zu ihnen liegt, kann man diese
abwechselnd begehen, und sich dabei doch so wenig widersprechen, wie man
sich etwa mit dem Wechsel zwischen induktiver und deduktiver Methode widerspricht.
Erst durch diese Auflösung dogmatischer Starrheiten in die lebendigen,
fließenden Prozesse des Erkennens wird die wirkliche Einheit desselben
hergestellt, indem seine letzten Prinzipien nicht mehr in der Form des
gegenseitigen Sich-Ausschließens, sondern des Aufeinander-Angewiesenseins,
gegenseitigen Sich-Hervorrufens und Sich-Ergänzens praktisch werden.
So bewegt sich z. B. die Entwicklung des metaphysischen Weltbildes zwischen
der Einheit und der Vielheit der absoluten, alle Einzelanschauung begründenden
Wirklichkeit.
Unser Denken ist so angelegt, dass es nach jedem von beiden wie
nach einem definitiven Abschluss streben muss, ohne doch mit
einem von beiden abschließen zu können. Erst wenn alle Differenzen und Vielheiten der Dinge in einen Inbegriff
versöhnt sind, findet der intellektuell-gefühlsmäßige
Einheitstrieb seine Ruhe.
Allein sobald diese Einheit erreicht ist, wie in der Substanz Spinozas,
zeigt sich, dass man mit ihr für das Verständnis der Welt
nichts anfangen kann, dass sie mindestens eines zweiten Prinzips bedarf,
um befruchtet zu werden.
Der Monismus treibt über sich hinaus zum Dualismus oder Pluralismus,
nach dessen Setzung aber wieder das Bedürfnis nach Einheit zu wirken
beginnt; so dass die Entwicklung der Philosophie wie die des individuellen
Denkens von der Vielheit an die Einheit und von der Einheit an die Vielheit
gewiesen wird.
Die Geschichte des Denkens zeigt es als vergeblich, einen dieser Standpunkte
als den definitiven gewinnen zu wollen; die Struktur unserer Vernunft in
ihrem Verhältnis zum Objekt beansprucht vielmehr die Gleichberechtigung
beider und erreicht sie, indem sie die monistische Forderung in das Prinzip
gestaltet: jede Vielheit soweit wie möglich zu vereinheitlichen, d.
h. so, als ob wir am absoluten Monismus endigen sollten, - und die pluralistische:
bei keiner Einheit Halt zu machen, sondern jeder gegenüber nach noch
einfacheren Elementen und erzeugenden Kräftepaaren zu forschen, d.
h. so, als ob das Endergebnis ein pluralistisches sein sollte. -Ebenso
liegt es, wenn man den Pluralismus in seiner qualitativen Bedeutung: in
(> 75) die individuelle Differenziertheit
der Dinge und Schicksale, ihre Sonderung nach Wesen und Wert verfolgt.
Zwischen dieser Sonderung und der Zusammengehörigkeit unserer Daseinsmomente
pendelt unser intimstes Lebensgefühl: bald scheint einem das Leben
nur so erträglich, dass man sein Glück und seine Höhen
in reiner Absonderung von allem Leid und allem Stumpfen genießt,
wenigstens diese spärlichen Momente von jeder Berührung mit dem Darunter oder
Gegenüberliegenden frei hält.
Und dann wieder erscheint es einem als die Größe, ja die
eigentliche Aufgabe, Lust und Leid, Kraft und Schwäche, Tugend und
Sünde als eine Lebenseinheit zu fühlen, eines die Bedingung des
anderen, jedes weihend und geweiht.
In ihrer reinen Prinzipienmäßigkeit mögen diese Gegentendenzen
selten bewusst werden; aber in Ansätzen, Zielen, fragmentarischen
Betätigungen bestimmen sie fortwährend unsere Attitüde zum
Leben. Auch wenn ein Charakter ganz nach der einen dieser Richtungen hin orientiert
scheint, wird sie dennoch dauernd von der anderen gekreuzt, als Ablenkung,
Hintergrund, Versuchung.
Der Gegensatz zwischen der Individualisierung und der Vereinheitlichung
der Lebensinhalte teilt nicht die Menschen unter sich auf, sondern den
Menschen - obgleich sich seine persönlich-innerliche Form ersichtlich
in Wechselwirkung mit seiner sozialen, die sich zwischen dem individualistischen
und dem Sozialisierungsprinzip bewegt, entwickelt.
Das hier Wesentliche ist nicht die Mischung des Lebens aus diesen beiden
Richtungen, sondern ihr Aufeinander-Angewiesensein in der Form der Heuristik.
Es scheint, als ob unser Leben eine einheitliche Grundfunktion übte
oder in ihr Bestände, die wir in ihrer Einheit nicht erfassen, sondern
in Analyse und Synthese zerlegen müssen, die die allgemeinste Form
auch jenes Gegensatzes bilden und deren Zusammenwirken die Einheit des
Lebens gleichsam nachträglich wiederherstellt.
Indem nun aber das Einzelne in seiner Sonderung und Fürsichsein
ein absolutes Recht an uns und in uns beansprucht und die Einheit, die
alles Einzelne in sich zusammenführt, eben dieselbe kompromisslose Forderung erhebt, entsteht ein Widerspruch, unter dem das Leben freilich
oft genug leidet, und der dadurch zu einem logischen wird, dass jede
der Seiten zu ihrem Bestande die andere voraussetzt: keine von beiden würde
einen sachlich ausdenkbaren Sinn oder ein seelisches Interesse besitzen,
wenn nicht die andere ihr als ihr »Gegenwurf« gegenüberstände.
So entsteht hier - und ebenso in unzähligen anderen Gegensatzpaaren
- die eigentümliche Schwierigkeit: dass ein Unbedingtes bedingt
wird, und zwar durch ein anderes Unbedingtes, das seinerseits wieder von
jenem abhängt.
Dass so das (> 76) als absolut Empfundene dennoch relativ ist,
scheint mir keine andere prinzipielle Lösung zu gestatten, als dass das Absolute einen Weg bedeutet, dessen Richtung, ins Unendliche fortlaufend,
festgelegt bleibt, gleichviel wie weit die endliche Strecke ist, auf die
hin er tatsächlich begangen wird.
Die Bewegung innerhalb jedes Teilstückes, solange sie eben dauert,
verläuft so, als ob sie in den absoluten, im Unendlichen liegenden
Endpunkt münden sollte, und dieser Richtungssinn bleibt, was er ist,
auch wenn die Bewegung von irgendeinem Punkte an in eine andere Richtungslinie
alterniert, die derselben Norm unterliegt.
In dieser Form des Aufeinanderangewiesenseins der Denkrichtungen begegnen
sich allgemeine wie spezielle Erkenntniskomplexe.
Sucht man das Verständnis der Gegenwart in politischen, sozialen,
religiösen und sonstigen Kulturhinsichten, so wird es nur auf historischem
Wege zu gewinnen sein, also durch Erkenntnis und Verständnis der Vergangenheit.
Diese Vergangenheit selbst aber, von der uns nur Fragmente, stumme Zeugen
und mehr oder weniger unzuverlässige Berichte und Traditionen überkommen
sind, wird uns doch nur aus den Erfahrungen unmittelbarer Gegenwart heraus
deutbar und lebendig.
Wie viele Umbildungen und Quantitätsänderungen auch dazu erforderlich
seien, jedenfalls ist die Gegenwart, die uns der unentbehrliche Schlüssel
für die Vergangenheit ist, doch nur durch diese selbst verständlich,
und die Vergangenheit, die allein uns die Gegenwart verstehen lässt,
ohne die Anschauungen und Fühlbarkeiten eben dieser Gegenwart überhaupt
nicht zugängig.
Alle historischen Bilder erzeugen sich in dieser Gegenseitigkeit der
Deutungselemente, von denen keines das andere zur Ruhe kommen lässt:
das abschließende Begreifen ist in die Unendlichkeit hinaus verlegt,
da jeder in der einen Reihe erreichte Punkt uns zu seinem Verständnis
an die andere verweist.
Ähnlich verhält es sich mit der psychologischen Erkenntnis.
jeder uns gegenüberstehende Mensch ist für die unmittelbare Erfahrung
nur ein lauterzeugender und gestikulierender Automat; dass hinter
dieser Wahrnehmbarkeit eine Seele steckt und welches die Vorgänge
in ihr sind, können wir ganz allein nach der Analogie mit unserem
eigenen Innern erschließen, das das einzige uns unmittelbar bekannte
seelische Wesen ist.
Andrerseits wird die Kenntnis des Ich nur an der Kenntnis der Anderen
groß, ja die fundamentale Zerfällung des Ich in einen beobachtenden
und einen beobachteten Teil kommt nur nach Analogie des Verhältnisses
zwischen dem Ich und anderen Persönlichkeiten zustande.
An den Wesen außer uns, die wir nur durch die Seelenkenntnis unser
selbst deuten können, muss sich demnach eben diese Kenntnis selbst
orientieren (> 77).
So ist das Wissen um die seelischen Dinge ein Wechselspiel zwischen
dem Ich und dem Du, jedes weist von sich aus auf das andere - gleichsam
ein stetes Auswechseln und Tauschen der Elemente gegeneinander, in dem
sich die Wahrheit nicht weniger als der wirtschaftliche Wert erzeugt.
Und endlich, noch weiter ausgreifend: der neuzeitliche Idealismus leitet
die Welt aus dem Ich, ab, die Seele erschafft, gemäß ihren Rezeptivitäten
und produktiven Formungskräften die Welt, die einzige, von der wir
sprechen können und die für uns real ist.
Andrerseits aber ist diese Welt doch der Ursprung der Seele.
Von dem glühenden Stoffball, als den wir uns den früheren
Zustand der Erde denken können und der keinem Leben Raum gab, hat
eine allmähliche Entwicklung bis zu der Möglichkeit der Lebewesen
geführt und diese, zuerst noch rein materiell und seelenlos, haben
schließlich, wenn auch auf unbekannten Wegen, die Seele erzeugt.
Wenn wir historisch denken, so ist die Seele, mit all ihren Formen und
Inhalten, ein Produkt der Welt - eben dieser Welt, die doch, weil sie,
eine vorgestellte ist, zugleich ein Produkt der Seele ist.
Werden diese beiden genetischen Möglichkeiten in starrer Begrifflichkeit
fixiert, so ergeben sie einen beängstigenden Widerspruch. Anders aber,
wenn jede als ein heuristisches Prinzip gilt, das mit der anderen in dem
Verhältnis von Wechselwirkung und gegenseitigem Sich-Ablösen
steht.
Nichts steht dem Versuch im Wege, jeden beliebigen gegebenen Zustand
der Welt aus den seelischen Bedingungen herzuleiten, die ihn als einen
Vorstellungsinhalt produziert haben; ebenso wenig aber dem weiteren, diese
Bedingungen auf die kosmischen, historischen, sozialen Tatsachen zurückzuführen,
aus denen eine mit diesen Kräften und Formen ausgestattete Seele entstehen
konnte; das Bild jener, der Seele äußerlichen Tatsachen, mag
nun seinerseits wieder aus den subjektiven Voraussetzungen des naturwissenschaftlichen
und historischen Erkennens abgeleitet werden und diese wiederum aus den
objektiven Bedingungen ihrer Genesis, und so fort ins Unabsehliche.
Natürlich verläuft das Erkennen niemals in diesem reinlichen
Schema, sondern völlig fragmentarisch, abgebrochen, zufällig
mischen sich die beiden Richtungen; aber ihren prinzipiellen Widerspruch
löst die Verwandlung beider in heuristische Prinzipien, durch die
ihr Gegeneinander in eine Wechselwirkung und ihre gegenseitige Verneinung
in den unendlichen Prozess der Betätigung dieser Wechselwirkung
aufgelöst wird.
Ich füge hier nur noch zwei Beispiele an, eines sehr spezieller,
das andere sehr allgemeiner Art, in denen die Relativität, d. h. die
Gegenseitigkeit, in der sich Erkenntnisnormen ihre Bedeutung zuerteilen (> 78), entschiedener in die Form des Nacheinander, der Alternierung,
auseinandergezogen wird.
Die inhaltliche Zusammengehörigkeit von Begriffen und tiefgelegenen
Elementen des Weltbildes stellt sich häufig gerade als ein solcher
Rhythmus zeitlichwechselseitigen Sich-Ablösens dar. So lässt sich innerhalb der ökonomischen Wissenschaft
das Verhältnis zwischen der historischen und der auf allgemeine Gesetze
ausgehenden Methode auffassen.
Gewiss ist jeder wirtschaftliche Vorgang nur aus einer besonderen
historischpsychologischen Konstellation verständlich herzuleiten.
Allein solche Herleitung geschieht immer unter der Voraussetzung bestimmter,
gesetzmäßiger Zusammenhänge; wenn wir nicht oberhalb des
einzelnen Falles allgemeine Verhältnisse, durchgängige Triebe,
regelmäßige Wirkungsreihen zum Grunde legten so würde es
gar keine historische Ableitung geben können, vielmehr das Ganze in
ein Chaos atomisierter Vorkommnisse auseinanderfallen.
Nun kann man aber weiterhin zugeben, dass jene allgemeinen Gesetzmäßigkeiten,
die die Verbindung zwischen dem vorliegenden Zustand oder Ereignis und
seinen Bedingungen zu knüpfen ermöglichen, auch ihrerseits von
höheren Gesetzen abhängen, so dass sie selbst als nur historische
Kombinationen gelten dürfen; zeitlich weiter zurückliegende Ereignisse
und Kräfte haben die Dinge um und in uns in Formen gebracht, die,
jetzt als allgemein und überhistorisch gültig erscheinend, die
zufälligen Elemente der späteren Zeit zu deren besonderen Erscheinungen
gestalten.
Während also diese beiden Methoden, dogmatisch festgelegt und jede
für sich die objektive Wahrheit beanspruchend, in einen unversöhnlichen
Konflikt und gegenseitige Negation geraten, wird ihnen in der Form der
Alternierung ein organisches Ineinander ermöglicht: jede wird in ein
heuristisches Prinzip verwandelt, d. h. von jeder verlangt, dass sie
an jedem Punkte ihrer eigenen Anwendung ihre höherinstanzliche Begründung
in der anderen suche.
Nicht anders steht es mit dem allerallgemeinsten Gegensatz innerhalb
unseres Erkennens: dem zwischen Apriori und Erfahrung.
Dass alle Erfahrung außer ihren sinnlich-rezeptiven Elementen
gewisse Formen zeigen muss, die der Seele innewohnen und durch die
sie jenes Gegebene überhaupt zu Erkenntnissen gestaltet - das wissen
wir seit Kant.
Dieses, gleichsam von uns mitgebrachte Apriori muss deshalb für
alle möglichen Erkenntnisse absolut gelten und ist allem Wechsel und
aller Korrigierbarkeit der Erfahrung, als sinnlich und zufällig entstandener,
entzogen.
Aber der Sicherheit, dass es derartige Normen geben muss,
entspricht keine ebenso große, welche denn es sind.
Vieles, was eine Zeit für apriori gehalten hat, ist von einer späteren
als empirisches und historisches (> 79) Gebilde erkannt worden.
Wenn also einerseits jeder vorliegenden Erscheinung gegenüber die
Aufgabe besteht, in ihr über ihren sinnlich gegebenen Inhalt hinweg
die dauernden apriorischen Normen zu suchen, von denen sie geformt ist
- so besteht daneben die Maxime: jedem einzelnen Apriori gegenüber
(darum aber keineswegs dem Apriori überhaupt gegenüber!) die
genetische Zurückführung auf Erfahrung zu versuchen.
Dieses wechselwirkende Sich-Tragen und Aufeinander-Angewiesensein der
Methoden ist etwas völlig anderes als die billige Kompromissweisheit der Mischung und des Halb- und Halbtums der Prinzipien, bei dem der Verlust
des einen immer größer als der Gewinn des anderen zu sein pflegt;
hier handelt es sich vielmehr darum, jeder Seite des Gegensatzpaares eine
nicht zu begrenzende Wirksamkeit zu eröffnen.
Und wenngleich jede dieser Methoden immer etwas Subjektives bleibt,
so scheinen sie doch durch jene Relativität ihrer Anwendung gerade
die objektive Bedeutung der Dinge angemessen auszudrücken.
Sie fügen sich damit dein allgemeinen Prinzip ein, das unsere Untersuchungen
über den Wert leitete: Elemente, deren jedes inhaltlich subjektiv
ist, können in der Form ihrer gegenseitigen Beziehung das gewinnen
oder darstellen, was wir Objektivität nennen.
So sahen wir schon oben, wie bloße Sinnesempfindungen dadurch, dass sie aneinander haften, für uns den Gegenstand bezeichnen
oder zustande bringen.
So entsteht die Persönlichkeit - ein so festes Gebilde, dass man ihm eine besondere Seelensubstanz unterlegte - mindestens für
die empirische Psychologie durch die gegenseitigen Assoziationen und Apperzeptionen,
die unter den einzelnen Vorstellungen stattfinden; diese, verfließende
und subjektive Vorgänge, erzeugen durch ihre Wechselbeziehungen, was
in keiner von ihnen für sich allein liegt, die Persönlichkeit
als objektives Element der theoretischen und praktischen Welt.
So erwächst das objektive Recht, indem die subjektiven Interessen
und Kräfte der Einzelnen sich ausgleichen, sich gegenseitig ihre Stellung
und ihr Maß bestimmen, durch den Austausch von Ansprüchen und
Beschränkungen die objektive Form der Balancierung und Gerechtigkeit
gewinnen.
So kristallisierte aus den Einzelbegehrungen der Subjekte der objektive
wirtschaftliche Wert aus, weil die Form der Gleichheit und des Austausches
zur Verfügung stand, und diese Relationen eine Sachlichkeit und Übersubjektivität
haben konnten, die jenen Elementen als einzelnen fehlte.
So also mögen jene Methoden des Erkennens nur subjektive und heuristische
sein; aber dadurch, dass jede an der anderen ihre Ergänzung und
eben durch diese ihre Legitimierung findet, nähern sie sich - wenngleich
in (> 80) einem unendlichen Prozess des Sich-gegenseitig-Hervorrufens
dem Ideale der objektiven Wahrheit.
Es verwirklicht sich also das Wahrheit-bedeutende Verhältnis der
Vorstellungen entweder als ein Aufbau ins Unendliche, weil wir selbst bei
prinzipiell zugegebener Fundamentierung der Erkenntnis auf nicht mehr relative
Wahrheiten nie wissen können, ob wir denn wirklich an dieser sachlich
letzten Instanz angelangt sind, von jeder erreichten also wieder auf den
Weg zu einer noch allgemeineren und tieferen gewiesen werden; oder die
Wahrheit besteht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis innerhalb eben
desselben Vorstellungskomplexes, und ihre Beweisbarkeit ist eine wechselseitige.
Es sind aber diese beiden Denkbewegungen durch eine eigentümliche
Funktionsteilung verbunden.
Es scheint unvermeidlich, unser geistiges Dasein unter zwei, einander
ergänzenden Kategorien zu betrachten: seinem Inhalte nach und dem Prozess nach, der als
Bewusstseinsereignis diesen Inhalt trägt
oder verwirklicht. Die Struktur dieser Kategorien ist eine äußerst verschiedene.
Den seelischen Prozess müssen wir uns unter dem Bilde des
kontinuierlichen Fließens vorstellen, er kennt keine starren Absätze,
sondern ununterbrochen, wie in einem organischen Wachstum, fließt
ein seelischer Zustand in den nächsten über.
Unter völlig anderem Aspekt erscheinen die aus dem Prozess abstrahierten, in ideeller Selbständigkeit bestehenden Inhalte: als
ein Komplex, ein Stufenbau, ein System einzelner Begriffe oder Sätze,
entschieden eines von dem anderen abgehoben; das logisch vermittelnde Glied
zwischen je zweien zwar die Weiten des Abstandes, aber nicht seine Diskontinuität
vermindernd - wie die Stufen einer Treppe sich scharf gegeneinander absetzen
und damit doch das Mittel zu der kontinuierlichen Bewegung des Körpers
über sie bieten.
Wenn nun das Denken in seinen allgemeinsten Grundlagen und als Ganzes
angesehen, sich im Kreis zu bewegen schien, weil es sich »durch eigenes
Schweben halten« muss und kein ????? ???? hat, das ihm von außerhalb
seiner her Halt gebe - so ist damit das Verhältnis zwischen den Inhalten
des Denkens bezeichnet.
Diese sind sich gegenseitig Hintergrund, so dass jeder vom anderen
seinen Sinn und Ton erhält, diese, indem sie Paare sich ausschließender
Gegensätze bilden, fordern sich doch gegenseitig zur Herstellung des
uns erreichbaren Weltbildes, von diesen wird jeder, durch die ganze Kette
des Erkennbaren hindurch, zum Beweisgrund des anderen.
Der Prozess dagegen, in dem sich dieses Verhältnis nun psychologisch
realisiert, folgt dem kontinuierlichen, geradlinigen Verlauf der Zeit,
er geht seinem eigenen und inneren Sinne nach ins Unendliche, obgleich
der Tod des Individuums seinen Weg verendlicht.
In jene beiden Formen, (> 81) die das Erkennen
im einzelnen illusorisch, im ganzen aber gerade möglich machen, teilen
sich diese beiden Kategorien, unter die unsere Reflexion es rückt:
es verläuft nach dem Schema des regressus in infinitum, der unendlichen
Kontinuität, in eine Grenzenlosigkeit, die doch in jedem gegebenen
Augenblick Begrenztheit ist -während seine Inhalte die andere Unendlichkeit
zeigen: die des Kreises, wo jeder Punkt Anfang und Ende ist und alle Teile
sich wechselseitig bedingen.
Dass sich die Gegenseitigkeit des Bewahrheitens dem Blicke für
gewöhnlich verbirgt, geschieht aus keinem anderen Grunde, als aus
dem auch die Gegenseitigkeit der Schwere nicht unmittelbar bemerkt wird.
Da nämlich in jedem gegebenen Augenblicke die ungeheure Mehrzahl
unserer Vorstellungen unangezweifelt hingenommen wird und in ihm die Untersuchung
auf Wahrsein nur eine einzelne zu treffen pflegt, so wird die Entscheidung
über eben dieses nach der Harmonie oder dem Widerspruch mit dem bereits
vorhandenen, als gesichert vorausgesetzten Gesamtkomplex unserer Vorstellungen
getroffen - während ein anderes Mal irgendeine Vorstellung aus diesem
Komplex fraglich werden und die jetzt zu prüfende der über sie
entscheidenden Majorität angehören mag.
Das ungeheure quantitative Missverhältnis zwischen der aktuell
gerade fraglichen und der aktuell als gesichert geltenden Masse der Vorstellungen
verschleiert das Gegenseitigkeitsverhältnis hier ebenso, wie das entsprechende
bewirkte, dass man so lange nur die Anziehungskraft der Erde für
den Apfel, aber nicht die des Apfels für die Erde bemerkte.
Und wie infolgedessen ein Körper die Schwere als eine selbständige
Qualität seiner zu haben schien, weil nur die eine Seite des Verhältnisses
konstatierbar war, so mag die Wahrheit als eine den Einzelvorstellungen
an und für sich eigene Bestimmtheit gelten, weil die Gegenseitigkeit
in der Bedingtheit der Elemente, in der die Wahrheit besteht, bei der verschwindenden
Größe des einzelnen gegenüber der Masse der - im Augenblick
nicht fraglichen -Vorstellungen überhaupt unmerkbar wird. - Die »Relativität
der Wahrheit« in dem Sinne, dass all unser Wissen Stückwerk
und keines unverbesserbar sei, wird oft mit einer Emphase verkündet,
die mit ihrer allseitigen Unbestrittenheit in einem sonderbaren Missverhältnis steht.
Was wir hier unter jenem Begriffe verstehen, ist ersichtlich etwas ganz
anderes: die Relativität ist nicht eine abschwächende Zusatzbestimmung
zu einem im übrigen selbständigen Wahrheitsbegriff, sondern ist
das Wesen der Wahrheit selbst, ist die Art, auf die Vorstellungen zu Wahrheiten
werden, wie sie die Art ist, auf die Begehrungsobjekte zu Werten werden.
Sie bedeutet nicht, wie in jener (> 82) trivialen Verwendung, einen
Abzug an der Wahrheit, von der man eigentlich ihrem Begriffe nach mehr
erwarten könnte, sondern gerade umgekehrt die positive Erfüllung
und Gültigkeit ihres Begriffes.
Dort gilt die Wahrheit, trotzdem sie relativ ist, hier gerade, weil
sie es ist.
Die großen erkenntnistheoretischen Prinzipien leiden durchgehends
an der Schwierigkeit, dass sie, insoweit sie doch selbst schon Erkenntnisse
sind, ihren eigenen Inhalt dem Urteil, das sie über Erkenntnis überhaupt
fällen, unterordnen müssen und dabei entweder ins Leere fallen
oder sich selbst aufheben.
Der Dogmatismus mag die Sicherheit des Erkennens auf ein Kriterium wie
auf einen Felsen gründen - worauf aber ruht der Felsen?
Dass das Erkennen überhaupt der Sicherheit fähig ist, muss es schon voraussetzen, um diese Fähigkeit aus jenem Kriterium
herzuleiten. Die Behauptung von der Sicherheit der Erkenntnis hat die Sicherheit
der Erkenntnis zu ihrer Voraussetzung.
Ganz entsprechend mag der Skeptizismus die Unsicherheit und Täuschungschance
jedes Erkennens in ihrer prinzipiellen Unwiderleglichkeit hinstellen oder
sogar die Unmöglichkeit einer Wahrheit, den inneren Widerspruch ihres
Begriffes behaupten: diesem Resultate des Denkens über das Denken muss es doch auch dieses, das skeptische Denken selbst, unterordnen.
Hier ist wirklich der verderbliche Zirkel gegeben: wenn alles Erkennen
trügerisch ist, so ist es doch auch der Skeptizismus selbst, womit
er dann sich selbst aufhebt. Der Kritizismus endlich mag alle Objektivität, alle wesentliche
Form der Erkenntnisinhalte aus den Bedingungen der Erfahrung herleiten: dass die Erfahrung selbst etwas Gültiges ist, kann er nicht beweisen.
Die Kritik, die er an allem Transzendenten und Transzendentalen übt,
ruht auf einer Voraussetzung, gegen die sich die gleiche kritische Frage
nicht wenden kann, ohne dem Kritizismus selbst den Boden unter den Füßen
wegzuziehen.
So scheint hier den Erkenntnisprinzipien eine typische Gefahr zu drohen.
Indem das Erkennen sich selbst prüft, wird es in eigener Sache Richter,
es bedarf eines Standpunktes jenseits seiner selbst und steht vor der Wahl,
entweder seine Selbsterkenntnis von der Prüfungsnotwendigkeit oder
Normierung, die es allen anderen Erkenntnisinhalten auferlegt, zu eximieren
und damit einen Angriffspunkt in seinem Rücken zu lassen - oder sich
selbst diesen Gesetzen unterzuordnen, den Prozess selbst den Resultaten,
zu denen er selbst erst geführt hat, und damit einen zerstörenden Kreisschluss
zu begehen, wie es am klarsten jene Selbstvernichtung
des Skeptizismus zeigte.
Das relativistische Erkenntnisprinzip allein fordert für sich selbst
keine Ausnahme von sich selbst: es wird da(> 83)durch nicht zerstört, dass es selbst nur relativ gilt.
Denn mag es - historisch, sachlich, psychologisch - nur in Alternierung
und Balancierung mit anderen, absolutistischen oder substantialistischen
gelten, so ist eben dieses Verhältnis zu seinem eigenen Gegenteil
ja selbst ein relativistisches.
Die Heuristik, die nur die Folge oder Anwendung des relativistischen
Prinzips auf die Erkenntniskategorien ist, kann es sich ohne jeden Widerspruch
gefallen lassen, dass sie selbst ein heuristisches Prinzip ist.
Die Frage nach dem Grunde des Prinzips, die in dem Bereich des Prinzips
selbst nicht einbegriffen sei, wird dem Relativismus nicht verderblich,
weil er diesen Grund in das Unendliche hinausschiebt, d. h. alles Absolute,
das sich darzubieten scheint, in eine Relation aufzulösen strebt und
mit dem Absoluten, das sich als der Grund dieser neuen Relation bietet,
wieder ebenso verfährt - ein Prozess, der seinem Wesen nach keinen
Stillstand kennt und dessen Heuristik die Alternative aufhebt: das Absolute
zu leugnen oder es anzuerkennen.
Denn es ist gleichviel, ob man dies so ausdrückt: es gibt ein Absolutes,
aber es kann nur in einem unendlichen Prozess erfasst werden,
oder: es gibt nur Relationen, aber sie können das Absolute nur in
einem unendlichen Prozess ersetzen.
Der Relativismus kann das radikale Zugeständnis machen, dass es dem Geiste allerdings möglich sei, sich jenseits seiner selbst
zu stellen.
In jenen, nur an einem Gedanken haltmachenden und damit die Relation
in ihrer unendlichen Fruchtbarkeit ausschließenden Prinzipien erhob
sich der Selbstwiderspruch: dass der Geist über sich selbst richten
sollte, dass er seinem definitiven Spruch entweder selbst untertan
war oder sich ihm entzog und beides gleichmäßig ihre Geltung
entwurzelte.
Der Relativismus aber erkennt ohne weiteres an: über jedem Urteil,
das wir fällen, steht ein höheres, das entscheidet, ob jenes
recht hat; dieses zweite aber, die logische Instanz, die wir uns selbst
gegenüber bilden, bedarf selbst wieder, als ein psychologischer Vorgang
angesehen, der Legitimation durch ein höheres, an dem sich derselbe Prozess
wiederholt - sei es ins Unendliche fortschreitend, sei es
so, dass die Legitimierung zwischen zwei Urteilsinhalten alternierte
oder dass ein und derselbe Inhalt einmal als psychische Wirklichkeit,
ein andermal als logische Instanz funktionierte.
Diese Ansicht hebt nun auch den anderen Erkenntnisprinzipien gegenüber
die Gefahr der Selbstverneinung auf, in die ihre Unterordnung unter sich
selbst sie brachte.
Es ist nicht richtig, dass, wenn der Skeptizismus die Möglichkeit
der Wahrheit leugnet, diese Meinung selbst unwahr sein muss, ebenso wenig wie die pessimistische Meinung von der Schlechtigkeit alles Wirklichen
den Pessimismus selbst zu einer schlechten Theorie macht.
Denn es (> 84) ist tatsächlich die fundamentale Fähigkeit
unseres Geistes, sich selbst zu beurteilen, sein eigenes Gesetz über
sich selbst zu stellen. Dies ist nichts als ein Ausdruck oder eine Erweiterung der Urtatsache
des Selbstbewusstseins.
Unsere Seele besitzt keine substantielle Einheit, sondern nur diejenige,
die sich aus der Wechselwirkung des Subjekts und des Objekts ergibt, in
welche sie sich selbst teilt.
Dies ist nicht eine zufällige Form des Geistes, die auch anders
sein könnte, ohne unser Wesentliches zu ändern, sondern ist seine
entscheidende Wesensform selbst.
Geist haben, heißt nichts anderes als diese innere Trennung vornehmen,
sich selbst sich zum Objekt machen, sich selbst wissen zu können.
Dass es »kein Subjekt ohne Objekt, kein Objekt ohne Subjekt«
gibt, verwirklicht sich zuerst innerhalb der Seele selbst, sie erhebt sich
als die wissende über sich selbst, die gewusste, und indem sie
dieses Wissen ihrer selbst wiederum weiß, verläuft ihr Leben
prinzipiell in einem progressus in infinitum, dessen jeweilig aktuelle
Form, gleichsam sein Querschnitt, die Kreisbewegung ist: das seelische
Subjekt weiß sich als Objekt und das Objekt als Subjekt.
Indem der Relativismus als Erkenntnisprinzip sich mit der Unterordnung
unter sich selbst, die so vielen absolutistischen Prinzipien verderblich
wird, gerade von vornherein selbst beweist, drückt er nur am reinsten
aus, was er auch jenen anderen leistet: die Legitimierung des Geistes,
über sich selbst zu urteilen, ohne durch das Ergebnis dieses Urteilsprozesses,
wie es auch ausfalle, den Prozess selbst illusorisch zu machen.
Denn dieses Sich-jenseits-seiner-selbst-Stellen erscheint jetzt als
der Grund alles Geistes, er ist zugleich Subjekt und Objekt, und nur wenn
der in sich unendliche Prozess des Sich-selbst-Wissens, Sich-selbst-Beurteilens
an irgendeinem Glied abgeschnitten und dieses als das absolute allen anderen
gegenübergestellt wird, wird es zu einem Selbstwiderspruch, dass das Erkennen, das sich in einer bestimmten Weise beurteilt, zugleich, um
dieses Urteil fällen zu können, für sich eine Ausnahme von
dem Inhalt dieses Urteils beansprucht.
Man hat vielfach die relativistische Anschauung als eine Herabsetzung
des Wertes, der Zuverlässigkeit und Bedeutsamkeit der Dinge empfunden,
wobei übersehen wird, dass nur das naive Festhalten irgendeines
Absoluten, das ja gerade in Frage gestellt ist, dem Relativen diese Stellung
zuweisen könnte.
Eher liegt es in Wirklichkeit umgekehrt: durch die ins Unendliche hin
fortgesetzte Auflösung jedes starren Fürsichseins in Wechselwirkungen
nähern wir uns überhaupt erst jener funktionellen Einheit aller
Weltelemente, in der die Bedeutsamkeit eines jeden auf jedes andere überstrahlt.
Darum steht der Relativismus auch seinem extremen Gegensatz, dem (>
85) Spinozismus mit seiner allumfassenden substantia sive Deus, näher
als man glauben möchte.
Dieses Absolute, das keinen anderen Inhalt hat als den Allgemeinbegriff
des Seins überhaupt, schließt demnach in seine Einheit alles
ein, was überhaupt ist.
Die einzelnen Dinge können nun allerdings kein Sein für sich
mehr haben, wenn alles Sein seiner Realität nach schon in jene göttliche
Substanz ebenso vereinheitlicht worden ist, wie es seinem abstrakten Begriff
nach, eben als Seiendes überhaupt, eine Einheit bildet.
Alle singulären Beständigkeiten und Substanzialitäten,
alle Absolutheiten zweiter Ordnung sind nun so vollständig in jene
eine aufgegangen, dass man direkt sagen kann: in einem Monismus, wie
dem Spinozischen, sind die sämtlichen Inhalte des Weltbildes zu Relativitäten
geworden.
Die umfassende Substanz, das allein übrig gebliebene Absolute,
kann nun, ohne dass die Wirklichkeiten inhaltlich alteriert würden,
außer Betracht gesetzt werden - die Expropriateurin wird expropriiert,
wie Marx einen formal gleichen Prozess beschreibt - und es bleibt
tatsächlich die relativistische Aufgelöstheit der Dinge in Beziehungen
und Prozesse übrig.
Die Bedingtheit der Dinge, die der Relativismus als ihr Wesen konstituiert,
kann nur für eine oberflächliche Anschauung oder bei nicht hinreichend
radikalem Durchdenken des Relativismus den Gedanken der Unendlichkeit auszuschließen
scheinen.
Vielmehr ist das Umgekehrte richtig. Denn eine konkrete Unendlichkeit scheint mir nur auf zwei Wegen denkbar.
Einmal als eine auf- oder absteigende Reihe, in der jedes Glied von
einem anderen abhängt und ein drittes von sich abhängen lässt:
das mag in bezug auf räumliche Anordnung, auf kausale Energieübertragung,
auf zeitliche Folge, auf logische Ableitung stattfinden.
Was diese Reihenform ins Extensive zieht, bietet uns, zweitens, die
Wechselwirkung in kompendiöser, in sich zurücklaufender Form.
Wenn die Wirkung, die ein Element auf ein anderes ausübt, für
dieses zur Ursache wird, auf jenes erste eine Wirkung zurückzustrahlen,
die so wiedergegebene aber, ihrerseits wieder zur Ursache einer Rückwirkung
werdend, das Spiel von neuem beginnen lässt: so ist hiermit das
Schema einer wirklichen Unendlichkeit der Aktivität gegeben.
Hier ist eine immanente Grenzenlosigkeit, der des Kreises vergleichbar;
denn auch diese entsteht doch nur in der völligen Gegenseitigkeit,
mit der jeder Abschnitt desselben jedem anderen seine Stelle bestimmt -
im Unterschied gegen andere in sich zurücklaufende Linien, von denen
nicht jeder Punkt von allen immanenten Seiten her die gleiche wechselwirkende
Bestimmtheit erfährt.
Wo die Unendlichkeit in Substanz oder als das Maß eines Absoluten
eingeführt wird, bleibt sie doch immer ein sehr großes Endliches.
(> 86)
Gerade nur die Bedingtheit jedes Daseinsinhaltes durch einen anderen,
der in gleicher Weise bedingt ist - sei es durch einen dritten, an dem
sich das Gleiche wiederholt, sei es durch jenen ersten, mit dem er sich
in Wechselwirkung verschlingt - hebt die Endlichkeit des Daseins auf.
Dies also mag als Hinweisung auf einen philosophischen Standpunkt genügen,
auf dem die Mannigfaltigkeit der Dinge eine letzte Einheit der Betrachtung
zu gewinnen vermag, und die die oben gegebene Deutung des wirtschaftlichen
Wertes in den weitesten Zusammenhang einordnet.
Indem der Grundzug aller erkennbaren Existenz, das Aufeinander-Angewiesensein
und die Wechselwirkung alles Daseienden den ökonomischen Wert aufnimmt
und seiner Materie dieses Lebensprinzip erteilt, wird nun erst das innere
Wesen des Geldes verständlich.
Denn in ihm hat der Wert der Dinge, als ihre wirtschaftliche Wechselwirkung
verstanden, seinen reinsten Ausdruck und Gipfel gefunden.
Welches auch der - keineswegs feststehende - geschichtliche Ursprung
des Geldes gewesen sein möge, das eine ist jedenfalls von vornherein
sicher, dass es nicht plötzlich als ein fertiges, seinen reinen
Begriff repräsentierendes Element in die Wirtschaft eingetreten sein,
sondern sich nur aus vorher bestehenden Werten entwickelt haben kann, und
zwar derart, dass die Geldqualität, die jedem Objekte, soweit
es überhaupt tauschbar ist, in irgendeinem Maße eigen ist, sich
an einem einzelnen in höherem Maße herausgestellt hat, und es
die Funktion des Geldes zunächst noch sozusagen in Personalunion mit
seiner bisherigen Wertbedeutung ausgeübt hat.
Ob das Geld diese genetische Verbindung mit einem Werte, der nicht Geld
ist, je vollständig gelöst hat oder lösen kann, haben wir
im nächsten Kapitel zu untersuchen.
Es hat jedenfalls unendliche Irrungen veranlasst, dass man
Wesen und Bedeutung, des Geldes nicht von den Bestimmtheiten derjenigen
Werte begrifflich gesondert hat, an denen es sich, als Steigerung einer
Qualität derselben, heraufgebildet hat.
Wir aber betrachten es hier zunächst ohne jede Rücksicht auf
den Stoff, der sein substanzieller Träger ist; denn gewisse Eigenschaften,
die ihm vermittels dieses beigesellt sind, reihen das Geld noch demjenigen
Kreise von Gütern ein, dem es als Geld gegenübergestellt ist.
Schon auf den ersten Blick bildet das Geld gleichsam eine Partei, und
die Gesamtheit der mit ihm bezahlten Güter die andere, so dass,
wenn sein reines Wesen in Frage steht, man es wirklich bloß als Geld
und in Loslösung von allen ihm sekundären Bestimmungen behandeln muss, die es dieser ihm gegenüberstehenden Partei doch wieder
koordinieren. (> 87)
In diesem Sinne findet man das Geld als »abstrakten Vermögens
wert« definiert; als sichtbarer Gegenstand ist es der Körper,
mit dem der von den wertvollen Gegenständen selbst abstrahierte wirtschaftliche
Wert sich bekleidet hat, dem Wortlaut vergleichbar, der zwar ein akustisch-physiologisches
Vorkommnis ist, seine ganze Bedeutung für uns aber nur in der inneren
Vorstellung hat, die er trägt oder symbolisiert.
Wenn nun der wirtschaftliche Wert der Objekte in dem gegenseitigen Verhältnis
besteht, das sie, als tauschbare, eingehen, so ist das Geld also der zur
Selbständigkeit gelangte Ausdruck dieses Verhältnisses; es ist
die Darstellung des abstrakten Vermögenswertes, indem aus dem wirtschaftlichen
Verhältnis, d. h. der Tauschbarkeit der Gegenstände, die Tatsache
dieses Verhältnisses herausdifferenziert wird und jenen Gegenständen
gegenüber eine begriffliche - und ihrerseits an ein sichtbares Symbol
geknüpfte Existenz gewinnt.
Es ist die Sonderverwirklichung dessen, was den Gegenständen als
wirtschaftlichen gemeinsam ist - im Sinne der Scholastik könnte man
es sowohl als universale ante rein wie in re wie post rem bezeichnen -,
und deshalb äußert die allgemeine Not des Menschenlebens sich
in keinem äußeren Symbol so vollständig wie in der beständigen
Geldnot, die die meisten Menschen bedrückt.
Der Geldpreis einer Ware bedeutet das Maß der Tauschbarkeit, das
zwischen ihr und der Gesamtheit der übrigen Waren besteht.
Nimmt man das Geld in jenem reinen Sinne, der von allen Folgen seiner
konkreten Darstellung unabhängig ist, so bedeutet die Änderung
des Geldpreises, dass das Tauschverhältnis zwischen der einzelnen
Ware und der Gesamtheit der übrigen sich ändert.
Wenn ein Warenquantum A seinen Preis von einer Mark auf zwei steigert,
während alle anderen Waren B C D E den ihrigen behalten, so bedeutet
dies eine Verschiebung des Verhältnisses zwischen A und B C D E, die
man auch so ausdrücken könnte, dass diese letzteren im Preise
gefallen sind, während A den seinigen behalten hat.
Nur die größere Einfachheit des Ausdrucks lässt uns die erste Vorstellungsweise vorziehen, gerade wie wir bei der Lageveränderung
eines Körpers gegen sein Umgebungsbild sagen, er habe sich
z. B. von Osten nach Westen bewegt, während die tatsächliche
Erscheinung sich genau so zutreffend als Bewegung der gesamten Umgebung
(den Zuschauer einbegriffen) von Westen nach Osten, bei Ruhelage jenes
einen Körpers, beschreiben lässt.
Wie die Lage eines Körpers ihm nicht als eine Bestimmtheit seiner
für sich allein, sondern nur als ein Verhältnis zu anderen zukommt,
so dass bei jeder Änderung derselben ebenso gut diese anderen
wie jener selbst als das tätige oder als das passive Subjekt bezeichnet
werden können - so lässt sich jede Wertänderung (>
88) von A innerhalb des wirtschaftlichen Kosmos, da sein Wert selbst nur
in dem Verhältnis zu diesem besteht, mit gleichem Recht und nur unbequemer
als Änderung von B C D E bezeichnen.
Diese Relativität, wie sie im Naturaltausch unmittelbar praktisch
wird, kristallisiert nun zu der Ausdrückbarkeit des Wertes in Geld.
Auf welche Weise das geschehen kann, ist Sache späterer Untersuchung.
Der Satz: A ist eine Mark wert, hat aus A alles hinweggeläutert,
was nicht wirtschaftlich, d. h. nicht Tauschbeziehung zu B C D E ist; diese
Mark, als Wert betrachtet, ist die von ihrem Träger gelöste Funktion
des A in seinem Verhältnis zu den übrigen Objekten des Wirtschaftskreises.
Alles, was A an und für sich, und aus dieser bloßen Beziehung
heraustretend, sein mag, ist hier völlig gleichgültig; jedes
A1 oder A2, das von jenem qualitativ
abweicht, ist, insofern es ebenfalls eine Mark gilt, ihm gleich, weil,
oder genauer: indem es zu B C D E dasselbe Verhältnis quantitativ
bestimmten Austausches hat.
Geld ist das »Geltende« schlechthin, und wirtschaftliches
Gelten bedeutet etwas gelten, d. h. gegen etwas anderes vertauschbar zu
sein.
Alle anderen Dinge haben einen bestimmten Inhalt und gelten deshalb;
das Geld umgekehrt hat seinen Inhalt davon, dass es gilt, es ist das
zur Substanz erstarrte Gelten, das Gelten der Dinge ohne die Dinge selbst.
Indem es so das Sublimat der Relativität der Dinge ist, scheint
es selbst dieser entzogen zu sein - wie die Normen der Wirklichkeit nicht
derselben Relativität unterliegen, die die Wirklichkeit beherrschen,
und zwar nicht trotzdem, sondern gerade weil ihre Inhalte die zu selbständiger
Lebendigkeit, Bedeutung und Haltbarkeit aufgewachsenen Verhältnisse
zwischen den Dingen sind.
Alles Sein ist gesetzmäßig, aber eben deshalb sind die Gesetze,
denen es unterliegt, nicht selbst wieder gesetzmäßig - man würde
sich im Zirkel bewegen, wenn man ein Naturgesetz des Inhalts annähme, dass es Naturgesetze geben müsse - wobei ich freilich dahingestellt
lasse, ob dieser Zirkel nicht etwa dennoch als legitimer besteht, weil
er zu den fundamentalen Bewegungen des Denkens gehöre, die in sich
selbst zurück- oder auf einen im Unendlichen liegenden Zielpunkt hingehen.
So sind die Normen -mag man sie mit Plato und Schopenhauer die Ideen,
mit den Stoikern die Logoi, mit Kant das Apriori, mit Hegel die Stufen
der Vernunftentwicklung nennen -nichts als die Arten und Formen der Relativitäten
selbst, die sich zwischen den Einzelheiten der Wirklichkeit, sie gestaltend,
entwickeln.
Sie sind selbst nicht in demselben Sinn relativ, wie die ihnen untertanen
Einzelheiten, da sie deren Relativität selbst sind.
Auf dieser Grundlage wird es verständlich, dass das Geld,
als der abstrakte Vermögenswert, nichts anderes ausdrückt, als
die Relativität (> 89) der Dinge, die eben den Wert ausmacht, und
doch zugleich als der ruhende Pol den ewigen Bewegungen, Schwankungen,
Ausgleichungen derselben gegenübersteht.
Insofern es das letztere nicht tut, wirkt es eben nicht mehr seinem
reinen Begriffe nach, sondern als Einzelobjekt, das allen anderen koordiniert
ist.
Nur ganz missverständlich könnte dagegen eingewandt werden, dass in der Geldleihe und dem Wechselgeschäft doch Geld für
Geld gekauft wird, und dass es deshalb, trotzdem es hier in der Reinheit
seines Begriffes verbleibt, sich die Relativität der Einzelwerte aneignete,
die es doch nicht haben, sondern nur sein sollte.
Dass das Geld die Wertrelation der unmittelbar wertvollen Dinge
untereinander ausdrückt, enthebt es freilich dieser Relation und stellt
es in eine andere Ordnung.
Indem es die fragliche Relation mit ihren praktischen Konsequenzen verkörpert,
erhält es selbst einen Wert, mit dem es nicht nur in das Tauschverhältnis
zu allen möglichen konkreten Werten tritt, sondern mit dem es auch
innerhalb jener ihm eigenen, jenseits der Konkretheit stehenden Ordnung
Relationen unter seinen Quanten anzeigen kann.
Das eine Quantum bietet sich als gegenwärtiges, das andere als
versprochenes, das eine als in dem einen Bezirk akzeptiertes, das andere
in einem anderen - dies sind Modifikationen, die zu gegenseitigen Wertrelationen
führen, völlig unbeschadet der Tatsache, dass das Objekt,
an dessen Teilquanten sie vorgehen, als Ganzes selbst die Relation zwischen
Objekten von andersartiger Wertbedeutung darstellt.
Aus jener Doppelheit seiner Rollen - außerhalb und innerhalb der
Reihen der konkreten Werte - gehen, wie gesagt, unzählige Schwierigkeiten
in der praktischen wie in der theoretischen Behandlung des Geldes hervor.
Insoweit es das Wertverhältnis der Güter untereinander ausdrückt,
sie misst und austauschen hilft, tritt es zu der Welt der direkt nutzbaren
Güter als eine Macht ganz anderer Provenienz hinzu, sei es als schematischer
Maßstab jenseits aller Greifbarkeiten, sei es als Tauschmittel, das
sich zwischen diese letzteren aber nur schiebt, wie der Lichtäther
zwischen die Ponderabilien.
Damit es aber diese Dienste leisten kann, die auf seiner Stellung außerhalb
aller sonstigen Güter beruhen, ist es anfänglich, und dadurch, dass es sie leistet, ist es schließlich selbst ein konkreter
oder singulärer Wert.
Hiermit steigt es in die Verkettungen und Bedingungen der Reihe hinab,
der es doch zugleich gegenübersteht: es wird von Angebot und Nachfrage
in seinem Werte abhängig, seine Produktionskosten üben einen
(wenngleich minimalen) Einfluss auf diesen aus, es tritt in verschiedenwertigen
Qualitäten auf usw.
Die Verzinsung ist ein Ausdruck dieses Wertes, der ihm als (> 90) Träger
seiner Funktionen zukommt.
Oder von anderem Standpunkt her angesehen: die Doppelrolle des Geldes
ist, dass es einerseits die Wertverhältnisse der austauschenden
Waren untereinander misst, andrerseits aber selbst in den Austausch
mit ihnen eintritt und so selbst eine zu messende Größe darstellt;
und zwar misst es sich wiederum einerseits an den Gütern, die
seine Gegenwerte bilden, andrerseits am Gelde selbst; denn nicht nur wird,
wie oben schon hervorgehoben war, das Geld selbst mit Geld bezahlt, was
das reine Geldgeschäft und die zinsbare Anleihe ausdrücken, sondern
das Geld des einen Landes wird, wie die Valutaverschiebungen zeigen, zum
Wertmesser für das Geld des anderen.
Das Geld gehört also zu denjenigen normierenden Vorstellungen,
die sich selbst unter die Norm beugen, die sie selbst sind.
Alle solche Fälle ergeben primäre, wenn auch auflösbare
Verwicklungen und Kreisbewegungen des Denkens: der Kreter, der alle Kreter
als Lügner bezeichnet und so unter sein eigenes Axiom gehörend
seine eigene Aussage Lügen straft; der Pessimist, der die ganze Welt
schlecht nennt, so dass seine eigene Theorie es auch sein muss;
der Skeptiker, der wegen der grundsätzlichen Leugnung aller Wahrheit
auch die des Skeptizismus selbst nicht aufrecht erhalten kann usw.
So steht das Geld als Maßstab und Tauschmittel über den wertvollen
Dingen und, weil diese Dienste ursprünglich einen wertvollen Träger
fordern und dann ihrem Träger selbst einen Wert verleihen, reiht es
sich zwischen jene Dinge und unter die Normen ein, die von ihm selbst ausgehen.
Da nun das schließlich Gewertete nicht das Geld, der bloße
Wertausdruck, sondern die Gegenstände sind, so bedeutet Preisänderung
eine Verschiebung ihrer Verhältnisse untereinander; das Geld selbst
- immer nach dieser reinen Funktion seiner betrachtet - hat sich nicht
verschoben, sondern sein Mehr oder Weniger ist jene Verschiebung selbst,
von ihren Trägern abstrahiert und zu selbständigem Ausdrucke
geformt.
Diese Stellung des Geldes ist offenbar dasselbe, was, als innere Qualität
angesehen, seine Qualitätslosigkeit oder Unindividualität genannt
wird.
Indem es zwischen den individuell bestimmten Dingen, in inhaltlich gleichem
Verhältnis zu jedem derselben steht, muss es an sich selbst völlig
indifferent sein.
Auch hier stellt sich das Geld nur als die höchste Entwicklungsstufe
innerhalb einer kontinuierlichen Reihe dar, einer der logisch diffizilen,
für unser Weltbild aber äußerst bedeutsamen, in denen ein
Glied, obgleich durchaus nach der Formel der Reihe und als Äußerung
ihrer inneren Kräfte gebildet, dennoch zugleich aus ihr heraustritt,
als ergänzende oder beherrschende oder ihr gegenüber parteibildende
Potenz.
Den Ausgangspunkt der Reihe bilden die ganz unersetzlichen (> 91) Werte,
deren Eigenart freilich gerade durch eine Analogie zu der Geldausgleichung
leicht verwischt wird.
Für das Meiste, was wir besitzen, gäbe es einen Ersatz, wenigstens
im weitesten Sinne, so dass der Gesamtwert unserer Existenz derselbe
bliebe, wenn wir das eine verlören und dafür das andere gewönnen:
die eudämonistische Summe lässt sich durch sehr verschiedene
Elemente auf der gleichen Höhe halten.
Allein diese Austauschbarkeit versagt gewissen Dingen gegenüber,
und zwar - worauf es hier ankommt - nicht nur wegen des Glücksmaßes,
das uns kein anderer Besitz in gleicher Höhe gewähren könnte,
sondern weil das Wertgefühl sich gerade an diese individuelle Gestaltung,
nicht aber an das Glücksgefühl, das ihr mit anderen gemeinsam
ist, geheftet hat.
Nur ein irriger Begriffsrealismus, der mit dem allgemeinen Begriff als
mit dem vollgültigen Vertreter der einzelnen Wirklichkeit operiert, lässt uns glauben,
dass wir die Werte der Dinge durch Reduktion
auf einen allgemeinen Wertnenner empfinden, durch Hinleitung auf ein Wertzentrum,
in dem sie sich nur als quantitativ höhere oder niedere, in letzter
Instanz aber gleichartige darstellten.
Wir werten vielmehr das Individuelle oft genug, weil wir eben gerade
dies wollen und nichts anderes, dem wir vielleicht dasselbe oder ein höheres
Quantum von Glückswert für uns zugeben.
Feinere Empfindungsweisen unterscheiden sehr genau das Maß von
Glücksgefühl, das der bestimmte Besitz uns bereitet, durch das
er aber mit anderen vergleichbar und vertauschbar wird, von seinen spezifischen,
jenseits seiner eudämonistischen Folgen liegenden Bestimmtheiten,
durch die er uns gleichfalls wertvoll und insofern nun völlig unersetzlich
sein kann.
Dies tritt mit einer leichten Modifikation, aber doch sehr bezeichnend
hervor, wenn persönliche Affektionen oder Erlebnisse einen an sich
häufigen und fungibeln Gegenstand für uns mit Unersetzlichkeit
ausgestattet haben.
Über den Verlust eines solchen kann uns unter keinen Umständen
ein ganz gleiches Exemplar derselben Gattung trösten - sondern viel
eher vermag dies ein Gut, das völlig anderen Qualitäts- und Gefühlskomplexen
angehört, das an jenes überhaupt nicht erinnert und jede Vergleichung
mit ihm ablehnt Diese Individualform des Wertes wird in demselben Maße
negiert, in dem die Objekte tauschbar werden, so dass das Geld, der
Träger und Ausdruck der Tauschbarkeit als solcher, das unindividuellste
Gebilde unserer praktischen Welt ist.
Insoweit die Dinge gegen Geld vertauscht werden - nicht ebenso im Naturaltausch!
- haben sie an dieser Unindividualität Teil, und man kann den Mangel
jenes spezifischen Wertes an einem Dinge nicht schärfer ausdrücken,
als dass man seine Stelle durch sein Geldäquivalent ausfüllen lässt, ohne eine (> 92) Lücke zu empfinden. Das Geld ist
nicht nur der absolut fungible Gegenstand, von dem also jedes Quantum durch
beliebig andere Stücke ununterscheidbar ersetzt werden kann, sondern
es ist sozusagen die Fungibilität der Dinge in Person.
Dies sind die beiden Pole, zwischen denen alle Werte überhaupt
stehen: einerseits das schlechthin Individuelle, dessen Bedeutung für
uns nicht in irgendeinem allgemeinen, in irgendeinem anderen Objekt gleichfalls
darstellbaren Wertquantum liegt, und dessen Stelle innerhalb unseres Wertsystems
durch nichts anderes ausfüllbar ist, andrerseits das schlechthin Fungible;
zwischen beiden bewegen sich die Dinge in verschiedenen Graden der Ersetzbarkeit,
bestimmt danach, in welchem Maße sie überhaupt ersetzbar sind,
und danach, durch eine wie große Mannigfaltigkeit anderer Objekte
sie es sind.
Man kann es auch so darstellen, dass man an jedem Dinge die Seite
seiner Unersetzlichkeit und die seiner Ersetzlichkeit unterscheidet.
Von den meisten Dingen wird man sagen dürfen - worüber uns
freilich von der einen Seite die Flüchtigkeit des praktischen Verkehrs,
von der entgegengesetzten her Beschränktheit und Eigensinn oft täuschen
dass jeder Gegenstand an beiden Bestimmtheiten Teil hat; selbst das
für Geld Käufliche und durch Geld Ersetzbare dürfte bei
genauerem Hinfühlen oft doch Sachqualitäten haben, deren Wertnuance
durch keinen anderen Besitz völlig ersetzt werden kann.
Erst die Grenzen unserer praktischen Welt werden durch die Erscheinungen
bezeichnet, in denen je die eine dieser Bestimmtheiten unendlich klein
ist: auf der einen Seite die an Zahl äußerst geringen Werte,
von denen die Erhaltung unseres Ich in seiner individuellen Integrität
abhängt, bei denen also eine Tauschbarkeit nicht in Frage steht, auf
der anderen das Geld - die aus den Dingen heraus abstrahierte Tauschbarkeit
ihrer -, dessen absolute Unindividualität daran hängt, dass es das Verhältnis zwischen Individuellerem ausspricht, und zwar dasjenige,
das bei endlosem Wechsel dieses immer dasselbe bleibt.
Diese Fähigkeit des Geldes, für jeden speziell bestimmten
Wirtschaftswert einzutreten - weil sein Wesen mit keinem von ihnen, sondern
nur mit ihrem Verhältnis, in das jedes beliebige eintreten kann, verbunden
ist - trägt die Kontinuität der wirtschaftlichen Ereignisreihe.
Diese Reihe lebt gleichsam in Endosmose und Exosmose: in der Produktion
und der Konsumtion der Güter.
Aber dies ist nur ihr Material und lässt die Frage nach der
Kontinuität oder Diskontinuität ihrer Form noch offen. jede Konsumtion
reißt zunächst eine Lücke in die Stetigkeit der wirtschaftlichen
Linie und ihr Verhältnis zur Produktion ist zu wenig geregelt, zu
sehr dem Zufall preisgegeben, um den Verlauf der Linie in Ununterbrochen(>
93)heit zu halten.
Man mag diese als eine ideelle vorstellen, die sich durch die konkreten
Objekte hindurchsetzt, vergleichbar etwa der Richtung des Lichtstrahls
in ihrem Verhältnis zu den schwingenden Ätherteilchen.
In den, die hart gegeneinander abgesetzten äußeren Dinge
durchflutenden, ihre Wertbedeutungen ineinander leitenden Strom tritt nun
zur Ausgleichung jener drohenden Unterbrechung das Geld ein.
Indem ich für einen Gegenstand, den ich konsumieren will, Geld
hingebe, füge ich dieses in die Lücke der Wertbewegung, die durch
meine Konsumtionentsteht oder vielmehr entstehen würde.
Die primitiven Formen des Besitzwechsels, der Raub und das Geschenk,
lassen ihrer Idee nach diese Ergänzung der Kontinuität nicht
zu, mit ihnen stockt jedes Mal der, man möchte sagen: logische Zusammenhang
in jener ideellen Linie der wirtschaftlichen Strömung.
Erst der Tausch von Äquivalenten weiß dem Prinzip nach diesen
Zusammenhang herzustellen, und der Tatsache nach erst das Geld, das jede
im Naturaltausch nicht fortzuschaffende Ungleichheit nivellieren kann und
den Hiatus jener Linie stellvertretend füllt, der durch das Ausscheiden
des zu konsumierenden Objekts entsteht.
Diese reale Stellung innerhalb der Wirtschaftsreihe kann es aber ersichtlich
nur durch seine ideelle Stellung außerhalb ihrer gewinnen.
Denn es könnte doch wohl nicht jedes einzelne Objekt aufwiegen
und zwischen beliebig diskrepanten die Brücke sein, wenn es selbst
ein »einzelnes« Objekt wäre; in die Relationen, in deren
Gestalt sich die Kontinuität der Wirtschaft vollzieht, kann es mit
absoluter Zulänglichkeit ergänzend und ersetzend nur eintreten,
weil es, als konkreter Wert, nichts ist als die zu einer greifbaren Substanz
verkörperte Relation der Wirtschaftswerte selbst.
Weiter äußert sich dieser Sinn des Geldes empirisch als Wertkonstanz,
die ersichtlich an seiner Fungibilität und Qualitätlosigkeit
hängt und in der man eine der hervorstechendsten und zweckmäßigsten
Eigenschaften des Geldes zu erblicken pflegt.
Die Länge der wirtschaftlichen Aktionsreihen, ohne die es zu der
Kontinuität, den organischen Zusammenhängen, der inneren Fruchtbarkeit
der Wirtschaft nicht gekommen wäre, hängt von der Stabilität
des Geldwertes ab, weil diese allein weitausschauende Berechnungen, vielgliedrige
Unternehmungen, langsichtige Kredite möglich macht. Solange man nun
die Preisschwankungen eines einzelnen Objekts im Auge hat, ist es nicht
bestimmbar, ob der Wert des letzteren sich verändert und der des Geldes
stabil bleibt, oder ob es etwa umgekehrt ist; eine Konstanz des Geldwertes
ergibt sich erst als objektive Tatsache, sobald den Preiserhöhungen
einer Ware oder eines Warengebietes Preissenkungen anderer korrespondieren.
Eine all(> 94)gemeine Erhöhung sämtlicher Warenpreise würde
Erniedrigung des Geldwertes bedeuten; sobald jene stattfindet, ist also
die Konstanz des Geldwertes durchbrochen.
Möglich ist dies überhaupt nur dadurch, dass das Geld
über seinen reinen Funktionscharakter als Ausdruck des Wertverhältnisses
konkreter Dinge hinaus gewisse Qualitäten enthält, die es spezialisieren,
zu einem Marktgegenstand machen, es bestimmten Konjunkturen, Quantitätsverschiebungen,
Eigenbewegungen unterwerfen, also es aus seiner absoluten Stellung, die
es als Ausdruck der Relationen hat, in die einer Relativität hineindrängen,
so dass es, kurz gesagt, nicht mehr Relation ist, sondern Relationen
hat.
Nur in dem Maße, in dem das Geld, seinem reinen Wesen treu, alledem
entzogen ist, besitzt es Wertkonstanz, die also daran gebunden ist, dass Preisschwankungen nicht Änderungen seiner Beziehung zu den Dingen,
sondern nur sich ändernde Beziehungen der Dinge untereinander bedeuten;
und diese wiederum involvieren, dass der Erhöhung des einen eine
Erniedrigung eines anderen korrespondiert.
Soweit das Geld also die ihm wesentliche Eigenschaft der Wertstabilität
wirklich besitzt, verdankt es sie seiner Aufgabe, die wirtschaftlichen
Relationen der Dinge, oder: die Relationen, durch die die Dinge zu wirtschaftlich
wertvollen werden, in sich in reiner Abstraktheit - durch sein bloßes
Quantum - auszudrücken, ohne selbst in sie einzutreten.
Deshalb ist auch die Funktion des Geldes eine um so dringlichere, je
umfänglicher und lebhafter die Änderungen der wirtschaftlichen
Werte erfolgen.
Wo die Werte der Waren sehr entschieden und dauernd fixiert sind, liegt
es nahe, sie in natura auszutauschen.
Das Geld entspricht dem Zustand des Wechsels ihrer gegenseitigen Wertverhältnisse,
weil es für jede Änderung derselben den absolut zutreffenden
und schmiegsamen Ausdruck darbietet.
Dass der wirtschaftliche Wert eines Dinges in dem nach allen Seiten
hin bestimmten Austauschverhältnis zu allen anderen Dingen besteht,
wird ersichtlich durch die Variabilität dieser Verhältnisse am
fühlbarsten, da jede partielle Verschiebung weitere Ausgleichsbewegungen
zu fordern pflegt und so die Relativität innerhalb des Ganzen immer
von neuem bewusst macht.
Indem das Geld nichts als der Ausdruck dieser Relativität ist,
verstehen wir die anderwärts hervorgehobene Tatsache, dass Geldbedarf
mit dem Schwanken der Preise, Naturaltausch mit ihrer Fixiertheit in gewissem
Zusammenhange stehen.
Der so bestimmte reine Sinn des Geldes tritt begreiflicherweise theoretisch
wie praktisch erst mit ausgebildeter Geldwirtschaft klarer hervor; der
Träger, an dem dieser Sinn sich erst in allmählicher Entwicklung
darstellt, hält das Geld ursprünglich noch in der Reihe der (>
95) Objekte selbst zurück, deren bloßes Verhältnis es eigentlich
zu symbolisieren bestimmt ist.
Für die mittelalterliche Theorie ist der Wert etwas Objektives:
sie verlangt vom Verkäufer, er solle den »gerechten« Preis
für seine Ware fordern, und sucht diesen gelegentlich durch Preistaxen
zu fixieren; jenseits der Verhältnisse von Käufer und Verkäufer
haftete dem Dinge an und für sich sein Wert als eine Eigenschaft seiner
isolierten Natur an, mit der es in den Tauschakt eintrat.
Diese Vorstellung vom Werte - dem substanziell-absolutistischen Weltbild
der Epoche entsprechend - liegt bei naturalwirtschaftlichen Verhältnissen
besonders nahe.
Ein Stück Land für geleistete Dienste, eine Ziege für
ein Paar Schuhe, ein Kleinod für zwanzig Seelenmessen - das waren
Dinge, an die sich gewisse Intensitäten des Wertgefühles so unmittelbar
knüpften, dass ihre Werte als objektiv einander entsprechend
erscheinen konnten. je unmittelbarer der Tausch stattfindet und in je einfacheren
Verhältnissen - so dass nicht erst eine Vielheit vergleichender
Beziehungen dem Objekt seine Stellung zuweist -desto eher kann der Wert
als eine eigene Bestimmtheit des Objektes erscheinen.
Die eindeutige Sicherheit, mit der man so den Austausch vollzog, spiegelte
sich in der Vorstellung, dass sie durch eine objektive Qualität
der Dinge selbst hervorgebracht würde.
Erst die Einstellung des einzelnen Objekts in eine vielgliedrige Produktion
und nach allen Seiten hin ausgreifende Tauschbewegungen legt es nahe, seine
wirtschaftliche Bedeutung in seiner Beziehung zu anderen Objekten, und
so wechselseitig, zu suchen; dies aber fällt mit der Ausbreitung der
Geldwirtschaft zusammen.
Dass der Sinn des wirtschaftlichen Objektes als solchen in dieser
Relativität besteht und dass es der Sinn des Geldes ist, sich
immer reiner zum Ausdruck dieser Relativität zu machen - dies beides
wird erst in Wechselwirkung dem Bewusstsein näher gebracht.
Das Mittelalter nahm eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Objekte
und dem Geldpreis an, d. h. eine, die auf dem an sich seienden Wert jedes
von ihnen beruhte und die deshalb zu einer objektiven »Richtigkeit«
gebracht werden konnte und also auch sollte.
Der Irrtum dieser substanzialistischen Anschauung ist methodisch derselbe,
wie wenn man zwischen einem Individuum und dem Inhalte irgendeines Rechtes
einen unmittelbaren Zusammenhang behaupten wollte, derart, dass das
Wesen jenes Menschen, wie es an und für sich und ohne weitere Rücksicht
auf außer ihm Liegendes ist, auf diese Kompetenz einen »gerechten«
Anspruch hätte - wie es etwa in der individualistischen Vorstellung
der »Menschenrechte« geschehen ist.
In Wirklichkeit ist Recht doch nur ein Verhältnis von Menschen
untereinander und vollzieht sich (> 96) nur an den Interessen, Objekten
oder Machtvollkommenheiten, die wir einen Rechtsinhalt, »ein Recht«
im engeren Sinne nennen und die an und für sich überhaupt keine
angebbare, ihnen selbst anzusehende »gerechte« oder »ungerechte«
Beziehung zu einem Individuum haben.
Erst wenn jenes Verhältnis besteht und sich zu Normen gefestigt
hat, können diese von sich aus, einen einzelnen Menschen und einen
einzelnen Inhalt gleichsam zusammen ergreifend, die Verfügungsgewalt
jenes über diesen als eine gerechte charakterisieren.
So kann es allerdings einen gerechten Geldpreis für eine Ware geben;
aber nur als Ausdruck eines bestimmten, nach allen Seiten hin ausgeglichenen
Tauschverhältnisses zwischen dieser und allen anderen Waren, nicht
aber als Folge des inhaltlichen Wesens der Ware für sich und der Geldsumme
für sich, die sich so vielmehr ganz beziehungslos, jenseits von gerecht
und ungerecht gegenüberstehen.
Dass die Bedeutung des Geldes, die wirtschaftliche Relativität
der Objekte in sich darzustellen - wovon seine praktischen Funktionen abzweigen
-, nicht als fertige Wirklichkeit dasteht, sondern wie alle historischen
Gebilde seine Erscheinung erst allmählich zu der Reinheit des Begriffes
aufläutert, den wir als seinen Beruf und seine Stellung gleichsam
im Reiche der Ideen denken - das findet sein Gegenstück darin, dass man von allen Waren sagen konnte, sie seien in gewissem Sinne Geld. Jeder
Gegenstand b, der gegen a, und von seinem nunmehrigen Besitzer gegen c
vertauscht wird, spielt insofern, jenseits seiner Dingqualitäten,
die Rolle des Geldes: es ist der Ausdruck der Tatsache, dass b, a
und c gegeneinander vertauschbar sind und des Maßes, in dem sie es
sind.
Dies geschieht mit unzähligen Gegenständen und tatsächlich
sehen wir, je weiter wir in der Kulturentwicklung zurückgehen, eine
um so größere Zahl ganz verschiedenartiger Objekte die Funktion
des Geldes in vollkommenerer oder rudimentärerer Art ausüben.
Solange die Gegenstände noch in natura aneinander gemessen, bzw.
gegeneinander ausgetauscht werden, befinden sich ihre subjektiven und ihre
wirtschaftlich-objektiven Qualitäten, ihre absolute und ihre relative
Bedeutung noch in ungeschiedenem Zustande; sie hören in demselben
Maße auf, Geld zu sein oder sein zu können, in dem das Geld
aufhört, Gebrauchs ware zu sein.
Das Geld wird immer mehr zu einem Ausdrucke des wirtschaftlichen Wertes,
weil dieser selbst nichts ist, als die Relativität der Dinge als untereinander
tauschbarer, diese Relativität aber ihrerseits an den zum Geld werdenden
Objekten mehr und mehr Herr über deren sonstige Qualitäten wird,
bis sie schließlich nichts anderes als die substanzgewordene Relativität
selbst sind.
Wenn der Weg zum Gelde vom Naturaltausch ausgeht, so ist, (> 97) noch
innerhalb des letzteren, seine Richtung erst dann eingeschlagen, wenn man
ein einheitliches Objekt nicht gegen ein anderes einheitliches, sondern
gegen eine Mehrheit anderer tauscht.
Wenn eine Kuh für einen Sklaven, ein Gewand für einen Talisman,
ein Boot für eine Waffe gegeben wird, so ist der Prozess der
Wertabwägung noch ein völlig ungebrochener, er erfolgt nicht
durch Reduktion der Objekte auf einen Generalnenner, als dessen gleiche
Vielfache jene erst zu berechnen wären.
Nimmt man indes eine Hammelherde für ein Haus, zehn behauene Balken
für ein Schmuckstück, drei Maß Getränke für eine
Arbeitshilfe, so ist die Einheit dieser Komplexe, der Hammel, der Balken,
das Maß Getränk der gemeinsame Maßstab, dessen Vielfaches
sich, verschieden geformt, in dem einen wie in dem anderen Tauschobjekt
findet.
Bei unteilbaren Gegenständen verlässt das Wertgefühl
psychologisch nicht so leicht die festumschriebene Einheit des einzelnen.
Sobald aber darum gefeilscht wird, ob das Schmuckstück nicht vielleicht
zwölf oder nicht vielleicht nur acht Balken wert sei, wird auch der
Wert des Schmuckes, trotz dessen äußerer Unzerlegbarkeit, durch
den Wert eines Balkens gemessen, und es erscheint möglich, ihn aus
dem Achtfachen, dem Zwölffachen und schließlich dem Zehnfachen
dieses letzteren zusammenzusetzen.
Dadurch wird der Wert beider Tauschgegenstände in ganz anderem
Sinne gegeneinander kommensurabel, als wo keine derartige Zerlegung des
einen Tauschobjekts beide dem Werte nach durch eine und dieselbe Einheit
ausdrückbar machte.
Im Tausch gegen Geld ist diese Kombination nur auf ihre höchste
Form gebracht, Geld ist dasjenige teilbare Tauschobjekt, dessen Einheit
sich für den Wert jedes noch so unteilbaren Gegenobjekts kommensurabel
erweist und dadurch die Lösung des abstrakten Wertes in diesem von
seiner Fesselung an seinen konkret-speziellen Inhalt erleichtert, oder
auch: sie voraussetzt.
Die Relativität der Wirtschaftsobjekte gegeneinander, die bei dem
Tausch von Unteilbarkeiten psychologisch schwerer erkannt wird - weil hier
jeder sozusagen einen in sich geschlossenen Wert besitzt - tritt durch
die Zurückführung auf einen gemeinsamen Wertnenner, zuhöchst
also auf das Geld, größer hervor.
Wir sahen früher, dass erst die Relativität den Wert
der Objekte im objektiven Sinne schafft, weil erst durch sie die Dinge
in eine Distanz vom Subjekt gestellt werden.
Auch für diese beiden Bestimmungen ist das Geld Gipfel und Verkörperung,
damit ihren Zusammenhang aufs neue beweisend.
Indem das Geld niemals unmittelbar genossen werden kann (die später
zu behandelnden Ausnahmen negieren sein eigentliches Wesen!), entzieht
es sich selbst (> 98) jeder subjektiven Beziehung; das jenseits des Subjekts,
das der wirtschaftliche Verkehr überhaupt darstellt, ist in ihm vergegenständlicht,
und es hat deshalb auch von allen Inhalten desselben die sachlichsten Usancen,
die logischsten, bloß mathematischen Normen, die absolute Freiheit
allem Persönlichen gegenüber in sich ausgebildet.
Weil es bloß das Mittel für die eigentlich assimilierbaren
Objekte ist, steht es seinem inneren Wesen nach in einer nicht aufzuhebenden
Distanz zu dem begehrenden und genießenden Ich; und insofern es das
unentbehrliche Mittel ist, das sich zwischen dieses und die Objekte schiebt,
rückt es auch die letzteren in eine Distanz von uns; es hebt zwar
diese selbst wieder auf, aber indem es dies tut, und jene dem subjektiven
Verbrauch übermittelt, entzieht es sie eben dem objektiv wirtschaftlichen
Kosmos.
Der Abstand, der das Subjektive und das Objektive aus ihrer ursprünglichen
Einheit voneinandergetrieben hat, ist im Geld sozusagen körperhaft
geworden - während andrerseits sein Sinn ist, getreu der oben behandelten
Korrelation von Distanz und Nähe, uns das sonst Unerreichbare nahe
zu bringen.
Die Tauschbarkeit, durch die es überhaupt erst wirtschaftliche
Werte gibt, indem diese durch jene ihr objektives Füreinandersein
erhalten, und die doch die Entfernung des Ausgetauschten und die Annäherung
des Eingetauschten in einem Akt zusammenschließt, hat in dem Gelde
nicht nur ihr technisch vollendetstes Mittel, sondern eine eigne, konkrete,
alle Bedeutungen jener in sich sammelnde Existenz gewonnen.
Dies ist die philosophische Bedeutung des Geldes: dass es innerhalb
der praktischen Welt die entschiedenste Sichtbarkeit, die deutlichste Wirklichkeit
der Formel des allgemeinen Seins ist, nach der die Dinge ihren Sinn aneinander
finden und die Gegenseitigkeit der Verhältnisse, in denen sie schweben,
ihr Sein und Sosein ausmacht.
Es gehört zu den Grundtatsachen der seelischen Welt, dass wir Verhältnisse zwischen mehreren Elementen des Daseins in besonderen
Gebilden verkörpern; diese sind freilich auch substanzielle Wesen
für sich, aber ihre Bedeutung für uns haben sie nur als Sichtbarkeit
eines Verhältnisses, das in loserer oder engerer Weise an sie gebunden
ist.
So ist der Ehering, aber auch jeder Brief, jedes Pfand, wie jede Beamtenuniform,
Symbol oder Träger einer sittlichen oder intellektuellen, einer juristischen
oder politischen Beziehung zwischen Menschen, ja, jeder sakramentale Gegenstand
das substanziierte Verhältnis zwischen dem Menschen und seinem Gott;
die Telegraphendrähte, die die Länder verbinden, sind nicht weniger
als die militärischen Waffen, die ihre Entzweiung ausdrücken,
derartige Substanzen, die kaum eine Bedeutung für den Einzelmenschen
als solchen, (> 99) sondern einen Sinn nur in den Beziehungen zwischen
Menschen und Menschengruppen haben, die in ihnen kristallisiert sind.
Gewiss kann die Vorstellung der Beziehung oder des Verhältnisses
schon als eine Abstraktion gelten, insofern nur die Elemente real sind,
deren wechselseitig bewirkte Zustände wir so zu eignen Begriffen zusammenfassen;
erst die metaphysische Vertiefung, die das Erkennen in seiner empirischen
Richtung, aber über seine empirischen Grenzen hinaus verfolgt, mag
auch diese Zweiheit aufheben, indem sie überhaupt keine substanziellen
Elemente mehr bestehen lässt, sondern jedes derselben in Wechselwirkungen
und Prozesse auflöst, deren Träger demselben Schicksal unterworfen
werden.
Das praktische Bewusstsein aber hat die Form gefunden, um die Vorgänge
der Beziehung oder der Wechselwirkung, in der die Wirklichkeit verläuft,
mit der substanziellen Existenz zu vereinigen, in die die Praxis eben die
abstrakte Beziehung als solche kleiden muss. jene Projizierung bloßer
Verhältnisse auf Sondergebilde ist eine der großen Leistunger,
des Geistes, indem in ihr der Geist zwar verkörpert wird, aber nur
um das Körperhafte zum Gefäß des Geistigen zu machen und
diesem damit eine vollere und lebendigere Wirksamkeit zu gewähren.
Mit dem Gelde hat die Fähigkeit zu solchen Bildungen ihren höchsten
Triumph gefeiert.
Denn die reinste Wechselwirkung hat in ihm die reinste Darstellung gefunden,
es ist die Greifbarkeit des Abstraktesten, das Einzelgebilde, das am meisten
seinen Sinn in der Übereinzelheit hat; und so der adäquate Ausdruck
für das Verhältnis des Menschen zur Welt, die dieser immer nur
in einem Konkreten und Singulären ergreifen kann, die er aber doch
nur wirklich ergreift, wenn dieses ihm zum Körper des lebendigen,
geistigen Prozesses wird, der alles Einzelne ineinander verwebt und so
erst aus ihm die Wirklichkeit schafft.
Diese Bedeutung seiner würde sich nicht ändern, auch wenn
die Gegenstände der Wirtschaft die Relativität ihres Wertes nicht
von vornherein, sondern erst als ein Entwicklungsziel besäßen.
Denn den Begriff, mit dem wir das Wesen einer Erscheinung definieren,
können wir häufig gar nicht aus ihr selbst, sondern nur aus einer
vorgeschritteneren und reineren schöpfen.
Das Wesen der Sprache werden wir nicht den ersten Stammellauten des
Kindes entnehmen; an einer Definition des tierischen Lebens wird es uns
nicht irre machen, wenn sie an den Übergangswesen von der Pflanze
her nur sehr unvollkommen verwirklicht ist; erst an den höchsten Erscheinungen
des Seelenlebens erkennen wir oft den Sinn seiner niederen, trotzdem wir
ihn an diesen selbst vielleicht überhaupt nicht nachweisen können;
ja, der reine Begriff einer Erscheinungsreihe ist oft ein Ideal, das in
ihr selbst nirgends restlos (> 100) verwirklicht ist, aber dennoch dadurch, dass
sie ihm zustrebt, ihren Sinn und Gehalt gültig deutet.
So ist die Bedeutung des Geldes: die Relativität der begehrten
Dinge, durch die sie zu wirtschaftlichen Werten werden, in sich darzustellen
- dadurch nicht verneint, dass es noch andere, jene herabsetzende
und verundeutlichende Seiten besitzt.
Insofern diese an ihm wirken, ist es eben nicht Geld.
Wenn der wirtschaftliche Wert in dem Tauschverhältnis von Objekten
gemäß unserer subjektiven Reaktion auf sie besteht, so entwickelt
sich eben ihre wirtschaftliche Relativität erst allmählich aus
ihrer anderweitigen Bedeutung und kann in ihrem Gesamtbilde, oder auch
Gesamtwerte, nie völlig über diese Herr werden.
Der Wert, der den Dingen durch ihre Tauschbarkeit zuwächst, bzw.
diese Metamorphose ihres Wertes, durch die er zu einem wirtschaftlichen
wird, tritt zwar mit der extensiven und intensiven Steigerung der Wirtschaft
immer reiner und mächtiger an den Dingen hervor - eine Tatsache, die
Marx als das Ausgeschaltetwerden des Gebrauchswertes zugunsten des Tauschwertes
in der warenproduzierenden Gesellschaft ausdrückt -, aber diese Entwicklung
scheint nie zu ihrer Vollendung kommen zu können.
Nur das Geld, seinem reinen Begriff nach, hat diesen äußersten
Punkt erreicht, es ist nichts als die reine Form der Tauschbarkeit, es
verkörpert das Element oder die Funktion an den Dingen, durch die
sie wirtschaftliche sind, die zwar nicht ihre Totalität, wohl aber
die seine ausmacht.
Inwieweit nun die historische Verwirklichung des Geldes diese Idee seiner
darstellt, und ob es nicht in jener noch mit einem Teil seines Wesens nach
einem anderen Zentrum gravitiert - sollen die Untersuchungen des nächsten
Kapitels darstellen. (> 101)
|