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Gibt es in der Schweiz noch
konfessionelle politische Kulturen? Einige überraschende Befunde
aus einer diachronen Studie über lokale Parteien April 2004 1. Theoretische Vorbemerkungen 2. Die Schweiz als fruchtbarer Boden für konfessionelle Kulturen
1. Theoretische Vorbemerkungen Obwohl Lipset und Rokkan
(1985) überzeugend dargelegt haben, dass in den Parteiensystemen westlicher
Länder nach wie vor längst überlebte Cleavages
(auch religiöser Natur) konserviert geblieben sind, ist es nicht sehr
zeitgemäss, den "religiösen Faktor“, dem Gerhard Lenski
anfangs der 60er-Jahre noch soviel Erklärungskraft zuschreiben konnte, ins
Zentrum komparativer politischer Forschungsprojekte zu stellen. Immerhin hat
auch die neuere empirische Forschung manche Hinweise dafür erbracht, dass
manche Aspekte politischen Verhaltens und politischer Kultur nach wie vor
durch Mentalitäten mitgeprägt werden, die im Milieu des Protestantismus und
Katholizismus ihren Ursprung haben. In seiner internationalen Vergleichsstudie kommt beispielsweise Esping-Anderson zum Schluss, dass die sozialen
Wohlfahrtssysteme katholischer „Kernländer“ (Italien, Frankreich, Belgien und
Österreich) in konsistenter Weise „konservativere“ Züge aufweisen als jene
der „liberaleren“ Angelsächsischen Staaten oder der „sozialistischen“ Länder
im skandinavischen Raum. Dieser Konservativismus zeigt sich beispielsweise
Zumindest die korporatistischen
und subsidiären Elemente können auf die offizielle Soziallehre der
Katholischen Kirche zurückgeführt werden, die in den Papstenzykliken „Rerum Novarum“ von 1891 und „Quadrogesimo
Anno“ (1931) ihren verbindlichen Ausdruck gefunden hat. Die etatistische Komponente steht
eher im Einklang mit bahnbrechenden historischen Analyse Guy E. Swansons, derzufolge katholische Länder im Staat eher ein
identitätsstiftendes Repräsentationsorgan der Gesellschaft als Ganzes sehen,
während er in protestantischen Ländern eher als eine Arena konzipiert wird,
innerhalb der Machtkämpfe zwischen partikularistischen Interessen ausgetragen
werden (Swanson 1967: passim). Analog dazu glaubt auch Castles, innerhalb Europas eine „catholic
family of Nations“ identifizieren zu können, die
sich gegenüber protestantischen Ländern durch eine Reihe von Besonderheiten
im Bereich der Sozial- und Bildungspolitik, des Arbeitsmarktes und der
Rollenteilung zwischen den Geschlechtern profiliert. Im besonderen
zeigen seine Untersuchungen, dass katholische Länder bei Kontrolle des
Wohlstandsniveaus relativ höhere Prozentanteile ihres Bruttoinlandprodukts
für Sozialversicherungszwecke ausgeben, und dass sich dieser Vorsprung
Zeitintervall zwischen 1960 und 1990 eher noch ausgeweitet hat (Castles 1994). [1] [1] Bei seinem transnationalen Vergleich individueller
Wertorientierungen kam Andrew Greeley zum Schluss, dass
Katholiken „kommunalistischen“, auf soziale Integration ausgerichteten Normen
und Werten (z. B. Solidarität, Loyalität, gehorsam, Geduld) einen höheren
Rang beimessen, während bei Protestanten Werte individueller Autonomie und
Selbstverantwortung (wie z. B. Leistungsorientierung, Kreativität,
persönliche Integrität u.a.) im Vordergrund stehen
(Greeley 1989). Auch diese Befunde können zwanglos auf den jeweiligen (moral)theologischen Hintergrund der beiden Konfessionen
bezogen werden, auf das katholische „Gemeinwohlprinzip“, das beispielsweise
von reichen Privateigentümern die Wahrnehmung von sozialen
Solidaritätspflichten und „sozialer Verantwortung“ fordert (Messner 1956),
und der vielzitierte protestantische „Individualismus“, wie er von Durkheim
als Erklärungsgrund für Suizid, von Max Weber als Motivationsquelle für
kapitalistisches Gewinnstreben und von Schmidtchen als Disposition für
ausserinstitutionelle politische Bewegungsaktivitäten (Schmidtchen 1973) in
Anspruch genommen wurde. Ähnlich wie Castles neigt auch Greeley zur Ansicht, dass derartige konfessionelle
Divergenzen auch unter Bedingungen der modernen Gesellschaft keineswegs
verschwinden, da sie auch in jüngeren Alterskohorten und in gebildeteren Segmenten der Bevölkerung unvermindert stark
ausgeprägt sind. Damit widerspricht er diametral allen populären Theorien der
„Säkularisierung“, die es für selbstverständlich halten, dass als Folge
abnehmender Kirchentreue und geringerer manifester Präsenz der Religion im
Alltagsleben auch konfessionell geprägte politische Kulturen zum Verschwinden
verurteilt seien - so dass sie heute höchstens noch als Residuen in
traditionellen Kontexten auffindbar seien. Die Voreiligkeit derartiger Generalisierungen wird allerdings
schon in der Tatsache deutlich, dass konfessionelle Spaltungen in vielen
modernen Parteisystemen nach wie vor gegenwärtig sind, indem sie auch heute
noch das Wahlverhalten weiter Bevölkerungskreise präformieren
(Lipset/Rokkan 1985, Lijphart
1979). So gilt beispielsweise für Deutschland, dass die
Präferenzen der Katholiken für die CDU und der Protestanten für die SPD im
Zeitraum zwischen 1953 und 1983 keineswegs abgenommen haben (Schmidt 1984) [1] [2]. Paradoxerweise zeigen Schmidts
Ergebnisse, dass konfessionelle Einflüsse ausgerechnet innerhalb der weniger
religiösen Mitgliederkreise (!) der beiden Konfessionen besonders virulent
geblieben sind. (Schmitt 1984:39). Dieser Befund spricht stark für die
Vermutung, dass politische Mentalitäten und Verhaltensdispositionen konfessionellen
Ursprungs nach wie vor aufrechterhalten und (durch Mechanismen impliziter
Sozialisation) tradiert werden können, auch wenn die expliziten religiösen
Glaubensweisen, Frömmigkeitspraktiken und Institutionen, denen sie ihre
Entstehung verdanken, kaum mehr gegenwärtig und wirksam sind. Im Einklang damit hat Detlev Pollack festgestellt, dass auch in
der Bevölkerung der EX-DDR nach der Vereinigung
konfessionelle Parteipräferenzen aufgetreten sind, die die lange Phase
antireligiöser kommunistischer Herrschaft offenbar unbeschadet überstanden
haben. A fortiori darf in liberalen westlichen
Kontexten mit dem langfristigen Überleben derartiger Muster gerechnet werden. Ronald Inglehart vertritt die Ansicht, dass mit der Abschwächung
des traditionellen „class voting“
und dem Wechsel von „materialistischen“ zu „postmaterialistischen“ Werten
günstige Voraussetzungen für eine Revitalisierung religiöser Einflussfaktoren
geschaffen würden (zumindest in dem Sinne, dass sie im Verhältnis zu den
schwindenden sozio-strukturellen Determinanten
politischen Verhaltens relativ stärker in Erscheinung treten (Inglehart 1989: 377ff.).
Evident ist, dass aufgrund dieser Entwicklungen Wertkonflikte zwischen
religiösen und areligiösen Bevölkerungssegmenten in gewissen Entscheidungsfragen
(z. B. Abtreibung) stärker in Erscheinung treten; aber unter bestimmten
Bedingungen wäre auch denkbar, dass interkonfessionelle Divergenzen davon
profitieren. Bei der Suche nach solchen Bedingungen können wir aus der durch
zahlreiche historische Untersuchungen belegten Regularität
Nutzen ziehen, dass die Genese konfessioneller Kulturen nicht in
deterministischer Weise mit konfessionellen Glaubensweisen und Praktiken in
Zusammenhang steht, sondern vor allem von der strukturellen Position der
entsprechenden Bevölkerungsgruppen innerhalb der Gesamtgesellschaft abhängig
ist. So lässt sich zeigen,
dass Katholiken in Ländern, in denen sie die überwältigende Mehrheit bilden,
kein Bedürfnis nach einer konfessionellen Kultur entwickeln, sondern sich
meist bereitwillig mit Regimes nationalistischer oder sogar faschistischer
Prägung arrangieren (z. B. in Italien, Spanien, Portugal, Österreich und
Kroatien) (Martin 1978: 120ff.). Als Minderheiten
hingegen tendieren sie regelmässig dazu, ihre religiöse Identität durch den
Aufbau eigener Organisationen (Parteien, Gewerkschaften, vereine und
Verbände) zu verteidigen: sei es, dass um die Gläubigen in eine
infrastaatliche katholische Subkultur (bzw. „Subgesellschaft“ in der
Terminologie Urs Altermatts) integrieren, sei es, um zumindest innerhalb
begrenzter substaatlicher Territorien formelle Autonomierechte (vor allem im
Religions-, Kultur- und Bildungsbereich) zu erlangen (Altermatt 1989; Nell-Breuning 1980: 24; Martin 1978: 20). Aus nicht leicht ersichtlichen Gründen war die Tendenz zu einer segregativen, auf Abschliessung bedachten katholischen
Subgesellschaft in den kontinentaleuropäischen Ländern stärker als im
angelsächsischen Bereich, wo immer ein offener "integrativer"
Katholizismus" vorherrschend war (White 1981: passim). Im Zeitraum zwischen
1945 und 1960 hat die katholische Subkultur ihre maximale Ausprägung
erreicht: basierend auf einem reich ausgestalteten kirchlichen Leben und
zahlreichen konfessionell gebundenen Parteien, Medien, Vereinen und
Verbänden, die auf die Sozialisation, das Denken und Verhalten der Gläubigen
sowie auf die gesamtgesellschaftliche Stellung der Katholiken einen grossen
Einfluss hatten (Altermatt 1981: passim). Wenn die
Kluft zwischen einem eher apolitischindividualistischen Protestantismus und
einer kommunalistisch-politischem Katholizismus auch bis zur Reformation
zurückreichen mag, so besteht doch Grund zur Vermutung, dass er in diesen
ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg eine besonders
Akzentuierung erfahren hat, die möglicherweise - zumindest bei der älteren
Generation - noch heute nachwirken mag (Schmitt 1984: 33). Mit andern Worten: gerade der moderne liberale Staat hat
paradoxerweise interkonfessionelle Divergenzen begünstigt (bzw. katalysiert),
indem die Protestanten eher aus den dem Individuum zugewachsenen
Freiheitsrechten (z. B. im Bereich ökonomischen Handelns), die Katholiken
hingegen eher aus den Rechten kollektiver Selbstbestimmung (Versammlungs- und
Assoziationsfreiheit) Nutzen gezogen haben. Indem die Gläubigen in konfessionelle Institutionen und
Vereinigungen verschiedenster Art einbezogen wurden, ist es den Katholiken
auch dort, wo sie die Minorität bildeten, eine Zeitlang gelungen, ihre
konfessionelle Identität selbst in einem areligiös-"modernistischen"
Umfeld zu festigen, die unteren Sozialschichten und ruralen
Bevölkerungssegmente in eine homogene, vom Papst und Klerus geleiteten
religiöse Kirchengemeinschaft zu integrieren, viele ihrer Anhänger für
öffentlichkeitsbezogene und politische Aktivitäten zu mobilisieren, und nicht
zuletzt eigene christlich-demokratische (bzw. christlich-soziale) politische
Ziele und Programme zu artikulieren, die zwischen dem individualistischen
Liberalismus einerseits und dem atheistischen Sozialismus andererseits eine
Mittelposition markierten. Vor allem die von Papst Leo XIII 1891 verkündete Enzyklika
"Rerum Novarum" hat den Katholiken einen
Weg eröffnet, um für die Beseitigung der Armut und die Interessen der Arbeiterschaft
zu kämpfen, ohne sich dadurch mit der politischen "Linken" (im
klassisch sozialistischen Wortsinne) zu solidarisieren. Analog dazu haben
neuere Enzykliken die Grundlage geschaffen, um die umweltpolitischen Anliegen
der "Neuen Sozialen Bewegungen" in die katholische Moraltheologie
zu integrieren und (z. B. "Octogesimo adveniatur" 1972) oder um progressive, auf
Beseitigung globaler Ausbeutungsverhältnisse ausgerichtete politische
Engagements zu legitimieren (Sollicitudo rei socialis 1987). Weltweit wie auch innerhalb vieler Einzelländer wird die
Aufnahmebereitschaft der Katholiken für "linke" politische Ideen
zweifellos dadurch alimentiert, dass sie zu den marginaleren, ärmeren,
relativ stark von Ausbeutung bedrohten Bevölkerungssegmenten gehören. Gleichzeitig aber werden
diese Ideen in ein institutionell verankertes und betreutes Ideengebäude von
hoher Komplexität kanalisiert, so dass extremistische Positionen (nach links
wie nach rechts) keinerlei Legitimationsbasis besitzen. In diesem Sinne hat man
beispielsweise die relativ geringe Unterstützung der Katholiken für Hitler
und die NSDAP damit erklärt, dass die "Zentrumspartei" ihnen in
sehr hohem Masse politische Führung und Integration geboten habe (Schmitt
1984:26) [1] [3]. Offensichtlich haben dieselben
Strukturen, die ursprünglich zum Schutz gegen Sozialismus und Kommunismus
aufgebaut worden sind, nachträglich auch eine gewisse Schutzwirkung gegen
totalitäre Strömungen rechtsextremer Provenienz entfaltet. Ganz offensichtlich hat der Protestantismus keine analogen
kollektiven Strukturen und Ideologien erzeigt, die fähig gewesen wären, mit
denjenigen des bürgerlichen Liberalismus einerseits und des linken
Sozialismus und Oekologismus andererseits zu
konkurrieren. Dementsprechend war es diesen beiden polar entgegengesetzten
Strömungen widerstandslos möglich, miteinander praktisch die gesamte
politische Arena zu dominieren. Ernst Troeltsch war der Meinung, dass
Protestanten für generell für die Übernahme beliebiger neuer modischer
Strömungen und Ideologien besonders anfällig seien, weil sie ihnen als
ungeschützte Einzelindividuen begegnen würden - nicht wie Katholiken als
Mitglieder schützender konfessioneller Kollektive und Kulturen (Troeltsch 1928: 307ff.). In
diesem Sinne hätten sie beispielsweise ohne Zögern die Autorität des
absolutistischen Staates am Ende des Mittelalters akzeptiert (Troeltsch 1928: 314ff.), sich
im 18. und 19. Jh. distanzlos mit den Ideen des ökonomischen und politischen
Liberalismus identifiziert, und sich nach dem Ersten Weltkrieg ebenso
entschieden auf die Seite totalitärer Bewegungen geschlagen In derselben
Blickrichtung hat Schmidtchen argumentiert, dass die Protestanten auch in
jüngerer Zeit die "politischen Trend-Setter" geblieben seien: z. B.
durch ihre Pionierrolle in den ökologistischen, feministischen und
pazifistischen Bewegungen der 70er-Jahre und bei der Ausbreitung
unkonventioneller, ausserinstitutioneller Formen politischer Partizipation
(Schmidtchen 1984: 17). Generell kann in einer Bevölkerung von Protestanten mit einer
hohen Streuung und Polarisierung politischer Einstellungen gerechnet werden,
weil die individualistischen Normen dafür sorgen, dass sich persönliche
Präferenzen wie auch statusbedingte Interessenlagen unvermittelt und unvermindert
ausdrücken können. Unter Katholiken ist hingegen mehr Konvergenz zu erwarten,
weil derartige Divergenzen die Einbindung in gemeinsame Wert- und
Normstrukturen nivelliert werden, die sowohl auf sozialer wie auf politischer
Ebene Konsens und Solidarität verlangen (Schmitt 1984: 30). 2. Die Schweiz als fruchtbarer Boden für
konfessionelle Kulturen Im Falle der Schweiz haben aus verschiedenen historischen
Gründen besonders günstige Rahmenbedingungen für die Entstehung
konfessionsspezifischer Subkulturen bestanden: Erstens sind unter dem Einfluss von Zwingli und Calvin zumindest in
einigen Landesteilen besonders radikale religiöse Reformen wirksam geworden,
die ausgeprägte Spannungen und Konflikte mit dem orthodoxen Katholizismus der
traditionelleren Kantone (z. B. in der Zentralschweiz) schufen (im Hof 1991).
So war es verständlich, dass interkonfessionelle Kriege länger als in den
meisten andern Europäischen Ländern angehalten haben (bis zum zweiten
Villmergenkrieg von 1712, wo die Protestanten schliesslich die Oberhand
behielten). Zweitens war die Gründung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (1848)
von erheblichen interkonfessionellen Spannungen begleitet, weil die -
weitgehend im ländlichen und gebirgigen Raum beheimateten - Katholiken sich
der Herrschaft der industrialisierten protestantischen Flachlandkantone
ausgeliefert sahen. Als Folge entstand der sezessionistisch motivierte
"Sonderbundskrieg", der nur beendet werden konnte, indem man zu
einem System des kantonalen Föderalismus überwechselte, das den Katholiken
innerhalb ihrer angestammten Territorien weitgehende politisch-administrative
Autonomierechte (z. B. im sensiblen Bereich der Kultur und Bildung) zugestand
(Stadler 1984; Trechsel 1995:7). Drittens hat sich die intranationale Migration
(zwischen angestammt katholischen und traditionell protestantischen
Kantonen) im 20. Jahrhundert in relativ engen Grenzen gehalten, da es
aufgrund einer geographisch relativ equilibrierten
ökonomischen Entwicklung den meisten Schweizern möglich war, relativ nahe an
ihrem Heimatort hinreichend gute Arbeitsstellen und Aufstiegschancen zu
finden. Dank dieser Stabilität der Wohnverhältnisse haben zahlreiche
Gemeinden bis heute eine konfessionelle relativ homogene Bevölkerung bewahrt
- ein Faktor, der sicher auch zur Aufrechterhaltung unterschiedlicher
politischer Kulturen beigetragen hat. Viertens hat die geringe Ausprägung von sozio-ökonomisch
geprägten Klassenkonflikten in der Schweiz dazu beigetragen, dass religiöse Spaltungen
eine etwas grössere Bedeutung als in andern Europäischen Ländern beibehalten
können. So blieb auch das Wahlverhalten zumindest bis vor kurzem noch stark
von religiösen Zugehörigkeiten geprägt (Lijphart
1979; Kerr, 1987: 150ff.). All diese Faktoren haben nach dem Zweiten Weltkrieg die
Entwicklung einer katholischen Subgesellschaft begünstigt, die durch ein
dichtes Netzwerk kirchennaher Gruppierungen und Assoziationen sowie
konfessionell gebundener Parteien, Zeitungen und Zeitschriften gekennzeichnet
war (Altermatt 1973: 496; Gruner 1977: 103ff.). Es stellt sich die Frage, inwiefern auch Jahrzehnte nach dem
Zerfall dieser Strukturen - und in einem Zeitalter überaus gering gewordener
Kirchenbindungen und expliziter Religiosität - in der Schweiz noch Elemente
konfessionell geprägter politischer Kultur auffindbar sind. Diese Frage ist
keineswegs irrelevant, wenn man im Licht der oben erwähnten empirischen Regularitäten bedenkt, in welchem Masse religiöse Milieus
als Geburtshelfer subjektiver Mentalitäten und sozialer Verhaltensweisen
wirksam sein können, die auch nach dem Verschwinden ihrer Entstehungsbasis
noch lange überlebensfähig sind. Im besonderen dürften konfessionell
geprägte politische Kulturen (noch) im engeren lokalen Raum der
Gemeindepolitik überleben, weil diese im Vergleich zur kantonalen oder
nationalen Politikebene unmittelbarer dem informellen Einfluss örtlicher
Denk- und Verhaltenstraditionen unterliegt. So ist aufgrund der obigen Argumentationen damit zu rechnen,
dass sich lokale Parteigruppierungen katholischer und protestantischer
Gemeinden in folgenden vier Hinsichten voneinander unterscheiden: 1) In ihrer
ideologischen Selbstverortung streuen protestantische Gruppierungen streuen
auf einem breiten Spektrum zwischen links und Rechts, während sich die
Sektionen katholischer Gemeinden eher im Zentrum der Skala lokalisieren. Diese Tendenz zur
Skalenmitte entsteht einerseits daraus, dass Katholiken weniger gewohnt sind,
ihre politischen Positionen innerhalb der Links-Rechts-Skala zu verorten, und
andererseits aus ihrer expliziten Identifikation mit einer katholischen
Soziallehre die einen mittleren "dritten Weg" zwischen Liberalismus
und Sozialismus definiert. Dieser politische Zentrismus
erscheint besonders explizit in der von Pius XI 1931 verkündeten Enzyklika
"Quadrogesimo Anno": die sich am
Idealbild einer alle Klassenkonflikte überwindenden "korporatistischen"
Sozialordnung orientiert. 2) Bei katholischen
Gruppierungen sind konkrete sachpolitische Einstellungen nur relativ schwach
mit der Einstufung auf der Links-Rechts-Skala assoziiert. Im besonderen ist damit
zu rechnen, dass in katholischen Gemeinden selbst Parteien der Mitte (oder
rechts davon) manch soziale oder ökologische Anliegen unterstützen, die im
protestantischen Milieu ausschliesslich im linken Lager Anklang finden: weil
die katholische Soziallehre eine derartige Unterstützung legitimiert, ohne
dass eine explizite Identifikation mit sozialistischen Ideologien
erforderlich wäre. 3) In protestantischen
Gemeinden sind die sachpolitischen Einstellungen der Lokalparteien enger als
im katholischen Milieu mit der Berufsstruktur und Klassenherkunft ihrer
Anhängerschaft korreliert. Zumindest teilweise neutralisiert die katholische Soziallehre sozio-strukturell bedingte politische Divergenzen, indem
sie Angehörige aller Schichten in konsensuale Werte
gemeinschaftlicher Solidarität einbindet und sie dazu anhält, antagonistische
Polarisierungen durch konkordante Kompromisslösungen zu überwinden (Schmitt
1984: 30). Im Falle der Schweiz verdichtet sich diese makrosoziale
Integrationswirkung bei der CVP; der es über viele Jahrzehnte immer wieder
gelungen ist, die Meinungsgegensätze zwischen Bauern, Gewerkschaften, Gewerbe
und Industrie erfolgreich zu überbrücken (Altermatt 1989: passim). 4) Interkonfessionelle
Unterschiede sollten besonders sichtbar werden, wenn man die innerhalb der
beiden Milieus jeweils tonangebenden starken Parteien (mit hohem
Stimmenanteil) miteinander vergleicht. Denn nur in solch grösseren Parteien ist
hinreichend gesichert, dass sich die innerhalb der Gesamtbevölkerung
bestehenden konfessionellen Proportionen auch innerhalb der
Parteianhängerschaft annähernd widerspiegeln. Vor allem in grösseren
Gemeinden muss mit kleineren Parteien gerechnet werden, in denen die Minorität
der jeweils anderen Partei eine politische Heimat findet (z. B. SVP-Sektionen
im katholischen und CVP-Gruppierungen im protestantischen Raum). 5) Generell ist davon
auszugehen, dass alle konfessionell bedingten Unterschiede der politischen
Kultur in den vergangenen Jahren eine Abschwächung erfahren haben. Zwar lehrt die
historische Erfahrung, dass die kulturellen Divergenzen zwischen den beiden
Konfessionen keiner linearen zeitlichen Entwicklungstendenz unterliegen. Vor
allem kann man aus dem Phänomen der - nach dem zweiten Weltkrieg so
erstarkten - "katholischen Subgesellschaft" den Schluss ziehen,
dass durchaus auch mit Phasen der Revitalisierung gerechnet werden kann.
Vieles spricht allerdings dafür, dass allfällig heute noch bestehende
Divergenzen in den von hoher Religiosität und konfessioneller
Selbstorganisation geprägten Zeitepochen vor 1965 ihren Ursprung haben, und
dass es angesichts der unzweifelhaften Erosion dieser Entstehungsgrundlagen
erstaunlich wäre, wenn sie in letzter Zeit eher zu- als abgenommen hätten. In
Übereinstimmung mit dieser Hypothese hat Trechsel
festgestellt, dass konfessionelle Spaltungen im Schweizerischen Elektorat seit 1971 erheblich abgenommen haben.
Allerdings waren sie zu Beginn der 90er-Jahre nach wie vor stark genug, um
mit linguistisch oder klassenmässig bedingten Divergenzen zu konkurrieren (Trechsel 1995: 32ff.) 3. Zur empirischen Studie 3.1 Lokalparteien als Einheiten der komparativen Analyse Der Begriff "politische Kultur" verweist auf das
Bestehen zeitlich stabiler kollektiver Werte, Normen und kognitiver Deutungsmuster,
die das politische Denken und Verhalten zahlreicher Einzelindividuen, Gruppen
und Organisationen bestimmen, und die durch Prozesse der Sozialisation in
berechenbarer Weise überliefert werden. Einzelne
Durchschnittsbürger, wie sie in den meisten Umfrageforschungen im Zentrum stehen,
sind normalerweise keine idealen Auskunftspersonen über kulturelle
Tatbestände, weil ihr Denken und Handeln allzu sehr von idiosynkratischen
persönlichen Faktoren beeinflusst wird. Mit der Wahl von Gruppen
oder organisierten Vereinigungen als Untersuchungseinheiten kann man der
Tatsache besser Rechnung tragen, dass "Kultur" primär in den
Resultaten kollektiven Handelns ihren Ausdruck findet: in formell
beschlossenen Entscheidungen und Aktionsprogrammen, oder zumindest in
informellen Meinungspositionen, die in gemeinsamen Diskussions- und
Verhandlungsprozessen erarbeitet wurden. Politische Parteien haben einen besonders engen Bezug zur politischen Kultur ihres
Umfeldes, weil ihre Hauptaufgabe darin besteht, die in der Bevölkerung
verbreiteten Meinungen, Werthaltungen und Zielpräferenzen zu einem
kollektiven Gesamtstandpunkt zu aggregieren. Lokale Parteisektionen haben den zusätzlichen Vorteil, dass sie dank ihrer grossen
Zahl und ihrer breiten Streuung auf vielen wichtigen Variablen für
umfangreiche komparative Studien geeignet sind, in denen es darum geht, durch
rigorose statistische Kontrollen den kausalen Einfluss einzelner Variablen
präzis zu identifizieren. Die Schweiz bietet dafür besonders günstige
Voraussetzungen, weil sie ein äusserst weit verzweigtes Netzwerk von über
5000 Lokalparteien besitzt, die teilweise auch in sehr kleinen Gemeinden (mit
unter 500 Einwohnern) präsent sind und dank ihrer relativ hohen Autonomie
eine stark von ihrem lokalen Umfeld her beeinflusste politische Ausrichtung
besitzen. 3.2 Die beiden Umfragen Im Herbst 1989 und im Herbst/Winter 2003 wurden zwei weitgehend
identische schriftliche Umfragen durchgeführt, in die alle (ca. 6000) lokalen
Parteisektionen in den Gemeinden der Schweiz einbezogen worden sind. Als
Informanten wurden die Präsidenten dieser Gruppierungen aufgefordert, über
die Mitglieder, die Binnenorganisation, die externen Aktivitäten sowie über
die ideologischen und sachpolitischen Positionen ihrer Partei in standardisierter
Weise Auskunft zu geben. In der ersten Umfrage (1989) sind 2594 auswertbare Fragebogen
zurückgesandt worden, in der zweiten Befragung 2545. In beiden Fällen hat
sich also knapp die Hälfte aller angefragten Gruppierungen an der Umfrage
beteiligt. Aufgrund verschiedener multidimensionaler Tests wurde ermittelt,
dass die erhaltenen Stichproben hinsichtlich der meisten relevanten Variablen
(Parteizugehörigkeit, Landesteil, Gemeindegrösse u.a.)
der Zusammensetzung des Universums entspricht - so dass einer Extrapolation
der Ergebnisse auf das gesamte Schweizerische Lokalparteiensystem keine
Hindernisse entgegenstehen. 3.3 Die unabhängige Variable Durch Einbezug der gemeindespezifischen Zensusdaten aus den
nationalen Volkszählungen von 1990 und 2000 wurde die demographische und sozio-ökonomische Struktur des kommunalen Umfelds, sowie
die konfessionelle Zusammensetzung der lokalen Bevölkerung bestimmt. Die konfessionelle
Kultur der Gemeinde wurde operationalisiert durch
die Prozentanteile der gesamten Bevölkerung, die entweder der
römisch-katholischen oder der (offiziellen) protestantischen Kirche
angehören. Nicht erfasst wurde dadurch das Residuum von Konfessionslosen
sowie von Angehörigen anderer religiöser Gemeinschaften, das sich im
Untersuchungszeitraum immerhin von ca. 14% auf ca. 25% erhöhte. [1] [4] Aus der Häufigkeitsverteilung der Lokalparteien (Tab. 1) wird
ersichtlich, dass 1989 je ca. 30% von ihnen in überwiegend katholischen und dominant
protestantischen Gemeinden beheimatet waren, die restlichen 40% in Gemeinden
mit konfessionell gemischter Bevölkerung. Zum zweiten Erhebungszeitpunkt hat sich das Schwergewicht
erstaunlicherweise eindeutig auf die homogen katholischen Gemeinden (38.3)
verschoben, während nur noch gut 20% der Gruppierungen ein überwiegend
protestantisches Umfeld besitzen. Darin widerspiegelt sich wahrscheinlich die - bereits seit
langem feststellbare - Regularität, dass
traditionell protestantische Regionen (z. B. Genf, Basel, Zürich, Bern)
aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Wirtschaftskraft in hoher Zahl
Immigranten aus katholischen Gegenden anziehen, während Protestanten seltener
Grund finden, in katholische Landesteile zu ziehen. Im konstanten Anteil
konfessionell gemischter Gemeinden (39.7 bzw. 38.6%) reflektiert sich noch
deutlicher als erwartet die oben erwähnte Tatsache, dass die generell
schwache Binnenmigration in der Schweiz auch in den letzten Jahren
offensichtlich vielerorts dazu beigetragen hat, die traditionelle
konfessionelle Homogenität der Schweizer Regionen und Gemeinden zu
konservieren. Tabelle 1: Häufigkeitsverteilung der Lokalparteien nach
katholischen und protestantischen Gemeinden 1989 und 2002
3.4 Die abhängigen
Variablen Um die generelle ideologische
Positionierung der Lokalpartei zu erfassen, wurden die Informanten
gebeten, ihre Gruppierung Zu beiden Zeitpunkten haben sich nur
zwischen zwei und vier Prozent aller Befragten ausserstande
erklärt, eine derartige Einstufung vorzunehmen. Daraus mag man schliessen, dass beide
Ideologiedimensionen auch im faktischen Denken der Lokalpolitiker eine
fundamentale Bedeutung haben, da sie dazu dienen, die vieldimensionale
Komplexität sachpolitischer Einzelpositionen auf eine übersichtliches
Koordinatensystem zu reduzieren. Zur Ermittlung der spezifischeren sachpolitischen Einstellungen (a) auf gesamtgesellschaftlicher Ebene und (b)
auf kommunaler Ebene wurden die Befragten mit den folgenden zwei Fragen konfrontiert:
Bei jeder Frage
wurden die Antworten folgendermassen bewertet: Immerhin etwa
zwei Drittel aller Befragten (d. h. ca. 1700 in beiden Surveys)
waren bereit, auf den gesamten Katalog von Fragen Antwort zu geben. 4. Empirische Ergebnisse 4.1 Verteilung
der Lokalparteien auf der Links-Rechts-Achse Im Sinne von Hypothese 1 ist zu erwarten, dass sich die lokalen
Parteigruppierungen vorwiegend katholischer Gemeinden überdurchschnittlich
häufig in der Mitte der Links-Rechts-Skala (d. h. bei Werten von 5 oder 6)
einordnen, während im protestantischen Raum prononciert linke wie auch betont
rechte Einstufungen überwiegen. Hypothese 4 legt nahe, dass diese Regularität vor allem bei den im jeweiligen Kontext
erfolgreicheren (d. h. in der Gemeindeexekutive mit einem hohen _Sitzanteil
vertretenen) Parteien zutreffen dürfte. Mit andern Worten: extremistische
Parteien gibt es - vor allem in grösseren Gemeinden - überall, aber in
katholischen Gegenden sind nur geringe Bevölkerungsteile bereit, ihnen ihre
Unterstützung zu leihen. Genau diese Vermutungen werden durch die empirischen Befunde in
hohem Masse bestätigt. So zeigt sich, dass sich minoritäre
Gruppierungen in beiden konfessionellen Kontexten in ihrer ideologischen
Streuung kaum voneinander unterscheiden: abgesehen vom unerwarteten Ergebnis,
dass Parteien mit extrem linker Einstellung (Skalenwerte 1-2) im katholischen
Raum zu beiden Zeitpunkten eine etwas grössere Verbreitung haben (Fig. 1 /
Fig. 2). Bei den wählerstarken
Regierungsparteien hingegen findet man erwartungsgemäss, dass sich in
katholischen Kommunen sowohl 1989 wie 2002 rund 50% in der Skalenmitte platzieren: im Vergleich zu nur 24-28% in überwiegend
protestantischen Gemeinden. Dieser ausgeprägte Zentrismus
geht auf Kosten aller vier übrigen Parteikategorien, in erster Linie der
gemässigten Rechtsparteien, die in protestantischen Gemeinden (mit rund 50%)
absolut dominieren. Aus der überaus hohen Konstanz dieser Zahlenwerte muss man
schliessen, dass - entgegen Hypothese 5 - im Untersuchungsintervall zwischen
1989 und 2002 keine Einebnung konfessioneller Unterschiede stattgefunden hat.
Ganz im Gegenteil haben die zentristischen Tendenzen der katholischen
Regionen insofern sogar zugenommen, als der kumulierte Prozentanteil extrem
linker und extrem rechter Parteien von 9.4 auf 5.1 zurückgegangen ist,
während er in protestantischen Gegenden ungefähr auf demselben Niveau
(9.6-9.9%) verblieb. Natürlich verdanken sich diese Divergenzen zu einem hohen Anteil
der CVP, die - als Mittepartei - in katholischen Gemeinden oft die Mehrheit
der Exekutivsitze auf sich vereinigt und damit jene Position besetzt, die in
protestantischen Regionen von der FDP und der SVP eingenommen wird.
Andererseits kann man aber feststellen, dass vor allem auch die Sektionen der
FDP sehr stark von ihrem konfessionellen Milieu beeinflusst sind: indem sie
sich in einer katholischen Umgebung sehr viel häufiger als "Parteien der
Mitte" definieren (Tab. 2). (Allerdings sind solch konfessionelle
Prägungen geringer geworden, denn der Prozentanteil rechtsstehender Sektionen
hat sich im Untersuchungszeitraum auch in protestantischen Gemeinden deutlich
reduziert). Tabelle 2: Prozentuale Verteilung der FDP-Sektionen auf der
Links-Rechts-Skala 1989 und 2002
4.2 Sachpolitische Meinungsunterschiede bei Mitte- und
Rechtsparteien Die relativ progressive politische Einstellung der Schweizer
Katholiken äussert sich nicht nur am relativ hohen Anteil zentristischer
(statt) rechter politischer Ortsparteien, sondern mindestens ebenso stark in
der höheren Tendenz bürgerlicher Parteien, trotz ihrer mittleren oder rechten
ideologischen Selbstverortung verschiedensten "linken" politischen
Anliegen ihre Unterstützung zu leihen. Die ideologische Grundlage dafür besteht in der katholischen
Soziallehre, die es ermöglicht, im Namen der "Solidarität"
vielerlei sonst von Gruppierungen sozialistischer Provenienz okkupierte
Positionen (Schutz der Schwachen, Umverteilung zugunsten der Armen, Fürsorge
für die Umwelt u. a.) zu vertreten, gleichzeitig aber grundsätzlich in der
Sphäre bürgerlich-liberaler Prinzipien zu verharren (und vor allem in
moralischer Hinsicht durchaus konservative Werthaltungen zu artikulieren). Exemplarisch zeigt sich
dies in der Forderung nach einer verbesserten gesellschaftlichen
Einflussstellung der Arbeitnehmer, die von linken Parteien aller Kontexte
natürlich unisono unterstützt wird, bei mässig rechtsstehenden und extrem
rechten Gruppierungen hingegen nur im katholischen Raum eine gewisse
Zustimmung findet (Tab. 3). Tabelle 3: Unterstützungsgrad für das politische Anliegen
"Erhöhung des Arbeitnehmereinflusses" 1989 und 2002: linke und
rechte Parteien in katholischen und protestantischen Gemeinden
* Selbsteinstufung der Ortspartei auf der Links-Rechts-Skala
(von 1 bis 10). Noch
ausgeprägter sind diese Divergenzen bei der Einstellung zum "Ausbau des
Mieterschutzes", wo das konfessionelle Milieu auch Parteien der Mitte
signifikant (und im Zeitablauf sogar zunehmend) zu beeinflussen scheint (Tab.
4). Tabelle 4: Unterstützungsgrad
für das politische Anliegen "Ausbau des Mieterschutzes" 1989 und
2002: linke und rechte Parteien in katholischen und protestantischen
Gemeinden.
* Selbsteinstufung der Ortspartei auf der
Links-Rechts-Skala (von 1 bis 10).: Analoges gilt
für die geschlechtliche Gleichstellung, zu der im katholischen Raum über das
gesamte ideologische Spektrum hinweg eine überaus konsensuale
(wenn auch neuerdings durch rechtsextreme Gruppierungen ebenfalls in Frage
gestellte) Zustimmung besteht (Tabelle 5). Tabelle 5: Unterstützungsgrad für das politische Anliegen
"Gleichstellung von Frau und Mann" 1989 und 2002: linke und rechte
Parteien in katholischen und protestantischen Gemeinden.
* Selbsteinstufung der Ortspartei auf der Links-Rechts-Skala
(von 1 bis 10).: Tabelle 6: Unterstützungsgrad für das politische Anliegen
"weniger staatliche Reglementierung" 1989 und 2002: linke und
rechte Parteien in katholischen und protestantischen Gemeinden.
* Selbsteinstufung der Ortspartei auf der Links-Rechts-Skala
(von 1 bis 10. : Demgegenüber unterscheiden sich katholische und protestantische
Lokalparteien heute nicht mehr im Ausmass, in dem sie die generelle
ordnungspolitische Forderung nach Abbau staatlicher Regulierungen
unterstützen. Diese allgemeine neoliberale Einstellung ist die einzige sachpolitische
Position, wo sich auch im katholischen Raum linksextreme und rechte Parteien
in einer polaren Konträrstellung gegenüberstehen. Noch ausgeprägter als
gesellschaftspolitische Positionen scheinen kommunalpolitische Einstellungen
von der konfessionellen Zusammensetzung der örtlichen Bevölkerung berührt:
also jene Sachfragen, mit denen sich die Lokalparteien in der konkreten
Tagespolitik auseinandersetzen, und bei denen sie in der Lage sind, ihre Meinungen
in direktes praktisches Handeln umzusetzen. In der Einstellung zu kommunalen Kultur- und Sozialausgaben
zeigt sich beispielsweise, dass die Zurückhaltung gegenüber
Ausgabensteigerungen bei den Mitte- und Rechtsparteien zwar generell
angewachsen ist, nur in protestantischen Gemeinden hingegen zu einer
tendenziell negativen Grundhaltung geführt hat, die im polaren Gegensatz zur
Position der Linksparteien steht (Tab. 7 / Tab. 8). Tabelle 7: Unterstützungsgrad für das politische Anliegen
"Mehr öffentliche Unterstützung für Kulturelles" 1989 und 2002:
linke und rechte Parteien in katholischen und protestantischen Gemeinden.
* Selbsteinstufung der Ortspartei auf der Links-Rechts-Skala
(von 1 bis 10).: Tabelle 8: Unterstützungsgrad für das politische Anliegen
"mehr öffentliche Unterstützung für Soziales" 1989 und 2002: linke
und rechte Parteien in katholischen und protestantischen Gemeinden.
* Selbsteinstufung der Ortspartei auf der Links-Rechts-Skala
(von 1 bis 10). Auch in ihrer Einstellung zu ökologischen Anliegen sind
Parteiensysteme katholischer Gemeinden etwas weniger stark polarisiert. So
werden Forderungen nach mehr Landschaftsschutz und nach
Verkehrsberuhigungsmassnahmen in Wohnquartieren über das ganze ideologische
Spektrum hinweg in einem gewissen Masse unterstützt, die im protestantischen
Raum selbst bei Parteien der Mitte drastisch an Bedeutung verloren haben. In
der Befürwortung von Geschwindigkeitsbegrenzungen ("Tempo
dreissig") mag die solidarische Rücksichtnahme auf Schwächere (z. B.
Kinder oder Behinderte alte Menschen) zum Ausdruck kommen, die im Rahmen der
katholischen Sozialethik besonders stark im Vordergrund steht. So entsteht insgesamt
der Eindruck, dass in der heutigen Schweiz nur am linken Pol des politischen
Spektrums ein einheitliches, landesweit etabliertes ideologisches Milieu
besteht, das unabhängig von konfessionellen Lokal- und Regionalkulturen
praktisch identische sachpolitische Positionen mit sich führt. Bereits im
politischen Zentrum - und noch deutlicher rechts davon - scheinen die
Lokalparteien hingegen konfessionellen Einflüssen zu unterliegen, die ganz
offensichtlich auch zum heutigen Zeitpunkt, wo die manifeste Bindung an
Religion und Kirche stark abgenommen hat, kaum an Wirksamkeit verloren haben. Diese Einflüsse zeigen
sich darin, dass sich nur im protestantischen Raum eine sehr ausgeprägte
politische Rechte ausgebildet hat, die zur Polarisierung beiträgt, indem sie
sich von praktisch allen sachpolitischen Forderungen der Linken sehr stark
distanziert. In katholischen Regionen hingegen sind auch bürgerliche Parteien
im Durchschnitt eher bereit, sowohl klassisch-sozialistischen Anliegen (z. B.
des Arbeitnehmerschutzes und der Sozialpolitik) wie auch neuen
postmaterialistischen Forderungen (z. B. nach Umweltschutz oder nach
Gleichstellung der Geschlechter) eine gewisse Unterstützung zu leihen - mit
der Folge, dass es auch innerhalb des Gemeindevorstands (und anderen nach
Parteiproporz zusammengesetzten Gremien) leichter sein dürfte, zu konsensualen Entscheidungen zu gelangen. Tabelle 9: Unterstützungsgrad für das politische Anliegen
"Mehr Landschafts- und Ortsbildschutz" 1989 und 2002: linke und
rechte Parteien in katholischen und protestantischen Gemeinden.
* Selbsteinstufung der Ortspartei auf der Links-Rechts-Skala
(von 1 bis 10.). Tabelle 10: Unterstützungsgrad für das politische Anliegen
"Verkehrsberuhigung in Wohnquartieren" 1989 und 2002: linke und
rechte Parteien in katholischen und protestantischen Gemeinden.
* Selbsteinstufung der Ortspartei auf der Links-Rechts-Skala
(von 1 bis 10). Wiederum erhebt sich die Frage, ob diese geringere Kovarianz zwischen ideologischer Positionierung und
sachpolitischen Einstellungen nicht in erster Linie für grössere,
wählerstarke Parteien zutrifft, weil diese (a) die in der Gemeindebevölkerung
bestehenden konfessionellen Zahlenverhältnisse relativ zwangsläufig in der
Zusammensetzung der Anhänger- und Mitgliedschaft widerspiegelt; und (b) durch
ihren kommunalpolitischen Erfolg beweisen, dass sie mit der Mentalität der
örtlichen Bevölkerung in besonders guter Übereinstimmung stehen. Tatsächlich zeigt sich in Tab. 11. dass es überwiegend die mit
mehr als 30% der Exekutivsitze vertretenen Zentrums- und Rechtsparteien sind,
in denen die Einstellung zu linken politischen Sachpositionen signifikant mit
dem Anteil der katholischen Bevölkerung korreliert. Interessanterweise zeigt
sich in diesem engeren Feld erfolgreicher Parteien jetzt auch ein konfessioneller
Einfluss auf das ordnungspolitische Postulat staatlicher Regulierung, das -
zumindest für 2002 - in der Gesamtstichprobe (vgl. Tab. 5) nicht sichtbar
war. In der Mehrzahl der
Fälle sind diese Korrelationen zwischen 1989 und 2002 schwächer geworden und
in einigen Fällen ganz verschwunden, anderswo (z. B. bei der Gleichstellung
und beim Landschaftsschutz) haben sie sich allerdings umgekehrt sogar etwas
erhöht. So lässt sich die Vermutung, dass im Zuge der Säkularisierung eine
Erosion konfessioneller Kulturen stattfinde (Hyp. 5) ,
auch aus dieser empirischen Perspektive nicht hinlänglich belegen. Tabelle 11: Korrelationen zwischen politischen Einstellungen der
Ortsparteien und dem Prozentanteil der Katholiken in der Gemeinde 1989 und
2002: nach Links-Rechtsposition der Partei und Sitzanteil in der
Gemeindeexekutive
*
p < .05 ** p < .01 Um den kumulativen Gesamteinfluss des konfessionellen Faktors
sichtbar zu machen, wurden die Einstellungen zu den acht sachpolitischen
Themen zu einem Gesamtindex aggregiert. Dabei zeigt
sich erwartungsgemäss, dass Parteien links der Mitte bezüglich dieses
integralen "Zustimmungsgrads zu linken Anliegen" fast völlig
übereinstimmen, rechts davon aber zunehmend voneinander divergieren (Figur 3
und 4). Während die zustimmungswerte im protestantischen Raum nach rechts hin
fast durchwegs abnehmen, bleiben sie in katholischen Gemeinden (vor allem
1989) eher konstant oder nehmen (vor allem 2002) sogar wieder deutlich zu. Diese unterschiedlichen
Kurvenverläufe liegen den Schluss nahe, dass unsere Messvariablen nur im
protestantischen Raum dienlich sind, um Parteien der Mitte und rechtsstehende
Parteien klar voneinander zu differenzieren. In katholischen Regionen mag
"politisch rechts" mit andern, im Kontext dieser Untersuchung nicht
erfassten Konnotationen verknüpft sein: etwa mit fundamentalistischen Moralpositionen,
die sich auf die Familie oder das Sexualverhalten beziehen. Aus der beeindruckenden
Parallelität der Kurvenverläufe geht erneut die ausserordentlich hohe
Stabilität konfessioneller Kulturfaktoren während des 13-jährigen
Untersuchungsintervalls hervor - aber auch die offensichtlich hohe
Reliabilität der Messinstrumente, die wiederum impliziert, dass sowohl
Semantik der Links-Rechts-Skala wie die Konnotationen der acht
sachpolitischen Items in diesem Zeitraum keinen wesentlichen Wandlungen
unterlag. Wiederum bestätigt sich, dass die der Konfession zurechenbaren
Divergenzen fast ausschliesslich vom kleineren Kreis der wählerstarken und
politisch einflussreichen Ortsparteien getragen werden, Ganz besonders gilt
dies für die erfolgreicheren Parteien der Mitte, die sich in den beiden
religiösen Kontexten (zu beiden Zeitpunkten) in dramatischem Ausmass
voneinander unterscheiden (Tab.12/13). Umgekehrt
pflegen gemässigt linke Regierungsparteien im katholischen Milieu einen eher
moderat-bürgerlichen Kurs zu fahren - und damit auch von der Gegenseite her
dazu beizutragen, dass die Kommunalpolitik in einem sehr wenig polarisierten
Kontext mit hohen Konsenschancen stattfinden kann. Tabelle 12: Unterstützungsgrad für acht linke politische
Anliegen 1989 und 2002: linke und rechte Parteien in katholischen und
protestantischen Gemeinden (Parteien mit weniger als 30% Sitzanteil in der
Exekutive).
Tabelle 13: Unterstützungsgrad für acht linke politische Anliegen
1989 und 2002: linke und rechte Parteien in katholischen und protestantischen
Gemeinden (Parteien mit mehr als 30% Sitzanteil in der Exekutive).
Wiederum erhebt
sich die Frage, ob die hier konstatierten Regularitäten
nicht vielleicht einseitig durch die CVP verursacht würde, die - als
Mittepartei - in katholischen Gegenden meist die sonst von der (mehr
rechtsstehenden) FDP besetzte Dominanzposition einnimmt. Auch wenn dem so
wäre, wäre die These vom überleben konfessioneller Kulturen natürlich
keineswegs widerlegt, weil die CVP selber ja als hauptsächlicher Ausdruck und
Exponent dieser Kultur betrachtet werden kann. Wie sich in Tabelle 14 zeigt,
werden aber auch die Sektionen der FDP stark vom örtlichen konfessionellen
Milieu berührt: indem sie - mit Ausnahme des Gleichstellungspostulats - allen
linken Forderungen positiver gegenüberstehen, wenn sie sich in einem
überwiegend katholischen Umfeld befinden. Aus der Tatsache, dass die
Korrelationen in fünf von sieben Fällen schwächer geworden sind, mag man mit
vorsichtigen Vorbehalten auf eine gewisse Erosionstendenz solcher Einflüsse
schliessen. Tabelle 14: Korrelationen zwischen politischen Einstellungen der
lokalen FDP-Sektion und dem Prozentanteil der Katholiken in der Gemeinde 1989
und 2002
* p < .05 **
p < .01
4.3 Die ideologischen und sachpolitischen
Parteiaffinitäten verschiedener Berufs- und Statusgruppen Gemäss unserer
theoretischen Überlegungen darf in protestantischen Milieus eher damit
gerechnet werden, dass sich Bürger bei der Wahl einer politischen Partei eher
von ihren berufs- und klassenbedingten Interessen und Wertpräferenzen leiten
lassen, weil kein religiös bedingtes (d. h. von einer Kirche oder
konfessionellen Gemeinschaft getragenes) Werte- und Normensystem existiert,
das in der Lage wäre, derartige strukturelle Einflussfaktoren abzuschwächen
oder zu neutralisieren. Demgegenüber
ist damit zu rechnen, dass sich in katholischen Gemeinden eher die Inhaber
unterschiedlichster sozio-ökonomischer
Statuspositionen häufig in derselben Parteigruppierung zusammenfinden, weil
aus der Zugehörigkeit zum gemeinsamen konfessionellen Milieu genügend
kulturell bedingte Übereinstimmungen entstehen. Tabelle
15: Korrelationen zwischen der Links-Rechts-Einstufung (bzw. dem
Zustimmungsgrad zu linken Anliegen) der Partei und dem Prozentanteil verschiedener
Berufsgruppen unter den aktiven Mitgliedern 1989 und 2002 (alle Parteien)
* p < .05 **
p < .01
Diese Hypothesen werden durch die in Tabelle 15 präsentierten
Korrelationen in hohem Masse unterstützt. Zu beiden Zeitpunkten zeigen vor
allem die Bauern und Gewerbetreibenden in protestantischen Gegenden eine ausgeprägtere Tendenz, ideologisch und sachpolitisch
rechtsstehende Parteien aufzusuchen (bzw. zentristische und linke
Gruppierungen zu meiden), während die Lehrer symmetrisch dazu (und 2002 sogar
noch verstärkt) zu linken Parteiaffiliationen
tendieren. Ebenso konsistent - wenn auch weniger ausgeprägt - sind die
Unterschiede bei den unteren Angestellten und (zumindest was die
sachpolitische Affinität betrifft) bei den Beamten - zwei Gruppen, die zusammen
mit den sozialen Berufen in den protestantischen Regionen die hauptsächliche
Unterstützungsbasis linkerer Parteien konstituieren. In dieser Funktion haben
sie die Arbeiter abgelöst, die - zusätzlich zu ihrer quantitativen Bedeutung
- im Untersuchungszeitraum offensichtlich auch ihre Präferenz für linkere
politische Gruppierungen verloren haben - interessanterweise in Symmetrie zu
ihren Gegenpartnern, den Industriellen, die ähnlich wie die leitenden
privaten Angestellten heute kaum mehr als zuverlässige Stützen der
Rechtsparteien betrachtet werden können. So ergibt sich insgesamt die
Schlussfolgerung, dass die konfessionell bedingten Divergenzen in den
Parteivorliegen verschiedener Berufs- und Statusgruppen katholischer Seite
her erhalten geblieben sind und nur insofern eine gewisse Einebnung erfahren
haben, als industrielle Bevölkerungssegmente im protestantischen Raum ihre
traditionelle Präferenz für links oder rechts abgeschwächt oder ganz verloren
haben. Darin widerspiegelt sich der Wandel von einer materialistisch-interessenbezogenen
zu einer postmaterialistisch-wertebezogenen linken Politik, die eher das
"soziale Gewissen" bessergestellter anspricht und deshalb in sozial
wenig bemittelten Schichten keine durchgängige Unterstützung mehr findet. 5. Schlussfolgerungen Aus der Gesamtheit aller empirischen
Befunde geht hervor, dass die (zumindest lokale) Parteienlandschaft in der
Schweiz auf der Ebene politischer Ideologie und Sachpolitik wie auch auf dem
Niveau der Anhängerrekrutierung nach wie vor durch konfessionelle Milieus
mitgeprägt wird, die im Untersuchungszeitraum zwischen 1989 und 2002 eine
praktisch identische Wirksamkeit beibehalten haben. Dieses Ergebnis widerspricht all jenen
simplifizierenden Seäklarisierungstheorien, nach
denen religiösen Faktoren in der modernen Politik allenfalls ein residualer,
auf traditionell-ländliche Regionen begrenzter und im Zeitablauf an Bedeutung
abnehmender Platz zukommen kann. Sehr viel besser stimmen sie mit jenen
vielfältigen empirischen Einzelbefunden überein, die beispielsweise gezeigt
haben, dass ·
viele westliche Nationen
Parteiensysteme besitzen, in denen sich noch immer längst vergangene
konfessionelle Konflikte widerspiegeln (Lipset/Rokkan
1985; Lijphart 1979); ·
politische Einstellungen und
Verhaltensweisen selbst bei religiös indifferenten und inaktiven Individuen
noch häufig eine konfessionelle Prägung beibehalten (Schmidtchen 1973; 1984;
Schmitt 1984; Pollack 1994); ·
katholische und protestantische Länder
in ihren Wertorientierungen und politisch-ökonomischen Institutionen relativ
stabile, wenn nicht gar zunehmende Divergenzen zeigen (Greeley
1989; Castles 1994 u.a.); ·
die Schweiz aufgrund vielfältiger
historischer Faktoren seit der Reformation ein besonders günstiger Nährboden
für konfessionell divergierende Subkulturen und Mentalitäten gebildet hat -
was beispielsweise noch in einer überwiegend katholischen Anhängerschaft der
CVP (im Gegensatz zur deutschen CDU) ihren Ausdruck findet (Sciarini et. al. 1994: 42ff.). Als gesichert darf wohl gelten, dass
konfessionelle politische Kulturen immer im Medium manifester religiöser
Glaubensweisen, Verhaltenspraktiken, Institutionen und Gemeinschaften ihren
Ursprung haben - wie beispielsweise im Falle jener
kalvinistisch-puritanischen Diesseitsbezogenheit, die nach Max Weber an der
Wurzel des okzidentalen Privatkapitalismus steht. Ebenso evident ist aber
zweitens dass derartige Muster eine von den Rahmenbedingungen ihrer Genese
relativ unabhängige Überlebensfähigkeit erreichen können, indem sie - als
„sedimentierte“ Elemente informeller Volkstradition, Familiensozialisation
und individueller Habitualisierung - eine vom Wissen um ihre Ursprünge
abgekoppelte Pflege und Überlieferung erfahren. Darüber hinausgehend lässt sich spekulieren, dass derartige kulturelle
Muster trotz abnehmender religiöser Bindungen sogar an gesellschaftlicher
Präsenz und individueller Relevanz gewinnen können, weil es im Zuge der
Modernisierung und Wohlstandsmehrung immer mehr Möglichkeiten gibt, ihnen (z.
B. durch Ausbau der Bildung, Gründung von neuen Institutionen, massenmediale
Diffusion u.a.) zu neuen und umfassenderen Ausdrucksmöglichkeiten
zu verhelfen. In diesem Sinne hat z. B. der Einsatz moderner
Organisationsprinzipien und Kommunikationstechnologien die Entstehung einer
katholischen „“Subgesellschaft“ ermöglicht (Altermatt 1973); und der durch
das ökonomische Wachstum ermöglichte Wechsel von
materialistisch-interessengeleiteten zu postmaterialistisch-wertorientierten
Politikprogrammen hat auch religiösen Ideenmustern und Zielsetzungen neuen
Auftrieb verliehen (Inglehart 1989). Beispielsweise haben Katholiken das Aufkommen ökologischer
Werte zum Anlass genommen, um im Namen sozialer Solidarität (und der
Verantwortung gegenüber einer von Gott geschaffenen Naturordnung) ihre
Verurteilung des „unbegrenzten ökonomischen Individualismus“ auf neue Weise
zu artikulieren. Umgekehrt bietet der wachsende Wohlfahrtsstaat
protestantischen Unternehmern zusätzliche gute Gründe, um ihren liberalen
Individualismus gegen vielfältige neuartige Übergriffe in Schutz zu nehmen. Manches spricht dafür, dass religiöse
Einflüsse in der Politik stärker als in den meisten anderen Bereichen
gesellschaftlichen Lebens bestimmend bleiben. Auf empirischer Ebene hat Schmidtchen gezeigt, dass sich die Katholiken
und Protestanten Deutschlands nirgends so ausgeprägt wie in der Sphäre
politischer Einstellungen und Verhaltensdispositionen voneinander
unterscheiden (Schmidtchen 1973: 210). Und auf der Basis einer späteren
Studie sind Lukatis/Lukatis zum Schluss gelangt,
dass konfessionelle Einflüsse auf persönliche Einstellungen überhaupt nur in
der Politik erhalten geblieben seien (Lukatis/Lukatis
1989). Dies mag damit zusammenhängen, dass in
der Politik nicht jene „objektiven“ Marktkräfte und Effizienzzwänge
bestimmend, die - wie bereits Max Weber feststellte - in der Wirtschaft
unweigerlich eine Konvergenz des Verhaltens über alle Glaubensrichtungen
hinweg erzwingen (Weber 1978: 20; 203). Vielmehr bleibt
ein weiter Spielraum für individuelle Idiosynkrasien wie auch für
kollektiv-kulturelle Einflussfaktoren offen, der sich in dem Masse noch
erweitert, wie die politische Entscheidungsfindung auf ständig neue ethisch
kontroverse Bereiche (Sterbehilfe, Abtreibung, Genmanipulationen u.a.) expandiert. Während religiöse Traditionen
zweifellos ihre frühere unbefragte Autorität und exklusive Monopolstellung
verlieren, mag man sich in aller Freiheit dennoch in vielleicht gar
wachsendem Umfang auf sie abstützen, weil sie in einer immer komplexeren und
unübersichtlicheren gesellschaftlichen Umwelt eine gewisse Orientierung
bieten. ALTERMATT, Urs (1973) Politischer Katholizismus. Überlegungen
und Hinweise zu Begriff und Gegenstand des politischen Katholizismus im allgemeinen und des politischen Katholizismus in der
Schweiz im besonderen, Reformation, 9: 486-496. ALTERMATT, Urs (1989) Katholizismus und Moderne . Zürich:
Benziger. CASTLES, F. G. (1994). On Religion and Public Policy: Does
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25, 19-40. ESPING-ANDERSON, G. (1990). The three
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485-502. GRUNER, Erich (1977, 2. Aufl.) Die Parteien in der Schweiz
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1291-1991. Zürich: Verlag NZZ INGLEHART, R. (1989). Kultureller
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Konfession das Wahlverhalten (in: Wehling, Hans Georg (Hrsg.) Konfession -
eine Nebensache? Stuttgart: Kohlhammer, pp. 21-57). SCIARINI, Pascal / FINGER, Matthias / AYBERK, Ural / GARCIA, Carlos (1994) Die Kader der
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Eidgenossenschaft und katholische Kirche im europäischen Umkreis 1848-1888.
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Geist des Kapitalismus (in: derselbe, Gesammelte Aufsätze zur
Religionssoziologie, Band 1, Tübingen : Mohr, pp.17-206). WHITE, John W.: (1981) Catholics in
Western Democracies, Dublin: Gill & MacMillan Fussnoten [1] [1] Bei bivariaten Koeffizienten
sind keine konsistenten Korrelationen erkennbar, weil die positive Beziehung durch
durch das geringere absolute Einkommensniveau der
katholischen Länder maskiert wird. [1] [2] Als Erklärungsversuch stützt sich Schmidt auf die
Hypothese, dass sich der Rückzug aus aktiver
Religiosität meist in still-unauffälliger Weise (nicht mittels explizit-bewusster Konversion zum Atheismus) vollziehe: so dass tief in die Persönlichkeit eingeprägte
Habitualisierungen und Mentalitäten konfessionellen Ursprungs gar nicht
erkannt und thematisiert (und deshalb auch nicht abgelegt) werden. (Schmitt
1984: 49). [1] [3] Anders war es offensichtlich in Oesterreich
oder Italien wo die Katholiken in hohem masse
faschistische Regimes unterstützten. Dies entspricht der These von White, wonach
katholische Populationen, die die Mehrheit bilden und die politische Macht
innehaben, keinen Grund sehen, ihre Identität mittels defensiver
Organisationen zu artikulieren und zu festiigen
(White 1981). [1] [4] vgl.
BfS: Wohnbevölkerung nach Religion und
Konfession. size=3 width="100%" align=center> |