Universität Zürich Soziologisches Institut der Universität Zürich Prof. Dr. Hans Geser

 
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Georg Simmel: Rembrandts religiöse Kunst

ex: Frankfurter Zeitung, Jg. 58, Nr. 179, 30. Juni 1914, Erstes Morgenblatt, S. 1 -3, und Jg, 58, Nr. 180, 1. Juli 1914, Erstes Morgenblatt, S. 1–2

In zwei Grundformen tritt innerhalb der menschheitlichen Geschichte religiöses Wesen auf.

Denn indem religiöse Sachverhalte sich bieten: der Gott und die Heilstatsachen, der Kultus und die Kirche; indem das religiöse Individuum sich all solchem gegenüber aufnehmend oder schöpferisch verhält, nur sein eigenes Heil sucht oder sich selbstlos hingibt - ist eine Doppelströmung des religiösen Wesens eingeleitet, die an dessen vollkommener Spaltung münden kann.

Auf der einen Seite steht die Objektivität der religiösen oder kirchlichen Tatsachen, eine selbstgenügsame, nach eigenen Gesetzen gebaute Welt, in ihrem Sinn und Wert ganz gleichgültig gegen das Individuum, das sie nur hinnehmen, nur zu ihr aufschauen kann.

Auf der anderen Seite: die Religion ausschliesslich in das innere Leben des Subjektes verlegt; jene Transzendenzen und Kulte mögen als metaphysische Wirklichkeiten bestehen oder nicht - ihre religiöse Bedeutung liegt ganz und gar in den Beschaffenheiten und Bewegtheiten der Einzelseele, die von ihnen vielleicht ausgelöst werden, vielleicht aber auch ihnen erst Sinn und Leben verleihen.

Dort bedeutet das Religiöse ein entschiedenes Gegenüber und sozusagen erst nachträgliches Sichaufnehmen zwischen Göttlichem und Seelischem, hier ein seelisches Leben selbst, aus einer tiefsten individuellen Produktivität und Selbstverantwortlichkeit strömend, das freilich in sich, als religiöses Sein, eine übersubjektive metaphysische Bedeutung und Weihe besitzt.

Die grossartigste historische Verwirklichung jener Objektivität der religiösen Welt ist der Katholizismus; eine entsprechende kann für die andere Quellenrichtung des religiösen Daseins nicht aufgewiesen werden.

Dies ist begreiflich.

Denn die Gebilde, durch die die Religion etwas Historisches und Sichtbares wird: Dogma, Kultus, Kirche - kommen höchstens sekundär für den in Betracht, dem Religion in einem Erlebnis oder in einer Führung und Färbung des Lebens überhaupt oder in einem unmittelbaren Verhältnis der Seele zu Gott besteht, In einem Verhältnis, das als religiöses nur in der Seele selbst sich abspielen kann.

Ersichtlich tritt diese Art der Religiosität nicht aus dem Individuum heraus und bildet deshalb kein geschichtliches Gesamtphänomen.

Sie wird auch keineswegs vom Protestantismus repräsentiert.

Denn auch dieser rechnet mit ganz objektiven religiösen Tatsachen, die ihren Sitz nicht in der religiösen Seele haben, sondern deren Objekt diese ist: mit dem Weltregiment eines persönlichen Gottes, mit der Erlösung, die Christus den Menschen gewonnen hat, mit Schicksalen, die der Seele durch die sachlich-religiöse Struktur des Daseins kommen.

Würde die subjektive Religiosität wirklich ganz rein verwirklicht (was vielleicht nie geschieht, so wenig wie es eine bloss objektive Religion gibt, jede dieser Formen tritt vielmehr immer in einer gewissen Mischung mit der anderen auf) - so würde sie vielmehr in dem Prozess des Lebens selbst, in der Art, wie der religiöse Mensch in jeder Stunde lebt, bestehen, nicht aber in irgend welchen Inhalten, in dem Glauben an irgend welche Wirklichkeiten.

Diese beiden Gegenströmungen des religiösen Lebens überhaupt haben nun zwar die christliche Kunst nicht grade mit parteimässiger Schärfe unter sich aufgeteilt; allein ihre Reinheit und ihre Gemischtheit bilden eine Skala, auf der jegliches religiöse Bild einen bestimmten Platz findet.

Die byzantinische Kunst setzt mit der völlig objektiven Darstellung der transzendenten Welt ein.

In den Mosaiken von Ravenna werden die Personen und Symbole der christlichen Mysterien in ihrer metakosmischen Erhabenheit hingestellt, völlig gleichgültig gegen menschlich erlebende Subjekte, die Menschen dieser Religiosität, den Künstler einbegriffen, haben sich völlig entsubjektiviert, vor ihnen steht ein Götterhimmel, ungeheure selbstgenügsame Seinsmächte, zu deren Vorstellung individuelle Gefühle und Innenschicksale keinerlei Beziehung, weder als Ausgangs- noch als Mündungspunkte haben.

Im Trecento wird eine andere Stufe jener Skala erreicht.

Bei Duccio, bei Orcagna und manchen geringeren ihrer Zeitgenossen strömt in die abgeschlossene Feierlichkeit des Heiligenbildes ein Ton lyrischer Menschlichkeit, das Transzendente ist nicht nur und schaltet als objektive Macht mit dem Menschen, sondern aus diesem kommt ihm eine eigene Bewegtheit entgegen, der Ausdruck des religiösen Lebens hat, wie zart und zurückhaltend auch noch immer, einen Weg in die Darstellung der transzendenten Tatsachen gefunden.

Wieder verschiebt sich das Verhältnis zwischen objektiver und subjektiver Religiosität in den Formgebungen der Hochrenaissance.

Deren grössere Lebendigkeit und Naturalistik lässt nämlich die Darstellung keineswegs in höherem Grade als Äusserung einer innerlichreligiösen Dynamik erscheinen.

Von Michelangelo, der in dieser Hinsicht eine ganz isolierte, untypische Stellung einnimmt, sehe ich ab.

Aber Lionardo und Raffael, Fra Bartolomeo und Andrea del Sarto sind in ihren Heiligenbildern von einer erstaunlichen Objektivität: sie stehen für mein Gefühl diesem Pol der Skala näher als das Trecento es tat, so sehr dies grade sich ebenso durch Ungelenkheit wie durch sakrale Würde vom Cinquecento unterscheidet.

Man hat durchaus nicht mehr den Eindruck, dass irgend ein religiöses Leben von sich aus zu diesen Kompositionen beigetragen hat; selbst wo nicht das rein malerische Interesse alle anderen seelischen Agentien unfühlbar gemacht hat, geht doch die religiöse Intention ausschliesslich auf die Darstellung eines himmlischen oder historischen Daseins, die von dessen Zentrum, von seiner eigenen Immanenz her, aber nicht von der Frömmigkeit oder der Sehnsucht oder der Hingebung einer Seele her bestimmt ist.

Die eigentümliche Fähigkeit des menschlichen Geistes, gewissermassen von sich selbst absehend und aus dem ihm Gegenüberstehenden heraus zu denken oder anzuschauen, ist auch auf dem religiösen Gebiet mächtig und hat in der Renaissancekunst diese Macht vorbehaltlos bewährt.

Ich rechne noch Rubens dazu, dessen Ildefonso-Altar, und zwar grade wegen seiner vollkommenen Weltlichkeit, die religiöse Objektivität vielleicht auf ihren Gipfel hebt.

Die Himmelsherrin zeigt dieselbe vornehme repräsentative Existenz wie der Fürst, der ihr huldigt, zwischen beiden ist eigentlich nur ein gradueller Unterschied innerhalb der gleichen, sozusagen nach unten hin isolierten Dimension, und dass die Darstellung des Göttlichen von einer menschlich-persönlichen Religiosität her bestimmt sein sollte, wäre hier ebenso unpassend erschienen wie es nach der Anschauung der Zeit gewesen wäre, dass die Untertanen sich unmittelbar den Kaiser wählten.

Die transzendente Erhabenheit des göttlichen Daseins ist hier zwar vermenschlicht, aber indem dies mit dem soziologischen Cachet der »Vornehmheit« geschieht, ist die Ablehnung jeder innerseelischen Religiosität des Subjektes, die sich in den künstlerischen Gestaltungen darlebe, fast in die Form der Offensive übergegangen.

An dem anderen Extrem dieser Skala steht Rembrandt.

All seine religiösen Bilder, Radierungen, Zeichnungen haben nur ein einziges Thema: den religiösen Menschen.

Die Gegenstände des Glaubens macht er nicht sichtbar, und wo er Jesus darstellt, hat er nie den Charakter transzendenter Realität, sondern empirisch menschlicher: den liebenden und den lehrenden, den in Gethsemane verzweifelnden und den leidenden.

Das Dasein des Heiligen, dessen objektive Erhabenheit der Gläubige nur hinnehmen und von ihr angestrahlt sein kann, ist für Rembrandts Kunst verschwunden; das Religiöse, das er in künstlerische Erscheinung ruft, ist die Frömmigkeit, wie die Seele des Individuums sie in mancherlei Abwandlungen erzeugt.

Mag diese Seele von transzendenten Mächten erregt, von dem göttlichen Dasein umfasst und bestimmt sein - nicht dies zeigt Rembrandt, sondern den Zustand, den sie, all dieses vorausgesetzt, nun in sich, mit ihren spezifischen Kräften hervorbringt, einen Zustand, der ausschliesslich an menschlichen Seelen bestehen und sich an menschlich irdischen Leibern ausdrücken kann.

Mögen alle transzendenten Glaubensgegenstände existieren und innerhalb ihrer absoluten Macht der einzelne Mensch mit seinen Zuständen ein verwehendes Sandkorn und objektiv eine Gleichgültigkeit sein - Religion kann immer nur in einem Verhältnis einer menschlichen Seele zu diesen Jenseitigkeiten entstehen und sie ist unter allen Umständen der Anteil, den diese Seele in das Verhältnis hineingibt und in dem es für sie besteht.

Dies ist, in theoretischem Ausdruck, die Grundvoraussetzung von Rembrandts religiöser Kunst.

Zum erstenmal in der Geschichte der Kunst ist diese Quellströmung der Religion zu reiner Herrschaft gebracht: dass sie, welches auch immer ihre Glaubensinhalte, ihre metaphysische Basis, ihre dogmatische Substanz sei, doch als Religion ein Tun oder ein Sosein der Menschenseele sei.

Nur etwa Fra Angelico könnte man daneben nennen, dem gleichfalls der fromme Mensch als solcher zum Darstellungsproblem wird.

Allein schliesslich ist doch auch bei ihm der religiöse Inhalt ein Allgemeines, das über den Individuen schwebt und erst in sie hineinwirkt, sie erleben ihn als ein Aufgenommenes; das Dogma ist hier doch noch zu eng in den rein seelischen Prozess des Frommseins verweht, als dass mehr als eine Vorahnung für das schlechthin überhistorische Gebilde der Frömmigkeit im Rembrandtschen Ausdruck sich bieten könne.

Im Mittelalter überhaupt ist die Frömmigkeit wie eine Substanz ausgegossen, die die einzelnen Menschen durchdringt.

Bei Rembrandt wird sie jedes Mal von neuem aus dem letzten Grunde jeder Seele heraus erzeugt, die Menschen sind nicht mehr in einer objektiv frommen Welt, sondern in einer objektiv indifferenten Welt sind sie als Subjekte fromm.

Unzählige Male stellt er biblische Szenen dar, die man mangels jedes dogmatischen transzendenten Elementes scheinbar gar nicht für religiöse Kunst halten möchte: die Erlebnisse des Tobias, den barmherzigen Samariter, den verlorenen Sohn, die völlig kleinbürgerlich aufgefasste Jugendgeschichte Jesu.

Das Religiöse ist die Beschaffenheit dieser Menschen, die an ihnen von innen her ebenso haftet, wie dass sie klug oder dumm, lebhaft oder indolent sind.

Mögen sie nun glauben oder tun, was sie wollen - sie haben die Frömmigkeit als eine Bestimmung ihres subjektiven Seins überhaupt, die grade an ihrem inhaltlich ganz irdischen Verhalten um so deutlicher als Eigenfärbung ihrer Persönlichkeiten aufleuchtet.

Diese Religiosität haftet als solche an keinen Inhalten.

Diesseits und jenseits spielen für sie keine Rolle, sie ist von keinem terminus ad quem, sondern nur von ihrem terminus a quo abhängig.

Wo sonst eine Anschauungsweise religiöse Werte in menschlicher Form darstellte, wurde entweder der Mensch vergöttlicht oder der Gott vermenschlicht.

Von dieser Alternative tritt Rembrandt fort, da das Religiöse in seiner Darstellung nicht die objektive Beziehung zwischen Mensch und Gott ist, sondern dasjenige innereigne Sein des Menschen, an das sich oder aus dem sich überhaupt erst die Beziehung zu seinem Gott knüpft.

Darum sind diese Rembrandtschen Menschen am denkbar weitesten von aller Religiosität des »Gesetzes« entfernt, insofern dieses ein allgemeines ist und wie es sich in der Kirche, die das Individuum dominiert, niedergeschlagen hat.

Mit diesem Zuge scheint eine in seiner Umgebung grade aufkommende Strömung in ihn hineingeleitet zu sein.

In den Kreisen der niederländischen »Collegianten« des 17.Jahrhunderts begegnet ein starkes Misstrauen gegen den Wert der bestehenden Kirchen, bis zur völligen Ablehnung des konfessionellen Typus überhaupt.

Es entsteht ein religiöser Subjektivismus, der dem Individuum den grössten Differenzierungsspielraum gewährt, so dass selbst der Calvinismus, diese Religion strengster Objektivität und Gesetzlichkeit, dahin gelangte, sich seiner selbst als einer sozusagen individuell religiösen Gestaltung bewusst zu werden, die mit der Einzelexistenz als deren ganz persönlicher Besitz verbunden war.

In diesem Fehlen des objektiven Allgemeincharakters der religiösen Werte liegt der tiefere Grund, aus dem sich Rembrandts Auffassung der religiösen Persönlichkeiten so ganz weit von aller statuarischen Darstellbarkeit entfernt.

Die Plastik ist die unindividuellste Kunst, sie ist - mindestens bis zu Rodin - die Kunst der allgemeinsten Formen.

Daher wird begreiflich, dass in der romanischen Renaissance auch die Gestalten der Malerei oft, in gewissen Reihen sogar typisch, wie Statuen dastehen.

Der Inhaltsallgemeinheit des Katholizismus entsprach die Formallgemeinheit der Kunst, während die Rembrandtsche Empfindungsweise, für die das Allgemeinheitsproblem keinen Sinn hat, der Formungsintention, die sich zur Plastik auf gipfelt, keinen Raum geben konnte.

Es fehlt der Religiosität seiner Gestalten der Allgemeinheitscharakter nicht nur, weil er ein Abstraktes ist, nicht nur weil das religiöse Leben (im Gegensatz zu den religiösen Inhalten) nur an individuellen Trägern haften kann - sondern auch weil er ein Befehlendes, Vergewaltigendes gegenüber dem Einzelnen ist.

Nicht nur ist das Gesetz etwas Allgemeines, sondern das Allgemeine ist auch Gesetz.

An jenen ravennatischen Bildern der göttlichen und heiligen Wesen ist, soweit sie überhaupt einer Beziehung zum Menschlichen zugängig sein mögen, grade das Magistrale der Religion, der Kirche, ein unübersehbarer Zug.

Sie verkünden das Wahre und Absolute, das als solches das Allgemeine und das Gesetz in Einheit ist.

Eben diese Einheit ist es, der die Rembrandtschen Gestalten ganz fern stehen, weil ihr Religiössein nicht die Ausstrahlung eines Inhalts ist (so wenig es einen solchen ablehnen mag), sondern ein Lebensprozess, eine Funktion, die sich nur innerhalb des Individuums vollziehen kann.

Höchst merkwürdig gestaltet sich dies in einigen seiner Jesus-Darstellungen.

In mehreren Radierungen erscheint Jesus als Knabe: dürftig, von den Umgebenden fast erdrückt, oder in dem Berliner Bild der Samariterin: fast nur ein Schatten, substanzlos, gegenüber der kräftigen, gleichsam fest in der Erde wurzelnden Frau.

Dennoch, sieht man auch nur einen Augenblick länger hin, so ist dieses schwache, wie schwankende Wesen doch das einzig wirklich feste, alle die anderen, starken und substantiellen Gestalten sind ihm gegenüber unsicher und wie entwurzelt, als hätten nicht sie, sondern nur er den Boden unter den Füssen, auf dem der Mensch eigentlich stehen kann.

Und dies ist nicht durch einen Strahl vom Transzendenten her erreicht, nicht dadurch, dass irgend eine Andeutung den Heiland als einer anderen Ordnung im objektiv-metaphysischen Sinne angehörig zeigt.

Er hat nur die stärkere, die stärkste Religiosität, jene unbedingte Sicherheit als eine Qualität seines menschlichen Seins, die dem Menschen nur als eine Folge oder Seite seiner Religiosität zukommt.

Jesus ist hier nur die gesteigertste von Rembrandts religiösen Gestalten, deren Unterschied gegen die nichtreligiösen ausschliesslich von ihrer individuellen Innerlichkeit her bestimmt ist.

Diese mag von einer Gnade, von irgend einer aus dem Übermenschlichen fliessenden Kraft getragen sein; allein danach fragt er nicht, er begrenzt sein Problem an dem seelischen Sein des Menschen, das seine vielleicht vorhandene transzendente Bedingtheit gänzlich in sein Leben aufgenommen hat und sie nicht mehr als solche noch besonders kenntlich macht.

Grade diese Sicherheit des Lebensfundamentes, wie sie in der von Rembrandt ausgedrückten Religiosität liegt, enthebt deren Subjektivismus der blossen Zufälligkeit, als wäre sie eine kommende und gehende »Stimmung«, die das Subjekt mit sich abzumachen hätte, ohne dass sie etwas im objektiven Sinne bedeutete.

Das ganz Grosse und Einzige vielmehr scheint mir zu sein: dass hier das rein im Individuum verbleibende religiöse Verhalten als ein Ewigkeitswert fühlbar gemacht ist.

Um diese Auffassung der Religion zu begreifen, darf die Objektivität ihrer Werte absolut nicht mehr von einer »Lokalisierung« ausserhalb des Menschen bedingt sein.

Die religiöse Beschaffenheit des Subjektes ist ja selbst etwas Objektives, ist ein Sein, das an und für sich metaphysische Bedeutung hat.

Der schlechte, deklassierende Sinn des »Subjektes« entsteht nur, wo man seinen ganzen Sinn durch einen Gegensatz bedingt sein lässt, wo die Gewohnheit sinnlicher gebundenen Denkens es in ein Auseinander, Gegenüber, Gross und Klein einstellt.

Die Erschütterungen und Ekstasen, die in anderen Darstellungen den Menschen angesichts einer Offenbarung, einer Erscheinung oder Botschaft vom jenseits überkommen, mögen subjektiv, im Sinne des Vorübergehenden und, vom Subjekt selbst her gesehen, Zufälligen sein.

Wo aber die religiöse Tatsächlichkeit in dem Sein des Subjektes oder vielmehr als das Sein des Subjektes verankert ist, da ist seine Religiosität eben selbst etwas Objektives, ein Wert, der, einmal gesetzt, das Dasein der Welt überhaupt und zeitlos um soviel wertvoller macht.

Diese Deutung des Religiösen in Rembrandts Kunst, dass es bei ihm weder als ein Element noch als eine besondere Aufgipfelung des Lebens erscheint, sondern als die Art des Lebens dieser Menschen überhaupt; dass dieses subjektive religiöse Sein aber seine Bedeutung nicht in seiner psychologischen Wirklichkeit erschöpft, sondern selbst ein Metaphysisches ist, ein überzeitlicher Wert, der rein von der Innerlichkeit dieser zeitlichen Individuen getragen wird - diese Deutung sei noch nach einigen Seiten hin expliziert.

Erstens. Solcher Bedeutung der religiösen Seele liegt die der Seele überhaupt zu Grunde.

Wenn man Rembrandt von jeher als den »Maler der Seele« bezeichnet hat, so geht diese etwas sentimentale Formulierung zwar aus einem richtigen Eindruck hervor, aber dieser entfaltet seinen ganzen Sinn doch erst an der Aufzeigung seines Gegensatzes.

Es ist eine eigentümliche Tatsache, dass die Philosophen, denen alles an der Totalität des Weltbildes, an dem systematischen Erfassen seiner Einheit lag, fast durchgehendes eine Gleichgültigkeit, auch wohl eine Abneigung gegen Psychologie zeigen.

So vielfach auch das Motiv auftaucht, dass wir, grade wenn wir uns in das Letzte und Tiefste des eigenen Seelengrundes versenken, den Grund des Daseins überhaupt oder den Punkt erreichen, wo uns Gott berührbar und zugängig ist - so ist dies doch grade ein Überpflanzen der Seele in das Metaphysische, grade ein Hinausgehen über das spezifisch Seelenhafte, das sie ganz in sich ist.

Und so sehr man die Seele in die Welt verschlingen und als deren Entwicklungsgipfel verstehen oder umgekehrt die Welt in die Seele als deren Vorstellung und Erzeugnis hineinlegen mag - grade wo die Seele rein als Seele lebt und empfunden wird, ist ein Sichausschliessen zwischen ihr und der Welt da, das durch all jene Vermittlungen nicht dementiert, sondern grade als ein erst zu Überwindendes gezeigt wird.

Nicht nur in Philosophien, sondern auch in den Religionen und den Künsten ist es so: wo die Ganzheit des Daseins in ihrer Breite oder ihrem objektiv eigenen Zentrum erfasst, symbolisiert, dominiert werden soll, entgeht der Seele jener Sonderakzent, der von allen Dingen der Welt grade nur ihr werden kann; andererseits, wo sie ihn findet, geht von ihr kein Weg zu dem Gefühl der Beherrschung, der Vorstellung des Kosmos.

Grade weil Rembrandt der »Maler der Seele« ist, fehlt seinen Gestalten jenes schwer definierbare Cachet des Kosmischen, wie es z. B. in vielen Gestalten Hodlers besteht, die sozusagen nicht - psychologisch - sich selbst, sondern irgendwie ein Kosmisches ausdrücken, dessen sie selbst wie alle anderen ein Teil sind.

Sogar die Buddha-Gestalten mit ihrem Akosmismus, ihrem leidenschaftlich leidenschaftslosen Abweisen der Welt überhaupt haben eben damit zu dem tiefsten Begriff eben dieser Welt ein sehr entschiedenes, wenngleich negatives Verhältnis und darum können sie leicht im psychologischen Sinne »seelenlos« erscheinen, während die Rembrandtsche Zentrierung alles Interesses in der Seele es weder im Gegenstand noch in der Vortragsweise zu solchem Verhältnis kommen lässt.

Es gibt ein Bild von Rembrandt, in dem dies alles zu einem positiven Ausdruck kommt: die »Auferstehung« in München.

Im Vordergrunde taumeln die Kriegsknechte von der gehobenen Grabplatte herunter: das ganze sinnlose, teils gewalttätige, teils lächerliche Chaos des Irdischen.

Darüber der Engel: in einer Flut unirdischen Glanzes, als hätte er die Tür des Himmels hinter sich aufgelassen, aus der ihm Glorien nachstürzen.

Und nun, ganz in der Ecke, fast nur schattenhaft, wie aus der Ferne, hebt sich der Kopf Jesu mit schwer erkennbarem Ausdruck; und auf einmal wissen wir: hier ist die Seele, vor deren blassem, leidendem, noch von der Totenstarre halbgelähmtem Leben jene Erde und jener Himmel verblassen und nichtig werden.

Keinerlei sinnlich-malerische oder mystisch-religiöse Betonung liegt auf diesem Kopf, sondern das ganz Einfache: es ist die Seele, die als Seele nicht von dieser Welt ist - aber auch nicht von jener; jenseits des ungeheuren, alle sonstigen Daseinsmöglichkeiten umschliessenden Gegensatzes, in den hier Erde und Himmel gestellt sind.

Dies Bild, aus seinen dreissiger Jahren, ist wie ein Symbol und Programm seiner späteren höchsten Kunst; es offenbart, wie mit der Seele ein schlechthin Unvergleichliches gegeben ist, ein Dasein und ein Wert, jedem anderen Dasein und Wert gegenüber souverän und gewissermassen unberührbar, ein objektives Reich des Subjektiven, dem freilich dem irdischen und vielleicht auch dem überirdischen Kosmos gegenüber das Einbeziehen und Einbezogenwerden abgeht.

Aber nur diese Absolutheit des Prinzips Seele kann jene Religiosität tragen, deren metaphysischer Inhalt keine gegebene Heilstatsache, sondern das religiöse Leben der Seele selbst ist.

Zweitens. Dass die Religiosität der Rembrandtschen Darstellungen zwar genau so am Subjekt haftet wie dessen Leben selbst, weil sie eben nur die Art seines Lebens ist, dass sich aber an diesen Darstellungen dennoch eine Objektivität, ein Überzufälliges und ideell Festes offenbart - das ist vielleicht noch von einer anders orientierten Basis aus zu begreifen.

Die tiefere Kunstbetrachtung wird genau zwischen der Darstellung des Religiösen und der religiösen Darstellung scheiden, so viele Werke auch beides in Einheit zeigen mögen.

Solche Scheidung, allen möglichen Kunstinhalten gegenüber erforderlich, ist öfter im Prinzip anerkannt, als in der tatsächlichen Betrachtung durchgeführt.

Die dichterische oder malerische Darstellung einer stark sinnlichen Szene braucht keine sinnliche Darstellung zu sein, sondern kann rein artistisch formalen Wesens sein; umgekehrt kann die künstlerische Darstellung eines in dieser Hinsicht ganz indifferenten Inhaltes etwas sinnlich höchst Aufreizendes haben - z. B. gewisse Ornamente bei Aubrey Beardsley; sie wirkt dann in dieser Hinsicht wie Musik, die, jedes Vorstellungsinhaltes bar, äusserste sinnliche Erregtheit hervorrufen und ausdrücken kann.

Der allgemeine Ausdruck für dies Verhalten ist, dass bestimmte Daseinsinhalte, als Wirklichkeiten oder in der empirischen Welt erlebt, gewisse Qualitäten oder Tönungen besitzen, die ihnen nicht mehr selbstverständlich zukommen, sobald sie in die Form der Kunst übergehen.

Aber die Kunst kann ihrerseits in ihrer einzelnen Ausübung diese Eigenschaften besitzen oder nicht besitzen; die Kunstform als solche kann von ihnen durchdrungen sein, mag die Wirklichkeitsform des gleichen Inhaltes sie zeigen oder nicht.

Nur auf die prinzipielle Erkenntnis kommt es also an, dass es religiöse Kunstwerke gibt, deren Gegenstand gar nicht religiös ist (obgleich er es auch sein mag) - wie es, viel anerkannterer Weise, gänzlich irreligiöse gibt, deren Gegenstand religiös ist.

Vielleicht ist deshalb das Ergreifende von Rembrandts biblischen Darstellungen, die in unmittelbarem Anblick nur etwa eine kleinbürgerliche Milieuszene bieten, auch so auszudrücken: das Darstellen Selbst, die künstlerische Funktion des Bildens, sozusagen die manuelle Führung von Nadel, Feder, Pinsel ist religiös durchgeistet; die Dynamik des Schaffens selbst hat den eigentümlichen Ton, den wir religiös nennen und der im Gebiet der historischen Frömmigkeit und des Transzendenten zu den eigentlichen »Gegenständen« der Religion kristallisiert.

Es bedarf deshalb gar keiner religiösen Einzelheiten auf diesen Bildern; das Ganze ist religiös, da die apriorische Funktion, die es erzeugt hat, religiös ist.

Dass ihre Vorwürfe biblisch sind, ist nur Anregung und Erleichterung für den Maler, eben diese Funktion wirken zu lassen, für den Beschauer, sie zu fühlen.

Die Art, wie sich hier die malerischen Möglichkeiten verhalten, entspricht gewissen Tatsachen aus der Geschichte der Vokalmusik.

Im Lied wie in der Oper ist bei manchen Komponisten Text und Musik innerlich von einander ganz unabhängig.

Mozart komponiert sogar den elendsten Text, sicher, dass die selbständige Schönheit der Musik ihn überdeckt; hier und bei anderen bilden Worte und Töne zwar eine tatsächliche Einheit, stehen aber in ganz verschiedenen Bedeutungsreihen.

Anders liegt es zum Beispiel bei Bach und später wieder besonders bei Schumann.

Hier liegt eine solche Vertiefung in den Text vor, dass er, für den Eindruck, vollkommen bildsam erscheint; das Tiefste, was er an allgemeiner Stimmung hergeben kann, wird die Wurzel, aus der das Gesamtkunstwerk aufwächst; indem die Musik selbst von dieser Grundstimmung des Textes bestimmt ist, leitet sie ihm diese wieder zu: sein eigenes Wesen, gereinigt und gestärkt durch seine Ausformung in der Musik, umfasst und gestaltet ihn von neuem.

Jenes erste Verhältnis, übertragen auf den religiösen Gegenstand und seine malerische Darstellung, besteht etwa für die Hochrenaissance und für Rubens.

Welche innere Bedeutung einer Madonna zukommt, ist für Raffael irrelevant, welche einer Kreuzabnahme, danach fragt Rubens nicht.

Bei beiden verlässt sich die Malerei sozusagen auf sich selbst, so dass es an ihren Eindruck nicht rührt, wenn sie den Gegenstand in seiner Eigenbedeutung nur wie einen Fremdkörper enthält.

Bei Rembrandt dagegen wird die Malerei selbst von dem allgemeinen Grundmotiv des dargestellten Vorganges, dem Religiös-Sein, getränkt und durch das Medium des so bestimmten artistischen Prozesses wird der Vorgang wiederum in jenes einbezogen.

Der Gegenstand wird durch das Kunstwerden hier so geformt und beseelt, dass er vollkommen in dessen Charakter aufgeht -während eben dieser Charakter der künstlerischen Funktion aus dem allgemeinsten Sinn des Gegenstandes, seine Einzelheit weit übergreifend, genährt ist.

Die Interpretation muss hier eine naheliegende subjektivische Irrung vermeiden.

Es ist mit alledem nicht etwa behauptet, dass Rembrandt sozusagen als Privatperson ein religiöser Mensch gewesen wäre und diese Stimmung seines persönlichen Lebens auf die Erzeugnisse dieses Lebens übertragen habe; wie er sich in dieser Hinsicht innerlich verhalten hat, wissen wir nicht, und die Indizien scheinen mir bei ihm mehr gegen als für eine sehr positive Religiosität zu sprechen.

Aber als Maler, funktionell, als der Schöpfer dieser Bilder ist Rembrandt religiös.

Hier liegt noch einmal der Unterschied einerseits gegen den anderen Maler der Frömmigkeit: Fra Angelico ist ganz unverkennbar persönlich ein frommes Kindergemüt gewesen, er hat mit einer Unmittelbarkeit, die man nicht in Hinsicht des Objektes, wohl aber des Subjektes Naturalismus nennen kann, seine reale Lebensstimmung in sein Werk hinein fortgesetzt, während, so weit wir sehen können, es bei Rembrandt nicht die persönliche Existenz, sondern der künstlerische Prozess war, die Art des Konzipierens und Schaffens, die dem Werk das religiöse Cachet gab.

Darum ist es nun andererseits auch nicht einfach die realistische Beobachtung frommer Persönlichkeiten, denen das Werk dies Cachet verdankt.

Gewiss wirken, wie ich früher ausführte, seine Menschen als spezifisch fromme, als solche, die von innen her in der religiösen Sphäre leben; allein unter dieser unmittelbaren Erscheinung liegt als tiefere Schicht, als funktionelles Apriori das, was man das religiöse Malen - im Unterschied gegen das Malen des Religiösen -nennen muss.

Diese religiöse Charakterisiertheit haftet hier wirklich nur dem Malen an, sie ist dessen immanentes Gesetz und nicht eine eigene Lebensrealität, für die das Malen nur ein Ausdrucksmittel wäre.

Es sind ja auch nicht nur die Figuren, an denen dies künstlerische Apriori sich im einzelnen darstellt, sondern die Gesamtheit des Bildes ist es: Licht und Luft, die Komposition und das ganze Milieu haben diese an singulären Punkten oft gar nicht aufzuweisende Stimmung des Religiösen.

Ein solcher Charakter des Ganzen kann auch nur aus einem Ganzen kommen, das heisst aus einer allgemeinen stilistischen Geste der Produktion, unbeschadet, dass sie nur an einem bestimmten Problemkreis dieser Produktion sich äussert.

Jenes Religiössein, das uns vorhin als die von innen aufsteigende, an sich noch inhaltlose Färbung des Lebensprozesses Rembrandtscher Gestalten erschien, steigt jetzt, dies begründend, in eine tiefere Schicht: der malerische oder zeichnerische Vortrag hat den inneren Stil, die Bewegtheit, das Weihevolle, die Mischung des Dunkeln und des Lichten, der Unaussprechbarkeit und des naiv Selbstverständlichen -, welches alles Religiosität heissen muss; dieser Vortrag selbst ist also religiös, er hat nicht einfach Religion - weder als Bekenntnis einer persönlich realen Gläubigkeit noch als Wiedergabe beobachteter Religiosität noch als Darstellung an sich religiöser Inhalte (obgleich beides letzteres ausserdem vorliegen mag).

Mir ist kein Schöpfer religiöser Kunstwerke bekannt, bei dem das religiöse Moment in dieser Schicht lokalisiert wäre, so frei von aller blossen Gegebenheit; ein Formungsgesetz des Schaffens selbst, das also »allgemein und notwendig« in dem Geschaffenen anschaulich ist.

Drittens. Dies also ist sowohl in Hinsicht der Gestalten wie der künstlerischen Funktion das Einzigartige an Rembrandts religiösen Darstellungen: dass Religion hier in ihrem seelisch funktionellen Sinne, als Religiosität erfasst ist, unter Ausschaltung alles dogmatisch Traditionellen und seines transzendenten Inhaltes - und dass dieser primäre Subjektivismus sich durchaus als objektiver Wert zeigt, indem er einerseits an den Gestalten ein in sich Metaphysisches, die absolute Bedeutsamkeit der religiösen Seele, repräsentiert, andererseits an der Kunst selbst zum Apriori geworden ist, das die volle Objektivität der Kunstform besitzt, den Bedingungen des objektiven Schaffens immanent ist.

Rembrandt hat ein Mittel, diese Konstellation über die menschliche Individualität hinaus zu verwirklichen: das Licht.

Ich halte es für ganz irrig, das Licht auf seinen religiösen Darstellungen als »symbolisch« zu erklären.

Für einige seiner landschaftlichen Bilder und Radierungen mag das gelten; da soll es gewisse differenzierte Stimmungen vorstellen und ist dadurch eigentlich mehr allegorisch als symbolisch.

In jenen Darstellungen aber ist es unmittelbar religiöse Atmosphäre, religiöse Weltfärbung, es symbolisiert nichts, wie etwa in anderen Gemälden der vom geöffneten Himmel herunterzuckende Strahl oder das vom Christkind ausgehende Leuchten Symbole sind.

Es verhält sich vielmehr wie der religiöse Seinsausdruck Rembrandtscher Figuren, die die so bezeichnete Bedeutung unmittelbar an sich tragen, und nicht daraufhin, dass irgend ein Transzendentes, ein dogmatischer Sachverhalt an ihnen sichtbar würde.

Dieses Licht ist sozusagen als natürliche Wirklichkeit religiös, wie jene Menschen es als seelische Wirklichkeit sind.

Wie sie bäuerisch, beschränkt, durchaus irdisch sind, aber ihre Religiosität in sich die metaphysische Weihe trägt oder an und für sich eine metaphysische Tatsache ist, so ist das Rembrandtsche Licht auf seinen religiösen Radierungen und Bildern etwas durchaus sinnlich Irdisches, gar nicht über sich hinaus Weisendes, aber als solches etwas Überempirisches, es ist die metaphysische Verklärung des anschaulichen Seins, die dieses nicht in eine höhere Ordnung hinaufhebt, sondern fühlbar macht, dass es selbst und unmittelbar eine höhere Ordnung ist, sobald es mit religiösen Augen angeschaut wird.

Damit ist nicht etwa Pantheismus gemeint, der sich ja überhaupt in den bildenden Künsten kaum ausdrücken kann und auf den sie höchstens als auf eine in weiter Distanz darüberschwebende Stimmung hindeuten können, wie vielleicht in der alten Malerei Ostasiens.

Der Pantheismus ist entweder die Versöhntheit eines Dualismus, dessen Spuren nicht völlig verwischt sind und auch nicht verwischt sein dürfen, damit die gewonnene Einheit fühlbar bleibe; oder er ist eine, offenere oder heimlichere, Verneinung der sinnlichen Wirklichkeit zu Gunsten der alleinigen Wirklichkeit des Transzendenten.

Beides liegt dem Verhalten Rembrandts ganz fern.

Sein spezifisches Licht stammt zwar weder von der Sonne noch aus einer künstlichen Quelle, sondern aus der künstlerischen Phantasie, aber es hat auf deren Boden völlig den Charakter seelisch-sinnlicher Anschauung, und seine Weihe und dass es nicht von dieser Welt ist, ist eine Qualität, die es durchaus als Erscheinung dieser Welt, sozusagen als künstlerische Erfahrung besitzt.

Man möchte hier eine Analogie mit historischen Wirklichkeiten erkennen.

Sieht man das niederländische Volk an, wie es sich auf den Bauern- und Bürgerbildern darstellt: sinnenfroh, fest in der Erde wurzelnd, gutem Essen und Trinken von Herzen ergeben - so ist es eines der erschütterndsten Schauspiele, dass grade diese Menschen für ideale Besitze, für ihre politische Freiheit und ihr religiöses Heil rückhaltlos den Tod und Schlimmeres als den Tod auf sich nahmen.

Und fast erscheint dieses in vielen der Rembrandtschen religiösen Bilder und Radierungen symbolisiert: einfache Gestalten, ohne jede subjektive Phantastik, irdisch herb - und in sich schon jener immanenten Religiosität teilhaft, werden sie jetzt noch einmal vom Licht umgriffen, um eine Totalität zu tragen, die den gleichen Charakter der rein inneren Verklärtheit offenbart, des Irdischen, das ein Überirdisches ist, ohne über sich selbst hinauszugreifen.

Bilder wie die »Ruhe auf der Flucht« im Haager Museum oder die Grisaille des »Barmherzigen Samariters« in Berlin sind schlechthin einzige Erscheinungen in der Geschichte des malerischen Ausdrucks.

Wie die Musik des grossen Komponisten allen einzelnen und begrifflichen Inhalt des Liedtextes übergreift, und eben damit doch dessen letzten Sinn in absoluter Einheit und Reinheit ausspricht - so ist hier jede Besonderheit der fast unkenntlichen Figuren, jede Spezifikation des Vorgangs völlig in die Dramatik von Licht und Schatten aufgelöst, mit der die allgemeinste, metaphysische und innere Deutung des Ereignisses uns als Vision erschüttert.

Das »Allgemeine«, von dem wir so irgend welchem Einzelnen gegenüber sprechen, kann von sehr verschiedenen Standpunkten her gewonnen sein.

Die Begrifflichkeit, der Sinnen-eindruck, der Gemütswert, der Inhalt für sich oder die Form für sich - alles dies mag an einer individualistischen Seinsgestaltung herausgestellt werden, als ihr Allgemeines, das durch ihre jeweiligen übrigen Bestimmungen zu dem unverwechselbaren Gesamtbild individualisiert wird.

In diesen Rembrandtschen Lichtstücken ist die religiöse Gestimmtheit, die Transzendenz des Anschaulichen, die ihm als seine Weihe und Erschütterung einwohnt - diese ist das Allgemeine, auf das das Ereignis gestellt ist.

Das Licht ist das Allgemeinste der Anschauungswelt, weil es sie überhaupt »möglich macht« und seine reinen Modifikationen insoweit als das tiefste transzendentale Schema jeder optischen Szene gelten könnten; und es ist hier das Allgemeine grade dieses jeweiligen Bildes, jenseits aller darüber hinausgreifenden Bedeutung, das heisst so, wie die Musik das Allgemeine zu dem Text des Liedes oder vielmehr zu dem Gesamtkunstwerk des komponierten Liedes ist.

Es ist die ganz einzige Kunst Rembrandts, den Vorgang auf die religiöse Gestimmtheit und Geweihtheit als auf sein Allgemeinstes zu konzentrieren und am Licht den anschaulichen Träger dieser Allgemeinheit zu gewinnen.

Hiermit ist nun das Entschiedenste an Ablehnung alles dogmatischen Inhaltes vollzogen.

So lange der biblische Vorgang immerhin noch der eigentliche Gegenstand der Darstellung ist, mögen seine personalen Träger ihre kirchlich traditionelle Bedeutung ganz in die autonome des subjektiven Religiösseins aufheben - das Ganze, die Szene überhaupt bliebe noch die in der objektiv heiligen Überlieferung gegebene.

Aber auch dies fällt jetzt fort, wo das Licht nicht mehr da ist, um jene Szene zu beleuchten, sondern umgekehrt nur das Licht in seiner selbstgenügsamen Dynamik, Tiefe, Gegensätzlichkeit der Gegenstand der Darstellung ist, zu dem der menschlich biblische Vorgang sozusagen die Gelegenheitsursache ist.

Wie sich an den Individuen das ausdrückt, was über alle dogmatischen Daten hinwegreicht oder auch sie begründet: die Frömmigkeit schlechthin, die seelische Existenz in ihrer religiösen Bedeutung überhaupt - so ist nun der Vorgang als ganzer, sein Historisches, kirchlich Fixiertes auf das Allgemeinste, auf das Licht reduziert, die Gesamtstimmung gleichsam einer übersingulären Seele offenbarend, deren Religiosität dieses Stück Welt durchflutet, eine Religiosität ersichtlich, deren Aufschwünge und Vertiefungen, Schauer und Seligkeiten diesen wie jeden anderen konfessionellen Inhalt übergreifen, weil sie einen jeden als das schlechthin Allgemeine seines Wesens unterbauen.

Dies alles darf nicht so verstanden werden, als hätte Rembrandt die eigentliche und einzige religiöse Malerei geschaffen; im Gegenteil, das ganz Einzige dieser Kunst tritt erst an ihrem Gegensatz und seinem Rechte hervor: an der objektiv religiösen Kunst, an derjenigen, deren Voraussetzung das Bestehen religiöser Tatsachen und Werte ausserhalb der individuellen Seele ist.

Ich habe diesen Gegensatz am Anfang dieser Blätter skizziert und es erübrigt nur noch einige Grenzen zu bezeichnen, die die Religiosität eben der individuellen Seele und ihr Ausdruck dadurch findet, dass sie auf sich selbst beschränkt ist, dass ihr religiöses Leben sich rein innerlich und ohne angedeutete Beziehung auf eine Transzendenz vollzieht.

Es handelt sich nicht nur darum, dass die Kunst einer objektiven Religion die heiligen Wesen und Ereignisse in ihrem für sich bedeutsamen, von ihren zufälligen seelischen Reflexen gelösten Dasein darstellt; sondern grade um diejenigen subjektiven Vorgänge in der gläubigen Seele, die durch die Betonung jener transzendenten Welt, jener objektiven Heilstatsachen in ihr ausgelöst werden.

Natürlich sind auch die Menschen der Rembrandtschen Religiosität vom Überirdischen als Ahnung, Gewissheit, Erschütterung erfüllt; allein die ihnen gegenüber stehende Existenz des Transzendenten ist für sie nicht das Primäre, sozusagen nicht das Substantielle ihres religiösen Verhaltens, entscheidend bleibt immer der Strom, der aus der Seele selbst hervorbricht, ihr innerlich eigenes Sein als ihr religiöses Fatum.

Darum hat der Bezirk auch der seelischen Erlebnisse in Rembrandts religiösen Darstellungen unverkennbare Lücken.

Es fehlt zunächst ein wesentliches Motiv des Christentums: die Hoffnung - ein Affekt, der freilich nur als positives Bezogensein auf ein Jenseitiges, Überseelisches in der Seele auflebt.

Während über allen Figuren des Trecento das Paradies Dantes schwebt, während in den exzentrischen Bewegtheiten des Barock der Mensch sich förmlich in den Himmel hinaufreisst, ist bei Rembrandt weder Hoffnung noch Hoffnungslosigkeit, seine Gestalten stehen jenseits dieser Kategorie, die Seele hat sich aus den Überschwenglichkeiten von Himmel und Hölle auf das zurückgezogen, was im unmittelbareren Sinne als diese ihr Besitz ist.

Auch die religiösen Erfahrungen des Erlösungsbedürfnisses und der Gnade sind diesen Gestalten nicht gegeben.

Mögen die so bezeichneten seelischen Zuständlichkeiten sich auch aus den innerseelischen Kräften erzeugen, so gewinnen sie ihr spezifisches Wesen erst mit dem bewussten Hinsehen auf etwas ausserhalb der Seele, wovon sie als ganze abhängig sei.

Hier offenbart sich eine ganz weit ausgreifende Form des menschlichen Verhaltens.

Wir mögen psychologisch davon überzeugt sein, dass es für uns nur immanentes Bewusstsein gibt, dass unsere Lebensinhalte nur Modifikationen des Selbstbewusstseins sind; und metaphysisch, dass alle unsere Erfahrungen und Wertgewinne nur auf dem Wege der Seele zu sich selbst liegen, dass sie nichts finden kann als was von vornherein ihr Eigentum war; so führt doch diese innere Entwicklung unzählige Male über Äusseres und sie kann nun ihr Ziel und gesteigertsten Wertpunkt - zugegeben selbst, dass diese ausschliesslich in ihr selbst liegen -, überhaupt nicht direkt, sondern nur auf dem Umwege über etwas erreichen, was sie als ein ihr Äusseres anerkennt.

Dies wird damit zusammenhängen, dass es überhaupt das Wesen des Lebens ist, sozusagen über sich selbst hinauszugehen, jeden Moment über sich hinweggreifen zu lassen - in dem Selbsterhaltungstriebe, im Zeugen, im Vorstellen, im Willen.

Dieses Über-sich-selbst-Weiterdrängen, Sich-aus-sich-selbst-Heraussetzen wird gewissermassen rückläufig; nachdem es den Weg über die äussere und ideelle Objektivität gewonnen hat, kehrt das Leben in sich selbst zurück, mit Besitztümern und Reaktionen, die zwar nur ihm gelten, die es aber nur auf diesem Umweg über das Andere erreichen oder erzeugen konnte.

Angenommen, mit alledem kreiste die Seele doch in sich selbst, so wäre das Schwingen über sich selbst hinaus, das Schaffen des Anderen, des Gegenüber, auf das die Seele erst reagiert - das wäre eben die Art ihres inneren Lebens.

Nun gibt es gewiss Vollendungen der Seele, die ganz und gar in ihren Grenzen beschlossen bleiben, Werte des Seins, des Fühlens, des Sichentwickelns, des Ringens; und in der Atmosphäre und Intention solcher Werte hält sich die Religiosität, die Rembrandt ausdrückt.

Nimmt man aber selbst an, dass es sich in aller Religion in Wirklichkeit nur um dieses Innerliche, um eine Art des Selbstlebens der Seele handle, und dass alle ausserseelische Objektivität in ihr nur Mythos, nur Spiegelung, Hypostasierung, oder was sonst sei - so ist unleugbar, dass gewisse rein innerliche Erlebnisse eben nur zustande kommen, wo jene Atmosphäre der Immanenz durchbrochen wird und die Seele, mit einem zentrifugalen Akzent, auf objektive Gebilde hin und in der Form des Umweges über sie lebt.

Nur so ist »Glaube« da - obgleich die »Gläubigkeit« ein rein innerseelisches Verhalten sein mag.

Nur so können Hoffnung und Verworfensein, Erlösung und Gnade jeweils den religiösen Ausdruck beherrschen, gleichviel ob das Gegenüber, das all dieses bedingt, von einem anderen als dem religiösen Standpunkt, zum Beispiel von dem intellektuellen aus, als ein Gebilde der Seele selbst erscheint.

Darum fehlt dieser Religiosität das Moment der Gefahr.

All die furchtbaren Ungewissheiten, das Preisgegebensein, das Tasten ins Dunkle gibt es hier nicht, nicht die Gefährdung durch die absolute, vom Transzendenten her kommende Forderung, die Michelangelos Leben zerriss und, in wie vielen Umsetzungen immer, auch in das Leben seiner Gestalten sich fortsetzte.

Damit soll den Rembrandtschen kein philiströses Sicherheitsgefühl imputiert werden.

Vielmehr, sie stehen ganz jenseits der Alternative von Gefährdung und Rettung, weil dies beides, nebst allen Erscheinungen der dadurch festgelegten Reihe, erst mit der Verlegung des religiösen Lebensakzentes auf den objektiven religiösen Gehalt auftritt.

Wo dieser Akzent auf dem subjektiven religiösen Prozess ruht, mag dieser in sich noch so metaphysisch und ewigkeitswertig sein, - wo die Religiosität ihrem tiefsten Sinne nach gar nicht in der Form des Gegenüber von Subjekt und Objekt verläuft, fehlt die Voraussetzung für jene Affekte.

Darum ist, dass sie sich nicht in der Rembrandtschen Kunst finden, nicht einfach ein Manko, sondern die notwendige und bestätigende Folge ihres Wesens, das sich polar und mit einzigartiger Entschiedenheit und Grösse den Kunsttypen der objektiven Religion entgegensetzt.


 

Editorial:

Prof. Hans Geser
Soziologisches Institut
der Universität Zürich
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