Georg Simmel:
Rembrandts religiöse Kunst
ex: Frankfurter
Zeitung, Jg. 58, Nr. 179, 30. Juni 1914, Erstes Morgenblatt, S. 1 -3, und
Jg, 58, Nr. 180, 1. Juli 1914, Erstes Morgenblatt, S. 1–2
In zwei Grundformen tritt
innerhalb der menschheitlichen Geschichte religiöses Wesen auf.
Denn indem religiöse
Sachverhalte sich bieten: der Gott und die Heilstatsachen, der Kultus und
die Kirche; indem das religiöse Individuum sich all solchem gegenüber
aufnehmend oder schöpferisch verhält, nur sein eigenes Heil sucht oder
sich selbstlos hingibt - ist eine Doppelströmung des religiösen Wesens
eingeleitet, die an dessen vollkommener Spaltung münden kann.
Auf der einen Seite steht
die Objektivität der religiösen oder kirchlichen Tatsachen, eine
selbstgenügsame, nach eigenen Gesetzen gebaute Welt, in ihrem Sinn und
Wert ganz gleichgültig gegen das Individuum, das sie nur hinnehmen, nur
zu ihr aufschauen kann.
Auf der anderen Seite: die
Religion ausschliesslich in das innere Leben des Subjektes verlegt;
jene Transzendenzen und Kulte mögen als metaphysische Wirklichkeiten
bestehen oder nicht - ihre religiöse Bedeutung liegt ganz und gar in den
Beschaffenheiten und Bewegtheiten der Einzelseele, die von ihnen
vielleicht ausgelöst werden, vielleicht aber auch ihnen erst Sinn und
Leben verleihen.
Dort bedeutet das Religiöse
ein entschiedenes Gegenüber und sozusagen erst nachträgliches
Sichaufnehmen zwischen Göttlichem und Seelischem, hier ein seelisches
Leben selbst, aus einer tiefsten individuellen Produktivität und
Selbstverantwortlichkeit strömend, das freilich in sich, als religiöses
Sein, eine übersubjektive metaphysische Bedeutung und Weihe besitzt.
Die grossartigste
historische Verwirklichung jener Objektivität der religiösen Welt ist
der Katholizismus; eine entsprechende kann für die andere Quellenrichtung
des religiösen Daseins nicht aufgewiesen werden.
Dies ist begreiflich.
Denn die Gebilde, durch die
die Religion etwas Historisches und Sichtbares wird: Dogma, Kultus, Kirche
- kommen höchstens sekundär für den in Betracht, dem Religion in einem
Erlebnis oder in einer Führung und Färbung des Lebens überhaupt oder in
einem unmittelbaren Verhältnis der Seele zu Gott besteht, In einem Verhältnis,
das als religiöses nur in der Seele selbst sich abspielen kann.
Ersichtlich tritt diese Art
der Religiosität nicht aus dem Individuum heraus und bildet deshalb kein
geschichtliches Gesamtphänomen.
Sie wird auch keineswegs
vom Protestantismus repräsentiert.
Denn auch dieser rechnet
mit ganz objektiven religiösen Tatsachen, die ihren Sitz nicht in der
religiösen Seele haben, sondern deren Objekt diese ist: mit dem
Weltregiment eines persönlichen Gottes, mit der Erlösung, die Christus
den Menschen gewonnen hat, mit Schicksalen, die der Seele durch die
sachlich-religiöse Struktur des Daseins kommen.
Würde die subjektive
Religiosität wirklich ganz rein verwirklicht (was vielleicht nie
geschieht, so wenig wie es eine bloss objektive Religion gibt, jede
dieser Formen tritt vielmehr immer in einer gewissen Mischung mit der
anderen auf) - so würde sie vielmehr in dem Prozess des Lebens selbst, in
der Art, wie der religiöse Mensch in jeder Stunde lebt, bestehen, nicht
aber in irgend welchen Inhalten, in dem Glauben an irgend welche
Wirklichkeiten.
Diese beiden Gegenströmungen
des religiösen Lebens überhaupt haben nun zwar die christliche Kunst
nicht grade mit parteimässiger Schärfe unter sich aufgeteilt; allein
ihre Reinheit und ihre Gemischtheit bilden eine Skala, auf der jegliches
religiöse Bild einen bestimmten Platz findet.
Die byzantinische Kunst setzt
mit der völlig objektiven Darstellung der transzendenten Welt ein.
In den Mosaiken von Ravenna
werden die Personen und Symbole der christlichen Mysterien in ihrer
metakosmischen Erhabenheit hingestellt, völlig gleichgültig gegen
menschlich erlebende Subjekte, die Menschen dieser Religiosität, den Künstler
einbegriffen, haben sich völlig entsubjektiviert, vor ihnen steht ein Götterhimmel,
ungeheure selbstgenügsame Seinsmächte, zu deren Vorstellung individuelle
Gefühle und Innenschicksale keinerlei Beziehung, weder als Ausgangs- noch
als Mündungspunkte haben.
Im Trecento wird
eine andere Stufe jener Skala erreicht.
Bei Duccio, bei Orcagna und
manchen geringeren ihrer Zeitgenossen strömt in die abgeschlossene
Feierlichkeit des Heiligenbildes ein Ton lyrischer Menschlichkeit, das
Transzendente ist nicht nur und schaltet als objektive Macht mit
dem Menschen, sondern aus diesem kommt ihm eine eigene Bewegtheit
entgegen, der Ausdruck des religiösen Lebens hat, wie zart und zurückhaltend
auch noch immer, einen Weg in die Darstellung der transzendenten Tatsachen
gefunden.
Wieder verschiebt sich das
Verhältnis zwischen objektiver und subjektiver Religiosität in den
Formgebungen der Hochrenaissance.
Deren grössere
Lebendigkeit und Naturalistik lässt nämlich die Darstellung keineswegs
in höherem Grade als Äusserung einer innerlichreligiösen Dynamik
erscheinen.
Von Michelangelo, der in
dieser Hinsicht eine ganz isolierte, untypische Stellung einnimmt, sehe
ich ab.
Aber Lionardo und Raffael,
Fra Bartolomeo und Andrea del Sarto sind in ihren Heiligenbildern von
einer erstaunlichen Objektivität: sie stehen für mein Gefühl diesem Pol
der Skala näher als das Trecento es tat, so sehr dies grade sich ebenso
durch Ungelenkheit wie durch sakrale Würde vom Cinquecento unterscheidet.
Man hat durchaus nicht mehr
den Eindruck, dass irgend ein religiöses Leben von sich aus zu diesen
Kompositionen beigetragen hat; selbst wo nicht das rein malerische
Interesse alle anderen seelischen Agentien unfühlbar gemacht hat, geht
doch die religiöse Intention ausschliesslich auf die Darstellung eines
himmlischen oder historischen Daseins, die von dessen Zentrum, von seiner
eigenen Immanenz her, aber nicht von der Frömmigkeit oder der Sehnsucht
oder der Hingebung einer Seele her bestimmt ist.
Die eigentümliche Fähigkeit
des menschlichen Geistes, gewissermassen von sich selbst absehend und aus
dem ihm Gegenüberstehenden heraus zu denken oder anzuschauen, ist auch
auf dem religiösen Gebiet mächtig und hat in der Renaissancekunst diese
Macht vorbehaltlos bewährt.
Ich rechne noch Rubens
dazu, dessen Ildefonso-Altar, und zwar grade wegen seiner vollkommenen
Weltlichkeit, die religiöse Objektivität vielleicht auf ihren Gipfel
hebt.
Die Himmelsherrin zeigt
dieselbe vornehme repräsentative Existenz wie der Fürst, der ihr
huldigt, zwischen beiden ist eigentlich nur ein gradueller Unterschied
innerhalb der gleichen, sozusagen nach unten hin isolierten Dimension, und
dass die Darstellung des Göttlichen von einer menschlich-persönlichen
Religiosität her bestimmt sein sollte, wäre hier ebenso unpassend
erschienen wie es nach der Anschauung der Zeit gewesen wäre, dass die
Untertanen sich unmittelbar den Kaiser wählten.
Die transzendente
Erhabenheit des göttlichen Daseins ist hier zwar vermenschlicht, aber
indem dies mit dem soziologischen Cachet der »Vornehmheit« geschieht,
ist die Ablehnung jeder innerseelischen Religiosität des Subjektes, die
sich in den künstlerischen Gestaltungen darlebe, fast in die Form der
Offensive übergegangen.
An dem anderen Extrem
dieser Skala steht Rembrandt.
All seine religiösen
Bilder, Radierungen, Zeichnungen haben nur ein einziges Thema: den
religiösen Menschen.
Die Gegenstände des
Glaubens macht er nicht sichtbar, und wo er Jesus darstellt, hat er nie
den Charakter transzendenter Realität, sondern empirisch menschlicher:
den liebenden und den lehrenden, den in Gethsemane verzweifelnden und den
leidenden.
Das Dasein des Heiligen,
dessen objektive Erhabenheit der Gläubige nur hinnehmen und von ihr
angestrahlt sein kann, ist für Rembrandts Kunst verschwunden; das Religiöse,
das er in künstlerische Erscheinung ruft, ist die Frömmigkeit, wie
die Seele des Individuums sie in mancherlei Abwandlungen erzeugt.
Mag diese Seele von
transzendenten Mächten erregt, von dem göttlichen Dasein umfasst und
bestimmt sein - nicht dies zeigt Rembrandt, sondern den Zustand, den sie,
all dieses vorausgesetzt, nun in sich, mit ihren spezifischen Kräften
hervorbringt, einen Zustand, der ausschliesslich an menschlichen Seelen
bestehen und sich an menschlich irdischen Leibern ausdrücken kann.
Mögen alle transzendenten
Glaubensgegenstände existieren und innerhalb ihrer absoluten Macht der
einzelne Mensch mit seinen Zuständen ein verwehendes Sandkorn und
objektiv eine Gleichgültigkeit sein - Religion kann immer nur in
einem Verhältnis einer menschlichen Seele zu diesen Jenseitigkeiten
entstehen und sie ist unter allen Umständen der Anteil, den diese Seele
in das Verhältnis hineingibt und in dem es für sie besteht.
Dies ist, in theoretischem
Ausdruck, die Grundvoraussetzung von Rembrandts religiöser Kunst.
Zum erstenmal in der
Geschichte der Kunst ist diese Quellströmung der Religion zu reiner
Herrschaft gebracht: dass sie, welches auch immer ihre Glaubensinhalte,
ihre metaphysische Basis, ihre dogmatische Substanz sei, doch als Religion
ein Tun oder ein Sosein der Menschenseele sei.
Nur etwa Fra Angelico könnte
man daneben nennen, dem gleichfalls der fromme Mensch als solcher zum
Darstellungsproblem wird.
Allein schliesslich ist
doch auch bei ihm der religiöse Inhalt ein Allgemeines, das über den
Individuen schwebt und erst in sie hineinwirkt, sie erleben ihn als ein
Aufgenommenes; das Dogma ist hier doch noch zu eng in den rein
seelischen Prozess des Frommseins verweht, als dass mehr als eine
Vorahnung für das schlechthin überhistorische Gebilde der Frömmigkeit
im Rembrandtschen Ausdruck sich bieten könne.
Im Mittelalter überhaupt
ist die Frömmigkeit wie eine Substanz ausgegossen, die die einzelnen
Menschen durchdringt.
Bei Rembrandt wird sie
jedes Mal von neuem aus dem letzten Grunde jeder Seele heraus erzeugt, die
Menschen sind nicht mehr in einer objektiv frommen Welt, sondern in einer
objektiv indifferenten Welt sind sie als Subjekte fromm.
Unzählige Male stellt er
biblische Szenen dar, die man mangels jedes dogmatischen transzendenten
Elementes scheinbar gar nicht für religiöse Kunst halten möchte: die
Erlebnisse des Tobias, den barmherzigen Samariter, den verlorenen Sohn,
die völlig kleinbürgerlich aufgefasste Jugendgeschichte Jesu.
Das Religiöse ist die
Beschaffenheit dieser Menschen, die an ihnen von innen her ebenso haftet,
wie dass sie klug oder dumm, lebhaft oder indolent sind.
Mögen sie nun glauben oder
tun, was sie wollen - sie haben die Frömmigkeit als eine Bestimmung ihres
subjektiven Seins überhaupt, die grade an ihrem inhaltlich ganz irdischen
Verhalten um so deutlicher als Eigenfärbung ihrer Persönlichkeiten
aufleuchtet.
Diese Religiosität haftet
als solche an keinen Inhalten.
Diesseits und jenseits
spielen für sie keine Rolle, sie ist von keinem terminus ad quem, sondern
nur von ihrem terminus a quo abhängig.
Wo sonst eine
Anschauungsweise religiöse Werte in menschlicher Form darstellte, wurde
entweder der Mensch vergöttlicht oder der Gott vermenschlicht.
Von dieser Alternative
tritt Rembrandt fort, da das Religiöse in seiner Darstellung nicht die
objektive Beziehung zwischen Mensch und Gott ist, sondern dasjenige
innereigne Sein des Menschen, an das sich oder aus dem sich überhaupt
erst die Beziehung zu seinem Gott knüpft.
Darum sind diese
Rembrandtschen Menschen am denkbar weitesten von aller Religiosität des
»Gesetzes« entfernt, insofern dieses ein allgemeines ist und wie es sich
in der Kirche, die das Individuum dominiert, niedergeschlagen hat.
Mit diesem Zuge scheint
eine in seiner Umgebung grade aufkommende Strömung in ihn hineingeleitet
zu sein.
In den Kreisen der niederländischen
»Collegianten« des 17.Jahrhunderts begegnet ein starkes
Misstrauen gegen den Wert der bestehenden Kirchen, bis zur völligen
Ablehnung des konfessionellen Typus überhaupt.
Es entsteht ein religiöser
Subjektivismus, der dem Individuum den grössten Differenzierungsspielraum
gewährt, so dass selbst der Calvinismus, diese Religion strengster
Objektivität und Gesetzlichkeit, dahin gelangte, sich seiner selbst als
einer sozusagen individuell religiösen Gestaltung bewusst zu werden, die
mit der Einzelexistenz als deren ganz persönlicher Besitz verbunden war.
In diesem Fehlen des
objektiven Allgemeincharakters der religiösen Werte liegt der tiefere
Grund, aus dem sich Rembrandts Auffassung der religiösen Persönlichkeiten
so ganz weit von aller statuarischen Darstellbarkeit entfernt.
Die Plastik ist die
unindividuellste Kunst, sie ist - mindestens bis zu Rodin - die Kunst der
allgemeinsten Formen.
Daher wird begreiflich,
dass in der romanischen Renaissance auch die Gestalten der Malerei oft, in
gewissen Reihen sogar typisch, wie Statuen dastehen.
Der Inhaltsallgemeinheit
des Katholizismus entsprach die Formallgemeinheit der Kunst, während die
Rembrandtsche Empfindungsweise, für die das Allgemeinheitsproblem keinen
Sinn hat, der Formungsintention, die sich zur Plastik auf gipfelt, keinen
Raum geben konnte.
Es fehlt der Religiosität
seiner Gestalten der Allgemeinheitscharakter nicht nur, weil er ein
Abstraktes ist, nicht nur weil das religiöse Leben (im Gegensatz
zu den religiösen Inhalten) nur an individuellen Trägern haften
kann - sondern auch weil er ein Befehlendes, Vergewaltigendes gegenüber
dem Einzelnen ist.
Nicht nur ist das Gesetz
etwas Allgemeines, sondern das Allgemeine ist auch Gesetz.
An jenen ravennatischen
Bildern der göttlichen und heiligen Wesen ist, soweit sie überhaupt
einer Beziehung zum Menschlichen zugängig sein mögen, grade das Magistrale
der Religion, der Kirche, ein unübersehbarer Zug.
Sie verkünden das Wahre
und Absolute, das als solches das Allgemeine und das Gesetz in Einheit
ist.
Eben diese Einheit ist es,
der die Rembrandtschen Gestalten ganz fern stehen, weil ihr Religiössein
nicht die Ausstrahlung eines Inhalts ist (so wenig es einen solchen
ablehnen mag), sondern ein Lebensprozess, eine Funktion, die sich
nur innerhalb des Individuums vollziehen kann.
Höchst merkwürdig
gestaltet sich dies in einigen seiner Jesus-Darstellungen.
In mehreren Radierungen
erscheint Jesus als Knabe: dürftig, von den Umgebenden fast erdrückt,
oder in dem Berliner Bild der Samariterin: fast nur ein Schatten,
substanzlos, gegenüber der kräftigen, gleichsam fest in der Erde
wurzelnden Frau.
Dennoch, sieht man auch nur
einen Augenblick länger hin, so ist dieses schwache, wie schwankende
Wesen doch das einzig wirklich feste, alle die anderen, starken und
substantiellen Gestalten sind ihm gegenüber unsicher und wie entwurzelt,
als hätten nicht sie, sondern nur er den Boden unter den Füssen, auf dem
der Mensch eigentlich stehen kann.
Und dies ist nicht durch
einen Strahl vom Transzendenten her erreicht, nicht dadurch, dass irgend
eine Andeutung den Heiland als einer anderen Ordnung im
objektiv-metaphysischen Sinne angehörig zeigt.
Er hat nur die stärkere,
die stärkste Religiosität, jene unbedingte Sicherheit als eine
Qualität seines menschlichen Seins, die dem Menschen nur als eine
Folge oder Seite seiner Religiosität zukommt.
Jesus ist hier nur die
gesteigertste von Rembrandts religiösen Gestalten, deren Unterschied
gegen die nichtreligiösen ausschliesslich von ihrer individuellen
Innerlichkeit her bestimmt ist.
Diese mag von
einer Gnade, von irgend einer aus dem Übermenschlichen fliessenden Kraft
getragen sein; allein danach fragt er nicht, er begrenzt sein Problem an
dem seelischen Sein des Menschen, das seine vielleicht vorhandene
transzendente Bedingtheit gänzlich in sein Leben aufgenommen hat und sie
nicht mehr als solche noch besonders kenntlich macht.
Grade diese Sicherheit des
Lebensfundamentes, wie sie in der von Rembrandt ausgedrückten
Religiosität liegt, enthebt deren Subjektivismus der blossen Zufälligkeit,
als wäre sie eine kommende und gehende »Stimmung«, die das Subjekt mit
sich abzumachen hätte, ohne dass sie etwas im objektiven Sinne bedeutete.
Das ganz Grosse und Einzige
vielmehr scheint mir zu sein: dass hier das rein im Individuum
verbleibende religiöse Verhalten als ein Ewigkeitswert fühlbar gemacht
ist.
Um diese Auffassung der
Religion zu begreifen, darf die Objektivität ihrer Werte absolut nicht
mehr von einer »Lokalisierung« ausserhalb des Menschen bedingt sein.
Die religiöse
Beschaffenheit des Subjektes ist ja selbst etwas Objektives, ist ein Sein,
das an und für sich metaphysische Bedeutung hat.
Der schlechte,
deklassierende Sinn des »Subjektes« entsteht nur, wo man seinen ganzen
Sinn durch einen Gegensatz bedingt sein lässt, wo die Gewohnheit
sinnlicher gebundenen Denkens es in ein Auseinander, Gegenüber, Gross und
Klein einstellt.
Die Erschütterungen und
Ekstasen, die in anderen Darstellungen den Menschen angesichts einer
Offenbarung, einer Erscheinung oder Botschaft vom jenseits überkommen,
mögen subjektiv, im Sinne des Vorübergehenden und, vom Subjekt
selbst her gesehen, Zufälligen sein.
Wo aber die religiöse Tatsächlichkeit
in dem Sein des Subjektes oder vielmehr als das Sein des Subjektes
verankert ist, da ist seine Religiosität eben selbst etwas Objektives,
ein Wert, der, einmal gesetzt, das Dasein der Welt überhaupt und zeitlos
um soviel wertvoller macht.
Diese Deutung des Religiösen
in Rembrandts Kunst, dass es bei ihm weder als ein Element noch als eine
besondere Aufgipfelung des Lebens erscheint, sondern als die Art des
Lebens dieser Menschen überhaupt; dass dieses subjektive religiöse Sein
aber seine Bedeutung nicht in seiner psychologischen Wirklichkeit
erschöpft, sondern selbst ein Metaphysisches ist, ein überzeitlicher
Wert, der rein von der Innerlichkeit dieser zeitlichen Individuen getragen
wird - diese Deutung sei noch nach einigen Seiten hin expliziert.
Erstens. Solcher
Bedeutung der religiösen Seele liegt die der Seele überhaupt zu Grunde.
Wenn man Rembrandt von
jeher als den »Maler der Seele« bezeichnet hat, so geht diese etwas
sentimentale Formulierung zwar aus einem richtigen Eindruck hervor, aber
dieser entfaltet seinen ganzen Sinn doch erst an der Aufzeigung seines
Gegensatzes.
Es ist
eine eigentümliche Tatsache, dass die Philosophen, denen alles an
der Totalität des Weltbildes, an dem systematischen Erfassen seiner
Einheit lag, fast durchgehendes eine Gleichgültigkeit, auch wohl eine
Abneigung gegen Psychologie zeigen.
So vielfach auch das Motiv
auftaucht, dass wir, grade wenn wir uns in das Letzte und Tiefste des
eigenen Seelengrundes versenken, den Grund des Daseins überhaupt oder den
Punkt erreichen, wo uns Gott berührbar und zugängig ist - so ist dies
doch grade ein Überpflanzen der Seele in das Metaphysische, grade ein
Hinausgehen über das spezifisch Seelenhafte, das sie ganz in sich ist.
Und so sehr man die Seele
in die Welt verschlingen und als deren Entwicklungsgipfel verstehen oder
umgekehrt die Welt in die Seele als deren Vorstellung und Erzeugnis
hineinlegen mag - grade wo die Seele rein als Seele lebt und empfunden
wird, ist ein Sichausschliessen zwischen ihr und der Welt da, das durch
all jene Vermittlungen nicht dementiert, sondern grade als ein erst zu Überwindendes
gezeigt wird.
Nicht nur in Philosophien,
sondern auch in den Religionen und den Künsten ist es so: wo die Ganzheit
des Daseins in ihrer Breite oder ihrem objektiv eigenen Zentrum erfasst,
symbolisiert, dominiert werden soll, entgeht der Seele jener
Sonderakzent, der von allen Dingen der Welt grade nur ihr werden kann;
andererseits, wo sie ihn findet, geht von ihr kein Weg zu dem Gefühl der
Beherrschung, der Vorstellung des Kosmos.
Grade weil Rembrandt der »Maler
der Seele« ist, fehlt seinen Gestalten jenes schwer definierbare Cachet
des Kosmischen, wie es z. B. in vielen Gestalten Hodlers besteht,
die sozusagen nicht - psychologisch - sich selbst, sondern irgendwie ein
Kosmisches ausdrücken, dessen sie selbst wie alle anderen ein Teil sind.
Sogar die Buddha-Gestalten
mit ihrem Akosmismus, ihrem leidenschaftlich leidenschaftslosen Abweisen
der Welt überhaupt haben eben damit zu dem tiefsten Begriff eben dieser
Welt ein sehr entschiedenes, wenngleich negatives Verhältnis und darum können
sie leicht im psychologischen Sinne »seelenlos« erscheinen, während die
Rembrandtsche Zentrierung alles Interesses in der Seele es weder im
Gegenstand noch in der Vortragsweise zu solchem Verhältnis kommen lässt.
Es gibt ein Bild von
Rembrandt, in dem dies alles zu einem positiven Ausdruck kommt: die »Auferstehung«
in München.
Im Vordergrunde taumeln die
Kriegsknechte von der gehobenen Grabplatte herunter: das ganze sinnlose,
teils gewalttätige, teils lächerliche Chaos des Irdischen.
Darüber der Engel: in
einer Flut unirdischen Glanzes, als hätte er die Tür des Himmels hinter
sich aufgelassen, aus der ihm Glorien nachstürzen.
Und nun, ganz in der Ecke,
fast nur schattenhaft, wie aus der Ferne, hebt sich der Kopf Jesu mit
schwer erkennbarem Ausdruck; und auf einmal wissen wir: hier ist die Seele,
vor deren blassem, leidendem, noch von der Totenstarre halbgelähmtem
Leben jene Erde und jener Himmel verblassen und nichtig werden.
Keinerlei
sinnlich-malerische oder mystisch-religiöse Betonung liegt auf diesem
Kopf, sondern das ganz Einfache: es ist die Seele, die als Seele nicht von
dieser Welt ist - aber auch nicht von jener; jenseits des ungeheuren, alle
sonstigen Daseinsmöglichkeiten umschliessenden Gegensatzes, in den hier
Erde und Himmel gestellt sind.
Dies Bild, aus seinen
dreissiger Jahren, ist wie ein Symbol und Programm seiner späteren höchsten
Kunst; es offenbart, wie mit der Seele ein schlechthin Unvergleichliches
gegeben ist, ein Dasein und ein Wert, jedem anderen Dasein und Wert gegenüber
souverän und gewissermassen unberührbar, ein objektives Reich des
Subjektiven, dem freilich dem irdischen und vielleicht auch dem überirdischen
Kosmos gegenüber das Einbeziehen und Einbezogenwerden abgeht.
Aber nur diese Absolutheit
des Prinzips Seele kann jene Religiosität tragen, deren metaphysischer
Inhalt keine gegebene Heilstatsache, sondern das religiöse Leben der
Seele selbst ist.
Zweitens. Dass
die Religiosität der Rembrandtschen Darstellungen zwar genau so am
Subjekt haftet wie dessen Leben selbst, weil sie eben nur die Art seines
Lebens ist, dass sich aber an diesen Darstellungen dennoch eine Objektivität,
ein Überzufälliges und ideell Festes offenbart - das ist vielleicht noch
von einer anders orientierten Basis aus zu begreifen.
Die tiefere
Kunstbetrachtung wird genau zwischen der Darstellung des Religiösen
und der religiösen Darstellung scheiden, so viele Werke auch
beides in Einheit zeigen mögen.
Solche Scheidung, allen möglichen
Kunstinhalten gegenüber erforderlich, ist öfter im Prinzip anerkannt,
als in der tatsächlichen Betrachtung durchgeführt.
Die dichterische oder
malerische Darstellung einer stark sinnlichen Szene braucht keine
sinnliche Darstellung zu sein, sondern kann rein artistisch formalen
Wesens sein; umgekehrt kann die künstlerische Darstellung eines in dieser
Hinsicht ganz indifferenten Inhaltes etwas sinnlich höchst Aufreizendes
haben - z. B. gewisse Ornamente bei Aubrey Beardsley; sie wirkt dann in
dieser Hinsicht wie Musik, die, jedes Vorstellungsinhaltes bar, äusserste
sinnliche Erregtheit hervorrufen und ausdrücken kann.
Der allgemeine Ausdruck für
dies Verhalten ist, dass bestimmte Daseinsinhalte, als Wirklichkeiten oder
in der empirischen Welt erlebt, gewisse Qualitäten oder Tönungen
besitzen, die ihnen nicht mehr selbstverständlich zukommen, sobald sie in
die Form der Kunst übergehen.
Aber die Kunst kann
ihrerseits in ihrer einzelnen Ausübung diese Eigenschaften besitzen oder
nicht besitzen; die Kunstform als solche kann von ihnen durchdrungen sein,
mag die Wirklichkeitsform des gleichen Inhaltes sie zeigen oder nicht.
Nur auf die prinzipielle
Erkenntnis kommt es also an, dass es religiöse Kunstwerke gibt, deren
Gegenstand gar nicht religiös ist (obgleich er es auch sein mag) - wie
es, viel anerkannterer Weise, gänzlich irreligiöse gibt, deren
Gegenstand religiös ist.
Vielleicht ist deshalb das
Ergreifende von Rembrandts biblischen Darstellungen, die in unmittelbarem
Anblick nur etwa eine kleinbürgerliche Milieuszene bieten, auch so
auszudrücken: das Darstellen Selbst, die künstlerische Funktion des
Bildens, sozusagen die manuelle Führung von Nadel, Feder, Pinsel ist
religiös durchgeistet; die Dynamik des Schaffens selbst hat den eigentümlichen
Ton, den wir religiös nennen und der im Gebiet der historischen Frömmigkeit
und des Transzendenten zu den eigentlichen »Gegenständen« der Religion
kristallisiert.
Es bedarf deshalb gar
keiner religiösen Einzelheiten auf diesen Bildern; das Ganze ist religiös,
da die apriorische Funktion, die es erzeugt hat, religiös ist.
Dass ihre Vorwürfe
biblisch sind, ist nur Anregung und Erleichterung für den Maler, eben
diese Funktion wirken zu lassen, für den Beschauer, sie zu fühlen.
Die Art, wie sich hier die
malerischen Möglichkeiten verhalten, entspricht gewissen Tatsachen aus
der Geschichte der Vokalmusik.
Im Lied wie in der Oper ist
bei manchen Komponisten Text und Musik innerlich von einander ganz unabhängig.
Mozart komponiert sogar den
elendsten Text, sicher, dass die selbständige Schönheit der Musik ihn überdeckt;
hier und bei anderen bilden Worte und Töne zwar eine tatsächliche
Einheit, stehen aber in ganz verschiedenen Bedeutungsreihen.
Anders liegt es zum
Beispiel bei Bach und später wieder besonders bei Schumann.
Hier liegt eine solche
Vertiefung in den Text vor, dass er, für den Eindruck, vollkommen bildsam
erscheint; das Tiefste, was er an allgemeiner Stimmung hergeben kann, wird
die Wurzel, aus der das Gesamtkunstwerk aufwächst; indem die Musik selbst
von dieser Grundstimmung des Textes bestimmt ist, leitet sie ihm diese
wieder zu: sein eigenes Wesen, gereinigt und gestärkt durch seine
Ausformung in der Musik, umfasst und gestaltet ihn von neuem.
Jenes erste Verhältnis, übertragen
auf den religiösen Gegenstand und seine malerische Darstellung, besteht
etwa für die Hochrenaissance und für Rubens.
Welche innere Bedeutung
einer Madonna zukommt, ist für Raffael irrelevant, welche einer
Kreuzabnahme, danach fragt Rubens nicht.
Bei beiden verlässt sich
die Malerei sozusagen auf sich selbst, so dass es an ihren Eindruck
nicht rührt, wenn sie den Gegenstand in seiner Eigenbedeutung nur wie
einen Fremdkörper enthält.
Bei Rembrandt dagegen wird
die Malerei selbst von dem allgemeinen Grundmotiv des dargestellten
Vorganges, dem Religiös-Sein, getränkt und durch das Medium des so
bestimmten artistischen Prozesses wird der Vorgang wiederum in jenes
einbezogen.
Der Gegenstand wird durch
das Kunstwerden hier so geformt und beseelt, dass er vollkommen in dessen
Charakter aufgeht -während eben dieser Charakter der künstlerischen
Funktion aus dem allgemeinsten Sinn des Gegenstandes, seine Einzelheit
weit übergreifend, genährt ist.
Die Interpretation muss
hier eine naheliegende subjektivische Irrung vermeiden.
Es ist mit alledem nicht
etwa behauptet, dass Rembrandt sozusagen als Privatperson ein religiöser
Mensch gewesen wäre und diese Stimmung seines persönlichen Lebens auf
die Erzeugnisse dieses Lebens übertragen habe; wie er sich in dieser
Hinsicht innerlich verhalten hat, wissen wir nicht, und die Indizien
scheinen mir bei ihm mehr gegen als für eine sehr positive Religiosität
zu sprechen.
Aber als Maler, funktionell,
als der Schöpfer dieser Bilder ist Rembrandt religiös.
Hier liegt noch einmal der
Unterschied einerseits gegen den anderen Maler der Frömmigkeit: Fra
Angelico ist ganz unverkennbar persönlich ein frommes Kindergemüt
gewesen, er hat mit einer Unmittelbarkeit, die man nicht in Hinsicht des
Objektes, wohl aber des Subjektes Naturalismus nennen kann, seine reale
Lebensstimmung in sein Werk hinein fortgesetzt, während, so weit wir
sehen können, es bei Rembrandt nicht die persönliche Existenz, sondern
der künstlerische Prozess war, die Art des Konzipierens und Schaffens,
die dem Werk das religiöse Cachet gab.
Darum ist es nun
andererseits auch nicht einfach die realistische Beobachtung frommer Persönlichkeiten,
denen das Werk dies Cachet verdankt.
Gewiss wirken, wie ich früher
ausführte, seine Menschen als spezifisch fromme, als solche, die von
innen her in der religiösen Sphäre leben; allein unter dieser
unmittelbaren Erscheinung liegt als tiefere Schicht, als funktionelles
Apriori das, was man das religiöse Malen - im Unterschied gegen das Malen
des Religiösen -nennen muss.
Diese religiöse
Charakterisiertheit haftet hier wirklich nur dem Malen an, sie ist dessen
immanentes Gesetz und nicht eine eigene Lebensrealität, für die das
Malen nur ein Ausdrucksmittel wäre.
Es sind ja auch nicht nur
die Figuren, an denen dies künstlerische Apriori sich im einzelnen
darstellt, sondern die Gesamtheit des Bildes ist es: Licht und Luft, die
Komposition und das ganze Milieu haben diese an singulären Punkten oft
gar nicht aufzuweisende Stimmung des Religiösen.
Ein solcher Charakter des
Ganzen kann auch nur aus einem Ganzen kommen, das heisst aus einer
allgemeinen stilistischen Geste der Produktion, unbeschadet, dass sie nur
an einem bestimmten Problemkreis dieser Produktion sich äussert.
Jenes Religiössein, das
uns vorhin als die von innen aufsteigende, an sich noch inhaltlose Färbung
des Lebensprozesses Rembrandtscher Gestalten erschien, steigt jetzt, dies
begründend, in eine tiefere Schicht: der malerische oder zeichnerische
Vortrag hat den inneren Stil, die Bewegtheit, das Weihevolle, die Mischung
des Dunkeln und des Lichten, der Unaussprechbarkeit und des naiv
Selbstverständlichen -, welches alles Religiosität heissen muss; dieser
Vortrag selbst ist also religiös, er hat nicht einfach
Religion - weder als Bekenntnis einer persönlich realen Gläubigkeit noch
als Wiedergabe beobachteter Religiosität noch als Darstellung an sich
religiöser Inhalte (obgleich beides letzteres ausserdem vorliegen mag).
Mir ist kein Schöpfer
religiöser Kunstwerke bekannt, bei dem das religiöse Moment in dieser
Schicht lokalisiert wäre, so frei von aller blossen Gegebenheit; ein
Formungsgesetz des Schaffens selbst, das also »allgemein und notwendig«
in dem Geschaffenen anschaulich ist.
Drittens. Dies
also ist sowohl in Hinsicht der Gestalten wie der künstlerischen Funktion
das Einzigartige an Rembrandts religiösen Darstellungen: dass Religion
hier in ihrem seelisch funktionellen Sinne, als Religiosität erfasst
ist, unter Ausschaltung alles dogmatisch Traditionellen und seines
transzendenten Inhaltes - und dass dieser primäre Subjektivismus sich
durchaus als objektiver Wert zeigt, indem er einerseits an den Gestalten
ein in sich Metaphysisches, die absolute Bedeutsamkeit der religiösen
Seele, repräsentiert, andererseits an der Kunst selbst zum Apriori
geworden ist, das die volle Objektivität der Kunstform besitzt, den
Bedingungen des objektiven Schaffens immanent ist.
Rembrandt hat ein Mittel,
diese Konstellation über die menschliche Individualität hinaus zu
verwirklichen: das Licht.
Ich halte
es für ganz irrig, das Licht auf seinen religiösen Darstellungen als »symbolisch«
zu erklären.
Für einige seiner
landschaftlichen Bilder und Radierungen mag das gelten; da soll es gewisse
differenzierte Stimmungen vorstellen und ist dadurch eigentlich mehr
allegorisch als symbolisch.
In jenen Darstellungen aber
ist es unmittelbar religiöse Atmosphäre, religiöse Weltfärbung, es
symbolisiert nichts, wie etwa in anderen Gemälden der vom geöffneten
Himmel herunterzuckende Strahl oder das vom Christkind ausgehende Leuchten
Symbole sind.
Es verhält sich vielmehr
wie der religiöse Seinsausdruck Rembrandtscher Figuren, die die so
bezeichnete Bedeutung unmittelbar an sich tragen, und nicht daraufhin,
dass irgend ein Transzendentes, ein dogmatischer Sachverhalt an ihnen
sichtbar würde.
Dieses Licht ist sozusagen
als natürliche Wirklichkeit religiös, wie jene Menschen es als seelische
Wirklichkeit sind.
Wie sie bäuerisch, beschränkt,
durchaus irdisch sind, aber ihre Religiosität in sich die metaphysische
Weihe trägt oder an und für sich eine metaphysische Tatsache ist, so ist
das Rembrandtsche Licht auf seinen religiösen Radierungen und Bildern
etwas durchaus sinnlich Irdisches, gar nicht über sich hinaus Weisendes,
aber als solches etwas Überempirisches, es ist die metaphysische Verklärung
des anschaulichen Seins, die dieses nicht in eine höhere Ordnung
hinaufhebt, sondern fühlbar macht, dass es selbst und unmittelbar eine höhere
Ordnung ist, sobald es mit religiösen Augen angeschaut wird.
Damit ist nicht etwa
Pantheismus gemeint, der sich ja überhaupt in den bildenden Künsten kaum
ausdrücken kann und auf den sie höchstens als auf eine in weiter Distanz
darüberschwebende Stimmung hindeuten können, wie vielleicht in der alten
Malerei Ostasiens.
Der Pantheismus ist
entweder die Versöhntheit eines Dualismus, dessen Spuren nicht völlig
verwischt sind und auch nicht verwischt sein dürfen, damit die gewonnene
Einheit fühlbar bleibe; oder er ist eine, offenere oder heimlichere,
Verneinung der sinnlichen Wirklichkeit zu Gunsten der alleinigen
Wirklichkeit des Transzendenten.
Beides liegt dem Verhalten
Rembrandts ganz fern.
Sein spezifisches Licht
stammt zwar weder von der Sonne noch aus einer künstlichen Quelle,
sondern aus der künstlerischen Phantasie, aber es hat auf deren Boden völlig
den Charakter seelisch-sinnlicher Anschauung, und seine Weihe und dass es
nicht von dieser Welt ist, ist eine Qualität, die es durchaus als
Erscheinung dieser Welt, sozusagen als künstlerische Erfahrung besitzt.
Man möchte hier eine
Analogie mit historischen Wirklichkeiten erkennen.
Sieht man das niederländische
Volk an, wie es sich auf den Bauern- und Bürgerbildern darstellt:
sinnenfroh, fest in der Erde wurzelnd, gutem Essen und Trinken von Herzen
ergeben - so ist es eines der erschütterndsten Schauspiele, dass grade
diese Menschen für ideale Besitze, für ihre politische Freiheit und ihr
religiöses Heil rückhaltlos den Tod und Schlimmeres als den Tod auf sich
nahmen.
Und fast erscheint dieses
in vielen der Rembrandtschen religiösen Bilder und Radierungen
symbolisiert: einfache Gestalten, ohne jede subjektive Phantastik, irdisch
herb - und in sich schon jener immanenten Religiosität teilhaft, werden
sie jetzt noch einmal vom Licht umgriffen, um eine Totalität zu tragen,
die den gleichen Charakter der rein inneren Verklärtheit offenbart, des
Irdischen, das ein Überirdisches ist, ohne über sich selbst
hinauszugreifen.
Bilder wie die »Ruhe auf
der Flucht« im Haager Museum oder die Grisaille des »Barmherzigen
Samariters« in Berlin sind schlechthin einzige Erscheinungen in der
Geschichte des malerischen Ausdrucks.
Wie die Musik des grossen
Komponisten allen einzelnen und begrifflichen Inhalt des Liedtextes übergreift,
und eben damit doch dessen letzten Sinn in absoluter Einheit und Reinheit
ausspricht - so ist hier jede Besonderheit der fast unkenntlichen Figuren,
jede Spezifikation des Vorgangs völlig in die Dramatik von Licht und
Schatten aufgelöst, mit der die allgemeinste, metaphysische und innere
Deutung des Ereignisses uns als Vision erschüttert.
Das »Allgemeine«, von
dem wir so irgend welchem Einzelnen gegenüber sprechen, kann von sehr
verschiedenen Standpunkten her gewonnen sein.
Die Begrifflichkeit, der
Sinnen-eindruck, der Gemütswert, der Inhalt für sich oder die Form für
sich - alles dies mag an einer individualistischen Seinsgestaltung
herausgestellt werden, als ihr Allgemeines, das durch ihre jeweiligen übrigen
Bestimmungen zu dem unverwechselbaren Gesamtbild individualisiert wird.
In diesen Rembrandtschen
Lichtstücken ist die religiöse Gestimmtheit, die Transzendenz des
Anschaulichen, die ihm als seine Weihe und Erschütterung einwohnt - diese
ist das Allgemeine, auf das das Ereignis gestellt ist.
Das Licht ist das
Allgemeinste der Anschauungswelt, weil es sie überhaupt »möglich macht«
und seine reinen Modifikationen insoweit als das tiefste transzendentale
Schema jeder optischen Szene gelten könnten; und es ist hier das
Allgemeine grade dieses jeweiligen Bildes, jenseits aller darüber hinausgreifenden
Bedeutung, das heisst so, wie die Musik das Allgemeine zu dem Text des
Liedes oder vielmehr zu dem Gesamtkunstwerk des komponierten Liedes ist.
Es ist die ganz einzige
Kunst Rembrandts, den Vorgang auf die religiöse Gestimmtheit und
Geweihtheit als auf sein Allgemeinstes zu konzentrieren und am Licht den
anschaulichen Träger dieser Allgemeinheit zu gewinnen.
Hiermit ist nun das
Entschiedenste an Ablehnung alles dogmatischen Inhaltes vollzogen.
So lange der biblische
Vorgang immerhin noch der eigentliche Gegenstand der Darstellung ist, mögen
seine personalen Träger ihre kirchlich traditionelle Bedeutung ganz in
die autonome des subjektiven Religiösseins aufheben - das Ganze, die
Szene überhaupt bliebe noch die in der objektiv heiligen Überlieferung
gegebene.
Aber auch dies fällt jetzt
fort, wo das Licht nicht mehr da ist, um jene Szene zu beleuchten, sondern
umgekehrt nur das Licht in seiner selbstgenügsamen Dynamik, Tiefe, Gegensätzlichkeit
der Gegenstand der Darstellung ist, zu dem der menschlich biblische
Vorgang sozusagen die Gelegenheitsursache ist.
Wie sich an den Individuen
das ausdrückt, was über alle dogmatischen Daten hinwegreicht oder auch
sie begründet: die Frömmigkeit schlechthin, die seelische
Existenz in ihrer religiösen Bedeutung überhaupt - so ist nun der
Vorgang als ganzer, sein Historisches, kirchlich Fixiertes auf das
Allgemeinste, auf das Licht reduziert, die Gesamtstimmung gleichsam einer
übersingulären Seele offenbarend, deren Religiosität dieses Stück Welt
durchflutet, eine Religiosität ersichtlich, deren Aufschwünge und
Vertiefungen, Schauer und Seligkeiten diesen wie jeden anderen
konfessionellen Inhalt übergreifen, weil sie einen jeden als das
schlechthin Allgemeine seines Wesens unterbauen.
Dies alles darf nicht so
verstanden werden, als hätte Rembrandt die eigentliche und einzige religiöse
Malerei geschaffen; im Gegenteil, das ganz Einzige dieser Kunst tritt erst
an ihrem Gegensatz und seinem Rechte hervor: an der objektiv religiösen
Kunst, an derjenigen, deren Voraussetzung das Bestehen religiöser
Tatsachen und Werte ausserhalb der individuellen Seele ist.
Ich habe diesen Gegensatz
am Anfang dieser Blätter skizziert und es erübrigt nur noch einige
Grenzen zu bezeichnen, die die Religiosität eben der individuellen Seele
und ihr Ausdruck dadurch findet, dass sie auf sich selbst beschränkt ist,
dass ihr religiöses Leben sich rein innerlich und ohne angedeutete
Beziehung auf eine Transzendenz vollzieht.
Es handelt sich nicht nur
darum, dass die Kunst einer objektiven Religion die heiligen Wesen und
Ereignisse in ihrem für sich bedeutsamen, von ihren zufälligen
seelischen Reflexen gelösten Dasein darstellt; sondern grade um
diejenigen subjektiven Vorgänge in der gläubigen Seele, die durch die
Betonung jener transzendenten Welt, jener objektiven Heilstatsachen in ihr
ausgelöst werden.
Natürlich sind auch die
Menschen der Rembrandtschen Religiosität vom Überirdischen als Ahnung,
Gewissheit, Erschütterung erfüllt; allein die ihnen gegenüber stehende
Existenz des Transzendenten ist für sie nicht das Primäre, sozusagen
nicht das Substantielle ihres religiösen Verhaltens, entscheidend bleibt
immer der Strom, der aus der Seele selbst hervorbricht, ihr innerlich
eigenes Sein als ihr religiöses Fatum.
Darum hat der Bezirk auch
der seelischen Erlebnisse in Rembrandts religiösen Darstellungen
unverkennbare Lücken.
Es fehlt zunächst ein
wesentliches Motiv des Christentums: die Hoffnung - ein Affekt, der
freilich nur als positives Bezogensein auf ein Jenseitiges, Überseelisches
in der Seele auflebt.
Während über allen
Figuren des Trecento das Paradies Dantes schwebt, während in den
exzentrischen Bewegtheiten des Barock der Mensch sich förmlich in den
Himmel hinaufreisst, ist bei Rembrandt weder Hoffnung noch
Hoffnungslosigkeit, seine Gestalten stehen jenseits dieser Kategorie, die
Seele hat sich aus den Überschwenglichkeiten von Himmel und Hölle auf
das zurückgezogen, was im unmittelbareren Sinne als diese ihr Besitz ist.
Auch die religiösen
Erfahrungen des Erlösungsbedürfnisses und der Gnade sind diesen
Gestalten nicht gegeben.
Mögen die so bezeichneten
seelischen Zuständlichkeiten sich auch aus den innerseelischen Kräften
erzeugen, so gewinnen sie ihr spezifisches Wesen erst mit dem bewussten
Hinsehen auf etwas ausserhalb der Seele, wovon sie als ganze abhängig
sei.
Hier offenbart sich eine
ganz weit ausgreifende Form des menschlichen Verhaltens.
Wir mögen psychologisch
davon überzeugt sein, dass es für uns nur immanentes Bewusstsein gibt,
dass unsere Lebensinhalte nur Modifikationen des Selbstbewusstseins sind;
und metaphysisch, dass alle unsere Erfahrungen und Wertgewinne nur auf dem
Wege der Seele zu sich selbst liegen, dass sie nichts finden kann als was
von vornherein ihr Eigentum war; so führt doch diese innere Entwicklung
unzählige Male über Äusseres und sie kann nun ihr Ziel und
gesteigertsten Wertpunkt - zugegeben selbst, dass diese ausschliesslich in
ihr selbst liegen -, überhaupt nicht direkt, sondern nur auf dem Umwege
über etwas erreichen, was sie als ein ihr Äusseres anerkennt.
Dies wird damit zusammenhängen,
dass es überhaupt das Wesen des Lebens ist, sozusagen über sich selbst
hinauszugehen, jeden Moment über sich hinweggreifen zu lassen - in dem
Selbsterhaltungstriebe, im Zeugen, im Vorstellen, im Willen.
Dieses Über-sich-selbst-Weiterdrängen,
Sich-aus-sich-selbst-Heraussetzen wird gewissermassen rückläufig;
nachdem es den Weg über die äussere und ideelle Objektivität gewonnen
hat, kehrt das Leben in sich selbst zurück, mit Besitztümern und
Reaktionen, die zwar nur ihm gelten, die es aber nur auf diesem Umweg über
das Andere erreichen oder erzeugen konnte.
Angenommen, mit alledem
kreiste die Seele doch in sich selbst, so wäre das Schwingen über sich
selbst hinaus, das Schaffen des Anderen, des Gegenüber, auf das die Seele
erst reagiert - das wäre eben die Art ihres inneren Lebens.
Nun gibt es gewiss
Vollendungen der Seele, die ganz und gar in ihren Grenzen beschlossen
bleiben, Werte des Seins, des Fühlens, des Sichentwickelns, des Ringens;
und in der Atmosphäre und Intention solcher Werte hält sich die
Religiosität, die Rembrandt ausdrückt.
Nimmt man aber selbst an,
dass es sich in aller Religion in Wirklichkeit nur um dieses Innerliche,
um eine Art des Selbstlebens der Seele handle, und dass alle
ausserseelische Objektivität in ihr nur Mythos, nur Spiegelung,
Hypostasierung, oder was sonst sei - so ist unleugbar, dass gewisse rein
innerliche Erlebnisse eben nur zustande kommen, wo jene Atmosphäre der
Immanenz durchbrochen wird und die Seele, mit einem zentrifugalen Akzent,
auf objektive Gebilde hin und in der Form des Umweges über sie lebt.
Nur so ist »Glaube« da -
obgleich die »Gläubigkeit« ein rein innerseelisches Verhalten sein mag.
Nur so können Hoffnung und
Verworfensein, Erlösung und Gnade jeweils den religiösen Ausdruck
beherrschen, gleichviel ob das Gegenüber, das all dieses bedingt, von
einem anderen als dem religiösen Standpunkt, zum Beispiel von dem
intellektuellen aus, als ein Gebilde der Seele selbst erscheint.
Darum fehlt dieser
Religiosität das Moment der Gefahr.
All die furchtbaren
Ungewissheiten, das Preisgegebensein, das Tasten ins Dunkle gibt es hier
nicht, nicht die Gefährdung durch die absolute, vom Transzendenten her
kommende Forderung, die Michelangelos Leben zerriss und, in wie vielen
Umsetzungen immer, auch in das Leben seiner Gestalten sich fortsetzte.
Damit soll den
Rembrandtschen kein philiströses Sicherheitsgefühl imputiert werden.
Vielmehr, sie stehen ganz
jenseits der Alternative von Gefährdung und Rettung, weil dies beides,
nebst allen Erscheinungen der dadurch festgelegten Reihe, erst mit der
Verlegung des religiösen Lebensakzentes auf den objektiven religiösen
Gehalt auftritt.
Wo dieser Akzent auf dem
subjektiven religiösen Prozess ruht, mag dieser in sich noch so
metaphysisch und ewigkeitswertig sein, - wo die Religiosität ihrem
tiefsten Sinne nach gar nicht in der Form des Gegenüber von Subjekt und
Objekt verläuft, fehlt die Voraussetzung für jene Affekte.
Darum ist, dass sie sich
nicht in der Rembrandtschen Kunst finden, nicht einfach ein Manko, sondern
die notwendige und bestätigende Folge ihres Wesens, das sich polar und
mit einzigartiger Entschiedenheit und Grösse den Kunsttypen der
objektiven Religion entgegensetzt. |