Georg Simmel: Psychologie der Koketterie
ex: Der Tag. Moderne
illustrierte Zeitung Nr. 344, Morgenblatt vom 11. Mai 1909, Illustrierter
Teil Nr. 109, S. 1-3 und Nr. 347, Morgenblatt vom 12. Mai 1909,
Illustrierter Teil Nr. 110, S. 1-3
(Berlin)
Die Weisheit Platos über
die Liebe: dass sie ein mittlerer Zustand zwischen Haben und Nichthaben
sei, scheint nicht an die Tiefe ihres Wesens, sondern nur an eine Form
ihrer Erscheinung zu rühren.
Nicht nur, dass sie keinen
Raum hat für die Liebe, die spricht: »Wenn ich dich liebe, was geht's
dich an« - so kann sie eigentlich nur die meinen, die an der Erfüllung
ihres Sehnens stirbt.
Auf den Weg vom Nichthaben
zum Haben gestellt, mit der Bewegung auf ihm ihr Wesen erschöpfend, kann
sie, wenn sie nun »hat«, nicht mehr dasselbe sein, was sie vorher war,
kann nicht mehr Liebe sein, sondern setzt ihr Energiequantum in Genuss
oder vielleicht in Überdruss um.
Es hebt diese Konsequenz
der Liebe, als der Sehnsucht des Nichthabenden nach dem Haben, nicht auf,
dass sie in jenem Augenblick ihres Vergehens vielleicht von neuem
entsteht: ihrem Sinne nach bleibt sie in einen rhythmischen Wechsel
gebannt, in dessen Zäsuren die Momente der Erfüllung stehen.
Wo sie aber in den letzten
seelischen Tiefen verankert ist, beschreibt der Turnus von Haben und
Nichthaben doch nur die Gestalt ihrer Äußerung und Oberfläche. Das Sein
der Liebe, dessen bloßes Phänomen die Begehrung ist, kann durch deren
Stillung nicht aufgehoben werden.
Was aber auch der Sinn des
Habenwollens sei, und ob es das Definitivum der Liebe oder nur die Hebung
des über ihr Definitivum hinspielenden Wellenrhythmus bedeute - wo sein
Gegenstand eine Frau und sein Subjekt ein Mann ist, erhebt es sich über
der eigentümlichen seelischen Tatsache des »Gefallens«.
Das Gefallen ist der Quell,
aus dem jenes Haben und Nichthaben gespeist wird, wenn es für uns Lust
oder Leid, Begehrung oder Befürchtung werden soll. Aber hier wie sonst läuft
die Verbindung zwischen einem Besitz und seiner Schätzung auch in
umgekehrter Richtung.
Nicht nur wächst
Wichtigkeit und Wert dem Haben und Nichthaben des Gegenstandes zu, der uns
gefällt; sondern wo ein Haben und Nichthaben aus irgendwelchen anderen
Ursachen heraus für uns Bedeutung und Betonung gewinnt, pflegt sein
Gegenstand unser Gefallen zu erregen.
So bestimmt nicht nur der
Reiz eines käuflichen Dinges den Preis, den wir dafür zahlen mögen:
sondern dass ein Preis dafür gefordert wird, dass sein Erwerb nicht etwas
Selbstverständliches, sondern nur mit Opfern und Mühen Gelingendes ist -
das macht uns unzählige Male erst das Ding reizvoll und begehrenswert.
Die Möglichkeit dieser
psychologischen Wendung lässt die Beziehung zwischen Männern und Frauen
in die Form der Koketterie hineinwachsen. Dass die Kokette »gefallen will«,
gibt an und für sich ihrem Verhalten noch nicht das entscheidende Cachet;
übersetzt man Koketterie mit »Gefallsucht«, so verwechselt man das
Mittel zu einem Zweck mit dem Triebe zu diesem Zweck.
Eine Frau mag alles
aufbieten, um zu gefallen, von den subtilsten geistigen Reizen bis zur
zudringlichsten Exposition physischer Anziehungspunkte - so kann sie sich
mit alledem noch sehr von der Kokette unterscheiden.
Denn dieser ist es eigen,
durch Abwechslung oder Gleichzeitigkeit von Entgegenkommen und Versagen,
durch symbolisches, angedeutetes, »wie aus der Ferne« wirksames Ja- und
Neinsagen, durch Geben und Nichtgeben oder, platonisch zu reden, von Haben
und Nichthaben, die sie gegeneinander spannt, indem sie sie doch wie mit
einem Schlage fühlen lässt - es ist ihr eigen, durch diese einzigartige
Antithese und Synthese Gefallen und Begehren zu wecken.
In dem Verhalten der
Kokette fühlt der Mann das Nebeneinander und Ineinander von Gewinnen- und
Nicht-gewinnen-Können, das das Wesen des »Preises« ist, und das ihm mit
jener Drehung, die den Wert zum Epigonen des Preises macht, diesen Gewinn
als wertvoll und begehrenswert erscheinen lässt.
Das Wesen der Koketterie,
mit paradoxer Kürze ausgedrückt, ist dieses: wo Liebe ist, da ist - sei
es in ihrem Fundament, sei es an ihrer Oberfläche - Haben und Nichthaben;
und darum, wo Haben und Nichthaben ist - wenn auch nicht in der Form der
Wirklichkeit, sondern des Spieles - da ist Liebe, oder etwas, was ihre
Stelle ausfüllt.
Ich wende diese Deutung der
Koketterie zunächst auf einige Tatsachen der Erfahrung an. Der Koketterie
in ihrer banaleren Erscheinung ist der Blick aus dem Augenwinkel heraus,
mit halbabgewandtem Kopfe, charakteristisch.
In ihm liegt ein
Sich-Abwenden, mit dem doch zugleich ein flüchtiges Sich-Geben verbunden
ist, ein momentanes Richten der Aufmerksamkeit auf den anderen, dem man
sich in demselben Momente durch die andere Richtung von Kopf und Körper
symbolisch versagt.
Dieser Blick kann
physiologisch nie länger als wenige Sekunden dauern, so dass in seiner
Zuwendung schon seine Wegwendung wie etwas Unvermeidliches präformiert
ist.
Er hat den Reiz der
Heimlichkeit, des Verstohlenen, das nicht auf die Dauer bestehen kann, und
in dem sich deshalb das ja und das Nein untrennbar mischen.
Der volle En-face-Blick, so
innig und verlangend er sei, hat nie eben dies spezifisch Kokette.
In derselben Oberschicht
koketter Effekte liegt das Wiegen und Drehen der Hüften, der »schwänzelnde«
Gang.
Nicht nur, weil er durch
die Bewegung der sexuell anregenden Körperteile sie anschaulich betont, während
zugleich doch Distanz und Reserve tatsächlich besteht - sondern weil
dieser Gang das Zuwenden und Abwenden in der spielenden Rhythmik fortwährender
Alternierung versinnlicht.
Es ist nur eine technische
Modifikation dieser Gleichzeitigkeit eines angedeuteten ja und Nein, wenn
die Koketterie über die Bewegungen und den Ausdruck ihres Subjekts selbst
hinausgreift.
Sie liebt die Beschäftigung
mit gleichsam abseits liegenden Gegenständen: mit Hunden oder Blumen oder
Kindern.
Denn dies ist einerseits
Abwendung von dem, auf den es abgesehen ist, andrerseits wird ihm doch
durch jene Hinwendung vor Augen geführt, wie beneidenswert sie ist; es
heißt: nicht du interessierst mich, sondern diese Dinge hier - und
zugleich: dies ist ein Spiel, das ich dir vorspiele, es ist das Interesse
für dich, dessentwegen ich mich zu diesen anderen hinwende.
Solches Ineinanderwachsen
symbolischen Habens und Nichthabens kulminiert ersichtlich in der
Hinwendung der Frau zu einem anderen Manne als dem, den sie eigentlich
meint.
Nicht um die brutale
Einfachheit der Eifersucht handelt es sich dabei.
Diese steht auf einem
anderen Blatt, und wo sie etwa vorbehaltlos entfesselt werden soll, um das
Gewinnen- oder Behaltenwollen zur Leidenschaft zu steigern, da fügt sie
sich nicht mehr in die Form der Koketterie.
Diese vielmehr muss den,
dem sie gilt, das labile Spiel zwischen Ja und Nein fühlen lassen, das
Sich-Versagen, das der Umweg des Sich-Gebens sein könnte, das Sich-Geben,
hinter dem, als Hintergrund, als Möglichkeit, als Drohung das Sich-Zurücknehmen
steht.
An jeder definitiven
Entscheidung endet die Koketterie, und die souveräne Höhe ihrer Kunst
offenbart sich an der Nähe zu einem Definitivum, in die sie sich begibt,
um dieses dennoch in jedem Augenblick von seinem Gegenteil balancieren zu
lassen.
Der Doppelsinn des »mit«,
einerseits das Werkzeug, andererseits den Partner, das Objekt einer
Korrelation zu bezeichnen, offenbart hier ein tiefes Recht.
Mit alledem scheint die
Koketterie, als das bewusst dualistische Verhalten, in völligem
Widerspruch zu jener »Einheitlichkeit« des weiblichen Wesens zu stehen,
die, wie verschieden verstanden, wie tief oder oberflächlich gedeutet,
doch alle Frauenpsychologien als ihr Grundmotiv durchzieht.
Wo überhaupt die weibliche
und die männliche Seele als solche in einem Wesensgegensatz empfunden
werden, da pflegt es dieser zu sein: dass die Frau das seiner Natur nach
in sich zentralisiertere Wesen ist, dessen Triebe und Gedanken enger um
einen oder wenige Punkte gesammelt und unmittelbarer von diesen her
erregbar sind, als bei dem differenzierteren Manne, dessen Interessen und
Betätigungen mehr in sachlich bestimmter Selbständigkeit, in
arbeitsteiliger Sonderung von dem Ganzen und Inneren der Persönlichkeit
verlaufen.
Es wird sich mehr und mehr
zeigen, dass jene Dualistik keine Gegeninstanz an der weiblichen Wesenheit
als solcher findet, ja, dass deren Verhältnis zur männlichen an der
Koketterie eine besondere Synthese seiner entscheidenden Momente besitzt:
weil eben das Verhältnis der Frau zum Manne, seinem spezifischen und
unvergleichlichen Sinne nach, sich in Gewähren und Versagen erschöpft.
Gewiss gibt es unzählige
andere Relationen zwischen ihnen, Freundschaft und Feindschaft,
Gemeinsamkeit der Interessen und sittliches Füreinandersein,
Verbundenheit unter religiöser oder sozialer Ägide, Kooperation zu
sachlichen oder familiären Zwecken.
Allein entweder sind diese
allgemein menschlicher Art und können im wesentlichen auch unter Personen
gleichen Geschlechts stattfinden, oder sie werden von irgend einem realen
oder idealen Punkt außerhalb der Subjekte selbst und der unmittelbaren
Verbindungslinie zwischen ihnen bestimmt und bilden deshalb keine so reine
und exklusive Wechselwirkung unter diesen, wie allein das Versagen und Gewähren,
das natürlich im weitesten Sinne und alle Inhalte innerlicher und äußerlicher
Art in sich aufnehmend zu verstehen ist.'
' In Untersuchungen, die
das Verhältnis der Geschlechter in seiner ganzen Breite berühren, werden
die Ausdrücke fast unvermeidlich aus naheliegenden psychologischen Gründen
vor allem ihren rohesten Sinn anklingen lassen.
Wo hier indes von Gewähren
und Genuss, von ja und Nein die Rede ist, bezeichnet dies die allgemeinen
Formen jenes Verhältnisses, die sich mit dem sittlich und ästhetisch höchsten
wie niedrigsten Inhalt erfüllen.
Diese äußersten
Unterschiede der Werte können es der nur psychologischen Betrachtung
nicht verwehren, jene formalen Kategorien in ihnen gleich wirksam zu
sehen. Versagen und Gewähren ist das, was die Frauen vollendet können,
und was nur sie vollendet können.
Das Versagen eines Mannes
gegenüber einer Frau, die ihm entgegenkommt, mag aus ethischen,
personalen, ästhetischen Gründen noch so gerechtfertigt, ja notwendig
sein - es hat immer etwas Peinliches, Unritterliches, gewissermaßen
Blamables, und zwar für ihn mehr als für die Frau, für die das Zurückgewiesenwerden
leicht einen tragischen Akzent bekommt.
Es ist nicht die geziemende
Attitüde des Mannes, eine Frau abzuweisen, gleichviel ob es auch für sie
nicht geziemend war, sich ihm anzubieten - während umgekehrt die Rechnung
völlig glatt aufgeht; den werbenden Mann abzuweisen, ist sozusagen eine
der Frau durchaus angemessene Geste.
Ebenso aber ist auch das
Sich-geben-Können der Frau, trotz eines am Schlusse dieser Blätter
anzudeutenden Vorbehaltes, so tief und ganz und ein so erschöpfender
Ausdruck ihres Seins, wie ihn vielleicht der Mann auf diesem Wege niemals
erreichen kann.
Im Neinsagen und Ja-sagen,
im Sich-Hingeben und Sich-Versagen sind die Frauen die Meister. Kein
Wunder, dass ihnen in der Koketterie eine dem Manne durchaus nicht adäquate
Form erwachsen ist, in der ihnen beides zugleich möglich ist.
Dass der Mann sich nun zu
diesem Spiele hergibt, und zwar nicht nur, weil ihm, dessen Begehren an
die Gunst der Frau gefesselt ist, nichts anderes übrigbleibt, sondern
oft, als ob er gerade aus dieser ihn hin und her schiebenden Behandlung
einen besonderen Reiz und Genuss zöge - das geht zunächst, sehr
naheliegend, auf die bekannte Erscheinung zurück: dass eine auf ein
schliessliches Glücksgefühl hin orientierte Erlebnisreihe schon auf die
Momente vor diesem letzten einen Teil seines Genusswertes ausstrahlt.
Die Koketterie ist einer
der zugespitztesten Fälle dieser Erfahrung. Ursprünglich mag der einzige
Genuss der erotischen Reihe der physiologische gewesen sein. Von diesem
aber ist er allmählich auch auf alle früheren Momente der Reihe übergegangen.
Dass hier, soweit das rein
Psychologische in Betracht kommt, tatsächlich eine historische Evolution
vorliegt, ist deshalb wahrscheinlich, weil die Lustbedeutung sich auf um
so entferntere, andeutendere, symbolischere Momente des erotischen
Gebietes erstreckt, je verfeinerter und kultivierter die Persönlichkeit
ist.
Das seelische Zurückrücken
kann so weit gehen, dass z. B. ein junger verliebter Mensch aus dem ersten
heimlichen Händedruck mehr Seligkeit schöpft als später aus irgendeiner
restlosen Gewährung, und dass für manche zarte und sensible Naturen -
die keineswegs frigid oder unsinnlich zu sein brauchen - der Kuss, ja das
bloße Bewusstsein des Wiedergeliebtwerdens alle gleichsam
substantielleren erotischen Freuden übertrifft.
Der Mann, mit dem eine Frau
kokettiert, fühlt schon an ihrem Interesse für ihn, an ihrem Wunsch, ihn
anzuziehen, den irgendwie anklingenden Reiz ihres Besitzes, wie überhaupt
das versprochene Glück schon einen Teil des erreichten antizipiert.
Daneben tritt, mit selbständiger
Wirksamkeit, eine andere Nuance desselben Verhältnisses.
Wo der Wert eines Endzieles
schon fühlbar auf seine Mittel oder Vorstadien rückt, ist das Quantum
des so vorgenossenen Wertes doch von der Tatsache modifiziert, dass in
keiner realen Reihe der Gewinn einer Zwischenstufe mit absoluter
Sicherheit den des entscheidenden Endwertes garantiert: der Wechsel auf
diesen, den wir mit dem Vorgenuss diskontiert haben, wird vielleicht doch
nicht eingelöst.
Für die Zwischenstadien
bewirkt dies, neben einer unvermeidlichen Herabsetzung ihres Wertes, doch
auch eine Steigerung seiner durch den Reiz des Hasards, insbesondere, wenn
das Fatumsmässige, der Entscheidung durch eigene Kraft entzogene Element,
das allem Erreichen einwohnt, in seiner dunklen Anziehung aufsteigt.
Wenn es den Abenteurer
macht, dass er das Unberechenbare des Lebens so unbefangen sicher wie das
Berechenbare behandelt, und gerade weil er beides praktisch so nahe
aneinander bringt, die Spannung zwischen beiden und den Reiz der Chance,
des bloßen Vielleicht, der verhüllten Schicksalsgottheit um so tiefer
und dämonischer empfindet - so sind, in niedrigerem und unendlich
mannigfaltigem Maße, wir alle Abenteurer.
Wenn wir die Chance des
Verfehlens, die sich zwischen Vorstadium und Zielstadium schiebt, nach
ihrem vollen sachlichen Gewicht rechneten, so würde es wohl zu jener
Vordatierung des Glücks kaum kommen; aber wir empfinden sie zugleich als
Reiz, als das lockende Spiel um die Gunst der unberechenbaren Mächte.
In dem seelischen
Verhalten, das die Kokette hervorzurufen versteht, ist dieser eudämonistische
Wert des Hasards, des Wissens um das Nichtwissen von Gewinn oder
Verfehlung, gleichsam zum Stehen gekommen und festgeworden.
Dieses Verhalten zieht
einerseits aus dem Versprechen, das die Koketterie einschließt, jenes
vorweggenommene Glück; der Revers davon aber, die Chance, dass diese
Vorwegnahme durch eine Wendung der Dinge dementiert werde, erwächst ihm
als die gleichzeitige Distanzierung, die die Kokette ihrem Gegenüber fühlbar
macht.
Indem dies beides dauernd
gegeneinander spielt, keines ernsthaft genug ist, um das andere aus dem
Bewusstsein zu verdrängen, steht auch über dem Negativen die Chance des
Vielleicht, ja dies Vielleicht, in dem die Passivität des Hinnehmens und
die Aktivität des Erringens eine Einheit des Reizes bilden, umschreibt
die ganze innere Reaktion auf das Verhalten der Kokette.
Besagt diese Reaktion des
Mannes schon hier durch ihre Lust am Hasard und der eigentümlichen
anschaulichen Ineinsbringung seiner polaren Möglichkeiten weit mehr, als
dass die Pendelung des koketten Spieles ihn einfach mit sich schleift, so
erhebt sich endlich seine Rolle weit über das einfache Objektsein, wenn
er auf das Spiel selbst eintritt und den Reiz an diesem, nicht an einem
eventuellen Definitivum findet.
Damit erst ist die ganze
Aktion wirklich in die Sphäre des Spieles erhoben, während sie, solange
der Mann es noch ernst meinte, insoweit mit der der Realität gemischt
war.
Jetzt will auch der Mann
gar nicht weitergehen, als die Linie der Koketterie angibt, und während
dies nach dem logischen und genetischen Sinn der Koketterie ihren Begriff
aufzuheben scheint, ergibt es vielmehr erst ihren von aller Ablenkung und
aller Chance des Umschlagens gelösten, völlig formreinen Fall.
Es ist weniger die Kunst
des Gefallens - das noch irgendwie in die Realitätssphäre hineinragt -
als die Kunst des Gefallens, die nun den Drehpunkt der Beziehung und ihrer
Attraktionen ausmacht.
Hier ist die Koketterie völlig
aus der Rolle des Mittels oder der bloßen Vorläufigkeit heraus in die
eines Endwertes gerückt: Alles, was ihr aus jener ersten an Genusswert
gekommen ist, ist jetzt völlig in diese zweite hineingewachsen, die Vorläufigkeit
hat ihr Bedingtsein durch ein Definitivum oder auch nur durch dessen Idee
abgeworfen, und gerade dass sie das Cachet des Vorläufigen, des Schwebens
und Schwankens hat, dies ist - logisch widersprechend, aber psychologisch
tatsächlich - ihr endgültiger, nicht über den Moment ihres Daseins
hinausragender Reiz geworden.
Deshalb wandelt sich die
Konsequenz des koketten Verhaltens: dass der inneren Sicherheit der
Kokette eine Unsicherheit und Entwurzeltheit des Mannes, eine oft
verzweiflungsvolle Preisgegebenheit an ein Vielleicht korrespondierte -
hier völlig in ihr Gegenteil.
Wo der Mann selbst nichts
mehr als dieses Stadium begehrt, gibt ihm nun gerade die Überzeugung,
dass es der Kokette nicht Ernst ist, eine gewisse Sicherheit ihr gegenüber.
Er kann nun, wo kein ja
ersehnt und kein Nein gefürchtet wird, wo aber auch die etwaigen
Gegeninstanzen gegen jene Sehnsucht keiner Erwägung bedürfen, sich dem
Reize dieses Spieles weitergehend überlassen, als wo er wünscht,
vielleicht aber auch irgendwie fürchtet, dass der einmal begonnene Weg
auch zum Endpunkt führe.
Nur am reinsten markiert
sich hier die Beziehung zu Spiel und Kunst, die allenthalben der
Koketterie eigen ist. Denn sie ist im höchsten Maße das, was Kant für
das Wesen der Kunst erklärte: »Zweckmäßigkeit ohne Zweck«.
Das Kunstwerk hat durchaus
keinen »Zweck« - aber doch erscheinen seine Teile so sinnvoll,
ineinandergreifend, jedes an seiner Stelle notwendig, als ob sie zu einem
völlig angebbaren Zwecke zusammenwirkten.
Die Kokette nun verfährt
genau so, als interessierte sie sich nur für ihr jeweiliges Gegenüber,
als sollte ihr Tun an dem vollen Maße einer, wie auch immer
qualifizierten Hingebung münden.
Nun aber ist dieser
sozusagen logische Zwecksinn ihres Tuns gar nicht ihre Meinung, sondern
sie lässt dieses Tun konsequenzlos in der Luft verschweben, indem sie ihm
ein ganz anders gewendetes Ziel gibt: zu gefallen, zu fesseln, begehrt zu
werden - aber ohne sich irgendwie daraufhin beim Wort nehmen zu lassen.
Sie verfährt durchaus »zweckmäßig«,
aber den »Zweck«, auf den dies Verfahren in der Reihe der Realität
zugehen müsste, lehnt sie ab, verflüchtigt ihn in die rein subjektive
Beglückung des Spieles.
Was das innere, man könnte
sagen das transzendentale Wesen der Koketterie freilich von dem der Kunst
scheidet, ist dies, dass die Kunst sich von vornherein jenseits der
Wirklichkeit stellt und durch die von ihr überhaupt abgewandte
Blickrichtung von ihr erlöst, während die Koketterie zwar mit der
Wirklichkeit auch nur spielt, aber doch mit der Wirklichkeit spielt.
Das Pendeln der Impulse,
das sie darbietet und hervorruft, bezieht seinen Reiz niemals ganz aus den
rein abgelösten Formen des ja und Nein, des sozusagen abstrakten Verhältnisses
der Geschlechter - obgleich dies die eigentliche, indes nie völlig
erreichbare Vollendung der Koketterie wäre; die Empfindungen vielmehr,
deren Heimat nur in der Realitätsreihe zu finden ist, klingen immer mit
an, die reine Relation der Formen wird von ihnen durchblutet.
Die Kokette und in jenem
vorhin angedeuteten Falle auch ihr Partner spielen zwar und entheben sich
damit der Wirklichkeit, aber sie spielen nicht mit dem Scheine der
Wirklichkeit wie der Künstler, sondern mit der Wirklichkeit selbst.
Ich habe früher erwähnt,
dass die ganze Dualistik der Koketterie keinen Widerspruch gegen jene
Einheit und Entschiedenheit der Frau - als Typus - enthält, mit der sie
in der erotischen Frage viel mehr als der Mann vor einem: Alles oder
Nichts - steht: wobei das »alles« wiederum nicht auf seinen äußerlichen
Sinn beschränkt ist.
So wenig widerspricht sie
ihm, dass nun, zuletzt und zuhöchst, die Koketterie vielmehr zum Symbole
der Art wird, wie jene Einheit sich gibt.
Es scheint nämlich die
durchgehende Erfahrung des männlichen Empfindens zu sein, dass die Frau -
und zwar gerade die tiefste, hingebendste, in ihrem Reiz nicht erschöpfliche
- noch in dem leidenschaftlichsten Sich-Verschenken, Sich-Offenbaren
irgendein letztes Unenträtseltes, Ungewinnbares zurückbehalte.
Vielleicht hängt das
gerade mit jener Einheit zusammen, in der alle Keime und Möglichkeiten
noch enger, undifferenzierter nebeneinander oder ineinander ruhen, so dass
man den meisten Frauen gegenüber das Gefühl einer gewissen
Unentwickeltheit, nicht recht in die Aktualität hinein gelöster Potenzen
hat - und zwar noch ganz jenseits etwaiger Entwicklungshemmungen durch
soziale Vorurteile und Benachteiligungen.
Gewiss ist es unrichtig, in
dieser »Undifferenziertheit« einfach ein Manko, ein Zurückgebliebensein
zu sehen; vielmehr ist dies die durchaus positive, ein eigenes Ideal
bildende Wesensart der Frau, die gleichberechtigt neben der »Differenziertheit«
des Mannes steht.
Allein von dieser aus
gesehen, erscheint jene doch als ein Noch-Nicht, ein uneingelöstes
Versprechen, eine ungeborene Fülle dunkler Möglichkeiten, die sich von
ihrem seelischen Standort noch nicht soweit auseinander- und empörgerankt
haben, um sichtbar und darbietbar zu werden.
Dazu kommt, mit dem
gleichen Erfolge, noch dies: dass die Formungs- und Ausdrucksweisen -
keineswegs nur die sprachlichen -, die unsere Kultur der seelischen
Innerlichkeit zur Verfügung stellt, im wesentlichen von Männern
geschaffen sind und darum unvermeidlich vor allem der männlichen
Wesensart und ihren Bedürfnissen dienen; so dass gerade für das
differentiell Frauenhafte unzählige Male gar kein befriedigender und
verständlicher Ausdruck vorhanden sein wird.
Auch dies also wird jenes
Gefühl tragen helfen: dass auch die vollkommenste Hingabe der Frau einen
letzten, heimlichen Vorbehalt ihrer Seele nicht hebt, dass irgend etwas,
dessen Offenbarung und Darbietung eigentlich zu erwarten stünde, sich von
seinem Wurzelgrunde nicht lösen will.
Gewiss ist dies keine
gewollte Schranke des Schenkens, ein Etwas, das dem Geliebten nicht gegönnt
würde, sondern ein Letztes der Persönlichkeit, das sich nur sozusagen
nicht explizieren kann, das auch
hingegeben wird, aber nicht
als etwas Durchsichtiges und Benennbares, ein verschlossenes Gefäß, zu
dem der Empfangende keinen Schlüssel hat.
Kein Wunder, wenn in diesem
dann die Empfindung entsteht, dass ihm etwas vorenthalten ist, wenn das
Gefühl, etwas nicht zu besitzen, so gedeutet wird, als wäre es nicht
gegeben.
Wie diese Erscheinung einer
Reserve auch entstanden sei - sie stellt sich als ein geheimnisvolles
Ineinander von ja und Nein, von Geben und Verweigern dar, das die
Koketterie gewissermaßen präformiert.
Indem die Koketterie dies
»Halbverhülltsein« der Frau, das ihre tiefste Relation zum Manne ausdrückt,
mit pointiertem Bewusstsein aufnimmt, würdigt sie freilich den letzten,
metaphysischen Grund der Beziehung zu einem bloßen Mittel ihrer äußeren
Realisierung herab; allein dies erklärt dennoch, weshalb Koketterie
keineswegs eine »Dirnenkunst« ist - so wenig, dass die hetärische
ebenso wie die ungeistig-sinnlichste Frau keineswegs die koketteste zu
sein pflegt - und dass Männer, auf die jede bloß äußerliche Verführung
ganz ohne Wirkung bleibt, sich dem Reize der Koketterie bewusst und mit
dem Gefühl ergeben, dass sie weder ihr Subjekt noch ihr Objekt entwürdigt.
An dieser Form, die den
Anteil der Frau an dem Verhältnis der Geschlechter gestaltet, an diesem
ja und Nein, das die Basis jedes ja oder Nein ist, offenbart sich der
tiefere Sinn jener Deutung der Liebe als eines Mittleren zwischen Haben
und Nichthaben.
Denn nun ist das Nichthaben
in das Haben hineingewachsen, beide bilden die Seiten einer
Beziehungseinheit, deren äußerste und leidenschaftlichste Form schließlich
das Haben von etwas ist, das man zugleich nicht hat.
Die tiefe metaphysische
Einsamkeit des Individuums, zu deren Überwindung alles Hinwollen vom
einen zum anderen nur ein ins Unendliche verlaufender Weg ist, hat in dem
Verhältnis der Geschlechter eine besonders gefärbte, aber vielleicht am
prinzipiellsten fühlbare Ausgestaltung gewonnen.
Hier wie sonst gibt dies
Verhältnis der Geschlechter den Prototyp für unzählige Relationen
innerhalb des individuellen und des interindividuellen Lebens ab.
Es tritt als das reinste
Beispiel so vieler Vorgänge auf, weil diese von vornherein durch jene
fundamentale Bedingtheit unseres Lebens in ihrer Gestalt bestimmt sind.
Dass unser Intellekt z.B.
alles Werden und Sich-Entwickeln, das reale wie das logische, nie aus
einer völligen Einheit heraus begreifen kann, diese vielmehr für sich
steril und ohne verständlichen Grund des Anders-Werdens bleibt - das ist
wahrscheinlich daran gebunden, dass die Entstehung unseres Lebens durch
das Zusammenwirken zweier Prinzipien bedingt ist.
Ja, dass der Mensch überhaupt
ein dualistisches Wesen ist, sein Leben und Denken sich in der Form der
Polarität bewegt, jeder Seinsinhalt erst an seinem Gegensatz sich selber
findet und bestimmt, geht vielleicht auf jene letztinstanzliche
Gespaltenheit der menschlichen Gattung zurück, deren Elemente sich ewig
suchen, sich einander ergänzen und doch nie ihren Gegensatz überwinden.
Dass der Mensch mit seinen
leidenschaftlichsten Bedürfnissen an das Wesen gewiesen ist, von dem er
vielleicht durch die tiefste metaphysische Kluft getrennt ist - auch dies
ist das reinste Bild, vielleicht aber sogar die entscheidend wirksame
Urform für jene Einsamkeit, mit der der Mensch schließlich ein
Fremdling, nicht nur unter den Dingen der Welt, sondern auch unter denen
ist, die für jeden die Nächsten sind.
Ist deshalb das
gleichzeitige Haben und Nichthaben die undurchbrechliche Erscheinungsform
und oft die letzte Basis der Erotik, so wird diese nun durch die
Koketterie aus ihr herausdestilliert, und zwar gleichsam in der Form des
Spieles - wie gerade das Spiel oft aus den Komplikationen der Wirklichkeit
heraus die einfachsten Grundverhältnisse sich zum Inhalte macht: das
jagen und Gewinnen, die Gefahr und die Glückschance, das Ringen und das
Überlisten.
Durch die Bewusstheit der
Koketterie zeichnet sich jedes der tief ineinander gesenkten Gegenelemente
schärfer an dem anderen ab: sie gibt dem Nichthaben gleichsam eine
positive Anschaulichkeit, macht es durch die spielende, andeutende
Vorspiegelung des Habens erst recht fühlbar, wie sie umgekehrt durch die
drohende Vorspiegelung des Nichthabens den Reiz des Habens aufs äußerste
steigert.
Und wenn jenes Grundverhältnis
zeigte, dass wir auch im definitiven Haben noch irgendwie nicht haben, so
sorgt die Koketterie dafür, dass wir auch im definitiven Nichthaben schon
irgendwie haben können.
Wenn es schien, als wäre
die Koketterie ausschließlich in der Beziehung zwischen Männern und
Frauen erwachsen, eine Oberflächenspiegelung, die den letzten Grund
dieser Beziehung, unter einem bestimmten Winkel gebrochen, darstellte - so
belegt dies nun noch schließlich jene umfassende Erfahrung, dass eine große
Anzahl allgemein menschlicher Verhaltungsformen an der Relation der
Geschlechter ihr normgebendes Beispiel besäße.
Sieht man nämlich die
Arten an, wie der Mensch sich zu Dingen und anderen Menschen stellt, so
steht unter ihnen die Koketterie als ein ganz allgemeines, keinen Inhalt
von sich ablehnendes formales Verhalten.
Das Ja oder Nein, mit dem
wir Entscheidungen gewichtiger oder alltäglicher Art gegenüberstehen:
Hingaben und Interessiertheiten, dem Ergreifen einer Partei und dem
Glauben an Menschen oder Lehren - wandelt sich unzählige Mal in ein ja
und Nein, oder auch in einen Wechsel zwischen beiden, der den Charakter
einer Gleichzeitigkeit trägt, weil hinter jeder jeweiligen Entscheidung
die andere als Möglichkeit oder als Versuchung steht.
Der Sprachgebrauch lässt
die Menschen mit religiösen oder politischen Standpunkten, mit
Wichtigkeiten wie mit Zeitvertreiben »kokettieren«; und viel öfter, als
unsere Worte es wahrhaben wollen, findet das so bezeichnete Verhalten in
Ansätzen und bloßen Nuancierungen, in Vermischungen mit andersartigem
Benehmen und in Selbsttäuschung über seinen Charakter statt.
Alle die Reize des
gleichzeitigen Für und Gegen, des Vielleicht, des verlängerten
Vorbehaltes der Entscheidung, der ihre beiden, in der Realisierung
einander ausschließenden Seiten zusammen vorgenießen lässt - sind nicht
nur der Koketterie der Frau mit dem Mann eigene, sondern sie spielen gegenüber
tausend anderen Inhalten.
Es ist die Form, in der die
Unentschiedenheit des Lebens zu einem ganz positiven Verhalten
kristallisiert ist, und die aus dieser Not zwar keine Tugend, aber eine
Lust macht.
Mit jenem spielenden,
obgleich keineswegs immer von der Stimmung des »Spieles« begleiteten
Sich-Nähern und Sich-Entfernen, Ergreifen, um wieder fallen zu lassen,
Fallenlassen, um wieder zu ergreifen, dem gleichsam probeweisen
Sich-Hinwenden, in das schon der Schatten seines eigenen Dementis fällt -
hat die Seele die adäquate Form für ihr
Verhältnis zu unzähligen
Dingen gefunden.
Der Moralist mag dies
schelten; aber es gehört nun einmal zu der Problematik des Lebens, dass
es vielen Dingen gegenüber, zu denen es eine Relation doch nicht einfach
ablehnen kann, keinen eindeutigen, von vornherein festen Standort besitzt;
in den Platz, den sie unserem Tun und Empfinden bieten, geht dieses seiner
eigenen Form nach nicht recht hinein.
Da nun entsteht das Vor-
und Zurücktreten, das versuchende Halten und Loslassen, in dessen
schwankender Dualistik sich jene so oft unvermeidliche Grundrelation des
Habens und Nichthabens malt.
Indem ein so tragisches
Moment des Lebens sich in die spielende, schwankende, zu nichts
engagierende Form, die wir das Kokettieren mit den Dingen nennen, kleiden
kann - begreifen wir, dass diese Form ihre typischste, reinste Erfüllung
gerade an dem Verhältnis der Geschlechter gewinnt - an dem Verhältnis,
das schon in sich die vielleicht dunkelste und tragischste Beziehung des
Lebens in die Form seines höchsten Rausches und schimmerndsten Reizes hüllt. |