Georg Simmel: Dankbarkeit
Ein soziologischer Versuch
ex: Der Morgen. Wochenschrift für
deutsche Kultur, begründet und hrsg. von Werner Sombart zusammen mit
Richard Strauß, Georg Brandes und Richard Muther unter Mitwirkung von
Hugo von Hofmannsthal, 1. Jg., No. 19 vom 18. Oktober 1907, S. 593-598
(Berlin)
Die Tönung persönlichen
Empfindens und privaten Handelns, die über den Tatsachen der Dankbarkeit
liegt, überdeckt für den soziologisch nicht geschulten Blick die kaum zu
überschätzende Bedeutung, mit der diese Tatsachen auf das Leben und den
Zusammenhalt der Gesellschaft wirken und deren Umriss diese Überlegungen
zu zeichnen unternehmen.
Es ist zunächst eine Ergänzung
der rechtlichen Ordnung, die die Dankbarkeit vollbringt.
Aller Verkehr der Menschen
beruht auf dem Schema von Hingabe und Äquivalent.
Nun kann für unzählige
Hingaben und Leistungen das Äquivalent erzwungen werden.
Bei allen wirtschaftlichen
Tauschen, die in Rechtsform geschehen, bei allen fixierten Zusagen für
eine Leistung, bei allen Verpflichtungen aus einer rechtlich regulierten
Beziehung - erzwingt die Rechtsverfassung das Hin- und Hergehen von
Leistung und Gegenleistung und sorgt für diese Wechselwirkung, ohne die
es keine soziale Balance und Zusammenhalt gibt.
Nun bestehen aber unzählige
Beziehungen, für die die Rechtsform nicht eintritt, wo das Äquivalent für
die Hingabe nicht erzwungen werden kann.
Hier wird die Dankbarkeit
zur Stellvertreterin des Rechts und spinnt, wenn andre Mächte versagen,
ein Band der Wechselwirkung, der Balancierung von Nehmen und Geben
zwischen den Menschen.
Um diese Verknüpfung in
ihrer Sonderart richtig einzuordnen, muss man sich zunächst klar machen,
dass die persönliche, aber an Sachen ausgeübte Aktion von Mensch auf
Mensch, wie sie etwa im Raub oder im Geschenk, den primitiven Formen des
Besitzwechsels, liegt, sich zum Tausch im objektiven Sinne des Wortes
entwickelt.
Der Tausch ist die
Sachwerdung der Wechselwirksamkeit zwischen Menschen.
Indem der eine eine Sache
gibt und der andre eine Sache zurückgibt, welche denselben Wert hat, hat
sich die Seelenhaftigkeit der Beziehungen zwischen den Menschen in Gegenstände
hinausverlegt, und diese Versachlichung der Beziehung, das Hineinwachsen
ihrer in die Dinge, welche hin und her wandern, wird so vollkommen, dass
in der ausgebildeten Wirtschaft überhaupt jene persönliche
Wechselwirkung ganz und gar zurücktritt und die Waren ein Eigenleben
gewonnen haben, dass die Beziehungen und die Wertausgleichungen zwischen
ihnen gleichsam automatisch, bloß rechnerisch stattfinden, und die
Menschen nur noch als die Exekutoren der in den Waren selbst gelegenen
Tendenzen zur Verschiebung und Ausgleichung auftreten.
Es wird objektiv Gleiches
gegen objektiv Gleiches gegeben, und der Mensch selbst, obgleich er
selbstverständlich um seines Interesses willen den Prozess vollzieht, ist
eigentlich gleichgültig.
Die Beziehung der Menschen
ist Beziehung der Gegenstände geworden.
Die Dankbarkeit nun
entsteht gleichfalls aus und in der Wechselwirkung zwischen Menschen und
zwar nach innen hin ebenso, wie nach außen hin jene Beziehung der Dinge
daraus erwachsen ist.
Sie ist das subjektive
Residuum des Aktes des Empfangens oder auch des Hingebens.
Wie mit dem Tausch der
Dinge die Wechselwirkung in die objektive Ausgleichung, in die Bewegungen
der »Ware« hinaustritt, so sinkt mit der Dankbarkeit das Geschehen
zwischen Mensch und Mensch in seinen Folgen, in seiner subjektiven
Bedeutung, in seinem seelischen Echo herunter in die Seele.
Sie ist gleichsam das
moralische Gedächtnis der Menschheit, eine Brücke, welche die Seele
immer wieder vorfindet, um bei der leisesten Anregung, welche sonst
vielleicht nicht genügen würde, eine neue Brücke zu schlagen, über sie
hin sich dem andern zu nähern.
Alle Vergesellschaftung,
jenseits ihres ersten Ursprunges, beruht auf der Weiterwirkung der
Beziehungen über den Moment ihres Entstehens hinaus.
Mag Liebe oder Gewinnsucht,
Gehorsam oder Hass, Geselligkeitstrieb oder Herrschsucht, eine Handlung
von Mensch zu Mensch aus sich hervorgehen lassen: die schöpferische
Stimmung pflegt sich in der Handlung nicht zu erschöpfen, sondern
irgendwie in der durch sie geschaffenen soziologischen Situation
weiterzuleben.
Die Dankbarkeit ist ein
solches Weiterbestehen im entschiedensten Sinne, ein ideelles Fortleben
einer Beziehung, auch nachdem sie etwa längst abgebrochen und der Aktus
des Gebens und Empfangens längst abgeschlossen ist.
Obgleich die Dankbarkeit
ein rein personaler oder, wenn man will, lyrischer Affekt ist, so wird
sie, durch ihr tausendfaches Hin- und Herweben innerhalb der Gesellschaft,
zu einem ihrer stärksten Bindemittel; sie ist der fruchtbare Gefühlsboden,
aus dem nicht nur eigne Aktionen von einem zum andern hin erwachsen,
sondern durch dessen fundamentales, wenn auch oft unbewusstes und in unzählige
andre Motivierungen versponnenes Dasein unserm Handeln eine Modifikation
oder Intensität zuwächst, ein Verbundensein mit dem Früheren, ein
Hineingeben der Persönlichkeit, eine Kontinuität des Wechsellebens.
Würde mit einem Schlage
jede auf frühere Aktionen hin den Seelen verbliebene Dankreaktion
ausgetilgt, so würde die Gesellschaft, mindestens wie wir sie kennen,
auseinanderfallen.
Kann man fast alle äußerlich-innerlichen
verbindenden Motive zwischen Individuen daraufhin ansehen, inwieweit sie
den Tausch tragen, der die Gesellschaft zum großen Teil bildet, nicht nur
die schon gebildete zusammenhält - so ist also die Dankbarkeit jenes
Motiv, das die Erwiderung der Wohltat von innen heraus bewirkt, wo von äußerer
Notwendigkeit nicht die Rede ist.
Und die Wohltat ist nicht
nur ein dingliches Geben von Person zu Person, sondern wir danken dem Künstler
und dem Dichter, der uns nicht kennt, und diese Tatsache schafft unzählige,
ideelle und konkrete, lockere und feste Verbindungen zwischen denen, die
solche Dankbarkeit gegen den gleichen Geber erfüllt; ja nicht nur für
das, was jemand überhaupt tut, danken wir ihm, sondern nur mit dem
gleichen Begriff kann man das Gefühl bezeichnen, mit dem wir oft auf die
bloße Existenz von Persönlichkeiten reagieren: wir sind ihnen dankbar,
bloß weil sie da sind, weil wir sie erleben.
Die feinsten und festesten
Beziehungen knüpfen sich oft an dieses, von allem einzelnen Empfangen
unabhängige Gefühl, das gerade unsre ganze Persönlichkeit dem andern
wie aus einer Dankespflicht darbringt, wie sie auch dem Ganzen seiner Persönlichkeit
gilt.
Der konkrete Inhalt der
Dankbarkeit nun, d. h. der Erwiderungen, zu denen sie uns veranlasst, gibt
Modifikationen der Wechselwirkung Raum, deren Zartheit nicht ihre
Bedeutung für die Struktur unsrer Beziehungen hindert.
Einen außerordentlichen
Nuancenreichtum erfährt die Innerlichkeit dieser letzteren, wenn eine
erhaltene Gabe der seelischen Sachlage nach nur mit einer der Art nach
andern Gegengabe erwidert werden kann.
So gibt der eine vielleicht
das dem andern, was man Geist nennt, intellektuelle Werte - und der andre
zeigt seine Dankbarkeit darin, dass er Gemütswerte zurückgibt; oder er
bietet einen ästhetischen oder sonstigen Reiz seiner Persönlichkeit dem
andern dar, der die stärkere Natur ist und jenem daher gleichsam Willen
infundiert, ihn mit Festigkeit und Entschließungskraft ausstattet.
Nun gibt es wahrscheinlich
keine Wechselwirkung, in der das Hin und Her, das Geben und Nehmen sich
auf dem genau gleichen Gebiet hielte.
Allein die Fälle, die ich
hier erwähnt habe, sind die extremen Steigerungen dieser unvermeidlichen
Verschiedenheit von Gabe und Gegengabe im Verhältnis der Menschen, und wo
sie sehr entschieden und mit betontem Bewusstsein der Verschiedenheit
auftreten, bilden sie ein ethisch wie theoretisch gleichmäßig
schwieriges Problem dessen, was man die innere Soziologie nennen könnte.
Vielfach nämlich hat es
einen Ton von leiser innerer Unangemessenheit, dass der eine dem andern
seine intellektuellen Schätze darbietet, ohne etwa sein Gemüt besonders
in das Verhältnis hineinzuengagieren, während der andre dafür nichts zu
geben weiß als Liebe: all solche Fälle haben etwas Fatales für das Gefühl,
weil sie irgendwie an Kauf erinnern.
Es ist der Unterschied
zwischen Tausch im allgemeinen und Kauf, dass bei dem Begriff des Kaufes
betont wird, dass der tatsächlich vor sich gehende Tausch zwei ganz
heterogene Dinge betrifft, welche eben nur durch den gemeinsamen Geldwert
zusammengehalten und vergleichbar werden.
Also wenn eine Handarbeit
etwa in früheren Zeiten, wo noch kein Metallgeld verbreitet war, mit
einer Kuh oder Ziege erkauft wurde, so waren das völlig heterogene Dinge,
die aber durch den gemeinsam in beiden steckenden ökonomischen,
abstrakt-allgemeinen Wert zusammengehalten und tauschbar wurden.
In der modernen
Geldwirtschaft ist diese Heterogenität auf den Gipfel getrieben.
Denn das Geld ist, weil es
das Allgemeine an allen vertauschbaren Gegenständen darstellt, nicht
imstande, das Individuelle an ihnen auszudrücken; und daher kommt über
die Gegenstände, insoweit sie als verkäuflich figurieren, ein Ton von
Deklassierung, von Herabsetzung des Individuellen an ihnen auf das
Allgemeine, das diesem Dinge mit allen andern, gleichfalls verkäuflichen,
und vor allen Dingen mit dem Gelde selbst gemeinsam ist.
Etwas von solcher
prinzipiellen Heterogenität findet in den Fällen statt, die ich erwähnte,
wo zwei Menschen sich gegenseitig gewisse Güter ihrer Innerlichkeit
darbieten, wo die Dankbarkeit für die eine Gabe sich gleichsam in einer
ganz andern Münze realisiert und damit in den Tausch etwas von dem
Charakter des Kaufes kommt, der hier von vornherein unangemessen ist.
Man kauft die Liebe mit
dem, was man an Geist gibt.
Man kauft den Reiz eines
Menschen, den man genießen will, durch die überlegene Suggestionskraft
und Willensenergie, welche er entweder über sich fühlen will oder welche
er sich einflößen lassen will.
Das Gefühl einer gewissen
Inadäquatheit oder Unwürdigkeit kommt hier indes nur auf, wenn die
gegenseitigen Darbietungen als losgelöste Objekte, die man vertauscht,
wirken, wenn die gegenseitige Dankbarkeit nur die Wohltat, sozusagen nur
den ausgetauschten Inhalt, selbst betrifft.
Allein der Mensch ist doch,
insbesondere in den Verhältnissen, die hier in Frage kommen, nicht der
Kaufmann seiner selbst.
Seine Qualitäten, die von
ihm ausströmenden Kräfte und Funktionen liegen doch nicht nur vor ihm,
wie die Waren auf dem Ladentisch, sondern es kommt darauf an, sich dahin
durchzufühlen, dass der Mensch, auch wenn er nur ein Einzelnes gibt, nur
eine Seite seiner Persönlichkeit darbietet, in dieser einen Seite doch
vollkommen enthalten sein kann, seine Persönlichkeit in der Form dieser
einzelnen Energie dennoch ganz geben kann.
Jene Unverhältnismäßigkeit
tritt nur ein, wo die Differenzierung innerhalb des Verhältnisses so
vorgeschritten ist, dass, was der eine dem andern gibt, sich von der
Gesamtheit seiner Persönlichkeit gelöst hat.
Wo dies indes nicht
geschehen ist, entsteht gerade hier ein wundervoll reiner Fall der sonst
nicht sehr häufigen Kombination, dass die Dankbarkeit die Reaktion auf
die Wohltat und auf den Wohltäter gleichmäßig in sich schließt.
In der scheinbar objektiven
Erwiderung, die nur der Gabe gilt und die in einer andern Gabe besteht,
ist es nun durch jene merkwürdige Plastizität der Seele möglich, die
Ganzheit der Subjektivität des einen wie des andern sowohl hinzugeben wie
hinzunehmen.
Der tiefste Fall dieser Art
liegt vor, wenn die innere Gesamtstimmung, die auf den andern in der
besonderen, Dankbarkeit genannten Weise eingestellt ist, nicht gleichsam
nur eine Verbreiterung der eigentlich bestimmt umschriebenen
Dankesreaktion auf das Ganze der Seele ist; sondern wenn, was wir von
einem andern an Gutem und Dankswertem erfahren, nur wie eine
Gelegenheitsursache ist, in der ein in der inneren Beschaffenheit der
Seele vorbestimmtes Verhältnis zu jenem nur verwirklicht wird.
Hier greift das, was wir
Dankbarkeit nennen und was dieser Stimmung gleichsam nur von einer
einzelnen Erweisung her den Namen gegeben hat, sehr tief herunter unter
die gewöhnliche, dem Objekt geltende Form des Dankes.
Man kann sagen, dass er
hier im tiefsten überhaupt nicht darin besteht, dass die Gabe erwidert
wird, sondern in dem Bewusstsein, dass man sie nicht erwidern könne, dass
hier etwas vorliegt, was die Seele des Empfangenden wie in einen gewissen
Dauerzustand der anderen gegenüber versetzt, eine Ahnung der inneren
Unendlichkeit eines Verhältnisses zum Bewusstsein bringt, das durch keine
endliche Betätigung vollkommen erschöpft oder verwirklicht werden kann.
Dies berührt sich mit
einer andern tiefgelegenen Inkommensurabilität, die den unter der
Kategorie der Dankbarkeit verlaufenden Beziehungen durchaus wesentlich
ist.
Wo wir von einem andern
Dankenswertes erfahren haben, wo dieser »vorgeleistet« hat, können wir
mit keiner Gegengabe oder Gegenleistung - obgleich eine solche rechtlich
und objektiv die erste überwiegen mag - dies vollkommen erwidern, weil in
der ersten Leistung eine Freiwilligkeit liegt, die bei der Gegenleistung
nicht mehr vorhanden ist.
Denn zu ihr sind wir schon
moralisch verpflichtet, zu ihr wirkt der Zwang, der zwar nicht sozial
juristisch, sondern moralisch, aber immerhin ein Zwang ist.
Die erste, aus der vollen
Spontaneität der Seele quellende Erweisung hat eine Freiheit, die der
Pflicht - auch der Pflicht der Dankbarkeit - mangelt.
Diesen Charakter der
Pflicht hat Kant mit dem Gewaltstreich hinwegdekretiert, dass Pflichterfüllung
und Freiheit identisch seien.
Er hat dabei die negative
Seite der Freiheit mit der positiven verwechselt.
Die Pflicht, die wir ideell
über uns fühlen, sind wir scheinbar frei zu erfüllen oder nicht zu erfüllen.
In Wirklichkeit geschieht
nur das letztere aus völliger Freiheit - die Erfüllung aber erfolgt aus
einem seelischen Imperativ heraus, aus jenem Zwang, der das innere Äquivalent
des rechtlichen Zwanges der Gesellschaft ist.
Die volle Freiheit liegt
nur auf der Seite des Lassens, nicht auf der des Tuns, zu dem ich dadurch,
dass es Pflicht ist, veranlasst bin - wie ich zur Erwiderung einer Gabe
eben dadurch veranlasst bin, dass ich sie empfangen habe.
Nur wenn wir sie
vorleisten, sind wir frei, und das ist der Grund, weshalb in der ersten,
durch keinen Dank veranlassten Darbietung eine Schönheit, eine spontane
Hingebung, ein Aufquellen und Hinblühen zum andern gewissermaßen aus dem
virgin soil der Seele liegt, das durch keine inhaltlich noch so überwiegende
Gabe ausgeglichen werden kann.
Hier bleibt ein Rest, der
sich in dem - in bezug auf den konkreten Inhalt des Erweisens oft
ungerechtfertigt scheinenden - Gefühl ausdrückt, dass wir eine Gabe überhaupt
nicht erwidern können; denn in ihr lebt eine Freiheit, die die Gegengabe,
eben weil sie Gegengabe ist, nicht besitzen kann.
Vielleicht ist dies der
Grund, weshalb manche Menschen ungern etwas annehmen, und es möglichst
vermeiden, beschenkt zu werden.
Drehte sich die Wohltat und
die Dankbarkeit einfach um das Objekt, so wäre dies unverständlich, weil
man dann mit der Revanche alles ausgleichen, die innere Bindung völlig lösen
könnte.
In Wirklichkeit aber wirkt
bei jenen vielleicht eben der Instinkt, dass die Gegengabe das
entscheidende, das Freiheitsmoment der ersten Gabe nicht enthalten kann
und man sich deshalb mit der Annahme dieser in eine nicht zu solvierende
Verpflichtung begibt.
Dass dies in der Regel
Menschen von starkem Unabhängigkeits- und Individualitätstrieb sind,
weist darauf hin, dass die Situation der Dankbarkeit leicht einen Ton von
nicht lösbarer Bindung mit sich bringt, dass sie ein moralischer
Charakter indelebilis ist.
Haben wir erst einmal eine
Leistung, ein Opfer, eine Wohltat angenommen, so kann daraus jene nie völlig
auslöschbare Beziehung entstehen, weil die Dankbarkeit vielleicht der
einzige Gefühlszustand ist, der unter allen Umständen sittlich gefordert
und geleistet werden kann.
Wenn unsre innere
Wirklichkeit, von sich aus oder als Antwort auf eine äußere, es uns unmöglich
gemacht hat, weiter zu lieben, weiter zu verehren, weiter zu schätzen -
ästhetisch, ethisch, intellektuell -: dankbar können wir immer noch dem
sein, der einmal unsern Dank verdient hat.
Dieser Forderung ist die
Seele unbedingt bildsam oder könnte es sein; so dass vielleicht keiner
anderen Verfehlung des Gefühls gegenüber ein Urteil ohne mildernde Umstände
so angebracht ist, wie der Undankbarkeit gegenüber.
Selbst die innerliche Treue
hat nicht die gleiche Unnachlasslichkeit.
Es gibt Verhältnisse, die
sozusagen von vornherein nur mit einem bestimmten Kapital an Gefühlen
wirtschaften und deren Anlage es unvermeidlich mit sich bringt, dieses
allmählich aufzubrauchen, so dass ihr Aufhören keine eigentliche
Treulosigkeit involviert.
Nur freilich, dass sie in
ihren Anfangsstadien oft von den andern nicht zu unterscheiden sind, die -
um im Gleichnis zu bleiben - von den Zinsen leben und in der alle
Leidenschaftlichkeit und Reservelosigkeit des Gebens nicht an dem
Grundstock zehrt.
Es gehört leider zu den häufigsten
Irrungen der Menschen, für Zinsen zu halten, was Kapital ist, und darum
eine Beziehung so anzulegen, dass ihr Bruch zu einer Treulosigkeit wird.
Aber diese ist dann nicht
eine Verfehlung aus der Freiheit der Seele heraus, sondern die logische
Entwicklung eines von vornherein mit irrigen Faktoren rechnenden
Schicksals.
Und nicht vermeidlicher
erscheint die Untreue, wo nicht die sich offenbarende Täuschung des
Bewusstseins, sondern ein tatsächliches Anderswerden der Individuen die
Voraussetzungen ihrer Beziehung umgestaltet.
Vielleicht entspringt mit
die größte Tragik menschlicher Verhältnisse aus der gar nicht zu
rationalisierenden und fortwährend sich verschiebenden Mischung der
stabilen und der variablen Elemente unsrer Natur.
Wenn wir uns mit der
Ganzheit unsres Wesens in eine bindende Beziehung hineinbegeben haben, so
bleiben wir vielleicht mit gewissen Seiten, mit den mehr nach außen
gewandten, aber auch mit manchen rein innerlichen, in der gleichen
Stimmung und Neigung; andere aber entwickeln sich zu ganz neuen
Interessen, Zielen, Vermögen, die schließlich unser Wesen als Ganzes in
neue Richtungen werfen.
Damit wenden sie uns von
jenen Verhältnissen ab - womit natürlich nur die reine Innerlichkeit,
nicht äußere Pflichterfüllung, gemeint ist -, mit einer Treulosigkeit,
die weder ganz schuldlos ist, weil doch noch manches Band nach jenen hin
besteht, das nun zerrissen sein muss, noch ganz schuldig, weil wir nicht
mehr dieselben sind, die in das Verhältnis eintraten; das Subjekt ist
verschwunden, dem man die Treulosigkeit imputieren könnte.
Eine solche Entlastung von
der inneren Wesenheit her, wie diese, tritt für unser Gefühl nicht ein,
wenn unser Dankbarkeitsgefühl erlischt.
Dieses scheint in einem
Punkte in uns zu wohnen, der sich nicht wandeln darf, für den wir Beständigkeit
mit größerem Rechte fordern, als für leidenschaftlichere und selbst
tiefere Gefühle.
Dies eigentümlich Unlösbare
der Dankbarkeit, das selbst bei der Erwiderung mit gleicher oder größerer
Gegengabe einen Rest lässt, ihn auch auf beiden Seiten eines Verhältnisses
lassen kann - vielleicht eben zurückgehend auf jene Freiheit der Gabe,
die der nun sittlich notwendigen Gegengabe fehlt -, dies lässt die
Dankbarkeit als ein ebenso feines wie festes Band zwischen den Menschen
erscheinen.
In jedem irgendwie
dauernden Verhältnis erwachsen tausend Dankgelegenheiten, von denen auch
die flüchtigsten ihren Beitrag zu der gegenseitigen Bindung nicht
verloren gehen lassen.
Es entsteht aus ihrer
Summierung, in den guten Fällen, aber manchmal auch in solchen, die mit
Gegeninstanzen reichlich ausgestattet sind - die Stimmung eines
allgemeinen Verpflichtetseins (mit Recht behauptet man, dem andern für
etwas Dankenswertes »verbunden« zu sein), die keiner Lösung durch
irgendwelche einzelnen Leistungen fähig ist; sie gehört zu jenen
gleichsam mikroskopischen, aber unendlich zähen Fäden, die ein Element
der Gesellschaft an das andere und dadurch schließlich alle zu einem
formfesten Gesamtleben aneinander halten.
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