Georg Simmel: Soziologie
des Raumes
ex: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und
Volkswirtschaft im Deutschen Reich (Das »Jahrbuch für Gesetzgebung,
Verwaltung und Rechtspflege des Deutschen Reiches« Neue Folge),
herausgegeben von Gustav Schmoller, 27.Jg-, I. Band, 1903, S. 27-71
(Leipzig)
Inhalt
Die Ausschliesslichkeit des Raumes, ihre absolute und
ihre relative soziologische Bedeutsamkeit. Räumlich permeable
Sozialgebilde
Die räumliche Grenze als seelische Wechselwirkung:
Folge der Eingrenzung nach innen
Die räumliche Fixierung: der soziologische
»Drehpunkt«, die Individualität des Ortes. Die Sichtung der
Gruppenelemente
Die Ortsveränderung der Gruppe als ganzer.
Nivellement der Wanderung
Ortsveränderung von Elementen innerhalb stabiler
Gruppen. Vereinheitlichende Wirkung
Dissoziierende Wirkung
Die nachfolgenden Untersuchungen bilden ein Kapitel einer von mir
künftig zu veröffentlichenden Soziologie, deren Problemstellung ich
bereits in diesem Jahrbuch (XVIII, 4) veröffentlicht habe.
Ich hoffe, dass sie ihren Beitrag zu der Analyse des gesellschaftlichen
Daseins unabhängig davon liefern werden, ob man jenes Programm als das
der Soziologie eigene anerkennt oder ablehnt.
Es gehört zu den häufigsten Ausartungen des menschlichen
Kausaltriebes, formale Bedingungen, ohne die bestimmte Ereignisse nicht
stattfinden können, für positive, produktive Ursachen derselben zu
halten.
Das typische Beispiel ist die Macht der Zeit- eine Redensart, die uns
unzählige Mal darum betrügt, den wirklichen Gründen von Milderungen
oder Erkaltungen der Gesinnung, von seelischen Heilprozessen oder fest
gewordenen Gewohnheiten nachzuforschen.
Mit der Bedeutung des Raumes wird es sich vielfach nicht anders
verhalten.
Wenn eine ästhetische Theorie es für die wesentliche Aufgabe der
bildenden Kunst erklärt, uns den Raum fühlbar zu machen, so verkennt
sie, dass unser Interesse nur den besonderen Gestaltungen der Dinge gilt,
nicht aber dem allgemeinen Raum oder Räumlichkeit, die nur die conditio
sine qua non jener, aber, weder ihr spezielles Wesen noch ihren
erzeugenden Faktor ausmachen.
Wenn eine Deutung der Geschichte das Raummoment derart in den
Vordergrund stellt, dass sie die Grösse oder Kleinheit der Reiche, die
Zusammendrängung oder Zerstreutheit der Bevölkerungen, die Beweglichkeit
oder Stabilität der Massen usw. als die gleichsam vom Raum ausstrahlenden
Kräfte des ganzen geschichtlichen Lebens versteht, so gerät auch hier
die notwendige räumliche Befasstheit aller dieser Konstellationen in
Gefahr, mit ihren positiv wirksamen Ursachen verwechselt zu werden.
Freilich können Reiche nicht irgend welche Umfänge haben, freilich
können Menschen nicht einander nahe oder fern sein, ohne dass der Raum
seine Form dazu hergebe, so wenig jene Vorgänge, die man der Macht der
Zeit zuschreibt, ausserhalb der Zeit verlaufen können.
Aber die Inhalte dieser Formen erfahren doch nur durch andere Inhalte
die Besonderheit ihrer Schicksale, der Raum bleibt immer die an sich
wirkungslose Form, in deren Modifikationen die realen Energien sich zwar
offenbaren, aber nur, wie die Sprache Gedankenprozesse ausdrückt, die
allerdings in Worten, aber nicht durch Worte verlaufen.
Ein geographischer Umfang von so und so vielen Quadratmeilen bildet
nicht ein grosses Reich, sondern das tun die psychologischen Kräfte, die
die Bewohner eines solchen Gebietes von einem herrschenden Mittelpunkt her
politisch zusammenhalten.
Nicht die Form räumlicher Nähe oder Distanz schafft die besonderen
Erscheinungen der Nachbarschaft oder Fremdheit, so unabweislich dies
scheinen mag.
Vielmehr sind auch dies rein durch seelische Inhalte erzeugte
Tatsachen, deren Ablauf zu ihrer Raumform in keinem prinzipiell anderen
Verhältnis steht als eine Schlacht oder ein Telephongespräch zu den
ihrigen - so zweifellos auch diese Vorgänge sich eben nur unter ganz
bestimmten Raumbedingungen verwirklichen können.
In dem Erfordernis spezifisch seelischer Funktionen für die einzelnen
geschichtlichen Raumgestaltungen spiegelt es sich, dass der Raum
überhaupt nur eine Tätigkeit der Seele ist, nur die menschliche Art, an
sich unverbundene Sinnesaffektionen zu einheitlichen Anschauungen zu
verbinden.
Trotz dieser Sachlage ist die Betonung der Raumbedeutungen der Dinge
und Vorgänge nicht ungerechtfertigt.
Denn diese verlaufen tatsächlich oft so, dass die formale oder
negative Bedingung ihrer Räumlichkeit für die Betrachtung besonders
hervortritt, und dass wir an ihr die klarste Dokumentierung der realen
Kräfte besitzen.
Wenn auch ein chemischer Prozess oder eine Schachpartie schliesslich
ebenso an Raumbedingtheiten gebunden ist wie ein Kriegszug oder wie der
Absatz landwirtschaftlicher Produkte, so ist doch die Blickrichtung, die
das Erkenntnisinteresse dem einen und dem andern Falle gegenüber
einschlägt, methodisch so verschieden, dass die Frage nach den
Bedingungen und Bestimmtheiten von Raum und Ort dort ganz ausserhalb
derselben fällt, hier ganz entschieden eingeschlossen wird.
Kant definiert den Raum einmal als die Möglichkeit des Beisammenseins;
die Vergesellschaftung hat, in den verschiedenen Arten der Wechselwirkung
der Individuen, andere Möglichkeiten des Beisammenseins - im geistigen
Sinne - zustande gebracht; manche derselben aber verwirklichen sich so,
dass die Raumform, in der dies wie bei allen überhaupt geschieht, für
unsere Erkenntniszwecke besondere Betonung rechtfertigt.
So fragen wir im Interesse der Ergründung der
Vergesellschaftungsformen nach der Bedeutung, die die Raumbedingungen
einer Vergesellschaftung für ihre sonstige Bestimmtheit und
Entwickelungen in soziologischer Hinsicht besitzen.
I. Zunächst sind es einige Grundqualitäten der Raumform, mit denen
Gestaltungen des Gemeinschaftslebens rechnen.
A. Dazu gehört das, was man die Ausschliesslichkeit des Raumes nennen
kann.
Wie es nur einen einzigen allgemeinen Raum gibt, von dem alle einzelnen
Räume Stücke sind, so hat jeder Raumteil eine Art von Einzigkeit, für
die es kaum eine Analogie gibt.
Einen bestimmt lokalisierten Raumteil in der Mehrzahl zu denken, ist
ein völliger Widersinn, und eben dies ermöglicht es, dass von anderen
Objekten gleichzeitig eine Mehrzahl völlig identischer Exemplare bestehen
kann; denn nur dadurch, dass jedes einen anderen Raumteil einnimmt, von
denen keiner jemals mit einem anderen zusammenfallen kann, sind es eben
mehrere, obgleich ihre Beschaffenheit eine absolut einheitliche ist.
Diese Einzigkeit des Raumes teilt sich also den Gegenständen, insoweit
sie bloss als raumfüllend vorgestellt werden, mit, und dies wird für die
Praxis an denjenigen besonders wichtig, von denen wir gerade die
Raumbedeutung besonders zu betonen und zu benützen pflegen.
So vor allem am Grund und Boden, der die Bedingung ist, die
Dreidimensionalität des Raumes für unsere Zwecke zu erfüllen und zu
fruktifizieren.
In dem Mass, in dem ein gesellschaftliches Gebilde mit einer bestimmten
Bodenausdehnung verschmolzen oder sozusagen solidarisch ist, hat es einen
Charakter von Einzigkeit oder Ausschliesslichkeit, der auf andere Weise
nicht ebenso erreichbar ist.
Gewisse Verbindungstypen können ihrer ganzen soziologischen Form nach
sich nur so verwirklichen, dass innerhalb des Raumgebietes, das eine ihrer
Ausgestaltungen erfüllt, für keine zweite Platz ist.
Von anderen dagegen kann eine beliebige Zahl-soziologisch gleich
gearteter - denselben Umfang erfüllen, indem sie gegenseitig gleichsam
permeabel sind; weil sie keine innerliche Beziehung zum Raum haben,
können sie auch nicht in räumliche Kollisionen geraten.
Für das erstere ist das einzige völlig deckende Beispiel der Staat.
Von ihm hat man gesagt, er wäre nicht ein Verband unter vielen,
sondern der alles beherrschende Verband, also einzig in seiner Art.
Diese Vorstellung, deren Richtigkeit für das Gesamtwesen des Staates
hier nicht in Frage steht, gilt in jedem Fall in Rücksicht auf den
Raumcharakter des Staates.
Die Verbindungsart zwischen den Individuen, die der Staat schafft, oder
die ihn schafft, ist mit dem Territorium derartig verbunden, dass ein
zweiter gleichzeitiger Staat auf eben demselben kein vollziehbarer Gedanke
ist.
Einigermassen hat die Kommune den gleichen Charakter: innerhalb des
Weichbildes einer Stadt kann es nur diese Stadt geben, und wenn etwa doch
eine zweite in eben diesen Grenzen erwächst, so sind das nicht zwei
Städte auf demselben Grund und Boden, sondern auf zwei zwar ehemals
vereinten, jetzt aber gesonderten Territorien.
Dennoch ist diese Ausschliesslichkeit nicht ebenso absolut wie die des
Staates.
Das Bedeutungs- und Wirksamkeitsgebiet einer Stadt - innerhalb eines
Staates - endet doch nicht an ihrer geographischen Grenze, sondern mehr
oder weniger bemerkbar erstreckt es sich mit geistigen, ökonomischen,
politischen Wellenzügen über das ganze Land, indem die allgemeine
Staatsverwaltung die Kräfte und Interessen jedes Teiles mit denen des
Ganzen verwachsen lässt.
Von diesem Gesichtspunkt aus verliert die Gemeinde ihren ausschliessenden Charakter und expandiert sich funktionell über den
Gesamtstaat, derart, dass dieser das gemeinsame Wirkungsgebiet für die
sozusagen ideellen Erstreckungen aller einzelnen Gemeinden ist.
Indem jede über ihre unmittelbaren Grenzen hinausgreift, begegnet sie
sich mit allen anderen, auf dem gleichen Totalgebiet wirksamen, sodass
auf diesem keine die einzige ist, und eine jede um die Ausschliesslichkeit
ihres engeren Gebietes ein weiteres gelagert hat, auf dem sie nicht einzig
ist.
Auch innerhalb der einzelnen Stadt kann sich diese Lokalform des
Gruppenlebens wiederholen.
Wenn sich aus deutschen Markgemeinden bischöfliche Städte
entwickelten, so war die freie Gemeinde nie Eigentümerin der ganzen
Stadtmark, vielmehr bestand neben ihr ein Bischof, der einen
umfangreichen, nach eigenem Rechte regierten Herrschaftsverband
abhängiger Leute hinter sich hatte.
Ferner bestand in den meisten Städten noch ein Fronhof des Königs mit
einer besonders verwalteten Hofgemeinde, endlich noch unabhängige
Klöster und Judengemeinden, welche nach eigenem Rechte lebten.
Es gab also in älterer Zeit wohl Gemeinden in den Städten, aber keine
eigentlichen Stadtgemeinden.
Unvermeidlich aber entwickelten sich aus der räumlichen Berührung
hin- und hergreifende Wirkungen, die sich, bevor alle diese Getrenntheiten
zu einem Stadtwesen zusammenschmolzen, zunächst in dem gemeinsamen
Stadtfrieden einen Ausdruck schafften.
Mit ihm war allen Einwohnern ein gemeinsam schützendes Recht über
ihren besonderen Personenrechten gegeben; d. h. die Rechtssphäre jedes
Bezirkes griff über seine Abgrenzung, innerhalb deren jede Gemeinschaft
die einzige war, hinaus, erstreckte sich in für alle gleichmässiger
Weise auf ein alle einschliessendes Gesamtgebiet und verlor mit dieser
Erweiterung ihres wirksamen Wesens die lokale Ausschliesslichkeit.
Dieser Typus bildet den Übergang zu der weiteren Stufe des
Raumverhältnisses von Gruppen, auf der sie, weil sie nicht auf eine
bestimmte Ausdehnung begrenzt sind, auch nicht den Anspruch auf Einzigkeit
innerhalb einer solchen besitzen.
So konnten auf dem Territorium einer Stadt
beliebig viele soziologisch ganz gleich beschaffene Zünfte
nebeneinander bestehen.
jede war eben die Zunft der ganzen Stadt, sie teilten die gegebene
Ausdehnung nicht quantitativ, sondern funktionell, sie stiessen sich nicht
im Raume, weil sie als soziologische Gebilde nicht räumlich, wenn auch
örtlich bestimmt waren.
Ihrem Inhalte nach hatten sie die Ausschliesslichkeit der Erfüllungen
räumlicher Ausdehnung, insoweit es für jedes bestimmte Handwerk eben nur
eine Zunft in der Stadt gab, und für eine zweite kein Raum war.
Ihrer Form nach konnten unzählige Gebilde dieser Art widerspruchslos
denselben Raum erfüllen.
Den äussersten Pol dieser Reihe exemplifiziert die Kirche, wenigstens
wenn sie wie die katholische den Anspruch auf All-Erstreckung und Freiheit
von jeglicher örtlicher Schranke erhebt.
Dennoch könnten mehrere Religionen dieser Art sich z. B. in derselben
Stadt zusammenfinden.
Die katholische Gemeinde wäre nicht weniger »die katholische Gemeinde
der Stadt« - d. h. in einer bestimmten organisatorisch-lokalen Beziehung
zu der Stadt als Einheit stehend - wie ganz entsprechend die einer
beliebigen anderen Religion.
Das Prinzip der Kirche ist unräumlich und deshalb, obgleich über
jeden Raum sich erstreckend, von keinem ein gleich geformtes Gebilde
ausschliessend.
Es gibt innerhalb des Räumlichen ein Seitenstück zu dem zeitlichen
Gegensatz des Ewigen und des Zeitlosen: das letztere seinem Wesen nach
überhaupt nicht von der Frage des jetzt oder Früher oder Später
berührt und deshalb freilich jedem Zeitmoment zugängig oder
gegenwärtig.
Das erstere gerade ein Begriff von Zeit, nämlich von endloser und
ununterbrochener.
Den entsprechenden Unterschied im Räumlichen, für den wir keine
einfachen Ausdrücke haben, bilden auf der einen Seite die
überräumlichen Gebilde, die ihrem inneren Sinne nach keine Beziehung zum
Raume, eben deshalb aber eine gleichmässige zu allen einzelnen Punkten
desselben haben; auf der anderen Seite diejenigen, die ihre gleichmässige
Beziehung zu allen Raumpunkten nicht als gleichmässige Indifferenz, also
eigentlich als blosse Möglichkeit, sondern als überall wirkliche und
prinzipielle Solidarität mit dem Raume geniessen.
Der reinste Typus der ersteren ist ersichtlich die Kirche, der des
letzteren der Staat: zwischen beide schieben sich mittlere Erscheinungen,
von denen ich einige andeutete; auf das formale Wesen von vielerlei
sozialen Gebilden mag so ein besonderes Licht von ihrer Stufe auf der
Skala her fallen, die von der völligen territorialen Festgelegtheit und
daraus folgenden Möglichkeit eines Kondominiums vieler gleichartiger
über denselben Raumabschnitt führt.
Die Nähe oder die Entfernung, die Ausschliesslichkeit oder die
Vielfachheit, die das Verhältnis der Gruppe zu ihrem Grund und Boden
aufweist, ist deshalb vielfach die Wurzel und das Symbol ihrer Struktur.
B. Eine weitere Qualität des Raumes, die auf die gesellschaftlichen
Wechselwirkungen wesentlich einwirkt, liegt darin, dass sich der Raum für
unsere praktische Ausnutzung in Stücke zerlegt, die als Einheiten gelten
und - als Ursache wie als Wirkung hiervon - von Grenzen eingerahmt sind.
Mögen nun die Konfigurationen der Erdoberfläche uns den Rahmen
vorzuzeichnen scheinen, den wir in die Grenzenlosigkeit des Raumes
einschreiben, oder mögen rein ideelle Linien gleichgeartete Stücke des
Bodens trennen wie eine Wasserscheide, diesseits und jenseits deren jedes
Teilchen einem anderen Zentrum zu gravitiert: immer fassen wir den Raum,
den eine gesellschaftliche Gruppe in irgend einem Sinne erfüllt, als eine
Einheit auf, die die Einheit jener Gruppe ebenso ausdrückt und trägt,
wie sie von ihr getragen wird.
Der Rahmen, die in sich zurücklaufende Grenze eines Gebildes, hat für
die soziale Gruppe sehr ähnliche Bedeutung wie für ein Kunstwerk.
An diesem übt er die beiden Funktionen, die eigentlich nur die zwei
Seiten einer einzigen sind: das Kunstwerk gegen die umgebende Welt ab- und
in sich zusammenzuschliessen; der Rahmen verkündet, dass sich innerhalb
seiner eine nur eigenen Normen untertänige Welt befindet, die in die
Bestimmtheiten und Bewegungen der umgebenden nicht hineingezogen ist;
indem er die selbstgenügsame Einheit des Kunstwerks symbolisiert,
verstärkt er zugleich von sich aus deren Wirklichkeit und Eindruck.
So ist eine Gesellschaft dadurch, dass ihr Existenzraum von scharf
bewussten Grenzen eingefasst ist, als eine auch innerlich
zusammengehörige charakterisiert, und umgekehrt: die wechselwirkende
Einheit, die funktionelle Beziehung jedes Elementes zu jedem gewinnt ihren
räumlichen Ausdruck in der einrahmenden Grenze.
Es gibt vielleicht nichts, was die Kraft insbesondere des staatlichen
Zusammenhaltes so stark erweist, als dass diese soziologische
Zentripetalität, diese schliesslich doch nur seelische Kohärenz von
Persönlichkeiten zu einem wie sinnlich empfundenen Bilde einer fest
umschliessenden Grenzlinie aufwächst.
Man macht sich selten klar, wie wunderbar hier die Extensität des
Raumes der Intensität der soziologischen Beziehungen entgegenkommt, wie
die Kontinuität des Raumes, gerade weil sie objektiv nirgends eine
absolute Grenze enthält, eben deshalb überall gestattet, eine solche
subjektiv zu legen.
Der Natur gegenüber ist jede Grenzsetzung Willkür, selbst im Falle
einer insularen Lage, da doch prinzipiell auch das Meer »in Besitz
genommen« werden kann.
Gerade an dieser Unpräjudiziertheit durch den natürlichen Raum macht
die trotzdem bestehende unbedingte Schärfe der einmal gesetzten
physischen Grenze die formende Macht des gesellschaftlichen Zusammenhanges
und ihre von innen kommende Notwendigkeit ganz besonders anschaulich.
Darum ist das Bewusstsein der Eingegrenztheit auch vielleicht nicht
gegenüber den sogenannten natürlichen Grenzen (Gebirge, Flüsse, Meere,
Einöden) das stärkste, sondern gerade an bloss politischen Grenzen, die
nur eine geometrische Linie zwischen zwei Nachbarn legen.
Und zwar gerade, weil hier Verschiebungen, Erweiterungen, Einziehungen,
Verschmelzungen viel näher liegen, weil das Gebilde an seinem Ende an
lebendige, seelisch wirksame Grenzen stösst, von denen nicht nur passive
Widerstände, sondern sehr aktive Repulsionen ausgehen.
Jede derartige Grenze bedeutet Defensive und Offensive; oder vielleicht
richtiger: sie ist der räumliche Ausdruck jenes einheitlichen
Verhältnisses zwischen zwei Nachbarn, für das wir keinen ganz
einheitlichen Ausdruck haben, und das wir etwa als den lndifferenzzustand von Defensive und Offensive bezeichnen können, als einen
Spannungszustand, in dem beides latent ruht, mag es sich nun entwickeln
oder nicht.
Damit ist selbstverständlich nicht geleugnet, dass die in jedem Fall
psychologische Grenzsetzung an jenen natürlichen Gebietsabschlüssen eine
Erleichterung und Betonung fände; ja der Raum erhält durch die
Gliederung seiner Grundfläche oft Einteilungen, die die Beziehungen der
Bewohner untereinander und zu den draussen Stehenden in einzigartiger
Weise färben.
Das bekannteste Beispiel bilden die Gebirgsbewohner mit ihrer
eigentümlichen Einheit von Freiheitssinn und Konservativismus, von
Sprödigkeit des Verhaltens gegeneinander und leidenschaftlicher
Anhänglichkeit an den Boden, die dennoch ein ausserordentlich starkes
Band zwischen ihnen schafft.
Der Konservativismus ist in Gebirgstälern sehr einfach aus der
Erschwerung des Verkehrs mit der Aussenwelt und dem daraus hervorgehenden
Mangel an Anregungen zur Veränderung erklärt; wo die Gebirgslage diese
prohibitive Wirkung nicht übt, wie in einigen griechischen Landschaften,
überwiegt die konservative Tendenz keineswegs.
Sie hat also nur negative Veranlassungen im Gegensatz etwa zu anderen
geographischen Bestimmtheiten von gleichem Ergebnis: der Nil bietet seinen
Anwohnern einerseits eine ausserordentliche Gleichmässigkeit dessen, was
er ihnen gewährt, und der Tätigkeit, die zu der Nutzbarmachung davon
erfordert wird.
Andererseits ist die Fruchtbarkeit seines Tales so gross, dass die
Bevölkerung, die einmal dort eingedrungen ist, keine Veranlassung zu
unruhigen Bewegungen hat.
Diese sehr positiven Gründe prägen der Gegend eine Einförmigkeit
immer wiederholter Lebensinhalte ein, fesseln sie wie an die Regelmässigkeit einer Maschine und haben dem Niltal oft eine konservative
Erstarrung für Jahrhunderte aufgezwungen, wie sie an der Küste des
ägäischen Meeres schon aus geographischen Gründen gar nicht erzielbar
war. -
Der Begriff der Grenze ist in allen Verhältnissen von Menschen
untereinander äusserst wichtig, wenngleich sein Sinn nicht immer ein
soziologischer ist; denn er bezeichnet oft genug nur, dass die Sphäre
einer Persönlichkeit nach Macht oder Intelligenz, nach Fähigkeit des
Ertragens oder des Geniessens eine Grenze gefunden hat- aber ohne dass an
diesem Ende sich nun die Sphäre eines anderen ansetzte und mit ihrer
eigenen Grenze die des ersten merkbarer festlegte.
Dieses letztere, die soziologische Grenze, bedeutet eine ganz
eigenartige Wechsel Wirkung.
Jedes der beiden Elemente wirkt auf das andere, in dem es ihm die
Grenze setzt, aber der Inhalt dieses Wirkens ist eben die Bestimmung,
über diese Grenze hin, also doch auf den anderen, überhaupt nicht wirken
zu wollen oder zu können.
Wenn dieser Allgemeinbegriff des gegenseitigen Begrenzens von der
räumlichen Grenze hergenommen ist, so ist doch, tiefer greifend, dieses
letztere nur die Kristallisierung oder Verräumlichung der allein
wirklichen seelischen Begrenzungsprozesse.
Nicht die Länder, nicht die Grundstücke, nicht der Stadtbezirk und
der Landbezirk begrenzen einander; sondern die Einwohner oder Eigentümer
üben die gegenseitige Wirkung aus, die ich eben andeutete.
Von der Sphäre zweier Persönlichkeiten oder Persönlichkeitskomplexe
gewinnt jede eine innere Geschlossenheit für sich, ein
Aufeinanderhinweisen ihrer Elemente, eine dynamische Beziehung zu ihrem
Zentrum; und eben dadurch stellt sich zwischen beiden das her, was sich in
der Raumgrenze symbolisiert, die Ergänzung des positiven Macht- und
Rechtmasses der eigenen Sphäre durch das Bewusstsein, dass sich Macht und
Recht eben in die andere Sphäre nicht hinein erstrecken.
Die Grenze ist nicht eine räumliche Tatsache mit soziologischen
Wirkungen, sondern eine soziologische Tatsache, die sich räumlich formt.
Das idealistische Prinzip, dass der Raum unsere Vorstellung ist,
genauer: dass er durch unsere synthetische Tätigkeit, durch die wir das
Empfindungsmaterial formen, zustande kommt - spezialisiert sich hier so,
dass die Raumgestaltung, die wir Grenze nennen, eine soziologische
Funktion ist.
Ist sie freilich erst zu einem räumlich-sinnlichen Gebilde geworden,
das wir unabhängig von seinem soziologisch-praktischen Sinne in die Natur
einzeichnen, so übt dies starke Rückwirkung auf das Bewusstsein von dem
Verhältnis der Parteien.
Während diese Linie nur die Verschiedenheit der beiden Verhältnisse:
zwischen den Elementen einer Sphäre untereinander und zwischen diesen und
den Elementen einer anderen - markiert, wird sie zu einer lebendigen
Energie, die jene aneinander drängt und sie nicht aus ihrer Einheit
herauslässt und sich wie eine physische Gewalt, die nach beiden Seiten
hin Repulsionen ausstrahlt, zwischen beide schiebt.
Vielleicht in der Mehrzahl aller Verhältnisse zwischen Individuen wie
zwischen Gruppen wird
der Begriff der Grenze irgendwie wichtig.
Überall, wo die Interessen zweier Elemente demselben Objekt gelten,
hängt die Möglichkeit ihrer Koexistenz daran, dass eine Grenzlinie
innerhalb des Objekts ihre Sphären scheidet - sei diese nun als
Rechtsgrenze das Ende des Streites oder als Machtgrenze vielleicht sein
Anfang.
Ich erinnere nur an einen für alles menschlich gesellschaftliche
Dasein unermesslich bedeutungsvollen Fall.
Jedes engere Zusammenleben beruht durchgehends darauf, dass jeder vom
anderen durch psychologische Hypothesen mehr weiss, als dieser ihm
unmittelbar und mit bewusstem Willen zeigt.
Denn wären wir nur auf das so Offenbarte angewiesen, so würden wir
jedes Mal statt eines einheitlichen Menschen, den wir verstehen, und mit
dem wir rechnen können, nur einige zufällige und zusammenhangslose
Bruchstücke einer Seele vor uns haben.
Wir müssen also durch Schlüsse, Deutungen und Interpolationen die
gegebenen Fragmente ergänzen, bis ein soweit ganzer Mensch herauskommt,
wie wir ihn innerlich und für die Lebenspraxis brauchen.
Diesem zweifellosen sozialen Rechte auf Eindringen in den anderen, mag
er es wollen oder nicht, steht aber sein Privateigentum an seinem
seelischen Sein, sein Recht auf Diskretion gegenüber; denn Diskretion
bedeutet doch nicht nur, dass man keine fremden Briefe öffnet und nicht
an der Tür horcht, sondern auch, dass man sich des Nachgrübelns und der
Kombinationen enthält, durch die man gegen den Willen des anderen in
seine Intimitäten und Uneingeständlichkeiten eindringen könnte.
Wo aber liegt die Grenze zwischen der erlaubten, ja unerlässlichen
Konstruktion der fremden Seele und dieser psychologischen Indiskretion?
Und diese prekäre sachliche Grenze bedeutet doch nur die Grenze zwischen
den beiden Persönlichkeitssphären, sie bedeutet, dass das Bewusstsein
des einen nur bis zu einer gewissen Linie die Sphäre des anderen decken
darf, und dass von jener an unverletztlich die letztere beginnt, über
deren Offenbarung nur er ganz allein zu verfügen hat.
Es liegt auf der Hand, dass die unendlich verschiedene Führung dieser
Linie mit der ganzen Struktur des gesellschaftlichen Lebens in engster
Wechselwirkung steht: in primitiv-undifferenzierteren Zeiten wird das
Recht zu diesen psychologischen Grenzerweiterungen grösser, das Interesse
daran aber vielleicht geringer sein als in Zeiten sehr individualisierter
Menschen und komplizierter Verhältnisse; bei kaufmännischen
Verhandlungen wird diese Grenze anders liegen als im Verhältnis zwischen
Eltern und Kindern, unter Diplomaten anders als unter Kriegskameraden.
An diesem unscheinbaren und doch für die tiefere Analyse des
gesellschaftlichen Daseins äusserst wichtigen Problem zeigt sich recht,
wie sehr Grenzbestimmungen dieser Art die Gesamtheit der wechselwirkenden
Verhältnisse zwischen Individuen ausdrücken, welche gar nicht zu
fixierende Mannigfaltigkeit der Abgrenzungen, und namentlich welches
fortwährende Fliessen und Verschieben sie beherrscht.
Gerade deshalb habe ich diese dem Raumproblem ganz fernstehende
Angelegenheit hier berührt, um an ihr die unvergleichliche Festigkeit und
Anschaulichkeit zu verdeutlichen, die die sozialen Begrenzungsprozesse
durch ihre Verräumlichung erhalten.
Jede Grenze ist ein seelisches, näher: ein soziologisches Geschehen;
aber durch dessen Investierung in einer Linie im Raum gewinnt das
Gegenseitigkeitsverhältnis nach seinen positiven und negativen Seiten
eine Klarheit und Sicherheit - freilich oft auch eine Erstarrung-, die ihm
versagt zu bleiben pflegt, solange das Sich-treffen und Sich-scheiden der
Kräfte und Rechte noch nicht in eine sinnliche Gestaltung projiziert ist
und deshalb immer sozusagen im status nascens verharrt.
Handelte es sich hier also im wesentlichen um die Wechselwirkungen, die
sich zwischen dem Diesseits und dem Jenseits der Grenze entspinnen, so
bedürfen doch auch diejenigen, die die Grenze als Rahmen zwischen den
Elementen innerhalb ihrer hervorbringt, mindestens eines Beispiels.
Das Wesentliche ist hier die Enge oder Weite des Rahmens - obgleich
keineswegs das allein Wesentliche; denn auch die Form, in die der
räumliche Rahmen die Gruppe bringt, seine gleichmässige oder an
verschiedenen Stellen verschieden stark zusammenhaltende Energie, die
Frage, ob der Rahmen überall durch dasselbe Gebilde hergestellt wird (wie
einerseits bei Inseln, andererseits bei Staaten von der Lage von San
Marino oder den indischen Tributärstaaten) oder aus mehreren
Benachbartheiten zusammengesetzt ist - dies alles ist für die innere
Struktur der Gruppe von zweifelloser Bedeutung, auf die aber hier nur
hingewiesen werden soll.
Die Enge und Weite des Rahmens fällt nun keineswegs immer mit der
Kleinheit oder Grösse der Gruppe zusammen.
Vielmehr kommt es auf die Spannkräfte an, die sich innerhalb der
Gruppe entwickeln; wenn diese einen hinreichenden Spielraum finden, ohne
bei ihrer Expansion an die Grenzen anzuprallen, so ist der Rahmen eben
weit, auch wenn sich innerhalb seiner relativ viele Menschen
zusammenfinden, wie dies oft die Konstellation orientalischer Reiche ist.
Andererseits ist der Rahmen eng, wenn er selbst bei geringer
Menschenzahl als eine Einschnürung wirkt, über die gewisse Energien,
nach innen nicht entfaltbar, fortwährend hinauszugreifen suchen.
Die Wirkung dieser letzteren Konstellation auf die soziale Form hat z.
B. Venedig unverkennbar erfahren: die enge und unmittelbar gar nicht
durchbrechliche Eingefasstheit seines Territoriums wies es viel mehr auf
die sozusagen dynamische Expansion in den grossen Weltverhältnissen hin
als auf eine territoriale Machterweiterung, die bei einer solchen Lage nur
beschränkte Chancen bietet.
Eine solche, räumlich weit ausschauende, über das Nächstliegende
hinweggreifende Politik stellt aber sehr erhebliche intellektuelle
Ansprüche, wie sie von der grossen Masse nicht realisiert werden können.
Dadurch war die unmittelbare Demokratie für Venedig ausgeschlossen.
Es musste seinen räumlichen Lebensbedingungen nach eine Aristokratie
züchten, die, so hat man es ausgedrückt, über das Volk gebot, wie die
Offiziere auf einem Schiff der Mannschaft.
Die Tatsache des räumlichen Rahmens der Gruppe beschränkt sich als
formal-soziologische keineswegs auf die politische Umgrenzung.
Seine Enge oder Weite übt ihre formenden Folgen mit entsprechenden
Modifikationen, wo eine Anzahl von Menschen sich sozial zusammenfinden.
Der oft betonte Charakter der versammelten Menge: ihre Impulsivität,
ihr Enthusiasmus, ihre Fortreissbarkeit, hängt zum Teile sicher auch
daran, dass sie sich entweder im Freien oder wenigstens in einer - im
Vergleich mit sonstigen Aufenthaltsräumen - sehr grossen Lokalität
befinden.
Der grosse Luftraum gibt dem; Menschen ein Gefühl von
Bewegungsfreiheit, von Ausgreifenkönnen ins Unbestimmte, von unbestimmtem
Setzen weiter Ziele - wie es in engen Zimmern entschieden sinnlich
erschwert ist.
Dass solche Räume doch oft relativ zu eng, d. h. überfüllt sind,
kann diese psychische Wirkung, das Wachstum des individuellen psychischen
Schwunges über seine gewohnten Grenzen hinaus, nur vermehren: denn es
muss jenes Kollektivgefühl steigern, das den einzelnen in eine Einheit
jenseits seiner Individualität einschmilzt, das ihn über seine
persönlichen Direktiven und Verantwortlichkeiten hinaus wie durch eine
Sturmflut mitreisst.
Die exzitierenden Suggestivwirkungen einer grossen Masse und ihrer
seelischen Gesamterscheinungen, in deren Form der einzelne seinen Beitrag
nicht wiedererkennt, steigern sich in dem Masse ihrer
Zusammengedrängtheit, und um so erheblicher, einen je grösseren Raum
diese erfüllt.
Eine Lokalität, über einem dichten Gedränge einen für den einzelnen
ungewohnt grossen Luftraum bietend, muss jenes Gefühl einer ins
Unbestimmte gehenden Expansion und Kraftentfaltung begünstigen, auf das
grosse zusammenbefindliche Massen so leicht gestimmt sind, und das sich in
dem engen, mit einem Blick klar überschauten Rahmen eines gewöhnlichen
Zimmers nur gelegentlich bei Ausnahmeindividuen einstellt.
Diese Unbestimmtheit des räumlichen Rahmens, die die typischen
Kollektiverregungen so lebhaft unterstützt, - wie überhaupt
Undeutlichkeit und Weite der Grenzen auch im nicht räumlichen Sinne
erregend, verführend, das klare Bewusstsein herabsetzend wirkt - eben
diese macht auch Zusammenrottungen im Dunkeln so gefährlich, dass die
mittelalterliche Stadtpolizei sie oft durch abendliche Gassensperrungen
mit Ketten usw. zu verhindern suchte.
Das Dunkel gibt der Zusammenkunft überhaupt einen ganz besonderen
Rahmen, der die Bedeutsamkeit des Engen und des Weiten zu einer
eigentümlichen Vereinigung bringt.
Indem man nämlich nur die allernächste Umgebung übersieht, und
hinter dieser sich eine undurchdringliche schwarze Wand erhebt, fühlt man
sich mit dem Nächststehenden eng zusammengedrängt, die Abgegrenztheit
gegen den Raum jenseits des sichtbaren Umfanges hat ihren Grenzfall
erreicht: dieser Raum scheint überhaupt verschwunden zu sein.
Andererseits lässt eben dies auch die wirklich vorhandenen Grenzen
verschwinden, die Phantasie erweitert das Dunkel zu übertriebenen
Möglichkeiten, man fühlt sich von einem phantastisch-unbestimmten und
unbeschränkten Raum umgeben.
Indem nun die im Dunkeln natürliche Ängstlichkeit und Unsicherheit
hier durch jenes enge Zusammengedrängtsein und Aufeinander angewiesensein
Vieler behoben wird, entsteht jene gefürchtete Erregung und
Unberechenbarkeit des Zusammenlaufs im Dunkeln, als eine ganz einzige
Steigerung und Kombination der einschliessenden und der sich
expandierenden räumlichen Begrenzung.
C. Die dritte Bedeutsamkeit des Raumes für die sozialen Gestaltungen
liegt in der Fixierung, die er seinen Inhalten ermöglicht.
Ob eine Gruppe oder bestimmte einzelne Elemente ihrer oder wesentliche
Gegenstände ihres Interesses völlig fixiert oder dem Raume nach
unbestimmbar sind, das muss ersichtlich ihre Struktur beeinflussen, und
wie sehr die Verfassungen nomadischer und fest angesiedelter Gruppen in
ihren Unterschieden hierdurch bestimmt sind, ist hinreichend oft
ausgeführt, um hier nur der Hinweisung darauf zu bedürfen.
Es handelt sich keineswegs nur um eine schematische Fortsetzung des
Fixierungsprinzips: dass es im Räumlichen geltend sich nun in den
sachlichen Lebensinhalten als Stabilisierung und feste Ordnung offenbare.
Denn dieser ohne weiteres verständliche Zusammenhang gilt nicht einmal
durchgehends; gerade in sehr konsolidierten, der Möglichkeit äusserer
Entwurzelung enthobenen Zuständen wird man mancher Regulierungen und
gesetzlichen Kontrollen entraten können, deren es bei allgemeiner
Unsicherheit und unruhigen, der Zersplitterung leichter ausgesetzten
Verhältnissen dringend bedarf.
Eine speziellere soziologische Bedeutsamkeit der Fixierung im Raum kann
man durch den symbolischen Ausdruck des »Drehpunktes« bezeichnen: die
räumliche Festgelegtheit eines Interessengegenstandes bewirkt bestimmte
Beziehungsformen, die sich um ihn gruppieren.
Nun ist eigentlich jedes unbewegliche Gut, um das Verhandlungen,
wirtschaftliche Transaktionen irgend welcher Art stattfinden, ein solcher
stabiler Drehpunkt labiler Verhältnisse und Wechselwirkungen.
heute jene Verhältnisse nicht in einer soziologisch besonders
charakteristischen Weise.
Dies ist in nicht uninteressanter Abwandlung an derjenigen Beziehung
wirtschaftender Individuen zu beobachten, die sich an der Hypothek
verwirklicht.
Zu dem Grunde, der diese sich gerade fast ausschliesslich an das
unbewegliche Eigentum knüpfen lässt, vereinigt sich die Fixiertheit
desselben mit seiner Unzerstörbarkeit, die als das Korrelat der vorhin
behandelten Ausschliesslichkeit gelten kann: für die Einzigkeit, auf die
jeder Teil unseres Raumes sozusagen beschränkt ist, gewinnt er die
Unvergänglichkeit, kraft deren sich das Grundstück so besonders zu der
hypothekarischen Verpfändung eignet.
Denn nur so ist es möglich, dass das Pfandobjekt in der Hand des
Schuldners verbleibt und doch dem Gläubiger völlig gesichert ist; es
kann weder weggetragen noch mit einem anderen verwechselt werden.
Nun aber hat das Versicherungsprinzip gerade diejenigen Objekte, denen
die Fixierung im Raum absolut fehlt, doch der Hypothezierung zugängig
gemacht, nämlich die Schiffe.
Denn was an der räumlichen Fixierung für die Hypothek besonders
wichtig ist: die Geeignetheit zu öffentlicher Registrierung, das ist bei
den Schiffen anderweitig leicht erreichbar.
Damit hat sich, wie in vielen anderen Fällen, die substanzielle
Bestimmtheit als eine eigentlich funktionelle enthüllt.
Die Fixiertheit, die als eine starre Qualität des Grundstückes die
Hypothezierung begünstigte, erreicht dies in Wirklichkeit mindestens zum
Teil durch die Publizität, zu der sie disponiert, die aber auch durch
andere Mittel mit gleichem Erfolge herstellbar ist.
So ist also der Drehpunkt der wirtschaftlichen Wechselwirkung hier zwar
ganz überwiegend ein räumlich fixierter Wert, aber nicht eigentlich
wegen seiner Immobilität, sondern wegen gewisser an diese geknüpften
Funktionen.
Anders aber lag es im Mittelalter, das überhaupt eine ganz andere
Mischung von Stabilität und Bewegtheit der Lebensinhalte forderte.
Wir finden in dem mittelalterlichen Verkehr unzählige
»Verhältnisse«, die sich für unsere Auffassung der wirtschaftlichen
und privatrechtlichen Aktion ganz entziehen, dennoch zu Gegenständen
einer solchen gemacht.
Die Herrschaftsgewalt über die Territorien wie die Gerichtsbarkeit in
ihnen, kirchliche Patronate wie Steuerrechte, Wege wie Münzprivilegien,
alles dies wird verkauft oder verborgt, als Pfand gegeben oder verschenkt.
Derartig labile, schon an sich in blossen Wechselwirkungen zwischen
Menschen bestehende Objekte nochmals zum Gegenstand wirtschaftlicher
Wechselwirkungen zu machen, hätte noch mehr zu schwankenden und prekären
Zuständen geführt, wenn alle diese Rechte und Verhältnisse nicht die
Eigentümlichkeit gehabt hätten, am Orte ihrer Ausübung unentfernbar
fixiert zu sein.
Dies war das Stabilitätsmoment, das ihrem rein dynamischen und
relativistischen Wesen so viel Festigkeit gab, dass sich eben um sie jetzt
weitere wirtschaftliche Wechselwirkungen gruppieren konnten.
Ihre örtliche Fixierung war nicht wie die eines substanziellen
Gegenstandes, den man immer an derselben Stelle wiederfände, sondern wie
die eigentlich ideelle eines Drehpunktes, der ein System von Elementen in
einer bestimmten Distanz, Wechselwirkung, gegenseitigen Abhängigkeit
festhält.
Die Bedeutung als Drehpunkt soziologischer Beziehung kommt der
fixierten Örtlichkeit überall da zu, wo die Berührung oder Vereinigung
sonst voneinander unabhängiger Elemente nur an einem bestimmten Platze
geschehen kann.
Ich behandle einige Beispiele dieser Erscheinung, die eigentlich eine
Wechselwirkung der innerlichen und der räumlichen soziologischen
Bestimmtheit darstellt.
Für Kirchen ist es in ihrer Diaspora eine äusserst kluge Politik,
überall da, wo auch nur die kleinste Zahl von Anhängern innerhalb eines
Bezirkes lebt, sogleich eine Kapelle und feste Seelsorgstation
einzurichten.
Diese räumliche Fixierung wird zu einem Drehpunkte für die
Beziehungen und den Zusammenhalt der Gläubigen, so dass sich nicht nur
religiöse Gemeinschaftskräfte an Stelle bloss isolierter entwickeln;
sondern die Kräfte, die von solchem, anschaulichen Zentrum ausstrahlen,
erwecken auch in solchen, dem Bekenntnis Zugehörigen, deren religiöse
Bedürfnisse in ihrer Vereinzelung seit lange geschlafen haben, wieder das
Bewusstsein der Dazugehörigkeit.
Die katholische Kirche ist darin der evangelischen weit überlegen.
Sie wartet nicht erst in der Diaspora auf eine förmliche Gemeinde von
Personen, um die räumliche Konstituierung vorzunehmen, sondern um den
kleinsten Kern herum beginnt sie mit der letzteren, und diese
Lokalisierung ist unzählige Mal der Kristallisationspunkt eines innerlich
und numerisch wachsenden Gemeindelebens geworden.
Allenthalben wirken die Städte als Drehpunkte des Verkehrs für ihre
engere und weitere Umgebung, d. h. jede lässt in sich unzählige dauernde
und wechselnde Drehpunkte von Verkehrsaktionen entstehen.
Der Verkehr fordert Städte um so entschiedener, je lebhafter er ist,
damit den ganzen Unterschied seiner Lebhaftigkeit gegen die unruhige
nomadische Bewegtheit primitiver Gruppen offenbarend.
Es ist der typische Gegensatz gesellschaftlicher Lebendigkeiten, ob sie
einfach ein Hinausstreben aus dem räumlich und sachlich Gegebenen, bzw.
den Kreislauf abwechselnder Weideplätze von Hirtenvölkern bedeuten -
oder ob sie sich um feste Punkte herumbewegen.
Im letzteren Falle erst werden sie eigentlich geformt, gewinnen sie
einen Kristallisationspunkt für den Ansatz bleibender Werte, selbst wenn
diese nur in der beharrenden Form von Relationen und Bewegungen bestehen.
Dieser Gegensatz ihrer Bewegtheitsformen beherrscht das äussere und
das innere Leben überhaupt so vielfach, dass seine räumliche
Verwirklichung als blosser Spezialfall erscheint.
Ob geistige und gesellige Beziehungen ein festes Zentrum besitzen, um
das herum Interessen und Gespräche zirkulieren, oder ob sie einfach der
Linienform der Zeit nachfliessen; ob zwei politische Parteien einen festen
Punkt zwischen sich haben, sei es die stetige Gleichheit einer Tendenz
oder eine stetige Gegnerschaft, oder ob ihr Verhältnis sich von Fall zu
Fall ohne Präjudiz entwickelt; ob in dem einzelnen Menschen ein starkes
einseitig gefärbtes Lebensgefühl herrscht - etwa ästhetischer Art - das
alle seine verschiedenartigen Interessen, religiöse wie theoretische,
gesellige wie erotische, verbindet, gegeneinander abtönt, in einer
Sphäre festhält - oder ob seine Interessen sich ohne solche dauernde
Rückbeziehung und richtendes Mass nur nach ihren eigenen
Stärkeverhältnissen entfalten - das bedingt ersichtlich die grössten
Unterschiede der Lebensschemata und bestimmt durch fortwährende Kämpfe
und Mischungen beider den wirklichen Verlauf unseres Daseins.
Dies alles aber sind einzelne Ausgestaltungen eben desselben
allgemeinen Gegensatzes, dem im Räumlichen der soziologische Drehpunkt
angehört.
Indem der Verkehr die Stadt als einen solchen ausbildet, erwächst erst
der eigentliche Sinn des Verkehrs: denn dieser ist doch im Gegensatz zu
dem einfachen Streben ins Unbegrenzte hinein, dass die Bewegung einer
zweiten äquivalenten Macht begegnet, ohne dass diese Begegnung eine
feindselige zu sein braucht - was sie vor ausgebildetem Verkehr immer ist.
Sie bedeutet nun kein gegenseitiges Sich-Aufreiben mehr, sondern ein
Sich-Ergänzen und dadurch Sich-Vermehren der Kräfte, welches den
räumlichen Stützpunkt braucht und deshalb erzeugt. –
Ich erinnere ferner an das Rendezvous als spezifisch soziologische
Form, deren örtliche Determiniertheit die Sprache durch den Doppelsinn
des Wortes charakterisiert: es bezeichnet sowohl das Zusammentreffen
selbst wie seinen Ort.
Das soziologische Wesen des Rendezvous liegt in der Spannung zwischen
der Punktualität und Flüchtigkeit der Beziehung einerseits und ihrer
räumlich-zeitlichen Fixierung andererseits.
Das Rendezvous - und keineswegs nur das erotische oder illegitime -
hebt sich psychologisch durch den Zug des Einmaligen, Akuten, nur der
besonderen Gelegenheit Entspriessenden, aus der chronischen Daseinsform
heraus, und weil es sich so von dem kontinuierlichen Ablauf der
Lebensinhalte inselhaft ablöst, gewinnt es gerade an den formalen
Momenten seiner Zeit und seines Ortes einen besonderen Halt für das
Bewusstsein.
Für die Erinnerung entfaltet der Ort, weil er das sinnlich
Anschaulichere ist, gewöhnlich eine stärkere assoziative Kraft als die
Zeit; so dass, insbesondere wo es sich um einmalige und gefühlsstarke
Wechselbeziehung handelte, für die Erinnerung gerade er sich mit dieser
unlöslich zu verbinden pflegt und so, da dies gegenseitig geschieht, der
Ort noch weiterhin der Drehpunkt bleibt, um den herum das Erinnern die
Individuen in nun ideell gewordene Wechselbeziehungen einspinnt.
Diese soziologische Bedeutung des im Raume fixierten Punktes nähert
sich schon einer weiteren, die man als die Individualisierung des Ortes
bezeichnen könnte.
Es scheint eine gleichgültig-äusserliche Tatsache, dass die
Stadthäuser im Mittelalter ganz allgemein und vielfach noch bis in das
19. Jahrhundert hinein durch Eigennamen bezeichnet waren; die Bewohner des
Faubourg St. Antoine in Paris sollen noch vor 50 Jahren ihre Häuser trotz
der bereits vorhandenen Nummerierung stets mit ihren Eigennamen (Au roi de
Siam, Etoile d'or etc.) genannt haben.
Dennoch liegt in dem Unterschiede zwischen dem individuellen Namen und
der blossen Nummer des Hauses eine Verschiedenheit in dem Verhältnis des
Besitzers und des Einwohners zu demselben - und eben damit zu seiner
Umgebung -ausgedrückt.
Bestimmtheit und Unbestimmtheit der Bezeichnung sind hier in ganz
eigenartigem Masse gemischt.
Das mit dem Eigennamen benannte Haus muss jenen Personen eine
Empfindung räumlicher Individualität geben, die Zugehörigkeit zu einem
qualitativ festgelegten Raumpunkt; durch den Namen, der mit der
Vorstellung des Hauses assoziiert war, bildet dieses viel mehr eine für
sich seiende, individuell gefärbte Existenz, es hat für das Gefühl eine
höhere Art von Einzigkeit als bei der Bezeichnung durch Nummern, die sich
in jeder Strasse gleichmässig wiederholen, und zwischen denen nur
quantitative Unterschiede bestehen.
Gegenüber den Flutungen und Nivellierungen des sozialen, insbesondere
des städtischen Verkehrs, dokumentiert jene Benennungsart eine
Unverwechselbarkeit und Personalität des Daseins nach seiner räumlichen
Seite hin, die aber freilich im Vergleich mit dem jetzigen Zustand mit
einer Unbestimmtheit und einem Mangel an objektiver Fixiertheit bezahlt
wird und deshalb oberhalb einer gewissen Weite und Raschheit des Verkehrs
verschwinden muss.
Das benannte Haus ist nicht ohne weiteres auffindbar, man kann seine
Lage nicht objektiv konstruieren wie bei der jetzigen geographischen
Bezeichnung.
Die Zahlen bedeuten bei all ihrer Indifferenz und Abstraktheit eben
doch als Ordnungszahlen eine bestimmte Stelle im Raum, was der Eigenname
der Lokalität nicht tut.
Die äusserste Stufe ist dann nach der einen Seite die Bezeichnung von
Hotelgästen nach ihrer Zimmernummer, nach der andern, dass auch die Strassen nicht mehr benannt, sondern fortlaufend beziffert werden, wie
teilweise in New York.
Dieser Gegensatz der Benennungsarten offenbart in der Sphäre des
Räumlichen einen völligen Gegensatz in der soziologischen Stellung des
einzelnen.
Der individualistische Mensch mit seiner qualitativen Fixiertheit und
der Unverwechselbarkeit seiner Lebensinhalte entzieht sich doch eben damit
der Einreihung in eine für alle geltende Ordnung, in der er nach einem
durchgehenden Prinzip eine fest berechenbare Stelle hätte.
Wo umgekehrt die Organisation des Ganzen die Leistung des einzelnen
nach einem nicht in ihm selbst gelegenen Zweck reguliert, muss seine
Stellung nach einem ihm selbst äusserlichen System fixiert werden; nicht
eine innere oder ideelle Norm, sondern das Verhältnis zum Ganzen bestimmt
ihm diese Stellung, die deshalb am geeignetsten durch zahlenmässige
Anordnung festgelegt wird.
Die automatische Dienstbereitschaft des Kellners oder
Droschkenkutschers, deren Unindividualität gerade darin hervortritt, dass
ihr Inhalt schliesslich nicht so mechanisch gleichmässig ist wie die des
Maschinenarbeiters - wird deshalb durch seine Nummerierung statt jeder
irgend persönlichen Bezeichnung höchst zutreffend betont.
Dieser soziologische Unterschied ist es, den jene verschiedenartigen
Bezeichnungen der Häuser in den auf den Raum projizierten Beziehungen der
städtischen Elemente darstellen.
War hier also die Individualität der Elemente räumlicher Relation mit
der Beziehung zu einem weiten und mannigfaltigen Kreise nicht in demselben
Symbol zu vereinigen, so kann man doch vielleicht an diesem Massstabe,
ganz formal gefasst, eine soziologische Skala aufstellen.
Das heisst: die Individualität, gleichsam der Charakter personaler
Einzigkeit, den der Ort gewisser Personen oder Gruppen besitzt, verhindert
oder begünstigt es in den mannigfaltigsten Mischungen, dass von ihm aus
weit ausgreifende Beziehungen zu einer Mannigfaltigkeit anderer Elemente
geknüpft werden.
Die vollkommenste Einheit beider Bestimmungen hat die katholische
Kirche durch ihren Sitz in Rom erreicht.
Einerseits ist Rom das schlechthin einzige, die unvergleichbarste
historisch-geographische Gestaltung, und dadurch, dass »alle Wege nach
Rom führen«, wie von einem System unzählig vieler Koordinaten
festgelegt; andererseits aber hat es durch den ungeheueren Umfang und
Inhalt seiner Vergangenheit, dadurch, dass es als ein geometrischer Ort
aller Wechsel und Gegensätze der Geschichte erscheint, deren Sinn und
Spuren ideell wie sichtbar in ihm oder zu ihm zusammengewachsen sind -
dadurch hat es die Beschränktheit der Lokalisierung an einem Punkte ganz
verloren.
Die Kirche hat dadurch, dass sie Rom besitzt, zwar eine ständige
örtliche Heimat mit allen Vorteilen der steten Auffindbarkeit, der
sinnlich-anschaulichen Kontinuität, der sicheren Zentralisierung ihrer
Wirksamkeiten und ihrer eigenen Institutionen; aber sie braucht dies nicht
mit allen sonstigen Schwierigkeiten und Einseitigkeiten der
Machtlokalisierungen an einem einzelnen individuellen Punkte zu bezahlen,
denn Rom ist sozusagen gar kein einzelner Ort.
Es erstreckt sich durch die Weite der in ihm investierten Schicksale
und Bedeutsamkeiten in seiner psychisch-soziologischen Wirkung weit über
seine lokale Fixierung hinaus, während es doch gerade auch die
Bestimmtheit einer solchen der Kirche darbietet.
Es besitzt, um die Zwecke der Kirche in ihrem Herrschaftsverhältnis zu
den Gläubigen zu tragen, die äusserste Individualität und Einzigkeit,
die überhaupt je ein Ort besass, und zugleich die Erhabenheit über alle
Beschränktheit und Zufälligkeit des individuell fixierten Daseins.
Grosse Organisationen bedürfen als solche eines räumlichen
Mittelpunktes; denn sie können nicht ohne Ober- und Unterordnung
auskommen, und der Befehlshaber muss in der Regel einen festen Wohnplatz
besitzen, um einerseits seine Untergebenen zur Hand zu haben, und damit
andererseits diese wissen, wo sie jederzeit ihren Herrn finden.
Allein wo nicht die wunderbare Vereinigung von Lokalisierung und
Überräumlichkeit wie in Rom vorliegt, muss dies doch immer mit gewissen
Verzichten bezahlt werden.
Die Franziskaner waren ursprünglich völlig heimatlose Existenzen; das
verlangte ihre individualistische Freiheit von allen irdischen Banden,
ihre Armut, ihre Predigermission.
Erst als der weit ausgebreitete Orden dann »Minister« bedurfte,
brauchten diese aus den berührten Ursachen einen ständigen Wohnsitz, und
darum konnten die Brüder fürderhin nicht ohne Fixierung in Klöstern
auskommen.
So sehr dies ihrer Macht technisch diente, so setzte es doch jene
unvergleichliche Gelöstheit, jene innere Sicherheit der ersten Brüder
herab, von denen man sagte, dass sie zwar nichts hätten, aber alles besässen; indem sie nun mit den übrigen Menschen die Festigkeit der
Wohnsitze teilten, wurde ihre Lebensform trivialisiert, ihre Freiheit war
nur noch sehr gross, aber nicht mehr unendlich, da sie jetzt wenigstens an
einem Raumpunkt festgelegt waren.
Ganz anders als Rom hat schliesslich die nach manchen Seiten sonst
vergleichbare Lokalisierung des jüdischen Kultus in Jerusalem gewirkt.
Solange der Tempel zu Jerusalem bestand, lief von ihm gleichsam ein
unsichtbarer Faden zu jedem der an unzählige Orte verstreuten Juden mit
ihren mannigfaltigen Staatszugehörigkeiten, Interessen, Sprachen, ja
Glaubensnuancen; er war der Treffpunkt, der die teils wirklichen, teils
ideellen Berührungen der gesamten Judenschaft vermittelte.
Aber er hatte eine Bestimmung, durch die die lokale Individualisierung
schärfer gespannt war als die römische, und die sie überspannte: nur
hier konnte geopfert werden, Jahve hatte keine anderswo gelegene
Opferstätte.
Die Zerstörung des Tempels musste deshalb jenes Band zerschneiden; die
spezifische Kraft und Färbung, die dem Jahvekultus durch die ganz
singuläre Verräumlichung gekommen war, machte nun einem farbloseren
Deismus Platz.
Dadurch vollzog sich die Lösung des Christentums leichter und
kräftiger, an die Stelle der Zentralstelle in Jerusalem traten die
autonomen Synagogen, der wirksame Zusammenhang der Juden zog sich immer
mehr von dem religiösen auf das Rassenmoment zurück.
Das waren die Folgen jener lokalen Zuspitzung, die das soziologische
Band vor ein starres: hier oder nirgends - stellten.
D. Einen vierten Typus äusserlicher Verhältnisse, die sich in die
Lebendigkeit soziologischer Wechselwirkungen umsetzen, bietet der Raum
durch die sinnliche Nähe oder Distanz zwischen den Personen, die in
irgend welchen Beziehungen zu einander stehen.
Der erste Blick überzeugt, dass zwei Vereinigungen, durch die genau
gleichen Interessen, Kräfte, Gesinnungen zusammengehalten, ihren
Charakter danach ändern werden, ob ihre Teilnehmer sich räumlich
berühren oder von einander getrennt sind.
Und zwar nicht nur in dem selbstverständlichen Sinne eines
Unterschiedes der Gesamtbeziehungen - indem sich zu jenem Verhältnis
noch, innerlich von ihm unabhängige, durch die körperliche Nähe sich
entspinnende hinzufügen, sondern so, dass die räumlich begründeten
Wechselwirkungen das erstere, auch in der Distanz mögliche, dennoch
wesentlich modifizieren.
Eine wirtschaftliche Kartellierung wie eine Freundschaft, eine
Vereinigung von Briefmarkensammlern wie eine Religionsgemeinschaft, kann
dauernd oder zeitweise der persönlichen Berührung entraten; aber sofort
zeigt sich die Möglichkeit unzähliger quantitativer und qualitativer
Abänderungen des zusammenhaltenden Bandes, wenn es keine Distanz zu
überwinden hat.
Vor dem Eingehen auf diese sei das Prinzipielle bemerkt, dass der
Unterschied beider Verbindungsarten mehr relativ ist, als die logische
Schroffheit des Gegensatzes vom Beisammensein und Getrenntsein vermuten
lässt.
Die psychologische Wirkung des ersteren kann tatsächlich sehr
annähernd durch die Mittel des indirekten Verkehrs und noch mehr durch
die der Phantasie ersetzt werden.
Gerade den in seelischer Hinsicht entgegengesetzten Polen menschlicher
Verknüpfungen: den rein sachlich - unpersönlichen und den ganz auf die
Intensität des Gemütes gestellten - gelingt dieser Erfolg am
leichtesten; den einen, etwa gewissen wirtschaftlichen oder
wissenschaftlichen Transaktionen, weil ihre Inhalte in logischen Formen
und eben deshalb schriftlich restlos ausdrückbar sind, den anderen, wie
religiösen und manchen Herzensvereinigungen, weil die Gewalt der
Phantasie und die Hingegebenheit des Gefühls die Bedingungen von Zeit und
Raum in einer oft genug mystisch erscheinenden Weise überwindet.
In dem Masse, in dem diese Extreme ihre Reinheit verlieren, wird die
örtliche Nähe erforderlicher: wenn jene objektiv begründeten
Beziehungen Lücken zeigen, die nur durch logisch nicht fassbare
Imponderabilien auszufüllen sind, oder wenn die rein innerlichen sich
einem Beisatz äusserlich sinnlicher Bedürfnisse nicht entziehen können.
Vielleicht lässt sich die Gesamtheit sozialer Wechselwirkungen von
diesem Gesichtspunkt aus in eine Skala einordnen: welches Mass räumlicher
Nähe oder räumlicher Entfernung eine Vergesellschaftung von gegebenen
Formen und Inhalten entweder fordert oder verträgt.
Die Art, wie man die Kriterien einer solchen Skala zusammenbringen
könnte, soll im folgenden weiter exemplifiziert werden.
Die räumliche Spannungskapazität einer Vergesellschaftung ist unter
gleichen Gefühls- und Interessenbedingungen von dem vorhandenen Masse von
Abstraktionsfähigkeit abhängig.
Je primitiver das Bewusstsein ist, desto unfähiger, die
Zusammengehörigkeit des räumlich Getrennten oder die
Nichtzusammengehörigkeit des räumlich Nahen vorzustellen.
An diesem Punkt geht die Art der vergesellschaftenden Kräfte
unmittelbar auf die letzten Fundamente des Geisteslebens überhaupt
zurück; nämlich darauf, dass die naive Einheitlichkeit des
unausgebildeten Vorstellens überhaupt noch nicht zwischen dem Ich und
seiner Umgebung recht unterscheidet.
Einerseits verschwimmt das Ich noch ohne individualistische Betonung in
den Bildern der anderen Menschen und der Dinge, wie der Mangel des Ichs
beim Kinde und die halb kommunistische Undifferenziertheit früher
Sozialzustände zeigen; andererseits wird auf dieser Stufe den Objekten
kein Für-sich-sein zuerkannt, der naive Egoismus des Kindes und des
Naturmenschen will alles Begehrte - und er begehrt fast alles, was ihm
sinnlich nahekommt - ohne weiteres sich aneignen und erstreckt so die
Sphäre des Ich praktisch ebenso über die Dinge, wie es theoretisch durch
den Subjektivismus des Denkens und die Unkenntnis objektiver
Gesetzlichkeiten geschieht.
Damit wird ersichtlich, wie entscheidend bei dieser seelischen
Verfassung die sinnliche Nähe für das Bewusstsein des
Zueinander-gehörens sein muss.
Da diese Nähe freilich nicht als objektive räumliche Tatsache,
sondern als der seelische Überbau über derselben in Frage kommt, so kann
sie, wie schon erwähnt, gelegentlich selbst auf dieser Stufe durch andere
psychologische Konstellationen ersetzt werden, z. B. durch die
Zugehörigkeit zu dem gleichen Totemverband, die unter den Australnegern
Individuen aus ganz getrennt lebenden Gruppen in enge Beziehung bringt, sodass sie in einem Kampf der Gruppen einander aus dem Wege gehen.
Im ganzen aber sind bei primitivem Bewusstsein nur die äusserlichen
Berührungen die Träger der innerlichen - so verschieden diese in ihrem
Charakter seien - das undifferenzierte Vorstellen weiss beides nicht recht
auseinander zuhalten: wie denn auch heute noch in der Rückständigkeit
kleinstädtischer Verhältnisse die Beziehung zum Hausnachbar und das
Interesse für ihn eine ganz andere Rolle spielt als in der Grossstadt, in
der man durch die Komplikation und Wirrnis des äusseren Lebensbildes an
fortwährende Abstraktionen, an Gleichgültigkeit gegen das räumlich
Nächste und enge Beziehung zu räumlich sehr Entferntem gewöhnt wird.
In Epochen, in denen die den Raum überspringende Abstraktion durch
sachliche Umstände gefordert, aber durch die psychologische
Unentwickeltheit gehindert ist, entstehen deshalb soziologische Spannungen
von erheblichen Folgen für die Verhältnisform.
Z.B. ist die Schutzherrlichkeit des angelsächsischen Königs über
die Kirche mit Recht auf die weite Entfernung des römischen Stuhles
geschoben worden.
Die persönliche Gegenwart wurde damals noch zu sehr als Bedingung
auszuübender Autorität empfunden, als dass man diese einer so fernen
Instanz gutwillig überlassen hätte.
Übrigens möchte ich auch eine historische Rückwirkung innerhalb
dieses Zusammenhanges annehmen.
Wo die geistige Überlegenheit des einen Teiles oder der Zwang der
Umstände Beziehungen auf eine Distanz hin, zu deren Überwindung das
Bewusstsein eigentlich nicht reif ist, unausweichlich machen, da muss dies
zur Ausbildung der Abstraktion, gleichsam zur Streckfähigkeit des Geistes
viel beigetragen haben, die soziologische Notwendigkeit musste sich ihr
individualpsychologisches Organ züchten.
So ist wohl das Verhältnis des mittelalterlichen Europas zu Rom
allerdings, wo es nicht der räumlichen Distanz wegen versagte, gerade
ihretwegen zur Schule des Abstraktionsvermögens geworden, der Fähigkeit,
über das sinnlich Nächste hinauszuempfinden, des Triumphes der nur durch
ihren Inhalt wirksamen Mächte über die, die auf räumliche Gegenwart
gestellt waren.
Wenn demnach Beziehungen auf weite Distanz hin in erster Linie eine
gewisse intellektuelle Entwickeltheit voraussetzen, zeigt sich umgekehrt
der sinnlichere Charakter der lokalen Nähe daran, dass man mit eng
Benachbarten auf freundlichem oder feindlichem, kurz auf einem entschieden
positiven Fusse zu stehen und gegenseitige Indifferenz in dem Masse der
räumlichen Enge ausgeschlossen zu sein pflegt.
Die dominierende Intellektualität bedeutet immer ein Herabsetzen der
gefühlsmässigen Extreme.
Nach ihrem objektiven Inhalt wie als seelische Funktion stellt sie sich
jenseits der Gegensätze, zwischen denen das Gemüt und der Wille
schwingt, sie ist das Prinzip der Unparteilichkeit, so dass weder
Individuen noch geschichtliche Epochen von wesentlich
intellektualistischer Färbung sich durch die Einseitigkeit oder die
Stärke von Liebe und Hass auszuzeichnen pflegen.
Diese Korrelation gilt auch für die einzelnen Beziehungen der
Menschen.
Die Intellektualität, so sehr sie einen Boden allgemeiner
Verständigung darbietet, setzt doch gerade dadurch eine Distanz zwischen
die Menschen: weil sie Annäherung und Zusammenstimmen zwischen den
Entferntesten ermöglicht, stiftet sie eine kühle und oft entfremdende
Sachlichkeit zwischen den Nächsten.
Wenn Verhältnisse zu räumlich weit Entfernten eine gewisse Ruhe,
Gemessenheit, Affektlosigkeit zu zeigen pflegen, so erscheint dies dem
naiven Denken ebenso als unmittelbare Folge der Distanz, wie eben dasselbe
die Abschwächung einer Wurfbewegung nach dem Masse des durchlaufenen
Raumes als Erfolg der blossen Raumweite ansieht.
In Wirklichkeit ist die Bedeutung des Raumintervalls nur, dass es die
Erregungen, Reibungen, Attraktionen und Repulsionen ausschaltet, die die
sinnliche Nähe hervorruft, und so in dem Komplex der vergesellschaftenden
Seelenvorgänge den intellektuellen die Majorität verschafft.
Dem räumlich Nahen gegenüber, mit dem man sich in den beiderseitig
verschiedensten Lagen und Stimmungen ohne die Möglichkeit von Vorsicht
und Auswahl berührt, pflegt es nur dezidierte Empfindungen zu geben, so
dass diese Nähe die Grundlage sowohl des überschwänglichsten Glückes
wie des unerträglichsten Zwanges sein kann.
Es ist eine sehr alte Erfahrung, dass Bewohner des gleichen Hauses nur
auf freundlichem oder auf feindlichem Fusse stehen können.
Die Ausnahmen von dieser Regel bestätigen ihre Grundlage: einerseits
bei sehr hohem Bildungsstande, andrerseits in der modernen Grossstadt kann
bei nächster Flurnachbarschaft vollkommene Indifferenz und Ausschluss
jeder gegenseitigen Gefühlsreaktion stattfinden.
Im ersteren Falle, weil die überwiegende Intellektualität die
impulsiven Reaktionen auf die - sozusagen - Berührungsreize herabsetzt,
im zweiten, weil die unaufhörlichen Berührungen mit unzähligen Menschen
eben denselben Effekt durch Abstumpfung hervorbringen; hier ist die
Gleichgültigkeit gegen den räumlich Nahen einfach eine
Schutzvorrichtung, ohne die man in der Grossstadt sich seelisch zerreiben
und sprengen müsste.
Wo diesem abschwächenden Erfolg des Grossstadtlebens zu lebhafte
Temperamente entgegenwirkten, hat man gelegentlich andere
Schutzvorrichtungen gesucht: in dem Alexandria der Kaiserzeit waren von
den fünf Stadtquartieren zwei hauptsächlich von Juden bewohnt, womit man
durch beiderseitig festgehaltenes Herkommen nachbarlichen Konflikten
möglichst vorbeugen wollte.
Wenn deshalb der Friedensstifter zwischen leidenschaftlich
kollidierenden Parteien sie vor allen Dingen räumlich auseinander
zubringen sucht, so widerspricht dem durchaus nicht, dass er sich bemüht,
wenn sie einander fern waren, sie gerade zusammenzubringen.
Denn bei manchen Naturen entfesselt die in der Distanz wirksame
Phantasie eine hemmungslose Übertriebenheit der Gefühle, der gegenüber
die Erregungsfolgen der sinnlichen Nähe, so gross sie sein mögen, doch
zugleich als irgendwie begrenzt und endlich erscheinen.
Neben den auf der Hand liegenden praktischen Wirkungen der räumlichen
Nähe und dem soziologisch höchst wichtigen Bewusstsein, solche Wirkungen
wenigstens in jedem Augenblick zur Verfügung zu haben, auch wenn man
gerade keinen aktuellen Gebrauch davon macht - neben diesen setzt sich der
Erfolg der Nähe für die Vergesellschaftungsform aus der Bedeutung der
einzelnen Sinne zusammen, mit denen die Individuen sich gegenseitig
perzipieren.
Diese Leistung der Sinne für die Verknüpfung der Menschen
untereinander müsste das Problem spezieller Untersuchungen sein, die
wegen ihrer sehr umfänglichen Grundlagen physiologischer und
psychologischer Art hier nicht eingefügt werden können.
Nur beispielsweise erwähne ich einige Gesichtspunkte.
Ist das Zusammen ein solches, dass die Individuen zwar dauernd einander
sehen, aber nur relativ selten miteinander sprechen können, wie die
Arbeiter in einem Fabriksaal oder die Studenten einer Vorlesung oder die
Soldaten einer für gewöhnlich ungetrennten Abteilung, so wird das
Einheitsbewusstsein einen abstrakteren Charakter haben, als wenn jenes
Zusammensein auch zugleich mündlicher Verkehr ist.
Gegenüber dem optischen Bilde des oder der Menschen, das immer einen
relativ stabilen und nur in engen Grenzen variierbaren Inhalt zeigt,
vermittelt das Ohr eine unendliche Fülle der divergentesten Stimmungen,
Bewegtheiten, Gedanken, kurz die ganze Polarität des subjektiven wie des
objektiven Lebens.
Die Gesprächsnähe schafft ein sehr viel individuelleres Verhältnis
als die Sehnähe, und zwar nicht nur weil sie noch zu jener hinzukommt,
sondern ganz unmittelbar: die wenigsten Menschen haben selbst von ihren
Nächsten, die sie täglich vor Augen haben, ein exaktes Anschauungsbild,
wissen auch nur deren Augenfarbe oder Mundbildung aus der Erinnerung
sicher anzugeben; wogegen die Erinnerung an Gesagtes unendlich viel
reicher und fester ist und das Bild der Persönlichkeit eigentlich allein
als das ganz einzige und persönliche festlegt.
Wo nur der Gesichtssinn die Nähe ausnutzt, wird es deshalb mehr zu dem
Gefühl einer allgemein-begrifflichen, unspezifischen Einheit oder auch
mehr zu einem mechanischen Nebeneinander kommen, während die Möglichkeit
des Sprechens und Hörens individuelle, belebte, organische
Einheitsgefühle ergibt.
Von sehr grosser Wichtigkeit für die Verknüpfung oder die Repulsion
unter Menschen ist der Geruchssinn, der hier mit den beiden anderen Sinnen
insofern eine Skala bildet, als er die dumpfeste, instinktivste, am
ausschliesslichsten gefühlsmässige Bedingung jener Verhältnisse an die
körperliche Nähe knüpft; der Gesichtssinn für sich allein gibt
hellere, bewusstere, differenziertere Motive der Vereinigung oder ihres
Gegenteils; das Gehör verwebt die Menschen wirklich ineinander, erst dies
ist der dauernde Träger der Vereinigungen, die eine Geschichte haben,
während jene Sinne nur das mehr oder weniger unentwickelte Sein der
Menschen sich berühren lassen.
Dem Geruchssinn und insbesondere seinen unter der Bewusstseinsschwelle
bleibenden und mit Worten nicht bezeichenbaren Erregungen (da wir nur für
die groben und unindividuellen Geruchsnuancen Begriffe haben) dürfen wir
wohl einen Anteil an jenen elementaren Sympathien und Antipathien
zuschreiben, die sich, oft jenseits aller Begreiflichkeit, einseitig oder
gegenseitig zwischen Personen knüpfen.
Er hat zum mindesten einen grossen Anteil an dem soziologischen
Verhältnis verschiedener auf demselben Territorium lebender Rassen: die
Rezeption der Neger in die höhere Gesellschaft Nordamerikas ist schon
wegen der Atmosphäre des Negers ausgeschlossen, die vielfach instinktmässige Aversion von Juden und Germanen gegen einander ist auf
dasselbe Moment geschoben worden; die für die soziale Entwickelung der
Gegenwart vielfach so lebhaft befürwortete persönliche Berührung
zwischen den Gebildeten und den Arbeitern, jene auch von den Gebildeten
als ethisches ideal anerkannte Annäherung der beiden sozialen Welten,
»von denen eine nicht weiss, wie die andere lebt« - scheitert einfach an
der Unüberwindlichkeit der Sinneseindrücke dieses Gebietes; der
durchschnittliche Gebildete wird im sittlich-sozialen Interesse sich
lieber alle möglichen Entsagungen zumuten als die körperliche Berührung
mit dem Volk, an dem »der ehrwürdige Schweiss der Arbeit« haftet.
Auf diesem Wege beeinflusst räumliche Nähe die soziologische
Gestaltung zum mindesten in negativer Richtung sehr erheblich, und zwar
wahrscheinlich mit steigender Kultur immer mehr, weil diese für alle
Sinne und nicht zum wenigsten für den Geruchssinn die eigentliche
Wahrnehmungsschärfe herabsetzt, die Lust- und Unlustbetonung aber
steigert.
Man kann den Geruchssinn direkt als den dissoziierenden Sinn
bezeichnen, da das Zusammensein vieler ihm niemals irgend welche
Attraktionen gewährt, wie eben diese Situation sie doch wenigstens unter
gewissen Umständen für die anderen Sinne entfalten kann.
Schon durch diese physisch-psychische Vermittelung hindurch weist
kulturelle Verfeinerung auf individuelle Isolierung hin, wenigstens in
kälteren Ländern; während die Chance, das Zusammensein wesentlich im
Freien, also ohne jene Unzuträglichkeit zu bewerkstelligen, den ganzen
sozialen Verkehr in südlichen Ländern in erheblicher- wenn auch
natürlich mit hundert anderen Ursachen kooperierender oder
konkurrierender - Weise beeinflusst haben muss.
Neben diese im engeren Sinne psychologischen Folgen der Nähe oder
Distanz für die gesellschaftlichen Wechselwirkungen stellen sich
natürlich solche mehr logischen oder wenigstens verstandesmässigen
Wesens, die mit jener sinnlich-irrationalen Unmittelbarkeit nichts zu tun
haben.
Die Abänderungen etwa, die ein Verhältnis durch den Übergang seiner
Elemente aus der Distanz in räumliche Nähe erfährt, bestehen keineswegs
nur in steigender Intensität der Verbindung, sondern ebenso sehr in
Abschwächungen, Reserven, Repulsionen.
Neben jenen direkten Antipathien, die der sinnlichen Nähe entquillen
mögen, wirkt hier hauptsächlich das Ausbleiben oder das Dementi der
Idealisierungen, mit denen man den mehr oder weniger abstrakt
vorgestellten Genossen umkleidet; es wirkt die notwendige Betonung der
inneren Distanz, die Grenzscheidung der persönlichen Sphären, die Abwehr
unangemessener Intimitäten, kurz solcher Gefahren, die bei räumlicher
Entfernung gar nicht in Frage kommen; es wirken gewisse Vorsichtigkeiten
und Umwege, die der Verkehr gerade bei persönlicher Unmittelbarkeit
machen muss, weil dem indirekten oder Distanzverkehr eine grössere
Sachlichkeit, eine Milderung persönlicher Zuspitzungen, eine geringere
Wahrscheinlichkeit von Übereilungen und Heftigkeiten eigen zu sein
pflegt.
Es gehört zu den feinsten soziologischen Aufgaben der Lebenskunst, die
Werte und Zartheiten, die sich zwischen Persönlichkeiten in einer
gewissen Distanz entwickeln, in ein Nahverhältnis hinüberzuretten.
Unwillkürlich wird man schliessen, dass die Wärme und Innerlichkeit
der Beziehung in dem Masse der persönlichen Annäherung zunehmen müsse.
Was sich so günstigsten Falles allerdings entwickeln könnte,
antizipiert man gleich am Anfang in Ton und Intensität des Verkehrs, um
dann freilich oft genug zu fühlen, dass man der blossen Form des
Raumverhältnisses zu viel zugemutet hat; wir greifen ins Leere hinein,
weil die Plötzlichkeit der körperlichen Nähe uns über die Langsamkeit,
mit der die seelische ihr nachwächst, weggetäuscht hat.
So entstehen Rückschläge und Abkühlungen, die nicht nur dieses
illusionäre Zuviel zurücknehmen, sondern auch die vorher schon
gewonnenen Werte der Liebe oder Freundschaft oder Interessengemeinschaft
oder geistigen Verständigung mit sich reissen.
Diese Lage gehört zu den unter Menschen nicht spärlichen Wirrnissen,
die wohl durch instinktive Taktgefühle von vornherein vermieden werden
können, einmal entstanden aber, sich in der Regel nicht mehr durch solche
allein, sondern nur unter Assistenz von bewussten Abwägungen und
Besinnungen wieder ins Rechte bringen lassen.
Von Beziehungen, die von der Intimität der zuletzt berührten weit
abstehen, entnehme ich ein zweites Beispiel, um dem soziologischen
Unterschiede der Raumentfernungen in seine ausrechenbareren Ergebnisse
nachzugehen.
Wo in einer grösseren Gruppe sich eine von gleichen Interessen
zusammengehaltene Minorität befindet, ist es für das Verhalten derselben
zum Ganzen sehr unterscheidend, ob sie räumlich kompakt zusammen wohnt
oder durch die Gesamtgruppe hindurch verstreut bzw. in kleinen Abteilungen
lebt.
Welche von beiden Formen für die Machtstellung einer solchen
Minorität unter sonst gleichen Umständen das Günstigere ist, lässt
sich nicht generell bestimmen.
Wenn die fragliche Untergruppe sich in einem defensiven Zustand
gegenüber der Majorität befindet, so entscheidet über jene Frage das Mass ihrer Kräfte.
Sind diese sehr gering, so dass kein eigentlicher Widerstand, sondern
nur ein Entgehen, Sich-unsichtbar-machen, Vermeiden vernichtender Angriffe
in Frage steht, so wird, wie ohne weiteres ersichtlich, möglichste
Zerstreuung ratsam sein.
Bei erheblicheren Kräften, insbesondere grösseren Personenzahlen,
für die schon die Chance, einen Angriff auszuhalten, besteht, wird
umgekehrt möglichste Zusammenballung die Erhaltung fördern.
Wie schon die Züge der Heringe sich durch ihre dichte Gedrängtheit
vor Gefahren schützen, indem sie so eine geringere Angriffsfläche und
weniger Zwischenräume für eindringende Feinde darbieten - so gewährt
ein enges Zusammenwohnen exponierter Minoritäten die grössere
Wahrscheinlichkeit erfolgreichen Widerstandes, gegenseitiger Aushülfe,
wirksameren Bewusstseins der Zusammengehörigkeit.
Der räumliche Verteilungsmodus der Juden hat beide Wege für sie
nutzbar gemacht.
Indem ihre Diaspora sie durch die gesamte Kulturwelt hin verteilte,
konnte keine Verfolgung ihre sämtlichen Abteilungen treffen, und gab es
für diejenigen, denen das Leben an einem Punkte unmöglich gemacht war,
immer an anderen Anschluss, Schutz und Unterstützung; andrerseits, weil
sie an den einzelnen Orten entweder im Ghetto oder sonst meistens sich
völlig benachbart lebten, genossen sie auch der Vorteile und Kräfte, die
der kompakte, vakuumslose Zusammenschluss für die Verteidigung
entwickelt.
Haben nun die Energien den Teilstrich erreicht, von dem an sie auch zu
Angriffen, zum Gewinnen von Vorteilen und Macht vorschreiten können, so
dreht sich das Verhältnis um: auf dieser Stufe wird eine konzentrierte
Minorität nicht so viel ausrichten können als eine von vielen Punkten
her kooperierende.
Während deshalb in jenem Stadium der geringeren und deshalb wesentlich
auf Verteidigung angewiesenen Kräfte das Ghetto entschieden für die
Juden vorteilhaft und kraftsteigernd war, erscheint es bei gewachsener
Sicherheit und Energie der Judenschaft als ausserordentlich
beeinträchtigend, und ihre Verstreuung durch die Gesamtbevölkerung hat
ihre kollektive Macht aufs wirksamste gesteigert.
Dies ist einer der nicht allzu seltenen Fälle, in denen die absolute
Steigerung eines Quantums die Relationen innerhalb seiner direkt umkehrt.
–
Sieht man nun nicht die Minorität als das in Hinsicht seiner Struktur
variable Element an, sondern fragt bei gegebener räumlicher Zerstreutheit
oder Kompaktheit dieser nach der Verfassung der umgebenden Gesamtheiten,
so ergibt sich die folgende notwendige Tendenz.
Ein kleineres Sondergebilde innerhalb einer umfassenden, von einer
Zentralmacht zusammengehaltenen Gruppe wird bei räumlicher Kompaktheit
eine individualisierende, die Autonomie der Teile einräumende
Regierungsform begünstigen.
Denn wo ein derartiger Teil seine Interessen nicht selbst besorgen,
sein Leben nicht nach eigenen Normen leben kann, hat er überhaupt keine
technische Möglichkeit, sich vor der Vergewaltigung durch die Gesamtheit
zu schützen.
Ein parlamentarisches Regime etwa, das das Eigenleben der Teile
durchweg blossen Mehrheitsbeschlüssen unterwirft, wird eine solche
Minderheit einfach majorisieren.
Lebt diese aber zerstreut, so dass von selbständiger Entwickelung,
unmittelbarer Macht, eigenen Einrichtungen für sie nicht die Rede sein
kann, so wird die Autonomie lokaler Abschnitte des Ganzen für sie wertlos
sein, weil sie doch in keinem eine Majorität erreicht.
Sie wird vielmehr zentralistisch gesinnt sein, weil die Rücksicht, von
der sie bei der Zersplitterung ihrer Energien noch etwas hoffen kann, noch
am ehesten von einer einheitlichen, ja vielleicht absolutistischen
Zentralgewalt zu erwarten ist; zu positivem Einfluss wird sie bei einer so
diffusen Struktur nur durch einzelne hervorragende Persönlichkeiten, die
sie produziert, gelangen, und auch für diese Machtform wird die grösste
Chance gerade angesichts eines möglichst mächtigen und möglichst
personalen Herrschertums bestehen.
Die lokale Distanz der Mitglieder weist sie auf eine Zentralgewalt hin,
ihre Kompaktheit führt sie von dieser ab.
Der Erfolg dieser räumlichen Situation ist ein ganz anderer, wenn sie
nicht eine Abteilung, sondern eine Gesamtgruppe betrifft.
Eine Gemeinschaft, deren sämtliche Elemente verstreut wohnen, wird,
wenn nicht andere Ursachen stark einwirken, nicht so leicht
zentralistische Neigungen haben.
Als die schweizer bäuerlichen Landesgemeinden im Mittelalter sich zu
staatlichen Gemeinwesen bildeten, wiederholten sie dabei im wesentlichen
die Grundzüge der Städteverfassungen.
Allein die Genossenschaft der Landleute ging nicht wie die städtische
fast ganz in den von ihr bestellten Organen auf, sondern die Urversammlung
des Volkes blieb selbst das wichtigste Organ für Rechtsprechung und
Lenkung aller öffentlichen Angelegenheiten.
Hier ist wohl ein gewisses Misstrauen wirksam, weil die dauernde
Kontrolle der Zentralorgane bei grossen Entfernungen untunlich ist, und,
ganz prinzipiell, die geringere Lebhaftigkeit der sozialen
Wechselwirkungen, mit denen der kompakten städtischen Bevölkerung
verglichen.
Für diese sind objektive Gebilde erforderlich als feste Punkte in den
Flutungen und Reibungen, die das Stadtleben sowohl durch die
fortwährenden Berührungen wie durch die starken, aber kontinuierlich
abgestuften gesellschaftlichen Differenzierungen seiner Elemente erzeugt.
Diese Folgen der lokalen Bedingungen werden auch auf demokratischer
Grundlage der Stadtbevölkerung eine gewisse Straffheit der
Zentralisierung nahe bringen.
Die wirklich direkte Demokratie aber bedarf der räumlich engen
Begrenzung ihres Kreises, wie es das klassische Dokument des Föderalist
verkündet: The natural limit of a democracy is that distance from the
central point which will but just permit the most remote citizens to
assemble as often as their public functions demand; und das griechische
Altertum musste es als eine Verbannung empfinden, wenn man so weit von dem
Ort der politischen Versammlungen entfernt wohnte, dass man nicht regelmässig daran teilnehmen konnte.
In diesem Interesse an unmittelbarer Autonomie begegnen sich Demokratie
und Aristokratie, wenn ihre Raumbedingungen dieselben sind.
Die spartanische Geschichte zeigt diese Bedingtheit in sehr
interessanter Kombination.
Man wusste dort sehr wohl, dass das zerstreute Wohnen auf dem platten
Lande den Aristokratismus begünstigte; denn auch die Demokratien nehmen
unter diesen lokalen Bedingungen wegen ihrer Selbstgenügsamkeit und ihrer
Unabhängigkeit von dominierenden Zentralmächten eine Art
aristokratischen Charakters an, wie die Geschichte der germanischen
Stämme sehr vielfach zeigt.
Als die Spartaner deshalb in Mantinea die Demokratie stürzen wollten,
lösten sie die Stadt in eine Anzahl Flecken auf.
Sie selbst aber, in dem Konflikt zwischen dem agrarischen Charakter
ihres Staates, bei dem das räumliche Auseinander immer fühlbar bleibt,
und der insofern ja auch ihrem Aristokratismus durchaus angemessen war -
und der energischen Zentralisation, die ihr Militarismus forderte, fanden
den Ausweg, ihre Landwirtschaft von Hörigen betreiben zu lassen, während
sie selbst ziemlich eng in Sparta zusammensassen.
In einer gewissen äusseren Ähnlichkeit damit verlief das Schicksal
des französischen Adels im ancien régime.
Er war in seiner agrarischextensiven Lebensweise in hohem Masse autonom
gewesen, bis das immer zentralisierter werdende Regiment mit seiner
anschaulichen Aufgipfelung zu dem Hofleben Ludwigs XIV. einerseits seine
rechtliche und administrative Selbständigkeit untergrub und ihn
andererseits durchgehends nach Paris zog.
Die Korrelation ist also im Gegensatz zu der der oppositionellen
Minoritäten diese: der lokalen Gedrängtheit der Gruppe entsprechen
zentralistische Tendenzen, der lokalen Zerstreutheit umgekehrt
autonomistische.
Und da diese Beziehung bei vollem Gegensatz der sozialen Lebenstendenz,
sowohl bei demokratischer wie aristokratischer auftritt, so folgt, dass
der räumliche Faktor der Nähe oder Distanz die soziologische Gruppenform
entscheidend oder wenigstens mitentscheidend bestimmt.
E. Alle bisher betrachteten soziologischen Formungen zeichneten
gewissermassen das ruhende Nebeneinander des Raumes nach: die Begrenzung
und die Distanz, die Fixiertheit und die Nachbarschaft sind wie
Fortsetzungen der räumlichen Konfigurationen in das Gefüge der
Menschheit hinein, die sich in den Raum teilt.
Diese letztere Tatsache knüpft ganz neue Folgen an die Möglichkeit,
dass die Menschen sich von Ort zu Ort bewegen.
Die räumlichen Bedingtheiten ihrer Existenz geraten dadurch in Fluss,
und wie die Menschheit überhaupt nur durch ihre Beweglichkeit die
Existenz, die wir kennen, gewinnt, so ergeben sich aus dem Ortswechsel im
engeren Sinne, aus dem Wandern, unzählige besondere Folgen für ihre
Wechselwirkungen, aus denen einige hier skizziert werden mögen.
Die grundlegende Einteilung dieser Erscheinungen vom soziologischen
Gesichtspunkt aus ist: welche Formen der Vergesellschaftung stellen sich
bei einer wandernden Gruppe im Unterschied gegen eine räumlich fixierte
ein? und: welche Formen ergeben sich, wenn zwar nicht eine Gruppe als
ganze, aber gewisse Elemente ihrer wandern, für die Gruppe selbst und
für die wandernden Personen?
1. Die Hauptgestaltungen des ersten Typus sind der Nomadismus und
diejenigen Bewegungen, die man als Völkerwanderungen bezeichnet; indem
für jenen das Wandern zur Substanz des Lebens gehört, was sich am besten
an der Endlosigkeit, der Kreisförmigkeit der Rückkehr auf immer
dieselben Stätten markiert, bei den Völkerwanderungen aber das Wandern
mehr als ein Zwischenzustand zwischen zwei andersartigen Lebensformen -
seien es die der Fixiertheit, sei es, dass die frühere von beiden die
nomadische ist - empfunden wird.
Soweit die soziologische Betrachtung nur nach der Wirkung des Wanderns
als solchem fragt, braucht sie beide Arten nicht zu trennen.
Denn jene Wirkung auf die Gesellschaftsform ist typischerweise in
beiden Fällen die gleiche: Niederhalten oder Aufhebung der inneren
Differenzierung der Gruppe, daher Mangel eigentlicher politischer
Organisation, der sich aber oft mit despotischer Einherrschaft durchaus
verträgt.
Für die letztere Konstellation ist vor allem an die Beziehung
patriarchalischer Verhältnisse zum Nomadentum zu erinnern.
Wo für Jagdvölker die Notwendigkeit steigt, sich zu zerstreuen und zu
wandern, entfernt der Mann sein Weib aus der Nachbarschaft ihrer Familie,
beraubt sie damit des Rückhaltes an dieser und bekommt sie entschiedener
in seine Gewalt, so dass man bei den nordamerikanischen Indianern die
Wanderung der Familien direkt für den Übergang der weiblichen zur
männlichen Verwandtschaftsorganisation verantwortlich gemacht hat.
Dazu kommt, dass bei den eigentlichen Nomaden an die Stelle der Jagd
die Viehzucht getreten ist, und dass diese wie jene allenthalben das
Geschäft der Männer ist.
Durch diese männliche Leitung des wichtigsten oder ausschliesslichen
Nahrungserwerbes bildet sich bei den Nomaden der Despotismus des Mannes
heraus.
Familiärer und staatlicher Despotismus aber stehen nicht nur allgemein
im Verhältnis gegenseitiger Erzeugung, sondern das Nomadentum muss den
letzteren noch um so entschiedener begünstigen, als hier der einzelne
keinen Rückhalt am Boden hat.
Derselbe Umstand, der die Nomaden überall zu Subjekten wie Objekten
des Räubertums macht: die Mobilität des Besitzes - macht das Leben
überhaupt zu etwas so Labilem und Wurzellosem, dass der Widerstand gegen
mächtige, zusammenfassende Persönlichkeiten sicher nicht so stark ist,
als wo die Existenz jedes einzelnen auf seiner Scholle konsolidiert ist;
insbesondere, da hier die Chance des Ausweichenkönnens nicht in Frage
kommt, die, wie gleich nachher hervorzuheben ist, für die wandernden
Handwerksgesellen eine so eigenartige Waffe gegen staatliche
Zentralisierungstendenzen war.
Wozu noch kommt, dass jene despotischen Zusammenfassungen meistens zu
kriegerischen Zwecken geschehen werden, zu denen der abenteuernde und
wilde Nomade immer mehr disponiert sein wird, als der Ackerbauer.
Zwar fehlt, wie gesagt, nomadischen Gruppen in der Regel die strenge
und feste Organisation, die sonst die Technik kriegerischer Despotien
bildet.
Und zu dieser ist wegen der weiten Zerstreuung und gegenseitigen
Unabhängigkeit der einzelnen nomadischen Familien gar keine Disposition
vorhanden, weil jede feinere und umfassendere Organisation
Arbeitsteilungen voraussetzt, diese aber eine enge räumliche oder
dynamische Berührung der Elemente.
Allein die despotische Zusammenfassung bei jenen Massenwanderungen
nomadischer Völker, die die europäische Geschichte nicht weniger als die
Chinas, Persiens und Indiens durchfurcht haben, war ersichtlich keine
organisierte Synthese, sondern ihre Wucht beruhte gerade auf der
mechanischen Aggregation ganz ununterschiedener Elemente, die sich mit dem
gleichmässigen und zwischenraumlosen Druck eines Schlammstromes ergoss.
Die Tiefebenen und Steppen, die einerseits zum nomadischen Leben
anreizen, andererseits die Quellgebiete grosser Stammeswanderungen sind,
Osteuropa, Nord- und Innerasien, die amerikanischen Tiefländer, zeigen
deshalb am wenigsten ausgebildete Rassentypen, und dies ethnographische
Nivellement dürfte nicht weniger die Folge als die Ursache eines
soziologischen sein.
Zwischen der Bewegung im Raum und der Differenziertheit sozialer und
persönlicher Daseinsinhalte besteht ein tief gegründetes Verhältnis.
Beide bilden nur verschiedene Befriedigungen der einen Seite seelischer
Gegensatztendenzen, deren andere auf Ruhe, Gleichmässigkeit,
substanzielle Einheit des Lebensgefühles und -bildes geht: die Kämpfe
und Kompromisse, die Mischungen und wechselnden Vorherrschaften beider
lassen sich als Schema benutzen, um alle Inhalte der Menschengeschichte
darin einzutragen.
Das Mass, in dem wir der Anregung durch unterschiedene, wechselnde
Eindrücke bedürfen, kann auf beide Weisen erfüllt werden; entweder
durch den Wechsel der Eindrücke, Ansprüche und Abenteuer des
Wanderlebens oder durch die Differenziertheit stabiler Verhältnisse, die
nicht nur der Seele, wenn sie umherblickt, alle jene Wechsel gleichsam in
der Form der Immanenz, des Nebeneinanders gesellschaftlicher Faktoren
zeigt, sondern auch an dem Bewusstsein ihrer Unterschiedenheit gegen jede
andere - und einer anderen Unterschiedenheit gegen jede einzelne - ihr
Unterschiedsbedürfnis sättigt.
Daraus wird einerseits verständlich, wie die ausserordentliche
Steigerung dieses letzteren bei den modernen Menschen gleichzeitig nach
beiden Formen greift, wie sie aber in anderen Fällen gerade für einander
vikarieren können, so dass im Raum stabile Gesellschaften sich innerlich
stark differenzieren, wandernde dagegen die für ihre Nervenverfassung
nötigen Differenzgefühle von vornherein gedeckt haben und für die
gleichzeitige Lebenstendenz des entgegengesetzten Vorzeichens eine soziale
Nivellierung brauchen.
Die Technik des Wanderns macht sich zum Träger dieses prinzipiellen
Verhältnisses.
Die Mitglieder einer wandernden Gesellschaft sind besonders eng auf
einander angewiesen, die gemeinsamen Interessen haben im Unterschied gegen
die sesshaften Gruppen mehr die Form der Momentaneität und überdecken
deshalb mit der spezifischen Energie des Gegenwärtigen, die so oft über
das sachlich Wesentlichere triumphiert, die individuellen Differenzen in
dem doppelten Sinne dieses Wortes: als qualitative oder soziale
Mannigfaltigkeit und als Streit und Entzweiung der einzelnen.
Bei Nomadenstämmen stehen sich die Impulse der räumlichen Expansion
und Kontraktion sehr schroff gegenüber, die Ernährungsbedingungen
führen die einzelnen möglichst weit auseinander (und das räumliche
Auseinander muss auch auf ein seelisch-qualitatives hinwirken), während
das Schutzbedürfnis sie doch immer wieder zusammendrängt und die
Differenzierung hintanhält. *
* Das unausgeglichene Nebeneinander dieser beiden Notwendigkeiten, die
in keinem höheren, beide beherrschenden Gesichtspunkte eine Harmonie,
Organisierung, Ergänzungsform finden, ist vielleicht der Grund für die
geringe und schwierige Entwickelung der Stämme auf der Stufe des
Nomadentums.
Livingstone erzählt von den Abteilungen afrikanischer Clane, die sich
sonst ersichtlich nicht sehr verbunden fühlen, dass sie bei Wanderungen
des ganzen Stammes sehr zu einander halten und sich gegenseitig
unterstützen.
Aus dem Mittelalter wird vielfach berichtet, dass zusammen wandernde
Kaufleute völlig kommunistische Ordnungen unter sich eingeführt hätten,
wovon es nur eine Fortsetzung ist, dass die im Ausland sich bildenden
Kaufmannsgilden oder Hansen oft, und zwar bezeichnenderweise gerade am
Anfang ihrer Entwickelung, völlige Lebensgemeinschaften eingehen.
Neben dem nivellierenden Moment der Wanderschaft wird wohl auch in
solchen Fällen das despotische nicht gefehlt haben.
Wenigstens wird von den Zügen wandernder Kaufleute, die in der
römischen Kaiserzeit von Palmyra aus das Euphratgebiet durchwanderten,
hervorgehoben, dass ihre Obmänner die vornehmsten Männer von ganz altem
Adel gewesen seien, denen dann die Karawanenteilnehmer oft Ehrensäulen
setzen.
Es ist also anzunehmen, dass deren Gewalt auf der Reise eine
diskretionäre war, gerade wie es unter sehr analogen Verhältnissen die
des Schiffskapitäns während der Fahrt ist.
Gerade weil das Wandern an und für sich individualisiert und isoliert,
weil es den Menschen auf sich selbst stellt, treibt es ihn zu engem,
jenseits der sonstigen Unterschiede stehendem Zusammenschluss.
Indem es den Individuen die Stützen der Heimat, zugleich aber deren
feste Abstufungen nimmt, legt es ihnen gerade nahe, die Schicksale der
Wandernden, Vereinsamung und Haltlosigkeit, durch möglichsten
Zusammenschluss zu einer mehr als individuellen Einheit zu ergänzen.
Dieser soziologische Grundzug des Wanderns verrät sich als der formal
immer gleiche in Erscheinungen, die inhaltlich ganz ohne Zusammenhang mit
den bisher berührten sind.
Die Reisebekanntschaft, solange sie wirklich nur eine solche ist und
nicht einen von ihrer Anknüpfungsart unabhängigen Charakter annimmt,
entwickelt oft eine Intimität und Offenherzigkeit, für die eigentlich
kein innerer Grund zu finden ist.
Hierzu scheinen mir drei Momente zusammenzuwirken: die Gelöstheit von
dem gewohnten Milieu, die Gemeinsamkeit der momentanen Eindrücke und
Begebnisse, das Bewusstsein des demnächstigen und definitiven
Wiederauseinandergehens.
Das mittlere dieser Momente ist in seinem Hinwirken auf eine
Vereinheitlichung und eine Art geistigen Kommunismus, solange eben die
Identität des Erlebens dauert und das Bewusstsein beherrscht, ohne
weiteres klar; die beiden anderen aber sind nur diffizilerer
soziologischer Betrachtung zugänglich.
Gelegentlich des ersten muss man sich klar machen, wie wenige Menschen
rein von innen her und durch sichere Instinkte wissen, wo denn eigentlich
die unverrückbare Grenze ihres seelischen Privatbesitzes liegt, welche
Reserven ihr individuelles Sein fordert, um sich unverletzt zu erhalten.
Erst durch Anstösse und Zurückweisungen, durch Enttäuschungen und
Anpassungen pflegen wir allmählich zu erfahren, was von uns wir anderen
offenbaren dürfen, ohne es auf verlegene Situationen, Gefühle von
Indiskretion gegen uns selbst und direkte Schädigungen ankommen zu
lassen.
Dass die seelische Sphäre des Individuums überhaupt nicht gegen die
der anderen von vornherein so sicher abgegrenzt ist, wie die seines
Körpers; dass diese Grenze, auch nachdem sie die Schwankungen ihrer
ersten Bildung überwunden hat, ihre Relativität nie absolut überwindet
- das tritt leicht hervor, wenn wir die gewohnten Beziehungen hinter uns
lassen, in denen wir durch allmählich erwachsene Rechte und Pflichten,
durch Verstehen anderer und Verstandenwerden, durch Erprobung unserer
Kräfte und unserer Gefühlsreaktionen einen leidlich festen Bezirk für
uns abgesteckt haben; so dass wir hier sicher wissen, was wir zu sagen und
was zu verschweigen haben, und durch welche Masse von beiden wir das
rechte Bild unserer Persönlichkeit in anderen erzeugen und erhalten.
Da nun dieses relative, durch das Verhältnis zu unserer Umgebung
fixierte Äusserungsmass sich für viele Menschen wie zu einem absoluten,
an sich richtigen verfestigt, so verlieren diese in ganz neuen Umgebungen,
einem ganz fremden Menschen gegenüber, in der Regel jeden Massstab für
ihr Sich-geben.
Sie geraten einerseits unter Suggestionen, denen sie bei ihrer
aktuellen Entwurzelung gar nicht widerstehen können, andererseits in
innere Unsicherheiten, in denen sie der einmal angeregten Intimität oder
Konfession nicht mehr Halt gebieten können, sondern diese, als wäre sie
auf eine schiefe Ebene geraten, bis ans Ende rollen lassen.
Dazu kommt nun das dritte Moment: dass wir unsere gewohnten Reserven um
so leichter demjenigen gegenüber fallen lassen, mit dem wir nach dieser
einmaligen gegenseitigen oder einseitigen Offenbarung nichts mehr zu tun
haben.
Alle Vergesellschaftungen werden im Charakter ihrer Form und ihres
Inhaltes aufs entschiedenste durch die Vorstellung der Zeitdauer
beeinflusst, für die man sie bestimmt glaubt.
Dies gehört zu den soziologischen Erkenntnissen, deren Wahrheit für
die allergröbsten Fälle zwar unübersehbar auf der Hand liegt, für die
feineren aber um so häufiger übersehen ist.
Dass das qualitative Wesen einer Verbindung von Mann und Weib in der
lebenslänglichen Ehe ein anderes ist als in einem flüchtigen
Verhältnis, dass der Berufssoldat eine andere Beziehung zu dem Heere hat
als ein ein- oder zweijährig dienender, ist zwar für jedermann
selbstverständlich; aber der Schluss: dass diese makroskopischen
Wirkungen der Zeitquantität auch bei geringerer Krassheit der Masse pro
rata und gleichsam mikroskopisch eintreten müssten, scheint nirgends
geltend gemacht zu sein.
Ob ein Kontrakt auf ein oder auf zehn Jahre abgeschlossen ist; ob ein
geselliges Zusammensein auf ein paar Abendstunden oder wie etwa bei einer
Landpartie auf einen ganzen Tag berechnet ist; ob man an der Table d'hôte
eines Hotels, das jeden Tag die Gäste wechselt, oder an der einer
Pension, die für längeren Aufenthalt bestimmt ist, zusammenkommt - das
ist bei sonst ganz gleichem Material, Gesinnung, Personencharakter des
Zusammen für die Färbung seines Verlaufes durchaus wesentlich.
Nach welcher Richtung hin es wirkt, ist freilich der Zeitquantität an
sich nicht anzusehen, sondern hängt von der Gesamtheit der Umstände ab:
die grössere Zeitdauer wird manchmal zu einer négligeance, gleichsam zu
einem Hängen lassen des zusammenhaltenden Bandes führen, weil man seiner
sicher ist und nicht nötig findet, die doch unwiderrufliche Bindung noch
durch neue Anstrengungen zu stärken; manchmal wieder wird das Bewusstsein
eben dieser Unauflösbarkeit uns zu gegenseitiger Anpassung und mehr oder
weniger resignierter Nachgiebigkeit bewegen, um den einmal übernommenen
Zwang wenigstens möglichst erträglich zu machen; die Kürze der Zeit
wird gelegentlich zu derselben Intensität der Ausnutzung des
Verhältnisses führen, wie die Länge derselben bei anderen Naturen, die
ein nur äusserliches oder »halbes« Verhältnis zwar auf kurze Zeit,
aber nicht auf die Dauer ertragen können.
Dieser Hinweis auf die Wirkung, die der Gedanke an die Dauer einer
Beziehung auf jeden einzelnen Moment ihrer ausübt, soll hier nur das
soziologische Wesen der kurzfristigen Begegnung einem weiten und
prinzipiellen Zusammenhang zugehörig zeigen.
Die Reisebekanntschaft verlockt oft von dem Gefühl aus, dass sie zu
nichts verpflichtet, und dass man einem Menschen gegenüber, von dem man
sich in wenigen Stunden für immer trennt, eigentlich anonym ist, zu ganz
merkwürdigen Konfidenzen, zu haltloser Nachgiebigkeit gegen den Äusserungstrieb, den uns nur die Erfahrung seiner Konsequenzen in den
gewöhnlichen langsichtigen Beziehungen einzudämmen gelehrt hat; so hat
man auch die erotischen Chancen des Soldatenstandes darauf geschoben, dass
er nicht die Sesshaftigkeit der meisten anderen Stände besitzt, dass die
Beziehung zu dem Soldaten für die Frau die Färbung eines flüchtigen
Traumes besitzt, der nicht nur zu nichts engagiert, sondern gerade durch
seine Kürze zu der äussersten Intensität seiner Ausnutzung und der
Hingabe an ihn verlockt; so hat man auch die Erfolge der Bettelmönche mit
daraus erklärt, dass man ihnen, die das Recht hatten, überall Beichte zu
hören, und die heute kamen und morgen gingen, oft ungenierter beichtete
als dem eigenen Pfarrer, der das Beichtkind dauernd unter Augen behielt.
Es scheinen hier wie so oft die Extreme eine gewisse gleichmässige
Bedeutung, die der mittleren Sphäre entgegengesetzt ist, zu besitzen: man
offenbart sich dem Nächsten und dem Fremdesten, während die dazwischen
stehenden Schichten den Ort der eigentlichen Reserve bilden.
So ist auch in diesen weit abstehenden Erscheinungen der formale
Grundzusammenhang erkennbar, die eigentümliche Gelöstheit des Menschen
als wandernden und dem Wandernden gegenüber, eben dadurch eine Hingabe
über die sonstigen Schranken der Individualisiertheit hinaus: das, was
ich oben als Annäherung an geistigen Kommunismus bezeichnete; in
unzähligen, schwer erkennbaren Umformungen lebt dies soziologische Motiv,
das innerhalb der wandernden Gruppe auf ein Nivellement, eine
entpersonalisierende Einheitlichkeit hindrängt.
2. Ganz gesondert davon ist zu betrachten, wie das Wandern eines Teiles
auf die Form der ganzen, sonst sedentären Gruppe wirkt.
Aus der Vielheit einschlägiger Erscheinungen erwähne ich hier nur
zwei, von denen die eine jene Wirkung nach der Seite der Vereinheitlichung
der Gruppe, die andere sie gerade nach der Seite ihres Dualismus hin
verfolgen soll.
Um in einer räumlich weit ausgedehnten Gruppe die voneinander
entfernten Elemente dynamisch zusammenzuhalten, bilden hoch entwickelte
Epochen ein System mannigfaltiger Mittel aus, vor allem alles Gleichmässige der objektiven Kultur, das von dem Bewusstsein, es sei eben
hier dasselbe, was es an jedem Punkt des gleichen Kreises ist, begleitet
wird: die Gleichheit der Sprache, des Rechtes, der allgemeinen
Lebensweise, des Stiles von Gebäuden und Geräten; ferner die
funktionellen Einungen: die zentralisierte und zugleich überall sich
hinerstreckende Verwaltung des Staates und der Kirche, die mehr
auswählenden, aber doch über alle lokalen Trennungen hinübergreifenden
Verbände der Unternehmer wie .der Industriearbeiter, die geschäftlichen
Verbindungen von Grossisten und Detaillisten, die mehr ideellen, aber doch
sehr wirksamen der Studiengenossen, der Kriegervereine, der Schullehrer,
der Universitätsprofessoren, der Sammler jeder Art.
Kurz, ein Gewirr von Fäden mit absoluten oder partiellen Zentren, das
alle Teile eines hoch kultivierten Staates zusammenhält - freilich mit
sehr verschieden verteilter Energie, da weder die substanzielle Kultur
nach Mass und Art hinreichend gleichmässig ist, noch die funktionellen
Verbindungen alle Elemente mit demselben Interesse und derselben Kraft
ihrem Zentrum zuwenden.
Immerhin, soweit diese Vereinheitlichungen wirken, bedürfen sie nur zu
geringen Teilen und gleichsam akzidentell der Bewegung von Personen durch
grosse Raumstrecken; es gelingt dem modernen Leben, das Bewusstsein der
gesellschaftlichen Einheit einerseits durch jene sachlichen Gleichmässigkeiten und das Wissen um die gemeinsamen Berührungspunkte,
andererseits durch die ein für allemal fixierten Institutionen, drittens
endlich durch schriftliche Verständigung herbeizuführen.
Solange es aber an dieser objektiven Organisation und Technik fehlt,
hat ein anderes, später zurücktretendes Mittel der Vereinheitlichung
überragende Bedeutung: das Wandern, das freilich wegen seines rein
personalen Charakters niemals die Breite des Raumgebietes wie jene Mittel
decken und niemals einen gleichen Umfang inhaltlich zentralisieren kann.
Der Kaufmann und der Gelehrte, der Beamte und der Handwerker, der
Mönch und der Künstler, die Spitzen wie die verkommensten Elemente der
Gesellschaft waren im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit vielfach
mobiler als jetzt.
Was wir durch Briefe und Bücher, durch Girokonto und Niederlagen,
durch mechanische Reproduktion des gleichen Modells und durch Photographie
an Bewusstsein der Zusammengehörigkeit gewinnen, musste damals durch das
Reisen von Personen bewirkt werden, das ebenso mangelhaft im Erfolg wie
verschwenderisch in der Ausführung war; denn wo es sich um bloss
sachliche Übermittelungen handelt, ist das Reisen einer Person eine äusserste Unbehülflichkeit und Undifferenziertheit, weil die Person eben
all' das Äussere und Innere ihrer Persönlichkeit, das mit dem gerade
vorliegenden Sachgehalt nichts zu tun hat, als Tara mitschleppen muss.
Und wenn hiermit auch das Nebenprodukt mancher personalen und
Gemütsbeziehung gewonnen wurde, so diente doch gerade dies nicht dem
jetzt fraglichen Zwecke: die Einheit der Gruppe fühlbar und wirksam zu
machen.
Sachlichen Beziehungen, die das Persönliche ganz ausserhalb ihrer
lassen und deshalb von jedem Element zu unbegrenzt vielen anderen führen
können, gelingt es viel gründlicher, eine über die einzelnen sich
hinwegspannende Einheit bewusst zu machen; gerade das Gemütsverhältnis
schliesst nicht nur inhaltlich oft alle anderen aus, sondern es erschöpft
sich so in seiner unmittelbaren Enge, dass sein Ertrag für das
Einheitsbewusstsein des Kreises, dem beide angehören, minimal ist.
Es ist für diesen subjektiven Charakter der Verbindungen und zugleich
doch auch für ihre Wichtigkeit bezeichnend, dass im Mittelalter die
Unterhaltung der Wege und Brücken als religiöse Pflicht galt.
Dass so viele jetzt objektiv vermittelte Beziehungen in früheren
Zeiten nur durch das Wandern von Persönlichkeiten zu stande kamen,
erscheint mir als ein Grund für die relative Schwäche des
Einheitsbewusstseins in den ausgedehnten Gruppen der Vorzeit.
Immerhin waren die Wanderungen vielfach überhaupt der einzige, oft
wenigstens einer der vergleichsweise stärksten Träger jener
Zentralisierung, besonders im politischen Sinne.
Einesteils in der Form einer einmaligen Rundreise nahm der König die
einzelnen Teile des Reiches persönlich in seinen Besitz, wie es von den
alten Franken berichtet wird, und wie es die früheren Könige von
Schweden taten; andernteils so, dass der König entweder periodisch oder
dauernd im Reiche umherreiste - jenes bei den ältesten russischen
Herrschern, die jährlich alle Städte bereisten, dieses bei den deutschen
Kaisern des alten Reiches.
Die russische Gewohnheit soll dem Zusammenhalten des Reiches gedient
haben, die deutsche, die aus dem Mangel einer Reichshauptstadt hervorging,
war eben dadurch zwar das Zeichen einer bedenklichen Dezentralisation,
aber unter diesen Umständen noch das Beste, was sich für den
Zusammenschluss der verschiedenen Reichsteile in der Person des Königs
tun liess.
Gerade eine der Veranlassungen dieses Umherreisens der deutschen
Fürsten: dass die Naturalabgaben an sie mangels von Transportmitteln an
Ort und Stelle verzehrt werden mussten - gerade dies knüpfte eine Art
ganz persönlicher Beziehung zwischen jedem Bezirk und dem König.
Dem analogen Zweck diente in England die Einrichtung der Itinerant
Justices durch Heinrich II.
Bei den Unvollkommenheiten der Zentralisation und Kommunikation war die
Verwaltung der Grafschaften durch Landvögte von vornherein erheblichen
Missbräuchen ausgesetzt gewesen.
Die umherreisenden Richter erst brachten die höchste Staatsinstanz
überallhin, sie erst bezogen alle Teile des Reiches - durch die Distanz,
die sie als Fremde gegen jeden derselben hatten, und durch die inhaltliche
Gleichmässigkeit ihrer Rechtsprechungen - in die jenseits der einzelnen
gelegene und im König zentralisierte Einheit von Recht und Verwaltung
ein.
Solange noch die fernwirkenden, überlokalen Mittel fehlen, auch die
lokal-sesshaften Behörden mit dieser Einheit zu durchdringen, so lange
gibt das Umherreisen der Beamten die wirksamste Möglichkeit, das
Aussereinander der Räumlichkeiten in die ideelle politische Einheit
hinein zu zentralisieren.
In dieser Richtung liegt eben auch der sinnliche Eindruck von Personen,
von denen man weiss, dass sie von jenem Mittelpunkt des Ganzen kommen und
wieder zu ihm zurückkehren.
Solche Unmittelbarkeit und Anschaulichkeit enthält einen Vorteil der
von beweglichen Elementen getragenen Organisation vor den durch
abstraktere Mittel zusammengehaltenen, der die grössere Zufälligkeit und
Vereinzelung jener gelegentlich ausgleicht.
Eine halb sozialistische englische Organisation, die English
Land-Restoration League bedient sich zu ihrer Propaganda unter den
ländlichen Arbeitern roter Wagen (red van), in denen ihr Redner wohnt,
und die von Ort zu Ort fahrend den jeweiligen Mittelpunkt der
Versammlungen und Agitationen bilden.
Ein solcher Wagen ist bei all' seiner Beweglichkeit durch sein
charakteristisches, überall bekanntes Aussehen doch ein psychologisch
stationäres Element, durch sein Kommen und Gehen bringt er den
zerstreuten Parteigenossen ihr Verbunden-sein durch den Raum hin zu
stärkerem Bewusstsein, als es vielleicht unter sonst gleichen Umständen
einer fixierten Parteifiliale gelänge; so dass schon andere Parteien
diese Wagenpropaganda nachmachen sollen.
Neben der staatlichen und der Parteieinheit kann das Wanderprinzip auch
der religiösen dienen.
Die englischen Christen gingen erst spät an die Stiftung von
Pfarrkirchen.
Mindestens noch bis tief in das 7. Jahrhundert hinein zogen Bischöfe
mit ihren Gehilfen in der Diözese umher, um die kirchlichen Handlungen zu
vollziehen; und so sicher die religiöse Einheit der einzelnen Kommune
durch den Kirchenbau eine unvergleichliche Festigkeit und Anschaulichkeit
erhielt, so konnte dies doch eher auf ein partikularistisches Abschliessen
der Gemeinde hinwirken, während die Einheit des ganzen Sprengels, ja die
der Kirche überhaupt, durch das Wandern ihrer Träger zu viel stärkerem
Bewusstsein gekommen sein muss.
Noch jetzt betreiben die Baptisten in Nordamerika ihre Werbung von
Anhängern in abgelegeneren Gegenden vermittelst besonderer Wagen,
gospel-cars, die als Kapellen eingerichtet sein sollen.
Für die Propaganda muss diese Mobilisierung des Gottesdienstes
besonders günstig sein, weil es den verstreuten Anhängern anschaulich
macht, dass sie sich nicht auf isolierten, verlorenen Posten befinden,
sondern einem einheitlichen Ganzen zugehören, das durch fortwährend
funktionierende Verbindungen zusammengehalten wird.
Und schliesslich ist es noch das ethische Verhalten der Gruppe zu ihren
wandernden Elementen, was diese gelegentlich zu Punkten der Begegnung und
Vereinheitlichung machen muss.
Indem sich im Mittelalter die Unentbehrlichkeit des Wanderns für den
ganzen ökonomischen und geistigen Verkehr mit seinen Gefahren und
Schwierigkeiten kombinierte, ausserdem die Armen, die so wie so Gegenstand
der allgemeinen Fürsorge waren, fast fortwährend wanderten - konnte es
geschehen, dass die Kirche die Wanderer den täglichen Gebeten der Frommen
empfahl, in einem Atem mit den Kranken und den Gefangenen.
Und ähnlich bestimmt der Koran: der fünfte Teil der Beute gehöre
Gott und seinen Gesandten und den Waisen und den Bettlern und den
Wanderern.
Die unmittelbare Fürsorge für den Wanderer hat sich später gemäss
einer allgemeinen historischen Entwickelungsnorm differenziert in die
objektive Erleichterung des Wanderns durch Wege, Sicherungen,
Institutionen verschiedener Art, und in das subjektive
Auf-sich-selbst-stehen und Sich-selbst-überlassen-sein der Individuen.
Jene allgemeine religiöse Verpflichtung gegen den Wanderer war der
ethische Reflex der fortwährenden soziologischen Wechselwirkung und
funktionellen Einheit, die die Wanderer hervorbrachten.
Neben dieser vereinheitlichenden Wirkung des Wanderns auf die fixierte
Gruppe, die durch das Hin- und Herziehen einzelner Elemente ihr
räumliches Aussereinander funktionell zu überwinden strebt, steht eine
andere, die gerade den antagonistischen Kräften der Gruppe dient.
Diese ergibt sich, wenn ein Teil einer Gruppe prinzipiell sesshaft, ein
anderer durch seine Mobilität bezeichnet ist, und dieser Unterschied des
formalen räumlichen Verhaltens nun zum Träger, Werkzeug,
Steigerungsmoment einer sonst schon bestehenden latenten oder offenen
Gegnerschaft wird.
Der entschiedenste Typus ist hier der Vagabund und der Abenteurer,
deren fortwährendes Umherschweifen die Unruhe, den Rubato-Charakter ihrer
inneren Lebensrhythmik auf den Raum projiziert.
Der Unterschied der von ursprünglicher Anlage her sesshaften und
vagierenden Naturen gibt schon für sich allein dem Bau und der
Entwickelung der Gesellschaften unendliche Variationsmöglichkeiten.
Jedes von diesen beiden Naturellen fühlt in dem anderen seinen
natürlichen und unversöhnlichen Feind.
Denn wo es nicht etwa durch eine feine Differenzierung der Berufe
glückt, dem geborenen Vagabunden eine seiner Anlage adäquate Tätigkeit
zu verschaffen - was höchst selten gelingt, da schon die doch
unerlässliche Regelmässigkeit der Zeit nach innerlich der Fixiertheit im
Raume allzu verwandt ist - da wird er als Parasit der sesshaften Elemente
der Gesellschaft existieren.
Jene aber verfolgen nicht nur den Vagabunden, weil sie ihn hassen,
sondern sie hassen ihn auch, weil sie ihn um ihrer Selbsterhaltung willen
verfolgen müssen.
Und eben dasselbe, was den Vagabunden in diese exponierte und
angegriffene Stellung bringt, sein Trieb zu fortwährendem Ortswechsel,
die Fähigkeit und Lust des »Sich-unsichtbar-machens«, ist doch zugleich
sein Schutz gegen jene Verfolgungen und Ächtungen, es ist zugleich seine
Angriffs- wie seine Verteidigungswaffe.
Wie sein Verhältnis zum Raume der adäquate Ausdruck seiner
subjektiven Innerlichkeit und ihrer Oszillationen ist, so ist es der
gleiche für die Beziehungen zu seiner sozialen Gruppe.
Es handelt sich hier ausschliesslich um singuläre Elemente, die durch
ihre Rastlosigkeit und Mobilität gezwungen, aber auch befähigt sind, den
Kampf eigentlich gegen die gesamte Gesellschaft aufzunehmen.
Sehr selten wenigstens, verglichen mit der Durchflechtung des sozialen
Ganzen mit Vagabundennaturen, sind Vereinigungen solcher, bei denen es
sich also, im soziologischen Unterschied gegen die Nomaden, nicht um
wandernde Gemeinschaften, sondern um Gemeinschaften von Wandernden
handelt.
Das ganze Lebensprinzip des Abenteurers widerstrebt dem, da eine
Organisation irgend eine Art von Fixierung schwer vermeiden kann.
Immerhin gibt es Ansätze dazu, die man als fliessende
Vergesellschaftungen bezeichnen könnte, die aber ersichtlich immer nur
einen geringen Teil des inneren und äusseren Lebens ihrer Mitglieder in
sich einbeziehen und regulieren können.
Eine solche heimatlose Genossenschaft war das fahrende Volk des
Mittelalters; es bedurfte des ganzen Genossenschaftsgeistes jener Zeit,
damit diese fahrenden Leute sich eine Art innerer Ordnung schüfen; indem
diese sich doch bis zur Einrichtung einer »Meisterschaft« und anderer
Würden erhob, milderte sich wenigstens die formale Schärfe des
Gegensatzes gegen die übrige Gesellschaft.
Dies geschieht nun noch entschiedener bei einem anderen Typus der
Ortsbewegung als Trägers eines sozialen Antagonismus: wo nämlich zwei
Teilgruppen durch jene in lebhaftere Gegnerschaft gesetzt werden.
Hier ist das Gesellenwandern, insbesondere des Mittelalters, das beste
Beispiel.
Die Organisationen, auf die sich die Gesellenschaften bei ihren
Ansprüchen den Städten und den Meistern gegenüber stützten, hatten die
Wanderschaft zur Voraussetzung.
Oder anders angesehen: beides stand in unlösbarer Wechselwirkung.
Das Wandern wäre technisch gar nicht möglich gewesen ohne eine
Einrichtung, die dem zugewanderten Gesellen einen ersten Stützpunkt
gewährte; und unvermeidlich mussten gerade seine Standesgenossen dafür
sorgen, die selbst anderswo in die gleiche Lage gekommen waren oder kommen
werden.
Indem gerade die Gesellenschaften die Arbeitsvermittelung an sich
zogen, war der Geselle eigentlich nirgends in Deutschland (und
entsprechend in den anderen Ländern) fremd, ein Netzwerk von
Nachrichtenvermittelung unter den Gesellen sorgte verhältnismässig
schnell für die Ausgleichung von Nachfrage und Angebot der Arbeit an den
einzelnen Punkten, und so war es zunächst dieser sehr handgreifliche
Nutzen, der aus dem Gesellenwandern durch das ganze Reich erstreckte
Gesellenverbände erwachsen liess.
Das Wandern bewirkte, dass die Gesellenzünfte in einem regeren
gegenseitigen Verkehr standen als die Zünfte der Meister mit der
Unverrückbarkeit ihres Wohnsitzes, dass eine Einheit von Recht und Sitte
unter ihnen erwuchs, die dem einzelnen oder den kleineren Abteilungen
einen ausserordentlich starken Rückhalt in ihren Kämpfen um Lohn,
Lebenshaltung, Ehre und soziale Stellung gewährte.
Ausser durch die sozialisierende Wirkung des Wanderns seiner Elemente
wurde die Kampfstellung des Gesellenstandes noch ganz direkt durch seine
Beweglichkeit verstärkt; denn diese ermöglichte ihm,
Arbeitseinstellungen und Boykottierungen in einer Weise durchzuführen,
der die Meister unmittelbar gar nicht begegnen konnten.
Das vermochten diese ersichtlich erst dann, wenn sie die Nachteile
ihrer Bodenständigkeit durch Bündnisse ausglichen, welche das gesamte,
für die Wanderungen der Gesellen in Frage kommende Gebiet umfassten.
So hören wir von Verbindungen von Städten und Zünften zu
solidarischem Zusammenhalten gegen die Gesellen, Verbindungen, die je eine
geographisch abgeschlossene Zone, wie sie ein reguläres Wanderungsgebiet
für Gesellen ausmachte, zu betreffen pflegten.
Es bekämpften sich hiermit also zwei verschiedene Formen, denselben
Raum zu dominieren: der Mobilität, durch die die Gruppe ihre einzelnen
Elemente zu Offensive und Defensive ohne weiteres hin- und herschiebt,
jedes Mal an die Punkte des geringsten Widerstandes und des höchsten
Nutzertrages, stand die ideelle Beherrschung desselben Raumes durch die
Verabredungen der anderen, durch ihn hin verteilten Gruppe gegenüber.
Durch diese sollten die inneren Differenzen dieser Gruppe, aus denen
die Beweglichkeit der anderen ihre Vorteile schöpfte, beseitigt werden;
erst nach hergestellter Gleichmässigkeit des Verhaltens und der Stärke
für alle Elemente der Meistergruppe war die Chance aus der Mobilität der
Gegengruppe illusorisch geworden.
Entsprechend konnte auch der Staat des 17. und 18. Jahrhunderts viel
eher mit den Meisterzünften, die sozusagen still halten mussten, fertig
werden als mit den Gesellenverbänden, da die Gesellen aus jedem
Territorium ausweichen und den Zuzug verhindern, damit also die Betriebe
schwer schädigen konnten.
Auch die Staaten richteten deshalb gegen die Gesellenverbände erst
etwas aus, als im 18. Jahrhundert in einem grossen Teile des
Reichsgebietes gleichzeitig gegen sie vorgegangen wurde.
Der Charakter von Vergesellschaftungen wird in hohem Masse dadurch
formal bestimmt, wie oft ihre Mitglieder zusammenkommen.
Zwischen den Meistern und den Gesellen ist diese Kategorie hier so
eigentümlich verteilt, dass die einen durch ihre Sesshaftigkeit sich zwar
häufig, und überhaupt so oft es erforderlich ist, begegnen, aber eben
nur innerhalb des lokal begrenzten Kreises, während die anderen sich zwar
weniger komplett, seltener und zufälliger begegnen, aber dafür in dem
weiten, sehr viele Zunftbezirke einschliessenden Umkreise.
Während also z. B. der kontraktbrüchige Geselle im Mittelalter
allgemein hart bestraft wurde, war den Berliner Webergesellen 1331
eingeräumt, dass jeder sofortige Bezahlung und Entlassung verlangen
durfte, wenn er die Stadt zu verlassen gedachte.
Ein Beispiel des gegenteiligen Zusammenhanges ist es, dass das
vielfache Wandern und Umherziehen der Arbeiter stets einen gewissen Teil
derselben verhindert, sich an einer Lohnbewegung zu beteiligen und sie
damit den sesshaften Unternehmern gegenüber in Nachteil setzt; bei den
Arbeiterkategorien, die überhaupt ihrem Berufe nach mobilisiert sind, wie
Sachsengänger und Seeleute, steigert sich der Nachteil der Unstetigkeit
oft bis zur Rechtlosigkeit, weil sie etwa bei Entschädigungsprozessen
gegen den Unternehmer ihre Zeugen gar nicht mehr zusammenbringen und
während des langwierigen Gerichtsverfahrens zusammenhalten können.
Es scheint überhaupt, als ob, je näher der Gegenwart, um so
günstiger die Position des Sesshaften gegenüber dem auf Bewegung
angewiesenen Gegner sei.
Und dies ist durch die Erleichterung der Ortsveränderung begreiflich.
Denn diese bewirkt, dass auch der prinzipiell Sesshafte doch jederzeit
sich überallhin begeben kann, so dass er neben seiner Sesshaftigkeit mehr
und mehr noch alle Vorteile der Mobilität geniesst, während dem
Unsteten, prinzipiell Beweglichen nicht im gleichen Masse die Vorteile der
Sesshaftigkeit zugewachsen sind.
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