Georg Simmel: Böcklins Landschaften
ex: Die Zukunft. hrsg. von
Maximilian Harden 12. Band 1885, Nr. 47 vom 10. 8., S. 272-277).
"Um sie kein Ort,
noch wen'ger eine Zeit."
Der Reiz der
Sommermittagsstunde liegt darin, dass das Schlafen und Unbewegtsein um uns
herum auch uns selbst einwiegt und ruht; es ist die Natur in uns, die das
Schicksal alles Natürlichen zu dieser Stunde miterlebt, miterruht.
Und nun zugleich doch die
Empfindung des eigenen Lebendigseins, des schlagenden, fühlenden, auf und
ab schwingenden Herzens über all dieser Ruhe der Natur. Der große Pan
schläft, und so schlafen auch wir, mit und in ihm, - und doch sind wir
ein Genießendes, ein Subjekt gegenüber all diesem Objektiven.
Das ist die Stimmung, die
wir aus Böcklins Landschaften schöpfen. Indem sie die Seele in innigste
Verwandtschaft mit diesem natürlichen Sein, mit Pflanzen und Tieren, mit
Erde und Licht einweben, entfesseln sie sie doch ihm gegenüber zum Gefühl
der Persönlichkeit mit all ihrer Seele und ihrer Freiheit, von der jene
bloss angeschaute Welt nichts weiß, zu dem lebendigen, pochenden ich, das
in seiner Einheit alles Das einschlürft, was die Natur im bloßen
Nebeneinander ausbreitet, und so seinen geheimen Gegensatz an der Natur
findet, mit der es noch soeben zu verschmelzen schien.
Nicht soeben; zugleich ist
Beides, und in dieser Spannung, in dieser Oszillierung, in diesem
Ineinander von Bindung und Befreiung gegenüber der Natur im Raume erzeugt
sich der Gefühlston seiner Landschaften. Es ist, als hätte sich mit
ihnen ein Stück jener ursprünglichen Einheit der Dinge in die
Erscheinung hinein gerettet, aus der sich der bewusste Geist und die
unbewusste Natur erst, nach entgegengesetzten Seiten hin, entwickelt
haben, und als bemühte sich die Seele, zwischen beiden Polen hin und her
bewegt, sie wieder zu der verlorenen Einheit zusammenzuknüpfen.
Spinoza verlangt von dem
Philosophen, dass er die Dinge sub specie aeternitatis betrachte. Das heißt:
rein nach ihrer inneren Notwendigkeit und Bedeutsamkeit, losgebunden von
der Zufälligkeit ihres Hier und jetzt.
Wenn man eine Leistung des
Gefühles mit den selben Worten deuten darf wie die des Verstandes, so
wirken Böcklins Bilder, als ob wir ihren Inhalt, in die Sphäre solcher
Zeitlosigkeit versetzt, anschauten; als ob der reine, ideelle Gehalt der
Dinge, gelöst von jeder historischen Augenblicklichkeit, jeder Beziehung
auf ein Vorher und Nachher, vor uns stände.
Alles ist wie in den
Augenblicken des Sommermittags, wo die Natur den Atem anhält, wo der
Zeitverlauf gerinnt.
Es ist nicht die Ewigkeit
im Sinne einer unermesslichen Dauer, also nicht Ewigkeit im religiösen
Sinne, in deren Sphäre wir uns hier fühlen; sondern einfach das Aufhören
der zeitlichen Beziehungen, wie wir ein Naturgesetz ewig nennen, nicht,
weil es schon so lange besteht, sondern weil seine Geltung mit der Frage
des Früher oder Später überhaupt nichts zu tun hat; eine Unberührtheit
durch Vergangenheit und Zukunft ist die Zeitlosigkeit, in die uns Böcklin
trägt, - die Selbe, mit der wir den Eindruck süditalienischer
Landschaften manchmal deuten können und die dort wohl aus der Geringfügigkeit
der Temperatur- und Vegetationsunterschiede des Jahres entsteht.
Mit der deutschen
Landschaft schwebt, als Reiz, Verlangen, Erinnerung, ihr Gegenbild mit,
der Sommer mit dem Winter, der Herbst mit dem Frühling, sie wird als ein
Moment einer Reihe unabänderlicher Veränderungen empfunden.
Böcklins Bäume machen
nicht den Eindruck von solchen, die zu anderer Jahreszeit weniger oder
mehr Laub haben, die ergrünen oder abblättern; der Moment, in dem er sie
darstellt, mag es ihr erstes Knospen, ihre Mittagshöhe oder ihr
herbstliches Vergehen sein, ist ihre Ewigkeit.
Die Ruinen, die er malt,
erinnern nie an Das, was sie vor ihrem Zusammenbruch und ihrer
Verwitterung waren.
Sint ut sunt aut non sint.
In der Unwirklichkeit
seiner Fabelwesen kommt diese Überzeitlichkeit seiner Anschauungen,
dieser Gegensatz zu Allem, was man im weitesten Sinne historisch nennen könnte,
nur zum schnellsten Ausdruck.
Wenn es dennoch irgend eine
zeitartige Bestimmung für ihn geben soll, so ist es: Jugend. Denn unter
allen Lebensaltern nähert sich die Jugend in ihrem Empfinden am Meisten
der Zeitlosigkeit, weil sie die Bedeutung der Zeit noch nicht kennt, weil
sie mit dieser als mit einer Macht und einer Grenze noch nicht rechnet.
Darum ist die Jugend so
eminent unhistorisch; sie misst die Dinge am Unendlichen, gelöst von den
einschränkenden Bedingungen zeitlicher Wirklichkeit; sie allein kennt
jene schwellenden, übergreifenden Tage, in denen man alle Vergangenheit
noch zu erhoffen, allen Zukunftsglückes sich schon zu erinnern glaubt:
Das ist die Stimmung böcklinischer
Landschaft.
Man könnte neben der
Unzeitlichkeit sogar von einer Unräumlichkeit seiner Landschaft sprechen.
Sonst erscheint in
Landschaften der Raum als die zusammenhaltende Form des Ganzen, als das
Schema, das allen Inhalt in sich zwingt und nach sich bestimmt; der
entschieden gegliederte Raum, die Raumgestalt würde bleiben, auch wenn
der ganze stoffliche, farbige Inhalt verschwinde, und große Landschafter
haben gerade diesen logischen Zwang des Raumes, diese Selbständigkeit
seiner Gestaltung zu betontem Ausdruck gebracht und von ihm als
festgehaltenem Interessenzentrum aus das Ganze der Landschaft aufgebaut.
Diese Gewalt der räumlichen
Form über den Inhalt des Landschaftsbildes ist bei Böcklin völlig
verschwunden.
In dem Empfindungskomplex,
den seine Landschaften auslösen, spielt das räumliche Schema keine
dynamische Rolle.
Kant sagt einmal, der Raum
wäre nichts als die Möglichkeit des Nebeneinanderseins der Dinge. So
erscheint er bei Böcklin, im Gegensatz zu den "klassischen,^"
Landschaften: die bloss äußerliche Art, wie die Dinge neben einander
stehen, das an sich nichtige Medium und die bloße »Möglichkeit«,
innerhalb deren sie ihre inneren, wesentlichen Beziehungen zu
anschaulichem Ausdruck bringen können.
Wie unsere Gefühle, Liebe
und Hass, Freude und Schmerz, zwar innerhalb des Raumes sich abspielen,
als seelische, intensive Vorgänge aber nichts vom Raume wissen, auf den
sie erst sozusagen nachträglich bezogen werden, so stehen Böcklins
Landschaften in ihrem Stimmungseffekt, ihrem wirkenden Wesen, jenseits der
drei Dimensionen des Raumes, wie sie jenseits der einen Dimension der Zeit
stehen.
Diese Entrücktheit aus
allen bloßen Relationen, allem Bedingten, aller Bindung und Begrenzung
durch ein Außerhalb, trägt das Gefühl von Freiheit, das wir seinen
Bildern gegenüber genießen, das Auftauchen, Aufatmen, Abschütteln alles
Druckes, mit dem die Bedingtheiten und Rücksichten, die Nah- und
Fernwirkungen des Lebens uns niederhalten.
Gewiss ist diese lösende,
erlösende Wirkung nicht ihm allein, sondern jeder höheren Kunst überhaupt
eigen. Allein ich glaube nicht, dass man sie einem anderen Landschafter
gegenüber in dieser Stärke und Reinheit empfindet.
Wer ein Kunstwerk aus
Menschen bildet, entfernt sich, mehr oder weniger bewusst, von der
Unmittelbarkeit, dem Wechsel, der Zufälligkeit des einzelnen gegebenen
Momentes; auch dem sogenannten Realisten gegenüber empfinden wir, dass er
uns von der gemeinen Realität des Menschen entfernt, - man wüsste sonst
nicht, welches Interesse diese Noch-Einmal-Wirklichkeit auf der Leinwand hätte,
da wir doch an der einen schon reichlich genug haben.
Der Prozess der Erhebung,
der Katharsis, der Abstraktion, wirkt beim Menschenbildnis mit großer
Sicherheit und Deutlichkeit, weil wir hier Dasjenige gut kennen, über das
es sich eben erhebt, von dem es uns erlöst.
Wir wissen zu genau die Äußerlichkeit,
Vergänglichkeit, Unentwickeltheit der menschlichen Wirklichkeit, um nicht
ihre Idealisierung - wenn ich der Kürze halber das fragwürdige Wort
brauchen darf - als Befreiung und erlösenden Aufschwung zu empfinden.
Dieses Bedürfnis, das zur
künstlerischen Darstellung des Menschlichen treibt, ist der
untermenschlichen Natur gegenüber im Allgemeinen nicht vorhanden.
Sie, von der wir nicht eben
so viel verlangen wie vom Menschen, bleibt auch nicht so weit dahinter zurück;
weil wir nicht ihre Sprache sprechen und sie nicht zu deuten wissen, wie
den Menschen, erscheint sie uns auch nicht so der Idealisierung fähig,
nicht so bedürftig der Erlösung durch die Kunst wie jener.
Die Landschaft enthält
vielmehr schon in ihrer unmittelbaren Wirklichkeit ein der Kunst
verwandtes Element von Selbstgenügsamkeit und Unberührtheit, durch das
sie uns innerlich befreit, unsere Spannungen löst, uns über die
Befangenheit im momentanen Schicksal hinaus erweitert, - wie denn das
Naturwesen in viel höherem Maße als der Mensch schon an und für sich
ein Typus seiner Art ist.
So verlangt es uns der
Landschaft gegenüber weniger nach künstlerischer Darstellung, und wo
diese geleistet wird, hebt und befreit sie uns nicht in dein Maße, wie es
die Darstellung des Menschen vermöge der ungeheuren Distanz tut, die
zwischen ihrer Höhe und der Wirklichkeit des Lebens liegt.
Weil Das Böcklin dennoch
gelingt - wir treten mit ihm in eine freie, erlösende Luft, eine
reinlichste Zelle, fühlen uns mit sicherem Schwunge über die dumpfe
Wirklichkeit der Dinge hochgetragen -, hat er mit der Landschaft jene
psychologische Wirkung erreicht, die sonst nur dem Bildnis menschlichen
Seins zukam.
Freilich, auch Poussin und
Claude Lorrain haben an der Landschaft den Abstraktion- und
Idealisierungsprozess vorgenommen, der gleichsam ihren Ideengehalt rein
zum Ausdruck bringt und von der Einzelnheit und Greifbarkeit des
Wirklichen sich bewusst abwendet.
Allein sie haben diesen
Gewinn mit dem Verlust jeglicher Intimität ihrer Landschaften bezahlt.
Sie heben uns allerdings über
die Wirklichkeit hinaus, aber in den luftleeren Raum, während Böcklin
uns in die Tiefen unseres innersten Herzens erhebt.
Die Erlösung und Befreiung
von der Enge und Dumpfheit der Wirklichkeit hat erst in seinen
Landschaften eigentlichen Gefühlswert erworben.
Hätte das Prisma Sehkraft,
so würde ihm das weiße Licht versagt sein, das es vielmehr nur in seinen
gesonderten Bestandteilen aufnehmen könnte; die innere Einheit, in der
diese für eine andere Anschauungsweise existieren, könnte es nur ahnen,
aber für die Erkenntnis wäre es ewig auf die nachträgliche Kombination
der Elemente angewiesen, in die es, seiner Konstitution folgend, jene
Einheit erst zerlegt hat.
Das ist das Los unseres
geistigen Auges, und nicht einmal dem menschlichen Tun und dem eigenen Gemüte,
den Eindrücken und Empfindungen gegenüber ist ihm ein Verständnis
anders gewährt, als dass es sie gemischt aus mehreren Gefühlselementen
begriffe, während wir doch von ihrer Einheitlichkeit innerlichst
durchdrungen sind.
Mit widerspruchsvollen,
eigentlich einander ausschließenden Eigenschaften beschreiben wir, was
wir doch als unmittelbar Eines, als gegenseitiges Durchdringen jener
Elemente fühlen, und wenn der tiefsinnige mittelalterliche Philosoph die
höchste göttliche Einheit als die coincidentia oppositorum
ansprach, als Das, worin alle Gegensätze der Dinge sich treffen und
einen, so wird man auch die Einheit des Menschenwerkes und seiner Wirkung
oft nicht anders ausdrücken können, als dass man sich wiedersprechende
Elemente in ihr begegnen lässt.
Ich wüsste die in sich völlig
einheitliche Stimmung der meisten böcklinischen Landschaften nicht anders
zu bezeichnen denn als lebensfreudige Melancholie, wie man umgekehrt die
Stimmung Chopins als melancholische Lebensfreude charakterisieren könnte.
Uns modernen Menschen,
deren Leben, Empfinden, Wertschätzen, Wollen in unzählige Gegensätze
auseinandergegangen ist, die beständig zwischen einem Ja oder Nein, einem
Ja und Nein stehen und ihr Innenleben eben so wie die Welt außer sich in
scharf differenzierte Kategorien fassen: uns erscheint es als ein
Wesentliches jeder großen Kunst, dass sie Gegensätze vereine, unberührt
von der Notwendigkeit eines Entweder-Oder.
So sehen wir in der Praxis
der Gegenwart in der Regel jeden Menschen darauf an, ob er klug oder dumm
ist.
Der Intellekt ist eine
Kategorie, auf die hin wir jeden prüfen, ob sie ihn ein- oder ausschließt,
und auch in dem Eindruck, den die künstlerische Darstellung eines
modernen Menschen auf uns macht, wirkt die Erscheinung seiner
Intellektualität bestimmend mit.
Dagegen stehen etwa die
Gestalten der griechischen Plastik jenseits dieses Gegensatzes; wir machen
uns nicht klar, ob sie klug oder dumm sind, wir finden sie hierin dem Ja
und dem Nein gleichmäßig, ich möchte sagen gleichgültig gegenüber.
So entziehen sich viele
weibliche Aktfiguren der Antike der Kategorie Mädchen oder Frau, - sie
sind unberührt durch diesen Gegensatz, in den das moderne Empfinden jede
weibliche Gestalt zuvörderst stellt.
So stehen die weiblichen
Figuren Michelangelos gewissermaßen jenseits von Männlich und Weiblich,
sie stellen eine bloße Menschlichkeit dar, die in die Differenzierung der
Geschlechter noch nicht eingetaucht ist oder sich über sie hinausgerungen
hat.
Böcklins Kunst zeigt ein
neues jenseits: von Wahr und Unwahr.
Die Frage, mit der wir
sonst an jede Darstellung von Objektivem herantreten: deckt sie sich mit
der Wirklichkeit oder nicht? verstummt ihm gegenüber.
Nicht eine bewusste Abkehr
von der Wahrheit wirkt in ihm, keine Flucht vor der gemeinen Wirklichkeit
der Dinge; der Reiz solchen Verhaltens, der Opposition gegen das Reale,
sei nicht geleugnet, und Schiller hat mit seiner Verherrlichung Dessen,
was sich nie und nimmer hat begeben, diesem scheuen Idealismus, der nur
von der Wirklichkeit wegsehen, der wissend nicht wissen will, sein Denkmal
gesetzt.
Allein diese Verneinung des
Wirklichen ist immerhin ein positives Verhältnis zu ihm, ebenso wie es
der Realismus hat, nur mit umgekehrtem Vorzeichen.
Böcklin gegenüber aber
ist die Alternative: realistisch oder nicht realistisch? überhaupt falsch
gestellt.
Auf die Frage, ob sie nur
in einem Geiste leben oder ein Gegenbild in der Wirklichkeit haben,
antworten seine Werke so wenig, wie wenn man den Ton fragen wollte, ob er
schwarz oder weiß ist. Unzählige von den Farben, Formen, Wesen, die Böcklin
uns zeigt, hat es sicher niemals gegeben und keine innere Wiedergeburt
anschaulicher Erfahrungen trägt ihre Bedeutung für unser Empfinden.
Es gehört zu der inneren
Geschlossenheit, dem völligen Verzicht auf ein Hinausweisen des Gefühles
über sich weg, dass seine Landschaften mehr als alle anderen, von denen
ich weiß, Einsamkeiten sind.
Auch hier nicht das
bewusste, als Absicht hervortretende Abweisen des Draussenliegenden, das
doch immer eine Rücksicht darauf, wenn auch eine verneinende ist.
Dass diese Wiesen und
Schluchten, diese Wälder und Gestade von anderen Menschen belebt wären,
als er etwa selbst hineinsetzt, kommt gar nicht in Frage; jede liegt in
einer Dimension für sich, in die man also überhaupt aus anderen
Dimensionen nicht gelangen kann, wie weit man auch in diesen wandere.
Ihre Einsamkeit ist nicht,
wie bei anderen Landschaften, ein zufälliges Sosein, das zufällig auch
einmal anders sein könnte, sondern eine innere, wesentliche, unlösbar
mit ihnen verknüpfte Eigenschaft.
Sie sind wie jene Menschen,
deren unwandelbares, ihrer Natur eingeprägtes Schicksal es ist, »einsam«
zu sein.
Die Einsamkeit verliert
hier ihren bloss negativen, ausschließenden Charakter; sie ist eine aus
sich selbst erkennbare Tönung dieser Landschaften, auf die wir nur, weil
uns ein unmittelbar verständlicher Ausdruck dafür fehlt, mit dem
Verneinungsworte Einsamkeit hinweisen können.
In dieser
Selbstgenugsamkeit seiner Kunst liegt vielleicht der Grund, weshalb wir
die Wunderlichkeiten und zeichnerischen Unvollkommenheiten seiner Figuren
weniger peinlich empfinden, als wir es irgend einem Anderen gegenüber täten.
Sie sind eben "sich
selbst ein Gesetz".
Seine Welt hält Alles, was
außerhalb ihres Rahmens liegt, in solcher Distanz, dass man sie und
dieses Andere gleichsam nicht in einen Blick einfassen kann und so die
Kontrolle des Einen am Anderen weniger selbstverständlich als sonst
vollzieht.
In dieser - wenigstens für
das unmittelbare Gefühl - völligen Aufhebung aller Bezugnahme auf alles
Draußen berührt sich die böcklinische Kunst mit der Musik.
Auch sie hat zwar sicher,
wie jene, die Wurzeln ihrer Kraft in greifbaren Wirklichkeiten und den
unmittelbaren Empfindungen, die sich an diese knüpfen; aber wie jene hat
auch sie die Bezugnahme darauf völlig gelöst und schwebt nun in einer
Gefühlshöhe, die durch keine begreifbare Vermittelung mehr mit den
Wahrnehmungs- und Empfindungstatsachen verbunden ist, deren feinste
Sublimierung sie schließlich doch nur darstellt.
Niemand kann die Wege mehr
nachzeichnen, auf denen unser Gefühlsvermögen von der primitiven
Sinnlichkeit und Niedrigkeit seiner Erregungsgründe zu dem Genuss der höchstentwickelten
Musik aufgestiegen ist, der scheinbar jeden Verbindungsfaden mit der
sinnlichen Wirklichkeit des Lebens abgeschnitten hat.
Als ein so ungeheures
Geheimnis steht dieses abgelöste Für-sich-sein der Musik da, dass man es
begreift, wie Schopenhauer sie völlig aus der Reihe des Erklärbaren, ja,
der Künste überhaupt herausnehmen und sie zum unmittelbaren Spiegel und
Ausdruck des metaphysischen Wesens der Welt machen konnte.
Vielleicht hat niemals eine
andere Kunst vor Böcklin so nahe an dieses rätselhafte Wesen der Musik
herangereicht, das sie, wie Schopenhauer sagt, als ein so ganz vertrautes
und doch ewig fremdes Paradies an uns vorüberziehen lässt.
Niemals vielleicht außer
in der Musik hat die Stimmung so sehr ihre Materie verzehrt.
Wo sonst ein Gefühl von
anschaulichen Gebilden getragen wird, da sind diese doch noch Etwas für
sich, sie haben noch eine greifbare Existenz und Sinn jenseits der
Stimmung, die uns aus ihnen entgegenkommt.
Nur für die Musik ist
diese Selbständigkeit des Stoffes verschwunden; hier drückt er nichts
mehr aus, was noch von ihm trennbar wäre, neben dem er eine Existenz,
wenn auch nur als Erdenrest, führte.
Diese Zweiheit hat die
Musik überwunden, sie ist nicht mehr ein Ausdrückendes und ein Ausgedrücktes,
sondern sie ist ganz und gar nur Ausdruck, nur Sinn, nur Stimmung.
Und so wenig man sie
deshalb, in dem Sinn anderer Künste, nach ihrer Wahrheit fragen kann, so
wenig kann an Böcklins Landschaften diese Frage gestellt werden.
Denn diese Quellen und
Felsen, diese Haine und Wiesen, ja, diese Tiere und Halbtiere und Menschen
haben kein Sein, keine Wirklichkeit weiter, außer als Träger einer
Stimmung, sie sind völlig in diese eingegangen, wie der Brennstoff in die
Flamme, und neben ihr haben sie nichts, was an einer Wirklichkeit außer
ihr messbar wäre.
So leben sie, wie in uns
das Bild eines geliebten, lange dahingegangenen Menschen, das längst
jeden Schatten einer Wirklichkeit abgestreift hat und restlos in dem Gefühl
aufgeht, mit dem es uns erfüllt. |