Georg Simmel:
Der Militarismus und die Stellung der Frauen
ex: Vossische Zeitung (Berlin), Sonntagsbeilagen Nr. 42-43 vom 21. und 28. 10. 1894
Aristoteles macht
gelegentlich die Bemerkung, dass sehr kriegerische Völker in ihren häuslichen
Verhältnissen eine Herrschaft der Frauen aufzuweisen pflegen.
In direktem Gegensatz dazu
hat Herbert Spencer behauptet, das Vorwiegen des kriegerischen Interesses
in einer Gruppe sei in de Regel mit einer niedrigen Stellung der Frauen
verbunden.
Die Sozialwissenschaft hat
auch an diesem Punkte das Schicksal, das sie noch an so vielen anderen mit
der Philosophie teilt: dass die entgegengesetztesten Behauptungen in ihr
den gleichen Schein wissenschaftlicher Beweiskraft gewinnen.
So wenig kennen wir noch
die einzelnen Faktoren einer sozialen Erscheinung, dass es tatsächlich
oft scheint, als brächten die gleichen Umstände einmal den einen, ein
anderesmal den grade entgegengesetzten Vorgang zuwege - denn neben den
bekannten wirken stets eine Fülle noch unbekannter Faktoren, die das
Resultat jener bald in die eine, bald in die andere Richtung umbiegen.
Darum dürfen wir uns
sobald keine Hoffnung auf die Entdeckung wirklicher »Gesetze« des
sozialen Lebens machen, sondern müssen uns mit den Regelmässigkeiten
begnügen, die die Erscheinungen hier und da darbieten, willig, auch den
entgegengesetzten Verlauf als Tatsache anzuerkennen, bis eine genauere
Kenntnis uns einmal die jetzt verborgenen Kräfte zeigt, deren Mitwirkung
aus den als gleich erscheinenden Ursachen so entgegengesetzte Folgen
hervortrieb.
In dem Verhältnis, über
das Aristoteles und Spencer verschiedener Ansicht sind, scheint mir indes
Spencer das Recht fast durchgehende auf seiner Seite zu haben.
Ich lege hier die
historischen und psychologischen Gründe vor, wie sie sich mir für die
Annahme ergeben haben, dass das Übergewicht kriegerischen Interesses in
einer sozialen Gruppe die Stellung der Frauen in dieser Gruppe herabdrückt.
Der Zusammenhang beider
Momente liegt zunächst da auf der Hand, wo das kriegerische Wesen eines
Stammes zum Frauenraub führte.
Während der besiegte Feind
niedergeschlagen wird, wird sein Weib als Sklavin, jedenfalls als unbeschränktes
Besitztum weggeschleppt.
In allen primitiven
Kulturen finden wir den Gewinn von Weibern als die hauptsächlichste
Kriegsbeute.
Damit rücken sie von
vornherein unter den Gesichtspunkt einer blossen Sache, eines Wesens ohne
eigenen Willen.
Und wie die Gesamtmenge
gleichartiger Waren auf den billigsten Preis zu sinken strebt, zu dem
irgend ein Quantum von ihnen angeboten wird, so pflegt in einer Gruppe
bald diejenige Schätzung einer bestimmten Abteilung zu gelten, die den
niedrigst geschätzten Individuen derselben zukommt.
So muss unvermeidlich die
Anwesenheit im Kriege gewonnener und also rechtloser Frauen die
Gesamtstellung der Frauen im Stamme verschlechtern.
Bei den wilden
australischen Stämmen wird die Frau in der gewaltsamsten Weise aus einem
fremden Dorfe geraubt, und jeder Raub ruft einen Krieg unter den Männern
hervor, dessen hauptsächlichste Beute wieder Weiber sind - und bei diesen
werden nun auch die Frauen am entsetzlichsten behandelt.
Von den arischen Stämmen
ist der Frauenraub am vollständigsten bei den Slaven ausgebildet und in
Symbolen erhalten und diese gehen auch mit ihren Frauen schlechter als
alle anderen Arier um.
Im Verhältnis der
Ausbildung und Stärkung des kriegerischen Charakters des Stammes wächst
nun die Häufigkeit des Gewinnes an Frauen, so dass Vielweiberei oft das
Ergebnis erfolgreichen Kriegertums ist.
Dieser aber gehe überall
die Versklavung des Weibes zur Seite, bei niedrigen Völkern im rohesten
Sinne des Wortes, bei höheren wenigstens in geistiger und sittlicher
Hinsicht.
Wenn es überall die
relative Seltenheit eines begehrten Objektes ist, die ihm seine Schätzung
verschafft, so muss offenbar die Schätzung und damit die Behandlung der
Frauen sinken, sobald sie jedem Manne in prinzipiell unbeschränkter Zahl
zur Verfügung stehen.
Die Polygamie unterdrückt
jene Ausbildung der Individualität, deren Entwicklung eine der
wichtigsten Folgen der Einehe ist, sie hält die Frau im Gattungstypus
fest; die Frau ist eben nur eine unter vielen und weiss dem Manne nur das
zu bieten, was allen Frauen gemeinsam ist, d. h. die äusserlichen Reize.
Dieses Niederhalten der
geistigen Individualität, das der Vielweiberei unvermeidlich ist, enthält
der Frau die stärkste Waffe vor, durch die sie eine höhere Stellung dem
Manne gegenüber zu erobern vermag.
Und weiterhin gewinnen in
kriegerischen Stämmen, in denen die Männer sehr oft dezimiert werden,
diese einen erheblichen Seltenheitswert gegenüber den um ebenso viel
entwerteten Frauen.
In der Achaloase im
Turkmenenlande schwankte vor der russischen Eroberung der Preis einer Frau
zwischen 1200 und 2000 Fr.; seit dem Blutbad von Gök-Tepe sind aber die
Frauen zahlreicher geworden als die Männer, und der Preis ist seitdem
erheblich gesunken.
Aus Lohnverhältnissen wird
manchmal mitgeteilt, dass die Löhne der weiblichen Arbeiter sich in
umgekehrter Proportion zu denen der männlichen bewegen; je mehr für die
Männer aufgewendet würde, desto weniger für die Frauen.
Und dies gilt offenbar
nicht nur für den Aufwand von Geldlohn, sondern von jeglichem Wert; je höher
die soziale Wertung der Männer als solcher steigt, desto tiefer sinkt die
der Frauen.
Tiefer noch greift der
Gesichtspunkt, dass militärische Tendenzen eine straffe Zentralisierung
der Gewalt, eine strenge Unterordnung und Gehorsam fordern; und dieselbe
zeigt sich nun innerhalb des einzelnen Hausstandes, auf Grund jener die
ganze Sozialgeschichte durchziehenden Analogie zwischen der Form, die die
Gruppe als Ganzes hat, mit derjenigen, die jedes ihrer Elemente in sich
aufweist.
Allenthalben bemerken wir,
dass die Verfassung des politischen Ganzen sich an den engeren Verbänden
innerhalb seiner, insbesondere an den Familien wiederholt; die strenge,
oft grausame Disziplin der kriegerischen Verfassung überträgt der
Krieger fast unvermeidlich auf die von ihm abhängigen Verhältnisse, und
zwar vornehmlich in niedrigen Kulturen, wo so zu sagen in den Seelen noch
keine innere Arbeitstellung herrscht, und eine Lebensform, die ihnen von
einer Seite her aufgezwungen wird, sich wie durch Übertragung durch ein
widerstandsloses Medium hin auch auf alle übrigen Lebensinhalte fortsetzt
und sie nach sich bestimmt.
Die fraglose Beugung des
Individuums unter eine Zentralgewalt, wie die militärische Organisation
sie fordert, spiegelt sich in den Verhältnissen des Hauses und lässt es
oft zu keiner Selbständigkeit der Mitglieder desselben gegenüber dem
Gebieter kommen.
Freilich bietet sich gerade
an diesem Punkt eine entgegengesetzte Erscheinung dar.
Bei den kriegerischen
Germanen der Römerzeit nahmen die Frauen eine sehr hohe Stellung ein und
bewahrten diese noch in den wüsten Kriegszeiten der Völkerwanderung;
dies geht z. B. aus der Tatsache hervor, dass bei der Trennung der Ost-
und Westgoten, die Theoderich in dem Verbindungsland an der Rhone hatte
zur Verschmelzung bringen wollen, es jedem, der ein Weib aus dem andern
Stamme genommen hatte, frei stand, für den eigenen Stamm oder für den
seiner Frau zu optieren.
Allein dies erklärt sich
daraus, dass gerade bei den Germanen der kriegerische Charakter nicht wie
bei andern Völkern zur Zentralisierung und Unterdrückung des Individuums
geführt hatte.
Dieser Umstand verschuldete
es ja, dass die Germanen trotz grosser persönlicher Tapferkeit und
schneller kriegerischer Erfolge dennoch nicht zu einer dauernden Festigung
dieser letzteren gelangten.
Ihre kleinsten Gruppen wie
ihre Einzelpersonen hielten so kräftig an der Besonderheit ihres Wesens
und ihrer Tendenzen, an der Freiheit ihrer Bewegungen fest, dass es zu
jener militärischen Zucht des Volksgeistes überhaupt nicht kam, die der
Freiheit und der Stellung der Frauen gefährlich wird; so dass die
scheinbare Ausnahme hier die Regel direkt bestätigt.
Aber nicht nur vermöge
jener eigenartigen Analogiebildung des Gruppenlebens führt die das
Individuum vergewaltigende Disziplinierung des Kriegslebens zu der Unterdrückung
der Frauen; sie tut es auch auf dem Wege, dass sich die Herrschsucht der Männer,
der Trieb, zügellos der Laune zu folgen, an dem schwächeren Geschlecht
schadlos hält, da er im politisch-kriegerischen Leben unbedingt unterdrückt
werden muss.
Noch in allen höheren
Kulturen pflegt die Behandlung der Frauen und Kinder seitens der Männer
eine um so schlechtere zu sein, je mehr diese letzteren politisch rechtlos
sind, z. B. in Russland, wo der staatlich-persönliche Despotismus von
oben her auch das Hauswesen sich anähnlicht, und wo das erst kürzlich
offiziell verlassene System der Körperstrafen im Volksleben noch so fest
wurzelt, dass kein Bauer oder Kleinkaufmann die Seinigen anders als mit
der Peitsche glaubt regieren zu können.
Ja, die ausserordentliche
Milde auch der modernen Gesetzgebungen gegenüber Misshandlungen von Frau
und Kindern erscheint geradezu als ein Ausweg, den die herrschende
gesetzgebende Minorität wie absichtlich der unterdrückten Majorität
gelassen habe, als hätte man der letzteren hier ein Feld angewiesen, wo
der Wille zur Macht sich betätigen kann, um ihn auf anderen Gebieten um
so sicherer zu unterdrücken.
Und wer weiss, ob nicht die
magische Anziehungskraft, das oft unbegreifliche Verfügenkönnen, das
noch heute wenigstens in manchen Ländern die Prärogative des Militärs
gegenüber dem weiblichen Geschlecht ist - wer weiss, ob dies nicht ein
Rudiment jener alten Zustände ist, in denen das Kriegertum zuerst die
Selbstständigkeit der Frauen gebrochen hat, ein Unterwürfigkeitsinstinkt,
der durch die lange Verbindung von Militarismus und Unterworfenheit der
Frauen gezüchtet worden ist?
Endlich aber, im Hinblick
auf die gesamte Weltanschauung, muss die Konzentrierung aller Interessen
auf den Krieg und das, was zu ihm gehört, von vornherein die Frauen als
das unnutzere, untergeordnete Geschlecht erscheinen lassen; wo die
kriegerische Tüchtigkeit zum Massstab aller Werte wird, finden auf der
Skala derselben die Frauen im ganzen nur den untersten Platz.
Auf den Fidschi-Inseln
werden die neugeborenen Mädchen oft umgebracht, und zwar mit der ausdrücklichen
Begründung, dass sie für den Krieg unnütz seien.
Trotz der erträglichen
Stellung, die die germanischen Frauen, wie schon erwähnt, seit den frühesten
Zeiten hatten, erscheinen sie doch im deutschen Recht stets als Wesen, die
ihre Rechte nicht selbst wahrnehmen können, sondern dazu eines Vormundes
bedürfen.
Denn auch um die bürgerlichen
Rechte auszuüben, war ein Arm erforderlich, der das Schwert führt; jede
Aussage vor Gericht konnte zu einem Zweikampf als Gottesurteil führen.
Wie tief die Waffenunfähigkeit
der Frauen in die Schätzung des Geschlechtes eingreifen musste, lässt
sich aus einem Vorgang sogar noch der späteren Zeit schliessen.
In der Epoche der Feudalität
verloren die Bauern das alte Waffenrecht der Vollfreien, und gerade
daraufhin konnte sich über sie ein Stand der Ritter als ein besonderer,
vornehmerer erheben und jene in immer tiefere allgemeine Rechtlosigkeit
herabdrücken.
Die Unterschiede des
Waffenrechtes waren eben nach germanischer Anschauung zugleich
Standesunterschiede.
Dies setzt sich weiter in
der Tatsache fort, dass in den Ständen, welche nun besonders zur Kriegsführung
designiert wurden, die Stellung der Frauen eine besonders niedere war.
Das Recht der Töchter war
bei den deutschen Edelleuten ein viel schlechteres als bei den Bürgern,
Bauern, Hintersassen; so schloss das Lehensrecht des frühen Mittelalters
die Frauen von der Erbschaft aus, während das Landrecht sie zuliess.
Im ganzen gewann die
Scheidung der Stände, die mit der Zerstörung der germanischen
Vollfreiheit Hand in Hand ging, allenthalben einen starken, den Frauen ungünstigen
Einfluss auf das Ehe- und Erbrecht; allein dieser beschränkte sich allmählich
auf den Adel - den kriegführenden Stand! - und verlor sich zuerst im
13.Jahrhundert, im Rechte der Städte, die die Mittelpunkte friedlicher
Interessen waren und nun auch zuerst das gleiche Erbrecht für beide
Geschlechter eintreten liessen.
Und es ist bezeichnend,
dass, wenn das deutsche Mittelalter die Frau auch als eine dauernd Unmündige
behandelte, sie dennoch in einem Punkt überall die völlige
Gleichberechtigung besitzt: als Handeltreibende, als Kauffrau - und zwar
selbst wenn sie verheiratet ist.
Bei den Karolingern ist die
Königin in Wirtschaftsangelegenheiten eine amtliche Person, neben dem König
die offizielle höchste Instanz für Domanialangelegenheiten.
Auf dem Gebiet also, das
die kriegerischen Interessen mehr und mehr abzulösen bestimmt war, erhebt
sich die Frau zuerst zu individueller Freiheit.
Gerade derartige
Entwickelungen, wo innerhalb einer Gruppe sogar die Wandlungen des
kriegerischen Interesses Hand in Hand gehen mit Wandlungen in der Stellung
der Frauen - gerade solche sind für den unsachlichen Zusammenhang beider
Sozialelemente besonders beweisend, und wir begegnen ihnen an den
verschiedensten Punkten der Welt.
Das brahmanische Recht geht
jedenfalls in Grundzügen auf die Zustände zurück, die sich bald nach
der arischen Eroberung Indiens bildeten; die Einteilung der Kasten weist
auf den herrischen Hochmut kriegerischer Eroberer hin.
In diesem frühen indischen
Recht nun ist die Frau völlig unselbständig, steht durchweg unter männlicher
Vormundschaft und ist überhaupt kein eigentliches Rechtssubjekt.
Darum ist - was stets das
echte Zeichen der Herabwürdigung der Frauen ist - dem Manne der Ehebruch
gestattet, während er der Frau verboten ist.
Der Mord der Frauen wird
allerdings sehr hart geahndet, aber nicht wegen besonderer Schätzung
ihrer, sondern wegen ihrer Wehrlosigkeit - nach welchem Prinzip auch der
Mord eines Kindes ebenso streng bestraft wird.
Viele Vergehen waren nur
beim Manne, nicht bei der Frau mit gesetzlicher Strafe bedroht, aber auch
dies geschah nicht aus besonderer Rücksicht auf die Frauen, sondern weil
man ihre Bestrafung dem Manne überliess.
Im allgemeinen fand
Frauenkauf statt.
Dagegen waren in der Zeit,
aus der uns Gesetze erhalten sind, die Zustände schon so weit
vorgeschritten, dass die Raubehe d. h. die gewaltsame Entführung des Mädchens
aus ihrem Hause gegen ihren und ihrer Verwandten Widerstand, verboten war.
Nur der Kriegerkaste war
sie erlaubt.
Diese also, die die
ehemalige kriegerische Verfassung des Volkes in sich repräsentierte,
hielt zugleich die Tradition des tiefsten Unterdrückungszustandes der
Frauen noch aufrecht.
Der Kriegerkaste war auch
die Gandharva genannte Ehe gestattet, die ganz formlos eingegangen und
ebenso leichtfertig wieder abgebrochen werden konnte, also gleichfalls
eine Chance der Männer auf Kosten der Frauen darstellte.
Aber die Reminiszenzen der
kriegerischen Verfassung wurden immer schwächer, das indische Leben wurde
immer stiller und kriegsfremder - wenn es einmal zum Kriege in Indien kam,
war er, in der Zeit Alexanders des Grossen, so eigentümlich
leidenschaftslos, dass zwischen den kämpfenden Heeren der Bauer ruhig
sein Feld baute.
Und in demselben Masse hob
sich die Stellung der Frauen, ihr Erbrecht besserte sich, ihre Rolle im
sozialen Leben wurde bedeutender, bis schliesslich in den buddhistischen
Gemeinden die weiblichen Laien und die Nonnen fast auf derselben Stufe
stehen wie die männlichen und die Mönche.
Buddha selbst freilich
wollte von den Frauen nichts wissen, aber nur, weil er sie als gewitzte
Versucherinnen, als Fallstricke des Bösen fürchtet, also gerade ihre
Macht anerkennt.
Tatsächlich spielten in
der Ausbreitung der Lehre Buddhas, dieser friedlichsten aller Religionen,
ebenso wie in der sittlichen Praxis derselben die Frauen eine grosse
Rolle.
Die umgekehrt gerichtete
Entwicklung ist in Arabien zu beobachten, dessen Leben durch eine ebenso
eminent kriegerische Religion umgestaltet wurde, wie das indische durch
eine eminent unkriegerische.
Vor der Einführung des
Islam nehmen die Frauen eine bedeutende Stellung in Arabien ein,
vergleichbar der bei den alten Germanen, allein mit einer besonderen Färbung
von Poesie und Ritterlichkeit.
Die Ehen wurden oft nach
individueller Neigung geschlossen - immer eines der entschiedensten
Anzeichen für eine bessere Stellung der Frauen - diese konnten ihrerseits
die Ehe lösen, hatten teilweise freie Disposition über ihr Vermögen,
und die Kinder verblieben im Geschlechte der Mutter.
Allerdings ist eine
Ausnahme da: im alten vorislamitischen Recht von Medina sind Weiber nicht
erbberechtigt; aber gerade dies bestätigt wieder die Regel, denn es wird
die ausdrückliche Begründung hinzugesetzt, dass, wer nicht am Kriege
teilnimmt und nicht Beute erwirbt, auch nicht erben solle.
Das Eindringen des Islam änderte
die Stellung der Frauen vollständig.
Er stellte den Krieg, und
zwar gerade den in der Form der blindesten Disziplin geführten, in den
Mittelpunkt aller Interessen, der Krieg erschien und erscheint teilweise
noch als die einzige soziale Pflicht des Muselmanns.
Damit war die Rolle der
Frau ausgespielt, aus dem Zentrum des sozialen Lebens rückte sie in die
Peripherie und verschwand im Harem.
Während aus den früheren
Zeiten gemeldet wird, dass der Mann vor allem eine kluge Frau suchte - ein
Symptom dafür, dass die individuelle Bedeutung der einzelnen Frau
Beachtung und Anerkennung fand - wurden und werden jetzt nur ihre Schönheit,
ihre Gelehrigkeit und die Sanftmut, richtiger die Unbedeutendheit ihres
Wesens geschätzt, man sucht an ihr nur die "negativen
Tugenden".
Der Islam verdammte jene
Eheform, die die Kinder dem Geschlechte der Mutter beliess, weil sie dem
Manne keine legitime Nachkommenschaft verschaffe - wiederum eine
charakteristische Wendung für die Vorherrschaft des männlichen Prinzips,
die derjenigen der Kriegsinteressen parallel gehen muss.
Bei den malalischen Völkern
auf Malakka und den Sundainseln sind beide Tendenzen noch nebeneinander zu
beobachten.
Wo hier die altmalalische
Familienverfassung noch besteht, finden wir überall Mutterrecht; wo
dagegen der Islam eingedrungen ist, herrscht durchgehends die
Familienordnung nach Vaterverwandtschaft, in der relativ friedlichen Oase,
zu der das mohammedanische Leben in Spanien gelangte, bemerken wir auch
sofort ein Höherkommen der Frauen, das zu dem ursprünglichen Charakter
des Islam gar nicht passte.
Unter den Omajjaden traten
Frauen auf den Gebieten der Beredsamkeit, Philosophie, Rechtskunde und
Geschichte in freien Wettbewerb mit den Männern.
Der Islam hat allerdings,
äusserlich angesehen, den Frauen gewisse Vorteile verschafft; indem er
sie von der Öffentlichkeit entfernte, hat er ihnen eine grössere
Sicherheit der materiellen Existenz gegeben, ihre Stellung vor dem Gesetz
verbessert, ja sogar die der Sklavin in legaler Hinsicht gehoben.
Allein eben damit machte er
die Frau zu einem unmündigen Wesen, für das allerdings, wie für den
Vogel im Käfig, der Herr ausreichend sorgen muss.
Gerade indem die Stellung
der Sklavinnen erhöht, und die der freien Frauen ebensoviel herabgedrückt
wurde, stellte sich jenes gleichmässige Niveau für alle Frauen als
solche her, auf dem die Frau nur als Frau überhaupt gilt, und das ihrer
Stellung am allergefährlichsten ist, weil es ihr die Möglichkeit jener
individuellen Ausbildung nimmt, die allein Symptom und Träger einer
sozialen Bedeutsamkeit ihres Geschlechts ist.
Eine ähnliche Entwicklung
ist in neuerer Zeit in Frankreich vor sich gegangen. Das Frankreich des
vorigen Jahrhunderts war, in Bürgertum und Adel, durchaus den kulturellen
Interessen ergeben, während die kriegerischen ganz in den Hintergrund
getreten waren.
Dem entsprach eine starke
Erhöhung des weiblichen Niveaus.
Frauen standen in den
vordersten Gliedern der geistigen Bewegung, die zur Revolution führte.
Allein mit grosser
Schnelligkeit sank ihre Position, als nach der Revolution die ganze
Organisation des Staates auf das Kriegsinteresse gestellt wurde.
Napoleon erklärte den Mann
für den absoluten Herrscher der Frau und verschaffte dieser Überzeugung
in der Gesetzgebung Geltung.
Mehr als ein Beobachter
berichtete von der Verschlechterung der Stellung der Frauen unter dem
Kaiserreich.
Indem Napoleon diejenige
Frau als die beste hinstellte, die dem Staate die meisten Kinder schenkte,
drückte er sie auf jenes eben charakterisierte Niveau herab, auf dem eine
Frau der andern völlig gleichwertig ist, weil eine wie die andere ein
blosses Mittel für die durch das Kriegsinteresse dirigierten Staatszwecke
ist.
Es zeigt sich gerade auch
an diesen modernen Verhältnissen, dass die Verschlechterung der Position
der Frauen durch den Militarismus keineswegs nur von psychologischen,
sondern auch von ganz äusserlichen Momenten ausgeht: die Frauen müssen für
den Verlust an Arbeitskraft eintreten, den die Dienstzeit der Männer der
Nation bereitet und dessen Ersatz auf ihre Schultern geladen wird.
Die Abiponer, südamerikanische
Indianer, pflegten bei Übersiedelungen den Frauen das gesamte Gepäck
aufzubürden, während der Mann nur die Waffen trug und zwar
ausgesprochener Massen, damit der Mann stets bereit sei, zu kämpfen und
zu jagen, falls es nötig wurde.
Die kriegerischen Chancen
legen so ganz unmittelbar die Hauptlasten auf die Schultern des Weibes.
Die entschiedenste
Entwicklung und die mannigfaltigsten Abwandlungen des behaupteten Verhältnisses
aber sind auf italienischem Boden zu beobachten.
Die altrömische Frau
genoss zwar durchaus Achtung und sogar Verehrung, wie es dem ernsten Sinn
der Römer und ihrer scharfen Erkenntnis der Wichtigkeit jedes sozialen
Elementes entsprach.
Aber ihre rechtliche
Stellung war die untergeordnetste, ihre Besitzrechte beschränkt, ihr Mann
der Herr über ihr Leben und ihren Tod.
Dies korrespondierte völlig
der kriegerischen Organisation des früheren Rom.
Es wird sogar von einigen
Seiten vermutet, dass in Rom in vorhistorischer Zeit Mutterrecht
geherrscht habe, und dass das Recht des kriegerischen Patriziers mit
seiner unumschränkten Hausherrngewalt dieses erst verdrängt, aber es bei
den Plebejern, die nicht die Träger der Kriegsinteressen waren, noch
teilweise in Kraft gelassen habe.
Für die strenge Zucht der
fortwährenden Kriegszüge, für die selbstlose und aufopfernde Hingabe an
das gemeine Wohl, die sie forderten, war die schrankenlose Freiheit des
Mannes seinem eigenen Hause gegenüber ein wohlverständliches Äquivalent.
In dem Masse nun, in dem
die Straffheit der kriegerischen Organisation Roms sich lockerte, begannen
die Frauen sich zu emanzipieren.
Schon vor Beginn unserer
Zeitrechnung finden sich grosse Vermögen in den Händen von Frauen, zu so
selbständigem Besitz, dass die Gatten der Frauen von diesen Geld zu hohen
Zinsen borgen!
Der soziale Einfluss der
Frauen, ihre Bildung, ihre Selbständigkeit in erlaubten und unerlaubten
Beziehungen wächst mit dem Verfall des kriegerischen Rom bis zu völliger
Ungebundenheit.
Die kriegerischen Wirren
der Völkerwanderung und des Mittelalters überhaupt, das Einbrechen von
rohen, durchaus kriegerisch organisierten Völkerschaften war einer der Gründe
einer gänzlichen Änderung in der Stellung der Frauen.
Das wesentlichere Motiv
ihrer Herabdrückung aber war die kanonische Gesetzgebung.
Das reine ursprüngliche
Christentum war, als eine eminent friedliche Religion, den Frauen günstig
gewesen; Jesus selbst hatte seine Botschaft so wenig für ein bestimmtes
Geschlecht wie überhaupt für einen abgegrenzten Teil der Menschheit
gebracht, er »fragte nicht nach Mann und Weib.«
Allein die asketische
Richtung der Folgezeit wirkte im entgegengesetzten Sinne, die Kirchenväter
zeigten sich höchst frauenfeindlich, und zwar ohne dass es bei der
passiven Form dieser Gesinnung blieb, die wir im Buddhismus, seinem
indolenten Charakter gemäss, angetroffen haben; das ganze Geschlecht galt
als nichtswürdig, ja es wurde als Ganzes für die Sünde Evas solidarisch
haftbar gehalten!
Allein diese zölibatäre
Tendenz hatte doch die entschiedenste Beziehung dazu, dass die römische
Kirche selbst die Form, den Charakter einer kriegerischen Macht annahm,
eine ecclesta militans wurde.
In jener Zeit äusserer
Gewalttätigkeit und innerer Rohheit musste die Kirche um ihrer äusseren
Selbsterhaltung und ihrer Macht über die Seelen willen, kriegerisch
organisiert sein, sie musste die unbedingte Zentralisation, den Stufenbau
der Würden, die Erzwingbarkeit des Gehorsams, die Exklusivität gegen
alles ihr nicht Zugehörige in sich herstellen, die dem Kriegertum und
seiner Hierarchie eigen ist.
Hierzu war der Priesterzölibat
durchaus das geeignete Mittel, jene Loslösung des Mannes von allem
Dualismus, in dem die zarteren und sittlichen Beziehungen des Hauses eine
Seite bilden, jene absolute innere Vergewaltigung durch eine Zentralmacht,
wie die kriegerischen und die Zwecke der römischen Kirche sie forderten,
war nur möglich, wo die Frauen entweder völlig unterdrückt waren, wie
in primitiveren Sozialzuständen, oder gänzlich geflohen wurden.
Indem aber gerade die
geistigsten und in mancher Beziehung hervorragendsten und tonangebenden Männer
des Mittelalters sich so den Frauen mindestens ablehnend gegenüberstellten,
musste das ganze Geschlecht eine Herabsetzung erleiden.
Hierin trat eine
Wendung ein, als die absolute Herrschaft der Kirche über das geistige
Leben sich lockerte und andere Interessen die religiösen eben so wie die
kriegerischen verdrängten - in der Zeit der italienischen Renaissance, in
der die Frauen nun wieder Rechte und Freiheiten gewannen.
Zwar war auch diese Zeit
nichts weniger als friedlich.
Allein die Kriege waren im
wesentlichen Kriege der Herrscher untereinander, wurden selbst wo dies
nicht der Fall war, schon grossenteils mit Söldnerheeren ausgefochten und
liessen den Privatmann und Bürger um so unberührter, als das Aufblühen
nicht nur von Künsten und Wissenschaften, sondern von dem Gesamtinhalt
des modernen Kulturlebens die Geister mehr und mehr beanspruchte.
In Folge dessen lassen die
Italiener der Renaissance nun ihre Töchter ebenso unterrichten, wie ihre
Söhne.
Schon 1389 sagte eine schöne
Florentinerin, nachdem sie aus einem philosophischen Disput als Siegerin
hervorgegangen war: »Die florentinischen Frauen bemühen sich durch
eigene Kraft im Reden und Handeln Fortschritte zu machen, damit sie nicht
von den Männern getäuscht werden.«
Um eine eigentliche
Emanzipation, die sich über einem bewussten Gegensatz und Rangunterschied
der Geschlechter erhebt, handelte es sich damals nicht, sondern es wurde
von vornherein ein menschliches Ideal erstrebt, das sich gleichmässig über
die Unterschiede von Mann und Weib stellte.
Als den höchsten Ausdruck
dieser Tendenz kann man wohl die weiblichen Figuren Michelangelos ansehen,
bei denen das Spezifische des Geschlechts völlig zu verschwinden scheint;
sie streben jenem schlechthin menschlichen Ideal zu, das der Renaissance
vorschwebte und das sich ganz jenseits von männlich und weiblich zu
stellen schien.
Es ist aber auch vielfach
die direkt männliche, ja die kriegerische Beschäftigung, die den Frauen
der Renaissance Respekt verschafft. Ich erinnere an Caterina Sforza, die
gegen Cesare Borgia Krieg führte, die täglich ihre Soldaten inspizierte
und einen diplomatischen Sieg über Machiavelli davontrug.
Und dies führt auf eine
neue Kombination, die unsre Behauptung über die Bedeutung des
Militarismus stützt.
Wo der Krieg das
Hauptinteresse ist, da sind nur diejenigen von vornherein deklassiert, die
nicht an ihm Teil zu nehmen vermögen.
Deshalb finden wir selbst
bei entschieden kriegerischen Völkern eine überraschend hohe Stellung
der Frauen, sobald diese selbst einen aktiven Anteil an den kriegerischen
Angelegenheiten nehmen.
Ein so brutales Volk auch
die Dahomeer sein mögen, sie räumen den Frauen doch eine hohe soziale
Stellung ein, weil diese selbst sich an der Kriegführung beteiligen und
den militärischen Geist der Männer besitzen.
Von den Cuebas, einem sehr
kriegerischen Stamm im Westen von Nordamerika, wird erzählt, dass die Männer
sehr liebreich und rücksichtsvoll zu ihren Frauen seien; aber es wird
auch von anderer Seite berichtet, dass die Frauen ihre Männer in den
Krieg begleiten und an ihrer Seite kämpfen.
Von anderen amerikanischen
Stämmen wird das gleiche Zusammentreffen mitgeteilt, und sogar dies, dass
Frauen bei ihnen Häuptlingswürde erlangen können.
Bei den Spartanern, deren
gesamte Interessen ausschliesslich auf den Krieg konzentriert waren,
finden wir eine Stellung der Frauen, die freier und ehrenvoller ist, als
in dem unvergleichlich gebildeteren und humaneren Athen; allein sie
genossen diesen Vorzug, indem sie an der körperlichen Ausbildung, an den
kriegerischen Turnübungen der Männer vollen Anteil hatten.
Die spartanischen
Gesetzgeber sollen von der Überlegung ausgegangen sein, dass Frauen, die
spinnend und webend zu Hause sitzen, nicht die rechten Mütter für eine
kriegerische Generation von Söhnen sein können, und dass man ihnen
deshalb eine den Männern ähnliche Ausbildung und Stellung einräumen müsste.
Auch hier also bringt die
Ausnahme die volle Bestätigung der Regel: wo das kriegerische Interesse
nicht, wie gewöhnlich, die Frauen ausschliesst, sondern gerade
einschliesst, muss das Vorherrschen desselben sie ebenso erhöhen, wie es
sie sonst erniedrigt.
Bei einer Reihe von
Indianervölkern hängt die bessere Stellung der Frauen zwar nicht von
direkten militärischen Funktionen, wohl aber davon ab, dass sie als
Friedensstifter eine grosse Rolle spielen; bei ihnen gibt es keinen Krieg,
der ohne die Intervention der Frauen beendet würde, sie sind die
offiziellen Friedensunterhändler zwischen den Männern und nehmen also
gerade im Kriege eine bedeutende Stellung ein.
Von einigen afrikanischen Völkern,
bei denen die Frauen eine angesehene Position haben, wird ganz ähnlich
berichtet, dass sie durch ihr Erscheinen die Kämpfe der Männer
beendigen.
Bei den Kurden fiel einem
Forscher ebenso die hohe Stellung und Freiheit der Frauen, wie ihre
direkte Teilnahme an den Kämpfen auf, so dass er sie für Nachkommen
alter Amazonenstämme hielt.
Und von den Jalofs am
Gambiaflusse wird berichtet, dass dort neben dem Könige seine Schwester
mit gleicher Machtvollkommenheit herrsche - aber sie habe auch eine Truppe
um sich, die sie selbst befehlige.
Die Höhe, Freiheit und
Bedeutung der Stellung, die die Frauen in den Vereinigten Staaten errungen
haben, ging von ihrer lebhaften, tätigen und manchmal entscheidenden
Anteilnahme an dem Befreiungskriege des vorigen Jahrhunderts aus.
Noch in ganz abgeleiteten
Erscheinungen setzt sich diese Korrelation fort.
Schon im vierzehnten
Jahrhundert zogen Dirnen mit den Landsknechten zu Felde; der Amtmann, der
sie in Ordnung zu halten hatte, bildete eine stehende Charge in den Heeren
bis zum dreissigjährigen Kriege.
Die fahrenden Weiber waren
ein wichtiges Glied der söldnerischen Heeresorganisation und leisteten,
indem sie wie Hausfrauen für die Soldaten sorgten, unentbehrliche
Dienste.
Diese Bedeutung für den
Krieg verlieh ihnen ein Ansehen, eine gewisse Stellung, die vielfach,
trotz des elenden Lebens dieser Weiber als direkter Vorzug gesucht wird,
so dass unzählige Frauen den Söldnerheeren zuströmten, und man direkte
Massregeln zu ihrer Zurückweisung treffen musste.
Ich verhehle mir indes
schliesslich nicht, dass unsere augenblickliche Kenntnis nicht alle Fälle,
die ein Vorherrschen der militärischen Interessen und zugleich des
weiblichen Einflusses zeigen, als regelbestätigende Ausnahmen deuten
kann.
Allein das beweist nur,
dass es in der Fülle und Komplikation der sozialen Kräfte keine gibt,
die nicht gelegentlich von einer anders gerichteten überwogen werden könnte.
Nur wo derartige Regelmässigkeiten
voreilig zu »Gesetzen« des sozialen Lebens, im Sinne
naturwissenschaftlicher Gesetzlichkeit, gesteigert werden, können
Erscheinungen entgegengesetzten Charakters gleich an der Wirksamkeit des
ganzen Zusammenhanges irre machen.
Sobald indes psychologische
und historische Gründe einen solchen so wahrscheinlich gemacht haben, wie
den hier behandelten, werden abweichende Erscheinungen ihn nicht
widerlegen, sondern nur beweisen, dass er allerdings nicht der einzige
ist, der das schliessliche Bild bestimmt. |