Georg Simmel:
Moltke als Stilist
1)
ex: Berliner Tageblatt vom 26.10.1890.
Abseits der großen Straße, auf der heute
die Geister ganz Deutschlands wallfahren, um seinem größten Feldherrn
den Tribut der Verehrung darzubringen, liegt ein engerer Pfad; eine kleine
Schar schreitet auf ihm hin, die mit ihrer bewundernden Dankbarkeit nicht
nur den großen Feldherrn, sondern auch den großen Schriftsteller Moltke
sucht, der vor dem überragenden Bilde jenes für die Augen der Menge
bisher fast verschwunden ist.
Wie der Feldherr ein Mehrer des Reichs war,
so kann der Schriftsteller ein Lehrer des Reichs sein, an dem die
stilistische Anarchie des heutigen Deutschlands, die Zerfahrenheit und
Launenhaftigkeit der Sprache, die als genial und interessant gilt, so viel
zu lernen hätte, wie ein verschrobener Barockkünstler von der edlen Ruhe
und Kraft einer griechischen Statue.
Ob es wahr ist, daß der Stil der Mensch
ist? Für unser papierenes Zeitalter oft deshalb nicht, weil auch der Ärmste
von den Meistern und Mustern des Stils für die eigene Armut wenigstens
das Gewand des Reichtums borgen kann; für Moltke vielleicht nicht, weil
er größer ist als sein Stil - aber das zeigt nur, wie groß, wie alle
einzelne Betätigung überragend das Ganze dieser Persönlichkeit ist.
Ich will hier nicht von der Fülle von
Aufklärungen sprechen, die seine Schriften enthalten, die uns z. B. über
gewisse Teile der vorderasiatischen Geographie ganz neue Vorstellungen
gebracht haben; nicht von der erstaunlichen Kenntnis wissenschaftlicher
Gebiete, mag es sich nun um römische Geschichte oder um Geologie handeln,
ganz zu geschweigen von der Zahl der Wissenschaften, die sich in der
Strategie treffen; nicht von dem selbstständigen und feinsinnigen Urteil,
mit dem er den schwierigsten Persönlichkeiten, wie etwa Louis Napoleon
oder dem Sultan Mahmud II., aber auch den ästhetischen Fragen der
Architektur gegenübersteht; ich spreche nur von der Form, in welche diese
wertvollen Inhalte sich kleiden - denn wenn er Meister ist in dem, was er
sagt, so ist er nicht weniger Meister darin, wie er es sagt.
Aber nichts so Äußerliches ist ihm doch
der Ausdruck, wie das Gewand dem Körper ist, sondern vielmehr von so
tiefen Beziehungen, wie der Körper sie zur Seele hat.
Denn das ist das Meistergeheimnis seines
Stiles, daß das Gesagte sich aufs Genaueste mit dem zu Sagenden deckt.
Von allen Anforderungen an den
Schriftsteller ist zwar diese, selbstverständlich klingende, die zuerst
gestellte aber die zuletzt erfüllte; und ich wüßte keinen Autor in
irgend einer Literatur, der sie vollständiger erfüllte, als Moltke.
Nirgends ist bei ihm jenes Hinausragen des
Ausdrucks über den Inhalt zu bemerken, durch das die Künstler des Worts
so oft den Schein eines vollendeten Stils erregen, bis die zurückbleibende
Leere im Kopfe des Lesers sie verrät; nirgends auch umgekehrt das Überhängen
des Sinnes über das Wort, durch das der Gelehrte häufig seinen Gedanken
die künstlerische Form entzieht.
Er verfügt über den Stil, in dem Kraft
und Weichheit sich durchdringen, und der dem Auge schon jenen Wohlklang
vorklingen läßt, den er beim Anhören dem Öhre bietet; ich wähle zu
seiner Kenntlichmachung einige Absätze aus einem Werke über die
Umgebungen Roms, das Moltke im Jahre 1846 begann, aber unvollendet lassen
mußte:
»Geschichtliche Begebenheiten gewinnen
einen eigentümlichen Reiz, wenn wir die Örtlichkeit kennen, wo sie sich
zutrugen.
In den lebendigsten Farben treten sie Dem
vor die Seele, welcher sich auf ihrem eigentlichen Schauplatz befindet,
und wie wir einen regeren Anteil nehmen an den Schicksalen eines Mannes,
dessen Gesichtszüge wir kennen, ebenso prägen sich dem Gedächtnis die
Vorgänge tiefer ein, deren räumliche Bedingungen wir anschauten.
Geschichte und Ortskunde ergänzen sich wie
die Begriffe von Zeit und Raum.
Die Örtlichkeit ist das von einer längst
vergangenen Begebenheit übrig gebliebene Stück Wirklichkeit.
Sie ist sehr oft der fossile Knochenrest,
aus dem das Gerippe der Begebenheit sich herstellen läßt, und das Bild,
welches die Geschichte in halb verwischten Zügen überliefert, tritt
durch sie in klarer Anschauung hervor.
Jahrtausende freilich, welche die festesten
Bauten umstürzen, gehen nicht spurlos vorüber an der größten aller
Ruinen, der Muttererde.
Der Anbau glättet ihre Oberfläche aus, Wälder
verschwinden, Bäche versiegen und tarpelische Felsen ebnen sich zu
sanfteren Hängen ab.
Aber dies Alles ändert, wir möchten
sagen, nur die Hautfarbe der Alma mater, ohne ihre Gesichtszüge
unkenntlich zu machen.
Wo die Naturkräfte gewaltsam mitwirkten,
wo Vulkane und Erdbeben, Überschwemmungen und Versumpfungen in
geschichtlicher Zeit den Boden umwandelten, da geschah es doch nur auf
beschränktem und wohl bekanntem Gebiet.
Von vielen Gegenden darf man aber
behaupten, daß sie seit Jahrtausenden wirklich unverändert geblieben
sind.
Das Meer in der steten Wandelbarkeit seiner
Wogen stellt sich uns in derselben großartigen Einfachheit dar, wie einst
den Argonauten.
Der Beduine tränkt seine Rosse und Kamele
noch an den nämlichen Quellen und weidet seine Herden auf denselben grünen
Flächen, wie Abraham und Muhamed.
Die mit Basalttrümmern überschütteten
Ebenen am mittleren Euphrat bieten dem heutigen Wanderer eben den
trostlosen Anblick dar, wie den Grenzwächtern des römischen Reichs, und
viele der Thaler um Jerusalem zeigen sich unserem Blick gewiß gerade so,
wie sie dem Erlöser erschienen, als er noch auf Erden wandelte.«
Es liegt nahe, an eine enge Beziehung
solcher Leistungen zu der hauptsächlichen Tätigkeit Moltkes zu denken;
wie seine Größe als Feldherr darauf beruht, daß er in völliger
Freiheit von jeder hergebrachten Formel und jedem Thema seine Entschlüsse
mit wunderbarer Biegsamkeit der stets wechselnden, nie voraus zu
berechnenden Lage anpaßt, so weiß seine Schreibart, frei von jeder
Schablone, von deren Bann sonst kaum einer ganz unabhängig ist, den
Ausdruck zur genauesten Deckung mit jeder Forderung der Sache, jeder
Abschattung des Gedankens zu bringen; wenn er den Grundsatz: los getrennt
marschieren, vereint schlagen - zu seiner höchsten Entwicklung gebracht
hat, so bietet seine schriftstellerische Darstellungsweise gleichsam ein
Abbild davon, indem sie von verschiedenen von einander unabhängigen
Seiten sich dem Gegenstände nähert, bis dann auf einmal alle diese
Strahlen, sich einheitlich zusammenschließend, uns das Bild der Sache vor
Augen stellen; und wie die Strategie eigentlich eine Wissenschaft ist, die
die Erfolge bestimmter Maßnahmen zu berechnen sucht, schließlich aber
sich doch als Kunst darstellt, weil allein das persönliche Genie die
richtige Anwendung der strategischen Normen bewirken und verbürgen kann:
so ist, was Moltke schreibt, zwar dem Inhalte nach Wissenschaft, während
sich das Ganze dann doch als künstlerische Leistung gibt, weil nur die höchste
Stilkunst dem wissenschaftlichen Gedanken diese Erscheinung sichern kann.
Aber es ist überflüssig, von der einen
Betätigung einer solchen Persönlichkeit das Verständnis für die andere
zu borgen; beide vielmehr quellen aus dem Urgrund einer unerschöpflichen
Kraft, die nach jeder Wegerichtung hin, die sie einschlägt, an das
letzterreichbare Ziel gelangt.
Wie es in der Natur nur eine große
Kraftsumme ist, aus der all ihre mannigfaltigen Formen und Bewegungen
hervorgehen, so hat man bei einem wahrhaft großen Menschen den Eindruck,
als sei die Fülle seiner Leistungen nur wechselnde Form, darin eine
einheitliche Kraft sich ausgestaltet, und als gäbe es keine menschliche Tätigkeit,
in deren Gestalt diese Kraft sich nicht kleiden könnte.
Eine ruhige Größe bezeichnet auch auf dem
schriftstellerischen Gebiet Alles, was er schafft; völlig fremd ist ihm
die Geistreichheit, die ihren Erfolg im Spiel der Wörter statt im Ernst
der Gedanken sucht und dem Leser statt der Wahrheit des Gesagten nur den
Geist dessen, der es sagt, recht zum Bewußtsein bringen will.
Die Schlichtheit seines Wesens, die Folge
von der völligen Hingabe seiner Person an die Leistung, und die stille
Sicherheit, mit der das Vorgenommene vollendet wird, spiegeln sich
unmittelbar in der stilistischen Form seiner Schriften.
Durch diese Gleichmäßigkeit vollendeter
Schöpfungen auf so entgegengesetzten Gebieten bildet er eine gewaltige
Mahnung in unserer Zeit des Spezialistentums, in der die Hingabe an eine Tätigkeit
jede andere auszuschließen pflegt, einen unwiderleglichen Beweis, daß
die Verbohrung in ein einseitiges Fach keineswegs die Bedingung der großen
Leistung ist.
Es scheint fast, als ob in der Verbindung
von Schwert und Feder gerade für solche Geister ein besonderer Reiz läge,
die hoch genug stehen, um die Gesamtheit menschlicher Betätigung von den
entgegengesetzten Polen her zu umfassen; ich brauche nur an Cäsar und
Friedrich den Großen zu erinnern.
So erst vollendet sich das Bild seiner Persönlichkeit,
so erst stellt er sich als einer jener Auserwählten dar, denen es
gelingt, »die letzten Enden aller Dinge zusammenzuknüpfen«.
Denn so groß er wäre, wenn er nur
Stratege oder nur Schriftsteller wäre - das Wunderbarste, das gleichsam
noch über der Summe beider steht, liegt gerade darin, daß er beides ist.
Man soll nicht von einem einzigen Gebiete
des Tuns auf den ganzen Menschen schließen, sondern wie ein Punkt in der
Meßkunst erst dadurch bestimmt Wird, daß mehrere Linien in ihm sich
treffen, so wird der Mensch erst aus der Mehrheit seiner Leistungen recht
erkennbar, in deren Kreuzungspunkte er steht.
Erst wenn wir den Feldherrn auch von der
Seite kennen, die uns hier zu kennen vergönnt ist, verstehen wir ganz
diesen seltenen Menschen, der in den Schriften, die er schreibt, denselben
hohen, klaren und vornehmen Stil zeigt, wie in dem Leben, das er lebt.
Anmerkung
1) Die hauptsächlichen
Veröffentlichungen Moltkes sind die folgenden: Briefe aus der Türkei,
aus den Jahren 1835-1839; ein Werk über den russisch-türkischen Feldzug,
1828 und 1829; Briefe aus Rußland; ein »Wanderbuch«, das aus Reisetagebüchern
aus Italien, Spanien und Frankreich zusammengestellt ist. |