Georg Simmel:
Zur Psychologie der Frauen
ex: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft; hrsg. von M. Lazarus und H. Steinthal, 20. Bd. 1890; S. 6-46; Leipzig.
Das Problem einer
Psychologie der Frauen setzt voraus, dass die Frauen als solche eine
Anzahl ihnen gemeinsamer und von dem männlichen Wesen abweichender
psychischer Eigenschaften besäßen.
Dass eine solche
Einheitlichkeit einerseits, eine solche Abscheidung andrerseits im
strengen Sinne existiere, wird niemand behaupten. Deshalb wird, wer
über die Frauen »im Plural« spricht, sich bescheiden müssen, im besten
Falle eine bloße Majorität als Totalität zu behandeln; auf eine ähnliche
Gefahr hin wird er sich seinen Weg zwischen der populären und darum oft
oberflächlichen und der individuellen und darum oft einseitigen Erfahrung
zu suchen haben; er wird deshalb seinen Analysen nicht den Satz zu Grunde
legen: diese Erscheinung, die ich erklären will, ist schlechthin in den
Frauenseelen, sondern nur: wenn resp. so oft sie ist, erkläre ich sie so
und so.
Wenigstens auf ein
relatives Recht in dess, die Frauen als unter sich einheitlichere Wesen
anzusehen, weist der Umstand hin, dass sie selbst ein stärkeres Gefühl
von gegenseitiger Solidarität haben als die Männer, wo bei diesen nicht
besondere Gründe des Zusammenschlusses vorliegen.
Eine Frau wehrt gern irgend
einen Angriff oder eine Verdächtigung von einer andern ab, nicht durch
sachliche Überzeugung, sondern nur durch das Gefühl einer gewissen
Gemeinsamkeit der Interessen bewogen. Sie fühlt den Drang, die Ehre
ihres Geschlechtes zu verteidigen, ist durch Niedrigkeit und
Unsittlichkeit einer Andern in ihrer eigenen Frauenwürde gekränkt und
beschämt und deshalb leicht geneigt, so lange wie möglich die
Handlungsweise andrer Frauen optimistisch zu deuten.
Die Zusammengehörigkeit
der Frauen tritt uns in niedern Kulturen namentlich darin entgegen
dass wir oft von gemeinsamen Unternehmungen aller Frauen gegen die Männer
hören.
Die hierin liegende
Gleichheit der Interessen ist zwar noch nicht unmittelbar Gleichheit des
Wesens, aber doch sowohl Folge als Ursache derselben. Wenn es wahr
ist, dass der glühendste Hass, den es gibt, der von Frauen untereinander
ist übrigens eine Behauptung, die mir die Grenze zulässiger Ungewissheit
zu überschreiten scheint, so bestätigt diese Ausnahme die Regel,
insofern Gleichheit und Zusammengehörigkeit in fundamentalen Punkten eine
ausbrechende Feindschaft auf den höchsten Grad der Erbitterung zu bringen
geeignet ist; so ist bekanntlich der Antagonismus zwischen den
Konfessionen der gleichen Religion oft viel heftiger als zwischen dieser
und einem ganz fremden Glauben. Jedenfalls, wie oft auch anderweitige
Interessen und namentlich Konkurrenzen jenes Gefühl übertönen mögen,
wird man sagen können, dass die Frau sich der Frau als solcher näher fühlt,
als es entsprechend unter Männern der Fall ist.
Eine objektive
Berechtigung, über die Frauen als Ganzes zu urteilen, würde sich
unmittelbar dann ergeben, wenn das weibliche Geschlecht unter sich
geringer differenziert, weniger individuell entwickelt wäre, und so das
einzelne Exemplar enger im Typus eingeschlossen bliebe. In einer
undifferenzierten Art repräsentiert immer das eine Individuum relativ
vollkommen das Ganze und ein über dies Ganze gefälltes Urteil trifft
zugleich mit größerer Sicherheit jedes beliebige Einzelwesen.
Auf dem Gebiet des Körperlichen
zunächst dürfte die Behauptung eines Differenzierungsmangels der Frauen
Geltung haben. Durch die ganze Natur hindurch ist das weibliche
Geschlecht weniger modifiziert als das männliche; das Weibchen ist überall
den jungen der eigenen Spezies ähnlicher als das Männchen; bei den
verschiedensten Menschenrassen haben Messungen ergeben, dass die Männer
weit mehr von einander verschieden sind als die Frauen.
Und dieses Verhältnis
wiederholt sich am Individuum. Die Oberfläche des männlichen Körpers
ist mehr differenziert als die des weiblichen. Das Knochengerüst
tritt energischer hervor, macht sich durch Hebungen und Senkungen
bemerkbar, während bei dem Weibe die gleichmäßigeren Fettpolster den Körper
als eine mehr ebene, nur in großen Zügen gehobene und gesenkte Fläche
erscheinen lassen.
Ich werde nun auch
schwerlich mit der Behauptung weit irren, dass die Mehrzahl der weiblichen
Eigenheiten, die man dem psychischen Wesen der Männer gegenüber
hervorzuheben pflegt, auf die größere Undifferenziertheit der Frau zurückgeführt
werden können, auf die Tatsache, dass ihre Anlagen, Neigungen, Betätigungen
enger um einen Einheitspunkt herum gesammelt und aus ihrem ursprünglichen
keimhaften Ineinander noch nicht zu selbständigerer Existenz
spezialisiert
sind, wobei es für unsre Betrachtung völlig außer Frage bleibt, ob
dieser Verfassung eine innere Notwendigkeit und Unabänderlichkeit oder
eine mögliche Fortentwicklung durch abgeänderte Lebensbedingungen
zuzusprechen ist
Die Vorstellungen stehen
bei ihr noch in jener innigeren gegenseitigen Verbindung, die den Teil
sofort das Ganze reproduzieren lässt und bei der weniger logische
Zusammengehörigkeit, die immer das Resultat einer Auslese unter den
Vorstellungen ist, als reales Zusammensein über die gegenseitige Stellung
der Vorstellungen im Bewusstsein und über das Maaß entscheiden, in dem
sie ihre Kraft in Anziehung und Abstoßung zeige.
Diese Eigenart des
Assoziationslebens, in der der Mangel an Differenzierung leichter die
einzelne Vorstellung mit der Gesamtheit der benachbarten oder überhaupt
vorhandenen verknüpft, während in einem weniger einheitlichen Geiste
jede Vorstellung mehr für sich steht und über die Köpfe der Nachbarn
hinweg sich nur mit den sachlich dazugehörenden verknüpft, diese
Eigenart hängt zunächst mit dem Überwiegen des Gefühlslebens bei den
Frauen zusammen, über das alle Beobachter einig sind.
Denn soviel Annäherung an
die Wahrheit, wird man jener alten Theorie, die das Gefühl mit der
Summe unendlich kleiner Vorstellungen identifizierte, wenigstens zugeben müssen,
dass das Gefühl um so mehr angeregt wird, je massenhafter sich die
Vorstellungen kreuzen, je lebhafter also die Bewegungen sein müssen, die
sich über und unter der Schwelle des Bewusstseins vollziehen.
Je mehr Vorstellungen sich
wegen mangelhafter Disziplin, die nur das Zusammengehörige zusammen
bestehen liesse, in das Bewusstsein drängen, desto weniger Platz kann die
einzelne darin erhalten, desto eher wird jener mehr verschwimmende Zustand
eintreten, der in das klare Bewusstsein mehr das Ganze als seine Teile,
mehr das Resultat als seine Faktoren, mehr den Entschluss als seine Gründe
treten lässt, und der eben für das Gefühlsleben gegenüber dem
deutlichen und aussondernden Denken bezeichnend ist.
Daher die Schnelligkeit und Sicherheit des weiblichen Urteils in
verwickelten Verhältnissen, wo die Fülle der einzelnen Momente uns, die
wir jedes derselben aussondernd verfolgen und für sich überlegen, nicht
recht zu Ende kommen lässt; weil das größere Ineinander der
Vorstellungen ihnen die Gleichzeitigkeit einer größeren Anzahl ermöglicht,
kann sich das Gewicht der einzelnen oft unmittelbarer an dem der andren
messen und die durchgehende Tendenz des Ganzen sich ihrem Auge ungetrübter
darstellen. Da dies freilich nur auf Kosten der Klarheit und des
Durchdenkens des Einzelnen möglich ist, so kann der Irrtum dabei ein
ebenso vollkommener sein, wie es oft das Treffen ist.
Hier ist der Ort, der
vielkritisierten Logik der Frauen zu gedenken.
Zunächst ist die Meinung, die ihnen dieselbe ganz oder fast ganz
absprechen will, einfach abzuweisen; das ist eine von den trivialen
Paradoxen, der gegenüber man sicher behaupten kann, dass jeder, der nur
irgend eingehender mit Frauen zu tun hatte, oft genug von der Schärfe und
Unbarmherzigkeit ihrer Folgerungen überrascht worden ist.
Grade die größere und
differenziertere Fülle der materiellen Gesichtspunkte im männlichen
Geiste verhindert manchmal die klare Einsicht in eine einfache logische
Konsequenz, die ein weiblicher Verstand mit völliger Selbstverständlichkeit
ausspricht, eine Fähigkeit, die wenigstens symbolisch mit der Begabung
der Frauen für das »Suchen« zusammenhängt, infolge deren sie uns oft
Gegenstände, nach denen wir überall herumgesucht haben, auf den ersten
Blick als direkt vor uns liegend zeigen, und die ferner einen für den
Psychologen leicht durchschaubaren Zusammenhang mit ihrem Talent zum Rätselraten
besitzt.
Wo es den Eindruck macht,
als fehlte ihnen die Fähigkeit logischen Schließens, da sind es, wie ich
bei näherer Zergliederung stets gefunden habe, materiale Irrtümer, die
sich in die Prämissen einschleichen, meistens insofern das Vorherrschen
des Gefühlslebens ihre Auffassung der Tatsachen beirrt und die das
Resultat fälschen.
Aus den einmal gesetzten Prämissen
heraus, zu denen man freilich die halb oder ganz unbewussten rechnen muss,
urteilen sie, wie ich glaube, nicht unlogischer als die Mehrzahl der Männer;
grade in dieser Beziehung ist es doch bedeutsam, dass allein in der
logischsten aller Wissenschaften, in der Mathematik, die Frauen große und
originelle Leistungen aufzuweisen haben.
Jener Aberglaube von der
Unlogik der Frauen entstammt nur dem allgemeinen häufigen Irrtum, durch
den materiale Inhalte, Ergebnisse und Täuschungen des Denkens für formal
logische gehalten werden. »Rein logisch« nennt es z.B. der populäre
Ausdruck, dass man einem armen Menschen kein ungezähltes Geld anvertrauen
soll; »rein logisch« ist es ihm, wenn bei dem Vorhandensein eines
bestimmten Nahrungsquantums, nach dem zwei Individuen Begehr tragen, ein
Kampf unter diesen ausbricht: und doch zeigt eine leichte Überlegung,
dass aus der vorausgesetzten Situation die fragliche Folge keineswegs rein
logisch hervorgeht, sondern noch einer dazwischentretenden durchaus
materialen Prämisse bedarf und also keineswegs analytisch, sondern
durchaus synthetisch ist.
Auf dieser typischen Täuschung
dürfte wohl auch das Material beruhen, auf das hin man induktiver Weise
das Manko an weiblicher Logik behauptet hat. Auch wenn sich dem die
weitere Behauptung anschloss, dass der Begriff der Wahrheit für die
Frauen überhaupt ein andrer wäre als für die Männer, so ist dies mehr
auf eine Abweichung in den materialen Annahmen als auf einen Mangel in den
logisch formalen Verbindungen unter diesen zu setzen.
Richtiger glaube ich
behaupten zu können, dass allerdings der Wert der Wahrheit als eines für
sich bestehenden und von seinen praktischen Folgen losgelösten Ideals
ihnen schwer einleuchtet; auf die allgemeinen psychologischen Gründe
hiervon komme ich weiter unten zu sprechen und erwähne hier in dieser
Hinsicht nur, dass die Frauen durch ihre physiologischen Verhältnisse und
die Rücksichten, welche sie auf diese nehmen müssen, vielfach geradezu
gezwungen sind, irgend welche Lügen zu sagen.
Ihre Schätzung der
Aufrichtigkeit als solcher muss natürlich darunter leiden, dass sie ihr
so oft grade aus der sittlichen Rücksicht des Anstands Abbruch tun müssen. Zudem
geht die gesamte weibliche Erziehung unsrer höheren Kreise, in so weit
sie auf den Verkehr mit Männern vorbereiten will, im guten Fall dahin,
dass die Mädchen sich zu beherrschen lernen, im schlechten, dass sie sich
zu verstellen lernen.
Der verschärfte Kampf ums
Dasein, der für sie als Kampf um den Mann auftritt, zwingt ihnen oft die
Heuchelei, sowohl als simulatio wie als dissimulatio, geradezu auf, wozu
noch die oberflächliche Bildung in Wissenschaften und Künsten gehört,
die in der Mehrzahl der Fälle sofort bei Seite geschoben werden, sobald
der Zweck dieser Ausstattung der Persönlichkeit, die Gewinnung eines
Mannes, erreicht ist.
Alle diese Momente, in
denen sowohl die Heuchelei wie die Beschäftigung mit dem Erkennen nur als
Mittel zu höher liegenden Zwecken geübt werden, müssen dazu beitragen,
den Wert der Wahrheit als eines selbständigen Ideals, eines für sich
befriedigenden Endzwecks in ihren Augen herabzudrücken.
Ich hebe hier nur noch als
dem Wahrheitsinteresse feindlich die allgemein anerkannte Neigung der
Frauen zum Übertreiben hervor, die nicht ganz leicht zu erklären ist. Nach
dem, was wir von der Ausdrucksweise der Naturvölker hören, scheint das
Übertreiben der primitiveren Geistesverfassung überhaupt eigen zu sein;
in der tat ist das unverfälschte Aufnehmen und Reproduzieren von Eindrücken,
das einfache, der Sache angemessene Urteilen keineswegs die erste, sondern
erst die letzte Stufe intellektueller Ausbildung.
Der menschliche Geist
scheint eine natürliche Neigung zu haben, einen Anstoß in der einmal
erhaltenen Richtung, aber über das Maaß seiner ursprünglichen Intensität
hinaus in sich fortzupflanzen und weiterzubilden, bis eine Erschöpfung
der Energie oder eine sich entgegensetzende Vorstellung dem Einhalt tut.
Dies ist noch von dem
einfachen Beharrungsstreben der Vorstellungen zu unterscheiden; denn während
diesem gemäß der spätere Moment grade den Vorstellungsinhalt des früheren
bewahrt und so gewissermaßen nur dem Trägheitsgesetz folgt, findet hier
eine Veränderung statt, die mehr an die wachsende Bewegungsintensität
des Körpers auf der schiefen Ebene erinnert: so nimmt die Intensität des
qualitativen Inhaltes einer Vorstellung zu, wenn sie sich selbst überlassen
ist.
Ich erinnere an die Übertreibungen
des Traumes; der Strohhalm, der zufällig die Zehen eines Schlafenden berührt,
bringt die Traumvorstellung eines durch den Fuss getriebenen Pfahles mit
sich, ein schmerzender Pickel wird als eine von glühendem Blei gebrannte
Wunde empfunden, eine Beklemmung als totales Ersticken, usw. Hat das
Vorstellen einmal eine bestimmte Richtung erhalten, so breitet sich diese
offenbar in dem Maaße im Geiste aus, in dem sie wegen Mangels
entgegengesetzter Kräfte Raum in ihm findet.
Bei der Abhängigkeit auch
unsrer scheinbar ganz objektiven Erkenntnisse von Apperzeptionen und
Formgebungen aus unserm Innern heraus, bei der Mehrdeutigkeit alles
sprachlichen Ausdrucks, bei der Subjektivität aller Werturteile, ist es
verständlich, dass dasjenige, was wir die Sachlichkeit und objektive
Angemessenheit von Urteilen jeder Art nennen, nicht durch eine
unmittelbare Adaptierung derselben an das Objekt erreicht wird, sondern
durch psychische Ausgleichungen und gegenseitige Hemmungen, die jeder
Vorstellung erst das Maaß ihres Anspruchs und die rechte Intensität der
ihr zuzusprechenden Eigenschaften bestimmen; das Objekt selbst schränkt
nicht oder wenigstens oft nicht seine Empfindungswirkung auf uns und unser
Urteil darüber auf ein festes Maaß ein, sondern diese Begrenzung kommt
von andern, gleichfalls das Bewusstsein für sich beanspruchenden
Vorstellungen.
Ich glaube deshalb, dass
Exzentrizität des Empfindens und Übertriebenheit des Ausdrucks natürliche
und schwer vermeidliche Eigenschaften eines Geistes sind, der noch nicht
hinreichend differenziert ist, um dem Ausbreitungsstreben einer einströmenden
Vorstellung sofort anderweitige modifizierende Vorstellungen
entgegenzusetzen.
Je ungeschiedener in
sich die geistige Masse ist, desto eher wird ein auftretender Impuls das
Ganze mit sich fortreißen, ganz wie eine ungebildete und homogene
Menschenmenge leicht durch einen einzigen Anstoß zu den unverhältnismäßigsten
Empfindungen und Handlungen hingerissen wird; bei der Übertreibung, bei
der der ursprüngliche Eindruck sofort seine Nachbarn erregt und durch
ihre Energie seine eigne steigert (wie es z.B. bei moralischen Urteilen
ungebildeter Menschen bemerkbar ist, für die der irgendwie Verdächtige
auch gleich nicht schwarz genug, der Verdienstliche nicht licht genug
gemalt werden kann) verhalten sich die Vorstellungen wie Menschen, die
einen Auflauf bilden: der Vorübergehende, in der Nähe Befindliche tritt
hinzu, bloß weil die Andern dort stehen, oft ohne zu wissen, um was es
sich handelt und ohne dass die Veranlassung es rechtfertigte. Für
diesen sozial, psychologisch wichtigen Vorgang ist jener
individualpsychologische vielleicht nicht nur Analogie, sondern direkte
Veranlassung.
Die Vorstellung wird in
einem undisziplinierten Geiste widerstandslos ihrem Expansionsbestreben
folgen können und so die Übertriebenheit zustande kommen, die doch nur
ungenau als Eigenschaft des bloßen Ausdrucks bezeichnet wird, tatsächlich
aber ein Verhältnis resp.
Missverhältnis der zum Ausdruck kommenden Vorstellung ist. Wie
der impulsive Charakter des weiblichen Gefühlslebens hiermit zusammenhängt,
ist klar.
Wie die Objektivität des
Urteils, so gründet sich auch die Ruhe und das Maaß im Praktischen, auf
die Fülle verschiedenartiger und mit selbständiger Kraft auftretender
Impulse, unter denen jeder einseitige Anstoß sofort sein Gegengewicht
findet; das Verständnis für entgegengesetzte Auffassungsweisen, die Fähigkeit
gleichsam mit gesonderten Organen die verschiedenen Anlässe zum Empfinden
aufzunehmen und dadurch in sich zur Ausgleichung zu bringen, dies
verhindert die Übertriebenheit im Denken wie im Gefühlsleben, und der
Mangel daran vermöge der Undifferenziertheit im Geistesleben der Frauen
ist die Ursache ihrer relativ widerstandslosen Hingabe an die Vorstellung
und an das Gefühl. Dahin muss also der übliche Ausdruck modifiziert
werden, dass das lebhaftere Gefühl der Frauen ihre Neigung zum Übertreiben
veranlasse.
Es geht hierbei der gleiche
Irrtum vor, wie bei der Behauptung, es sei das feinere »Gefühl« der
Frauen, das sie so oft die sichere und richtigere Entscheidung treffen lässt;
auch hier setzt man, wie es häufig geschieht, zwei Erscheinungen, die von
einer gemeinsamen tiefer gelegenen Wurzel ausgehen, in ein gegenseitiges
Kausalverhältnis.
Die Undifferenziertheit des
Vorstellungslebens ist die Ursache von Beidem; sie erregt einerseits durch
die Massenhaftigkeit und Halbbewusstheit andrängender Vorstellungen das
Gefühl in lebhafter Weise und gewährt andrerseits ein schnelleres
Durchlaufen der Momente und ein entschiedeneres Hervortreten des Überwiegenden. Wenn
deshalb dieser letztere Prozess von Gefühlserregungen begleitet wird, so
ist es mindestens ein irreführender Ausdruck, dass den Frauen das Gefühl
zu ihren manchmal hellseherisch erscheinenden Urteilen verhülfe.
Ich brauche an dieser
Stelle nur anzudeuten, dass im Praktischen die Impulsivität ihrer Entschlüsse
und der feine Takt ihres Benehmens aus der gleichen Quelle ableitbar sind;
die psychologischen Verbindungen liegen auf der Hand. Erwähnen will
ich nur, dass das auffallende Ahnungsvermögen der Frauen, wie es auf den
schnelleren, weil unkritischeren Funktionen des Assoziationsmechanismus
beruht, so doch zugleich auf die niedrigere Stufe des Spürsinnes
hinweist, durch den sich Tiere und niedere Völker auszeichnen.
Dass das Gefühl aber auch
nach der Seite hin, wo es nicht Antizipation der Erkenntnis ist, einen außerordentlich
großen Raum in dem weiblichen Seelenleben einnimmt, ist ebenso sicher. Eine
Dame, welche ein großes Vertrauen bei anderen Frauen genießt, erzählte
mir, dass ihrer Erfahrung nach, Mädchen nicht öfter als ein Mal unglücklich
liebten; sie litten nämlich beim ersten Male so viel, dass sie sich aufs
ängstlichste vor dem zweiten Male in Acht nehmen und ihren Gefühlen Halt
gebieten. Wenn einmal die Erwerbs, und sonstige Tätigkeit der
unverheirateten Frauen eine dem jetzigen Zustande gegenüber erweiterte
sein wird, so wird eine Veränderung ihres Gefühlslebens von ganz
unberechenbaren Folgen daraus hervorgehen.
Denn der Umstand, dass sie
jetzt so viel Zeit haben, ihren Gefühlen nachzuhängen, trägt gewiss
wesentliches zu deren Macht und Tiefe bei, hat man doch die statistische
Tatsache, dass die Selbstmorde der Frauen auffallend selten auf den
Sonnabend fallen, so zu deuten gesucht, dass der Sonnabend als der
Scheuertag ihnen nicht soviel Zeit zur Unzufriedenheit mit dem Leben ließe.
Das äußerliche Moment des
Zeithabens, für die Unverheirateten sogar auch in den mittleren Ständen
bewirkt gewiss viele der Unterschiede des weiblichen vom männlichen Gefühlsleben.
Das Vorherrschen desselben
zeigt seine Identität mit dem Charakter der Einheitlichkeit, den das
Wesen der Frauen trägt, auch darin, dass eine Alterirung seiner eine
vollkommene Revolution ihrer ganzen Persönlichkeit zur Folge zu haben
pflegt.
Hierdurch werden oft große
Täuschungen über die Beschaffenheit weiblicher Seelen hervorgerufen,
wenn man vergisst, dass Änderungen des Gefühlsniveaus nicht auf ihrer Höhe
stehen zu bleiben pflegen, so sehr das Herz selbst auch immer geneigt ist,
seine Zustände für definitive zu halten; und dass anderweitige, durch
jene hervorgerufene Abänderungen dieses Schicksal teilen müssen.
Eine solche Täuschung ist
es oft, wenn man junge Mädchen nach ihrer Verlobung ganz verändert, und
zwar zu ihrem Vorteil findet; die Erregung, Anspannung und Konzentration
des Gefühlslebens, auch durch die einer Braut zuteil werdende allgemeine
Aufmerksamkeit gesteigert, die Erhöhung des Lebensgefühles und Hoffnung
alles Zukunftsglückes bringt natürlich eine Steigerung der Persönlichkeit
mit sich, alle Fähigkeiten sind in höchster Funktion u. s. w. Aber es
liegt auf der Hand, dass das nur Galvanisirung ist und in wieder
ausgeglichenen Verhältnissen wieder dem früheren Wesen Platz macht. Es
ist nichts anderes, als im Physischen die Verschönerung durch die Freude,
eine zweifellose Tatsache, die aber mit der Freude wieder verschwindet.
Insofern diese Macht des
Gefühlslebens von der Einheitlichkeit der Frauen bestimmt wird, kann ihre
Ergriffenheit durch Romane einen Beleg dafür bilden; sie erleben diese völlig
mit, identifizieren sich ganz und gar mit den Personen und Affekten, weil
sie sozusagen innerlich nicht differenziert genug sind, um außer der
Vorstellung, die ihre Phantasie erfüllt, noch eine andere, daneben, und
darüberstehende Vorstellungsmasse aufzuweisen.
Deshalb sind sie auch
schlechte Kritiker, wo es sich um Beurteilung nach objektiven Kunstnormen
handelt, weil sie zu sehr und ganz in der Sache darinstecken, auch hier
die niedrigere Entwicklungsstufe zeigend; denn dieses Stadium muss auch
der gute Kritiker dem einzelnen Kunstwerk gegenüber durchmachen, d.h. er
muss es durchmachen, sich darüber hinausarbeiten.
Deshalb sind sie auch überhaupt
der Analyse, dem zergliedernden Aussondern der einzelnen Momente eines
Geschehens, eines Fühlens, einer Persönlichkeit, abgeneigt; sie
empfinden es als einen unbehaglichen Zwang, wenn sie die Vorstellungen,
die den Gegenstand für sie repräsentieren, differenzieren und
auseinanderlegen sollen. Aber eben darum fehlt ihnen auch das, was
man Sachlichkeit nennt, wovon der Zusammenhang einfach der ist, dass
Differenzierung Verselbständigung bedeutet und alle Sachlichkeit und
Objektivität des Vorstellens nichts anderes ist, als die verselbständigende
Loslösung der einzelnen Vorstellung und des Interesses an ihr aus den
Verschmelzungen und Verkettungen, die das Ineinander des ursprünglichen
psychischen Zustandes ihr auferlegt.
Da das Ich in der
Gesamtsumme und dem Wechselspiel der Vorstellungen besteht, so ist der
Standpunkt der Subjektivität grade der, dass die einzelne Vorstellung
noch in lebhaftester Verbindung mit der ungesonderten Masse der übrigen
steht und von dieser getragen wird. Wo die einzelne Vorstellung noch
nicht selbständig genug ist, um in reinlicher Absonderung von den andern
nur in ihren logischen Beziehungen betrachtet zu werden, wo sie vielmehr
leicht den gesamten Bewusstseinsinhalt in Erregung versetzt und in ihr
Schicksal hineinzieht, da liegt eben das vor, was wir Subjektivität und
Mangel an Sachlichkeit nennen.
Und hierüber sind alle
Beobachter einig: über die Leichtigkeit, mit der die Frau die Gesamtheit
ihres Seelenlebens von einem Punkte aus aufregen lässt, mit der sie für
ein einzelnes Interesse ihr ganzes Denken und Fühlen einsetzt und, als
Korrelat dazu, über ihre geringe Fähigkeit, das Einzelne in seinem
reinen Für sich sein vorzustellen und zu beurteilen, mit einem Wort, über
ihren Mangel an Objektivität. Wir sehen, wie dieser auch nur eine
Folge des Mangels an Differenzierung im weiblichen Seelenleben ist,
insofern angesichts dieses die einzelne Vorstellung in zu enger Solidarität
mit den übrigen, also mit der gesamten Subjektivität auftritt.
Ich will an dieser Stelle
nochmals hervorheben, dass, wenn man den Frauen gewisse Eigenschaften zu,
oder abspricht, dies nur ein durchschnittliches Mehr oder Minder gegenüber
dem Durchschnittsmaaße derselben bei den Männern bedeutet, eine
Differenz, deren Größe sich in den allerweitesten Grenzen bewegt.
Daraus, dass diese Reserve
entweder nicht gemacht oder nicht im Bewusstsein behalten wird, erklärt
sich der Schein von Ungerechtigkeit, Übertriebenheit und vorurteilsvollem
Schematisieren, der auf den Urteilen über die Frauen im Plural zu haften
pflegt.
Das geringe Interesse der
Frauen an dem staatlichen Leben, ihre Gleichgültigkeit auch gegen die
sittlichen Beziehungen desselben da, wo nicht ihr Gefühlsleben
unmittelbar durch ein konkretes, anschauliches Schicksal des öffentlichen
Wesens angeregt wird, erklärt sich wenigstens teilweise aus dem obigen
Grundzug, insofern dies nur eine Seite ihrer allgemeinen Unfähigkeit ist,
sich im Denken und Empfinden höheren Abstraktionen anzupassen. Denn
alle Abstraktion, die aus vielem Einzelnen ein höheres Allgemeines
zusammenfasst, ist zwar schließlich Integration, aber nur auf Grund
voraufgegangener Differenzierung. Wenn nicht aus den
Vorstellungskomplexen, die zunächst mit dem bunten Ineinander und
Durcheinander ihrer Bestandteile das Bewusstsein erfüllen, jeder einzelne
derselben zu besonderem Bewusstsein herausdifferenziert wird, so wird es
zu derjenigen gegenseitigen Apperzeption der Teile von
Erscheinungskomplexen nicht kommen, die den Begriff dieses Teiles eben als
einen höheren, jene letzteren als Einzelbeispiele unter sich
begreifenden, zustande bringt. Wo das Vorstellen also nicht die
Bestrebung hat, seine Bestandteile zu sondern und zu verselbständigen, da
wird zugleich die Fähigkeit, abstrakte, über die anschauliche Einzelheit
der Dinge sich hinaushebende Begriffe zu bilden, unentwickelt bleiben und
entsprechend auch das Interesse an Vorstellungen, die eine derartige
Erhebung zur Voraussetzung haben. Wir bemerken deshalb, dass Frauen
und größere Massen, insoweit sie auf niedrigerem geistigen Niveau
stehen, sich für eine Idee immer nur durch eine einzelne Person oder ein
greifbares Ereignis oder Symbol hindurch begeistern können; die Idee des
Patriotismus kristallisiert ihnen häufig genug zu der Person des
Herrschers, knüpft sich für ihr Bewusstsein mit Vorliebe an die
Vorstellung einzelner historischer Geschehnisse oder Verkörperungen, ihr
Sozialinteresse äußert sich in der Mildtätigkeit von Person zu Person,
während sie den Gedanken, dass man aus höheren sozialen Gesichtspunkten
dem Bettler die Gabe verweigere, weder recht verstehen noch recht billigen
können. Deshalb sind auch diejenigen idealen Bestrebungen, die sich
um persönliche Wesen gruppieren, den Frauen die zugänglichsten, also vor
allem die religiösen, und die oftmalige Krassheit ihres Aberglaubens, im
Vergleich mit Männern des gleichen Bildungskreises, ist ein Zeichen ihrer
Entwicklungsstufe, insbesondere durch das Mittelglied hindurch, dass das
Kleben am Konkreten, die Sucht, das Höchste an ein Sichtbares zu knüpfen,
ein Zurückbleiben in der geistigen Differenzierung anzeigt. Nächstdem
werden sie sich deshalb den künstlerischen Interessen zuwenden, weil in
diesen das abstrakte Ideal einen greifbaren Körper gewonnen hat; und
vielleicht hat die bekannte Tatsache, dass sie es in der Kunst des
Aufnehmens und in der des Reproduzierens zur höchsten Meisterschaft
gebracht haben, während ihnen eigene Produktion nicht gelingt, ihren
Grund darin, dass der produktive Künstler von der Idee aus ihren
sinnlichen Körper gewinnt, von jener ausgehend und sie sozusagen mehr und
mehr verengend an ihrer sichtbaren Darstellung an einem Einzelnen erst mündet,
während der Genießende und der Reproduzierende die Konkretheit des
Kunstwerkes vorfindet und von ihr ausgehend zu seiner Idee aufsteigt.
Wie für die Frauen der
einzelne Mensch, der ihnen die religiöse oder eine sonstige Idee
darstellt, sozusagen das Sprungbrett ist, das allein ihnen in die Höhe
dieser hinaufhilft, so bedürfen sie vermöge ihres Mangels an
Abstraktionsvermögen, der soweit geht, dass sie manchmal den Besitz von
Papiergeld fast als etwas wertloses gegenüber dem von barem Gelde
ansehen, auch für die künstlerische Idee eines einzelnen Anhaltspunktes,
den sie in dem fertigen Kunstwerk finden; der Schaffende geht den
umgekehrten Weg und daher erklärt sich ihre Unfähigkeit zur Produktion
und ihre Fähigkeit für Reproduktion, sei es im genießenden Empfangen,
sei es in der Schauspielkunst, dem musikalischen Virtuosentum, oft auch in
der Kopirkunst bis zu der in den Handarbeiten geübten.
An einem Punkt freilich
haftet das weibliche Interesse aufs festeste an einem ganz Unpersönlichen
und Allgemeinen: an der Sitte. Gegenüber dem Rechte einerseits, der
freien Sittlichkeit andrerseits, stellt die Sitte einen Keimzustand dar,
in dem jenes beides noch ungeschieden schlummert. Die Sitte umschränkt
die Persönlichkeit, ohne ihr den Zwang des Rechts anzutun, aber auch ohne
ihr die Freiheit zu lassen, mit der wir den Fragen der höheren
Sittlichkeit gegenüberstehen.
So weit auch ihr Gebiet überhaupt
sich erstreckt, weit über das des Rechts hinaus, so ist sie doch in
gewissem Sinne diesem gegenüber immer Sache des kleineren Kreises: auf
Verletzungen der guten Sitte reagiert der engere Kreis derer, die
irgendwie dadurch betroffen oder Zeugen davon waren, während die
Verletzung der Rechtsordnung eine Reaktion der Gesamtheit aufruft; die
Sitte ist in einer größeren Gesamtheit für die Unterabteilungen
derselben höchst verschieden, während das Recht Gleichheit Aller
voraussetzt; sie genügt deshalb, um einem kleineren Komplex von Menschen
hinreichend feste Lebensnorm zu geben, muss aber bei weiterer Ausdehnung
desselben sich einerseits zum Gesetz verdichten, andererseits zur persönlich
sittlichen Autonomie lockern, und wird, wie erwähnt, aus einem
Zusammenhalt des großen Ganzen zu einem für die kleineren Abteilungen
desselben.
Dieser Charakter des
Unentwickelten, das sich sowohl zu der höchsten und abstrakten
Allgemeinheit wie zu der ganz auf sich selbst stehenden Individualität
erst differenzieren soll, stiftet einen psychologischen Zusammenhang der
Sitte mit der Verfassung der Frauen, deren Seeleninhalte in gleicher Weise
der höchsten Abstraktion wie der schärfsten Individualisierung
fernstehen, und so zu jenen Keimzuständen, aus denen beides erst sich zu
entwickeln hat, von vornherein disponiert sind.
Ich habe an einem andern
Orte (Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos., Bd.XII, S. 3 2 ff.)
nachgewiesen, dass die Ausbildung der Individualität Schritt hält mit
der Erweiterung des sozialen Kreises, in dem sie stattfindet; der engere
Kreis dagegen hemmt die freie Entfaltung der Persönlichkeit, gewährt ihr
aber dafür einen Anhalt und eine Stütze, die der auf sich allein
gestellte Mensch, der nur Glied einer sehr weiten Allgemeinheit ist,
entbehren muss; die kleinere soziale Gruppe hat ein viel größeres
Interesse daran, ihr einzelnes Mitglied zu schützen und zu stützen, als
die weitere, in der der Kampf ums Dasein heftiger entbrennt und den
Einzelnen zur Ausbildung der Spezialität und zur Selbständigkeit zwingt. Deshalb
wird sich der Schwache immer nur in einem relativ kleinen Kreise wohl und
sicher fühlen. Ist nun die Sitte die Lebensform des kleineren
Kreises, so liegt auf der Hand, welches Interesse grade der Schwache, der
Anlehnung Bedürftige, an ihr nehmen muss, der untergehen würde, sobald
der nur von der freien Kraft des Individuums entschiedene Kampf ums Dasein
losbräche; die Sitte bewirkt mittelbar und unmittelbar eine gewisse
Gleichheit zwischen dem Starken und dem Schwachen, die sogar in ihrer
Hemmung des bloß natürlichen Verhältnisses beider soweit geht, dass sie
geradezu den Schwachen bevorzugt: die Ritterlichkeit den Frauen gegenüber
gibt ein treffendes Beispiel dafür.
Die Schwäche der Frauen
also ist es, die sie die Anlehnung an die Sitte zu suchen zwingt; denn
selbst die Macht, die sie vermöge des geschlechtlichen Reizes ausüben,
ist nur in einer gesitteten Gesellschaft möglich, wo die Befriedigung der
Liebeswünsche von Werbung und Gewährung abhängig ist und das Versagen
respektiert wird, aber nicht in einer ungesitteten, wo die individuelle
Gewalt sich einfach dessen bemächtigt, was ihr gefällt, wenn es durch
keine überlegene Kraft verteidigt wird. Wenn die Frauen also ganz
besonders zu Hütern der Sitte berufen sind, wenn, wie Goethe es erschöpfend
ausdrückt, der Mann nach Freiheit, das Weib nach Sitte strebt, so ist der
reale Grund davon der Schutz, den die Sitte gewährt, einerseits in Ergänzung
des gesetzlichen Rechtes, das seiner Allgemeinheit wegen für unzählige
einzelne Fälle nicht zureicht, in Ergänzung andrerseits der Kraft der
Individualität. Dies ist indes sozusagen nur eine praktische
Anwendung jenes tieferen psychologischen Zusammenhanges, demzufolge die
Sitte die undifferenzierte Lebensnorm gegenüber jenen beiden
entschiedeneren bedeutet und dadurch der psychischen Entwicklungsstufe der
Frauen entspricht.
Es liegt auf der Hand, dass
auch jenes praktische Motiv des Strebens nach Sitte den Frauen in der
Mehrzahl der Fälle nicht bewusst sein wird, sondern nur als Resultat der
Gattungserfahrung, also in der Form des Instinkts, seine Macht übt; das
Anlehnungsbedürfnis der Frauen tritt weit eher in ihr Bewusstsein, als
sein Motiv, die persönliche Schwäche. Diese Macht der
Gattungsvorstellung ist mir immer auch in dem Falle der Anlehnung der
Frauen an eine bestimmte Person, also in der Ehe, von auffallender Stärke
erschienen. Ein Mädchen mag heute noch schwankend sein, ob sie einen
Mann, der ihre Hand erbeten, erhören soll oder nicht; tut sie es nicht,
so existiert fürderhin keine Spur einer Beziehung zwischen ihnen; irgend
ein relativ unbedeutendes Moment mag den Ausschlag geben, es doch zu tun;
und nun ist sie, wenigstens in sehr vielen Fällen, innerlich auch
gleich unbedingt an ihn gebunden, ihm oft blind gehorsam, würde alles
denkbare Schwere für ihn ertragen; keine Steigerung realer Momente führt
in begründbarer Weise allmählich zu diesem Resultat; sondern sprunghaft,
durch die bloße Macht des Gedankens, dass er nun einmal ihr Mann ist und
damit dieses unbedingte Sichhingeben dasein muss und da ist, wird es
erreicht. Diese Macht ist offenbar das plötzlich in Wirkung
tretende, bis dahin latent gebliebene Resultat von durch unzählige
Generationen vererbten 'Vorstellungen und Gewohnheiten, das nun allerdings
dem Individuum so überwältigend und überraschend entgegentritt, so
wenig aus seiner eigenen Geschichte erklärbar scheint, dass es nicht zu
verwundern ist, wenn man das Hineinspielen eines überirdischen Prinzips
dabei vermutete, wenn man Ehen im Himmel geschlossen sein lässt und ihre
Unauflösbarkeit damit begründet, dass Gott sie zusammengefügt hat.
Die Einzelne tritt
hiermit die Erbschaft der Gattung an, deren Wirkung eben jene Plötzlichkeit,
jenes Geben von Vielem mit einem Schlage aufweist, wodurch sich das Erben
vom Erwerben unterscheidet.
Sind die Frauen so an die
Sitte gebunden, so ist nicht zu leugnen, dass wie die Ursache davon eine
gewisse Beschränkung ist, eine ebensolche auch die Folge davon wird; so
reizvoll auch Schüchternheit, Zurückhaltung, Sittsamkeit bei einer Frau
ist, so wird dennoch hierdurch die Erscheinung gewisser Seiten ihres
Wesens unmöglich, die vielfach vielleicht abstoßend, mannigfach aber
auch anziehend sein würden. Hierauf beruhen die scheinbar rätselhaften
Erfolge, die Frauen, welche die Schranken der Sitte und Sittlichkeit überschritten
haben, erringen, und die oft in gar keinem Verhältnis zu ihren
naturgegebenen Reizen stehen.
Indem sie die Zurückhaltung
abstreifen, die alle Wesensäußerungen einer sittsamen Frau dämpft und
viele unterdrückt, können sie in der Degagiertheit der Bewegungen, der
Vorurteilslosigkeit ihrer Meinungen, der Freiheit in deren Aussprache
viele Reize zeigen, deren Entfaltung sich die in den Schranken der Sitte
bleibende Frau selbst untersagt.
Es ist dies einer der
Vorteile, die die Kultur dem Unsittlicheren dadurch bietet, dass zwischen
dem, was keiner darf, was mit Unlustfolgen für den Täter verbunden ist
und dem, was jeder darf, ein Gebiet liegt, das zwar nicht gesetzlich
verboten ist, dessen Beschreitung aber der ehrenhafte Mensch sich selbst
verbietet; der Gewissenlose hat unzählige Mittel zur Erreichung seiner
Zwecke zur Verfügung, die dem Gewissenhaften durch nichts Äußerliches,
sondern nur innerlich versagt sind und die jenem deshalb einen erheblichen
Vorsprung im Kampf ums Dasein geben.
Es kann auch nicht
geleugnet werden, dass die unbedingte Bindung an die Sitte mancherlei
Beschränkungen und Vorurteile zur Folge hat, die für die höhere
Sittlichkeit gleichgültig oder ihr gar entgegengerichtet sind, ein Übelstand,
wie er von der Anlehnung an eine Autorität schwer zu trennen ist und um
so schwerer in diesem Falle, weil die Undifferenziertheit des weiblichen
Vorstellens, wie sie Sitte und Sittlichkeit zusammenfallen lässt, überhaupt
dazu neigt, ein einmal Gegebenes in Bausch und Bogen hinzunehmen und auch
wegen des größeren Sicherheitsgefühles, das die Schwäche aus der
Unbedingtheit einer Anlehnung gewinnt, es vermeidet, die einzelnen Momente
einer Norm herauszulösen und gesondert auf ihr Recht zu prüfen.
Aus all diesen Momenten
zusammengenommen stammt die Härte, mit der die Frauen den Bruch der äußern
Sitte, namentlich durch Frauen, verurteilen, während wir hierdurch
zugleich die Tatsache tiefer begreifen, dass sie im einzelnen Falle diesen
Bruch so lange es angeht nicht zugeben, sondern im Gefühl, dass es die
Ehre ihres Geschlechts gelte, die Handlungsweise anderer Frauen Im guten
Sinne auslegen. Ein objektives Lebenselement, aus dem man Anlehnung und
Kraft gewinnt, erhält man in seiner Reinheit und Wirksamkeit am besten
durch entschiedenen Einschluss oder entschiedenen Ausschluss des
Individuums. Und so erlebt man denn, dass Frauen das ganz gleiche
moralische Verdammungsurteil über Gretchen wie über Marguérite
Gauthier, über Stella wie über Messalina fällen; die bloße Tatsache
der nicht legitimierten Hingabe genügt dazu, der bloße Bruch mit der
Sitte, deren Kraft gefährdet wäre, sobald durch Auseinanderlegung der
Motive jenes Bruches ein Kompromiss mit ihr möglich wäre. Ich möchte
behaupten, dass in dieser Hinsicht die Sitte sich zur Sittlichkeit ungefähr
verhält wie die Technik zur Kunst, dass die erstere nur insofern Wert
hat, als die zweite durch sie hindurchscheint und ihren Endzweck bildet;
und dass das Talent der Frauen zum Technischen, dem aber der höhere
Kunstzweck, an den es sich lehnt, von andrer Seite gegeben sein muss,
gewissermaßen ihrem Talent zur Bestimmung dessen, was sich ziemt,
entspricht. Denn auch die Sitte erhält ihre Bedeutung doch nur
daher, dass der Kulturprozess ethische Zwecke schafft, an die sie sich
vorbereitend und abgeleitet anlehnt.
Wo es dagegen ohne selbständige
höhere Abstraktion nicht möglich ist, für ein Ideal Verständnis und
Interesse zu gewinnen, da scheitert den Frauen auch beides: an der
Wissenschaft , an den höheren politischen Idealen, an derjenigen
Sittlichkeit, die das Nähere und Kleinere vernachlässigt, um dem
weitesten Kreise zu dienen.
Darum kann ich das oft gehörte
Lob der Frauen, dass sie Priesterinnen und Bewarerinnen des Idealismus wären,
nur da für gerechtfertigt halten, wo ganz besondere Umstände dazukommen,
z.B. eine hervorragend starke Richtung der Männer auf materiellen Erwerb;
da die Frauen von der direkten Beteiligung an der Jagd nach diesem Glück
ziemlich ausgeschlossen sind, ist es natürlich, dass sie den Männern
gegenüber, die ganz in derselben aufgehen, den Eindruck des Immateriellen
und Idealistischen machen. Wo ferner unter den Männern eine scharf
durchgeführte Arbeitsteilung herrscht, da werden die Frauen, die wegen
ihrer gleichartigeren Interessen gewissermaßen den Indifferenzzustand
dieser um sie herum vorgehenden Bewegungen bilden, über den Gegensätzen
zu stehen scheinen und den damit verbundenen Anschein von Verklärung und
Idealität gewinnen.
Allein hierbei geht eine
psychologisch wohl begreifliche Verwechslung vor sich. Von dem, was
jenseits der Gegensätze steht, glaubt man leicht, dass es über ihnen
stehe; von dem, was noch gar nicht in sie eingetaucht ist, dass es sie überwunden
habe und sie versöhnt in sich trüge. Wie die Reinheit und Unschuld
eines Kindes uns oft eine beschämende Mahnung auszusprechen scheint, während
diese Eigenschaften doch nur für den Erwachsenen verdienstvoll sind, der
sie nach allen Stürmen und Versuchungen bewahrt oder wiedergewonnen hat
und so bei formaler Ähnlichkeit des Resultats dem Kinde grade das fehlt,
wodurch dieses Resultat sittlichen Wert besitzt: so erscheint uns die
Einheitlichkeit des Wesens der Frauen, die subjektive Sicherheit ihrer
Instinkte, die Unberührtheit, mit der sie in unzähligen Wirrnissen des
Lebens darin stehen, als Ideal, in dessen Erreichung sie uns weit überlegen
seien.
Allein wir bedenken dabei
nicht, dass hier einer der häufigen Fälle vorliegt, wo das Endglied des
Prozesses die gleiche Form wie sein Anfangsglied zeigt. Nachdem
vollständige Spezialisierung und Differenzierung der Teile des Wesens
errungen ist, nachdem jede Fähigkeit die Selbständigkeit vollkommener
Ausbildung gewonnen hat, ist es freilich höhere Lebensaufgabe, dieses
Mannigfaltige wieder zu vereinheitlichen, die Buntheit der Triebe, der
Gedanken, der Betätigungen wieder durch enge gegenseitige Beziehungen zur
Versöhnung zu bringen.
Aber wenn jener Prozess
nicht vorausgegangen ist, wenn sich die Vereinheitlichung nicht an dem
bereicherten Materiale vollzieht, so liegt auf der Hand, dass die
Voraussetzung für jenen den Frauen eingeräumten Vorzug bei ihnen relativ
unerfüllt bleibt und ihnen von den Männern wahrscheinlich nur deshalb
subintelligirt wird, weil sie bei diesen relativ erfüllt ist. Auch
im Erkenntnisleben stellt sich nach langandauernder Übung im bewussten
Denken und Forschen schließlich eine gewisse Unbewusstheit dadurch ein,
dass lange Schlussreihen, vermöge der gewachsenen Denkübung mit außerordentlicher
Schnelligkeit und in entsprechender Verdichtung vollzogen werden, so dass
das Resultat wie durch einen glücklichen Takt, einen sicheren Instinkt für
das Richtige eingegeben scheint. Allein der Wert dieser Unbewusstheit
ist doch von den psychischen Ereignissen abhängig, die, ihr in bewusster
Form vorangegangen, jetzt ihren Inhalt und ihre Richtung bestimmen; indem
wir diese Genesis der unbewusst ahnenden Form des Denkens, die dann
allerdings gewissermaßen seine höchste Vollendung bezeichnet,
voraussetzen, gewinnt das Erkenntnisleben der Frauen in der
nachtwandlerischen Sicherheit ihrer Instinkte und ihres Taktes, für
unsere Beurteilung einen Vorsprung, den aber ein näheres Zusehen, sowohl
a priori wie a posteriori, ebenso oft als einen Sprung nach der falschen
wie nach der richtigen Seite zeigt. Die Schätzung der Frauen steigt
hier durch einen psychologischen Vorgang, der für die Wertlehre überhaupt
von Wichtigkeit ist: Menschen, die sehr verschieden von uns sind, und so,
dass sie uns zum vollkommenen Menschen ergänzen, halten wir leicht für
an sich vollkommen; nicht nur weil wir das höher schätzen, was uns
fehlt, sondern weil wir dasjenige, was wir selbst sind, als gewissermaßen
selbstverständlich dazu ergänzen; unwillkürlich und unbewusst halten
wir uns mit ihnen zusammen und der Eindruck des Vollkommenen, der dabei
herauskommt, wird auf sie projiziert.
Die Einheitlichkeit und
Ganzheit im Wesen der Frauen ermöglicht ihnen auch Anpassungen, die dem
Manne schwer oder gar nicht gelingen. Wie sie es verstehen, in der häuslichen
Einrichtung aus jedem gegebenen Material ein gemütliches und harmonisches
Ganzes herzustellen, das trotz der Zufälligkeit und Heterogeneität der
Bestandteile den Eindruck gewährt, als dürfte es gar nicht anders sein:
so wird es ihnen auch vermöge der engen Zusammengehörigkeit ihrer
Seeleninhalte leicht, wenn einmal ein bestimmter Zustand mit bestimmten
Anforderungen gegeben ist, sich auf diesen abzustimmen und die Gesamtheit
ihres Seins und Tuns zu einer neuen Einheit, die den neuen Charakter trägt,
zu gestalten; wie sie sich besser in herabgekommene Verhältnisse finden,
so werden ihnen auch Erhöhungen der Lebenshaltung schneller gewöhnt als
den Männern, die viel länger die Rudimente der früheren Zustände in
ihrer größeren Teilung fähigen Natur bewahren und so häufiger einen
entweder tragischen oder komischen Kontrast jener mit den neuen Umständen
darbieten.
Dass der Übergang zu so geänderten
Verhältnissen bei den Frauen oft von stärkeren Wehen, Schwankungen und
eruptiven Erschütterungen begleitet ist, ist kein Gegenbeweis; denn grade
darin zeigt es sich, dass wirklich eine Umwandlung des ganzen Wesens vor
sich geht, während die neuen Vorstellungen bei dem Manne sozusagen mehr
lokalisiert bleiben und deshalb einen mehr chronischen Kontrast bilden,
den der Einheitstrieb des Geistes nicht so leicht wie dort überwindet. Deshalb
gelingt es den Frauen auch eher, sich mit halben, unentschiedenen Verhältnissen
abzufinden, wahrscheinlich in tieferem Zusammenhänge mit der Eigenschaft
ihrer theoretischen Vernunft, sich gern ohne scharfe, klar gesonderte
Begriffe zu behelfen. Ein so unentschiedener, nur im Übergang
bestehender Zustand, wie die Brautzeit ihn bietet, den der Mann
bekanntlich selbst im besten Fall unbefriedigend und unbehaglich findet
und möglichst abzukürzen strebt, ist für das Mädchen in der Regel von
wunschlosem Glück erfüllt, sie kann sich mit der Totalität ihrer
Seeleninhalte an die Halbheit desselben anpassen. Wie viel mehr der
Brautstand der weiblichen als der männlichen Natur adäquat ist, zeigt
sich auch symbolisch daran, dass das Wort »Braut« uns so wundervoll
poetisch und ansprechend klingt, während »Bräutigam« hässlich und in
feineren Kreisen fast perhorresziert ist. Über der Vorstellung Bräutigam
schwebt ein leiser Hauch von Humor, wie über allen Verhältnissen von Männern,
die einen Übergang, eine Halbheit, ein erst Werdendes bedeuten: Kandidat,
Privatdozent, Aspirant usw. Es kommt in Bezug auf jenes günstige den
Frauen entgegengebrachte Vorurteil noch eines hinzu. Häufig ist
ausgesprochen worden, dass die weiblichen Reize im Halbdunkeln oder durch
eine, mit diesem verwandte, Halbverhülltheit ganz außerordentlich an
Anziehungskraft gewinnen; offenbar auf Grund eines gewissen Optimismus,
der das, was er nicht sieht, sich sofort so vorstellt, wie er es gern
sieht. Nun zeigt aber auch das Seelenleben der Frauen vermöge seiner
Undifferenziertheit ein Halbdunkel, eine Halbverhülltheit auf, der gegenüber
der gleiche Optimismus und Idealisierungstrieb Raum zur Entfaltung gewinnt
und alle diejenigen Reize und Vollkommenheiten in jenes hineinlegt, deren
Gegenteil ebensowenig wie ihre Wirklichkeit aus der dunkleren und mehr
keimhaften Beschaffenheit des psychischen lnhalts objektiv zu erkennen
ist. Weil endlich die Undifferenziertheit mit der Potentialität im
Gegensatz zur Aktualität zusammenfällt, erklärt sich aus ersterer auch,
dass man auffallend häufig einer Frau gegenüber, sobald man sie näher
kennen lernt, zu der Vorstellung kommt, dass die Natur eine Menge von
Keimen in sie gelegt hat, die nicht zur Reife gekommen sind, dass viel
mehr aus ihr hätte werden können, als tatsächlich geworden ist. Es
mag hierbei insofern eine Täuschung vorliegen, als jener unvollkommnere
Zustand aus der Entwicklung der Gattung hervorgeht und deshalb vielleicht
nur durch diese und in dem ihr eigenen Tempo zu überwinden ist, aber
nicht durch unmittelbare Einwirkung auf das Einzelwesen.
Die falsche
individualistische Auffassung, in der wir noch fast durchgehendes befangen
sind, verführt den Beurteiler leicht zu der Meinung, dass die von ihm
selbst eingenommene Stufe auch dem auf niedrigerer Stehengebliebenen
erreichbar wäre, wenn auf diesen nur in der richtigen Weise eingewirkt würde. Beide
Stufen aber sind nicht anders erreichbar als durch Ausstattung seitens der
vorangegangenen Generationen und die Potentialität der tieferen im Verhältnis
zur höheren ist, wenn es ganze Klassen betrifft, nur durch soziale, aber
nicht durch individuelle Entwicklung in die Aktualität der höheren überzuführen.
Ist der Mangel an
Differenzierung nun der tiefste Grund dessen, was die Frauen von den Männern
unterscheidet und ihnen die tiefere Stufe anweist, so würde der Versuch
der Gleichstellung vor allem mit einer gewachsenen Funktionsteilung unter
ihnen zusammenfallen. Vorläufig pflegt sich die Tätigkeit der
Frauen noch so auf das Haus zu konzentrieren, dass man, vereinzelte
Extreme ausgenommen, wohl sagen kann, die Tätigkeit der höchsten und der
niedrigsten Frau unterscheide sich lange nicht so sehr, wie sich die des höchsten
und des niedrigsten Mannes unterscheidet. Wächst nun die
Differenzierung unter ihnen, so tritt notwendig folgendes ein: da die rein
physiologische Konstitution des weiblichen Geschlechts immer gewisse
Funktionen auf ihnen ruhen lassen muss, wie das Gebären und die Pflege
des ersten Kindesalters, und sie von andern, große Körperkraft und Abhärtung
verlangenden, ausschließt, wodurch sie wiederum auf die geschützteren
Funktionen im Hause zurückgewiesen werden, so folgt aus einer
gesteigerten Arbeitsteilung unter ihnen, dass einige zwar weit über das
jetzige Niveau in Hinsicht ihrer Ausbildung und Tätigkeit erhöht, die
andern dagegen um so ausschließlicher zu Kindergebärerinnen und Köchinnen
herabgedrückt werden. Die Verteidiger der Emanzipation, die die
Frauen von der Fesselung an Strickstrumpf und Kochtopf erlösen möchten,
pflegen dies nicht zu bedenken, dass, da die hiermit bezeichneten
Funktionen weder entbehrt, noch, aus sehr guten Gründen, den Frauen
abgenommen werden können, eine steigende Differenzierung unter ihnen zwar
eine Reihe von Frauen davon befreien kann, um sie höheren und geistigeren
Berufen zuzuwenden, aber nur um den Preis, dass die übrigen viel enger
und in viel spezialisierterer Weise an jene Funktionen gefesselt werden.
Wie sehr für das weibliche
Wesen die mangelnde Differenzierung bezeichnend und entscheidend ist,
zeigt sich an den Beziehungen derselben zu dem zentralen Gebiete jenes, zu
dem geschlechtlichen Leben. Wo Burckhardt (Kultur der Renaissance
11., 213) von der Häufigkeit des Ehebruchs in der Renaissancezeit
spricht, hebt er hervor, wie die volle individuelle Entwicklung der Frau,
die sie auf gleiche Stufe mit dem Manne stellte, damals ein wichtiges
Moment dafür gebildet habe. Er werde sogar gleichsam als berechtigt
empfunden, wenn Untreue des Mannes hinzukäme; die individuell
entwickelte, ihrer Persönlichkeit sich bewusste Frau empfinde diese nicht
nur als Schmerz, sondern als Holm und Demütigung und nun übe sie, oft
mit ziemlich kaltem Blute, die Rache, die der Gemahl verdient hat und die
nichts als eine Vergeltung von Gleichem durch Gleiches ist. So
richtig dies letztere auch von einem rationalistischen Standpunkt, so
ungerecht die Verschiedenheit der Schuld scheint, mit der die öffentliche
Meinung den Ehebruch der Frau gegenüber dem des Mannes belastet, so
gewinnen wir doch aus der Undifferenziertheit der weiblichen Natur eine
Rechtfertigung für diese Ungleichmäßigkeit. Dieselbe liegt darin,
dass beim Manne vermöge der stärkeren Individualisierung der Teile
seines Wesens, die Sinnlichkeit in relativer Sonderung von dem übrigen
und hauptsächlichen Seeleninhalt bestehen und eine Befriedigung suchen
kann, während die ungeschiedenere Einheitlichkeit der weiblichen Seele
dies weniger gestattet. Deshalb nimmt man mit Recht an, dass eine
Frau sich nur ganz oder gar nicht hingeben kann, dass sie auch die
innerlichste seelische Treue dem Manne gebrochen hat, dem sie die sexuelle
Treue bricht und dass der Ehebruch bei ihr deshalb sozusagen ein totalerer
und schuldvollerer ist, als beim Manne, dem häufiger »zwei Seelen in der
Brust« wohnen und der deshalb unter Umständen eher die innere seelische
Treue seiner Frau bewahren kann, der er die äußere gebrochen. Wo
also die Frau, wie in den von Burckhardt charakterisierten Fällen,
vielseitigerer Entwicklung genießt und sich damit dem männlichen Typus
mehr nähert, erscheint der Ehebruch nicht so schuldvoll, weil er
nicht die ganze Persönlichkeit betrifft.
Eines der stärksten
Beispiele für diese Zerteilung der Persönlichkeit, bei der »die Linke
nicht weiß, was die Rechte tut« und das ethische Schicksal des Ganzen völlig
von dem des Teiles gesondert erscheint, finde ich bei Boccaccio (Decam.
glorn. vi. nov. vii): eine Frau, von ihrem Gatten wegen Ehebruchs
gerichtlich angeklagt, fragt denselben in der Verhandlung, ob sie sich ihm
je entzogen und ihr Verhältnis mit ihrem Liebhaber je ihre eheliche
Pflichterfüllung vermindert oder verkümmert hätte; und wie er dies
verneinen muss, fährt sie fort: Adunque domando io, messer podestà, se
egli ha sempre di me preso quello che gli è bisognato e piaciuto, io che
doveva fare o debbo di quel che gli avanza, debbolo io gittare ai cani,
non è egli molto meglio servirne un gentile uomo che plü che sè m' ama,
che lasciarlo perdere o guastare, worauf sie vom versammelten Volke
freigesprochen wird.
Hier ist der Mangel jener
Einheitlichkeit des Wesens, die mit der sexuellen Hingabe an Einen ihm
auch die ganze und volle Persönlichkeit gibt, und die daraus folgende
ethische Entlastung scharf ausgesprochen. Die Voraussetzung jener
Einheitlichkeit aber rechtfertigt noch eine andere scheinbare
Ungerechtigkeit, die gegen die Frauen begangen wird. Von einem
gefallenen Mädchen sagt man, sie habe ihre »Ehre« verloren und die
Gesellschaft behandelt sie dementsprechend. Man wird dabei nicht
leugnen können, dass eine solche Person in all und jeder anderen
Beziehung die denkbar ehrenhafteste sein kann; der Doppelsinn von Ehre,
einmal im engeren Sinn der Sexualehre, und dann in jenem weiteren, der den
Wert der ganzen Persönlichkeit einschließt, scheint an den Verlust der
ersteren unbilligerweise den der zweiten zu heften. Allein die
relative Einheitlichkeit des weiblichen Wesens rechtfertigt dies wieder;
man wird im Allgemeinen annehmen können, dass die geschlechtliche Hingabe
eines Mädchens keine partielle ist, sondern auch die totale von Geist und
Körper, Sein und Haben, Willen und Gefühl anzeigt. Was nun hieran
die persönliche Ehre im weitesten Sinne herabzusetzen geeignet ist, ist
der Umstand, dass ihr Verführer in der Regel sehr weit davon entfernt
ist, ihr entsprechend das Ganze seiner Persönlichkeit hinzugeben, wie es
in den Worten Gretchens angedeutet wird: »Denkt ihr an mich ein
Augenblickchen nur, Ich werde Zeit genug an euch zu denken haben«. Wer
sein Ganzes hingibt, um von dem Andern nur ein Teilchen zu erhalten, setzt
damit tatsächlich seine Ehre herab, die den Wert einer Person dem der
andern gleichstellt; so dass die Ethik im Allgemeinen annimmt, dass die
sexuelle Hingabe nur in der Ehe, d. h. bei wirklicher Gegenseitigkeit, die
persönliche Ehre voll bestehen lässt. Ob nicht einerseits auch in
der Ehe eine vollkommene Gegenseitigkeit ausgeschlossen ist, insofern die
Mannigfaltigkeit der männlichen Betätigungen nicht das absolute Aufgehen
in die Interessen der Ehe gestattet, das den Frauen eigen ist; ob nicht
andrerseits die demutsvolle, gar keine adaequate Erwiderung verlangende
Hingabe, die Selbstlosigkeit der Liebe, die so manchem Verlust der
weiblichen Ehre zu Grunde liegt, das Urteil über die Deteriorierung der
ganzen Persönlichkeit mildern müsste - das sind wohl
aufzuwerfende, hier indes ferner liegende Fragen. In Bezug auf die
letztere will Ich nur noch an die hervorgehobene Eigenschaft der Frauen
erinnern, sich für abstraktere und objektive Ideale nur durch eine Persönlichkeit
hindurch, in der sie Körper gewinnen, begeistern zu können. Deshalb
stellt sich in der Tat für eine Frau in dem geliebten Manne das dar, was
uns zu den höchsten idealen Bestrebungen treibt, und die Leidenschaft der
Hingabe, durch die der Mann seine ganze Persönlichkeit, sein Leben, ja
selbst seine Ehre für das aufs Spiel setzt, was er nun einmal als
objektives Ideal erkannt hat, steht in Hinsicht auf subjektive
Sittlichkeit oft kaum höher als die bedingungslose Hingabe eines Weibes
an einen Mann.
Was nun die Entwicklung des
weiblichen Wesens durch den Affekt der Liebe betrifft, so treten dabei
scheinbar entgegengesetzte Erscheinungen auf. Ein bekannter
russischer Nihilist, Stepnjak, bemerkt in seinen Memoiren, wo er über die
Stellung der Frauen zu der nihilistischen Bewegung spricht: »Die
Unterjochung der Frau ist nur durch die Liebe möglich. Deshalb wird
sie überall, wo sie sich erhebt um ihre Rechte geltend zu machen, mit der
Forderung der freien Liebe beginnen. So geschah es im Altertum, so im
Frankreich des 18. Jahrhunderts, wie in dem der Georges Sand, so jetzt in
Russland.« Stepnjak versteht hier zunächst unter Liebe schlechthin die
monogame Liebe und kann deshalb Liebe und freie Liebe als unmittelbare
Gegensätze fassen. Auch ist allerdings kein Zweifel, dass die
Freiheit der Liebe der erste Schritt zur Freiheit von der Liebe ist; die
Wiedertäufer von Zolicone rechtfertigten ihre sinnlichen Ausschweifungen
damit, dass grade der häufige Wechsel der Weiber zu dem vom Apostel
angeratenen Zustand führe: sie zu besitzen als besäße man sie nicht. Dem
lag offenbar das richtige Gefühl zu Grunde, dass bei vielfachem Wechsel
der Individualitäten, die man genießt, sich gewissermaßen die
individuellen Qualitäten für das Bewusstsein gegenseitig paralysieren,
nur das Allen Gemeinsame in scharfer Beleuchtung hervortritt und so das
Interesse für das einzelne Weib erlischt. Je weniger sich Mann und
Weib in der Liebe als bestimmte Individualitäten gegenüberstehen, desto
mehr kann es ihnen nur auf das ankommen, was ihnen als Mann überhaupt
oder als Weib überhaupt eignet, d.h. im Wesentlichen auf den sinnlichen
Geschlechtscharakter. Aus diesem Grunde ist die freie Liebe hauptsächlich
sinnlicher Natur, was ihrem Begriffe nach eigentlich nicht nötig wäre. Allerdings
würden die Frauen in dem Augenblick, wo die Bindung ihrer Gefühle und
Pflichten an einen einzelnen Mann aufhörte, eine erhebliche Steigerung
ihrer Freiheit erfahren und zwar nicht nur unmittelbar, sondern auch
mittelbar deshalb, weil die dann aufhörenden inneren Beziehungen zu einem
bestimmten Mann so oft das Vehikel einer äußern Unterjochung sind. Dem
Kulturvorteil, den sie dadurch erlangen würden, stände indes die
kulturelle Erniedrigung gegenüber, die der Beschränkung der Liebe auf
ihre wesentlich sinnliche Seite entspricht. Und ferner scheint es,
als ob die Frau grade durch das Verhältnis zu einem bestimmten Manne eine
Individualisierung, eine Differenzierung aus der homogeneren Masse der
Geschlechtsgenossinnen erführe, die nur als Höherbildung im Sinne der
Kultur gelten kann. Damit steht es im Zusammenhange, dass Frauen,
welche alle Zurückhaltung und Scham abgestreift haben, diese in gewissem
Maße wiedererhalten, wenn sie einmal wirklich lieben, und zwar eben dem
Manne gegenüber, den sie lieben. Auch öffentliche Personen, welche
sich ohne Weiteres jedem beliebigen Manne prostituieren, scheuen davor zurück,
wenn es sich um einen Mann handelt, zu dem sie irgend welche persönlichen
Beziehungen haben. Sobald sie als bestimmte Person einer bestimmten
Persönlichkeit gegenüberstehen, und also beiderseitig aus der
Allgemeinheit der bloßen Geschlechtseigenschaften herausgetreten wird,
treten auch sofort die höheren Eigenschaften in Funktion. Die
Veredlung durch die Liebe, die man bei gesunkenen Frauen beobachtet,
besteht jedenfalls zum Teil in der höherbildenden Differenzierung durch
ein Verhältnis von ausgesprochener Individualität, während ihre früheren
Verhältnisse nur auf den rein generellen Beziehungen zwischen Mann und
Weib beruhten.
Immerhin aber trägt jede
Hingabe eines Weibes an einen Mann noch hinreichend persönlichen
Charakter, um der Prostitution dadurch etwas so besonders Abstoßendes zu
geben, dass sie gegen ein so völlig unpersönliches Äquivalent, wie das
Geld ist, erfolgt; ihr kann, als etwas rein Individuelles, nur die Hingabe
der Individualität des Andern entsprechen, aber nicht derjenige Wert, der
von allen der unindividuellste, von dem spezifischen Inhalt aller Persönlichkeit
entfernteste ist. Daraus erklärt es sich auch, dass in
unkultivierteren Zuständen die Prostitution eine mildere Beurteilung
findet und verdient: denn in solchen ist einerseits die Persönlichkeit
noch nicht mit solcher Entschiedenheit aus dem allgemeinen Gattungstypus
heraus differenziert, andrerseits hat das Geld noch nicht den farblosen
Charakter angenommen, wie in hohen Kulturen, wo die Tatsache seiner
unendlich viel größeren Verbreitung und Verwertung es als das absolut
Unpersönliche über alle individuellen Werte gestellt hat. Aus dem
Zusammenhänge, den das Individuellere als solches mit dem Edleren und
geistig Vornehmen hat, ist es zu verstehen, dass niedrige Frauen so oft
durch die Liebe, wenn sie auch sinnlich begonnen hat, darüber hinaus zum
Idealeren und Geistigen hinaufsteigen, während höhere Naturen, bei denen
die Liebe von vornherein geistiger Natur war, erst von diesem Anknüpfungspunkt
aus zum Sinnlichen geführt werden.
Und wie die Liebe die Persönlichkeit
stärker und individueller entwickelt, so ist umgekehrt eine Beziehung,
die stark individualistischen Charakter trägt, oft der günstigste Boden
für das Entstehen der Liebe; es ist oft bemerkt worden, dass man sich in
der Regel in die erste Person des andern Geschlechts, die man in einem
gewissen Alter genauer kennen lernt, auch verliebt, und ein offenes
Erschließen des innersten und persönlichsten Seelenlebens, wenn auch zunächst
ganz objektiver Weise, pflegt außerordentlich häufig denselben Effekt zu
haben.
Die Bedeutung der
Differenzierung für die Beziehungen der Geschlechter ist noch von der
folgenden Seite her soziologisch wichtig. Als in einem Tendenzdrama
vor mehreren Jahren die Behauptung ausgesprochen wurde, jede Heirat, die
nicht rein aus gegenseitiger Liebe geschähe, wäre unsittlich und könne
nie zum Heil der Gattung führen, wurde in der darüber entstandenen
Kontroverse eingewendet, in früheren Zeiten und in niederen Ständen kämen
Liebesheiraten so gut wie gar nicht vor und dennoch hätte die Gattung
keinen Schaden genommen. Allein die Berechtigung jener Forderung
liegt darin, dass die Menschen immer individueller werden; unter einer
relativ homogenen Masse von Menschen ist es ebenso relativ gleichgültig,
welches Paar sich zusammentut; je unterschiedener die Individuen sind,
desto enger ist für den Einzelnen die Wahl, die eine möglichst
vollkommene Nachkommenschaft garantiere. Und wir haben nun einmal
kein Kriterium, das diese Wahl überhaupt im richtigen Sinne entscheide,
als das freilich oft genug unzulängliche und bloß instinktive der
gegenseitigen Anziehung; die sonstigen Kriterien sind nur negativer Art,
z.B. einerseits vererbte Krankheiten, andererseits auskömmliche äußere
Lage. Wenn es auch scheint, dass man zu einander passt, weil man sich
liebt, so wird dem, wenigstens für die hauptsächlichen Beziehungen, wohl
zu Grunde liegen, dass man sich liebt, weil man zu einander passt. Darum
ist in den unteren Ständen, wo die Differenzierung noch nicht so weit
vorgeschritten ist als in den oberen, sehr leidenschaftliche und sehr
individuelle Liebe verhältnismäßig selten. Häufig ist freilich
der Fall, dass Mädchen niederen Standes eine unbedingte Leidenschaft für
einen höherstehenden Mann fassen, wie Gretchen für Faust und Clärchen für
Egmont, den sie dann ganz ohne Kritik, ohne Abschwächung dadurch, dass
sie ähnliche kennten, lieben. Allein dies sind jedenfalls nur die
besseren Naturen, in denen schon die dunkle Ahnung einer höheren und
individuelleren Existenzweise, als ihr Stand sie bietet, aufgetaucht ist,
für welche Ahnung ihnen nun der gebildete Mann die Erfüllung darbietet. Grade
das also, was im Allgemeinen die leidenschaftlichere Liebe in den niederen
Ständen verhindert, der Mangel an individueller Differenzierung, lässt
sie begreiflicher Weise um so stärker da entstehen, wo dieser Mangel
bewusst wird und seine Ausgleichung vermöge der
Unterschiedsempfindlichkeit eine um so stärkere Gefühlswirkung haben
muss.
Ich möchte auch glauben,
dass die abnehmende Heiratsfrequenz, die sich überall bei wachsender
Kultur findet, nicht nur aus den wirtschaftlichen Verhältnissen und der
Gelegenheit zu außerehelichen Befriedigungen hervorgeht, sondern auch aus
jener mit der Kultur steigenden Individualisierung der Persönlichkeit,
die es immer schwieriger und unwahrscheinlicher macht, die Rechte zu
finden, diejenige, die die differenzierten Eigenschaften des andern grade
durch ihre differenzierten Eigenschaften möglichst ergänzt. Dieses
Moment potenziert auch die Schwierigkeit des Heiratens, die aus dem
Herausrücken der Altersgrenze, in der wirtschaftliche Gründe es
gestatten, hervorgeht; denn je älter der Mensch wird, desto entschiedener
bildet sich seine Individualität aus. Und wenn ferner höchste
Kulturen zur Kinderlosigkeit der Ehen neigen, so kann unter Anderem
vielleicht auch hier die Differenzierung der Individuen insofern dazu
mitwirken, als, wie die Biologie festgestellt hat, die Verschiedenheit der
Eltern nur einen gewissen Grad haben darf, um Fruchtbarkeit zu begünstigen,
oberhalb desselben aber, ebenso wie bei zu großer Gleichartigkeit
(Inzucht), die Fortpflanzung behindert.
Die Steigerung der Kultur
zeigt ihre Wirkung, die Einheitlichkeit des weiblichen Wesens zu
vermindern, unter Anderem auch in der Erscheinung der Koketterie, die nach
verschiedenen Seiten hin ein schwieriges psychologisches Problem bildet. Die
Tierwelt bietet uns vielfache und zweifellose Beispiele von Gefallsucht
dem andern Geschlecht gegenüber, wenngleich es immer nur das Männchen
ist, das sich mit seinen herausgeputzten Reizen die Gunst des Weibchens
erwerben will. Allein hiervon abgesehen, ist der Unterschied der,
dass das Hervorrufen des Gefallens in der Tierwelt den Geschlechtsgenuss
zum unmittelbaren Zweck hat. Mag dies in roheren Zuständen der
Menschenwelt sich ebenso verhalten, so ist doch bei der Koketterie der
gesitteten Gesellschaft hiervon nicht die Rede. Denn wenn wir auch
zugeben wollten, dass bei einem Mädchen, die sich durch Koketterie einen
Mann gewinnen will, jener Prozess nur die zivilisierte Form angenommen
habe, so liegt doch in den weitaus meisten Fällen auch den kokettesten
Frauen der Gedanke einer sexuellen Gemeinschaft mit dem Mann, dem gegenüber
sie kokettieren, völlig fern und sie würden eine auf ihr derartiges
Benehmen sich stützende Zumutung mit Entrüstung und dem Bewusstsein zurückweisen,
dass ihre Koketterie durchaus kein Entgegenkommen nach dieser Richtung hin
enthalten sollte. Wenn Koketterie auch bedeutet: ich will dir
gefallen, so heisst dies höchstens: ich will, dass du mich begehrst;
damit ist aber noch lange nicht gesagt, dass ich dir dann gewähren will,
was du begehrst. Mit sehr starker Koketterie kann die vollkommenste,
auch innerliche Sittsamkeit verbunden sein, während umgekehrt die sexuell
ausschweifendsten Frauen keineswegs immer die kokettesten sind, da die
Leidenschaft oft die berechnende Kühle ausschließt, deren es zur
Koketterie bedarf. Hier liegt das gleiche psychologische Verhalten
vor, auf Grund dessen oft grade die reinsten und innerlich ungebrochensten
weiblichen Naturen der Verführung unterliegen. Wenn die konsequente
Praxis des Teufels, die ganze Hand zu gewinnen, wenn man ihm nur den
kleinen Finger gibt, von Niemandem so erfolgreich geübt wird wie von dem
professionierten Don Juan, so gilt dies doch wesentlich denjenigen Frauen
gegenüber, die sich noch die innere Einheitlichkeit, die undifferenzierte
Solidarität der seelischen Inhalte bewahrt haben. Bei diesen ist die
Alternative des Verhaltens zu einem Mann viel häufiger: Alles oder
Nichts; viel mehr kann bei ihnen wegen des engen und einheitlichen
Zusammenhanges innerhalb der Seele diese von einem gewonnenen Punkte aus
ganz erobert werden als bei raffinierteren Naturen, deren Seeleninhalte größere
gegenseitige Unabhängigkeit gewonnen haben, in deren teilweiser Hingabe
deshalb viel weniger das Ganze implizite enthalten ist und die aus diesem
Grunde, wie wir sehen werden, in viel höherem Maße die Fähigkeit zur
Koketterie besitzen.
Aber man kann andrerseits
auch nicht sagen, dass der bloße Wunsch einer Frau, Männern zu gefallen
und die Anwendung dazu gehöriger Mittel schon unter allen Umständen
Koketterie ist.
Selbst eine Frau, die alle Künste gebraucht, um so schön und
liebenswürdig wie möglich zu erscheinen, wird darauf allein hin noch
nicht kokett genannt werden, wenn nicht noch ein weiteres, von jedem
feineren Empfinden leicht herausgefühltes, aber schwer zu beschreibendes
Moment hinzuträte.
Das Wesen der Koketterie
scheint mir, was ihre Wirkung auf
den Mann betrifft, in einer Mischung von (symbolischer) Gewährung und
Nichtgewährung zu liegen; das ganz Spezifische ihres Reizes besteht
weniger darin, dass sie das Versprechen eines Genusses, als dass sie das
Versprechen eines Genusses ist. Es ist eine für das praktische Leben
außerordentlich wichtige Tatsache, dass die Freude an einem bestimmten
Besitz oder Vorgang nicht erst in dem Augenblick seiner definitiven
Verwirklichung eintritt, sondern dass schon der Weg zu dieser, die
Hoffnung und Erwartung derselben, uns mit einem antizipierten Teil jener
Freude erfüllt; die Hoffnung der Lust enthält immer schon die Lust der
Hoffnung. Je vielgliedriger die teleologischen Prozesse, je feiner
die Empfindlichkeit wird, desto häufiger tritt diese Eskomptierung der
Lust auf, desto entschiedener heftet sich dieselbe schon an die Vorstufen
der eigentlichen Befriedigung, und zwar schließlich in dem Maße, dass es
des Eintretens dieser letzteren gar nicht mehr bedarf, sondern auch bei
vollkommener Gewissheit, dass sie nicht eintritt, dennoch ihre andeutende
Vorstufe lustbringend ist und aufgesucht wird. Hierdurch erkläre ich
mir den Reiz, den die Koketterie ausübt; wie rein physisch die bloße
sexuelle Aufregung, also das Vorbereitungsstadium der Lust, doch schon
selbst ein Lustgefühl gewährt, so ist jener leise Anreiz, jene
allerfernste und vergeistigte Lockung in das sexuelle Gebiet, wie sie das
Wesen der Koketterie bildet, schon hinreichend, um im Verkehr mit einer
koketten Frau Vergnügen zu empfinden. Und dieser Reiz hat eben
hinreichende psychologische Selbständigkeit angenommen, um des sexuellen
Endzwecks, dem er ursprünglich entlehnt ist, völlig entraten zu können,
und dieser tritt weder in das Bewusstsein dessen, auf den die Koketterie
wirkt, noch deren, die sie ausübt, ungefähr wie der Reiz des Geldes für
den Kulturmenschen unabhängig geworden ist von dem Gedanken an die
Gegenstände, zu deren Erwerbung es das bloße Mittel bildet, und von
denen es doch rationaler Weise seinen Wert entlehnen müsste. Es ist
deshalb mindestens zweideutig, wenn man sagt, die Kokette fessele uns,
weil sie Lust verspricht. Denn nach dem gewöhnlichen Sinne dieses
Ausdrucks müsste der Reiz fortfallen, sobald die Einlösung dieses
Versprechens sicher unmöglich ist.
Er fällt aber tatsächlich
nicht fort, weil gemäß der psychologischen Funktion, die die Dignität
des Zweckes immer mehr a die bloßen Mittel und Vorstufen heftet, das
Versprechen d Lust selbst schon eine Positive und unmittelbare, nicht erst
in der Zukunft liegende Lust bedeutet. Wie die Liebe nach dem tiefen
Worte Platos ein mittlerer Zustand zwischen Habe und Nichthaben ist, und
grade darin die Eigentümlichkeit des Reizes liegt, so ist die Koketterie
gleichsam ein mittlerer Zustand zwischen Liebe und Nichtliebe. Daraus
erklären sich nun noch ihre weiteren Reize, die zu jener Antizipation
einer nur in den Tiefen des Unbewusstseins mitschwebenden Erfüllung
hinzukommen.
Denn auch grade die
entgegengesetzte, in gleicher oder etwas bewussterer Weise anklingende
Vorstellung, nämlich die des Versagtseins, wirkt als Reiz mit. Dass
wir wissen, es ist der Kokette nicht Ernst, gibt uns ihr gegenüber eine
gewisse Sicherheit, infolgederen wir uns ihrem Reiz weitergehend überlassen,
als wo wir wüssten, dass der einmal begonnene Weg nun auch zum Endpunkt führt;
andererseits ist grade der Anreiz, über die innere Kühle der Kokette zu
triumphieren, die Hindernisse zu nehmen, an die sie uns nur heranführt,
um sie dann um so höher vor uns aufsteigen zu lassen, das halbe
Entgegenkommen durch den Eindruck der eigenen Persönlichkeit in ein
ganzes zu verwandeln, eine ihrer mächtigsten Waffen und namentlich für
eitle Naturen eine furchtbare Gefahr.
Und endlich ist die Lust
hervorzuheben, die dem Geist aus dem Oszillieren zwischen den beiden
genannten Momenten, der Andeutung des Gewährens und dem gleichzeitigen
Versagen, quillt. Sie ist jenem Reize des Spieles vergleichbar, der
in dem Schwanken zwischen Gewinn und Verlust besteht. Die Kokette lässt
den Mann, dem gegenüber sie Macht besitzt, in keiner von beiden
Vorstellungen zur Ruhe kommen, sie zieht ihn an, um ihn im nächsten
Augenblick zurückzustoßen, stößt ihn zurück, um ihn anzuziehen.
Solange die Schwingung zwischen diesen beiden Polen eine gewisse Weite
nicht überschreitet, und in der Berechnung dieser liegt die eigentliche
Kunst der Kokette, wirkt sie in hohem Maße lusterregend, indem sie eine
fortwährende Anregung enthält, einen in der psychologischen Wirkung dem
Humor verwandten Kontrast, dessen Seiten sich gegenseitig heben und
beleben.
Während einerseits die
Einheitlichkeit und relative Einfachheit des Wesens der Frauen, die
Ganzheit ihrer reflexionslosen Hingaben und der entsprechende Charakter
unseres Verhältnisses zu ihnen uns anzieht, fesselt uns andererseits die
Vielheit und Komplikation der psychischen Elemente, die in der Koketterie
beiderseits ins Spiel kommen, und fesselt uns vielleicht doppelt wegen des
Gegensatzes zu dem sonstigen Verhalten. Aus dem gleichen Grunde ist
der Verkehr mit pikanten, sturmerprobten oder auch gescheiterten Frauen für
viele Männer so viel anziehender als der mit unberührten Mädchen. Denn
hinter jenen liegt die Fülle ihrer Vergangenheit, die gegensatzvollen
Schicksale, die sie gewissermaßen in jedem Augenblick repräsentieren;
woher denn auch unser Verhältnis zu ihnen so oft einen, auch im nicht
frivolen Sinne des Wortes, zweideutigen, problematischen Charakter
annimmt, während umgekehrt eine ganz reine weibliche Natur die Wirkung
ausübt, dass auch der durch alle Stürme hindurchgegangene Mann sich in
ihrer Nähe gewissermaßen jungfräulich fühlt, und während die einfache
und geradlinige Vergangenheit junger Mädchen nicht nur den Eindrücken,
die sie auf uns machen, sondern auch unserem Verkehr mit ihnen einen
einheitlicheren Charakter, welcher Färbung auch immer, verleiht.
Es liegt nun schon in
dieser Erscheinung angedeutet, dass der hochgradigen Differenzierung im männlichen
Geiste, die nach den obigen Ausführungen die Empfänglichkeit für
Koketterie bedingt, eine solche im weiblichen Gemüte bei Ausübung
derselben entsprechen muss. Das psychologische Doppelspiel der
Kokette steht im Gegensatz zu der sonstigen Einheitlichkeit des weiblichen
Wesens; die Vorstellungsmassen müssen sich wenigstens teilweise und im
Unbewussten scharf in ihr sondern, damit dem einen Impuls, den sie sich
selbst, wenn auch nur der Erscheinung nach, und damit dem betreffenden
Manne gibt, zur rechten Zeit der entgegengesetzte entgegengestellt werden
kann, damit Anziehung und Abstoßung, Kühle und Wärme, sowohl im
Zugleich wie im Nacheinander auftreten und die richtigen Verhältnisse
zeigen können. Wegen dieser psychologischen Mannigfaltigkeit und
Spaltung, welche die Koketterie von vornherein in sich birgt, kann sie
sich auch jedes Mittels bedienen und es gibt nichts, was ihr nicht zum
Mittel werden könnte, Schönheit und Hässlichkeit, Religiosität und
Freigeisterei, Sittsamkeit und Zügellosigkeit; es gibt Frauen, die sogar
mit ihrer Koketterie kokettieren, wie es solche gibt, die es mit ihrer
Nicht-Koketterie tun. Ich möchte behaupten, dass jede Eigenschaft,
die ein konkretes Gegenteil besitzt, der Koketterie dienstbar werden kann,
da jeder Gegensatz zu einem ganz andersartigen Verhalten, das irgendwie
angedeutet und dessen Vorstellung irgendwie provoziert wird, jenen eigentümlichen
seelischen Spannungszustand, jenes dem Spiel und dem Humor verwandte
Oszillieren begünstigt, in dem das Spezifische der Koketterie liegt.
Es wäre hiernach
prinzipiell wohl möglich, dass auch umgekehrt Männer den Frauen gegenüber
kokettieren und es kommt tatsächlich vor; allein das Unnatürliche daran
ist dies, dass die Koketterie, als ein zwischen Versagen und Gewähren
schwebendes Verhalten, nur demjenigen zukommt, in dessen Hand Versagen und
Gewähren liegt, d.h. in unserer jetzigen sozialen Verfassung den Frauen. Der
Koketterie eines Mannes muss entweder das Entgegenkommen der Frauen oder
wenigstens der Glaube an seine Unwiederstehlichkeit zum Grunde liegen, so
dass sein Benehmen von der, mehr oder weniger bewussten, Vorstellung
bestimmt wird, Gewähren und Versagen hinge gegenüber dem ihn begehrenden
Geschlecht von ihm ab. Deshalb ist ein koketter Mann fast stets
eingebildet und dünkelhaft, was man von koketten Frauen keineswegs
durchgehendes sagen kann.
In beiden Fällen aber muss
man Koketterie entschieden von der Sucht zu gefallen und andere an sich zu
fesseln, unterscheiden; sie ist eines der Mittel, deren diese sich
bedient, aber keineswegs sie selbst; freilich will eine Frau, die
kokettiert, immer gefallen, aber keineswegs kokettiert jede Frau, die
gefallen will. Darum ist die gewöhnliche Verdeutschung von
Koketterie mit: Gefallsucht ganz falsch, sie verwechselt entweder das
Mittel mit dem Zweck oder wenigstens den engeren Begriff mit dem höheren. Wenn
uns nun ein koketter Mann ganz besonders widerwärtig erscheint, so liegt
das an jener Umkehrung des allein uns gewöhnten Verhältnisses der
Geschlechter; es ist eine psychologisch interessante Tatsache, dass das
Abnorme, bloß weil es ein solches ist, uns leicht die Empfindung des
Ekels erregt; eine Missgeburt, ein Mensch mit sechs Fingern wird den
meisten Menschen ekelhaft sein, sie würden um keinen Preis das Fleisch
gewisser Tiere essen, die an sich durchaus nichts Ekelhaftes bieten, die
wir aber nicht zu essen gewöhnt sind, usw. Und dieser Widerwille
gegen die Abkehr von dem Gewöhnten steigert sich natürlich in dem Maaße,
in dem sich dieses durch seine Beziehung zum Wohl der Gattung befestigt
hat, wie in dem vorliegenden Fall. Ich glaube deshalb auch, dass das
spezifische Ekelgefühl gegenüber der Prostitution nicht ausschließlich
aus ihrer ästhetischen Seite hervorgeht, sondern auch daraus, dass sie
das allein gewöhnte und bis jetzt allein zum Wohl der Gattung führende
Verhältnis: dass nämlich der Mann der Suchende und Werbende und die Frau
diejenige ist, die sich suchen lässt, dass sie dieses direkt umkehrt,
indem in jedem Verhältnis derjenige, der die Ware gibt, der Suchende,
der, der das Geld gibt, der Gesuchte ist. So sehr also Prostitution
dem spezifisch weiblichen Wesen und seiner sozialen Rolle widerstreitet,
so sehr ist Koketterie auf einer gewissen Entwicklungsstufe ihm gemäß
und zwar in dem Maß, dass Frauen, die von jeder Spur von Koketterie frei
sind, oft etwas Sprödes, Unliebenswürdiges, einen Mangel an Anmut
aufweisen.
Fehlt also diesen von den
beiden Elementen, die sich in der Koketterie begegnen, das gewährende, so
werden auch andrerseits solche Frauen reizlos werden, denen das andere,
das versagende, fehlt. Damit eine Frau den Reiz bewahre, darf eine
gewisse Reserve sie nicht verlassen, und zwar nicht nur die Reserve vor
der Hingabe, sondern sogar in der Hingabe. Es ist eine alltägliche
Erfahrung, dass die völlig rückhaltlose Hingebung einer Frau oft Gleichgültigkeit
gegen sie erzeugt, dass sie ihre Anziehungskraft verliert, sobald sie die
Vorstellung erweckt, dass sie weder äußerlich noch innerlich mehr etwas
zu geben hätte. So sehr es dem Gesichtspunkt der Ganzheit und
Einheitlichkeit des weiblichen Wesens entspricht, dass eine Frau sich nur
ganz oder gar nicht hingibt, so ist nicht zu leugnen, dass das Weber'sche
Gesetz sich hier insofern geltend macht, als die Andauer des Reizes nur
durch eine Steigerung der reizerregenden Momente möglich ist, d.h. nur
dadurch, dass nicht das Ganze mit einem Male gegeben wird.
Wenn der Reiz der Frauen
also einerseits in jener Einheitlichkeit und Ungebrochenheit ihrer Naturen
besteht, so gehört andererseits doch auch dazu, dass sie eine gewisse
Unerschöpflichkeit zeigen, dass sie nie das Allerletzte geben, sondern
selbst ihre vollkommenste Hingabe noch immer die Ahnung tieferer und
geheimnisvollerer Schätze hinterlässt. Dies wird erstens in
demselben Maße gelingen, in dem das Verhältnis der Frau zu dem Manne
sich aus der Sphäre der Sinnlichkeit und des bloßen Gemütes in die der
Geistigkeit hinaufhebt, weil das geistige Leben in einer fortwährenden
Entwicklung und Folge der Gedanken besteht, während das Gebiet der Sinne
und das des Herzens, wenn es nicht durch Geistiges bereichert wird, viel
eher mit einem Male hingegeben werden kann; vom Geiste kann man sozusagen
immer nur die Zinsen verbrauchen und geben, von jenen Seiten unseres
Wesens aber das Kapital. Daher kommt es auch, dass Männer, die sich
auf sinnliche Verhältnisse zu Frauen beschränken, so leicht der
einzelnen Frau und schließlich der Frauen überhaupt überdrüssig
werden. Ist hier also eine gesteigerte Differenzierung Voraussetzung
des Reizes, der in der Reserve besteht, so wirkt nun zweitens jene
keimhafte, der Differenzierung ermangelnde Beschaffenheit der weiblichen
Seele im gleichen Sinne.
Denn weil wir von ihr so
oft die Vorstellung haben, sie sei noch nicht vollkommen entwickelt,
empfinden wir eben, dass außer dem, was von ihr in die Erscheinung tritt,
noch anderes da ist, das noch keine Gestaltung gewonnen hat, dass hinter
dem, was sie zu geben weiß, noch ein Tieferes liegt, das sich gewissermaßen
aus dem dunkeln Schoße der unbewussten Natur noch nicht herausgerungen
hat, mit dem die Frauen noch inniger als wir zusammenzuhängen scheinen. |