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Towards Cybersociety and "Vireal" Social Relations


 

Soziologische Relevanz der virtuellen Kommunikation

Wie verändert sich die interpersonale Kommunikation durch Nutzung des Internets?
Vergleich der Face-to-face Interaktion nach Goffman mit der virtuellen Kommunikation.

Gabriela Eiden

Zürich 2004

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung / Fragestellung

2. Interpersonale Kommunikation auf dem Internet

2.1 Was ist Kommunikation
2.2
Medial vermittelte Kommunikation

3. Theorie nach Erving Goffman

3.1 Rahmenanalyse computervermittelter Kommunikation
3.2
Face-to-face Interaktionen

3.2.1 Kopräsenz
3.2.2
Informationsbeschaffung
3.2.3
Soziale Begegnung

3.3 Die Rollenverhalten des Selbst

3.3.1 Persönliche Identität
3.3.2
Soziale Identität
3.3.3
Die virtuale und die aktuale soziale Identität
3.3.4
Ich-Identität

3.4 Die Darstellung des Selbst im täglichen Leben

3.4.1 Selbstdarstellung im Alltag

3.5 Interaktionsrituale

3.5.1 Der Begriff des Rituals
3.5.2
Die rituelle Ordnung

3.6 Imagepflege

3.6.1 Heiliges Image
3.6.2
Techniken der Imagepflege

4. Face-to Face versus Virtuelle Kommunikation

4.1 Kommunikation durch mediale Vermittlung

4.1.1 Videokonferenz / Internet-Telefonie
4.1.2
Interpersonale Kommunikationsformen in Computernetzen
4.1.3
Ensembles im Internet
4.1.4
Chat (IRC) als virtuelle Echtzeit-Kommunikation
4.1.5
Avatar-Chats (3-D-Chats)
4.1.6
VR (Virtual Reality)

4.2 Das Chatforum als Theaterbühne

4.2.1 Das Alltagsleben als Backstage, das Chatforum als Bühne
4.2.2
Störungen der Darstellung
4.2.3
Nonverbale Mitteilungen über die Persönlichkeit
4.2.4
Der Flow-Effekt im Internet als ‚ausserkörperliche’ Erfahrung

5. Die Selbst-Inszenierung im virtuellen Raum

5.1 Das Phänomen Genderswitching / Genderswapping

5.1.1 Motive für Genderswapping

5.2 Identität im Internet

5.2.1 Ein „virtuelles Selbst”?
5.2.2
Cyber-Identität
5.2.3
Interaktion und Selbstinszenierung

5.3 Veränderung interpersonaler Kommunikation durch das Internet

6. Fazit und Ausblick

6.1 Cyberspace - Projektionsfläche des Selbst
6.2
Nonverbal agierende Interface-Agenten

7. Literatur

Anhang: Technische Grundlagen - Begriffserklärung

 

1. Einleitung / Fragestellung

Wie verändern sich Interaktionsrituale im Vergleich von Face-to-face-Interaktionen zu virtueller Kommunikation auf dem Internet? Diese Arbeit soll untersuchen, ob Interaktionsrituale wie Selbstdarstellung und Identität sich in Bezug auf die virtuelle Kommunikation - im Vergleich zu Goffmans Konzepten grundlegend geändert haben. Gibt es einen Identitätswandel im Internet? Ich werde also prüfen in wieweit die Konzepte Goffmans (Face-to-face-Interaktionen, Rollenverhalten des Selbst, Interaktionsrituale und Imagepflege, etc.) auf Interaktionen in virtuellen Räumen angewendet werden können und wie die Darstellung des Selbst auf dem Internet stattfindet.

[Inhalt]


2. Interpersonale Kommunikation auf dem Internet

2.1 Was ist Kommunikation

Was genau ist Kommunikation? Solch eine allgemeine Fragestellung mag angesichts der Alltäglichkeit des Phänomens trivial erscheinen. Es bedarf allerdings einer genaueren Bestimmung des Begriffs ‘Kommunikation’, zumal er sich in unserer komplexen Informations- und Kommunikationsgesellschaft einer hohen Popularität erfreut. Der relativen Unbestimmtheit von ‘Kommunikation’ im Alltagsgebrauch steht eine kaum überschaubare Fülle von wissenschaftlichen Definitionen gegenüber. Ausserdem erscheint es notwendig, zwischen verschiedenen Formen von Kommunikation zu unterscheiden. Direkte face-to-face-Interaktion findet unter anderen Bedingungen statt als medial vermittelte Kommunikation, wobei letztere beim Gebrauch unterschiedlicher Medien jeweils spezifische Merkmale aufweist. Je nach Kontext und Forschungsinteresse wird ein weiterer oder ein engerer Kommunikationsbegriff zu Grunde gelegt:

Der engere Kommunikationsbegriff bezieht sich auf die Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Menschen, auf einen sozialen Prozess. Der umfassende Begriff wird in vielen verschiedenen Bereichen und in den entsprechenden Wissenschaften angewandt, so auch auf Prozesse unter Tieren (animalische Kommunikation), Prozesse innerhalb lebender Organismen (Biokommunikation) wie auch innerhalb oder zwischen technischen Systemen (technische Kommunikation, Maschinenkommunikation) oder zwischen Menschen und technischen Apparaten, zum Beispiel Computern (Mensch-Maschine-Kommunikation). Die Begrifflichkeit ist ziemlich uneinheitlich und verändert sich rasch, so wie der ganze Bereich der Kommunikation sich sehr rasch verändert.“ (Schulz, 1994, S. 140)

Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist der Bereich der computer-vermittelten Kommunikation: Menschen kommunizieren synchron oder asynchron mit Hilfe von digital vernetzten Computern als Vermittlungsmedium. Es handelt sich dabei um eine Ausweitung der bei Schulz erwähnten „Mensch-Maschine-Kommunikation“, die ja unter den weiteren Kommunikationsbegriff fällt. Im Fall der computer-vermittelten Kommunikation bedienen sich Sender und Empfänger des Computers als Medium und ‘kommunizieren’ dabei mit der Computersoftware. Diese Mensch-Maschine-Kommunikation dient jedoch dem kommunikativen Austausch mit einem menschlichen Partner. Analog zum Begriff ‘face-to-face-Interaktion’ lässt sich computervermittelte Kommunikation als ‘face-to-machine-to-face-Kommunikation’ beschreiben. Allerdings wird deutlich werden, dass eine Zuordnung zum engeren Kommunika-tionsbegriff problematisch ist, weil dabei keine soziale Interaktion im herkömmlichen Sinne erfolgt.

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2.2 Medial vermittelte Kommunikation

Wenn interpersonale Kommunikation medial vermittelt wird, ergeben sich einige Ein-schränkungen im Vergleich zu direkter face-to-face-Interaktion. In einem Telefongespräch beispielsweise liegt zwar auch die Koorientierung der Sprecher und die wechselseitige Kontingenz ihres Verhaltens vor, allerdings entfallen die nonverbal-nonvokalen Zeichen, wie etwa Mimik und Gestik. Bei der schriftlichen Übermittlung von Mitteilungen entfallen sogar sämtliche nonverbalen Zeichen, sowohl vokaler als auch nonvokaler Art. Durch neuere technische Entwicklungen, z.B. die des Bildtelefons, wird der Versuch unternommen, diese Einschränkungen der medialen Vermittlung zu beheben. Der Vorteil von medial bzw. technisch vermittelter Kommunikation besteht darin, dass ein Austausch von Mitteilungen auch bei zeitlich-räumlicher Distanz der Kommunikanten möglich ist. Das hat zur Folge, dass Kommunikation nicht mehr ausschliesslich wechselseitig, sondern auch einseitig, d. h. ohne Rollenwechsel von Sender und Empfänger verlaufen kann.

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3. Theorie nach Erving Goffman

Goffmans Mikroanalyse ist sozialpsychologischer Art: Sie folgt dem Ansatz des Interaktionismus. Er weist ein faszinierendes Gespür für Interaktions- und Kommunikations-situationen auf, das quantitativer Untersuchungsmethoden nicht bedarf. Sozialstrukturen sind sekundär von Belang. Im Vordergrund stehen Identitätsprozesse, wenn auch soziale und persönliche gleichermassen. Seine Studien beziehen sich auf die amerikanische Mittelschicht, sind aber en gros ohne weiteres auf andere Gesellschaften anzuwenden. In der vorliegenden Arbeit wird versucht, die grundlegenden Thesen von Goffman auf die virtuelle Kommunikation anzuwenden.

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3.1 Rahmenanalyse computervermittelter Kommunikation

Untersucht man die Vorgänge in der computervermittelten Kommunikation, so ist ein Analyseschema notwendig, das einerseits die Grenzen eines gegebenen sozialen Interaktionsprozesses erfasst, andererseits aber auch genügend Flexibilität bietet, den Umgang mit den gegebenen Restriktionen zu rekonstruieren. Ein solches Instrument stellt die Goffmansche Rahmenanalyse (Goffman, 1996) dar, die sich einerseits ausdrücklich mit den Grenzen sozialer Situationen beschäftigt, andererseits aber auch untersucht, wie sich Menschen in Situationen, in denen ein aufeinander abgestimmtes Handeln erforderlich ist, zurechtzufinden lernen. In der Einleitung zur Rahmen-Analyse beschreibt Goffman den Kerngedanken seines Werkes:

Mir geht es um die Situation, um das, dem sich ein Mensch in einem bestimmten Augenblick zuwenden kann; dazu gehören oft einige andere Menschen und mehr als die von allen unmittelbar Anwesenden überblickte Szene. Ich gehe davon aus, dass Menschen, die sich gerade in einer Situation befinden, vor der Frage stehen: Was geht hier eigentlich vor? Ob sie nun ausdrücklich gestellt wird, wenn Verwirrung und Zweifel herrschen, oder stillschweigend, wenn normale Gewissheit besteht - die Frage wird gestellt, und die Antwort ergibt sich daraus, wie die Menschen weiter in der Sache vorgehen. (Goffman, 1996, S. 16)

Da das von Goffman vorgelegte Analyse-Modell quasi die soziologische Brille darstellt, aus der heraus das Feld der computervermittelten Kommunikation im folgenden betrachtet wird, erscheinen einige erklärende Anmerkungen notwendig zu sein. Goffman ist weniger an den Resultaten sozialer Interaktionen interessiert, sondern vielmehr am Zustandekommen des Interaktionsprozesses selbst. Unter anderem in der „Rahmen-Analyse“ geht er der Frage nach, wie ein Interaktionsprozess in den unterschiedlichsten Situationen und unter den verschiedensten Bedingungen von den Teilnehmern organisiert wird und mit Hilfe welcher „Interaktionspraktiken“ es den Akteuren gelingt, soziale Interaktionen aufeinander abzustimmen und aufrechtzuerhalten. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei die Frage nach den Kompetenzen, welche ein Individuen besitzen muss, um überhaupt interagieren zu können. Diesbezüglich greift Goffman auf den von Gregory Bateson (1972) geprägten Begriff des „Rahmens“ zurück, welcher allgemein als „Organisationsprinzip“ für soziale Ereignisse bezeichnet werden kann und vor dessen Hintergrund die innerhalb eines Rahmens ablaufenden Handlungen erst verstanden werden können.

Rahmen werden von Goffman in einem doppelten Sinne konzipiert: Einerseits bezeichnen sie kognitive Orientierungen der Interakteure. Andererseits stellen sie reale Kommunikations- und Handlungssituationen dar und repräsentieren damit bestimmte rahmenspezifische Interaktions-anordnungen. Hinsichtlich der kognitiven Organisationsstrukturen, welches ein Individuum in den Interaktionsprozess einbringen muss, um die in einer vorgefundenen Situation ablaufenden Handlungssequenzen angemessen interpretieren zu können, vermerkt Goffman an mehreren Stellen, dass diese bei jedem Menschen innerhalb eines bestimmten Kulturkreises vorhanden sind und als allgemein wirksam unterstellt werden können:

Die Menschen haben eine Auffassung von dem, was vor sich geht, auf diese stimmen sie ihre Handlungen ab, und gewöhnlich finden sie sich durch den Gang der Dinge bestätigt. Diese Organisationsprämissen - die im Bewusstsein und im Handeln vorhanden sind - nenne ich den Rahmen des Handelns. (Goffman, 1996, S. 274)

Bezüglich der beobachtbaren realen Interaktionsrahmen hält Goffman fest, dass diese immer mit Regeln zu tun haben - das Verhalten der innerhalb eines Rahmens handelnden Akteure also immer mit bestimmten Erwartungen versehen ist. Zu nennen wären hier etwa die Einhaltung bestimmter Gruss- und Abschiedsrituale, die Verwendung bestimmter Anredeformen, das Vermeiden bestimmter Gesprächsthemen, die Angemessenheit der „persönlichen Fassade“ (z.B. Gesichtsausdruck, Sprechweise, Kleidung, usw.), sowie Anforderungen an das „Engagement“, welches ein Teilnehmer in den Interaktionsprozess einbringen muss. Je nach dem, wie der zugrundeliegende Rahmen einer bestimmten sozialen Situation (z.B. einer Theateraufführung, einer Gerichtsverhandlung oder einer Geburtstagsfeier) beschaffen ist, werden unterschiedlich hohe Erwartungen an das Handeln eines Akteurs gerichtet. Dies wiederum bedeutet, dass der Akteur sein Verhalten „rahmenadäquat“ steuern muss, wenn er die jeweils geltenden Regeln und „Situationsdefinitionen“ nicht verletzten möchte. Soziale Rahmen sind zwar von der Gesellschaft einerseits vorgegeben und relativ stabil, sie werden aber andererseits im Alltagshandeln immer auch wieder verändert und neu geschaffen. Wie Thomas Eberle (1991, S. 187) treffend bemerkt, werden soziale Rahmen „nicht nur ´erkannt`, sondern auch durch konkrete Handlungen konstituiert“. Fasst man nun einen über den Computer vermittelten Kommunikationsprozess als solch eine reale Handlungs- bzw. Interaktionssituation auf, so lässt sich auch diese als ein sozialer Rahmen beschreiben und erklären.

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3.2 Face-to-face Interaktionen

3.2.1 Kopräsenz

Kopräsenz definiert Goffman folgendermassen:

Die einzelnen müssen deutlich das Gefühl haben, dass sie einander nahe genug sind, um sich gegenseitig wahrzunehmen bei allem was sie tun, einschliesslich ihrer Erfahrung der anderen, und nahe genug auch um wahrgenommen zu werden als solche, die fühlen, dass sie wahrgenommen werden. (Goffman, 1971, S. 28)

Soziale Anlässe bilden den Kontext, in dem Personen miteinander in Interaktion treten. Aufgrund der gemeinsamen Anwesenheit von Personen sind bestimmte Arten von Informationen verfügbar. Die face-to-face-Interaktion ermöglicht einen breiten Informationsfluss, der zwischen den Akteuren stattfindet. Jeder Teilnehmer sendet und empfängt Informationen, gleichzeitig kann dieses Senden und Empfangen dauernd überprüft werden durch Rückkoppelung. Jeder kann sehen, was der andere tut, und jeder kann auch sehen/wahrnehmen, dass der andere sieht, dass er dabei gesehen wird. Goffman spricht in diesem Zusammenhang von der „besonderen Gegenseitigkeit von unmittelbar sozialer Interaktion“ (Goffman, 1971, S. 27). Dieser Begriff von Kopräsenz macht deutlich, dass immer, wenn Personen sich gegenseitig wahrnehmen, eine Art von Interdependenz der Handlungen der Anwesenden entstehen muss. Hier erweitert Goffman radikal das damals gängige Konzept der Interaktion: nicht erst dann, wenn Personen miteinander sprechen, interagieren sie, sondern bereits bei ihrer gegenseitigen Wahrnehmung findet ein Austausch statt. „Man kann nicht nicht kommunizieren. (Watzlawick, 1996).

3.2.2 Informationsbeschaffung

Wenn Personen kopräsent sind, übermitteln sie bewusst oder unbewusst Informationen für einander. Goffman untersuchte, in welchen verschiedenen Arten Personen einander mit Informationen versorgen und welche Bedeutung Informationen für das Sozialsystem der direkten Interaktion haben. Er nennt zwei grundlegende Arten von Informationen, die gemeinsam anwesenden Personen zur Verfügung stellen: Zum einen sind es gegebene („given“) Informationen und zum anderen Informationen, die sie ausstrahlen („given off“).

Wortsymbole und ihre Substitute, die der einzelne eingestandenermassen und ausschliesslich dazuverwendet, diejenigen Informationen zu vermitteln, die er und die anderen mit diesen Symbolen verknüpfen. (Goffman, 1985, S. 6)

Meistens wird gegebene Information durch symbolische Mittel oder Handlungen zur Verfügung gestellt, die die Gesellschaft formell etabliert hat. Wenn ich mit jemandem spreche, wird die Information, die ich durch den Inhalt dessen, was ich sage, zur Verfügung stelle, gegeben. Wenn Personen Informationen geben, dann passiert dies freiwillig, weil derjenige, der gegebene Informationen zur Verfügung stellt, verantwortlich ist. Goffman spricht in diesem Zusammenhang davon, dass „sprachliche Mitteilungen als willkürlich und beabsichtigt“ gelten (Goffman 1971, S. 24). Wie schon erwähnt wird auch Information zur Verfügung gestellt, die ausgestrahlt wird, unabhängig davon, ob der, der sie zur Verfügung stellt, das will oder nicht. Ausgestrahlte oder expressive Information ist ein unvermeidbares Produkt seiner Gegenwart und seiner Handlungen. Wenn ich zum Beispiel jemandem den Weg zum Bahnhof erkläre, stelle ich durch meine Wortwahl, meine Körperhaltung, meine Blicke, meinen Akzent etc. Informationen zur Verfügung, die ich nicht gebe, sondern ausstrahle. Hier ist also entscheidend, dass ich diese zusätzlichen Informationen für den anderen aus meiner Sicht unfreiwillig gebe: ich strahle Informationen aus, die der andere aufliest und aufsammelt. Unabhängig davon, ob eine Person Informationen gibt oder ausstrahlt, sie können am oder im Körper konkretisiert oder vom Körper abgelöst sein. Sind Personen gemeinsam anwesend, so passiert die Übermittlung von Mitteilungen durch die aktuelle körperliche Aktivität und findet solange statt, bis der Körper, der diese Aktivität trägt, anwesend ist. Jener Information, die also am Körper, konkretisiert ist, widmet Goffman - entsprechend seiner Untersuchung der direkten Interaktion - sein Hauptaugenmerk. Vom Körper abgelöste Informationen (wie beispielsweise Briefe, E-Mails oder andere virtuelle Interaktionen) werde ich im späteren Kapitel behandeln.

3.2.3 Soziale Begegnung

Das Konzept der Kopräsenz wird bei der Goffmanschen Interaktionsanalyse auf drei hierarchisch geordneten Ebenen thematisiert (Goffman, 1999): nämlich auf der Ebene, erstens der sozialen Begegnung oder Zusammenkunft, zweitens der sozialen Situation und drittens des sozialen Anlasses bzw. der sozialen Veranstaltung. Unter „Zusammenkunft“ versteht Goffman „eine Gruppe von zwei oder mehr Individuen ..., die sich momentan im gegenseitigen, unmittelbaren Kontakt befinden“ (Goffman 1971, S. 29), also kopräsent sind. Kennzeichnend für diesen face-to-face-Kontakt sind, wie schon erwähnt - der breite Informationsfluss und die einfache Rückkoppelung. Einen weiteren Grundbegriff seiner Interaktionsanalyse, die soziale Situation, definiert Goffman so:

Mit dem Terminus Situation bezeichnen wir diejenigen räumliche Umgebung, und zwar in ihrem ganzen Umfang, welche jede in sie eintretende Person zum Mitglied der Versammlung macht, die gerade anwesend ist (oder dadurch konstituiert wird). Situationen entstehen, wenn gegenseitig beobachtet wird, sie vergehen, wenn die zweitletzte Person den Schauplatz verlässt. (Goffman, 1971, S. 29)

Wenden wir uns nun dem dritten Element der Interaktionsanalyse, dem sozialen Anlass, zu. Den Grund dafür, weshalb sich Personen in unmittelbare Gegenwart voneinander begeben, bietet in der Regel ein „sozialer Anlass“ oder eine „soziale Veranstaltung“. Darunter versteht Goffman „eine grössere soziale Angelegenheit, eine Unternehmung oder ein Ereignis, zeitlich und räumlich begrenzt und jeweils durch eine eigens dafür bestimmte Ausstattung gefördert“ (Goffman 1971, S. 29). Soziale Anlässe können unterschiedlich strukturiert sein: manche haben einen sehr präzisen Anfang und ein genau bestimmbares Ende, eine strenge Begrenzung von Teilnehmern und ein bestimmtes Mass an zu erbringender und aufrechtzuerhaltender Aktivität (z.B. eine Hochzeit). Meistens sind solche Anlässe vorausgeplant und nach einer Tagesordnung strukturiert (z.B. bei Meetings). Soziale Anlässe stellen den Rahmen dar, in dem Situationen und Begegnungen eingebettet sind: sie liefern „den strukturellen sozialen Kontakt, in dem sich viele Situationen und Zusammenkünfte bilden, auflösen und umformen, während sich ein Verhaltensmuster herausbildet und anerkannt wird“ (Goffman, 1971, S. 30). Mit dem sozialen Anlass sind verschiedene Arten von Erfordernissen verbunden, die das Verhalten der Teilnehmer reglementieren. Sie beziehen sich auf den Engagementverlauf, die emotionale Struktur oder darauf, welche Aspekte oder Eigenschaften der Teilnehmer ausgeschlossen oder unbeachtet bleiben.

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3.3 Die Rollenverhalten des Selbst

Goffman verfolgt in seinen Arbeiten nicht das Ziel, eine genaue Definition des Selbst aufzustellen oder zu finden, sondern es „in action“, also in der sozialen Situationen zu beschreiben, d.h. das, was die Person ist, in Abhängigkeit von situationellen bzw. sozialen Einflüssen zu analysieren. Goffmans beleuchtet das Selbst aus verschiedenen Perspektiven, daher findet sich keine eindeutige und klare Definition. Auch Krappmann (1978, S. 40) stellt fest, dass „aus den Darstellungen E. Goffmans nicht ganz eindeutig hervorgeht, was er unter „Selbst“ verstanden wissen will“. Es stellt sich damit die Frage nach den inhaltlichen Aspekten des Selbst. Zunächst werden drei Modelle der Identität der Person dargestellt, die Goffman explizit genannt hat. In „Stigma“ (zuerst 1963) entwickelte Goffman ein Modell der Identität der Person, das drei Dimensionen aufweist: er unterscheidet zwischen persönlicher, sozialer und Ich-Identität.

3.3.1 Persönliche Identität

Die Begriffe soziale und persönliche Identität verdeutlichen, dass an das Individuum von ausssen bestimmte Erwartungen herangetragen werden. Aus der Perspektive des einzelnen betrachtet, erscheinen seine Handlungen damit als primär reaktiv. Die persönliche Identität ist im Sinne Goffmans zunächst keine Eigenschaft, kein Besitz der Person, sondern bezieht sich auf eine dem Individuum durch seine Interaktionspartner zugeschriebene Biographie. Persönliche Identität hat. Bei der persönlichen Identität geht es Goffman um die Einzigartigkeit einer Person, welche mit Hilfe von "positiven Kennzeichen" oder "Identitätsaufhänger“ festgehalten wird. (Goffman, 1996, S. 73) Als Beispiel für ein positives Kennzeichen oder einen Identitätsaufhänger spricht Goffman von Fotos oder dem bestimmten Platz in der Verwandtschaft. Verfügen wir über mehrere Informationen in Kombination, wie persönliche Daten oder ein bestimmter Stil von Verhalten, so kann das Individuum immer besser von anderen unterschieden werden. Persönliche Identität hat folglich mit der Annahme zu tun, dass das Individuum von allen anderen differenziert werden kann und dass rings um dieses Mittel der Differenzierung eine einzige kontinuierliche Liste sozialer Fakten festgemacht werden kann.

3.3.2 Soziale Identität

Was die beiden Identitäten, die persönliche und die soziale, miteinander verbindet ist ihre Funktion. Beide, so Goffman, teilen dem Individuum die Welt auf und in verschiedene Bereiche ein. Im Unterschied zur persönlichen Identität aber, welche die Biographie im weitesten Sinne mit Daten zu umschreiben versucht, geht es bei der sozialen Identität um Rollen. Somit treten hier Unterscheidungsmerkmale in den Vordergrund, die nicht die einzelne Person betreffen, sondern sie in der Relation zu den anderen steht, inwiefern sie zu einer gewissen Gruppe von Menschen hinzugezählt werden kann. Es geht grob gesagt darum, welche Schablone, damit meine ich Rollen und mit ihr verbunden Erwartungen, für eine Person in einer gewissen Situation als passend erscheint. Frey (1983, S. 44f) hat die soziale Identität im Sinne von Goffman so umschrieben: „Soziale Identität bedeutet für ihn die Einordnung einer Person nach allgemeinen, sozial relevanten Kategorien. Es ist sozusagen die „Oberflächenidentifizierung“ der Person, die deshalb aber nicht minder handlungsrelevant ist. Soziale Identität bedeutet die Zuordnung einer Person zu einer Klasse von Menschen, denen gegenüber, definiert durch die jeweiligen Merkmale, relativ homogene Vorstellungen und Erwartungen bestehen.“ Frey spricht also von einer 'Oberflächenidentifizierung', Goffman selber spricht von Normen für Rollen, die diese Identifizierung erlauben. Die soziale Identität ist eng verknüpft mit Rollenerwartungen.

Im allgemeinen gehören Normen hinsichtlich sozialer Identität ... zu den Arten von Rollenrepertoires oder Rollenprofilen, deren Aufrechterhaltung wir für jedes gegebene Individuum als zulässig empfinden .... . (Goffman, 1996, S. 82)

Die soziale Identität für sich allein genommen hat nur bedingt eine Relevanz für das Individuum. Angenommen, jemand benimmt sich als Theatergast, wo er in der Anonymität des Publikums entschwinden könnte, auffällig, so wird das äussere dieser Person mit seinem ungewöhnlichen Verhalten verbunden. Genau dann beginnen die Mitmenschen diese gewisse Person mit Informationen zu „füllen“. Sie teilen den Rollenbereich Theatergast für diese Person, sehr wahrscheinlich mit negativen Eigenschaften ein. Hier entsteht die Verbindung von der sozialen Identität mit der persönlichen, wie es Goffman im folgenden Beispiel erläutert:

Wenn ein Individuum unter Personen ist, für die es ein äusserst Fremder ist und bedeutungsvoll nur im Zusammenhang seiner augenblicklich offenbaren sozialen Identität, ist die grosse Unberechenbarkeit für es die Frage, ob die anderen beginnen werden, eine persönliche Identifizierung von ihm herzustellen oder nicht ..., oder ob sie es gänzlich unterlassen werden, ihr Wissen über es um seine persönliche Identifizierung herum zu organisieren und zu speichern ... . (Goffman, 1996, S. 86)

Die soziale Identität erhält noch eine Unterteilung in Bezug auf die zeitliche Dimension. Es gilt zu unterscheiden, ob die soziale Identität aufgrund der aktuellen Situation erfolgt, oder aufgrund von Erinnerungen.

3.3.3 Die virtuale und die aktuale soziale Identität

Weil die Zuschreibung aus der Vergangenheit innerhalb der normativen Erwartung nicht bewusst erfolgt, sollte sie gesehen werden „ ... als eine Zuschreibung, die in latenter Rückschau gemacht ist - eine Charakterisierung "im Effekt", eine virtuale soziale Identität“(ebd. S. 10). Die oben erwähnte Art von Zuschreibung muss aber deutlich von jener unterschieden werden, welche tatsächlich zutrifft: der "aktualen sozialen Identität". Über die Zuschreibung aus latenter Rückschau kann eine beachtenswerte Diskrepanz zwischen der virtualen und aktualen sozialen Identität der fremden Person entstehen. Natürlich konstruiert das Individuum sein Bild von sich aus den gleichen Materialien, aus denen andere zunächst seine soziale und persönliche Identifizierung konstruieren, aber es besitzt bedeutende Freiheiten hinsichtlich dessen, was es gestaltet. (ebd. S. 133)

Die soziale Identität muss behauptet werden, denn die Interpretation der Mitmenschen steht ausserhalb der Kontroll- und Beeinflussungsmöglichkeit der einzelnen Individuen. Und andererseits, steht es jeder Person frei, ihre Interpretationen der Erfahrungen zu gestalten. Somit ist jedoch der Begriff der aktualen sozialen Identität ein Konstrukt. Auf beiden Seiten, der Seite des Individuums und der sogenannt anderen, ist Raum für Interpretation vorhanden. Einerseits hat das Individuum die Freiheit, seine Erfahrungen so zu interpretieren wie es dies will. Da bleibt die Frage Goffmans offen, wie die Behauptung der eigenen sozialen Identität aussehen soll, bzw. was genau die „bedeutenden Freiheiten“ der Gestaltung des Bildes von sich ausmachen.

3.3.4 Ich-Identität

Im Unterschied zu der sozialen und persönlichen Identität, wo der Blick von aussen im Zentrum steht, ist es hier der eigene. Goffman geht es hier um eine eigentliche Bedingung für die Identitätsfähigkeit. Ohne das reflexive Empfinden des eigenen Selbst, ist keine Identität möglich. Goffman bezeichnet Ich-Identität als

das subjektive Empfinden seiner eigenen Situation und seiner eigenen Kontinuität und Eigenart, das ein Individuum allmählich als ein Resultat seiner verschiedenen sozialen Erfahrungen erwirbt. Soziale und persönliche Identität sind zuallererst Teil der Interessen und Definitionen anderer Personen hinsichtlich des Individuums, dessen Identität in Frage steht ... Auf der anderen Seite ist Ich-Identität zuallererst eine subjektive und reflexive Angelegenheit, die notwendig von dem Individuum empfunden werden muss, dessen Identität zur Diskussion steht. ... Natürlich konstituiert das Individuum sein Bild von sich aus den gleichen Materialien, aus denen andere zunächst seine soziale und persönliche Identifizierung konstituieren, aber es besitzt bedeutende Freiheiten hinsichtlich dessen, was es gestaltet. (Goffman, 1996, S. 132f)

Goffman weist also mit dem Begriff der Ich-Identität darauf hin, dass im Subjekt selbst etwas vorhanden ist, durch die das Individuum gegenüber sozialen Anforderungen mehr oder weniger „frei“ agieren kann.

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3.4 Die Darstellung des Selbst im täglichen Leben

Eine ähnliche Konzeption wie die dreifache Identitätstypologie vertritt Goffman in seinem Buch „The presentation of self in everyday life" (erstmals 1959), das im deutschen den entsprechenden Titel „Wir alle spielen Theater" (erstmals 1969) trägt. Dort schreibt Goffman:

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Einzelner, wenn er vor anderen erscheint, zahlreiche Motive dafür hat, den Eindruck, den sie von der Situation empfangen, unter Kontrolle zu bringen. (Goffman, 2002, S. 17)

Im Gegensatz zum „psychischen Ich“ ist also das „soziale Ich/Selbst“, das dem Darsteller vom Publikum zugeschrieben wird, ein Produkt einer erfolgreichen Szene einer Darstellung Das Anliegen dieses Buches formuliert Goffman so:

Diese Untersuchung befasst sich mit einigen der üblichen Techniken, die angewandt werden, um hervorgerufene Eindrücke aufrechtzuerhalten, und mit einigen häufigen Folgeerscheinungen, die mit der Anwendung derartiger Techniken verbunden sind. (..) Ich werde hier ausschliesslich die dramaturgischen Probleme des Gruppenmitglieds bei seiner Darstellung vor anderen untersuchen.(ebd. S. 17/18)

Goffman interessierte, „wie Menschen in sozialen Situationen sich darstellen, sich wahrnehmen und ihre Handlungen koordinieren." Das ist auch der Grund, weshalb Scott und Lyman Goffman als „die Autorität für impression management" bezeichnet haben.

3.4.1 Selbstdarstellung im Alltag

Goffman beschreibt in seiner Theorie ausführlich die vielfältigen Aspekte von Selbstdarstellungen im Alltag, in der wir unser Auftreten ständig inszenieren. "Darstellung" definiert Goffman als "Gesamtverhalten eines Einzelnen, das er in Gegenwart einer bestimmten Gruppe von Zuschauern zeigt und das Einfluss auf diese Zuschauer hat" (Goffman, 2002, S.67). Zur 'Dramatischen Gestaltung' muss angemerkt werden, dass wenn die Tätigkeit des Einzelnen Bedeutung für andere gewinnen soll, muss er sie so gestalten, dass sie während der Interaktion das ausdrückt, was er mitteilen will. Goffman bedient sich einer der Theaterwelt entlehnten Sprache und zeigt auf, dass wir Objekte gesellschaftlicher Orientierung und Interpretation sind.

Ein Status, eine Stellung, eine soziale Position ist nicht etwas materielles, da in Besitz genommen und dann zur Schau gestellt werden kann; es ist ein Modell kohärenten, ausgeschmückten und klar artikulierten Verhaltens. Ob es nun geschickt oder ungeschickt, bewusst oder unbewusst, trügerisch oder guten Glaubens dargestellt wird, auf jeden Fall ist es etwas, das gespielt und dargestellt werden, etwas, das realisiert werden muss." (Goffman, 2002, S.70).)

Er geht ausserdem auf spezifische Beziehungsformen wie die sogenannten "Ensembles", auf ortsbestimmtes Verhalten, auf Sonderrollen und auf Fassaden ein. Nach Goffman gibt es im Alltag Sonderrollen, bei denen bestimmte Geheimnisse eine Rolle spielen. Eines hierin ist das Gruppengeheimnis. Hierunter zusammengefasst sind all die Geheimnisse, die den, der sie besitzt, als Mitglied einer Gruppe charakterisiert und die es der Gruppe ermöglichen, sich als anders und getrennt von denen zu fühlen, die nicht Bescheid wissen. Diese Gruppengeheimnisse geben einem subjektiv empfundenen sozialen Abstand objektiven geistigen Gehalt. Gruppen-geheimnisse haben unter Umständen wenig strategische Bedeutung und sind nicht besonders dunkel. In diesem Fall können sie entdeckt oder zufällig enthüllt werden, ohne die Vorstellung des Ensembles radikal zu stören; die Darsteller brauchen ihr geheimes Vergnügen nur einer anderen Sache zuzuwenden. Dass die ganze Welt natürlich keine Bühne ist, war Goffman wohl bewusst. "Natürlich ist nicht die ganze Welt eine Bühne, aber die entscheidenden Punkte, in denen sie es nicht ist, sind nicht leicht zu finden" (Goffman, 2002, S.67).

Die inszenierten Darstellung der Wirklichkeit auf einer oder mehreren Bühnen ist die Ausgangslage für Goffmans spezifische Thesen., die sogar das Selbst als Produkt einer erfolgreich inszenierten Szene auffasst.

Die allgemeine Vorstellung, dass wir uns selbst vor anderen darstellen, ist kaum neu; was zum Abschluss betont werden sollte, ist die Tatsache, dass gerade die Struktur unseres Selbst unter dem Gesichtspunkt der Darstellung verstanden werden kann. In dem vorliegenden Bericht wurde der Einzelne stillschweigend zweigeteilt: Er wurde als Darsteller betrachtet, als ein geplagter Erzeuger von Eindrücken, der mit der allzumenschlichen Aufgabe beschäftigt ist, ein Schauspiel zu inszenieren; und er wurde als eine Schauspielfigur, im typischen Fall als eine gute Figur, betrachtet, deren Geist, Stärke und andere positive Eigenschaften durch die Darstellung offenbart werden soll. (Goffman, 2002, S. 230)

Goffman geht von einer Zweiteilung des Einzelnen aus: er betrachtet ihn einmal als „Rolle“, als „Schauspielfigur“, was auf die antizipierten sozialen Erwartungen anderer hinweist, und zum anderen als „Darsteller dieser Rolle“, als inszenierende Person.

Die Eigenschaften des Darstellers und die seiner Rolle gehören grundlegend verschiedenen Bereichen an, und doch haben beide ihre Bedeutung für das Schauspiel. ... Eine richtig inszenierte und gespielte Szene veranlasst das Publikum, der dargestellten Rolle ein Selbst zuzuschreiben, aber dieses zugeschriebene Selbst ist ein Produkt einer erfolgreichen Szene, und nicht ihre Ursache. (Goffman, 2002, S. 230f)

Im Gegensatz zum „psychischen Ich“ ist als das „soziale Ich/Selbst“, das dem Darsteller vom Publikum zugeschrieben wird, ein Produkt einer erfolgreichen Szene einer Darstellung, ein „gemeinsam Hergestelltes“.

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3.5 Interaktionsrituale

Goffman geht davon aus, dass jede Person in direkter Interaktion durch andere und sich selbst einer Beurteilung unterliegt. Jede Handlung von ihr - gleichgültig, ob regelkonform oder regelverletzend - wirkt auf sie zurück, drückt etwas „Bedeutsames“ über sie aus und erlaubt somit eine Einschätzung ihrer selbst - durch sie selbst und durch die anderen. Durch diesen symbolischen Charakter, der jede Handlung „ergänzt“, wird ihr einerseits von den anderen ein bestimmtes Bild zugeschrieben, andererseits versucht die Person, ein Bild von sich zu projizieren und aufrechtzuerhalten, das sie selbst für akzeptabel hält und ihr somit Sicherheit bzw. Identität bietet. Damit sind zwei Aspekte angesprochen, die in den Arbeiten Goffmans eine zentrale Stellung einnehmen und auf die im folgenden genauer eingegangen wird: Der „rituelle Charakter“ von Handlungen, und damit zusammenhängend der Aufbau eines Images bzw. eines Selbst.

3.5.1 Der Begriff des Rituals

Rituale im sozialen Leben dienen vor allem dazu, die Gesellschaftsordnung handlungsmässig zu definieren und zu bestätigen. Die rituelle Ordnung entspricht der sozialen Ordnung. Wo soziale Unterschiede, Rollen, Rang, Schichten usw. vorhanden sind, gibt es auch Rituale, die diese Strukturen einführen, erneuern und bestätigen. Die ursprüngliche Einsicht Emile Durkheims, rituelle Handlungen bewirken Gruppensolidarität und kulturelle Reproduktion wurde von der Soziologie und Ethnologie im 20. Jahrhundert aufgenommen und weiterentwickelt. Die Idee, dass das Individuum durch gemeinsame Handlungen mit anderen eine soziale Identität bekommt und in die Gruppe aufgehoben wird, wurde in der Rollentheorie von Goffman bestätigt. Nach Auffassung von Goffman - wie ich bereits erwähnt habe - ist jede menschliche Handlung dramaturgisch strukturiert. Im Alltagsleben tun die Menschen nicht nur irgendetwas, sondern sie stellen das, was sie jeweils tun, anderen zur Schau und zeigen damit, wer sie sind und was sie von den Menschen drum herum erwarten. Jede soziale Interaktion ist wie ein Ritual, das die Identitäten der Teilnehmer darstellt und festlegt.

3.5.2 Die rituelle Ordnung

Die "rituelle Ordnung" entspricht der sozialen Ordnung.

Identitätsfindung auf Ebene 1: Das Individuum im Gespräch mit sich selbst.

Identitätsfindung auf Ebene 2: Soziale Interaktion und Rollenspiel.

Identitätsfindung auf Ebene 3: Massenzeremonien und Nationalfeiertage

Je grösser ein Ritual, desto mehr Distanz zwischen Akteur und Ritus. Dies bedeutet, dass persönliche Riten kaum von der Identität der Person zu trennen sind, wobei die Beteiligung an grossen politischen Riten relativ frei und ungezwungen ist. Gerade deswegen aber sind die Vorschriften der politischen Riten besonders umgeben von der Aura der Heiligkeit und Autorität, denn man muss sie nicht ausführen, sollte dies aber tun. Politik ist der Bereich der Moral und der Normativität, da Teilnahme immer besonders motiviert werden muss. Politische Riten tendieren dazu, stabil und unbeweglich zu sein. Die grossen Riten sind demnach weniger wandelbar als die kleinen persönlichen oder sozialen Riten des alltäglichen Lebens. Schliesslich werden sie auch weniger häufig wiederholt im Vergleich mit persönlichen Riten, die tagtäglich praktiziert werden.

Insofern eine Darstellung die gemeinsamen offiziell anerkannten Werte der Gesellschaft, vor der sie dargeboten wird, betont, können wir sie nach dem Vorbild von Durkheim und Radcliff-Brown als Ritual betrachten, das heisst, als eine ausdrückliche Erneuerung und Bestätigung der Werte der Gemeinschaft. Darüber hinaus werden in dem Masse, indem die in Darstellungen nahegelegte Sicht als Wirklichkeit akzeptiert wird, diese Darstellung Züge einer Zeremonie haben. (Goffman, 2002, S. 35f)

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3.6 Imagepflege

Goffman definiert Images als positiven sozialen Wert, der sich aus Verhaltensstrategien ergibt, die man in Interaktionen verfolgt, von denen andere annehmen, dass man sie verfolgt (Goffman, 1999, S. 10). Zu verbalen Handlungen zählen hierbei sprachliche Äusserungen und ihre Intonation, Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit, etc., zu nichtverbalen Handlungen wird die Körpersprache gezählt, also Blicke, Gesten, Mimik, Haltung, usw. "Image" heisst übersetzt "Bild" und bezeichnet im vorliegenden Zusammenhang das Selbstbild, das sich durch eine Verhaltensstrategie konstituiert und welches von den anderen Interaktionsteilnehmern übernommen werden kann, das von ihnen bestätigt, angegriffen, oder auch hinterfragt werden kann. Üblicherweise existiert eine emotionale Bindung an das jeweilige Selbstbild, was sich in positiven emotionalen Reaktionen (Vertrauen, Sicherheit) bei dessen Bestätigung und in negativen Reaktionen (Scham, Verwirrung, Verärgerung) bei Infragestellung des Bildes äussert. Diese emotionale Bindung bewirkt bei den Interaktionsteilnehmern in der Regel auch ein Pflichtgefühl hinsichtlich der Teilnahme an der Interaktion, denn es können "leicht für einen selbst oder andere ungünstige Informationen mitgeteilt werden" (Goffman, 1999, S. 11).

3.6.1 Heiliges Image

Aus der emotionalen Fixierung erklärt sich, warum das Image als heilig angesehen werden kann und warum "die zu seiner Erhaltung erforderliche expressive Ordnung" (Goffman, 1999, S. 25), also die normative Regelung des Ausdrucks in Interaktionen, von Goffman als rituell bezeichnet wird. Die Abhängigkeit des Images von sozialer Anerkennung verdeutlicht, dass das Image gleichsam nur eine Leihgabe darstellt, die in sozialen Begegnungen gewährt wird, oder eben auch nicht. Die emotionale Ausrichtung am sozialen Image garantiert weitestgehend, dass die Interagierenden aufeinander Einfluss nehmen können (vgl. Goffman, 1999, S. 15, 48).

3.6.2 Techniken der Imagepflege

Zusätzlich stellt Goffman fest, dass ein konsistentes und kontinuierliches Image eine Bedingung für die und nicht den Zweck der Interaktion darstellt. Er vergleicht jene Verhaltensweisen, die zur Wahrung des Images dienen, mit "...Verkehrsregeln sozialer Interaktion" (Goffman, 1999, S. 17). Zu diesen "Verkehrsregeln" gehören rituelle Elemente, die er als "Techniken der Imagepflege" bezeichnet. Vor dem Eintreten eines Zwischenfalls gehören zu diesen Techniken der Imagepflege beispielsweise die gegenseitige Anerkennung von Verhaltensstrategien, was durch Wahrung aller Images eine Art Arbeitskonsens erzeugt, der die Interaktion ermöglicht und stabilisiert. Solange dieser Arbeitskonsens besteht, legen alle Interaktionsteilnehmer eine defensive Haltung gegenüber ihrem eigenen Image an den Tag und eine protektive Haltung gegenüber dem Image anderer - es kommt zu dem, was Goffman eine "stillschweigende Kooperation" (Goffman, 1999, S. 35) nennt. Wenn ein Zwischenfall eintritt, gibt es die Möglichkeit ihn nicht als solchen anzuerkennen. Wird der Zwischenfall als solcher anerkannt, so befindet sich das Image eines oder mehrerer Interaktionsteilnehmer in einem Zustand der Missachtung, der durch Ausgleichshandlungen (korrektive Prozesse) ausgeräumt werden muss. Goffman führt aus, welche Positionen bei der Bedrohung des Images möglich sind, welche Ebenen der Verantwortlichkeit Goffman nennt und wie der typische korrektive Prozess abläuft.

Bedrohungen gegen Images können ausgehen von:

  • einem selbst gegen das eigene Image

  • einem selbst gegen das Image anderer

  • anderen gegen ihr eigenes Image

  • anderen gegen das eigene Image des Selbst (vgl. Goffman, 1999, S. 20)

Drei Ebenen der Verantwortlichkeit führt Goffman an:

  • Die Bedrohung geschieht arglos, d.h. ohne Absicht und gegen den Willen des Drohenden.

  • Die Bedrohung geschieht boshaft und gehässig mit der vollen Absicht.

  • Die Bedrohung geschieht zufällig, als unintendiertes Nebenprodukt einer Handlung, die dann trotzdem wissentlich ausgeführt wird.

Die Länge einer Ausgleichshandlung richtet sich nach der Schwere der Bedrohung, sie besteht idealtypischerweise aus vier Phasen, die mit der Wiederherstellung des rituellen Gleichgewichts abschliessen. Die erste Phase besteht in einer Herausforderung des Bedrohers durch den Bedrohten oder andere Interaktionsteilnehmer, unter dem Hinweis auf das Fehlverhalten und der impliziten Forderung nach Wiedergutmachung. In der zweiten Phase macht der ursprüngliche Bedroher ein Angebot (z.B. Entschuldigung, Umdeutung der Missachtung, Busse, usw.), das seinen Affront korrigieren soll. Die Herausforderer können in der dritten Phase das Angebot annehmen, womit Images und expressive Ordnung wiederhergestellt sind. Dankbarkeit gegenüber den Herausforderern (von Seiten des Bedrohers) stellt die letzte Phase dar (vgl. Goffman, 1999, S. 26 ff.).

Wenn der Bedroher nach der Herausforderung uneinsichtig bleibt, kann es zu einer gewaltsamen "Lösung" kommen, oder die Beleidigten entziehen sich der Interaktion und dem Bedroher den Status als Interaktionspartner. Dies kommt jedoch verhältnismässig selten vor, da - wie Goffman es ausdrückt - die Kosten einer solchen Vorgehensweise hoch sind: die Interaktion wird beendet, d.h. Ziele, zu deren Verfolgung die Interaktion u.U. erst begonnen wurde, können nicht mehr verfolgt werden (vgl. Goffman, 1999, S. 29).

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4. Face-to Face versus Virtuelle Kommunikation

Der Kommunikationsraum Internet wird deshalb als virtuell bezeichnet, weil es sich um eine immaterielle, computergenerierte Simulation der Wirklichkeit handelt. Raum und Zeit als wesentliche Dimensionen unseres Wirklichkeitsverständnisses verlieren an Bedeutung, denn der Nutzer kann in sekundenschnelle Informationen von einem Rechner auf einem anderen Kontinent abrufen und zu jedem beliebigen Zeitpunkt mit Nutzern am anderen Ende der Welt kommunizieren. Kommunikation in dieser imaginierten Welt kann als virtuell charakterisiert werden, weil sie zwischen körperlosen, selbst konstruierten virtuellen Identitäten und somit unter anderen Bedingungen stattfindet als Alltagskommunikation.

Aufgrund der räumlichen Trennung und schriftlichen Übermittlung von Botschaften fallen viele einordnenden Merkmale, wie z. B. Körpergrösse, Stimme, Alter, Hautfarbe weg, die in face-to-face-Kommunikation eine wesentliche Rollen spielen, zudem ist es relativ einfach, einzelne persönliche Merkmale zu modifizieren oder auch eine ganz neue virtuelle Identität zu erschaffen. Die Interaktion über das Medium Internet gäbe Menschen so die Freiheit, sich nach ihrem Belieben zu gestalten.

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4.1 Kommunikation durch mediale Vermittlung

Alltägliche Face-to-Face-Kommunikationen, die ausserhalb strukturierender Zusammenhänge wie Sitzungen, Gerichtsverhandlungen oder ähnlichen Veranstaltungen stattfinden, sind durch geringe Determiniertheit gekennzeichnet. Die Gesprächsteilnehmer bestimmen, abgesehen von äusseren Störungen, gemeinsam über die Gesprächssituation- und den Interaktionsverlauf. Sie legen sich auf bestimmte Themen fest, können aber unvermittelt sich anderen Gegenständen zuwenden. Sobald jedoch Kommunikation auf medialer Vermittlung basiert, werden die situativen Bedingungen, Ausdrucksformen und oft sogar die thematische Orientierung der Interaktion in erheblicher Weise durch die Technologie vorstrukturiert. Durch die Wahl des Mediums werden nebst Teilnehmerzahl, Kommunikationskanäle und Sende- bzw. Rezeptionschancen determiniert.

Das Telefon erlaubt beispielsweise synchrone Kommunikation, schränkt aber zugleich die Zahl der Kommunikationsteilnehmer stark ein. Während hier die diadische, aber gleichwertige Beziehung durch Technologie unterstützt wird, steht das Medium Fernsehen für eine straffe Hierarchie - nur wenigen steht die Möglichkeit des Sendens offen. Weil es keinen direkten Draht zwischen Sender und Empfänger gibt, droht den Massenmedien dauernd die Gefahr, den Kontakt zur Empfängerseite zu verlieren. Die Medienmacher sind daher gezwungen, nicht nur Informationen mediengerecht aufzubereiten, sondern sie müssen sich auch den zeitlichen Bedürfnissen der Empfänger, ihrer zeitlichen Verfügbarkeit anpassen.

Die Determiniertheit der schriftlichen Massenkommunikation lässt sich noch unter erweitertem Aspekt sehen: das gedruckte Wort ist im Gegensatz zur mündlichen Äusserung vom Hauch der Ewigkeit umgeben. Grosser Aufwand wird von privaten Organisationen und öffentlichen Institutionen (wie z.B. Bibliotheken oder Staatsarchiven) unternommen, um die künftige Verfügbarkeit schriftlicher Dokumente sicherzustellen - demgegenüber bleibt das mündliche Wort stets nur etwas Sublimes und relativ Unverbindliches.

4.1.1 Videokonferenz / Internet-Telefonie

Internet-Telefonie und Videokonferenz sind Versuche, die bereits bekannten Technologien Telefon und Bildtelefon auf das neue Medium Internet zu adaptieren. Beide Kommunikationsprozesse sind durch Gleichzeitigkeit gekennzeichnet und laufen zwischen mindestens zwei Teilnehmern ab. Internet-Telefonie und Videoübertragung überwinden die Grenzen der klassischen rechnervermittelten Kommunikation (computer-mediated communication) durch die Übertragung von Ton und bewegten Bildern. Mit der Verfügbarkeit von PCs, die bereits standardmässig mit Soundkarte, Lautsprecher und Mikrofon ausgestattet sind, steht der Einführung des Telefonierens über das Internet technisch nichts mehr entgegen. Während das Telefon inzwischen zur Alltagstechnologie geworden ist, hat sich das Bildtelefon - obwohl schon seit über 10 Jahren realisiert - bislang nicht durchsetzen können. Mit einer neuen Generation sog. Webcams, kleiner, kostengünstiger Videokameras für den Anschluss an den Computer, könnte sich das in Zukunft ändern. Zusätzlich zur herkömmlichen Tonübertragung übermittelt bei der Videokonferenz eine i.d.R. auf dem Monitor postierte Kamera ein Videobild an den Computer des Gesprächspartners.

Beide Technologien schaffen durch eine zumindest rudimentäre Illusion von Körperlichkeit Kommunikationssituationen, die der face-to-face-Situation deutlich näher kommen als andere Übermittlungstechniken.

4.1.2 Interpersonale Kommunikationsformen in Computernetzen

An dieser Stelle soll erörtert werden, wie Identität im Rahmen der Nutzung aktueller Internet- und Online-Technologien in Erscheinung tritt, vom Nutzer selbst und von anderen gestaltet, modifiziert und wahrgenommen werden kann.

Im Gegensatz zu den Technologien E-Mail und Newsgroups handelt es sich beim Internet Relay Chat (IRC) um eine wirkliche Online-Technologie, d.h. die Benutzung geschieht in Echtzeit.

Zeit:

Personen

Synchrone Kommunikation Asynchrone Kommunikation
Bilteral Talk E-mail
Multilateral Chat; Multi-User-Chat; IRC

= Online-Konferenz

Newsgroups (Usenet), Mailinglisten

= Offline-Konferenz

Ein besonderes Charakteristikum dieses Mediums (Computernetze / Internet) tritt klar hervor, nämlich die Simultanität von Ereignis und medialer Rezeption, und zwar ohne, dass professionelle Medienanbieter (z.B. Nachrichtenagenturen, TV-Sender, etc.) dazwischen-geschaltet wären.

 

Face-to-Face
(Idealvorstellung, Alltagskommunikation, nicht organisiert)

Herkömmliche Massenmedien

Neue Medien
(Internet)

Determiniertheit

Relativ offen bzgl. Festlegung von Themen und Teilnehmerschaft (lokal) "unzuverlässig", oft zufällig
Alltag: meist dialogisch, demokratisch "flüchtig", relativ unverbindlich
analog

Kommunikation wird räumlich und zeitlich durch Technologie vorstrukturiert (regional, national, z.T. international)

Pünktlich (feste Sendetermine)

Hierarchisch strukturiert: einseitig verteilte Sendechancen.

"Hauch von Ewigkeit" (z.B. Sammlung u. Ablage von Schriftstücken in Archiven und Bibliotheken)

analog

Sehr offen bzgl. Themen und Teilnehmerschaft (global)

Extrem nicht-hierarchisch

Wirr, Kakophonie der Stimmen

Wiederverwertbar, veränderbar, beliebig kopierbar

"massgeschneiderte" und Massen-Kommunikation sind möglich

Digital

S-E-Bindung (Engagement)

Verpflichtend (gegenseitige Aufmerksamkeit, Berechenbarkeit des Verhaltens, Achtung und Respekt)
Direktes, unverzügliches Feedback Gemeinschaft
Flexibel, inviduell gestaltbar

Unverbindlich (rezipientenseitiges Zapping) Beidseitiges Feedback nur über inhaltliche Selektion möglich (formal: Publikumsbefragungen)
Gesellschaft (Zerschlagung der "Fernsehgemeinde" durch Privatfernsehen)
Wenig flexibel, geringe Anpassungsfähigkeit an individuelle Bedürfnisse

Postmoderne Unverbindlichkeit (spielerischer Umgang mit Identität und Beziehungen)

Feedback (direkt, verzögert)

Flexibilität

Gemeinschaft, Gesellschaft, Internationalismus

Funktionsdifferenzierung

Wenig ausdifferenzierte und spezialisierte Sende- bzw. Rezipientenrollen
Geringe od. keine Professionalisierung u. Kapitalisierung
Sende-Zugänglichkeit hoch

Stark ausdifferenziertes System: Journalisten, Verleger, Drucker

Professionalisierung/ Kapitalisierung

Sende-Zugänglichkeit gering, exklusiv

Wenig ausdifferenzierte und spezialisierte Sende- bzw. Rezipienterollen

Geringe Professionalisierung u. Kapitalisierung

Sende-Zugänglichkeit hoch

Komplexität / Heterogenisierung

Meinungsvielfalt, Pluralismus
Kontroverse, komplexe Interaktionen, aber auch banale Alltagssituationen
Meinungsdivergenz und -konvergenz

Eingeschränkte Meinungsvielfalt, Selektion

"Geglättete" Wiedergabe von Meinungen (repräsentativ, ausgeglichen, z.T. populistisch)

Fördern gesellschaftlichen Zusammenhalt durch Zusammenfassung von Meinungen und Konzentration auf bestimmte Themen

"Überspitzte" Meinungsvielfalt

extreme Meinungen sind überrepräsentiert

Frontenbildung

Expressive Selbstdarstellungen

Konsensfindung erschwert

Reliabilität

Wahrnehmungssicherheit durch grosse Bandbreite (Wahrnehmungskanäle)
Identifizierung des Gegenübers
Primär- und Sekundärinformationen Selbstregulation

unterschiedlich, im Vergleich zu F-t-F ist die Bandbreite eingeschränkt

mediale "Vertrautheit"

vorwiegend Sekundärinformationen

Relativ zuverlässig (Selbstkontrolle, Medienrecht)

Identifizierung erschwert, Anonymität häufig

Primär- und Sekundärinformationen

Weitgehende Selbstregulation

Vertrauenswürdigkeit problematisch

Gesellschaftlicher Wandel / Reproduktion

kreativ, Produktion von Ideen
langsam, bedachte Entwicklung von Ideen
Aktion

Dokumentierend, unterhaltend, mobilisierend

eher träge Verbreitung von Ideen

Mehrheitlich jedoch konservativ (sich am Bestehenden orientierend), werterhaltend

Mehrheitsorientiert

Reaktion

Kreativ, dokumentierend, unterhaltend, mobilisierend

subversiv: erleichtert Organisation von Gleichgesinnten, Minoritäten

schnell, aggressiv, anpassungsfähig

Aktion und Reaktion

Interaktion im Cyberspace, Christoph Brönnimann, Oktober 1997, Zürich

4.1.3 Ensembles im Internet

Die Entstehung von Ensembles kann im Internet dort festgestellt werden, wo sich ein bestimmter Teilnehmerkreis regelmässig zu kommunikativen Zwecken versammelt. Dies kann in textbasierten Systemen, wie z.B. Muds, Newsgroups oder Chat-Foren beobachtet werden, immer häufiger werden virtuelle Welten, wie z.B. "ActiveWorlds", welche zusätzliche visuelle Darstellungsmöglichkeiten, wie z.B. Gehen, Fliegen oder das Festlegen einer Blickrichtung ermöglichen, frequentiert.

Jeder Ort, der durch feste Wahrnehmungsschranken abgegrenzt ist und an dem eine bestimmte Art von Tätigkeit regelmässig ausgeübt wird, ist eine gesellschaftliche Einrichtung. Ich habe ausgeführt, dass jede derartige Einrichtung erfolgreich unter dem Aspekt der Eindrucksmanipulation untersucht werden kann. Innerhalb der Grenzen einer gesellschaftlichen Einrichtung finden wir ein Ensemble von Darstellern, die zusammenarbeiten, um vor einem Publikum eine gegebene Situation darzustellen. Zu diesem Modell gehören der Begriff des geschlossenen Ensembles und des Publikums sowie die Voraussetzungen eines Ethos, das durch Regeln des Anstands und der Höflichkeit aufrechterhalten werden soll. Wir finden häufig eine Trennung in einen Hintergrund, auf dem die Darstellung einer Rolle vorbereitet wird, und einen Vordergrund, auf dem die Aufführung stattfindet. (Goffman, 2002, S. 217)

4.1.4 Chat (IRC) als virtuelle Echtzeit-Kommunikation

Chat ist eine zeitgleiche Kommunikation mit einem (Gesprächs-)Partner/in auf der anderen Seite ('chatten‘). Vergleichbar ist der Chat mit dem Telefon (Non-Visibilität der Kommunikations-partner), allerdings mit der Ausnahme der Schriftlichkeit, die beim Chatten hinzukommt. Die Möglichkeit des Chattens wird beim Multi-User-Chat (auch Online-Konferenz) erheblich erweitert. Denn hier können nicht nur zwei, sondern mehrere Gesprächspartner sich gleichzeitig unterhalten. Um wieder den Vergleich zum Telefon aufzugreifen, so gibt es auch hier einen Pendand dazu: die Telefonkonferenz ist sozusagen auch ein Multi-User-Chat.

Ein globaler Mulit-User-Chat speziell im Internet ist der schon erwähnte Internet-Relay-Chat (IRC). Beim Chatten (engl. to chat - plaudern, schwatzen) handelt es sich um eine synchrone, direkte und wechselseitige Kommunikationsform, bei der die Teilnehmer ihre Mitteilungen nicht mündlich, sondern schriftlich äussern. Texte werden über die Tastatur eingegeben und erscheinen fast zeitgleich auf dem Computerbildschirm der Gesprächspartner. In der Regel sind mehrere Chatter beteiligt, doch es kommt auch zu dyadischer Kommunikation. Zugang zu sogenannten Chat-Räumen bzw. -Kanälen, in denen über die unterschiedlichsten Themen diskutiert wird, können Internet-Nutzer auf verschiedene Weise bekommen. Zum einen gibt es das IRC (Internet Relay Chat), das als eigenständiges Netzwerk aus vielen interessenspezifischen oder regionalen Kanälen besteht (z.B. #london oder #flirt), zum anderen existieren spezielle Chat-Sites im WWW, die virtuelle Plauder-Treffpunkte anbieten. Vor dem Eintritt in eine Gesprächsrunde wählt sich der Chatter ein Pseudonym, einen Nicknamen. Dann kann er sich aktiv beteiligen oder das Gespräch passiv verfolgen, in der Chat-Szene lurken genannt (von engl. to lurk - lauern, verborgen liegen). Chat-Kommunikation kann als moderierte Diskussionsrunde oder Interview, als vertraute Gesprächsrunde unter Bekannten oder auch zu zweit oder in einem auserwählten Kreis nach Einladung stattfinden. Es gibt aber auch viele offene ‘Gesprächsräume’, in denen sich ein ständig wechselnder Kreis von einander Unbekannten über Interessantes oder noch häufiger über Belangloses unterhält.

4.1.5 Avatar-Chats (3-D-Chats)

Avatar- oder auch 3-D-Chats stellen eine Weiterentwicklung des textbasierten IRC dar. Interessant in Rahmen dieser Arbeit ist dabei die Tatsache, dass die Weiterentwicklung in erster Linie auf verbesserte Möglichkeiten zur Darstellung der (virtuellen) Identität abzielt: Im Gegensatz zum klassischen IRC-Chat hat der Benutzer dieser Technologie die Möglichkeit, aus einer Reihe von vorgefertigten Modellen eine Figur auszuwählen oder zusammenzusetzen, die ihn selbst während des Chattens optisch repräsentiert, d.h. für andere Benutzer sichtbar ist. Der User bewegt seinen Avatar durch eine grafisch dargestellte Umgebung und begegnet dort anderen Chat-Teilnehmern bzw. deren Avataren.

Für 3-D-Chats hat sich noch keine technologische Lösung als Standard etablieren können, so dass momentan verschiedene Systeme mit unterschiedlichen technischen Möglichkeiten zum Einsatz kommen. Je nach verwendetem System ist es beispielsweise möglich, nicht nur mit den Avataren anderer Spieler, sondern auch mit der Umgebung selbst zu interagieren, z.B. Gegenstände zu bewegen etc.

3-D-Chats zeigen deutlich die momentanen Unzulänglichkeiten, mit denen Chat-Nutzer momentan bei der Darstellung ihrer Identität nach aussen zu kämpfen haben. Vielen IRC-erfahrenen Usern wird erst bei Anblick der relativ wenigen Auswahlmöglichkeiten für Avatare, die 3-D-Chats bieten, klar, wie schwierig schon im IRC die eigene Darstellung anderen gegenüber ist. Spätestens die Begegnung mit zwanzig identischen Marylin-Monroe-Avataren im 3-D-Chat verdeutlicht die zwangsläufige Diskrepanz zwischen der eigenen Wahrnehmung des Ich und der durch andere in dieser Form der computervermittelten Kommunikation.

4.1.6 VR (Virtual Reality)

Cyberspace und Körper scheinen sich durch ihre Immaterialität bzw. Materialität gegenseitig auszuschliessen. Einerseits wird durch die globale, computervermittelte Kommunikation der Körper in seiner Trägheit und Materialität überwunden. Andererseits zeigen die VR-Technologien den "Gewichtsverlust" des stofflichen Körpers an: durch das Aufsetzen einer Datenbrille verschwindet dieser aus dem Gesichtsfeld des Benutzers und ist innerhalb der Computersimulation falls überhaupt, dann nur als beliebig leicht zu manipulierendes Objekt wahrnehmbar. Der Materialität des Körpers tritt hiermit die Immaterialität des Cyberspace entgegen.

Folglich kann sich die Rede von der "Anwesenheit" in virtuellen Welten nicht auf die stofflichen Qualitäten des Körpers beziehen. In den Cyberspace einzutauchen bedeutet nicht, dort mit dem fleischlichen Körper präsent zu sein. Vielmehr meint "Anwesenheit" im Kontext von dreidimensionalen, euklidischen - im Unterschied zu den sozialen - Räumen, die aus der "Realität" bekannte Bewegungsfunktionalität des Körpers zur Orientierung, Navigation und Interaktion zu beanspruchen. Ich möchte die Bedeutung der Körperrepräsentation für die Anwesenheit in dreidimensionalen computergenerierten Räumen zunächst am Beispiel der VR-Technologien veranschaulichen, um in einem zweiten Schritt diese Bewegungsfunktionalität auch in den virtuellen Welten der MUDs hervortreten zu lassen.

Was an dieser Stelle so metaphorisch mit "Anwesenheit" umschrieben wird, hat im Kontext der VR-Technologien eine präzise Bezeichnung, nämlich "Immersion", was soviel bedeutet wie "eintauchen in" virtuelle Realitäten. Nicht umsonst werden vor allem Datenhandschuh und Datenbrille mit den virtuellen, dreidimensionalen Welten assoziiert, denn diese beiden Gerätschaften bürgen für den Effekt der Immersion und bilden gewissermassen das Tor zur künstlichen Umgebung. Entscheidend für das Präsenzempfinden ist dabei erstens, die Synchronisation der (Kopf-) Bewegungen mit der erzeugten Perspektive bzw. dem vermittelten Bildausschnitt. Dreht man den Kopf nach links, rechts, oben oder unten muss der Computer das entsprechende dreidimensionale Bild des Raumes bzw. von allem was sich in ihm befinden mag, generieren und auf den Mini-Bildschirmen vor den Augen der BenutzerInnen darstellen. Dadurch wird der Eindruck erzeugt, sich "wirklich" in diesen simulierten Räumen zu befinden.

Es gibt jedoch noch einen zweiten Gesichtspunkt der Immersion - die Frage, ob der Operator ein passiver Beobachter dieser Umgebung ist „[…] oder ob er die Möglichkeit zu aktiver Navigation und Exploration in ihr hat“. (Rheingold, 1995, S. 111)

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4.2 Das Chatforum als Theaterbühne

Goffman beschreibt die Interaktion zwischen Individuen aus einer "dramaturgischen Perspektive" Die menschliche Interaktion findet sozusagen auf einer Bühne statt, was sich hinter dem Vorhang abspielt, bleibt weitgehend unsichtbar. Jeder Mensch füllt eine Rolle aus und orientiert sich dabei an den Erwartungen, die seine Interaktionspartner - auch unbewusst - an ihn stellen, denn erst diese Orientierung ermöglicht erfolgreiches Interagieren. So können sich schliesslich sogenannte "Ensembles" bilden, Gruppen also, die sich eine "Bühne" teilen, und zwischen deren Mitgliedern eine gewisse Vertrautheit herrscht.

4.2.1 Das Alltagsleben als Backstage, das Chatforum als Bühne

Das Chatforum kann als eine solche Bühne betrachtet werden. Das Alltagsleben der verschiedenen Teilnehmer, in dessen Grossteil im Chat kein Einblick gewährt wird, stellt gewissermassen den "Backstage-Bereich" dieser Bühne dar. Hier bereiten sich die Chatter auf ihre Rolle vor: sie machen Erfahrungen, über die sie sich später miteinander austauschen. Aber nicht nur das; sie machen ausserdem Erfahrungen, die ihnen zeigen, dass es riskant ist, sein gesamtes Privatleben der Öffentlichkeit preiszugeben.

4.2.2 Störungen der Darstellung

Der Umgang mit diesem Risiko kann bei unterschiedlichen Individuen ein anderer sein, weshalb es zu sogenannten "Störungen der Darstellung" kommen kann. Normalerweise streben Ensembles an, nach aussen hin einen Konsens zu demonstrieren. Ändern sich jedoch beispielsweise die äusseren Umstände der Interaktion, kann es passieren, dass die normalerweise üblichen Handlungen plötzlich missverstanden werden. Die ursprüngliche Position des Individuums oder des Ensembles ist nicht mehr zu halten. Es müssen aber, wie schon angedeutet, nicht immer äussere Umstände sein, die die Interaktion gefährden. Problematisch ist nämlich auch, dass der Einzelne, um seine Rolle so zu spielen, dass er das Ensemble nicht gefährdet, die anderen Mitglieder möglichst gut kennen muss. Das Paradoxe dieser Situation besteht darin, dass er niemals vollständige Informationen über die anderen hat (denn die gehören in deren privaten Bereich), sondern angewiesen ist auf Ersatzinformationen - Hinweise, Andeutungen, Gesten, Statussymbole usw. - mit deren Hilfe er Voraussagen über das Verhalten der anderen trifft. Diese Ersatzinformationen sind allerdings Zeichen, die von der Bühne aus gegeben werden. Daher stellen sie nicht unmittelbar die Wirklichkeit dar, sondern sind Schauspiel in Form sogenannter "Interaktionsrituale". Die Realität, für die der Einzelne sich interessiert, ist seiner Wahrnehmung nicht zugänglich.

Was nun den Chat im Internet zu einer besonderen Bühne unter vielen macht, ist zum einen die Tatsache, dass viele der notwendigen Ersatzinformationen hier nicht von vornherein sichtbar sind, sondern ausschliesslich sprachlich gegeben bzw. entziffert werden können. Zum anderen ist die Folge hieraus, dass die Vertrautheit, die das Ensemble kennzeichnet, schwieriger zu erzeugen und möglicherweise weniger verlässlich ist, als in Ensembles, die sich tatsächlich körperlich begegnen. Hinzu kommt das Problem, dass Chatforen für jeden zugänglich und meist wenig konstant sind: die Teilnehmer sind bei weitem nicht immer die gleichen, weshalb Vertrautheit oft immer wieder neu hergestellt werden muss, und zwar - wie gesagt - auf rein sprachlicher Basis. Diesen Schwierigkeiten zum Trotz lässt sich immer wieder beobachten, dass Menschen im Chat sich gegenseitig relativ persönliche Dinge anvertrauen. Dies gilt sogar insbesondere für thematisch eingegrenzte Chats, denn die thematische Eingrenzung bedeutet einen Vorsprung an Vertrautheit. Verschiedene soziologische Studien haben ergeben, dass die Teilnehmer der in dieser Hinsicht am besten funktionierenden Chat-Gruppen sich auch ausserhalb des Internets treffen. So werden die Schwierigkeiten, die durch das "Angewiesen-Sein auf Sprache" entstehen, kompensiert.

4.2.3 Nonverbale Mitteilungen über die Persönlichkeit

Persönlichkeitsmerkmale erzeugen unmittelbar und unwillkürlich und ohne jede Mitteilungs-absicht nonverbale Signale, z. B. ein nervöser Mensch zittert und schwitzt, oder Leute aus verschiedenen Regionen oder Gesellschaftsschichten sprechen mit einem jeweils spezifischen Akzent. Jedoch selbst diese nonverbalen Signale werden kontrolliert und modifiziert: manche Leute können dieselben Signale gezielt einsetzen, um bestimmte Merkmal hervorzuheben oder um eine verbesserte Version ihrer selbst zu präsentieren.

Welche Signale werden zur Selbstdarstellung verwandt? Die körperliche Erscheinungsweise ist dabei von grosser Bedeutung: Kleidung, Haartracht, Gesicht, Körperbau usw. Der Akzent ist ein weiterer spezifischer Hinweis, ein Hinweis auf Gruppenzugehörigkeit. Ein allgemeiner Verhaltensstil dient als Hinweis auf die Persönlichkeit.

Bei der Untersuchung des Enkodierens von Persönlichkeit müssen wir damit beginnen, was überhaupt enkodiert werden kann. Bezüglich der willkürlichen Aspekte des Enkodierens ist dies das Selbstbild. Das Selbstbild bzw. die "Ich-Identität" bezieht sich darauf, wie ein Mensch sich selbst versteht. Wie führt das Selbstbild zur Selbstdarstellung? Wie Goffman (2002) dargelegt hat, benötigen Leute, die miteinander umgehen, Informationen über die Eigenschaften des anderen, um zu wissen, wie sie sich gegenseitig zu behandeln haben. Es ist schwierig, beispielsweise die Intelligenz oder die Gesellschaftsschicht unmittelbar zu erfassen, und deshalb stützt man sich dazu auf Gesten, d. h. auf Signale, die mit solchen Eigenschaften verbunden sind. Goffman meint, dass Leute bei der Interaktion einen Konsens über die wechselseitigen Vorstellungen voneinander erarbeiten würden. Das Selbst ist nicht immer aktiv, man signalisiert nicht ständig etwas über sich selbst. Das geschieht nur in solchen Situationen, die Goffmann einen "Bühnenauftritt" nannte. Körpergrösse und Figur, die Struktur des Gesichts und charakteristische Eigenschaften der Stimme sind nach Goffman keine enkodierten Signale. Trotzdem können sie Bedeutungen haben, da manche Grössen und Figuren bevorzugt werden oder da man meint, sie seien mit einem bestimmten Verhalten verbunden. Der Körperbau kann in begrenztem Masse das Ergebnis eines Lebensstils sein. Man übermittelt auch Informationen über seine Intentionen und Erklärungen seines Verhaltens, um dieses möglichen Zuschauern einsichtig zu machen. Goffmann hat das die "Erläuterung durch den Körper" genannt. Man ist sich zweifellos dessen bewusst, wie sein Verhalten für andere aussieht, und mit zusätzlichen nonverbalen Signalen will man zeigen, dass es einen akzeptablen und vernünftigen Zweck hat, oder gelegentlich will jemand auch damit irreführen und täuschen.

Durch die Trennung von physischer und psychischer Präsenz entfallen die körperlichen Sanktionsmöglichkeiten, wodurch der Spielraum für die dramaturgische Darstellung erheblich erweitert wird. Hier können die Grenzen einer Darstellung ausgereizt und das Publikum durch provokative Auftritte herausgefordert werden. Häufig sind allerdings solche Aufführungen auf eine mangelnde Erfahrung mit dem neuen Medium zurückzuführen und die erbosten Publikumsreaktionen prallen, wie entsprechende Reaktionen zeigen, keineswegs an den Darstellern ab. Dies zeigt, dass Individuen die mediale Situationen in "spielerischer Ernsthaftigkeit" erleben und gefühlsmässig häufig stärker involviert sind, als es von aussen den Anschein macht. Der virtuelle Raum bietet eine kaum eingeschränkte Anzahl von Bühnen und differenziert sich immer weiter aus; ständig entstehen neue Orte, die zu selbstdarstellerischen Zwecken genutzt werden können: Homepages, Newsgruppen, Chat-Foren oder virtuelle Welten entsprechen in vielerlei Hinsicht (wenn auch nicht vollständig) dem, was Goffman als eine "gesellschaftliche Einrichtung" bezeichnet hat.

Ein Punkt, der hier angesprochen werden soll, ist das mit dem Phänomen des Genderswapping verbundene Problem der körperlichen Materialität im Netzmedium.

Neben der verbalen Einbindung des Körpers durch seine Beschreibung gibt es weitere Möglichkeiten, zu ‘erscheinen’. Reid (1994) zeigt auf, wie sich neben der textbasierten Kommunikation, in MUDs und im IRC eine Art Metasprache entwickelt hat, die Gestik, Mimik und Handlungen graphisch darstellt. Reid (1994) weist auf die Bedeutung der Gestik als "kulturelle Einschreibungen" hin: "...the words themselves tell only half the story - it is their presentation that completes the picture." Sie gibt Beispiele für eine Reihe von Buchstabenfolgen und Zeichen, die den Gesichtsausdruck oder auch ganze Handlungsfolgen, wie z.B. das Überreichen einer Rose, symbolisieren.

4.2.4 Der Flow-Effekt im Internet als ‚ausserkörperliche’ Erfahrung

Im Internet kann es leicht geschehen, dass man die Zeit völlig vergisst. Auf der Suche nach bestimmten Informationen surft man von Seite zu Seite und findet immer weiterführende Links. Aber auch beim Chatten, genau wie beim Spielen (On- und Offline), kann es zu dem Effekt kommen, dass man gebannt auf den Bildschirm schaut und fast alles um sich herum vergisst. Dies lässt sich vergleichen mit dem aus der Psychologie stammenden Begriff der Flow-Erfahrung, bei dem es um einen Zustand des optimalen Erlebens geht, dem Aspekte wie Vergnügen, Glück, Befriedigung und Freude zugeordnet sind. Während des Flow-Erlebnisses vergisst man Zeit und Raum, spürt weder körperliche Ermüdung noch psychische Sättigung. Die Person im Flow-Zustand geniesst das Fortschreiten in dieser Tätigkeit als eine sich selbst stimulierende, sich selbst belohnende und unmittelbar befriedigende Erfahrung (vgl. Czikszentmilhaly, 1993). Das Erleben des Flow - Effekts kann zu einem Problem werden, wenn die Person ihre Umwelt wieder registriert und sich selbst wahrnimmt. Nach solchen Erfahrungen spürt man sehr deutlich, welche Belastungen bei der Arbeit am Computer im Vordergrund stehen. Bildschirmarbeit belastet besonders die Augen.

Der zuvor genannte Flow-Effekt im Internet kann als eine ‚ausserkörperliche’ Erfahrung gesehen werden, die den Körper für eine gewisse Zeitspanne ausblendet. Beim Erwachen aus diesem Zustand tritt der Körper mit den vorher beschriebenen Symptomen deutlich hervor. Schachtner (1993) hat in diesem Zusammenhang Untersuchungen durchgeführt, die die Arbeits- und Erlebnissituation von Softwareentwicklern als Gegenstand haben. In Bildern dokumentieren die befragten Personen eindrucksvoll die „Befreiung des Geistes aus seiner Leibgebundenheit“ (Schachtner, 2000, S. 159). Doch auch hier ist es keine triumphal erlebte Befreiung, sondern ein Leiden an der Verdrängung und Fragmentierung der physischen und psychischen Körperlichkeit. Die dargestellten Körper gleichen eher leeren Hüllen, sie sind verkrümmt, dünn und klein unter übermächtigen Köpfen. Dies signalisiert die Bedeutung des Körpers für die Softwareentwickler beim Umgang mit dem Computer. Die überlegene Stellung des Geistes zu Lasten von Körper und Gefühl ist offensichtlich. Schachtner (1993) spricht in diesem Kontext auch von einem ‚Benutzerverhältnis’ zum Körper. Im Widerspruch zu der Beziehung von Mensch und Computer steht die Geschwindigkeit. Die hohe Geschwindigkeit, mit der wir Echtzeit-Bewegungen in virtuellen Welten ausführen, steht im Widerspruch mit dem Stillstand und der gleichzeitigen Anspannung, die unser Körper währenddessen erfährt. „Die hohen Geschwindigkeiten führen dazu, dass unser Körper immer unerträglicher wird, ein bleierner Ballast, zu dem wir keine positiven Bezüge mehr aufbauen“ (Bühl, 1995, S. 4).

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5. Die Selbst-Inszenierung im virtuellen Raum

Die Inszenierung des Selbst im virtuellen Raum auf der virtuellen Bühne soll hier beispielhaft am Phänomen des Genderswitching vor allen in Chat-Räumen vertieft dargestellt werden. Durch die Natur der Technik mit ihren ständigen Technologiewechseln, Weiterentwicklungen und neuen Errungenschaften kann die Erörterung dieser Thematik hier nur punktuell geschehen.

Die Konstruktion und Inszenierung von neuen Identitäten im Internet, die überwiegend in zeitgleichen CvK´s (Computervermittelte Kommunikation) kreiert und "ausgespielt" werden, setzt einen bewussten Einsatz, eine Zuordnung und Identifizierung bestimmter sozialer Kategorien voraus, um dann ein entsprechend der Neukreation angepasstes Sozialverhalten anzunehmen bzw. zu zeigen. Ein Beispiel ist das Genderswitching/-Swapping, das den Geschlechterwechsel bewusst mit dem Einsatz rollenbezogener Interaktionen vollzieht. D. h. mit der Wahl des Onlinegeschlechts bewegen, verhalten und reagieren diese virtuellen Geschlechter nach gängigen Geschlechtsstereotypen. Da gesellschaftliche Realität auch im Internet vorhanden und gespiegelt wird, ist die Hypothese des genderneutralen Raumes widerlegt. Danach werden „virtuellen Frauen„ unabhängig vom realen Geschlecht, höhere Aufmerksamkeit, Hilfe und Unterstützungsangebote, nebst (persönlich-grenzüberschreitenden) Kontaktaufnahmegesuchen entgegengebracht, während im umgekehrten Fall „virtuellen Männern„ eine höhere Kompetenz zugeschrieben und sich dementsprechend verhalten wird (vgl. Reid, 1994).

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5.1 Das Phänomen Genderswitching / Genderswapping

Eine der häufigsten Arten, in der Online-Welt mit Identität zu experimentieren ist die des sogenannten „Genderswitching“. Bereits beim Einstieg in einen Chat, in ein MUD oder MOO, wenn die Nutzer sich einen Namen geben, der im folgenden ihren Äusserungen vorangestellt wird, entscheiden sie, ob sie sich als männlich oder weiblich, als neutral oder sogar als Plural zu erkennen geben wollen. Da Menschen im Netz wie im „wahren Leben”, je nach Geschlecht des Interaktionspartners unterschiedliche Verhaltensmuster erwarten und anwenden, reizt es viele, einmal als Angehöriger des anderen Geschlechts behandelt zu werden. Allgemein wird angenommen, dass der Mann-zu-Frau-Wechsel häufiger vorkommt als der umgekehrte Tausch. Die Annahme beruht auf der Beobachtung, dass in den meisten MUDs und Chat-Rooms weibliche und männliche Charaktere etwa gleich häufig vertreten sind, während bekannt ist, dass die Mehrheit der Nutzer aufgrund kultureller Vorselektion Männer sind (Neverla, 1998, S. 145). Rekonstruiert und stabilisiert das Netz-Medium auf Dauer die traditionelle Geschlechter-hierarchie, oder gibt es Anzeichen einer Neudefinition des Geschlechterverhältnisses?

Neverla sieht diese Anzeichen vorerst nicht:

Während unsere Leiblichkeit in der Kommunikation im Netz-Medium konstant vor dem Bildschirm verbleibt, von den sinnlichen Erfahrungen des Hier und Jetzt genährt wird, geht der Körper als soziales Konstrukt auf die virtuelle Reise. Als soziales Konstrukt ist er aber vom Bewusstsein das ‘real life’ geprägt und dieses ist verwoben mit der hierarchischen Geschlechterordnung. (Neverla, 1998, S. 147)

Im Sozialisationsprozess erworbene Kommunikationsmuster können offenbar nicht geschlechts-spezifisch ausgetauscht und umgelernt werden. An die Grenzen des Umbruchpotentials stösst man bereits, wenn man versucht, den Gender-Switch länger durchzuhalten:

Once [males] are online as female, they soon find that maintaining this fiction is difficult. To pass as a woman for any length of time requires understanding how gender inflects speech, manner, the interpretation of experience. Women attempting to pass as men face the same kind of challenge. (Turkle, 1995, S. 212)

Auch hier gilt: Was mit dem technischen Potential gemacht wird, wird letztlich nicht im Netz, sondern durch Machtkonstellationen in der Gesellschaft entschieden.

5.1.1 Motive für Genderswapping

Mit Abstand nennen die meisten Befragten "Spass" als den entscheidenden Grund für einen virtuellen Geschlechtswechsel. Der Umgang mit dem Medium scheint in diesem Fall eher spielerisch als zielgerichtet zu sein:

Faabian: "Ich habe das nur einmal mit einem Freund zusammen gemacht. Das war aber reiner Spass, keine Veranlagung."

Spass macht vielfach vor allem der "Betrug" anderer User - selbstverständlich ein Konzept, dass eine eindeutige, körperliche Wahrheit des Geschlechts voraussetzt:

AT: "[...] andere machen sich einfach einen Spass daraus, Anfänger oder sexgeile User zu verarschen."

In die Reihe der spielerischen, nicht zielgerichteten Motive gehören auch "Neugier" und "reine Langeweile":

BitEater: "Das hab’ ich nur 1-2mal gemacht. Aus Langeweile, denn so bekommt man mehr Gesprächspartner."

Ein nicht kleiner Teil der Nutzer setzt Genderswapping aber auch ganz gezielt zur Erreichung verschiedener Ziele ein. Ein populäres Ziel etwa ist Cyber-Sex - unsinnlich formuliert das von Masturbation begleitete Austauschen erotischer Nachrichten:

CuteHot: "Ich wollte eigentlich nur einen richtigen Mann haben, einen Hetero. Nur deshalb musste ich eine "Frau" sein [...], das Ziel war das Entscheidende. [...] Es war aufregend, weil sich Heteros um Frauen reissen, weil die so wenig im Internet vertreten sind. Sofort haben mir 20 - 30 Typen ihre Fotos zugeschickt. 10% davon sahen echt ganz geil aus. [...] Ich war für eine Stunde eine Frau und ein richtiger Mann hat mit mir geschlafen."

Becker (1997) verweist auf das lediglich begrenzte situative Entrinnen ins Imaginäre, das immer an reale Körperlichkeit und den sozialen Kontext gebunden bleibt (Becker, 1997, S. 166f). Eine vollständige Ausblendung und Neukonzeption von Identität wäre nicht möglich.

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5.2 Identität im Internet

Aus sozial-psychologischer Sicht basiert menschliche Identität auf der dauerhaften Annahme bestimmter sozialer Rollen und Gruppenzugehörigkeiten. Eine Person kann mehreren Gruppen angehören und verschiedene Rollen einnehmen. Die soziale Identität ist mittlerweile eine durchaus veränderbare Grösse, während der Einzelne auf seine physische Identität, d.h. sein Alter, seine körperliche Erscheinung und sein Geschlecht nicht so einfach Einfluss nehmen kann. Dieses Konzept von Identität als einer kontinuierlichen und für jedes Individuum einzigartigen Grösse ist im Kommunikationsraum Internet natürlich nicht völlig ausser Kraft gesetzt. Absender von E-Mails, Verfasser von Beiträgen in den Diskussionsgruppen und auch Anbieter von Web-Sites im WWW machen oft ihre tatsächliche Identität kenntlich.

Nach Döring (1999) kann man von virtuellen Identitäten sprechen, wenn es darum geht, wie Menschen sich selbst präsentieren, wenn sie computervermittelt (also etwa per Email, Chat, Mailingliste, Newsgroup oder Webpage) miteinander kommunizieren. Da jeder Teilnehmer den virtuellen Raum sozusagen voraussetzungslos, d.h. körperlos und anonym betritt, besteht allerdings die Möglichkeit, die eigene Identität frei zu konstruieren, sie je nach Belieben und Bedarf gegen eine andere auszutauschen und sogar mehrere Identitäten zu erfinden. Jedem Nutzer steht es frei, sich im Internet eine oder mehrere Repräsentanzen seiner Person zu verschaffen. Eine davon kann der alltäglichen Identität entsprechen; so dient die eigene Homepage oft als Visitenkarte und ist zugleich eine auf das Internet bezogene Darstellung des Ichs, deren Wahrheitsgehalt letztlich niemand überprüfen kann. Viele Nutzer legen sich mehrere Pseudonyme und entsprechende E-Mail-Adressen zu, die es ihnen erlauben, sich anonym Informationen zu beschaffen oder unerkannt zu anderen Nutzern in Beziehung zu treten. In jeder Diskussionsgruppe und in jedem Chat-Kanal agiert dann ein anderes virtuelles Ich des jeweiligen Nutzers. Die Teilnehmenden kennen sich in der Regel nicht persönlich, so dass alle Informationen über eine Person von ihr selbst schriftsprachlich oder auch grafisch übermittelt werden. Sie sind daher in der Regel bewusst gewählt und dienen der Selbstinszenierung.

5.2.1 Ein „virtuelles Selbst”?

Beginnen wir bei der Frage nach dem Selbst mit William James (1981), der mit der folgenden Überlegung allem voreiligen Pluralismus ein Ende setzt:

„Not that I would not, if I could, be both handsome and fat and well dressed, and a great athlete, and make a million a year, be a wit, a bon-vivant, and a lady-killer, as well as a philosopher; a philantropist, statesman, warrior, and African explorer, as well as a „tonepoet“ and saint. But the thing is simply impossible. The millionaires work would run counter to the saint’s; the bon-vivant and the philantropist would trip each other up; the philosopher and the lady-killer could not keep house in the same tenement of clay.“ (James, 1981, S. 297)

Wir leben zwar mit Optionen die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt anbieten, seien es „possible selves” oder „Rollen” in einer Identitäts-Konzeption, sie schliessen sich aber häufig untereinander aus, es kommt zu Konflikten und Rivalitäten, wir müssen uns entscheiden. Mit Blick auf das Internet kann man jetzt einwenden, dass das nur für die face-to-face-Interaktion gilt. Wie im weiteren gezeigt wird, kann man bei der fehlenden körperlicher Kopräsenz in bestimmten Netzumgebungen alles sein, solange bis man sich dafür entscheidet, die Kommunikation in einem authentischen Sinn zu personalisieren.

Bedeutet das, dass zu der beschriebenen Vielfalt von unterschiedlich konzeptionierten „Selbsten“, nun noch eines hinzutritt, das „virtuelle Selbst“? Geht es nach vielen Publikationen im Netz, dann ist das virtuelle Selbst eine „ausgemachte Sache“.

Ein Selbst, das als Möglichkeit vorhanden ist, müsste von einem anderen abgegrenzt werden, dass tatsächlich vorhanden ist. Niemand beansprucht aber, ein tatsächliches, ein „wahres Selbst” benennen zu können. Immer geht es lediglich um potentielle Selbstbestände. Es wird zwar z.T. angenommen, dass diese in ihrer Summe ein kohärentes Ganzes bilden, in ihrer schier unendlichen Vielfalt können sie aber nie vollständig erfasst werden. Niemand beansprucht, einen inhärenten Kern des Selbst gefunden zu haben, auf den sich letztlich alle Vorstellungen von mir selbst zurückführen lassen. Das „Realselbst” bei Rogers (1991) ist lediglich eine hilfreiche Annahme dessen, was ich am ehesten glaube zu sein. Es sind Vorstellungen, von denen ich andere Selbstprojektionen unterscheiden kann. Genauso virtuell wie „possible selves” ist strenggenommen auch das „realistische” Selbstkonzept. Wie Sandbothe (1998) schreibt, handelt es sich bei den Begriffen „real“ und „virtuell“ „...ähnlich wie bei ‘natürlich’ und ‘künstlich’, um Reflexionsbegriffe. Als ‚real‘ und ‚virtuell‘ erscheint etwas immer nur aus einer bestimmten Perspektive und im Verhältnis zu etwas anderem.“ (Sandbothe, 1998, S. 68).

Jeder Nutzer ist im Netz Autor und Schauspieler zugleich: Er entwirft einen oder mehrere Charaktere und spielt gleichzeitig die entsprechenden Rollen. So eröffnet sich den Nutzern die Möglichkeit, die Erlebnisdimensionen vieler verschiedener sozialer Rollen zu erfahren. Turkle (1998) weist darauf hin, dass der Begriff „multiple Persönlichkeit“, der eine psychopathologische Störung bezeichnet, in diesem Zusammenhang irreführend ist, „denn die verschiedenen Teile des Selbst sind nicht vollwertige Persönlichkeiten, sondern vielmehr abgespaltene, losgelöste Fragmente“. Im Gegensatz zu traditionellen psychoanalytischen Theorien, die von einer unitären menschlichen Identität ausgehen, bewertet Turkle die multiple, flexible Identität als typisch postmodernes Phänomen, das sich im Internet voll entfalten kann:

Heute, in postmoderner Zeit, sind multiple Identitäten bei weitem nicht mehr so marginal. Eine weit grössere Zahl von Menschen erleben Identität als ein Repertoire von Rollen, die sich mischen und anpassen lassen und über deren verschiedene Anforderungen verhandelt werden muss. ... Das Internet ist zu einem wichtigen Soziallabor für Experimente mit jenen Ich-Konstruktionen geworden, die für das postmoderne Leben charakteristisch geworden sind. In seiner virtuellen Realität stilisieren und erschaffen wir unser Selbst. (Turkle, 1998, S. 289f)

Turkle geht also davon aus, dass der einzelne Nutzer im Internet mit bestimmten Facetten seiner multiplen Identität experimentiert und auf diese Weise sein postmodernes Selbst überhaupt erst schafft. Die unterschiedlichen Aspekte der eigenen Persönlichkeit werden im Internet zu selbständigen Identitäten. Die Mensch-Maschine-Kommunikation erlebt der Nutzer in diesem Fall als Interaktion mit einem menschlichen Gegenüber. Im Internet macht es anscheinend kaum einen Unterschied, ob der Kommunikationspartner ein Mensch oder eine Maschine ist. Diese Täuschungsmöglichkeit zeigt, dass die Teilnehmer an computervermittelter Kommunikation keine spezifisch menschlichen Merkmale kommunizieren. Sie sind virtuelle Identitäten, die sich an künstlicher bzw. virtueller Kommunikation beteiligen. Während in der Alltagskommunikation die explizite und direkte Äusserung von Emotionen in der Regel nur zwischen vertrauten Personen stattfindet, ermöglicht die Anonymität in Chat-Kanälen eine freie Äusserung persönlicher Mitteilungen auch an Fremde: „Weil die Teilnehmer an solchen Gesprächen einander oft nicht kennen, gehen sie auch kein persönliches Risiko ein.“ (Schmitz, 1998, S. 226) Computervermittelte Kommunikation kann demnach in emotionaler Hinsicht risikoloser sein als herkömmliche Medien, da eine soziale Distanz zwischen den Gesprächspartnern besteht. Als virtuelle Identitäten sind sie nicht identifizierbar und können sich relativ leicht zurückziehen. Aus psychologischer Sicht kann dies als das Ausleben bestimmter, im Alltag unterdrückter Aspekte der eigenen Identität gedeutet werden (Turkle, 1998, S. 338). Das Spiel mit der Identität kann demzufolge der individuellen Persönlichkeitsentwicklung bzw. Identitätsfindung dienen.

Im virtuellen Kommunikationsraum ist es möglich, sehr intimen und emotionalen Bedürfnissen nachzugehen und gleichzeitig eine soziale Distanz zum Empfänger der eigenen Botschaften zu wahren. Diese äussert sich in sozio-emotionalen Enthemmungen auch in Gegenwart von völlig fremden Personen. Enthemmtes Verhalten kann sowohl positiver als auch negativer Art sein. Die Beziehung zum Kommunikationspartner ist durch soziale und physische Distanz gekennzeichnet, so dass die Konsequenzen des eigenen kommunikativen Handelns im Vergleich zur direkten Kommunikation unbedeutender werden. Während der Partner unwichtiger wird, rücken die eigene Person und die eigenen kommunikativen Bedürfnisse in den Mittelpunkt der Kommunikation. Virtuelle Kommunikation erfüllt weniger die Funktion, soziale Beziehungen herzustellen, sondern wird ich-bezogener.

Die Flexibilität und die Anpassungsfähigkeit des Selbst spricht für die Tatsache, dass seine Stabilität nicht nur auf Struktur allein gründet. Struktur reicht nicht aus, um das Selbst zu erhalten. Das Selbst muss in verschiedenen Intervallen aktiviert werden, um stabil zu bleiben. Tschacher nennt dies Kalibrierung. Auf das Vorhandensein der selbst-erhaltenden Prozesse kann man indirekt durch die Folgen schliessen, die sich bei Unterbrechung des Kalibrierungsprozesses einstellen: Reiz- und soziale Deprivation, langer induzierter Tiefschlaf, Folter und andere Traumata können bekanntlich zu (meist reversiblen) Depersonalisationsreaktionen bis hin zu psychotischen Zuständen führen. (Eiden, 1997, S. 5)

Mit anderen Worten: Die Kalibrierung des Selbst in der alltäglichen bewussten Erfahrung erhält die charakteristischen Muster der Persönlichkeit. Es gibt verschiedene Arten der Kalibrierung: eine davon ist die bewusste Selbstreflexion. Eine andere und das gilt für die meisten und funktioniert für lange Zeit: die „automatische“ Art, also ohne bewusste Erkenntnis. Wenn Schlaf auch die Kalibrierung unterbricht, warum ist er nicht schädlich für die Erhaltung des Selbst? Es folgt daraus, dass Träume eine Funktion in dieser Richtung übernehmen. So wird ein neues Licht auf die Frage geworfen, warum wir träumen; Träume steuern zur Selbst-Kalibrierung bei. Zweitens gibt es auch Kalibrations-Effekte in anderen Personen als selbstreflexive Erkenntnisse. Soziale Interaktion und soziale Bindung haben auch einen rekursiven Effekt auf die eigene Persönlichkeit, die eigenen Gefühle und das Verhalten, indem mit einem Gegenüber in Interaktion getreten wird. Sich selbst im Selbst der andern Person zu reflektieren, hilft das eigene Selbst zu stabilisieren. (vgl. Eiden, 1997)

5.2.2 Cyber-Identität

Es ist im Cyberspace möglich, sich eine völlig neue Identität zuzulegen, oder auch mehrere. Es bietet sich die Möglichkeit konstruierte Identitäten im Netz auszuleben, Wunschbilder zu verwirklichen. Aufgrund der unbegrenzten Reichweite erhält man unterschiedlichstes Feedback, was selbstwertsteigernd wirken kann. Und diese Erfahrungen können in die Realität umgesetzt werden. Die Erfahrung der Konstruierbarkeit der Identität online kann die Frage nach der Konstruiertheit der Identität im realen Leben auslösen. Gewinnbringend im Sinne der Erfahrung von Veränderbarkeit der Identität, oder negativ im Sinne der verstärkten Erfahrung des Zwangs einer zugeschriebenen Identität im realen Leben. Das Netz gibt seinen Benutzern die Möglichkeit gleichzeitig mehr und weniger sie selbst zu sein. Die betroffene Person fühlt sich im Netz besser. Sie empfindet ihre Cyber-Identität als ‘ehrlicher’, ‘direkter’ Ausdruck des Alltags-Selbst. Sie hat den Eindruck, dass das Netz ihr gestattet, mehr sie selbst zu sein, sich freier auszudrücken. Sie findet zu einem idealisierten „source code of mind“ zurück (vgl. Reid, 1994). Die betroffene Person fühlt sich im Netz anders. Sie empfindet ihr Cyber-Dasein als ein anderes Leben an einem anderen Ort. Eine Cyber-Identität kann die Inkarnation eines mittelalterlichen Ritters oder die des lange vermissten, idealen Vaters etc. sein.

Im Internet wird der Körper unwichtig. Identität wird, durch die Abwesenheit von bindenden physikalischen Hinweisen auf Persönlichkeit, sozialen Status etc., mehrdeutig. Es geht nicht mehr um das biologisch vorgegebene Geschlecht, sondern um die Darstellung der Persönlichkeit, möglicherweise einer selbstkonstruierten Wunschidentität. Ausschlaggebend sind Fragen wie: Wer bin ich? Was macht mich einzigartig? Was macht mich für andere interessant? Die Online-Welt ermöglicht dem Individuum das Experimentieren mit Identitäten und Partnerschaften, indem es Reaktionen auf eine von ihm kreierte Identität beobachten kann.

5.2.3 Interaktion und Selbstinszenierung

Grundlegend für Interaktion ist das Schauspielern. Schauspielern ist sowohl für direkte Interaktion wie für Interaktion im Internet im Besonderen wichtig. So kann als User des Internet der schauspielernde „Goffmensch“ bestimmt werden. Durch sein „faktisches Handeln“ werden „Interaktionsordnungen erzeugt aber auch zerstört“. Er macht „sich die Welt verstehbar und sich der Welt verständlich“. „Was geht hier eigentlich vor?“ (Goffman, 1999, S. 16) ist eine der zentralen Fragen die sich der User stellen mag. „Alltägliche `Maskerade` wird abgewechselt von Oasen in denen wir uns `demaskieren` können. Hinter der Maske befinden sich ebenfalls Masken(Goffman, 1999, S. 16). Dieses Zitat von Goffman bedeutet für uns, dass das Internet als eine Art Oase, ein Ort der Erholung empfunden werden kann. Allerdings soll man sich nicht täuschen, auch an diesem Ort spielen konstruierte Identitäten eine Rolle. Und so wie man seine Identität hier wechseln mag, wechselt sie auch das virtuelle Gegenüber.

Alles das könnte auch als Selbstinszenierung beschrieben werden. Der Körper als Mittel der Verständigung, als Zeichenrepertoire, der hierzu oft unbewusst verwendet wird, fällt im Falle des Internets weg. Die Erfahrung die das Individuum dabei macht, ist die der Kommunikation ohne Körperlichkeit. Das bedeutet aber gleichzeitig, das andere „schauspielerische Fähigkeiten“ die ein Interagierender benutzt, stärker zum Tragen kommen, weshalb sie bewusster eingesetzt werden. Der Status des Spielerischen scheint hier im Vordergrund zu stehen.

Sprache findet nicht statt. Das führt zu einer Veränderung der Kommunikation. Die gänzliche Ablösung der face-to-face-Kommunikation durch „technische Kommunikation“ wird es nicht geben. Eher entwickeln sich neben bestehenden Arten der Kommunikation weitere, die stärker durch Symboliken wie durch die „Drehbücher“ der einzelnen Individuen gekennzeichnet sind. Rollendistanz wird bewahrt. Das ermöglicht dem Individuum einen Spielraum an Freiheiten, der im ‚Real Life’ nicht gegeben ist. Hier kann der Einzelne sich so gestalten, dass dem anderen ein angenehmes Bild vermittelt wird

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5.3 Veränderung interpersonaler Kommunikation durch das Internet

Doch muss man sich trotz neuer technischer Möglichkeiten fragen, was das eigentlich Neue am „Cyberself“ ist. Um bei dem Beispiel des Geschlechtsrollentausches zu bleiben: Die verschiedenen Rollen, die Menschen im Netz annehmen, sind immer schon im realen Leben angelegt, beziehungsweise wurden von realen Menschen vorgelebt. Männliche oder weibliche Rollenklischees werden übertragen, Verhaltensmuster übernommen. Nur dass die Spieler eben versuchen, die Rollenklischees, die sie in den Köpfen haben, möglichst überzeugend vorzugeben, wenn sie ein anderes Geschlecht spielen. Das ‚Virtuelle’ und das ‚Reale’ werden sich wechselseitig „befruchten“, konstatiert die Psychologin hoffnungsvoll (vgl. Turkle, 1998).

Ob nun ein Mann im Netz erfolgreich über längere Zeit als Frau ‚durchdreht’, ein Taubstummer per Chat gleichberechtigt ‚mitredet’, eine Fünfzigjährige beim lustvollen Netsex in Worte fasst, was bislang unausgesprochen blieb, eine Schülerin sich in einer wissenschaftlichen Mailingliste durch kompetente Beiträge Experten-Status verschafft oder man sich beim Agieren im Netz einfach nur ‚anders‘ fühlt als in Face-to-Face- Situationen - solche Erlebnisse in unvertrauten sozialen Arrangements sind keine belanglosen Episoden in einer realitätsfremden Scheinwelt, sondern erhalten durch ihren interpersonalen Kontext Bedeutung und auch Riskanz. Indem wir sie interpretieren und bewerten, lassen wir herkömmliche Interaktionserfahrungen oft nicht unhinterfragt. (Döring, 1997, S. 329)

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6. Fazit und Ausblick

Auch - oder vielleicht sogar speziell - unter der Fragestellung nach Auswirkungen auf Selbstkonzepte und Identitätsbegriff stellt sich das Internet heute als ebenso vielfältig wie schwer überschaubar dar. Die Zahl der verfügbaren Online-Technologien und -Anwendungen ist hoch, ihre Entwicklung von immer kürzeren Update-Zyklen und grosser Innovationsfreude geprägt. Produkte wie Chats, MUDs oder MOOs tauchen unvermutet auf und verschwinden fast noch schneller wieder. Es fällt daher schwer, im Rahmen dieser Arbeit ein Fazit zu ziehen, das mehr Gültigkeit für sich beanspruchen kann als eine punktuelle Momentaufnahme.

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6.1 Cyberspace - Projektionsfläche des Selbst

Dennoch weisen praktisch alle heute im Online-Bereich verwendeten Kommunikations-technologien eine Gemeinsamkeit auf: Sie gestatten es ihren Benutzern, mit Selbstkonzepten und Identitäten in vielfältiger Weise zu experimentieren. Wichtiger Anreiz dabei scheint auch die fast immer gewährleistete Unverbindlichkeit des eigenen Handelns zu sein: Wer sich als dem anderen Geschlecht zugehörig oder auch als promiskes Pelztier ausgibt, braucht im Cyberspace im Gegensatz zum ‚Real Life’ keine Konsequenzen oder gesellschaftlichen Sanktionen, in den meisten Fällen noch nicht einmal die Entdeckung seines Tuns zu befürchten. Wesentliche Voraussetzung für das Spiel mit dem „Cyberself“ ist dabei die komplette Loslösung von der eigenen Körperlichkeit, die durch Computertechnologie erstmals möglich geworden ist.

Gleichzeitig wird genau diese Loslösung von der Körperlichkeit von vielen Seiten als Verlust beklagt, so dass in den Entwicklungslabors mit Hochdruck an Lösungen gearbeitet wird, den Verlust von Körperlichkeit durch eine synthetisierte Cyber-Körperlichkeit wieder wettzumachen. Die momentan in den Massenmarkt drängende Biometrie-Hardware ist ein deutliches Beispiel dafür. Dieses Bestreben ist zwar vom Standpunkt derer verständlich, die im virtuellen Raum Verträge schliessen und Handel treiben wollen, wird aber die gerade herrschende Freiheit der Selbstwirkung nach aussen wieder ausgleichen. Es scheint also, als ob die aktuellen Cyber-Technologien gerade in diesem Bereich erst durch ihre Defizite attraktiv werden.

Angesichts der Vielzahl der Angebote und technisch machbaren Anwendungen wirkt die Zahl der verfügbaren Untersuchungen zum „Cyberself“ besonders gering. Viele Studien schlagen sich zudem mit methodischen Unschärfen und Problemen herum: Bewährte Methoden lassen sich nicht vorbehaltlos auf die Netzwelt übertragen, während neue Konzepte oft wenig valide wirken und noch „in den Kinderschuhen“ stecken. Aber auch hier lässt sich zumindest ein verbreiteter Trend erkennen: Die Mehrheit der Autoren ist sich einig, dass die Nutzung virtueller Technologien keine Veränderung der ‚Real Life’-Identität mit sich bringt. Vielmehr wird der Cyberspace als eine zusätzliche Projektionsfläche des Selbst gesehen; das Virtuelle illustriert quasi nur besonders deutlich die Tatsache, dass jeder Mensch sowieso viele verschiedene Selbstkonzepte in seiner Person vereint. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass der Umgang mit „virtueller Identität“ sich nicht generalisieren lässt, sondern vielmehr stets von den Erwartungen, Einstellungen und Zielen, mit denen jeder einzelne an die Online-Technologie herantritt, abhängt.

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6.2 Nonverbal agierende Interface-Agenten

Die Entwicklung der Computertechnologie schreitet in raschem Tempo voran und stellt uns vor immer neue Herausforderungen. Die Entwicklung anthropomorpher Schnittstellen (embodied interface agents, animated user interface agents, face-to-face like interfaces) lässt ahnen, dass die Grenzen zwischen Face-to-Face und virtueller Kommunikation immer mehr aufgelöst werden.

Aus der wachsenden Leistungsfähigkeit und Komplexität moderner Informations- und Kommunikationstechnologien ergeben sich zunehmend höhere Anforderungen an die Bereitstellung von möglichst universellen und benutzerfreundlichen Schnittstellen. In diesem Zusammenhang werden vermehrt sog. anthropomorphe Schnittstellen (embodied interface agents, animated user interface agents, face-to-face like interfaces) propagiert, die durch den Einsatz natürlicher Kommnikationskanäle (Sprache, Gestik und Mimik) einen intuitiven, d.h. auf allgemein vorhandene Kommunikationsvoraussetzungen rekurrierenden Zugang selbst zu komplexesten Systemen ermöglichen sollen. Unter Bezug auf die strukturellen Ähnlichkeiten mit der menschlichen face-to-face- Kommunikation wird dieser Interaktionsform darüber hinaus auch eine leichtere Handhabung sowie grössere Effizienz und Akzeptanz zugesprochen. (Bente & Krämer, 2001, S. 1)

Durch die Sichtbarkeit eines virtuellen Geprächspartners ergeben sich bei der Modellierung anthropomorpher Interfaces nun aber neben der Realisation natürlichsprachlicher Ein- und Ausgaben eine Reihe zusätzlicher Möglichkeiten im Hinblick auf die Nutzung nonverbaler Kommunikationskanäle, also Körperbewegung, Mimik, Gestik, Körperhaltung, Blickverhalten. (vgl. Bente & Krämer, 2001) Diese Kanalerweiterung wird im Sinne der Multimodalität per se oft als ein Vorteil gesehen, wird aber als Gegenstand zukünftiger Untersuchungen einer genauen Analyse bedürfen und lässt sich im Rahmen dieser Arbeit nur als Zukunftszenario aufzeigen.

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7. Literatur

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Turkle, S. (1998): Leben im Netz. Identität in Zeiten des Internet. Reinbek: Rowohlt.

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Anhang: Technische Grundlagen - Begriffserklärung

Channel

Ein Channel ist ein Gesprächskanal im Internet Relay Chat, der einem gewissen Thema gewidmet ist. Am Namen des Kanals erkennen Nutzer meist sofort, um welches Thema es sich handelt, z.B. #flirt.de oder #sex.de.

Chatten

Mit Chatten ist die Unterhaltung im Netz gemeint. Beim Chatten handelt es sich immer um Kommunikation in Echtzeit. Nutzer geben Ihren Text am Computer ein, der mit drücken der Eingabetaste sofort an alle Adressaten verschickt wird.

Chatroom

Ein Chatroom oder auch Chat-Forum ist ein virtueller Raum im Netz, in dem sich Nutzerinnen und Nutzer zum Chatten treffen können. In der Regel sind hier mehrere Teilnehmer zugelassen. Ein Teilnehmer verschickt seine Nachricht, die dann von allen Anwesenden gelesen werden kann. Aufgrund der Tatsache, dass hier alle Nutzerinnen und Nutzer wild durcheinanderreden, kann besonders ein ungeübter Teilnehmer schnell die Übersicht verlieren.

Fake

Bei einem Fake handelt es sich um einen Schwindel oder eine Fälschung. Im Netz ist mit Fake meistens eine Falschmeldung gemeint, während im Internet Relay Chat mit Fake eine Person bezeichnet wird, die sich als etwas anderes ausgibt, als sie "in Wirklichkeit" ist.

Genderswapping / Genderswitching / Virtuelles Crossdressing

Wählt eine Nutzerin oder ein Nutzer im IRC oder MUD bewusst ein anderes Geschlecht als das eigene körperliche, nennt man dieses Genderswapping (auch Genderswitching oder virtuelles Crossdressing). Die Nutzerin oder der Nutzer gibt sich fortan im Netz als Person des anderen Geschlechts aus und versucht unerkannt mit anderen Teilnehmern ins Gespräch zu kommen.

IRC

Die Abkürzung IRC steht für Internet Relay Chat. Diese Internet-Dienstleistung etabliert einen globalen elektronischen Treffpunkt. Nutzer des IRC sind dadurch in der Lage, sich weltweit schriftlich mit anderen in Echtzeit zu unterhalten. Realisiert wir das IRC durch eine Reihe von IRC-Servern, die überall im Internet verteilt sind und über ein gemeinsames Programm kommunizieren. Da sich im IRC nur Personen unterhalten können, die zu selben Zeit eingeloggt sind, wird IRC häufig auch mit dem CB-Funk verglichen. Gleichgültig mit welchem Server man verbunden ist, führen alle zum gleichen Treffpunkt. Das IRC ist allerdings in verschiedene themenorientierte Kanäle (Channels) unterteilt, in denen sich Nutzer nach ihren Interessen ordnen können. Derzeit gibt es im Netz weit mehr als 6000 Channels. Die einzelnen Kanäle werden in vielen Fällen von "Channel-Operators" überwacht, die angehalten sind darauf zu achten, dass kein Teilnehmer andere Nutzerinnen oder Nutzer beleidigt. Wer sich im Ton vergreift, wird ohne Warnung von der Teilnahme an den Gesprächen ausgeschlossen. Aufgrund hoher Teilnehmerzahlen ist teilweise nur schwer möglich, ernsthafte Gespräche zu führen. Das IRC bietet daher ebenfalls private Kanäle an, in denen sich Nutzerinnen und Nutzer ungestört unterhalten können. Des weiteren können über IRC auch Daten (also Bilder, Töne, Programme usw.) ausgetauscht werden.

MUD

Die Abkürzung MUD seht für Multi(ple) User Dungeon (oder Multiple User Dimension). Ein Multi User Dungeon ist ein elektronisches Rollenspiel im Internet in Anlehnung an das populäre Abenteuerspiel "Dungeons & Dragons". Bei einem MUD handelt es sich im wesentlichen um die Kombination aus einem Rollenspiel, der Möglichkeit direkt mit anderen Spielern zu interagieren und zu Chatten (ähnlich dem IRC) und einer Sammlung von Rätseln (sogenannten Quests), die die Spielerin oder der Spieler zu lösen hat. Betritt eine Spielerin oder ein Spieler ein MUD zum ersten Mal, wird er aufgefordert, sich ein Pseudonym auszuwählen, mit welchem er von anderen Mitspielerinnen und Mitspielern angesprochen werden kann. Oftmals kann zusätzlich zwischen verschiedenen Geschöpfen (Mensch, Zwerg, Elfe, Hobbit usw.) und Geschlechtern (Frau, Mann, neutral) ausgewählt werden. Der Zugang zum MUD erfolgt in der Regel über eine Telnet-Verbindung.

Nickname

Unter Nickname oder Nick versteht man das Pseudonym, welches sich eine Nutzerin oder ein Nutzer im Netz gibt. Es handelt sich in der Regel um Namen, die aus der Comicwelt, dem Science-fiction oder aus Fantasy-Romanen entlehnt sind. Reale Namen tauchen im Netz nur äusserst selten und meistens nur als Vornamen auf. Im IRC trifft man in diesem Zusammenhang auch die Kombination aus Vornamen und Alter an (z.B. Bernd20). Auch bei Pseudonymen, die auf den ersten Blick wie reale Namen aussehen, kann es sich um einen Nickname oder ein Fake handeln.

Offline

Ist eine Nutzerin oder ein Nutzer zeitweise nicht mit dem Netz verbunden, ist dieser offline. Diese Bezeichnung tritt in der Regel in Verwendung mit einem Modem auf, wenn also keine dauerhafte Verbindung zum Netz besteht. Einige Dienstleistungen des Internet lassen sich auch offline nutzen. So ist es z.B. möglich seine elektronische Post (Email) zunächst offline zu schrieben, um diese später online ins Netz zu schicken.

Online

Online ist das Gegenteil von offline. Eine Nutzerin oder ein Nutzer ist online, wenn er eine (zeitlich befristete) Verbindung mit dem Netz aufgebaut hat.

Pics

Mit Pics sind hier Bilder, also Computergrafiken, gemeint. Meistens handelt es sich dabei um gescannte Bilder von Nutzerinnen und Nutzern des Internet Relay Chat. Führt man Gespräche im IRC, bekommt man häufig die Frage gestellt, ob man ein paar Pics von sich hat. Darüber hinaus gibt es Nutzerinnen und Nutzer, die Pics sammeln und ausschliesslich aus diesem Grund in den Chat-Foren unterwegs sind.

Realname

Verwendet eine Nutzerinnen oder ein Nutzer im Netz seinen wirklichen Namen und keinen Nickname, nennt man dieses seinen Realname.

User

Bei Usern handelt es sich um die Nutzerinnen und Nutzer von Computern und Internetdienstleistungen im allgemeinen.

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  Last update: 01.02.2015
 

Contact:

  Prof. Hans Geser
Soziologisches Institut

der Universität Zürich

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