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Vom hoheitlichen zum kooperativen Vollzugshandeln Neue Chancen für die traditionelle Milizverwaltung?
Soziologisches Institut der
Universität Zürich 1997 Zusammenfassung Die Gemeindeverwaltung steht unmittelbarer als die Kantons- und Bundesverwaltung unter dem Zwang, im Vollzughandeln den Erwartungen und Bedürfnissen der Bürger(innen) sowie der kommunalen Vereinigungen und Organisationen Rechnung zu tragen. Immer häufiger gibt es Aufgaben, die nur in enger Kooperation mit privaten Instanzen gelöst werden können. Dadurch beginnen die Grenzen zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Sphäre unschärfer zu werden, weil die Gemeinde einerseits einem privaten Betrieb ähnlich wird, während manche privaten Akteure andererseits einen "parastaatlichen" Status zugewiesen erhalten.Inhaltsverzeichnis 1. Der Trend zum bürgernahen "Allzweckamt" 2. Vom "autoritativen" zum "interaktiven" Umgang mit Bürgern 3. Die Individualisierung der Bedürfnisse und Lebensstile als Druck zur Flexibilisierung 4. Kooperative Verflechtungen mit privatem Leistungsträgern 5. Schluss
1. Der Trend zum bürgernahen "Allzweckamt" Werbeaktivitäten wie die Initiative "Im Dienste aller" des Zürcherischen Gemeindeschreiberverbandes oder die Kampagne "Täglich für alle da" der Baselbieter Gemeinden signalisieren das Streben der Kommunalverwaltungen, sich nicht als verlängerter Arm der staatlichen Obrigkeit zu verstehen, sondern ganz im Gegenteil als eine öffentliche Dienstleistungsstelle, die ihre Arbeit nach Kräften an den Wünschen und Forderungen der Bürger(innen) orientiert.Darin manifestiert sich einerseits ein momentan sehr weit verbreiteter Trend zur erhöhten Kundenorientierung, der beispielsweise auch die Reformen in Kliniken, Schulen, Gefängnisse oder Armeen sowie - unter dem Titel "customer focus - die aktuellen Reorganisationsbestrebungen in privaten Industrie- und Dienstleistungsunternehmungen nachhaltig prägt (vgl. z.B. Peters 1993: passim). Andererseits reagieren die Gemeinden damit auf veränderte Einstellungen und Leistungserwartungen der Bürger(innen) gegenüber der öffentlichen Verwaltung, die in der zunehmenden Individualisiertheit ihrer Lebensführung und ihrer wachsenden Sensibilität gegenüber autoritären staatlichen Eingriffen ihre Ursache haben. In diesem Sinne wird z.B. versucht, durch flexiblere Schalteröffnungszeiten den veränderten Lebensgewohnheiten der Bevölkerung Rechnung zu tragen. [1] Ebenso werden die einzelnen
Beamten oder Beamtinnen durch moderne
Computertechnologie in die Lage versetzt, für
dieselbe Person verschiedenste Verwaltungsvorgänge zu
vollziehen und Informationen zu erteilen: so dass z.B.
Neuzugezogene bei der Anmeldung an einem einzigen
Schalter alle Formalitäten erledigen können. 2. Vom "autoritativen" zum "interaktiven" Umgang mit Bürgern Es gehört zu den generellsten Einsichten der neueren Verwaltungssoziologie, dass öffentliche Ämter weniger häufig als vermutet zur "ultima ratio" zwingender hoheitlicher Verfügungen (Gebote oder Verbote) greifen, und stattdessen sehr häufig mit den Adressaten ihres Vollzugshandelns in interaktive Beziehungen (Konsultationen, Verhandlungen usw.) treten (vgl. z.B. Geser 1981, 234ff., Schnabel 1980, Garlichs 1980, Cigler 1990: 49f.).Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Verwaltung
Dementsprechend ist damit zu
rechnen, dass an die Stelle autoritativer Weisungen
immer mehr jene informelleren Verfahren treten, die
der Schreibende selbst in einer früheren
Buchpublikation als "interaktiver Vollzug"
bezeichnet hat.[3] Dazu gehört auch, dass beispielsweise Bauherren vorgängig kostenlose Rechtsberatung erhalten, damit sie sicher sein können, bereits mit ihrer ersten Eingabe zum erwünschten Ziel zu gelangen. Je mehr die Verwaltungstätigkeit sich in intensiver Kommunikation mit dem Bürger (anstatt in unilateralen Hoheitsakten) vollzieht, desto wichtiger wird es, dass die Verwaltungsstellen für die "Klienten" räumlich möglichst leicht erreichbar sind. Und je mehr dafür Absprachen zwischen verschiedenen Verwaltungsstellen erforderlich sind, desto vorteilhafter ist es, wenn sich alle administrativen Stellen im selben Gebäude befinden - was selbst in mittelgrossen Gemeinden häufig nicht mehr der Fall ist. Das neuerwachte Interesse an einem möglichst bürgernahen Dienstleistungsangebot gibt also all jenen Auftrieb, die für eine Beibehaltung der traditionell-kleinräumigen Gemeindestruktur votieren, denn
3. Die Individualisierung der Bedürfnisse und Lebensstile als Druck zur Flexibilisierung Die von der Gemeinde angebotenen Dienstleistungen müssen sich daran adaptieren, dass die Menschen zunehmend individualistischer und ihre Lebensverhältnisse immer vielfältiger und variabler werden.Dies hat zur Folge, dass auch ihre an öffentliche Instanzen gerichteten Wünsche und Forderungen heterogener und unberechenbarer werden. Dies zeigt sich deutlich in der
Altenfürsorge, wo sich das Schwergewicht von der
institutionellen Heimbetreuung immer mehr auf
ambulante SPITEX-Dienste verschiebt. "Jeweils um 22.00 Uhr bis
06.00 Uhr morgens ist in der Stadt Luzern ein Dreier-Team
mit dem Auto unterwegs, ausgerüstet mit Natel,
Funkgerät und mobilem Notebook. Das über eine
zentrale Telefonnummer ständig erreichbare Team setzt
jeweils eine Mitarbeiterin beim Klienten ab. Dort
bleibt sie nur so lange, wie sie gebraucht wird." Der auf die Gemeinden zukommende
Pflegeaufwand wächst heute vor allem deshalb an, weil
immer mehr Wert darauf gelegt wird, Kranke und
Sterbende in ihrer "gewohnten familiären
Umgebung" zu belassen, anstatt sie in
geschlossenen Anstalten zu betreuen. Auch an den öffentlichen
Verkehr wird immer mehr die Forderung gestellt, er
solle auf hoch spezifische Bedürfnislagen Rücksicht
nehmen. Generell sind Verkehrsfragen vor allem deshalb so konfliktträchtig geworden, weil moderne Bürger einerseits ein immer individualisierteres, idiosynkratischeres Mobilitätsverhalten zeigen, andererseits aber gleichzeitig immer mehr Wert darauf legen, dass zur Erfüllung dieser Bedürfnisse öffentliche (d.h. auf kollektive Bedürfnisse abgestimmte) Verkehrsmittel zur Verfügung stehen. Die immanenten Unvereinbarkeiten zwischen diesen konträren Wünschen werden umso schmerzhafter sichtbar, je mehr es im Zuge von Sparmassnahmen nötig ist, das öffentliche Verkehrsangebot auf einen Kernbereich kollektiver Mobilitätsansprüche (z.B. den morgendlichen und abendlichen Berufspendelverkehr) zu konzentrieren. Im Gegensatz zum administrativen
Handeln, wo kleine Gemeinden ihre
Flexibilitätsvorteile ausspielen können, sind es auf
der Ebene operativer Dienstleistungsprozesse meist die
grösseren Organisationen, die der immer breiteren
Palette verschiedener Kundenwünsche am besten
Rechnung tragen können. 4. Kooperative Verflechtungen mit privatem Leistungsträgern Auf sehr hoher theoretischer Abstraktionslage lässt sich die Hypothese formulieren, dass soziale Systeme verschiedenster Art einer immer komplexeren und variableren Problemumwelt gegenüberstehen und infolgedessen häufiger als früher Informationen, Qualifikationen, technische Apparaturen und andere Ressourcen einbeziehen müssen, die sie nicht im eigenen System verfügbar haben.Für politische Gemeinden mag dies insofern in besonders ausgeprägter Weise gelten, als sie
Und im Rahmen des gesamten politischen Systems scheinen die Kommunen generell die Funktion zu haben, die Integration zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Sphäre sicherzustellen, während die überlokalen Ebenen eher darum besorgt sind, die Ausdifferenziertheit und Eigenständigkeit des Staatlichen zu artikulieren. Diese Strategie umweltoffener Adaptation erfüllt die doppelte Funktion
4.1 Einbezug von Einzelpersonen Am besten sind die Gemeinden für Verflechtungen mit privaten Einzelpersonen gerüstet, weil sie hier an traditionelle Organisationselemente aus vormoderner Zeit anknüpfen können, als die für den liberalen Rechtsstaat charakteristische Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre noch nicht vorherrschend war.Vor allem die Institutionen der kommunalen Milizverwaltung erweisen sich in diesem Zusammenhang als überaus funktional: weil sie es erlauben, die zusätzlich nötigen Qualifikationen mittels personeller Rekrutierung direkt ins politisch-administrative System zu internalisieren, anstatt sie mittels fallweiser Kooperationen und mühsamer Kommunikationsprozesse von externen Personen zu beziehen. Als Folge aktueller Entwicklungen in der Berufswelt gibt es in der Einwohnerschaft der meisten Gemeinden immer mehr Bürger(innen), die zur Ausübung verschiedener politischer und administrativer Funktionen über geeignete berufliche Vorkenntnisse verfügen: z.B. Buchhalter oder Revisoren, die in der Rechnungsprüfungskommission nützliche Dienste leisten, Techniker und Ingenieure, die in Fragen des Bauwesens oder der öffentlichen Werke ihr Wissen gut einbringen können, oder wirtschaftliche Führungskräfte, die für ihr Talent zur speditiven Sitzungsführung und zum überzeugenden Vortrag von Argumenten neue Entfaltungschancen finden. Im Vergleich zur früheren Bauern- und Gewerblergesellschaft produziert die moderne "Angestelltengesellschaft" sehr viel mehr Personen, die in ihrer normalen Berufstätigkeit mit organisatorischen Verfahrensabläufen und Prozessen der Entscheidungsfindung, mit Problemen der Personalrekrutierung oder mit juristischen Fragen in Berührung kommen, und ihr öffentliches Amt deshalb nicht als eine prinzipiell fremde Welt erfahren (vgl. Geser 1987: 191). Als Folge davon können
Spezialkommissionen gerade in modernen Gemeinden an
Kompetenz und Autorität gewinnen und auf die
kommunalpolitischen Vorgänge einen grösseren
Einfluss geltend machen. In Gemeinden, in denen aus demographischen oder anderen Gründen keine hinreichend qualifizierten Personen für Milizämter zur Verfügung stehen, ist damit zu rechnen, dass sich der Schwerpunkt des Einflusses sehr stark auf die professionellen Verwaltungsstellen - allenfalls auf überlokaler Ebene - verlagert. In jüngerer Zeit aber scheinen zahlreiche neue Kooperationsbedürfnisse mit Instanzen ausserhalb des politischen Sektors zu entstehen, die nicht im Rahmen der administrativen Milizorganisation bewältigt werden können. Eine erste Ursache dafür besteht in der zunehmenden Häufigkeit singulärer Problemfälle, die den punktuellen Einbezug hoch spezifischer, vielleicht nicht einmal innerhalb der Schweiz vorfindbarer Expertisen, Fähigkeiten oder materiellen Hilfsmittel verlangen. Zu diesem Zweck müssen sie
Kontakte mit Experten und Leistungsträgern aus dem
privaten Raume kultivieren, um bei Bedarf von deren
Wissen, Fähigkeiten oder materiellen Handlungsmitteln
zu profitieren. Kommunale Behördemitglieder und
Beamte werden es also häufiger als früher nützlich
oder sogar unerlässlich finden, z.B. mit
Rechtsanwälten, Baufachleuten, Finanzexperten,
örtlichen Gewerbebetrieben, Ingenieuren oder
Universitätsprofessoren in Verbindung zu treten, um
sie in bestimmte Phasen der Beratung,
Entscheidungsfindung, der Planung oder der konkreten
Vollzugsarbeit einzubeziehen. Bei einzelnen Bauprojekten wie z.B. Chemiefabriken oder Grossdeponien sind die im Zusammenhang mit dem Umweltschutz auftretenden Fragen derart komplex, dass äusserst hohe finanzielle Aufwendungen nötig sind, um das nötige Sachwissen zu beschaffen. So musste die Gemeinde Niederhasli kürzlich ein derart komplexes Deponieprojekt beurteilen, dass sie ein privates Expertenbüro für den Betrag von Fr. 200 000.- (!) damit beauftragen musste, eine Analyse des mit der Projekteingabe mitgelieferten Umweltverträglichkeitsberichts zu erstellen. Immerhin haben sich die Gemeindebehörden dadurch in die Lage versetzt, sich unabhängig vom kantonalen Umweltschutzamt eine eigene Meinung dazu zu bilden. [9] Und in Filisur (GR) beispielsweise müssen alle Bauherren, die innerhalb der (geschützten) Wohnzone ein Projekt realisieren wollen, sich von einer von der Gemeinde bestimmten Fachperson beraten lassen. Damit soll gewährleistet werden, dass das Bauvorhaben nicht nur den juristischen Regeln, sondern auch den Kriterien der Ästhetik und des Ortsbildschutzes genügt. [10] Auch die grösseren Verwaltungen städtischer Gemeinden sind hier auf teure privatwirtschaftliche Expertisen angewiesen, weil niemand innerhalb der Beamtenschaft über die erforderlichen (äusserst spezialisierten) professionellen Kenntnisse verfügt. Eine weitere Verflechtungstendenz zeigt sich neuerdings im Bereich der inneren Sicherheit, wo immer mehr Gemeinden dazu übergehen, jene Bereiche der polizeilichen Überwachungstätigkeit, bei denen umfassende Präsenz und örtliche Vertrautheit wichtiger als Spezialqualifikationen sind, an private Sicherheitsdienste oder an formell in die Pflicht genommene Einzelbürger zu übertragen. So haben etwa 50 Gemeinden des Kantons Zürichs im Rahmen der "Zivilen Gemeindeführungsorganisation" in den letzten Jahren einen "Gemeindesicherheitsdienst" eingerichtet, der komplementär zur Kantonspolizei damit beauftragt ist, auf dem Gemeindegebiet Wandalismus, unerlaubten Drogenhandel usw. zu bekämpfen oder Jugendliche durch wiederholtes "Ansprechen" vom Absturz in die Drogensucht zu bewahren. Leitgebend dafür ist die Einsicht, dass eine flächendeckende Prävention von Kriminalität eine breit angelegte intensive Überwachungstätigkeit voraussetzt, die von der offiziellen Polizei aus personellen und finanziellen Gründen nicht gewährleistet werden kann. "Der Gemeinderat (von
Fehraltorf d. V.) war von Anfang an bestrebt, Personen
mit der Patrouillentätigkeit zu beauftragen, die mit
den Gemeindeverhältnissen vertraut sind und die viele
Gemeindeeinwohner persönlich kennen. Innerhalb der
Zivilschutzorganisationen konnten Freiwillige gefunden
werden, die nach Absolvierung eines kantonalen Kurses
der Koordinationsstelle für Gesamtverteidigung durch
die Bezirkspolizei auf gemeinsamen Patrouillengängen
für den in Fehraltorf vorgesehenen Einsatz
ausgebildet wurden. Durch die Vereidigung wird eine formelle Einbindung der Freiwilligen in den offiziellen kantonalen Polizeiapparat vollzogen; damit wird der Bildung privater "Bürgerwehren" einen Riegel vorgeschoben, die das staatliche Gewaltmonopol in Frage stellen würden.[12] In der Stadt Zürich wurde die Überwachung des ruhenden Verkehrs praktisch vollständig an Zivilpersonen übertragen, die von Verkehrsbeamten in ihre Aufgabe eingeführt worden sind. In der Stadt Bern wird zumindest
ein Teil der Verkehrsüberwachung von der Securitas
geleistet, deren Angestellte nach einwöchigem Kurs
vereidigt werden und die Kompetenz erhalten,
Ordnungsbussen zu erheben (nicht aber: Anzeige zu
erstatten) [13] . Nach wie vor in öffentlichen Händen bleiben jene Aspekte, die unmittelbar mit der Ausübung hoheitlicher Kompetenzen und der Anwendung von Zwangsmitteln zusammenhängen; privatisiert werden hingegen die routinisierbaren technisch-administrativen Vollzugsaufgaben, die im Regelfall ohne Rekurs auf staatliche Autoritätsgewalt vor sich gehen können. Allerdings wird es nötig, den in den Dienst genommenen privaten Instanzen einen quasi-öffentlichen Autoritätsstatus zuzuweisen und sich auf deren interne Fähigkeiten zur Diszipliniertheit zu verlassen. Private Kontrollagenturen sind vor allem nützlich, damit Delikthandlungen mit höherer Wahrscheinlichkeit wahrgenommen und Informationen darüber den Behörden regelmässiger übermittelt werden. So hat z.B. die Gemeinde Kriens die Securitas engagiert, um Sprayereien an Schulhäusern besser zu bekämpfen. [14] Aber auch für den Vollzug
überlokaler Gesetze und Verordnungen wird oft eine
wachsende Überwachungstätigkeit auf kommunaler Ebene
benötigt. Schliesslich scheinen auch im
Umweltschutz zusätzliche, nicht dem formellen
Polizeiapparat zumutbare Kontrollaktivitäten
erforderlich zu werden, um Übertretungen der ständig
restriktiver werdenden Verhaltensnormen im Umgang mit
Abwasser, Schmutzstoffen und Abfällen zu
sanktionieren. 4.2 Kooperation mit Wirtschaftsunternehmen In ihrer Analyse "Neue Trends in der Stadtpolitik" kommt Margrit Mayer zum Schluss, dass die deutschen Städte in den 80er-Jahren zu einer aktiveren wirtschaftlichen Interventionspolitik übergegangen sind und in diesem Zusammenhang vielerlei intensive Kooperationsbeziehungen zu Firmen entwickelt haben. Charakteristisch sind hier aber nicht so sehr generelle Strategien, sondern um punktuelle Einzelmassnahmen, wie sie z.B. bei drohender Schliessung oder Emigration eines Betriebs notwendig werden oder zum Anlocken zusätzlicher Unternehmungen nützlich sind (vgl. Mayer, 1991). Nach Ansicht der Autorin ergibt sich daraus ein nichthierarchischer, pluralistischer Politikstil, der eher durch wechselseitige Akkordierung als durch einseitige Subordination gekennzeichnet ist. Dies wiederum hat die methodologische Konsequenz, dass an die kommunale Politikforschung sehr komplexe Anforderungen gestellt sind, weil neben den formellen öffentlichen Instanzen gleichrangig auch vielerlei andere massgebliche Akteure mit einbezogen werden (Mayer 1991: 62f., vgl. auch Hesser 1983: 11ff.).Auch in der Schweiz sind - vor allem im Zusammenhang mit der jüngsten Wirtschaftsrezession - mannigfache kommunalpolitische Problemlagen entstanden, die engere - und in ihrer Form teilweise neuartige - Kooperationsverhältnisse zwischen den Gemeindebehörden und privaten Unternehmungen notwendig machen. Die Wiedereingliederung von Arbeitslosen stellt sich typischerweise als Problem, in denen öffentliche Stellen und die Privatwirtschaft komplementär zusammenwirken müssen. In ihrer Genese sind solche innovativen Vorgehensweisen stark von guten informellen Beziehungen zwischen Behörden und Privatwirtschaft abhängig, wie sie auf kommunaler Ebene am leichtesten herstellbar sind (bzw. aufgrund der personellen Verflechtungen, die das Milizsystem mit sich bringt, ohnehin bereits existieren). "Das Stadtparlament Uster (ZH) hat Mitte September 94 einen Bruttokredit von Fr. 422'000.- für das Projekt "Berufspraktikum für stellenlose Lehrabgänger" bewilligt. Dieses wird von der Stadt getragen und vermittelt zusammen mit den örtlichen Arbeitgebern Stellen für ein halbjähriges Praktikum. An vier Wochentagen wird gearbeitet; der fünfte ist zur Weiterbildung bestimmt. [17] In ähnlicher Weise können "gute informelle Beziehungen" benutzt werden, um Privatbetriebe auf ein stärker umweltorientiertes Verhalten zu verpflichten. So hat beispielsweise die Umwelt- und Naturschutzstelle der Stadt Kriens mit den einschlägigen Detaillisten der Gemeinde eine Abmachung getroffen, wonach auf den 1. August 1992 keine Feuerwerkskörper verkauft werden sollen. Massgebend dafür waren die katastrophal hohen Luftschadstoffwerte, die in den vorangehenden Bundesfeiernächten gemessen wurden. [18] Kooperative Einbindungsverhältnisse mit der Wirtschaft entstehen natürlich auch überall dort, wo eine Gemeinde beschliesst, bisher öffentlich erbrachte Produktionen oder Dienstleistungen an Privatunternehmen zu übertragen. Schrittweisend für die Zukunft ist möglicherweise das Vorgehen der Stadt Bern, die 1993 zum erstenmal ein Buslinienprojekt öffentlich ausgeschrieben hat und es damit den eigenen Verkehrsbetrieben (VBZ) ermöglichte, sich an einem Wettbewerb mit privaten Anbietern mitzubeteilige. [19] Die Stadt Solothurn hat ihre öffentliche Schulzahnklinik geschlossen und die Schulzahnpflege der privaten Zahnärzteschaft des Ortes übertragen. Damit stellt sie sich in die Reihe der kleineren Gemeinden, die mangels eigener Institutionen schon immer auf Verträge mit Privatärzten angewiesen waren. [20] Wenn eine Gemeinde ein
Altersheim, einen Gasthof, ein Schwimmbad oder eine
andere öffentliche Einrichtung nicht mehr selber
betreiben und instand halten will, macht sie häufig
von der Möglichkeit Gebrauch, die entsprechende
Immobilie im Baurechtsvertrag an eine private
Trägerschaft abzutreten. Derartige Privatisierungen werden heute in zunehmendem Umfang auch vom überlokalen Recht her unterstützt. So lässt beispielsweise das Kantonalbernische Recht die Option offen, dass Gemeinden ihr Zivilstandsamt verwaltungsunabhängig durch Fürsprecher oder Notare führen lassen. Schliesslich kommt es neuerdings im Bereich der Abfallentsorgung zu sehr langfristigen Kooperationsverträgen, die es logisch erscheinen lassen, dass sich die Gemeinde am Aktienkapital der entsprechenden Firma mitbeteiligt. So hat beispielsweise die Stadt Zürich im Jahre 1992 Anteilscheine einer Firma im Kanton Schwyz erworben, die sich mit der Wiederverwertung der von der Stadt gesammelten Ganzgläser befasst. [22] All diese Beziehungen sind durch ein reziprokes Austauschverhältnis in dem Sinne charakterisiert, dass die Firma ein durch exklusive Konzessionen oder Vertragsabmachungen gesichertes Absatzvolumen zugewiesen erhält und sich im Gegenzug verpflichtet, ihre Leistungen zuverlässig und unter Beachtung öffentlich konstituierter Regeln (der Gleichbehandlung aller Klienten, der Vertraulichkeit, der Einhaltung von Fristen und Periodizitäten usw.) zu erfüllen. Analog zu den in
halb-offizieller Funktion tätigen Einzelbürgern wird
also auch von Firmen eine Identifikation mit der
"Gemeinwohnperspektive" verlangt - und
darüber hinaus, dass sie über die erforderlichen
Qualifikationen (z.B. in der Form gut ausgebildeter
Buschauffeure oder absolut vertrauenswürdiger
Notariatspersonen) verfügen. 4.3. Zusammenarbeit mit freiwilligen Vereinigungen Für das politische System der Schweiz ist generell charakteristisch, dass Vereinigungen privaten Rechts unverzichtbare öffentliche Funktionen erfüllen.Auf Bundesebene gilt beispielsweise für den SEV und den SIA, die mit der Kompetenz zur verbindlichen Festlegung technischer Normen (im Elektro- und Baubereich) ausgestattet sind, oder für die vielen Schützenvereine, die für die Erfüllung der obligatorischen militärischen Schiesspflicht sorgen. Und a fortiori haben sich die Gemeinden seit jeher beispielsweise im Bereich der Feuerwehr, der Landschaftspflege oder der sozialen Fürsorge auf die Leistungen lokaler Vereine abgestützt und sie durch materielle Unterstützung dazu veranlasst, im Dienste des Gemeinwesens zu funktionieren. In neuester Zeit lassen sich vielfältige Beispiele dazu finden, dass lokale Vereine in intensiverer und teilweise auch völlig neuartiger Weise in die öffentliche Pflicht genommen werden - was drängender als bisher die Frage aufwirft, ob diese Gruppierungen auch in Zukunft auf hinreichend zahlreiche aktive Mitglieder zählen können.
So z.B. in Moosseedorf (BE): "Für das Erstellen der zwei Mehrfamilienhäuser mit Mietwohnungen und der Cafeteria ist die Wohnbaugenossenschaft Moossee (WBG) verantwortlich. Das Land wird - sofern die Gemeindeversammlung am 30. März zustimmt - von der Gemeinde im Baurecht zur Verfügung gestellt. Ein Betriebsverein ist für den Betrieb der Cafeteria, der Spitex-Räume und -Dienste sowie für Koordinationsaufgaben verantwortlich. Der Fürsorgeverband Münchenbuchsee übernimmt die Trägerschaft für die Pflegewohnung (sieben Stellen). [23] Als formell privatrechtliche, gleichzeitig aber von der öffentlichen Hand mitfinanzierte und mitbestimmte Gebilde eine juristisch schwer definierbare Zwitterstellung, in der sich die zunehmende Durchdringung öffentlicher und privater Sphären widerspiegelt. Vorgesehen ist, dass jeweils 10 Personen im Schichtbetrieb den Veloabstellplatz am Bahnhof von 1 Uhr morgens bis 5 Uhr nachts bewachen. Damit können (mit einem Betrag von Fr. 60'000.-) 10 Arbeitslose teilbeschäftigt werden. [27] Als Lösung bot sich an, die Bäder in der übrigen Zeit für fixe Wochenstunden an Schwimmvereine und neuerdings auch an Gruppen von Privaten zu vermieten, die während dieser Zeit mit eigenen Mitteln die betriebliche Aufsicht übernehmen. [29] Die Sparmassnahmen zwingen also dazu, die Arbeit vollamtlicher öffentlicher Angestellter partiell an nebenamtlich tätige Milizpersonen zu übertragen und private Vereinigungen stärker als Mitträger an sich öffentlicher Betriebsaktivitäten einzubeziehen. Auch hier besteht also die charakteristische Arbeitsteilung darin, dass die öffentliche Hand einerseits die physischen Infrastrukturen zur Verfügung stellt und andererseits die einzuhaltenden Verordnungen und Verhaltensregeln erlässt, während die operative Betriebsorganisation privaten Instanzen übertragen wird. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass diese privaten Trägerschaften hinreichend organisiert und diszipliniert sind, um die Einrichtung ähnlich zuverlässig wie öffentlich Bedienstete zu verwalten. Generell fällt auf, in welch hohem Masse sich vielerorts die traditionellen Vereine bereit gefunden haben, sich neuen Problemlagen zu öffnen und im Zuge des Wandels neue Aktivitäten zu übernehmen (vgl. Joye, Huissoud, Schuler 1995: 226). Damit ist der
Entfaltungsspielraum für neu gegründete Vereine
relativ bescheiden geblieben; und viele der in den
70er und 80er-Jahren noch sehr geräuschvollen
Initiativgruppen, die über die Artikulation von
Forderungen hinaus keine Verpflichtungen einzugehen
bereit waren, sind unterdessen wieder verschwunden. 4.4. Übergreifende "Gemeinschaftsaufgaben" Gewisse neuere Problemlagen erweisen sich hinsichtlich ihrer Entstehungsursachen und/oder ihrer Auswirkungen als derart komplex, dass zu ihrer Bewältigung übergreifende, die Gemeinde als integrale "Gemeinschaft" fordernde, Kooperationsstrukturen notwendig erscheinen.So ist beispielsweise die
Suchtprävention bei Kindern und Jugendlichen zu einer
vordringlichen erzieherischen Zielsetzung geworden,
die vom Gemeinwesen mitgetragen werden muss, da sie
niemals von den Eltern allein geleistet werden kann. Ähnlich wie in der
Krankenpflege ist es also die Gemeinde, die eine von
der Familie nicht mehr bewältigbare Aufgabe primär
übernimmt. An die Stelle rein familieninterner "Mikrosozialisation"
tritt die "kommunale Mesosozialisation", die
aus dem Zusammenwirken von öffentlichen und privaten
Stellen sowie individuellen und kollektiven Akteuren
entsteht. Zudem werden auch privatwirtschaftliche
Akteure in eine moralische Mitverantwortung
eingebunden. [32] In der Verfolgung derartiger
Ziele kann die moderne Gemeinde möglicherweise wieder
gewisse Aspekte jener "moralischen Gemeinschaft"
zurückgewinnen, die man im Zeitalter der
Individualisierung und zunehmend überlokalen
Orientierung für endgültig verloren glaubte. Analoge "moralische
Offensiven" sind letzthin beispielsweise im Kampf
gegen Sprayereien gestartet worden: In neuerer Zeit scheint das reine "Autoritätsmodell" selbst auf überlokalen Ebenen in eine ernsthafte Krise zu geraten, weil selbst ein administrativ gut dotierter Staatsapparat angesichts der wachsenden Vielfalt und Komplexität der Vollzugsaufgaben immer weniger in der Lage ist, die anstehenden Probleme ohne Kooperationsbeziehungen mit privaten Leistungsträgern zu erfüllen. Analog zu den Wirtschaftsunternehmungen muss heute auch die öffentliche Hand ein verstärktes "outsourcing" betreiben, um Zugang zu hochspezialisierten, relativ selten gebrauchten Leistungskapazitäten zu gewinnen und um sich besser auf die ihm eigenen "Kernkompetenzen" konzentrieren zu können. Für die Schweizer Gemeinden bedeutet dies, dass die traditionell etablierten Formen der Milizverwaltung neue Aufgaben zugewiesen erhalten und dass neben Einzelindividuen auch Gruppen und Institutionen (lokaler oder überlokaler Art) vermehrt in Kooperationsbeziehungen eingebunden werden. Beyer, Lothar / Brinckmann Hans: Kommunalverwaltung im Umbruch, Verwaltungsreform im Interesse von Bürgern und Beschäftigen (Bund-Verlag, Köln 1990). Cigler, Beverly A.: Trends Affecting Local Administrations (in: Perry, James L. (ed.) Handbook of Public Administration, Jossey Bass Publishers, San Francisco 1990: 50-53). Garlichs, Dieter: Grenzen zentralstaatlicher Planung in der Bundesrepublik ( H. Wollmann, Politik im Dickicht der Bürokratie. Westdeutscher Verlag, Opladen 1980: 71-102). Geser, Hans: Bevölkerungsgrösse und Staatsorganisation (Peter Lang Verlag, Bern/Frankfurt 1981: 234ff. + 274ff.). Geser, Hans: Kommunales Regieren und Verwalten. Ein empirisches Handbuch (Verlag Rüegger, Grüsch 1987). Hesser, Joachim Jens (Hrsg.): Stadt und Staat: Veränderungen der Stellung und Funktion der Gemeinden im Bundestaat? (in: Hesse, Joachim u.a. (Hrsg.) Staat und Gemeinden zwischen Konflikt und Kooperation, Nomos, Baden-Baden 1983: 11ff.) Joye, Dominique/Huissoud, Thérèse / Schuler, Martin: Habitants des quartiers, citoyens de la ville? (Seismo Verlag, Zürich 1995). Mayer, Margit: Neue Trends in der Stadtpolitik - eine Herausforderung für die Lokale Politikforschung (in: Blanke, Bernhard (Hrsg.) Staat und Stadt, Sonderheft 22/1991 der "Politischen Vierteljahresschrift", Westdeutscher Verlag Opladen 1991: 51-71). Peters, Tom: Jenseits der Hierarchien. Liberation Management. (ECON-Verlag, Düsseldorf u.a. 1993). Schnabel, F: Politik ohne Politiker (in: H. Wollmann (Hrsg.) Politik im Dickicht der Bürokratie. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1980: 49-70). Schwegler, Roman: "Schwierige
Entscheidungsfindung" (Zürichsee-Zeitung
15.2.1995: 17). Anmerkungen
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aktualisiert am 21.10.2011