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Schweizer Gemeindestudien

Kooperation mit anderen Gemeinden und mit Privaten 

Ein Beitrag im Rahmen des Nationalfondsprojektes 

"Aktuelle Wandlungstendenzen und Leistungsgrenzen
der Gemeindeorganisation in der Schweiz" (Nr. 12-32586.92) 
 

von François Höpflinger

 

Inhalt

In diesem Beitrag werden zwei bedeutsame Formen 'grenzüberschreitender Zusammenarbeit' vorgestellt und diskutiert: Zum ersten wird die Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden in Form von Zweckverbänden oder anderen vertraglichen Vereinbarungen analysiert. Zum zweiten wird die Kooperation mit privaten Experten und Firmen untersucht. In beiden Fällen handelt es sich um Kooperationsformen, die in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen haben und die auch in Zukunft zentral sein werden.
 
 

Inhaltsverzeichnis

Methodische Hinweise

1. Kooperationen mit anderen Gemeinden (Zweckverbände usw.)

2. Zusammenarbeit mit privaten Büros und Experten
 


Methodische Hinweise

Die vorliegende Studie basiert auf einer im Jahre 1994 am Soziologischen Institut der Universität Zürich durchgeführten schriftlichen Befragung. Finanziert wurde sie vom Schweizerischen Nationalfonds. Die Untersuchung richtete sich an die Gemeindeschreiberinnen und Gemeindeschreiber sämtlicher 3'017 Schweizer Gemeinden (Stand 1. Jan. 1994). Insgesamt haben 2'079 Gemeinden an der Befragung teilgenommen und die Beteiligung ist mit einem Rücklauf von knapp 70 Prozent ausgesprochen hoch ausgefallen.

Das Projekt wurde im Oktober 1993 mit ersten Vorarbeiten gestartet und endete im Laufe des Februars 1996 mit der Abgabe des Schlussberichtes an den Schweizerischen Nationalfonds (Nr. 12-32586.92). Am Projekt mitgearbeitet haben Prof. Hans Geser als Projektleiter, Robert Fluder, François Höpflinger, Andreas Ladner und Urs Meuli.

Die für die vorliegenden Arbeiten verwendeten Daten stammen nicht nur aus der Befragung von 1994. Als Ergänzung sind noch andere Zahlen in die Analyse einbezogen worden, so jene des Soziologen Rolf Nef, der für seine Analysen über kommunales Wahlverhalten Datensätze demographischer, ökologischer und sozioökonomischer Art für sämtliche Gemeinden der Schweiz zusammengetragen hat. Dabei handelt es sich vor allem um Volkszählungsdaten, Betriebszählungsdaten und Wehrsteuerstatistiken. Ausserdem konnten wir auch auf Daten eines eigenen Forschungsprojektes zurückgreifen, die 1988 durch eine erste Befragung der Gemeindeschreiber und Gemeindeschreiberinnen sämtlicher Gemeinden der Schweiz erhoben wurden. Diese Befragung erzielte einen Rücklauf von über 80 Prozent, so dass sie uns für die Analyse des Wandels der politisch-administrativen und der kommunalpolitischen Organisation der Gemeinden im allgemeinen und des kommunalen Parteiwesens im besonderen sehr aussagekräftige Resultate lieferte.

Die verwendeten Datensätze
 

1 Kooperationen mit anderen Gemeinden (Zweckverbände usw.)

Es gibt - vor allem für kleine Gemeinden - eine Reihe von Gründen, weshalb eine Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden bzw. sogar ein Zusammenschluss mit Nachbargemeinden sinnvoll sein kann: 
  1. Die entsprechende Aufgabe überschreitet die traditionellen Gemeindegrenzen. Historisch festgelegt entsprechen die kommunalen Grenzziehungen immer weniger den wirtschaftlichen und räumlichen Gegebenheiten einer hoch arbeitsteiligen Gesellschaft. Die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Verflechtungen lokaler Räume haben sich in den letzten Jahrzehnten markant verstärkt, und dies nicht allein in Agglomerationsgebieten. Aufgrund hoher Mobilität (Pendelverkehr, Tourismus, Standortdynamik von Wirtschaftsunternehmen) sind auch vormals ländliche Gemeinden und Berggebiete davon betroffen. Die funktionalen Verflechtungen betreffen zudem heute nicht allein traditionell grenzüberschreitende Funktionen (wie etwa Wasserversorgung), sondern zunehmend mehr auch soziale und kulturelle Dienstleistungen. 
  2. Die Gemeinde ist zu klein, um die entsprechenden Aufgaben in professioneller Weise erfüllen zu können. Durch eine Kooperation verschiedener (Klein)-Gemeinden können sowohl administrative Grössenvorteile (etwa im EDV-Bereich) als auch eine erhöhte Professionalität erreicht werden. So sind etwa im sozialen und gesundheitspolitischen Bereich regionale Sozial- und Beratungsstellen häufig, weil damit ein professionelles Beratungsangebot auch für die Bevölkerung kleiner Gemeinden sichergestellt werden kann. 
  3. Das Einzugsgebiet der Gemeinde bzw. die Einwohnerzahl ist zu gering, als dass sich die Errichtung einer entsprechend teuren Infrastruktur - wie etwa Kläranlage, Spital, Altersheim usw. - lohnen würde. Durch einen Zusammenschluss verschiedener Gemeinden lassen sich Angebot und Nachfrage besser aufeinander abstimmen. Gleichzeitig wird eine Duplikation von Angeboten vermieden, was insgesamt kostengünstiger ist. 
Gegen eine überkommunale Kooperation oder gar eine Delegation von Aufgaben etwa an einen Zweckverband sprechen primär politische Gründe (Angst vor Autonomieverlust). Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass es Formen von Zweckverbänden oder von Zusammenarbeitsverträgen gibt, die zwar eine Delegation fachspezifischer Funktionen, nicht jedoch einen politischen Autonomieverlust beeinhalten. In der Tat sind die heute feststellbaren Kooperationsformen zwischen Gemeinden sowohl rechtlich als auch organisatorisch sehr vielfältig (wie dies etwa im Bereich regionaler Sozialdienste deutlich wird).
Die überwiegende Mehrheit aller Schweizer Gemeinden hat heute via vertraglicher Abmachungen (Zweckverbände, Zusammenarbeitsverträge, Anschlussverträge u.ä.) eine regelmässige Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden verankert. Nur 8% aller befragten Gemeinden sind ohne institutionelle Kooperation. Am häufigsten ist dies bei Kleingemeinden der Fall.
Die Zahl der Vereinbarungen variiert sachgemäss mit der Grösse einer Gemeinde, aber auch Kleingemeinden sind durchschnittlich heute an gut 5 interkommunalen Vereinbarungen beteiligt. Ein beträchtlicher Teil dieser Vereinbarungen sind allerdings erst in den letzten zehn Jahren eingeführt worden. Die zunehmende wirtschaftliche und ökologische Verflechtung kommunaler Auf gaben hat zu einer verstärkten Ausbreitung interkommunaler Zusammenarbeit geführt, wodurch das ursprüngliche föderalistische Prinzip durch eine wesentliche neue Komponente ergänzt wurde. Jedenfalls ist der Trend zu einem kooperativem Föderalismus unverkennbar.

Tabelle 1

Allerdings ist die interkommunale Kooperation stark funktionsspezifisch geprägt. Die funktionsspezifische Gestaltung interkommunaler Kooperation wird darin sichtbar, dass die Interkorrelationen zwischen dem Vorhandensein von Zweckverbänden und/oder anderen vertraglichen Abmachungen bei verschiedenen Funktionsbereichen sehr gering sind. Es gibt dazu nur zwei Ausnahmen: 

  1. Gemeinden mit Zweckverbänden im Bereich der Einwohnerkontrolle haben häufig auch eine regionale Kooperation im EDV-Bereich sowie bei der allgemeinen Verwaltung. Allerdings sind interkommunale Vereinbarungen gerade in diesen Aufgabenbereichen selten. 
  2. Gemeinden mit Zweckverbänden mit Spital- und Pflegebereich haben häufig auch entsprechende Kooperationen in der ambulanten Pflege (Spitex) sowie bei Altersheimen, da akute und ambulante Pflege sowie Altersbetreuung eng verknüpfte Aufgabenbereiche sind, die am besten durch interdisziplinäre und polyvalente Dienste (wie z.B. sozio-medizinische Zentren) erfüllt werden können. 
Die Verbreitung und Häufigkeit von Zweckverbänden oder anderen Vereinbarungen variiert jedenfalls je nach Funktionsbereich, wie in der nachfolgenden Tabelle deutlich wird.

Tabelle 2

Zweckverbände und vertragliche Abmachungen mit anderen Gemeinden sind einerseits bei ökologisch relevanten Bereichen, wie Abfuhrwesen, Wasserversorgung, Kanalisation u.a., recht häufig (und sie weisen oft eine langjährige Tradition auf). In diesen Bereichen überschreiten die entsprechenden Aufgaben sachgemäss häufig die traditionellen Gemeindegrenzen, und in diesem Sinne widerspiegelt die interkommunale Zusammenarbeit die starke (und zunehmende) ökologische Verflechtung moderner Gesellschaften. In diesen Bereichen sind die grössenbedingten Unterschiede weniger ausgeprägt bzw. insignifikant, da die wechselseitige räumliche Verflechtung verschiedener Gemeinden und weniger die Gemeindegrösse an sich die entscheidende Variable darstellt.
Andererseits sind Zweckverbände auch in gesundheits- und sozialpolitischen Bereichen (Sozialwesen, Spital & Pflege, Altersheimen, Schulen) häufig. In diesen Funktionsbereichen ist die zur Erfüllung der Aufgaben notwendige Professionalisierung oft nur in Kooperation mit anderen Gemeinden möglich (weil z.B. innerhalb der Gemeinden die Fallzahlen zu gering sind). Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Häufigkeit von Zweckverbänden speziell in gesundheits- und sozialpolitischen Bereichen teilweise negativ oder kurvenlinear mit der Einwohnerzahl verknüpft ist. Im Gegensatz zur ersten Funktionsgruppe (Abfuhrwesen, Wasserversorgung) - wo Aspekte grenzüberschreitender Verflechtungen im Vordergrund stehen - sind es hier primär Gründe professioneller Aufgabenerfüllung, die zur interkommunalen Kooperation führen. Auf entsprechende Zweckverbände und Abmachungen angewiesen sind an und für sich am ehesten kleine bis mittelgrosse Gemeinden, die zu klein sind, um hoch professionelle und spezialisierte soziale und gesundheitspolitische Leistungen intern auszudifferenzieren. Ein beträchtlicher Anteil der entsprechenden Vereinbarungen entstand nach 1984. So sind beispielsweise gut 50% aller vertraglichen Abmachungen im Bereich der ambulanten Pflegedienste und des Spitex jünger als 10 Jahre.
Ab welcher Gemeindegrösse interne professionelle Strukturen in Frage kommen, hängt davon ab, in welchem Masse alternative Leistungsstrategien vor liegen bzw. erlaubt sind, etwa in dem Sinne, dass staatliche Aufgaben im Milizsystem geführt werden können bzw. dürfen. Interessant ist etwa der Vergleich von Schule versus Sozialwesen: Die Schulausbildung muss in jedem Fall professionell - durch ausgebildete Lehrer/innen - geführt werden. Dies zwingt Kleingemeinden dazu, entsprechende Zweckverbände oder Vereinbarungen (z.B. gemeinsame Oberstufe) einzuführen. Sozialhilfe hingegen kann in Gemeinden mit wenig Sozialfällen im Milizsystem geführt werden. Regionale Sozialhilfestellen drängen sich an und für sich erst auf, wenn die vorliegenden Sozialprobleme (z.B. aufgrund ihrer Komplexität) professioneller Lösung bedürfen, der Aufbau eines rein kommunalen Sozialdienstes jedoch aufgrund der Kleinheit der Gemeinde nicht sinnvoll erscheint.
Selten ist eine interkommunale Kooperation auch bei kommunalen Funktionsbereichen, die stark politischen Charakter aufweisen, wodurch die politische Gemeindeautonomie besonders stark betont wird. So ist etwa eine interkommunale Kooperation bei Baubewilligungsverfahren die Ausnahme. Obwohl bei administrativen Aufgaben funktionale Grössenvorteile unzweifelhaft sind, werden viele dieser Aufgaben (Allgemeine Verwaltung, EDV, Einwohnerkontrolle) immer noch weitgehend gemeindeintern erfüllt. Dies hat damit zu tun, dass eine eigenständige kommunale Verwaltung zu den Kernstücken kommunaler Autonomie gehört, auf die nur ungern verzichtet wird.

Die Untersuchung der Frage, welche strukturellen Faktoren (Reichtum, demographische Struktur, Modernität) einer Gemeinde die Häufigkeit interkommunaler Kooperationen erhöhen, ist vor allem in negativer Hinsicht bemerkenswert: Die kommunalen Strukturdimensionen bestimmen die generelle Häufigkeit vertraglicher interkommunaler Zusammenarbeit kaum. Darin widerspiegelt sich einerseits die vorher angeführte funktionsspezifische Gestaltung interkommunaler Zusammenarbeit (womit für jeden Funktionsbereich andere Strukturfaktoren bedeutsam sind und sich momentan noch kaum eine Generalisierung interkommunaler Zusammenarbeit ergibt). Andererseits steht zu erwarten, dass eine interkommunale Kooperation definitionsgemäss nicht allein von den strukturellen Gegebenheiten der Einzelgemeinden geprägt wird. So setzt eine interkommunale Zusammenarbeit gleichgesinnte und eventuell auch strukturell ähnlich gelagerte Nachbargemeinden voraus.
Starke funktionale Verflechtungen von Gemeinden - etwa im Rahmen von Agglomerationsbildungen - erzwingen ebenfalls eine verstärkte Kooperation. Dieser Sachverhalt kommt empirisch darin zum Ausdruck, dass die Nähe einer Gemeinde zu einem städtischen Zentrum (Grossstadt) signifikant positiv mit der Zahl interkommunaler Vereinbarungen assoziiert ist. Eine Überprüfung dieser Beziehung nach Gemeindegrösse lässt allerdings erkennen, dass diese Beziehung primär für mittelgrosse Gemeinden (mit 2'000 bis 5'000 Einwohner) gilt. Einzig bei dieser Gemeindegruppe zeigt sich eine deutlich signifikante Beziehung zwischen Nähe zu einer Grossstadt (mit über 100'000 Einwohnern) und der Zahl interkommunaler Vereinbarungen (r: .21, N: 285).

Neben räumlich-strukturellen Aspekten (Agglomerisierung u.a.) dürfte die (institutionalisierte) Kooperation zwischen Gemeinden allerdings auch von den übergeordneten Instanzen (Kanton, Bund) beeinflusst werden.
So lässt sich vermuten, dass die Verankerung interkommunaler Strukturen erleichtert wird, wenn der Bund zwingende Vorschriften erlässt. Vollzugsföderalismus dürfte vor allem kleine und mittelgrosse Gemeinden zur Zusammenarbeit zwingen, etwa wenn professionelle Kompetenzen vorgeschrieben werden, die diese Gemeinden nicht intern bereitstellen können.
In verschiedenen Kantonen nimmt zudem der Kanton insofern eine aktive Rolle ein, als er Zweckverbände von Gemeinden mitfinanziert bzw. die von regionalen Einrichtungen geleisteten Dienste subventioniert. Ein ausgebauter kantonaler Finanzausgleich kann ebenfalls ein bedeutsamer Faktor bei der Einrichtung und Verankerung interkommunaler Strukturen sein, speziell in sozial- und gesundheitspolitischen Bereichen (da damit finanzpolitische Konkurrenzen vermieden werden und sich bei ausgebautem Finanzausgleich zudem oft die Richtlinienkompetenz des Kantons erhöht).
Auf der anderen Seite lässt sich aber auch postulieren, dass bei starker Stellung des Kantons die Kooperation zwischen Gemeinden an Relevanz einbüsst, da damit das Verhältnis zwischen kommunaler und kantonaler Ebene bedeutsamer wird als die Kooperation zwischen Gemeinden (Substitutionsthese).
In jedem Fall ist zu erwarten, dass die Häufigkeit und Form von Zweck verbänden usw. stark von staatspolitischen Rahmenbedingungen und kantonalen Traditionen geprägt ist.

Diese Vermutung wird durch die ausgeprägten Unterschiede zwischen den Sprachregionen unterstützt.

Tabelle 3

So sind Zweckverbände in der französischsprachigen Schweiz deutlich weniger häufig als in der deutschsprachigen Schweiz. Dies hat weniger mit einer stärkeren Betonung der Gemeindeautonomie in der Westschweiz zu tun, als mit der Tatsache, dass in den meisten Westschweizer Kantonen der Kanton eine stärkere Rolle spielt als in vielen Kantonen der Deutschschweiz. Durch die oft enge und direkte Kooperation von Gemeinden und Kanton bzw. die Kantonalisierung verschiedener staatlicher Funktionen verliert die mittlere, regionale Ebene an Bedeutung.
Die Detailanalyse lässt allerdings deutlich werden, dass die regionalen Unter schiede teilweise funktionsspezifisch variieren, was die These einer funktional differenzierten Kooperationsstruktur erhärtet. Besonders krasse Unterschiede zwischen West- und Deutschschweiz zeigen sich in ökologisch sensiblen Be reichen (Abfuhrwesen, Kanalisation, Orts-, Regionalplanung) sowie in sozialen und gesundheitspolitischen Bereichen (Fürsorge, Spitalwesen). Dies hängt damit zusammen, dass Sozial- und Spitalwesen in der Westschweiz häufig kantonal organisiert sind. Wenig Unterschiede zwischen West- und Deutschschweiz zeigen sich hingegen im Spitex- und Schulbereich. In diesen Bereichen (aber auch beim Zivilschutz) kennt das Tessin die stärkste Verbreitung von Zweck verbänden. 

Hinter den allgemeinen regionalen Unterschieden verbergen sich sachgemäss massive kantonale Differenzen, und zwar sowohl in der Deutschschweiz als auch in der Westschweiz.
Vergleichsweise viele Zweckverbände kennen grössere, heterogen aufgebaute Deutschschweizer Kantone mit urbanen Zentrum (Zürich, Bern, Luzern) sowie die grösseren Bergkantone (Graubünden, Tessin, Wallis). In heterogen aufgebauten urbanen Kantonen zwingt die interkommunale Heterogenität speziell die Gemeinden im Einzugsbereich grosser urbaner Zentren zur stärkeren interkommunalen Kooperation, um die verstärkte sozio-ökonomische Verflechtung mit den traditionellen kommunalen Grenzziehungen kompatibel zu halten. In den grösseren, multikulturellen Bergkantonen, wie beispielsweise Graubünden und Wallis, erlaubt einzig interkommunale Kooperation - oft vom Kanton unterstützt - einen regionalen Ausgleich staatlicher Angebote. So hat etwa der Kanton Graubünden im Fürsorgewesen eine systematische Regionalisierung durchgesetzt, und im Kanton Wallis garantieren regionale sozio-medizinische Zentren dafür, dass auch Einwohner von Kleinstgemeinden eine professionelle sozio-medizinische Betreuung erfahren.
Vergleichsweise wenig Zweckverbände haben die Stadtkantone (Basel-Stadt, Genf) und kleinere, homogene Bergkantone, in denen die Gemeindeautonomie eine besonders feste Tradition aufweist. Vergleichsweise wenig Zweckverbände lassen sich aber auch in den beiden Westschweizer Kantonen Waadt und Neuenburg beobachten (zwei Kantone, in denen zentral staatliche Strukturen aufgrund ihrer historischen Entstehungsbedingungen besonders verankert sind).

Tabelle 4

Neben kantonalen Traditionen in der Betonung der Gemeindeautonomie dürfte - wie erwähnt - auch die Aufgabenverteilung zwischen Kanton und Gemeinden die Bereitschaft zu interkommunalen Vereinbarungen bzw. Zweckverbänden beeinflussen. Ein Hinweis in dieser Richtung zeigt sich in einer deutlichen Korrelation (r=.51, N: 26 Kantone) zwischen der durchschnittlichen Zahl von Funktionsbereichen mit Zweckverbänden in den Kantonen und dem Anteil der Gemeinden an den Ausgaben von Kanton und Gemeinden für 'Soziale Wohl fahrt' 1990. Je weniger der Kanton direkt interveniert, desto eher wird Kooperation auf interkommunaler Ebene gesucht, wogegen bei direkter Intervention des Kantons die interkommuale Zusammenarbeit durch die direkte Beziehung Kanton-Gemeinde substituiert wird.
Wie vorher postuliert, sollte hingegen das Vorhandensein eines ausgebauten kantonalen Finanzausgleichs die interkommunale Kooperation erleichtern (da damit Konflikte um Kostenbeteiligungen entschärft werden). In diesem Rahmen lässt sich auch die These vertreten, dass Gemeinden, die auf Finanzzuschüsse angewiesen sind, eher kooperieren, als Gemeinden, die finanziell unabhängig sind.

Tabelle 5

Der oben angeführte Gemeindevergleich bestätigt zumindest die erste Vermutung: Gemeinden in Kantonen ohne Finanzausgleich kennen deutlich weniger Zweckverbände oder interkommunale Verträge als Gemeinden in Kantonen mit Finanzausgleich, und dies obwohl diese Gemeinden im Durchschnitt kleiner sind. Es scheint, dass ein Finanzausgleich interkommunale Kooperation fördert. Allerdings kann auch argumentiert werden, dass in Kantonen mit starker Betonung der Gemeindeautonomie sowohl ein Finanzausgleich als auch eine interkommunale Zusammenarbeit auf starke Widerstände stossen.
Die Stellung im Finanzausgleich scheint weniger relevant zu sein. Es lässt sich jedenfalls nicht eindeutig feststellen, dass Gemeinden, die Geld aus dem Finanz ausgleich erhalten, eher zu überkommunaler Zusammenarbeit neigen als Gemeinden, die Geld in den Finanzausgleich einzahlen.

Interkommunale Kooperation hat in den letzten Jahren eindeutig an Bedeutung gewonnen. Demgemäss lässt sich ein klarer Trend in Richtung eines verstärkten 'Kooperationsföderalismus' festhalten. Die Zusammenarbeit zwischen Gemein den ist allerdings stark funktionsspezifisch (und damit nur selten generalisiert). Von grosser Bedeutung sind diesbezüglich regionale und kantonale Unterschiede in der Betonung der Gemeindeautonomie und im Verhältnis von Kanton und Gemeinden.
 
 

2 Zusammenarbeit mit privaten Büros und Experten

Während in den 1960er und 1970er Jahren eine ausgeprägte Trennung von Staat und Privatwirtschaft betont wurde, hat sich die Diskussion seit den 1980er Jahren verlagert. Zum einen wurde im Rahmen einer verstärkten 'Privatisierung' staatlicher Unternehmungen die Stellung des Staates ganz allgemein hinterfragt: Inwiefern können und sollen bisher staatlich organisierte Aufgaben nicht durch private Unternehmen bewältigt werden? Effizienzvorteile, aber auch eine verstärkte Konkurrenz bei privater Produktion von Gütern sind die häufigsten Argumente für eine Privatisierung staatlicher Aufgaben.
Im Rahmen der Diskussion einer Privatisierung bisher staatlich erbrachter Güter und Dienstleistungen erhalten auch neue Formen einer Zusammenarbeit öffentlicher und privater Stellen und Organisationen eine verstärkte Aktualität. Die Inanspruchnahme privater Stellen kann einerseits zur Entlastung der öffentlichen Verwaltung dienen. Sie kann aber auch die Professionalität öffentlicher Aufgabenerfüllung erhöhen, etwa wenn bei komplexen Sachfragen auf private Expertise zurückgegriffen wird.

Öffentliche Aufgaben können somit aus verschiedenen Gründen an private Büros und Experten übergeben werden:

  1. weil damit eine Aufgabe rationeller und kostengünstiger durchgeführt werden kann. Dies ist namentlich bei Aufgaben der Fall, wo Grössenvorteile vorliegen, die eine Gemeinde - aufgrund ihrer limitierten Verwaltungsgrösse - selbst nicht realisieren kann. 
  2. weil auf private Expertise zurückgegriffen werden kann, die gemeindeintern nicht besteht. Dies ist vor allem bei komplexen Aufgaben der Fall, die be stehende Verwaltungsorgane oder Milizgremien überfordern. 
  3. weil damit ein 'neutraler Sachverstand' benützt werden kann. Private Expertise kann zur Legitimation und Entpolitisierung von Fragen dienen, etwa indem 'unabhängige Experten' berücksichtigt werden bzw. ein Problem als 'Sachfrage' umdefiniert wird. 
In der Schweiz besteht auf allen staatlichen Ebenen eine lange Tradition, privat-öffentlicher Kooperation; sei es, dass bestimmte öffentliche Aufgaben privaten oder halb-privaten Einrichtungen delegiert sind; sei es, dass durch Formen von Milizsystem 'private' Expertise und Bürgerpartizipation in politische Entscheidungen einfliessen.
Im Rahmen der Gemeindestudie bezog sich nur eine Frage explizit auf die Inanspruchnahme privater Büros und Experten: "Nimmt ihre Gemeinde in be stimmten Bereichen regelmässig Leistungen von privaten Büros und Experten in Anspruch?"

Tabelle 6 zeigt, in welchen Funktionsbereichen private Expertise und Leistungen am ehesten beansprucht werden, und wie sich die Inanspruchnahme privater Büros und Experten seit 1984 verändert hat:

Tabelle 6

Eine regelmässige Beanspruchung privater Büros und Experten ist vor allem in jenen Bereichen häufig, wo es um komplexe Sachfragen geht, deren Erfüllung im allgemeinen eine hohe Professionalität und Spezialisierung voraussetzt (z.B. Baufragen, Zonenplanung). Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass Ge meinden, die bei Baufragen oder Zonenplanungen private Büros in Anspruch nehmen, dazu tendieren, private Expertise für EDV oder juristische Fragen zu mobilisieren.
Im Vergleich zu Umwelt- und Baubereich werden in den sozial- und gesundheitspolitischen Fragen private Büros und Experten (noch) deutlich weniger oft engagiert. Auch in Bereichen, die als ausgesprochene Kernstücke der Gemeindeautonomie gelten (wie z.B. Steuerwesen) ist eine Inanspruchnahme privater Experten selten (weil jede Gemeinde in diesen Bereichen eigene Expertise entwickeln muss).
Die Entwicklung verläuft allerdings in allen Funktionsbereichen eindeutig in die Richtung einer verstärkten Beanspruchung privater Leistungen und Expertisen. In Gemeinden, die private Büros und Experten beanspruchen, hat diese Leistungsform seit 1984 mehrheitlich zugenommen. Ein Gegentrend (abnehmende Inanspruchnahme privater Leistungen) ist höchst selten.

Im Vergleich zur interkommunalen Kooperation zeigt die Inanspruchnahme privater Büros und Experten eine weniger ausgeprägte funktionsspezifische Differenzierung. Gemeinden, die in einem Funktionsbereich auf private Expertise zurückgreifen, tendieren auch in anderen Bereichen zur Privatisierung und Externalisierung von Aufgaben. Besonders deutlich sind die Interkorrelationen in zwei Bereichen: Umweltschutz, Naturschutz und Entsorgung einerseits, und Bauwesen, Zonenplanung, Verkehrsplanung, Ortsbildschutz andererseits. Es handelt sich um kommunale Aufgaben, die zum einen eine besonders hohe Professionalität verlangen. Zum anderen sind es Aufgaben, die - weil sie private Interessen tangieren - politisch besonderer Legitimation bedürfen. In diesem Sinne ist die Inanspruchnahme privater Büros und Experten ein zentrales Element im 'Interface' privater und öffentlicher Interessen. Entsprechend ist der Wunsch nach einer verstärkten Inanspruchnahme privater Experten bei Gemeinden, die sich mit neuen, politisch heiklen Betreuungsaufgaben (etwa Betreuung von Drogenabhängigen und älterer Personen) konfrontiert sehen, besonders ausgeprägt.

Da die Leistungen privater Büros und Experten primär dem Zweck dienen, 'Professionalität' zu erreichen, ergeben sich klare Beziehungen mit der Gemeindegrösse (vgl. Tabelle 7). Mit Ausnahme des Steuerwesens ist die regelmässige Beanspruchung privater Büros und Experten deutlich mit der Einwohnerzahl assoziiert, und es sind primär mittelgrosse bis grosse Gemeinden, die regelmässig die Leistungen privater Büros und Experten beanspruchen. Mit zunehmender Einwohnerzahl nimmt die Komplexität der Sachfragen teilweise stärker zu, als die Fähigkeit der Gemeinde, die entsprechende Expertise - via Ausdifferenzierung von Fachstellen - direkt zu internalisieren. Bei kleinen Gemeinden erfolgt der Einkauf privater Expertise unregelmässig, und zudem fliesst in diesen Gemeinden private Expertise primär via Milizsystem ein. [1]

Tabelle 7

Zusätzlich zur Gemeindegrösse zeigen sich bedeutsame regionale Differenzen, und zwar in dem Sinn, dass französischsprachige Gemeinden weniger private Expertise in Anspruch nehmen. Dies betrifft hauptsächlich kleinere Westschweizer Gemeinden mit weniger als 2'000 Einwohner. Solche regionale Unter schiede können sozio-kulturelle Unterschiede in der politischen Legitimation des öffentlichen Sektors widerspiegeln. Zudem ist die öffentliche Verwaltung in Westschweizer Gemeinden vielfach stärker ausgebaut, was die Nachfrage nach externen, privaten Leistungen reduziert.
Insgesamt ist die Inanspruchnahme privater Büros und Experten auch positiv mit der sozio-ökonomischen Diversifikation einer Gemeinde assoziiert, entsprechend der Tatsache, dass vor allem grössere und ökonomisch diversifizierte Gemeinden mit komplexen Sachfragen konfrontiert werden. Allerdings wider spiegeln sich darin - wie die Detailanalyse zeigt - vor allem Grösseneffekte (da sozio-ökonomische Diversifikation und Einwohnerzahl positiv verknüpft). Ein direkter Effekt sozio-ökonomischer Diversifikation lässt sich demgemäss nur für Kleingemeinden mit weniger als 251 Einwohnern feststellen.
Die Vermutung, dass wohlhabende Gemeinden sich eher private Expertise leisten, findet dagegen keine klare Bestätigung, und nach Kontrolle der Einwohnerzahl sind die entsprechenden Beziehungen insignifikant.

Tabelle 8

Auch die These einer substitutiven Beziehung zwischen öffentlicher und privater Aufgabenerfüllung (Einsatz privater Büros und Experten um die Gemeindeverwaltung klein zu halten und dennoch komplexe Fachaufgaben zu erfüllen), findet nur auf einen ersten Blick eine empirische Unterstützung. Es zeigt sich zwar insgesamt eine signifikant negative Korrelation (r = -.14, sign. auf 1%) zwischen dem Ausbau der Kernverwaltung (administratives Personal pro 100 Einwohner) und der Zahl von kommunalen Funktionsbereichen, in denen regelmässig auf private Büros und Experten zurückgegriffen wird, aber nach statistischer Kontrolle der Gemeindegrösse verschwindet diese Beziehung.

Insgesamt gesehen werden private Büros und Experten von den Gemeinden heute primär zum Zweck erhöhter Professionalität bei komplexen Fragen, die private und gut organisierte Interessen tangieren, benützt. Hingegen stehen Aspekte der Effizienzsteigerung oder einer Verlagerung von Aufgaben in den privaten Sektor - z.B. zur Reduktion der öffentlichen Verwaltung - (noch) weniger im Zentrum. Ein substitutives Verhältnis privater und öffentlicher Auf gabenerfüllung lässt sich auf kommunaler Ebene jedenfalls momentan kaum feststellen.


  1. Das Milizsystem ist im Grunde auch eine Form, privates Wissen für öffentliche Funktionen zu instrumentalisieren (vor allem, wenn bei der Rekrutierung von Milizbehörden die jeweiligen beruflichen Qualifikationen ein zentrales Auswahlkriterium sind).. [zurück
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  aktualisiert am 21.10.2011