Soziologisches Institut der Universität Zürich

Lehrstuhl Prof. Dr. Geser

Home: Projekt "Wandel der Arbeitswelt"

Wandel der Arbeitswelt
Ergebnisse eines neuen schweizerischen Forschungsprojekts

QUALIFIKATIONSANFORDERUNGEN DER ARBEITSKRÄFTENACHFRAGE

Hanja Hansen, April 1999

 

Basisinformationen über das Projekt:

Beim Forschungsprojekt "Wandel der Arbeitswelt" handelt es sich um eine prospektive Untersuchung in schweizerischen Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben, die 1997-2000 gemeinsam vom Soziologischen Institut der Universität Zürich (SUZ) und der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) durchgeführt wurde. Sie wurde vom Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des Nationalen Schwerpunktprogramms "Zukunft Schweiz" finanziert.

Das Projekt hat zum Ziel, erstmals notwendige Basisdaten über den Qualifikationsbedarf der Schweizer Wirtschaft zu beschaffen. Dabei berücksichtigt es nicht nur den quantitativen Personalbedarf, sondern erfasst auch organisatorische und technologische Veränderungen in den Betrieben, die sich auf die Anforderungen an Arbeitsqualifikationen auswirken.

In methodischer Hinsicht bildet die standardisierte Erhebung der Qualifikationsstruktur, des Qualifikationsbedarfs sowie des organisatorischen Wandels der Betriebe den Schwerpunkt der Untersuchung.
Bei der Stichprobe handelt es sich um ein Panel von rund 6'000 privaten Unternehmungen, die vom KOF jährlich in Fragebogenerhebungen mit wechselnder Thematik einbezogen werden.
 
Es besteht aus einer nach Betriebsgrössenklassen und Branchenzugehörigkeit geschichteten Stichprobe, die Betriebe aus allen wichtigen Bereichen der Industrie, des Gewerbes sowie des privaten Dienstleistungssektors mitumfasst. Nicht einbezogen sind Betriebe, die ihre Dienstleistungen im Bereich Bildung, Gesundheit oder soziale Wohlfahrt erbringen.
Die Befragung richtete sich an Inhaber von betrieblichen Führungspositionen im Personalbereich.
An der Befragung, die vom Januar bis Mai 1998 stattgefunden hat, haben insgesamt 2143 Firmen teilgenommen.
Informationen zu diesem Forschungsprojekt können unter
Tel. ++41 (0)44 635 2310 oder
geser@soziologie.uzh.ch bezogen werden.

 

„Welche Qualifikationsanforderungen verlangt die Arbeitskräftenachfrage? Wie decken Unternehmen ihren Qualifikationsbedarf?" sind die Kernfragen dieses Beitrages. Zu ihrer Beantwortung tragen aktuelle Ergebnisse aus der Qualifikationsforschung bei.

Die Qualifikationsforschung untersucht Fragen, die auf der Nahtstelle zwischen Bildung und Beschäftigung liegen. Mit diesem Forschungsgebiet befassen sich die Soziologie, die Curriculumforschung, die Berufspädagogik, die Psychologie und die Arbeitsmarktforschung. In der Soziologie wird innerhalb der Bildungs-, Industrie-, Organisations- und Arbeitssoziologie Qualifikationsforschung betrieben. Sie untersucht den Arbeitskräftebedarf des Arbeitsmarktes bzw. der Firmen. Damit untersucht sie nicht den gesellschaftlichen Bildungsbedarf, sondern den Bedarf an Qualifikationen im gesellschaftlichen Teilsystem Wirtschaft. Fälschlicherweise steht die Qualifikationsforschung in Verruf, dem Arbeitskräftebedarfsdeckungsansatz verfallen zu sein, der aus dem ermittelten Personalbedarf direkt Massnahmen für das Bildungssystem oder die Berufsberatung ableitet. Dies soll hier auf keinen Fall geschehen, allein schon deswegen, weil die Aufgabe des Bildungssystems nicht nur darin besteht, den Qualifikationsbedarf der Wirtschaft zu decken. Dennoch ist der Wandel der Arbeitswelt so tiefgreifend, dass die gesamte Gesellschaft und somit auch das Bildungssystem davon betroffen ist (Baethge 1999). Selbst wenn sich das Bildungssystem auf seine traditionellen Aufgaben besinnt, darf und kann es den Anschluss an die Postmoderne nicht dagegen eintauschen. Dem muss auch eine Restandardisierung des Bildungssystems, wie sie Forneck (1999) vorschlägt, Rechnung tragen.

 

 

1. Qualifikationsanforderungen

Sprechen wir von Qualifikationen, betrachten wir Fähigkeitsbündel und Kompetenzen. Qualifikationen können aufgrund von Bildung aber auch durch andere organisierte oder ungeplante Lernsituationen im (Berufs-)Alltag erlangt werden. Für die Begriffsbestimmung von 'Qualifikationsanforderungen' bieten theoretische Arbeiten der letzten 25 Jahre einen breiten Fundus. Mit der vermehrten Auflösung tayloristischer Arbeitsstrukturen steigt, in Ergänzung zu den fachlichen, die Bedeutung der nichtfachlichen Qualifikationsanforderungen, welche in der deutschsprachigen Bildungsforschung unter dem inflationären Begriff der Schlüsselqualifikationen diskutiert werden. Es handelt sich hierbei um eine spezifische Qualifikation, die ihrerseits als Schlüssel zum Erwerb weiterer Qualifikationen dienen soll.

Der komplexe Wandel der Qualifikationsanforderungen ist Gegenstand aktuellster internationaler Forschung. Das Problem der betrieblichen Qualifikationsforschung besteht darin, dass das Management schnell wechselnden Trends ausgesetzt ist, so erweisen sich die Verwendung gewisser In-Begriffe wie Lean Management oder ISO-Zertifizierung als Modetrends (Kieser 1996). Die Verwendung von Modebegriffen allein lässt noch nicht auf veränderte Arbeitsbedingungen schliessen. Dies gilt gleichermassen für Managementtrends als auch für Qualifikationsanforderungen. In der Qualifikationsforschung ist es deswegen unerlässlich, nicht nur die expliziten Qualifikationsanforderungen der Firmen zu analysieren, sondern diese mittels vergleichender Kontrollanalysen zu validieren. Drei Indikatoren können dabei zum Vergleich herangezogen werden: 1) Qualifikationsbeschaffungsmassnahmen, 2) Arbeitsprozesse und 3) Rekrutierungskriterien. In diesem Text stelle ich den Punkt 1) die Massnahmen, die Betriebe ergreifen, um ihren Bedarf zu decken, dem geäusserten qualitativen Personalbedarf gegenüber.

2. Die Arbeitskräftenachfrage

In einem Unternehmen dient das Humankapital erstens dazu, bestehende Produktionsprozesse aufrechtzuerhalten und Kundenaufträge auszuführen. Zweitens, geht leicht vergessen, dass es zusätzlicher Kapazitäten und KnowHow bedarf, um neue Aufträge zu akquirieren und Innovationen an Produkten und Produktionsprozessen vorzunehmen.

Der betriebliche Arbeitskräftebedarf kann in zwei Dimensionen gemessen werden: dem quantitativen und dem qualitativen Personalbedarf. Der quantitative Bedarf entspricht der Anzahl benötigter Arbeitnehmer. Der qualitative Bedarf äussert sich einerseits in einem in einem inhaltlichen Wissensbedarf und andererseits im Qualifikationsniveau. Zur Bestimmung des Qualifikationsbedarfs verwenden wir die Variablen Wissensbedarf nach Fachgebieten und Personalbedarf nach Ausbildungsniveau. Die benötigten Qualifikationen können sowohl auf dem internen als auch auf dem externen Arbeitsmarkt rekrutiert werden. Die verschiedenen Massnahmen, welche die Betriebe ergreifen, um ihren Qualifikationsbedarf sicherzustellen, werden im Kapitel 2.3 diskutiert.

2.1 Quantitativer und qualitativer Personalbedarf

Wie entwickelt sich der quantitative und qualitative Personalbedarf in den Schweizer Industrie- und Dienstleistungsbetrieben?

Für die kommenden Jahre zeigt sich eine deutliche Trendwende in Bezug auf den Personalbedarf. Während 1995 bis 1997 der quantitative Personalbedarf rückläufig war, steigt der Bedarf für die Jahre 1998-2000 an. Insgesamt 82% der Betriebe nennen einen gleichbleibenden oder steigenden Personalbedarf. Am stärksten steigt der Personalbedarf im Industriesektor an. Im Dienstleistungssektor fällt er verhaltener aber dennoch optimistisch aus, einzig im Bau setzt sich der rückläufige Trend noch fort.

Von dieser Entwicklung sind insbesondere Personen mit einer Berufslehre oder einer höheren Ausbildung (z.B. Technikum, HVW, Fachhochschule) betroffen. In 35,9% der Betriebe steigt der Bedarf an Personal mit einer höheren Ausbildung und in 39,6% derjenige an Berufsleuten. Der Bedarf an Akademiker/-innen bleibt mit 78,1% vorwiegend konstant bis leicht ansteigend. Auch für die Lehrlingsausbildung können wir aufatmen, diese bleibt in 76,5% der Betriebe konstant und sinkt kaum noch. Schwierig wird es für an- und ungelernte Arbeitskräfte, 36,5% der Wirtschaftsunternehmen rechnen noch mit weiterem Personalabbau. Gesamthaft können wir von einem Personalaustausch ausgehen, da netto das Arbeitsvolumen ansteigt. Es findet eine Aufstockung an Berufsleuten oder Personal mit höherer Fachausbildung statt, während an- und ungelernte Arbeitskräfte abgebaut werden. Wirtschaftspolitisch bedeutet dies, dass weniger das quantitative Arbeitsplatzangebot zu Arbeitsmarktungleichgewichten führt, sondern das qualitative Mismatching von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage. Die Schweizer Betriebe professionalisieren und verlangen vermehrt nach gut- und hochqualifizierten Arbeitskräften

 

Abbildung: 1.1: Qualitativer Personalbedarf 1998-2000, Anzahl Nennungen in Prozenten

 

Bei genauerer Betrachtung des Qualifikationsbedarfs zeigen sich betriebsgrössenspezifische Qualifikationsprofile. So ist in Grossbetrieben der Bedarf an hochqualifiziertem Personal wie Hochschulabgänger/-innen und Personal mit höherer Ausbildung am grössten. In Mittelbetrieben steigt der Bedarf an Berufsleuten am stärksten. Während in Mittel- und Grossbetrieben mit einem Abbau an An- und Ungelernten zu rechnen ist, bleibt in 66,8% der Kleinbetriebe der Bedarf konstant. Unternehmerische Qualifikationsprofile sind jedoch nicht allein im Zusammenhang mit der Betriebsgrösse, sondern vielmehr im Zusammenhang mit arbeitsorganisatorischen und technologischen Innovationen von Bedeutung.

Während Taylorismus und Automatisierung die Debatte zwischen Vertretern der Höher- oder Niederqualifizierungsthese auslöste, führen die weiterschreitende Technologisierung durch Informations- und Kommunikationstechnologien sowie der aktuelle organisationelle Wandel durch Restrukturierungen und Globalisierung zu einem aktuellen Themenwandel innerhalb der Qualifikationsforschung. Auf der Mesoebene befasst man sich vermehrt mit veränderten Organisationsformen wie z.B. der Netzwerkorganisation, neuen Formen der Arbeitsteilung sowie veränderten Berufsrollen. Hierarchien werden zu Heterarchien. Die Rollenzuteilung von Disposition, Ausführung und Kontrolle ändert sich. Das tayloristische Prinzip der Arbeitszerlegung wird abgelöst von der Reintegration des ganzen Menschen in den Arbeitsprozess. Die Vielfalt und Breite der auszuübenden Tätigkeiten geht über das traditionelle Berufsverständnis hinaus und der Bedarf an nichtfachlichen Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Flexibilität und Einsatzbereitschaft steigt.

Es ist zu berücksichtigen, dass bei Trendaussagen nur Globalaussagen gemacht werden können. Selbst bei einem prognostizierten generell sinkenden Bedarf an Ungelernten und Hilfskräften gibt es nach wie vor Firmen, die vorwiegend Ungelernte und Hilfskräfte beschäftigen. Die Qualifikationsprofile einzelner Firmen variieren. Die Belegschaftsstrukturen sind abhängig von Grösse, Umsatzentwicklung, Branche und strategischen Massnahmen und keinesfalls einheitlich. Insbesondere Grossbetriebe verhalten sich sehr heterogen. Klein- und Mittelunternehmen zeigen hingegen eher homogene Trends.

2.2 Wissensbedarf

Welches Wissen brauchen die Unternehmen, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein? Zur Beantwortung der Frage, über welches Wissen eine zukunftsfähige Unternehmung verfügen sollte, konnten die befragten Manager aus 9 Wissensgebieten die drei wichtigsten auswählen.

Abbildung: 1.2: Rangliste des zukünftigen Wissensbedarfs

Rang

Zukünftig bedeutendes Wissen

1

Gewerblich-Technisches Wissen

2

Informationstechnologie/Datenverarbeitung/Programmierung

3

Verkaufstraining und Vertrieb

4

Persönlichkeitsförderung/Arbeitsmethodik

5

Marketing/Marktanalyse

6

Management- und Führungstraining

7

Gesprächsführung/Teamarbeit

8

Qualitätsschulung/ISO-Zertifizierung

9

Kaufmännisches Wissen/Recht/Verwaltung

Das 'gewerblich-technische Wissen' wird mit Abstand als das zukünftig wichtigste Wissen eingestuft. Dies erstaunt kaum, da in der Schweiz die Berufslehre einen äusserst hohen Stellenwert aufweist. Das gewerblich-technische Wissen scheint sozusagen die Kernkompetenz des Standortes Schweiz zu sein. Dies gilt insbesondere für den Bau, die Metallbearbeitung und den Maschinenbau. An zweiter Stelle folgt 'Informationstechnologie/ Datenverarbeitung/ Programmierung'. Die fortschreitende Technologisierung der Arbeitswelt und das herannahende Jahrtausendproblem mögen Gründe für diese Positionierung sein. Generell müssen wir davon ausgehen, dass EDV-Anwendungskenntnisse in Zukunft zu den Grundqualifikationen eines jeden Arbeitnehmenden zählen analog zu Schreiben, Rechnen und Lesen. Anteilsmässig ragt der Bedarf in den Branchen Dienstleistungen für Unternehmen, Grosshandel und Maschinenbau hervor. Auf Position drei folgt 'Verkaufstraining und Vertrieb'. Dies mag ein Indikator für Absatzproblematiken und wachsende Konkurrenz sein. Nicht allein die Qualität und der Preis eines Produktes sind entscheidend, sondern die Vermarktung der Ware wird zu einem wichtigen Wettbewerbskriterium. Mit Abstand den grössten Wissensbedarf in diesem Bereich weisen der Detail- und Grosshandel auf. 'Persönlichkeitsförderung und Arbeitsmethodik' haben mit dem vierten Platz eine ungewöhnlich hohe Position auf der Rangskala erlangt. In diesem Bereich ist es besonders schwierig trendige Lippenbekenntnisse von einem tatsächlichen Bedarf zu unterscheiden. Von der Qualifikationsforschung im Unternehmensbereich aus gesehen, verändern sich jedoch Tätigkeitsbereiche dermassen gravierend, dass nichtfachliche Qualifikationen unabdingbar sind, um der aktuellen Dynamik an den Arbeitsplätzen gerecht zu werden. Bedeutsam ist, dass nichtfachliche Qualifikationen die fachlichen Anforderungen nicht ersetzen, sondern in Ergänzung zu einer soliden fachlichen Ausbildung zum Tragen kommen. Hier ragt der Grosshandel hervor, gefolgt von Maschinenbau und Gastgewerbe. 'Marketing und Marktanalyse' stehen auf dem Rang 5. Sie habe ihre grösstes Gewicht im Gross- und Detailhandel. Auf Rang 6 folgt relativ spät 'Management- und Führungstraining'. Der Detail- und Grosshandel sowie der Maschinenbau halten es für künftig bedeutendes Wissen. 'Teamarbeit und Gesprächsführung' werden im Grosshandel, im Gastgewerbe und im Maschinenbau am bedeutendsten eingestuft. Gesamthaft rangiert es auf Platz 7. 'Qualitätsschulung und ISO-Zertifizierung' zählen erstaunlicherweise kaum mehr zu zukünftig bedeutendem Wissen. Am wichtigsten sind sie im Grosshandel, der Metallbearbeitung und im Maschinenbau. Am wenigsten Punkte erhält 'kaufmännisches Wissen/Recht/Verwaltung' und gelangt somit auf die unterste Rangskala. Umso interessanter ist es, dass hier ein enormer Bedarf im Bausektor und bei den Banken und Versicherungen besteht.

Eine tiefe Position auf der Rangskala kann zweierlei Gründe haben: entweder ist das entsprechende Wissensgebiet eher unbedeutend oder der Bedarf ist bereits gedeckt. Bei einer hohen Positionierung auf der Wissensrangskala ist zukünftig ein steigender Bedarf zu erwarten und mit entsprechenden Investitionen zu rechnen.

2.3 Qualifikationsbeschaffung und verwendete Methoden zur Humankapitalsteigerung

Haben wir die Qualifikationsanforderungen der Arbeitskräftenachfrage einmal ermittelt, stellt sich die Frage, wie der Qualifikationsbedarf in der Praxis gedeckt wird. Private und staatliche Schulen, Universitäten, formalisierte betriebsinterne oder -externe Weiterbildung bieten institutionalisierte Möglichkeiten an, die zur Qualifizierung von Arbeitnehmenden beitragen. Ihnen gegenüber steht das Lernen am Arbeitsplatz, welches weder explizite Lerninhalte vermittelt, noch das erlangte KnowHow zertifiziert. Institutionalisierte und informelle Qualifizierungsmassnahmen haben für die Arbeitnehmenden einen unterschiedlichen auf dem Arbeitsmarkt im Form von Jobangebot, Beförderung und Lohnanstieg. Während institutionell zertifizierte Weiterbildung zu Statusmobilität führen, haben informelle Qualifizierungsmassnahmen nur eine statuserhaltende Funktion (Buchmann et. Al. 1999).

Übergreifend sind die Weiterbildungsaktivitäten bei 41.9% der Betriebe gestiegen, haben bei 54% stagniert und sind nur bei 4.1% gesunken. Überraschend hoch fällt die finanzielle Beteiligung der Betriebe an den Weiterbildungsaktivitäten ihrer Mitarbeitenden aus: 85% aller Firmen finanzieren mindestens die Hälfte der Schulungskosten, gar ein Drittel übernehmen sämtliche Kosten. Im Schnitt liegt die Kostenbeteiligung der Betriebe bei 72%.

Abbildung 1.3: Häufigkeit der Qualifizierungsmassnahmen in Prozenten

 

immer

häufig

selten

nie

Selbständiges Lernen am Arbeitsplatz

24.4

61.5

11.6

2.4

Unterweisung durch Vorgesetzte und Kolleg/innen

24.0

66.8

8.3

0.9

Betriebsinterne Weiterbildung

15.3

54.4

27.1

3.1

Betriebsexterne Weiterbildung

5.8

45.2

42.9

6.1

Staatliche Schulungen oder Studiengänge

2.1

13.0

49.7

35.2

Neueinstellung von qualifizierterem Personal

6.9

49.7

37.3

6.1

Am häufigsten qualifizieren die Unternehmen ihr Personal mittels Unterweisung durch Vorgesetzte und Kolleg/innen (90.8%) und durch selbständiges Lernen am Arbeitsplatz (85.9%). Ueber Kosten und Effizienz dieser Trainingsvariante mangelt es an Studien. Vordergründig macht praktiziertes „Lernen am Arbeitsplatz" den Anschein am kostengünstigsten zu sein. Darüber hinaus müsste man untersuchen, wie sich das „training on the job" auf die Ausübung der Tagesroutinen auswirkt. Wir müssen annehmen, dass die Doppelbelastung zwischen Tagesgeschäft und Lernen zu Überstunden und zu Fehlern führt. Beobachtet wurde dies schon bei der Einführung neuer EDV-Systeme (Hansen 1999). Ausserdem schlagen sich derartige Qualifizierungsmassnahmen für die Arbeitnehmenden kaum in einem Lohnanstieg oder einer Beförderung nieder. Allenfalls reicht das Erlernte aus, um den bisherigen Arbeitsplatz zu bewahren.

Die interne Weiterbildung wird mit 69.8% relativ häufig beigezogen. An vierter Stelle folgen bereits die Neueinstellungen als Qualifizierungsvariante. 56.6% der Betriebe praktizieren sie häufig. Die externe Weiterbildung (Finanzierung von Weiterbildungskursen ausser Haus) wird von der Hälfte der Betriebe häufig unterstützt, bei der anderen Hälfte bleibt es bei selten. Staatliche Schulen stehen am Schluss der verwendeten Qualifizierungsmassnahmen, nur 15.1% greifen häufig auf sie zurück.

Die Häufigkeit von interner Weiterbildung oder dem Lernen am Arbeitsplatz hängt nicht mit der Branchenzugehörigkeit zusammen. Es zeigt sich jedoch, dass der Zusammenhang zwischen externer Weiterbildung und Branche statistisch signifikant ist. Extrem weiterbildungsscheu sind die Branchen Nahrungsmittel, Bekleidung, Holz, Papier, Kunststoff, Nichtmetallische, Metallbearbeitung, Gastgewerbe, Transport und Telekommunikation. Unerwartet viel externe Weiterbildung betreibt der Bau, der Grosshandel, Banken und Versicherungen, Informatik/Forschung & Entwicklung sowie Dienstleistungen für Unternehmen.

Die untenstehende Abbildung 1.4 illustriert wie der Qualifikationsbedarf in den einzelnen Wissensgebieten zukünftig gedeckt werden soll: mittels Weiterbildung, Beizug externer Fachkräften oder durch Neueinstellungen.

Abb. 1.4 Zukünftig wichtiges Wissen für Unternehmen

In Zukunft sollte, gemäss Einschätzung der befragten Geschäftsleiter/innen und Personalverantwortlichen, Weiterbildung die am häufigsten praktizierte Qualifizierungsvariante darstellen. Weiterbildung überwiegt deutlich im Vergleich mit Neueinstellungen und dem Beizug von externen Fachkräften. Der Beizug externer Fachkräfte wird am stärksten im Wissensbereich Informationstechnologie/Datenverarbeitung und im Bereich Qualitätsschulung/ ISO-Zertifizierung vorgenommen. Bei gewerblich-technischem Wissen wird betriebliche Qualifizierung überraschend oft mittels Neueinstellungen erreicht.

Diskussion

Bedenken wir den Anstieg der Qualifikationsanforderungen an die MitarbeiterInnen und den Anstieg des zukünftigen Wissensbedarfs in den Firmen, erstaunt die bis anhin eher zurückhaltende Investition der Betriebe in die Weiterbildung ihrer Belegschaft. Dies kann zwei Gründe haben: entweder haben die zähe Konjunkturbaisse und die offensiven Reorganisationsaktivitäten sämtliche Kräfte der Firmen absorbiert und wäre in den kommenden Jahren ein Anstieg der betrieblichen Weiterbildung abzusehen oder die Betriebe rekrutieren besser qualifizierte Arbeitskräfte über den externen Arbeitsmarkt, weil sie die internen Humanressourcen nicht als strategisches Potential wahrnehmen (vgl. Staffelbach/Schön 1999). Reorganisationen bleiben ohne nachhaltige Wirkung, weil es an der Integration in die Denk- und Handlungsprozesse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehlt. Die Umsetzung strategischer Planung in konkrekte personalpolitische Massnahmen scheitert an dem zu grossen Abstraktionssprung von strategischem zu operationellem Management. Je grösser das Unternehmen und je globaler dessen Aktionsfeld, desto schwieriger wird die nachhaltige Integration des Humanpotentials. Flankierende personalpolitische Massnahmen im Bereich Weiterbildung könnten diesen Mangel auffangen, ansonsten liegt ungenutztes Humanpotential in den Betrieben brach.

Gesamthaft können wir annehmen, dass eine Humankapitalsteigerung für den Grossteil der untersuchten Schweizer Unternehmen aus Industrie, Dienstleistung, Versicherung, Banken und Handel ein strategisches Zukunftspotential darstellt. Dies kann mittels forcierten Weiterbildungsbemühungen oder integrierten Techniken des Wissensmanagements geschehen. In Verbindung mit gesamtunternehmerischen Strategien wird die Nachhaltigkeit personalpolitischer Massnahmen an Bedeutung gewinnen. Während Entlassungen schnell die Kostenbilanz verbessern, verschieben aufwendige Rekrutierungsverfahren und Fehlbesetzungen die Salden. Davon abgesehen, reicht es nicht aus, hoch- und breitqualifizierte Arbeitskräfte anzusammeln ohne deren Potential optimal in die Arbeitsprozesse zu integrieren. Teamfähigkeit als bedeutsame Schlüsselkompetenz verkümmert zum letzten Modeschrei, wenn es an entsprechenden arbeitsorganisatorischen Implementationen, Rollendefinitionen und Entlöhnungsanpassungen mangelt. In der betrieblichen Qualifikationsforschung kann sich der explizit geäusserter Qualifikationsbedarf als Widerspruch zu den Qualifikationsanforderungen im Arbeitsalltag erweisen. Umso wichtiger ist für die Diagnose des eigentlichen Qualifikationsbedarfs einer Unternehmung die Berücksichtigung des organisatorischen Wandels. Die Veränderungen der Organisationsstruktur und der Arbeitsprozesse haben drei entscheidende Konsequenzen für die Arbeitskräftenachfrage: gesamthaft findet eine Reduktion des unqualifizierten Personalbestandes statt, die psychische und physische Arbeitsbelastung für die Erwerbstätigen verschärfen sich und es findet eine generelle Ausdehnung und Erhöhung der Qualifikationsanforderungen statt.

Gehen wir zurück zur Ausgangsfrage, lässt sich zusammenfassen, dass Unternehmen ihr Qualifikationspotential wohl als strategische Ressource benennen, jedoch nicht die notwendigen personalpolitischen Massnahmen ergreifen, um dieses zu stärken oder gar auszubauen. Das optimale Qualifikationsmix einer Firma hängt von seiner Grösse sowie seiner strategischen Ausrichtung ab und verlangt insbesondere bei Grossbetrieben mit mehr als 500 Beschäftigten eine differenzierte Analyse. Gesamthaft steigt der Personalbedarf an breit- und hochqualifizierten Berufsleuten. Aus der Qualifizierungsperspektive erodiert die Kategorie Beruf an deren Stelle Fähigkeitsbündel treten. Paradoxerweise steigt gleichzeitig die Bedeutung einer Berufsausbildung als Eintrittskarte in den Arbeitsmarkt, denn ohne eine solide berufliche Grundausbildung hat heute kaum jemand mehr Chancen auf eine Anstellung. Darüber hinaus gehören auch nichtfachliche Qualifikationen wie beispielsweise Selbstständigkeit und Teamfähigkeit, aber auch traditionelle Arbeitstugenden wie Loyalität und Einsatzbereitschaft zu den Qualifikationsanforderungen der Nachfrageseite.

Literaturliste

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