Universität Zürich Soziologisches Institut der Universität Zürich Prof. Dr. Hans Geser

 
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Georg Simmel: Soziologie
Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung

Duncker & Humblot, Berlin 1908 (1. Auflage) 

Kapitel VIII: Die Selbsterhaltung der sozialen Gruppe (S.374-459)

(> 375) Der Kampfcharakter, den die unmittelbare Erfahrung an dem Leben des Individuums erkennen läßt - die in jedem Augenblick gegebene Notwendigkeit des Eroberns , der Verteidigung gegen Angriffe, der Festigkeit gegen Versuchungen, des Wiedergewinnens eines fortwährend verlorenen Gleichgewichts - setzt sich gleichsam unterhalb und oberhalb der seelischen Einzelexistenz fort.

Die physiologischen Vorgänge innerhalb unsres Körpers bieten das gleiche Bild eines unaufhörlichen Kampfes.

Auch die Selbsterhaltung des physischen Lebens ist niemals ein unbewegtes Beharren, sondern eine Aktivität im Überwinden von Widerständen, eine Bildung von Gegengiften gegen die im Körper selbst erzeugten Giftstoffe, ein Reagieren gegen Angriffe, die ohne den gegen sie eingesetzten Widerstand sofort zu Zerstörungen werden würden.

Und dies sind die allgemeinen Formen, in denen auch die überindividuellen Gebilde ihr Leben führen.

Wenn auch sie »sich erhalten« - und zwar nicht nur gegen äußere Angriffe, die ihre gesamte Existenz wie mit einem Schlage bedrohen - so fassen wir damit unzählige ununterbrochene Prozesse zusammen, die sich im Innern dieser Gebilde als Stoß und Gegenstoß, Gefahr und Abwehr, Repulsion und Wiedervereinigung unter den Elementen offenbaren.

Daß wir in der Erhaltung von Staat und Zunft, Kirche und Zweckverband, Familie und Schule nicht so sehr den Prozeß, die hin und her spielenden Ausgleichungen, die Anbildung immer neuer Mittel gegen immer neue Gefahren erblicken, sondern eher eine einfache Nicht-Änderung, die Kontinuität unberührter Ruhe - ist aus mehrfachen Gründen verständlich.

Zunächst, weil das Individuum die ganze Labilität des Lebens, die Unaufhörlichkeit von Offensive und Defensive nur an sich selbst erlebt, während die entsprechenden Prozesse der Kollektivgebilde sich auf viele Individuen, auf viele, dem Raum, dem Inhalt und dem Interesse nach ganz getrennte Punkte verteilen und deshalb dem Bewußtsein des Einzelnen nicht leicht in ihrer Gesamtheit, wohl aber in ihrem Resultat: dem Beharren des Ganzen, gegenwärtig sind.

Ferner vollziehen sich diese Prozesse häufig an Substraten von großen Dimensionen und deshalb langsamer, schwerfälliger, durch so lange Zeiträume hin, daß die Uebergänge ihrer einzelnen Stadien schwer merklich sind.

Endlich, das diffizilste, aber vielleicht wirkungsvollste Moment: all jene Kollektivgebilde wirken auf uns nicht nur als historische Einzelwirklichkeiten, deren (>376) zeitlicher Lebensprozeß ihre ganze Bedeutung trägt, sondern sie haben etwas von der Zeitlosigkeit des allgemeinen Begriffes, des allgemeinen Gesetzes, der allgemeinen Form, deren Sinn und Gültigkeit nicht mit dem singulären, auftauchenden und verschwindenden Beispiel oder Erfüllung identisch ist.

Freilich ist auch der Begriff des Individuums davon unabhängig, daß die Kräfte der Realität bald dieses, bald jenes Individuum erzeugen oder vernichten; dennoch empfinden wir, daß auch der einzelne Staat oder die einzelne Kirche von dem allgemeinen Begriff des Staates oder der Kirche gleichsam mehr aufgenommen haben, daß das historische Gebilde hier irgendwie an der Uebereinzelheit, der allen Lebensschwankungen entzogenen Zeitlosigkeit des Allgemeinen oder der Form teilhat.

Der Grund dieser Empfindung dürfte der sein, daß solche Kollektivgebilde freilich ihrem einzelnen Teilhaber gegenüber eine relative Ewigkeit besitzen, daß sie gegen seine Besonderheit gleichgültig sind und sein Kommen und Gehen überleben (worüber nachher zu sprechen ist).

Dadurch rücken sie in die Kategorie des Gesetzes, das unabhängig von seinen einzelnen Verwirklichungen gilt, der Form, deren ideelle Bedeutung von aller Mannigfaltigkeit ihrer materiellen Erfüllungen unberührt bleibt.

Allein diese Verwandtschaft mit dem überhaupt Zeitlosen gewinnen diese Gebilde so nur vom Standpunkt des Individuums aus, dessen fluktuierendem und vergänglichem Dasein sie als ein Beharrendes und immer Überlebendes gegenüberstehen .

Von dieser Vergleichung abgesehen, sind sie selbst dem Entstehen und Vergehen unterworfen; wenn auch in einem andern Tempo und Rhythmus, als dem ihrer Elemente, vollzieht sich auch an ihnen das, was man einen Lebensprozeß nennen muß: die Selbsterhaltung durch eine Zeit hindurch, die nicht eine starre Fraglosigkeit und innere Unbewegtheit ist, sondern eine Summe immanenter Prozesse, die Verteidigung eines fortdauernd bedrohten, der Wiedergewinn eines oft verlorenen Gleichgewichtes, das bewußte und unbewußte Bereiten von Mitteln zu dem niemals von selbst realisierten Zwecke, den nächsten Augenblick zu erleben.

Diese drei Selbsterhaltungen sind in ziemlich hohem Maße voneinander unabhängig.

Die physiologische Selbsterhaltung vollzieht sich oft mit einem Gelingen oder Mißlingen, das dem gleichzeitigen Resultate der seelischen ganz entgegengesetzt ist; und diese wiederum hat das gleiche zufällige Verhältnis zu der sozialen Gruppe.

Der Selbsterhaltungstrieb des Individuums fordert ganz andre Handlungen, setzt ganz andre Kräfte ein, als die Selbsterhaltung seiner Gruppe, so daß die Selbsterhaltung der Einzelnen manchmal durchaus unbeschädigt und erfolgreich bestehen kann, während die der Gruppe schwach wird und zersplittert; umgekehrt kann die letztere allein sich noch in voller Kraft zeigen, wenn die der einzelnen Elemente schon in der Decadence ist.

Diese Erscheinung vor allem hat dazu geführt, die einheitliche Gruppe für ein Gebilde von selbständiger Realität zu halten, das ein Leben nach eigenen Gesetzen und eigenen Kräften, unabhängig von allen seinen individuellen Trägern führte - in genauer Analogie zu der Konstruktion eines »Lebensgeistes« oder einer besonderen personalen »Lebenskraft« an (> 377) dem physiologischen Individuum.

Eine gleichsam substanzielle Einheit, die sich aus sich selbst erhielt, schien mit der Existenz des Subjektes gegeben und ersetzte die tausendfach ineinandergreifenden Wechselwirkungsprozesse zwischen den Elementen, in die die vorgeschrittene Erkenntnis das Beharren des Lebens verlegt.

Das Entsprechende nun ist hier unsere Aufgabe.

Wenn wir sehen, daß die mannigfachsten Vergesellschaftungen scheinbar spezifisch-wirksame Kräfte entfalten, um sich in ihrem Selbst zu erhalten - in welche mehr primären Vorgänge läßt sich diese Erscheinung auflösen?

Trotzdem der Bestand der Gruppe - nachdem sie einmal zustande gekommen ist - gleichsam eine besondere Lebenskraft, eine aus einheitlicher Quelle stammende Festigkeit zu verkünden scheint, so ist das doch nur die erscheinende Folge oder richtiger die Zusammenfassung einer Anzahl von einzelnen und mannigfachen Teilvorgängen sozialer Natur.

Welche besondere Art, so fragen wir, von unmittelbarer oder mittelbarer Wechselwirkung liegt vor, wenn man von Selbsterhaltung einer sozialen Gruppe spricht?

Der allgemeinste Fall, in dem die Selbsterhaltung der Gruppe zum Problem wird, liegt in der Tatsache, daß sie bei dem Ausscheiden und dem Wechsel ihrer Mitglieder sich als die identische erhält.

Wir sagen, daß es derselbe Staat, derselbe Verein, dieselbe Armee sei, die jetzt existieren, wie die vor soundso vielen Jahrzehnten oder Jahrhunderten existierten, -obgleich von den Mitgliedern dieser Vereinigungen kein einziges mehr »dasselbe« ist, wie zu jener früheren Zeit.

Hier bietet sich einer der Fälle, in denen die zeitliche Ordnung der Erscheinungen eine entschiedene Analogie mit ihrer räumlichen zeigt. Wie sich aus den nebeneinander - d. h. doch außereinander -existierenden Individuen dennoch die soziale Einheit gestaltet, wie die unaufhebbare Trennung, die der Raum zwischen die Menschen setzt, dennoch durch die geistige Verbindung zwischen ihnen überwunden wird, so daß das Bild eines einheitlichen Ineinander entsteht - so hindert auch die zeitliche Trennung der Individuen und Generationen nicht, daß sie für unsere Vorstellung ein zusammengehöriges, ununterbrochenes Ganzes bilden.

Bei den räumlich getrennten Wesen wird diese Einheit von der Wechselwirkung unter ihnen getragen, die durch den Raum hindurch stattfindet: Einheit bedeutet bei komplexen Wesen nichts andres als Kohäsion der Elemente, die durch wechselseitig ausgeübte Kräfte dargestellt wird.

Bei zeitlich getrennten Wesen kann ihre Einheit auf diese Weise nicht stattfinden, weil die Wechselwirkung fehlt: die früheren können wohl auf die späteren, aber nicht diese auf jene wirken.

Eben deshalb bildet das Festbleiben der sozialen Einheit bei dem Wechsel der Individuen ein besonderes Problem, das mit dem erklärten Zustandekommen jener Einheit in einem gegebenen Augenblick noch nicht zugleich erledigt ist.

Das erste und nächstliegende Moment, das diese Kontinuität der Gruppeneinheit vermittelt, ist das Beharren der Lokalität, des Grundes und Bodens, auf dem sie lebt.

Der Staat, mehr noch die Stadt, aber auch unzählige andre Verbindungen, haben ihre Einheit zunächst an dem Territorium, das das dauernde Substrat für allen (> 378) Wechsel ihrer lnhalte bildet. Im klassischen Griechenland war es vor allem das Beharren des Grundbesitzes, an das die Kontinuität der Familiengruppe sich knüpfte.

Dies wurde von den zwei entgegengesetzten Seiten her getragen: seine Verminderung durch Verkauf galt bezeichnenderweise als ein Vergehen nicht nur gegen die Kinder, sondern auch gegen die Ahnen, weil die von diesen herkommende Kette der Familienexistenz damit durchriß; und seine Vermehrung war nach der Lage der Verhältnisse nur schwer möglich.

So erfuhr er gleichsam von oben und von unten her den Zusammenhalt, der die Familie als eine im Prinzip unzerstörbare durch alle Schwankungen ihrer Individualexistenzen hindurchzuführen geeignet war.

Sehr merkwürdig, aber doch auch begreiflich, ist diese Bedeutung des Grundbesitzes für die Kontinuierung der Familie angesichts der Tatsache, daß für den griechischen Staatsbegriff der Grund und Boden noch nichts von seiner späteren Bedeutung besass.

Wie man von den auswärtigen »Flächenstaaten« immer nur als von der Summe ihrer Bewohner sprach: oi Aiguptioi oi Persai - so ist für den Griechen die Zugehörigkeit zu seinem Staate nie bedingt durch die zum Lande, sondern nur durch die zur Bürgergemeinde.

Wo verbannte Bürger sich auswärts in genügender Zahl zusammenfinden, setzen sie dort ohne weiteres das vom Feinde gestörte Staatswesen fort, dessen Lebenskontinuität so an die Personen der Teilnehmer, nicht aber an das Land gebunden erscheint.

In der entschiedensten Weise dagegen wird das Formprinzip der durch das Territorium vermittelten Verbindung in der Feudal- und Patrimonialzeit wirksam.

Die Landesbewohner sind der staatlichen Herrschaft nur als Pertinenzen ihres Gebietes unterworfen.

Der Staat, als eine bestimmte Formung des Menschenmaterials, hat seine Kontinuität hier eigentlich nur an der Festigkeit des Bodens.

Indem Erwerb und Verlust des Domizils im Lande Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit bedeuten, ist der bestimmte Grund und Boden das eigentliche Herrschaftsobjekt, dessen Beharren den Staat durch all jenen Wechsel seines Materials hindurchträgt.

In dem Maß, in dem der Begriff des Staates in seiner ideellen Einheit und Unzerstörbarkeit sich über die privatrechtlichen Vorstellungsarten erhob, wird auch die Unteilbarkeit seines Gebietes zum Prinzip, sein Territorium ist nicht mehr eine unteilbare Sache, sondern eine begriffliche Einheit, die das Korrelat der Staatseinheit überhaupt ist.

Indem dies aus der abstrakten Sphäre in die des Gefühls hinüberwirkt, baut es an dem für die politische Selbsterhaltung unendlich wichtigen Affekte der Vaterlandsliebe.

Denn so, wie der moderne Mensch ihn empfindet, ist für ihn das Beharren des Gebietes ganz unentbehrlich, zu seiner Wirksamkeit für die Zentripetalität der politischen Gruppe gehört durchaus das Vaterland. -

Es sind nämlich die soziologischen Charaktere von Verhältnissen, die in jeder sonstigen Hinsicht etwa völlig gleich wären, doch durch die in ihnen wirksame Vorstellung von ihrer verschiedenen Dauer erheblich differenziert.

Man pflegt sich nicht klarzumachen, wie sehr jeder Moment der menschlichen Verhältnisse, der völlig und ausschließlich von seinem Sachgehalt, von Vorstellung und Gefühl dessen, was in ihm aktuell vorhanden (> 379) und wirksam ist, bestimmt scheint, doch zugleich von den bewußten oder unbewußten Gedanken über die Dauer dieses Sachgehaltes abhängt; wie jedes Verhältnis unvermeidlich dadurch mitbestimmt ist, daß man seinen Bestand auf längere oder kürzere Zeit taxiert, daß man sein Ende überhaupt absieht oder daß es unbegrenzt ist, daß die Unbegrenztheit nur als ein tatsächliches Nicht-Enden oder als die prinzipielle Unmöglichkeit eines Endes erscheint.

Die Typen etwa des letztgenannten Falles sind die Ehe, das Verhältnis zu Gott und das zum Vaterland.

Den unmittelbaren und einzelnen Inhalt des Verhältnisses brauchen diese temporalen Bestimmungen gar nicht zu alterieren, sie sind eine formale aber für seinen Verlauf höchst einflußreiche Färbung desselben.

So ist der Patriotismus nicht überhaupt nur ein Gefühl und eine ethische Bindung der Individuen gegenüber ihrer politischen Gruppe, sondern er bedarf der mitwirkenden Vorstellung, daß das Verhältnis zu dieser überhaupt nicht lösbar ist, und zwar gerade trotz der Bewegungsfreiheit des modernen Menschen nicht lösbar ist.

Die Anschaulichkeit des vaterländischen Grundes und Bodens als der unverrückbaren und unverlierbaren Basis jenes Verhältnisses wird der Vaterlandsliebe zu einem Träger und Symbol ihrer zeitlichen Unbegrenztheit, und gibt mit dieser formalen Betonung auch ihrem einzelnen Augenblick erst seine volle Kraft für den Zusammenhalt des Ganzen.

Nun bedeutet die Dauer der Lokalität freilich für sich allein noch nicht die Dauer der sozialen Einheit, denn wenn etwa die ganze Bevölkerung eines Staates durch eine erobernde Gruppe verjagt oder versklavt wird, so sprechen wir trotz des Beharrens des Territoriums dennoch von gewechselten staatlichen Gruppen.

Zudem ist die Einheit, um deren Bestand es sich handelt, eine psychische, welche ihrerseits erst die territoriale Grundlage zu einer einheitlichen macht: diese innere Bedeutung der Lokalität kann die äußere für das Bewußtsein völlig verdrängen.

Aber ein, wenn auch anekdotenhafter Fall zeigt in interessanter Weise, wie selbst bei vollkommener Verinnerlichung der sozialen Einheit in ihrer Kontinuität diese wie mit geistigen Fäden an ihren bestimmten Boden geknüpft bleibt. Als während des spanisch-amerikanischen Krieges im Sommer 1898 die spanische Flotte die amerikanische Ostküste zu bedrohen schien, fragte man auswärts einen Bostoner, was er darüber dächte, daß seine Stadt doch vielleicht bombardiert werden würde.

»Bombard Bostonl« was the response.

»You talk as though Boston were a locality.

Boston is not a place; Boston is a state of mind.

You can no more shoot it with a gun than you couId shoot wisdom, or justice, or magnanimity.« -

Hat nun aber der seelische Konnex ein Territorium erst zusammengefaßt und als sich zugehörig designiert, so ist dies wiederum ein wesentlicher Träger für den Weiterbestand jenes.

Freilich nur einer; denn es gibt genug Gruppenbildungen, die der lokalen Grundlage nicht bedürfen: einerseits die ganz kleinen Gruppen, wie die Familien, die bei Änderungen des Aufenthaltsortes doch als die genau identischen fortbestehen können, andrerseits die ganz großen, - wie jene ideelle Gemeinschaft der »Gelehrtenrepublik« oder die sonstigen (> 380) inter nationalen Kulturgemeinschaften der literarisch und künstlerisch Interessierten, oder die Welthandelsgruppen - deren Wesen gerade in der Verneinung und Aufhebung jeder Bindung an eine bestimmte Lokalität besteht.

Gegenüber dieser mehr formalen Bedingung für die Erhaltung der Gruppe ist von unvergleichlich größerer Bedeutung dafür der physiologische Zusammenhang der Generationen, die ganze Verkettung der Verwandtschaftsbeziehungen überhaupt.

Freilich genügt die Stammesverwandtschaft für sich allein nicht immer, um die Einheit des Zusammenhanges durch lange Zeit hindurch zu garantieren, es muß vielmehr in manchen Fällen jene lokale Einheit hinzutreten.

Die soziale Einheit der Juden hat sich trotz ihrer anthropologischen und konfessionellen Einheit seit ihrer Diaspora bedenklich gelockert; sie schloß sich erst da wieder fester, wo eine Gruppe von ihnen eine Zeitlang auf demselben Territorium wohnte, und die Bemühungen des modernen Zionismus, ihre Gruppeneinheit umfassend wieder herzustellen, knüpfen daran an, sie wieder lokal zusammenzusiedeln.

Andrerseits aber ist, wo andre Zusammenhänge versagen, der physiologische das ultimum refugium, auf das sich die Selbsterhaltung der Gruppe zurückzieht. je mehr das deutsche Zunftwesen erstarrte und innerlich abstarb, je schwächer die sachlichen Kräfte seines Zusammenhaltes wurden, um so energischer schloß jede Zunft sich physiologisch ab, d. h. machte Verwandtschaft und Verschwägerung zur Bedingung der Aufnahme.

Die Geschichte des Zunftwesens ist charakterisiert durch die Bevorzugung der Meisterssöhne.

Die Zunft war, in der Hauptsache und mit gewissen Unterbrechungen, ein auf die Kinder sich forterbender Verein.

Dennoch hat hier sicherlich nicht immer nur der materielle Vorteil und der familiäre Egoismus motivierend gewirkt, sondern auch das objektive soziale Ideal der Festigkeit und Kontinuität des Zunftgebildes als solchen.

Der Gedanke, der das Sich-Abschließen der Zunft einleitet: daß ein Meister »dieselbe Nahrung« haben solle, wie der andre, ist kein bloß individualistischer, sondern gewährleistet eine innere Homogeneität, die die Gruppeneinheit vor dem Auseinanderbrechen bewahren soll.

Diesem Ausschluß der Konkurrenz aber entsprach natürlich eine numerische Beschränkung, für die die Begünstigung der Meisterssöhne, d. h. der Ausschluß der nicht physiologisch zu der Gruppe Gehörigen, die nächstliegende Technik war.

Allenthalben ist die Geschlossenheit eines bevorzugten Standes, die strenge Fernhaltung der »Parvenus«, der Ausdruck oder das Mittel seiner Kontinuität; und diese Geschlossenheit wird - zwar nicht ausschließlich, aber am einfachsten und einleuchtendsten - von der Tradierung der Bevorzugungen in der physiologischen Reihe getragen, diese hindert am ehesten das Zerlaufen des Gebildes in eine Vielheit von Richtungen, von Interessenassoziationen, von Charakterzügen.

Augustus, der auf die kontinuierliche Erhaltung des Senatorenstandes als solchen den größten Wert legte, sorgte darum für seine strenge Geschlossenheit, indem er dessen Angehörigen die Ehe mit Freigelassenen, Schauspielern und deren Kindern untersagte.

Dafür aber begünstigte er auf alle (381) Weise die Vererbung der Würde an die Senatorensöhne.

Die Blutsverwandtschaft erschien ihm als der Kitt, der allein den ordo senatorius zusammenhalten konnte: seine Geschlossenheit, gleichsam seine Verengerung in der Breitendimension, wurde so mit seiner Erstreckung in die Längendimension der Zeit verbunden.

Und im modernen Familienleben, gelockert, atomisiert, tausendfach von inneren Fremdheiten und antagonistischen Selbständigkeiten zerrissen, wie es sich darstellt - ist eigentlich das einzige, was die Familie noch als eine in der Ablösung der Generationen charakterisiert, der physiologische Zusammenhang und allenfalls die Erbfolge, die sehr eng mit ihm verbunden ist.

Von all den andern Banden, die früher die Kontinuität des Familienzusammenhanges trugen - beruflichen, religiösen, traditionellen, durch die Pietät vermittelten, standesmäßigen - wird eines nach dem andern weniger wirksam, die überindividuelle Einheit der Familie zu tragen; nur der physiologischen Verbindung und was unmittelbar an ihr hängt, scheint dies noch einigermaßen zu gelingen.

Der Zeugungszusammenhang der aufeinanderfolgenden Generationen ist für die Erhaltung des einheitlichen Selbst der größeren Gruppen deshalb von so unvergleichlicher Bedeutung, weil der Ersatz einer Generation durch die folgende, das Nachrücken der einen an die Stelle der andern nicht mit einem Male erfolgt.

Dadurch wird die Kontinuität hergestellt, welche die ungeheure Mehrzahl der Individuen, die in einem gegebenen Augenblicke leben, in den nächsten hinüberführt; der Wechsel, das Ausscheiden und Neueintreten von Personen betrifft in zwei benachbarten Momenten immer nur eine, im Verhältnis zu den beharrenden, äußerst geringe Anzahl.

Von wesentlichem Einfluß darauf ist, daß der Mensch nicht wie die Tiere an eine bestimmte Paarungssaison gebunden ist, sondern daß zu jeder Zeit Kinder geboren werden.

Man kann also innerhalb einer Gruppe nie eigentlich sagen, daß mit einem gegebenen Momente eine neue Generation anfinge.

Das Ausscheiden der alten und Eintreten der neuen Elemente erfolgt in ihr so allmählich und kontinuierlich, daß sie ebenso als ein einheitliches Selbst erscheint, wie ein organischer Körper in dem Wandel seiner Atome.

Wenn das Auswechseln der Elemente mit einem Male, mit plötzlichem und die ganze Gruppe ergreifendem Sich-Absetzen vor sich ginge, so würde man kaum sagen können, daß trotz des Ausscheidens der Mitglieder die Gruppe ihr einheitliches Selbst bewahrt.

Daß in jedem Augenblick diejenigen, welche schon im vorigen Augenblick der Gruppe angehören, gegenüber den hinzukommenden die ungeheure Mehrzahl bilden, das rettet die Identität der Gruppe trotz der Tatsache, daß weit voneinander abstehende Augenblicke nicht ein einziges Element mehr gemeinsam haben mögen.

Die Allmählichkeit der Veränderung hat offenbar ihre Bedeutung nicht nur an der Aufgabe, die Gruppeneinheit durch den Wechsel ihrer individuellen Träger hindurch zu retten, sondern auch da, wo der Wechsel andre Bedingungen derselben ergreift.

Auch wo die politischen Formen, das Recht, die Sitten, die gesamte Kultur einer Gruppe sich derart wandeln, daß sie nach einer ge (>382) wissen Zeit tatsächlich ein völlig verschiedenes Bild bietet, hängt das Recht, sie dennoch als die identische zu bezeichnen, daran, daß jener Wandel nicht zugleich die Gesamtheit der Lebensformen der Gruppe angeht.

Täte er das, so wäre es zweifelhaft, ob man die Gruppe wirklich noch als »dieselbe«, die sie vor dem kritischen Augenblicke war, bezeichnen dürfte; nur der Umstand, daß der Wandel in jedem gegebenen Augenblick nur eine Minorität des Gesamtlebens der Gruppe ergreift, macht es ihr möglich, durch denselben hindurch ihr Selbst zu erhalten. Man kann das schematisch so ausdrücken: wenn die Gesamtheit der Individuen oder sonstigen Lebensbedingungen der Gruppe in einem Augenblick als a b c d e bezeichnet werden könnte, in einem späteren aber als m n o p q; so wird man dennoch von einer Erhaltung ihres einheitlichen Selbst sprechen, wenn die Entwicklung folgenden Gang einhält: a b c d e -mbcde - mncde - mnode - mnope - mnopq; so daß jede Stufe von den umgebenden nur durch je ein Glied geschieden ist und jeder Moment mit seinen Nachbarmomenten die gleichen Hauptsachen teilt.

Diese Kontinuität im Wechsel der Individuen, die die Gruppeneinheit tragen, macht sich freilich da am unmittelbarsten und durchgreifendsten merkbar, wo sie auf der Proliferation beruht.

Sie wird aber auch in Fällen wirksam, wo diese physische Vermittelung direkt ausgeschlossen ist, wie innerhalb des katholischen Klerus.

Hier wird die Kontinuität dadurch hergestellt, daß stets genug im Amte bleiben, um die Neueintretenden einzuschulen.

Der Zölibat hat hier sogar für die streng einheitliche Kontinuität der Gruppe Vorteile über die des physiologischen Bandes hinaus gezeigt.

Man hat mit Recht bemerkt, daß bei der großen Neigung des Mittelalters zur Vererbung der Berufe der Klerus ohne den Zölibat zu einer Kaste geworden wäre.

Freilich ist gerade dies dem russischen Weltklerus, der zur Ehe verpflichtet ist, zum Mittel geworden, das unter dieser Bedingung mögliche Maximum von Gruppenkontinuität zu erreichen.

Da die Leibeigenen nicht Priester werden konnten, die Vornehmen es nicht wollten, ein eigentlicher Mittelstand fehlte, so mußte sich das Popentum aus sich selbst ergänzen: die Söhne wurden wieder Priester und heirateten nur Töchter von Priestern; Ausnahmen bedurften besonderer Erlaubnis.

Dadurch wurde das russische Priestertum eine auf Inzucht beschränkte Kaste, deren Lösung von nicht-klerikalen Familienbeziehungen ihr etwas von der Exemtionsstellung und der inneren Kontinuität der Zölibatsgeistlichkeit verlieh.

Es ist merkwürdig, daß gerade diese schärfste Betonung der physiologischen Kontinuität im Erfolge sich der schärfsten Ausschließung ebenderselben näherte.

Dennoch ist die Überlegenheit des letzteren Systems unverkennbar.

Insbesondere bei der Lebhaftigkeit und inneren Vielfältigkeit des westeuropäischen Lebens - gegenüber dem früheren russischen - hätte die physiologisch vermittelte Kontinuität die Kirche einem Lebensprozeß mit all seinen Schwankungen, Rhythmen, Aufsteigen und Senilwerden unterworfen, wie die Zünfte ihn zeigten.

Der Klerus wäre bei Erblichkeit viel mehr den Zufällen der Individualitäten (> 383) preisgegeben, als jetzt, wo die Eingliederung nach objektiven Normen erfolgt, die die Einzelnen mit sachlicher Strenge ein- und ausschließen.

Hier gibt es keine ungeratenen Söhne, die dennoch im Familien- und Standeszusammenhang bleiben und ihn dadurch lockern.

Hier hat sich die Kontinuität wirklich an den objektiven Geist mit seiner zeitlosen Gültigkeit geknüpft und sich damit der Vergänglichkeit eines nur organischen Gebildes entzogen.

Unvermeidlich aber bedingt dies eine Vergewaltigung der Individuen.

So fing man schon im 4. Jahrhundert an, den Priestern den Austritt aus ihrem Stande zu erschweren und die Zugehörigkeit zu ihm, wenn sie einmal angenommen war, der individuellen Freiheit zu entziehen.

Nur indem die Zeitlosigkeit der Gruppenidee sich in der Lebenslänglichkeit und Unzerstörbarkeit des Berufscharakters offenbarte, war die Gefahr, die der Wechsel der Personen jener Kontinuität brachte, ein Minimum geworden.

Durch nichts aber wurde eben diese so treffend symbolisiert, so wirkungsvoll getragen, wie durch die Priesterweihe.

Hier wird der »Geist«, ein ideales Besitztum der Kirche als ganzer, von einem Einzelnen, dem er übertragen ist, auf einen andern Einzelnen übertragen, und ohne diese Vermittlung kann keiner ihn erlangen.

Dies ist ein geniales Mittel, die Erhaltung der Gruppe an einer überhaupt nicht durchbrechbaren Linie entlang zu führen, der soziologische Sinn der physischen Proliferation hat hier durch die Übertragung der Weihe von einem auf den andern sozusagen einen geistigen Körper bekommen, der die zeitliche Kontinuität des Gesamtgebildes in der reinsten und störungsfreiesten Weise ,gewährleistet.

Auch ohne solche Kristallisierung zu der einheitlichen Beständigkeit des metaphysischen Geistes wiederholt sich anderweitig diese soziologische Form, Sie gibt z. B. auch Beamtenhierarchien ihre Beständigkeit und läßt das Wesen, den objektiven Geist derselben, sich durch allen Wechsel der Individuen hindurch erhalten (was sich denn auch schon, dem Falle der Priester analog, in der altrömischen Vorstellung zeigte, daß die Magistrate eigentlich von den Göttern ausgegangen seien und die Weihe zu ihnen nur durch den jeweiligen Inhaber dem Nachfolger mitgeteilt werden könne): die in einem gegebenen Augenblick vorhandenen Mitglieder sind eben erst dann sämtlich ausgeschieden, wenn sie mit ihren Nachfolgern lange genug in der Gruppe vereint waren, um diese sich, d. h. dem Geist, der Form, der Tendenz der Gruppe völlig zu assimilieren.

Daran, daß dieser Wechsel langsam und allmählich genug ist, hängt die Unsterblichkeit der Gruppe.

Die mit diesem Ausdruck bezeichnete Tatsache ist von der äußersten Wichtigkeit.

Die Erhaltung des einheitlichen Selbst der Gruppe durch einen potenziell unbegrenzten Zeitraum hindurch gibt ihr eine Bedeutung, welche, ceteris paribus, der jedes Individuums unendlich überlegen ist.

Das individuelle Leben ist mit seinen Zweckreihen, seinen Werten, seiner Macht darauf eingerichtet, in einer begrenzten Zeit beendet zu sein, und gewissermaßen muß jedes Individuum von vorn anfangen.

Indem das Leben der Gruppe einer solchen a priori gesetzten Zeitgrenze entbehrt, und ihre Formen eigentlich so eingerichtet sind, als ob sie ewig leben sollte, - gelangt (> 384) sie zu einer Summierung von Errungenschaften, Kräfte, Erfahrungen, durch die sie sich weit über die immer wieder abgebrochenen Reihen des individuellen Lebens erhebt.

In England war dies seit dem frühen Mittelalter die Quelle der Macht der städtischen Kor porationen.

Sie hatten von jeher das Recht, »of perpetuating its existence by filling up vacancies as they occur«. Die alten Privilegien lauteten zwar nur auf die burghers and their heirs; allein die wurde tatsächlich als ein Recht, neue Mitglieder hineinzunehmen, ausgeübt, so daß, welches Schicksal die Mitglieder und ihre physische Nachkommenschaft traf, die Korporation als solche immer in integro erhalten wurde.

Die Kooptation ist das unermeßlich wichtige Formprinzip, das hier die oben angedeutete Funktion der Priesterweihe vertrat.

Sie erhält den Charakter der Gruppe durch eine nicht abgrenzbare Zeit hindurch identisch und bewirkt eine gewisse Analogie mit dem Leben des Organismus, der auch nur die ihm adäquaten und assimilierbaren Elemente aufnimmt.

Sie stellt eine Fortsetzung der Lebenslänglichkeit dar, indem sie noch dazu an Stelle der Vererbung die ausgewählten, also der Zufälligkeit der letzteren entzogenen Elemente setzt.

So hat sich auch historisch bei Vertretungskörperschaften an die erlangte Lebenslänglichkeit oft das Recht der eignen Kooptation zur Wiederbesetzung erledigter Stellen angeschlossen, z. B. bei den Räten von Basel, Freiburg, Solothurn im 17. Jahrhundert.

Die Kooptation läßt gleichsam den Lebensfaden der Gruppe nicht nur kontinuierlich, sondern auch in der gleichen Richtung ins Unabsehbare verlaufen.

Freilich hat, gerade in England, das unbeschränkte Selbstergänzungsrecht der Verwaltungsausschüsse seit dem 15. Jahrhundert zu einer Erstarrung des städtischen Gemeindewesens geführt.

Und seine Vorteile müssen, sogar gerade in den besseren Fällen, damit bezahlt werden, daß die individuelle Bedeutsamkeit des Einzelnen hinter seiner Rolle, Träger der Gruppenerhaltung zu sein, verschwindet.

Die Unsterblichkeit der Gruppe nährt sich von diesem Einzelnen, den ihr Geist erfaßt - sei es durch einfache Tradition, durch besondere Weihe, durch Kooptierung - und das Entscheidende ist deshalb nicht, was er für sich ist, sondern seine soziologische Assimilierbarkeit.

Die Erhaltung der Gruppe als solcher mußte unter der Verknüpfung mit der vergänglichen und unersetzlichen Persönlichkeit leiden.

Umgekehrt aber, je unpersönlicher und anonymer eine solche ist, desto geeigneter, ohne weiteres an die Stelle einer andern einzurücken und so der Gruppe die ununterbrochene Erhaltung ihres Selbst zu sichern.

Dies war der ungeheure Vorteil, durch den in den Rosenkriegen die Commons die bisherige Übermacht des Oberhauses zurückdrängten: eine Schlacht, die den halben Adel des Landes dahinrafft, nimmt auch dem Hause der Lords die Hälfte seiner Macht, weil diese eben an die Persönlichkeiten gebunden ist, - während das Haus der Gemeinen einer solchen Schwächung prinzipiell entzogen ist.

Derjenige Stand eroberte schließlich die Macht, der durch das Nivellement seiner Mitglieder die zäheste Dauer seiner Gruppenexistenz bewies - welcher formale Zusammenhang denn auch von der Tatsache getragen wurde, daß dieser Stand indivi- (> 385) dually the poorest, collectively the richest war.

Dieser Umstand gibt jeder Gruppe einen Vorsprung in der Konkurrenz mit einem Einzelnen: von der indischen Kompagnie hat man hervorgehoben, daß sie die Herrschaft über Indien durch keine andern Mittel gewonnen hätte, als früher etwa der Großmogul: ihr Vorteil gegenüber den sonstigen Usurpatoren, in Indien sei eben nur gewesen, daß sie nicht umgebracht werden konnte.

Deshalb werden nun ganz besondere Einrichtungen erforderlich, sobald das Leben der Gruppe sehr innig mit dem einer führenden, herrschenden Einzelperson verbunden ist.

Welche Gefahren diese soziologische Form für die Erhaltung der Gruppe in sich birgt, lehrt die Geschichte aller Interregnen - Gefahren, welche natürlich in demselben Maße wachsen, in dem der Herrscher wirklich im Mittelpunkt der Funktionen steht, durch welche die Gruppe ihre Einheit bewahrt oder richtiger in jedem Augenblick von neuem schafft.

Darum mag ein Intervall der Herrschaft da ziemlich gleichgültig sein, wo der Fürst nur eine nominelle Herrschaft ausübt - règne, mais ne gouverne pas -, während man umgekehrt schon am Bienenstaat bemerkt, daß er in völlige Anarchie gerät, sobald man ihm seine Königin nimmt.

Es ist nicht nur die Zerstörbarkeit der Einzelperson, welche die an sie geknüpfte Selbsterhaltung der Gruppe bedroht, sondern der Charakter der Personalität überhaupt gibt mancherlei Angriffen Raum.

So in Fällen wie dem folgenden: während die merovingische Zeit in vielen Beziehungen das alte römische Staatswesen aufrecht erhielt, trat ein fundamentaler Unterschied hervor: die öffentliche Gewalt war ein persönlicher, übertragbarer und teilbarer Besitz geworden.

Dieses Prinzip aber, das die Macht der Könige begründete, wandte sich gegen sie, da die Magnaten, die die Errichtung des Reiches förderten, nun auch einen persönlichen Anteil an der Herrschaft verlangten.

Das Prinzip der persönlichen Gewalt, nachdem sie einmal auf andre übertragen worden, lehnte sich gegen den Fürsten auf, der sie im ganzen als sein Eigentum betrachtete.

Einen andern Typus von Gefahren für den sozialen Zusammenhang erzeugt gerade die Einheit der Herrscherpersönlichkeit, wenn ihre verschiedenen Befugnisse nicht in der gleichen Machtstufe stehen.

Die Reformation in England ,gab dem Könige die Suprematie in kirchlichen Dingen, indem er die der bisher autonomen Kirche zukommenden Rechte und Pflichten übernahm.

Daß er aber im Bereich der Kirche absolut regierte, in dem der Weltlichkeit dagegen durch die Beschlüsse des Parlaments und die Selbständigkeit der Kommunen beschränkt war - dies ergab einen Zwiespalt, den dann die Stuarts zu versöhnen suchten, indem sie das iure-divino-Königtum zu einer absoluten Herrschaft auch in weltlichen Dingen entwickelten und durch den dabei unvermeidlichen Widerspruch zu aller hergebrachten Verfassung und Verwaltung den Bestand der Staatsform aufs schwerste erschütterten.

Den Gesamtgefahren der Personalität, insbesondere denen der möglichen Intervalle zwischen den Persönlichkeiten, sucht man in den politischen Gruppen durch den Grundsatz zu begegnen, daß der (> 386) König nicht stirbt.

Während im frühen Mittelalter die Tradition galt, daß, wenn der König stirbt, sein Friede mit ihm stirbt, ist in jenem Prinzipe die Selbsterhaltung der Gruppe gleichsam verkörpert.

In England wurde seit dem Regierungsantritt Eduard I., 1272, rechtlich kein Interregnum mehr anerkannt. Indes begegnet diese Form schon in ethnologischen Verhältnissen, und zwar in einer an die Priesterweihe erinnernden Modifikation.

Es herrscht z. B. an der Westküste von Afrika mehrfach die Vorstellung, daß das Reich von einem »großen Geist« regiert wird, der immer in der Person des Regenten Platz nimmt; auch die tibetanischen Dalai-Lamas bilden eine auf diese Weise kontinuierliche Herrscherreihe.

Auf die Persönlichkeit und ihre Herkunft kommt es dabei nicht an, sondern nur darauf, daß der Geist wirklich von dem sterbenden auf den neuen Herrscher übergehe.

Daß diese Trennung des eigentlichen Herrschaftsträgers von der Person, die seinen sichtbaren Wohnsitz bildet, die Sicherheit der letzteren nur um so mehr bedroht, wo nicht etwa die Erblichkeit jener ideellen Kontinuität eine reale hinzufügt, liegt auf der Hand.

In China sind Herrscher entthront worden, weil das Ausbleiben der Volkswohlfahrt bewies, daß die Gottheit von oder aus ihnen gewichen war.

Dann waren die Fürsten bloß noch einfache Menschen, die zu verstoßen nicht Sünde sein konnte, weil die Gottheit sie ja schon verstoßen hatte.

Ein chinesischer Weiser beantwortete deshalb die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Tötung des Kaisers Scheu so: »Wer die Tugend verletzt, heißt ein Räuber, wer das Recht verletzt, ein Tyrann; ein Räuber und Tyrann aber sind immer nur Privatleute. Ich habe gehört, daß Scheu als Privatmann getötet wurde, ich habe aber nicht gehört, daß er als Fürst ermordet worden sei.«

In England wurde im 13. Jahrhundert geäußert, wenn der Papst unrecht tue, so tue er es nicht als Papst; ebensowenig könne der König unrecht tun, denn er sei der minister of God; tue er es dennoch, so handle er eben nicht als König, sondern als minister of the devil.

Zu derselben Zeit wird dort derselbe Formgedanke so ausgedrückt, daß der König der Träger, nicht des göttlichen Geistes, sondern des Gesetzes sei; und darum existiere selbst im Königtum der König überhaupt nicht ubi dominatur voluntas et non lex.

Noch während des Bürgerkrieges unter Karl I. half sich die verfassungstreue Opposition, die an der Unzerstörbarkeit des Königtums festhielt, aber die Verfehlungen des Königs doch nicht in Abrede stellte, mit der Fiktion, daß »der König im Parlament Krieg führe gegen den König im Lager der Royalisten«.

Auf diese Weise wird es zum nächsten Erfolg der Vorstellung von der Unsterblichkeit des Königs, daß ein jeder, der die reale Macht zum Gewinn. der Krone besitzt, auch als der legitime König gelten muß.

Die Person ist ja gleichgültig geworden: welche auch immer den Thron besteigt, sie nimmt in diesem Augenblick das an sich kontinuierende Königtum auf; so ist es in China unter den erwähnten Voraussetzungen ausgesprochen worden, daß der siegreiche Usurpator eben durch seinen Sieg bewiesen habe, daß die Gottheit jetzt ihn zu ihrem Gefäß erkoren habe.

Daß der russische Kaiser in besonders radikaler Weise bloß als Kaiser, gleichgültig gegen seine Person, gleich einem Idol verehrt wurde, - gerade dies hat man als den tiefen Grund der so besonders häufigen Umwälzungen ansehen wollen, denen der russische Thron bis in das 19. Jahrhundert hinein ausgesetzt war.

Immerhin, mit einer wie gefährlichen realen Diskontinuität auch der im Herrscher wohnende »Geist«, der gerade der Träger der Kontinuität war, die monarchische Form bedrohte, so enthält dies doch einen ungeheuren Fortschritt nach der Seite ihrer Selbsterhaltung hin, wenn man von der rohen Substanzialierung des »Geistes« absieht.

Denn das Prinzip, daß der König nicht stirbt, weist darauf hin, daß der König schon als in seiner geistigen Persönlichkeit bestehend vorgestellt wird. Diese läßt sich viel eher als fortgesetzt denken, an ihre Unsterblichkeit glauben, als die körperliche, deren Sterben eben doch indiskutabel ist.

Deshalb ist auch, je weiter man in der Kultur zurückgeht, die körperliche Persönlichkeit beim Herrscher um so wichtiger und die Gefahren der Unstabilität daraufhin um so größere.

Noch im früheren deutschen Reich galt es für einen Schimpf des Reiches, wenn der König ein Auge verlor, und im alten Orient wurden besiegte Kronprätendenten vielfach durch Verstümmelung der Ohren für immer regierungsunfähig gemacht.

Der Körper ist angreifbarer als der Geist, und zugleich ist die Identifizierung der Staatsidee mit dem König eine um so subjektivere, der Versachlichung fernere, je mehr es die Körperlichkeit des Herrschers ist, die sein Herrschertum trägt.

Über diese primitiven Unvollkommenheiten und Unsicherheiten hinweg bleibt es einer der bedeutendsten soziologischen Grundgedanken: der König ist König nicht mehr als Person, sondern umgekehrt: seine Person ist nur der an sich irrelevante Träger des abstrakten Königtums, das ebenso unvergänglich ist, wie die Gruppe selbst, deren Spitze es bildet.

Durch seine Objektivierung in dem unsterblichen Amte gewinnt das Fürstentum eine neue psychologische Kraft für die Konzentrierung und Kohäsion innerhalb der Gruppe, während es die alte, auf der reinen Personalität beruhende ersichtlich insbesondere mit der Vergrößerung der Gruppe verlieren mußte.

Damit ist der Begriff von der Einheit der Herrschergewalt, die der Einheit der Gruppe - der logischen Voraussetzung ihrer Selbsterhaltung - korrespondiert, auf eine ganz neue Basis gestellt.

Solange das höchste Herrschertum sich noch nicht als das Unsterbliche von der Sterblichkeit der Herrscherpersönlichkeit abgelöst hat, ist eine gewisse Absolutheit in dem Sinne damit verbunden, daß eine organisatorische Zusammensetzung der souveränen Gewalt aus verschiedenen Elementen (z. B. König und Parlament) eigentlich ausgeschlossen ist.

Denn diese hat immer ein objektives, überpersonales Wesen, das mit dem reinen Personalismus einer mit ihrem Inhaber geborenen und sterbenden Gewalt unverträglich ist; jener Charakter von Objektivität widerspricht auch der Freiheit, mit der eine immer wie von neuem einsetzende Herrschergewalt sich ihre Formen selbst gibt.

Es ist interessant, dies an der Lehre Bodins zu verfolgen, der als der erste aus dem Wesen der Souveränität als der höchsten Gewalt ihre Unteilbarkeit ableitet (1577).

Weil (> 388) er das Herrschertum noch nicht klar vom Herrscher trennt, kommt, ihm eine gemischte Staatsform widerspruchsvoll vor - denn sie würde ihm, angesichts der personalistischen Vorstellung, als eine Zweiheit voneinander unabhängiger und dabei gleich hoher Souveränitäten innerhalb desselben Staates erscheinen.

Und in der Konsequenz des gleichen Motivs gilt ihm die verfassungsmäßige Beschränkung, die der Herrscher sich etwa auferlegt, nicht für seinen Nachfolger, »da dieser selbst souverän sei«.

Das bedeutet also: nicht das unter allem Wechsel der Personen beharrende Königtum ist zu einer Aktion fähig, sondern nur die Person, die nicht nur die physischen Bestimmungen der Personalität, wie die Sterblichkeit und die Unfähigkeit der Teilung, sondern auch ihre psychischen Ungleichheiten, wie Launenhaftigkeit und Treulosigkeit, dem Königtum imputiert.

Es steht nur in scheinbarem Gegensatz hierzu, wenn das italienische Fürstentum der Renaissance gerade dem Prinzip huldigt, der Privatmann sei zwar an sein Wort gebunden, der Fürst aber dürfte aus Staatsgründen nach Belieben Zusagen machen und sie brechen.

Denn dieses Fürstentum, meistens von den Einzelnen ohne Rechtsgrund erobert, war von der höchsten Personalität; es war die souveräne Freiheit des Individuums, die sich mit dem Staatsinteresse nur maskierte und jede objektive Norm genau so ablehnte, wie die Einschränkung durch Faktoren jenseits der personalen Herrschergewalt.

Erst in der Trennung des perennierenden Königtums von dem vergänglichen König ist die abstrakte Einheit der Gruppe wirklich ausgestaltet; so erst gestattet diese Einheit, ohne in ihrer Wirksamkeit und Kontinuität durchbrochen zu werden, eine Mannigfaltigkeit in den personalen Erfüllungen und Begrenzungen der Souveränität.

Aus dem gleichen Motiv heraus wurde an Cromwell gerade um der Erhaltung des Staates in seiner Gesetzmäßigkeit und Freiheit willen das Ansinnen gestellt, die Königskrone anzunehmen. Als König von England konnte er schließlich nur in die objektiv feststehenden Prärogativen der Krone und die legalen Herrschaftsformen sukzedieren; als Protektor mochte er des Namens der Herrschaft entbehren, in Wirklichkeit konnte er sie ausdehnen, so weit die Macht seines Schwertes reichte.

Die Ueberpersönlichkeit des Königtums, von der die Zufälligkeit seines individuellen Trägers dominiert wird, erscheint hier unmittelbar als das Vehikel für die Erhaltung der Gruppe in der Gleichheit und Einheit ihrer Form.1)

Und diese Aussonderung des Persönlichen setzt (> 389) sich aus der politischen noch in die private Sphäre des Herrschers fort.

Das Zeremoniell, das ihn umgibt, soll keineswegs, wie es scheinen könnte, nur seine Person verherrlichen und ihren Eindruck verstärken.

Es ist vielmehr der Ausdruck für die Reserve der Person; daß man nicht mit dieser, sondern nur mit dem König als König, gleichviel wie er individuell beschaffen ist, verkehrt, ist der Sinn der strengen Etikette des Hofes.

Darum ist sie erfahrungsgemäß eine Schranke nicht nur für den Untertanen, sondern für den Herrscher selbst: wie sie jenen an eine überpersönlich normierte Verkehrsform mit der Person des Königs bindet, so zwingt sie auch diesen oft in eine von seinen persönlichen Neigungen und Launen unabhängige Äußerungsform.

Die nächstliegende Art, auf die sich der dauernde Bestand der Gruppe in dem Bestande des Herrschers darstellt und die angedeuteten Gefahren des Unsterblichkeitsprinzips zu überwinden sucht, ist die Erblichkeit der Herrscherwürde.

Der physiologische Zusammenhang innerhalb der Herrscherfamilie spiegelt so den gleichen innerhalb der Gruppe ab.

Die Ununterbrochenheit und Selbstverständlichkeit, mit der sich die Existenz der Gruppe durch die Zeit hindurch fortsetzt, kann sich nicht präziser und zweckmäßiger ausdrücken, als in dem Ersatz des Vaters durch den von vornherein zur Thronfolge bestimmten und zu ihr jederzeit bereite Sohn - wie es entsprechend zu der Dekadence des römischen Kaisertums und Reiches viel beigetragen hat, daß dies Kaisertum keine geregelte Erbfolge ausgebildet hat.

Das Korrelat der Erblichkeit ist die unbedingte Sicherheit des Monarchen auf dem Thron.

Denn wo diese Sicherheit fehlt, wird er vor allem gegen seine Familie mißtrauisch sein und sie unschädlich zu machen suchen, wie es besonders im Orient durch Töten, Blenden, Ins-Kloster-Schicken geschah; und eben dies wird leicht zu einem Aussterben des Geschlechtes führen.

Die Erblichkeit der Herrschaft entfaltet erst ihren Sinn, wenn jene Bedingung erfüllt ist, durch die sie ebenso zum Symbol wie zum Träger der sicheren Kontinuität der Gruppenform wird.

Darum hat man mit Recht bemerkt, daß, während die angelsächsische Königs würde ursprünglich durch die persönliche Kriegstüchtigkeit des Herrschers absolut bedingt war, doch auch eine Zeit der »Knabenkönige« kommen konnte -aber erst, als das westsächsische König (> 390) tum durch drei lange, ununterbrochene, glänzende Dynastien gefestigt worden war.

Durch diese Regierungen war, über das Individuum hinaus, das Geschlecht des Thrones ganz sicher geworden, und diese Sicherheit drückte sich darin aus, daß vermittels des Erbprinzips Herrscher auf den Thron gelangen konnten, die die bisher unumgänglichen personalen Bedingungen nicht erfüllten; die Gruppenform hielt sich jetzt sozusagen durch eigene Kraft und bedurfte deshalb nur des nun einmal zu ihr gehörigen Herrschers, nicht aber seiner individuellen Qualitäten.

Nach einer andern Seite hin hat das englische Königtum eine besonders feste Grundlage der Erblichkeit ausgebildet: durch die mittelalterliche Vorstellung von dem königlichen Obereigentum an allem Boden und das Domäneneigentum des Königs - eine Verflechtung der Königsfamilie, in der dieses Eigentum erbte, mit dem beharrendsten Element des praktischen Lebens -, zu der das deutsche Kaisertum es nie gebracht hat.

Die alten englischen Juristen behandeln deshalb die Thronfolge nach dem Erstgeburtsrecht gleich der Erbfolge in das Grundeigentum.

Dem Umstand, daß die Unsterblichkeit der Gruppe sich, wie ich ausführte, an der Unzerstörbarkeit des Bodens orientiert, ist hier in der Unsterblichkeit des Königs und der prinzipiellen Unsterblichkeit seiner Familie, in der sie sich veranschaulichte, ein Ausdruck und eine Vermittlung erwachsen.

So hat man schon für ganz frühe Zeiten vermutet, daß großer Grundbesitz einer der Entstehungsgründe der Erbmonarchie geworden sei.

Hervorragender Reichtum verschaffte in jedem Falle dem Besitzer eine führende Stellung in der Gruppe.

Solange derselbe aber etwa nur in Herden besteht, sei er sehr gebrechlich und könne leicht wegsterben, erst wenn er immobiler Natur sei, bestehe die Chance, daß er dauernd in einer Hand bzw. in einer Familie bleibe.

Der Stabilitätscharakter des Grundbesitzes, wenn auch nur in der Hand des Führers, begünstigt so die Stabilität der Verfassungsform.

Er verschafft dem Vererbungsprinzip eine adäquate, gleichsam formgleiche Grundlage.

Schließlich drückt sich dann die Festigkeit des Staatsgedankens darin aus, daß auf seinen Domänen, das »eiserne Vieh« gehalten wird. -

Indem die Erblichkeit des Herrscheramtes dasselbe von den Qualitäten der Persönlichkeiten unabhängig macht (worin freilich auch ihre Bedenklichkeit besteht), zeigt sie deutlich, daß der Zusammenhalt der Gruppe, die Verknüpfung ihrer Funktionen zur Einheit sich verselbständigt hat, objektiv geworden ist, einen Bestand und eine Dauer für sich selbst gewonnen hat, die mit der Zufälligkeit der Persönlichkeit, die sie repräsentiert, nichts mehr zu tun haben.

Gerade der Umstand, dessentwegen man das Erbschaftsprinzip so oft sinnlos und schädlich genannt hat: daß es rein formeller Natur ist und deshalb die völlig ungeeignete Persönlichkeit genau so gut wie die geeignetste in die herrschende Stellung bringen kann, - gerade dieser hat einen sehr tiefen Sinn; denn gerade er dokumentiert, daß die Form der Gruppe, das Verhältnis zwischen Herrscher und Beherrschten, ein rein sachliches und in sich gefestetes geworden ist.

Solange der Bestand der Gruppe noch ein unsicherer und schwankender ist, kann (> 391) jene höchste, zusammenhaltende Spitze ihre Funktion nur vermöge ganz bestimmter persönlicher Eigenschaften erfüllen.

Im allgemeinen sorgt die soziale Zweckmäßigkeit auch dafür, daß in noch unstabilen Gruppen Kampf und Selektion dem Gewinn der Herrschaft vorangeht; solange die Gruppe noch unzweckmäßig organisiert ist, muß die führende Persönlichkeit um so »zweckmäßiger« sein.

Wo aber die Form, in der die Gruppe sich selbst erhält, schon fest und zweifellos geworden ist, da kann das Personalmoment vor dem formalen zurücktreten und diejenige Art der Herrschaft den Vorzug erhalten, welche die Kontinuität und prinzipielle Ewigkeit des so geformten Gruppenlebens am besten zum Ausdruck bringt; das aber ist die erbliche Herrschaft, die das Prinzip, daß der König nicht stirbt, auf die adäquateste und greifbarste Art darstellt.

-> Exkurs über das Erbamt


Die Objektivierung des Zusammenhaltes der Gruppe kann auch die persönliche Form so weit abstreifen, dass sie sich an ein sachliches Symbol knüpft, das als Ursache wie als Wirkung jenes Zusammenhaltes auftritt.

Während der Amphiktyonenbund sich an die gemeinsame Fürsorge für den delphischen Tempel anschloss, war das Panionion, der Bundestempel des ionischen Städtebundes, als das Symbol der schon bestehenden Vereinigung errichtet.

So erscheinen im deutschen Mittelalter die Reichskleinodien gleichsam als die Sichtbarkeit des Reichsgedankens und seiner Kontinuität, so dass der Besitz derselben dem Kronprätendenten einen erheblichen Vorsprung vor den Mitbewerbern verschafft, und dies einer der Gründe war, die ersichtlich gerade den Leibeserben in seiner Bewerbung unterstützten.

Es war für Heinrich I. von großem Nutzen, dass Konrad I. ihm die Kroninsignien zusandte, Kunigunde hat nach Heinrichs II. Tode durch deren Auslieferung an den rechtmäßigen neuen Herrscher diesen in seiner Stellung befestigt.

Als im Mittelalter den Bürgern der größeren Städte der Kriegsdienst unbequem wurde und sie ihn den Gesellen gegen Bezahlung zuschoben, behielten diese oft noch im Frieden die einmal eingeführte Organisation bei, indem sie das Banner behielten; denn das Banner verlieh ihrer Gemeinschaft den Charakter, selbst eine Zunft zu sein. und es ist bezeichnend, dass ein gewaltsamer Aufstand der Landauer Müller- und Bäckergesellen 1432 damit eingeleitet wurde, dass sie aus ihrer Herberge ein Banner heraussteckten.

Bei den alten Arabern führte jeder Stamm im Kriege ein Banner, waren aber mehrere zu einer Kampfeinheit vereinigt, so führten sie zusammen nur ein einziges, das ihre Einheit bedeutete und dessen Träger der vornehmste Mann im Kriege war.

Angesichts der Zerstörbarkeit eines materiellen Objekts, das diese noch dazu nicht, wie eine Person, durch die Kontinuität der Erblichkeit ausgleichen kann - ist es für die Gruppe sehr gefährlich, für ihre Selbsterhaltung eine solche Stütze zu suchen.

Manches Regiment verlor seinen Zusammenhalt, sobald seine Fahne geraubt war, vielerlei Vereinigungen lösten sich auf, als ihre Palladien, ihre Laden, ihre Grale zerstört wurden.

Weil die ungarische Krone diese symbolische Bedeutung besonders lange behielt, erregte es noch unter Josef II. heftige Unruhen, als sie einmal von Pressburg nach Wien transportiert wurde; mit der Zurückführung der Krone legten sich diese Unruhen sogleich-.

Im Mittelalter war es besonders das Siegel, dass die Einheit einer Gruppe symbolisierte und diese als eine selbständige moralische Person erscheinen ließ.

Nach einem Aufstand gegen den Kaiser Karl IV. in Frankfurt entschied sein Richter 1366 - nachdem hochverräterische Briefe der Zünfte aufgefunden waren, diese aber eidlich versicherten, dass »sie hinter ihrem Rücken besiegelt worden seien« -, dass »alle Siegel der Zünfte diesen abgenommen und nicht nur zerschlagen werden, sondern auch (> 397) der Besitz und Gebrauch von Vereinssiegeln den Zünften samt allen andern Gesellschaften für immer untersagt« bleibe.

Allenthalben erscheint aus diesem Zusammenhang heraus die Zerstörung der Palladien einer Gemeinschaft als ein durchaus reales Mittel, sie gleichsam ins Herz zu treffen, ihre Einheit aufzulösen.

Als die Gemeinde von Corbie 1308 wegen Schulden und Lasten aufgelöst wurde und ihre Rechte auf den König übergingen, nahm man den Klöppel aus der großen Glocke heraus, zum Zeichen, dass die Kommune aufgehört hatte.

Als unter Friedrich Wilhelm I. die Gesellenverbände sich den merkantilistisch-despotischen Tendenzen der Regierung zu widersetzen schienen, schrieb der Dezernent über die Gesellen an den König: »Diese Leute bilden sich ein, als ob sie ein besonderes corpus oder statum in republica formierten.«

Darum schlägt er vor, »dass die schwarzen Tafeln, Gesellenladen und ihre übrigen Götzen cum ignominia quadam zerstört würden, damit sie - kein besonderes corpus, wie sie anjetzo vermeinen, konstituieren.«

Und ein Gesetz der englischen Reaktion bestimmte 1819, dass die Abhaltung einer Versammlung with flags, banners or other emblems or ensigns mit mehrjährigem Gefängnis zu bestrafen sei.

Wo indes der soziale Zusammenhang auf diesem Wege verloren geht, kann man wohl sagen, dass er schon vorher innerlich stark gelitten haben muss, und dass in diesem Fall der Verlust des äußerlichen, die Gruppeneinheit repräsentierenden Symbols eben selbst nur das Symbol dafür ist, dass die sozialen Elemente ihre Kohärenz verloren haben.

Denn wo dies letztere nicht der Fall ist, hat der Verlust des Gruppensymbols nicht nur keine auflösende, sondern direkt eine zusammenschließende Kraft. Indem das Symbol seine körperliche Wirklichkeit einbüßt, kann es als bloßer Gedanke, Sehnsucht, Ideal, sehr viel mächtiger, tiefer, unzerstörbarer wirken.

Diese beiden entgegengesetzten Wirkungen der Zerstörung des Gruppensymbols für die Festigkeit der Gruppe lassen sich gleichzeitig an den Ergebnissen beobachten, die die Zerstörung des jüdischen Tempels durch Titus gehabt hat.

Die soziologische Bedeutung des Tempels Zions war gewesen, dass er dem rein dynamischen Zusammenhang der Juden, die den Parthern oder den Römern gehorchten, die aramäisch oder griechisch redeten, überhaupt eine Greifbarkeit als seinen Brennpunkt gewährte; was er an sich bedeutete, war hierfür ganz gleichgültig, er war nur die Sichtbarkeit einer funktionellen Gemeinschaft, die Möglichkeit einer Rückbeziehung der zerstreuten und innerlich zerrissenen Judenschaft auf einen Punkt von sozusagen realer Idealität.

Seine Zerstörung nun hat den Zweck, den jüdischen Priesterstaat aufzulösen, der für die politische Einheit des römischen Reiches ein Widerspruch und eine Gefahr war, einer Anzahl von Juden gegenüber erreicht, denen überhaupt an dieser Zentralisierung nicht viel gelegen hatte; insbesondere hat sie die Lösung der Paulinischen Christen vom Judentum kräftig gefördert.

Für die palästinischen Juden aber wurde gerade dadurch der Riss zwischen dem Judentum und der übrigen Welt vertieft, ihre national-religiöse Geschlossenheit durch diese Zerstörung ihres Symbols zu verzweiflungsvoller Kraft gesteigert.

(> 398) So wirkt die Vernichtung des Gruppensymbols nach zwei Seiten hin auf die Selbsterhaltung der Gruppe: zerstörend, wo die zusammenhaltenden Wechselwirkungen der Elemente schon an sich schwach sind, kräftigend, wo dieselben an sich so stark sind, dass sie das verlorene greifbare Symbol durch ein vergeistigtes und idealisiertes Bild ersetzen können.

Die Bedeutung eines sachlichen Symbols für die Selbsterhaltung einer Gesellschaft wird nun eine sehr gesteigerte sein, wenn dasselbe außer seinem symbolischen Sinn auch noch einen realen Besitz darstellt, wenn also die zentralisierende Wirkung des Objekts daran hängt oder dadurch vermehrt wird, dass die materiellen Interessen aller Mitglieder der Gruppe sich in ihm begegnen.

In diesem Falle wird es für die Erhaltung der Gruppe ganz besonders wichtig, den Gemeinbesitz vor Zerstörung zu sichern, ungefähr wie man es bei dem personalen Gruppenzentrum durch die Unsterblichkeit des Königs tut.

Das häufigste Mittel zu diesem Zweck ist die Tote Hand, die Bestimmung, dass das Vermögen von Korporationen, welche als solche ewig sein. sollen, nicht veräußerbar ist.

Wie die Vergänglichkeit des Individuums sich in der Zerstörbarkeit seiner Habe spiegelt, so die Unsterblichkeit der Vereinigung in der Unverlierbarkeit und Unverkäuflichkeit ihres Besitzes.

Der Besitzstand insbesondere der kirchlichen Korporationen glich so der Höhle des Löwen, in die zwar alles hinein-, aus der aber nichts wieder hinausgelangt.

Wie aber für den höheren Menschen die Unsterblichkeit keineswegs das gemeine Immer-weiter-leben-Wollen, keine Sehnsucht nach einem bloßen Lebensquantum bedeutet, sondern eine gewisse Qualität der Seele symbolisieren soll, eine nur so ausdrückbare Erhabenheit ihres Wertes über die irdischen Zufälligkeiten - so diente die Unsterblichkeit des Besitzes keineswegs nur der Habsucht der Kirche, sondern war ein Symbol der Ewigkeit des Prinzips, in dem sie zusammenhing.

Die Tote Hand schaffte den Vereinigungen einen unzerstörbaren Angel- und Zentralpunkt, ein unschätzbares Mittel der Selbsterhaltung der Gruppe.

Es unterstützte diesen Charakter der Toten Hand, dass ihr Besitz wesentlich in Grund und Boden bestand.

Im Gegensatz zu allem mobilen Besitz, insbesondere zum Gelde, zeigt der Landbesitz eine Unverrückbarkeit und Unauflösbarkeit, die ihn zum geeignetsten Inhalte der Besitzform der Toten Hand macht, und seine lokale Bestimmtheit und Festgelegtheit bewirkt es, dass die Teilhabenden an ihm den festen Punkt haben, an dem sie sich gleichsam immer orientieren und sich - sei es direkt oder in ihren Interessen - unverirrbar begegnen können.

Sie ist, über den materiellen Vorteil hinaus und freilich auch durch ihn vermittelt, ein geniales Mittel, die Gruppe als solche ihrer Form nach zusammenzuhalten und zu erhalten.

Gerade diese Tatsache aber verwickelt die Gruppe oft in einen Konflikt von typischer soziologischer Bedeutung, und zwar deshalb, weil die so in ihrer Selbsterhaltung geförderte Gruppe immer nur ein Teil einer größeren, sie einschließenden staatlichen Gesellschaft ist.

Fast alle menschliche Vergesellschaftung nämlich, welchen Inhalt und Wesen sie auch habe, laboriert daran, dass einzelne Teile (> 399) ihrer sich zu sozialen Einheiten zusammenschließen, die einen egoistischen Selbsterhaltungstrieb in sich ausbilden.

Ihre Form und Tendenz wiederholt in kleinem Maßstabe die der Totalgruppe, von der sie ein Teil sind, setzt sich aber eben dadurch oft gegen diese selbst in Widerspruch.

Die Rolle, die ihnen als Teil und Glied eines umfassenden Ganzen zukommt, verträgt sich nicht mit der, die sie selber als Ganze spielen.

Ich komme nachher auf die prinzipielle Seite dieses tragischen Verhältnisses, das sich innerhalb jeder größeren Gesellschaft wiederholt, zurück, und bemerke hier nur, wie sehr es sich an der Toten Hand ausprägt.

Während es, wie ich oben ausführte, für den Bestand einer in sich geschlossenen Totalgruppe von äußerster Wichtigkeit ist, dass sie einen Grund und Boden als festes Fundament ihrer Einheit und ihrer Abgrenzung besitzt, kann es für sie bedenklich werden, wenn ein Teil von ihr eben dasselbe für sich beansprucht.

Der so entstandene Gegensatz der Interessen zwischen dem Teil und dem Ganzen zeigte sich unmittelbar darin, dass die Tote Hand meistens Steuerfreiheit forderte und auch durchsetzte, mittelbar, aber wichtiger darin, dass es für die Staatswirtschaft häufig von Schaden war, wenn solche Besitztümer dem Flusse des Verkehrs entzogen waren.

Die moderne Verdrängung der Naturalwirtschaft durch die Geldwirtschaft lässt freilich nicht nur die Erscheinungen dominieren, die der Basierung des Lebens überhaupt auf den Grundbesitz entgegengesetzt sind; sondern sie hat schließlich dahin geführt, dass Bestimmungen, die dem Grundbesitz im Gegensatz zum Geldbesitz zukamen, auf diesen letzteren übergegangen sind.

Die katholischen Kongregationen in Frankreich z. B. haben seit Jahrzehnten ihre Liegenschaften großenteils zu Gelde gemacht, weil ihnen grade dies eine größere Sicherheit versprach: Geld lässt sich leichter verbergen, leichter Strohmännern unterschieben, leichter der Taxierung und der Besteuerung entziehen als der Grundbesitz.

Indem sie ihr Vermögen mobilisierten, behielten sie - bei den Sicherungen des modernen Rechtslebens, die die substanzielle Festigkeit des Grundbesitzes, die ehemals allein gesicherte, ersetzen - die Vorteile der früheren Form der Toten Hand, unter Vermeidung aller der Nachteile, die aus deren Starrheit und unbeweglicher Extensität folgten.

Für den Staat aber ist die Gefahr dieser Besitzanhäufungen der Toten Hand darum nicht geringer geworden; man schätzte ihren Besitz in Frankreich schon vor einigen Jahren bis zu acht Milliarden Franken - eine Vermögenssubstanz, mit der Vereinigungen sehr wohl dem Staat ein Paroli zu bieten vermögen.

Die Festigkeit des soziologischen Bestandes, die aus der Unzerstörbarkeit und Unverlierbarkeit des Besitzes quillt, wirkt als ein Pfahl im Fleische, sobald sie einen Teil einer größeren Gruppe betrifft, und was so für eben diese Teilgruppe Selbsterhaltung ist, wird vom Interessenstandpunkt der umfassenden Gruppe aus Erstarrung und Abschnürung eines organischen Gliedes, und ihrer Selbsterhaltung direkt entgegengesetzt.

Die Schädlichkeit der Toten Hand wurde sehr früh erkannt. Der Frankfurter Stadtfriede von 1318 z. B. bestimmte, dass alle Orden die Grundstücke, die ihnen geschenkt wurden, binnen Jahresfrist verkaufen müssten; es verkündet denselben Sinn, wenn das (> 400) Stadtrecht einer friesischen Stadt im 15. Jahrhundert den Geistlichen verbietet, ohne besondere Erlaubnis des Rates Häuser von Stein zu bauen.

Am charakteristischsten sind solche Erscheinungen in England, weil die Geistlichkeit sich hier, von der angelsächsischen Zeit an, dem Gemeindeleben eng verflochten und die Verpflichtung ihres Grundbesitzes zu den Gemeindelasten durchaus anerkannt hat.

Trotzdem ist schon gegen Ende des angelsächsischen Königtums die Größe des kirchlichen Grundbesitzes ein schweres Hindernis für die Staatsverwaltung, indem sie dem König die Mittel zur Entlohnung seiner Krieger entzog.

Und dieselben Bedenklichkeiten der Toten Hand für das Staatsganze wurden auch an den von der Kirche mittelbar oder nur in sehr geringem Maße abhängigen Gebilden erkannt: im Jahre 1391 erging ein englisches Gesetz, das den ewigen Korporationen, wie Gilden und Brüderschaften, den Landerwerb einfach verbot!

Von gleichem Gesichtspunkte kämpft die moderne Zeit gegen die Fideikommisse des Adels, welche den ganz entsprechenden Zweck verfolgen: für die Einheit und den Bestand der Familie ein objektives, den Wandlungen individueller Geschicke entzogenes Organ zu schaffen.

Auch hier soll in dem unveräußerlichen und unteilbaren Besitz nicht nur die ökonomische Grundlage gegeben werden, an welcher die Kontinuität der Familie unter allen Umständen sich erhält, sondern zugleich ein Mittelpunkt der Familienzusammengehörigkeit; der Bestand der Familie soll nicht nur ihren materiellen Bedingungen, sondern auch ihrer soziologischen Form nach garantiert werden.

Aber auch hier setzt sich - wenigstens nach der Ansicht Vieler - diese zentripetale. Selbsterhaltung einer kleinen Gruppe in Gegensatz zu der Selbsterhaltung des umfassenden politischen Ganzen, die zwar selbst eine absolute sein will, aber eben deshalb ihren Teilen nur eine labile und relative zugestehen kann - während eben die absolute Selbsterhaltung der Teile die des Ganzen zu einer lockeren und bedrohten macht.

Den Gedanken: dass das Vermögen der Gruppe der individuellen Verfügung entzogen und zu einem selbständigen, objektiven, alle Wechselfälle der Individuen unberührbar überdauernden Gebilde verfestigt wird - diesen Grundgedanken der Toten Hand und des Fideikommisses, mit seiner ungeheuren Bedeutung für die Erhaltung der Gruppe, suchen moderne Vereinigungen gelegentlich durch andre Formen mit demselben Zweck zu ersetzen.

So fesseln manche Vereine ihre Mitglieder dadurch, dass sie bei Austritt eines Mitgliedes demselben seinen Einschuss in die Vereinskasse nicht wiedererstatten.2)

Damit ist dokumentiert, dass die Gruppe und ihr (> 401) Interesse sich ganz jenseits der Interessensphäre des einzelnen Mitgliedes gestellt hat, dass sie ein Leben für sich lebt, dass sie die einmal darein eingetretenen Werte sich völlig aneignet, sie von ihrem individuellen Besitzer völlig loslöst und sie diesem so wenig wiedererstattet, wie ein organischer Körper die Lebensmittel, die er einmal seinem inneren Kreislauf einverleibt hat, ihrem etwaigen früheren Träger wiederzugeben imstande ist.

Die alten englischen Gewerkvereine, die nur sehr geringe Beiträge erhoben, machten die Erfahrung, dass ihre Mitglieder mit großer Leichtigkeit eintraten und ausschieden.

Mit der Erhöhung der Beiträge hat sich dies geändert.

Wenn eine Unterabteilung jetzt mit einem Verfahren des Gesamtvereins unzufrieden ist, so überlegt sie es sich ernstlich, ehe sie ausscheidet, da dies den Verlust ihres Anteils an einem erheblichen, lange aufgesammelten Vermögen mit sich bringt.

Die kontinuierliche und auf sich selbst ruhende Erhaltung der Gruppe wird durch diesen modus procedendi nicht nur unmittelbar gestützt, sondern insbesondere auch dadurch, dass derselbe in jedem Mitglied die Vorstellung von einer überindividuellen, von allen persönlichen Velleitäten unabhängigen Existenz der Gruppeneinheit psychologisch lebendig machen muss.

Auch sonst ist die »Unwiderruflichkeit« eine Technik, mit der sich die prinzipielle Einigkeit der Gruppe äußerlich realisiert und anschaulich macht.

So haben manche Gemeinschaften den Grundsatz, dass der einmal legal gefasste Beschluss überhaupt unveränderlich ist.

Eine griechische Sakralgenossenschaft, die eine vor Jahren angenommene Bestimmung  (> 402) von neuem diskutieren wollte, beginnt mit der ausdrücklichen Erklärung: es solle erlaubt sein, der früheren Festsetzung entgegengesetzt zu beschließen.

Was einmal nach den Regeln der Gemeinschaft beschlossen ist, erscheint in solchen Fällen mit ihrem Leben solidarisch, ein Stück ihres Seins und deshalb unveränderlich; ihre »Zeitlosigkeit« dokumentiert sich hierin: der frühere Moment, in dem der Beschluss gefasst wurde, ist von jedem späteren ununterschieden. -

Jene soziologische Technik der Selbsterhaltung wiederholt sich in höherer Potenz in der Bestimmung gewisser Vereine, dass auch bei ihrer Auflösung das Vereinsvermögen nicht an die Mitglieder aufgeteilt, sondern irgendeiner Vereinigung von ähnlichen Zwecken zugewandt werden soll.

Die Selbsterhaltung betrifft hier sozusagen nicht mehr die physische Existenz der Gruppe, sondern ihre Idee, welche sich ebenso in jener andern, die sie beerbt, verkörpert und deren Kontinuität eben in dem Übergang des Vermögens an jene erhalten und erwiesen werden soll.

An vielen der französischen Arbeitergenossenschaften der vierziger Jahre ist dieser Zusammenhang recht deutlich zu erkennen.

In ihren Statuten findet sich die Bestimmung, dass das Vereinsvermögen unter keinen Umständen aufgeteilt werden dürfte, und diese Idee setzt sich dahin fort, dass die Assoziationen desselben Gewerkes oft Syndikate bildeten, an welche jede ihren unteilbaren Fonds ablieferte, um so ein Gruppenvermögen zu schaffen, in dem die Beiträge der einzelnen Assoziationen so zu einer neuen und objektiven Einheit verschmolzen, wie es die Beiträge der Individuen in dem Fonds der einzelnen Assoziation taten.

Hiermit war gleichsam ein Sublimat des Gedankens dieser einzelnen Assoziationen geschaffen; das Syndikat war die verkörperte, zu selbständiger Substanz gewordene Abstraktion der sozialisierenden Interessen, welche bis dahin nur in der individuelleren, mehr durch einzelne Inhalte charakterisierten Form der Assoziationen bestanden hatten.

So war das soziale Motiv dieser Vereinigungen in eine Höhe gehoben, in der es, wenn nicht andere Mächte zerstörend gewirkt hätten, sich in voller Sicherheit vor allen individuellen und materiellen Schwankungen hätte erhalten können.

Ich komme nun zu einem weiteren Typus von Mitteln der sozialen Selbsterhaltung, der jede Anknüpfung an eine äußere Substanz abgestreift hat und rein seelisch verankert ist.

Aber innerhalb des ideellen Gebietes gibt es eine reiche Skala von Festigkeiten, die sich in ihrer Bedeutung von jenen substanziellen grundsätzlich um so weniger unterscheiden, als doch auch diese schließlich nur ihrer seelischen Bedeutung nach ihre soziologische Wirkung tun.

Am Anfang dieser Reihe stehen die Gefühle, die sich zwar auf ein soziales Objekt richten, aber doch nur subjektive Zuständlichkeiten bedeuten: Patriotismus für Staat und Stadt, Hingabe an die religiöse Gemeinschaft, Familiensinn und ähnliches.

So unermesslich bedeutsam dies alles für die Erhaltung der Gruppen ist, so bleibt es doch ganz in den Lebensprozess der Subjekte verwebt und unterscheidet sich von denjenigen sozial orientierten Vorgängen, deren Inhalt zu einem festen, wenngleich nur ideellen Gebilde geronnen (> 403) oder von einem solchen hergeleitet ist, wie die imperativische Moral, die Ehre, das Recht.

Die Sittlichkeit mag noch so autonom sein , ihre Kraft aus der Freiheit und Selbstverantwortlichkeit der Seele, ihre Inhalte aus deren individueller Unvergleichbarkeit ziehen - diese stehen doch als ein objektives Gebilde vor ihr als eine Norm», zu der die Wirklichkeit ihres Lebens die mannigfaltigsten Verhältnisse der Erfüllung und Nicht-Erfüllung besitzt.

Ebenso steht das Recht in dem, was es uns innerlich und jenseits seiner konkreten Organe bedeutet - uns als eine ideelle Objektivität gegenüber, als eine Norm, die uns rein seelisch und doch als etwas Überpersönliches bindet: denn die Zwangsmacht des Rechts (ich spreche hier wesentlich vom Gebiet des Strafrechts) geht durchaus nicht dahin, dass wir irgend etwas tun oder unterlassen müssen; das Recht kann uns nur zwingen, die Strafe für das Nicht-Tun oder Nicht-Unterlassen zu dulden, aber diese Willensinhalte selbst uns zu oktroyieren, hat es keine physische Macht.

Zwischen diesen beiden Formen, in denen die soziale Selbsterhaltung uns ihre Gebote auferlegt, steht eine dritte, deren eben dahin gehende Bedeutung ich hier als Typus untersuchen will: die Ehre.

Bringt man diese Normierungsarten auf ihren ganz spezifischen Ausdruck, unter Vorbehalt des Ineinanderverlaufens und des Austausches von Inhalten, so erwirkt das Recht äußere Zwecke durch äußere Mittel, die Sittlichkeit innere Zwecke durch innere Mittel, die Ehre äußere Zwecke durch innere Mittel.

Ordnet man sie weiterhin in die Reihe: Sittlichkeit, Ehre, Recht - so deckt jedes frühere den Umfang des folgenden, aber nicht umgekehrt.

Die vollkommene Sittlichkeit gebietet von sich aus, was Ehre und Recht fordern, die vollkommene Ehre, was das Recht verlangt, das Recht hat den geringsten Umfang.

Weil das Recht nur das fordert, worauf die Selbsterhaltung der Gruppe unbedingt nicht verzichten kann, muss es eine äußerlich zwingende Exekutive einsetzen.

Die Sittlichkeit will das gesamte Verhalten des Individuums regulieren (wovon uns hier nur das auf den sozialen Kreis bezügliche angeht) und für die Weite dieses Bezirkes lässt sich schon technisch keine dem Recht ähnliche Nötigung durchführen; sie bleibt auf das gute und böse Gewissen angewiesen.

Die Ehre nimmt eine mittlere Stellung ein: ihre Verletzung wird von Strafen bedroht, die weder die reine Innerlichkeit des moralischen Vorwurfs, noch die körperliche Gewalt der rechtlichen Sphäre besitzen.

Indem die Gesellschaft die Gebote der Ehre aufstellt und sie mit teils innerlich subjektiven, teils sozialen und äußerlich fühlbaren Konsequenzen gegen Verletzung sichert, schafft sie sich eine eigenartige Garantieform für das richtige Verhalten ihrer Mitglieder auf denjenigen praktischen Gebieten, die das Recht nicht ergreifen kann und für die die nur gewissensmässigen Garantien der Moral zu unzuverlässig sind.3)

 

Untersucht man nämlich die Vorschriften der Ehre auf ihre Inhalte hin, so zeigen sie sich durchgehends als Mittel für die Erhaltung (> 404)  eines sozialen Kreises in seinem Zusammenhalt, seinem Ansehen, der Regelmäßigkeit und Fördersamkeit seiner Lebensprozesse.

Und zwar entspricht jener Mittelstellung der Ehre zwischen Recht und Moral in bezug auf die Exekutive eine gleiche in bezug auf die Ausdehnung ihres Bereichs.

Das Recht erstreckt sich über den gesamten Umfang des Kreises, dessen vitale Interessen eine Einheit bilden; die Kräfte der Moral kreisen innerhalb des Individuums, sie schließen sich mit der Selbstverantwortlichkeit des persönlichen Gewissens ab; die Handlungen und Unterlassungen aber, die die Ehre fordert, offenbaren sich als Zweckmäßigkeiten der Sondergruppierungen, die zwischen dem großen Kreise und dem Individuum stehen.

Jede Ehre ist ursprünglich Standesehre, d. h. eine zweckmäßige Lebensform kleinerer Kreise, welche in einem größeren befasst sind, und durch die Forderung an ihre Mitglieder, die ihr Ehrbegriff deckt, ihre innere Kohäsion, ihren einheitlichen Charakter und ihren Abschluss gegen die andern Kreise eben desselben größeren Verbandes wahren.

Was uns jetzt über diese Abgrenzung hinaus als die allgemein menschliche oder, anders ausgedrückt, als die rein individuelle Ehre erscheint, ist ein abstrakter, durch die Vermischung der Standesgrenzen ermöglichter Begriff; ja, man kann keine einzige Handlung nennen, die die menschliche Ehre schlechthin, d. h. ausnahmslos jede Ehre angriffe: dem Asketen ist es Ehrensache, sich anspeien zu lassen, für die Mädchen gewisser afrikanischer Stämme ist es besonders ehrenvoll, möglichst viele Verhältnisse zu haben.

So sind denn jene spezifischen Ehrbegriffe geschlossener Kreise die wesentlichen. die Familienehre, die Offiziersehre, die kaufmännische Ehre, ja die Spitzbubenehre.

Indem das Individuum verschiedenen Kreisen angehört, kann es an verschiedenen voneinander unabhängigen Ehren teilhaben, was uns früher schon als Erscheinung sozialer »Kreuzung« wichtig wurde: es kann jemand seine kaufmännische oder als Forscher seine wissenschaftliche. Ehre unverbrüchlich bewahren, der seine Familienehre. verloren hat, und umgekehrt; der Räuber kann die Gebote seiner Verbrecherehre streng einhalten, während er jede sonstige Ehre eingebüßt hat; eine Frau kann ihre Sexualehre verloren haben, und doch in jeder andern Hinsicht die ehrenhafteste Person sein usw.

Den Ursprung der Ehre aus der Teleologie des Sonderkreises bezeichnet die hiermit schon gegebene Erscheinung, dass sie zwar gewisses fordert, andres aber gestattet, d. h. dass mit der Ehre eines bestimmten Kreises völlig verträglich und ein Adiaphoron für sie ist, was die Ehre eines andern Kreises unbedingt verbietet.

Die subtile Ehre, die das Offizierkorps ausgebildet hat, räumt eine Latitüde des sexuellen Verhaltens ein, die sich in manchen andern Kreisen nicht mit der Ehre des Mannes verträgt; die in vieler Hinsicht höchst rigorose Kaufmannsehre gestattet ein derartig übertriebenes Anpreisen der Ware, dass ein gleiches Überschreiten der Wahrhaftigkeitsgrenze einen Beamten oder Gelehrten ehrlos machen würde; am unverkennlichsten offenbart dies die Spitzbubenehre.

Genau angesehen nun sind die positiven Vorschriften der Ehre immer Bedingungen für die innere Selbsterhaltung (> 405) des Kreises, ihre Indulgenzen sind das, was jeder Kreis, vielleicht im Unterschied gegen. jeden andern, mit der Ehre seines Mitgliedes vereinbar hält; sie betreffen dessen Verhalten zu außerhalb stehenden Elementen, insoweit dies nicht etwa auf die Erhaltung des Kreises selbst zurückwirkt, die Angelegenheiten der Persönlichkeit als solcher, in denen um so viel mehr Freiheit mit dem Ehrbegriff verträglich ist, je weniger dieser in bezug auf die soziologischen Erfordernisse einräumt.

Weil es nur auf diese, und zwar nur in Hinsicht auf einen engeren, sich innerhalb eines größeren fest umschreibenden Kreises ankommt, gestattet, ja fordert die Ehre mancherlei Verhaltungsweisen, die einerseits vom Rechte - der Selbsterhaltungsforrn des großen Kreises -, andrerseits von der Moral - der inneren Selbsterhaltung des Individuums - verboten sind; wovon das krasseste Beispiel das Duell ist.

Was über den Sinn der Ehre als einer soziologischen Zweckmäßigkeit leicht täuscht, ist gerade der Umstand, mit dem diese Zweckmäßigkeit ihren höchsten Triumph feiert: dass es ihr nämlich gelungen ist, dem Individuum die Bewahrung seiner Ehre als sein innerlichstes, tiefstes, allerpersönlichstes Eigeninteresse zu infundieren.

Es gibt vielleicht keinen Punkt, an dem sich das Sozial- und das Individualinteresse derartig verschlingt, wo ein Inhalt, der allein aus dem ersteren verständlich ist, eine imperativische Form angenommen hat, die allein aus dem letzteren zu quellen scheint.

So radikal ist hiermit die Forderung des gesellschaftlichen Kreises in den Lebensgrund seines Elementes eingesenkt, dass die Ehre sogar einen Ton von Isolierung, ja, in mancher Hinsicht fast von Offensive trägt.

Sie schließt eben diejenigen Verhaltungsweisen ein, bei denen der Vorteil des Kreises nicht in dem unmittelbaren Sich-Hingeben der Einzelnen, ihrer Grenzvermischung gegeneinander, der unterschiedslosen Vereinheitlichung ihres Tuns oder Seins liegt - sondern gerade darin, dass jeder »auf sich halte«; hier ist es die gegenseitige Selbständigkeit der Teile, die das Ganzein seiner Form erhält.

Die mit dem Namen der Ehre gedeckten Interessen des gesellschaftlichen Kreises sind in einer um das Individuum gelegenen Sphäre investiert, in die kein andrer eindringen darf, ohne Repulsion zu erfahren - und sind dadurch in ihrer Realisierung durch das Individuum unvergleichlich gesichert worden.

Wie man es als die spezifische Leistung der Religion ansehen kann, dass sie dem Menschen sein eigenes Heil zur Pflicht macht - so ist es, mutatis mutandis, als die der Ehre zu bezeichnen, dass sie dem Menschen seine soziale Pflicht zu seinem individuellen Heile macht.

Darum gehen der Ehre gegenüber die Aspekte von Recht und Pflicht ineinander über: das Bewahren der Ehre ist so sehr Pflicht, dass man das Recht zu den ungeheuersten Opfern - nicht nur selbstgebrachten, sondern andern auferlegten, über andre hinweggehenden - aus ihr zieht.

Es wäre ganz unverständlich, warum die Gesellschaft denn den Einzelnen eigentlich mit so starkem sozialem und moralischem Akzent zum Bewahren dieses rein persönlichen Gutes der Ehre anhielte, wenn dies nicht die bloße Form und Technik wäre, deren Inhalt und Zweck die Erhaltung der Gruppe (> 406) ist.

Aus dieser Konstellation - und weil es sich hier eben im wesentlichen um die Erhaltung, nicht eigentlich um Fortschritt und Entwicklung handelt - ist begreiflich, dass die Gesellschaft dem Einzelnen dies Gut von vornherein mitgibt, so dass er es gar nicht zu erwerben, sondern nur nicht zu verlieren braucht: die Präsumtion ist, dass jeder es besitze.

Die Gesellschaft kann so scheinbar liberal verfahren, weil das ganze, zum Nicht-Verlieren dieses persönlichsten Besitzes erforderliche Verhalten gar keinen andern Inhalt als den sozialen hat.

Jene Präsumtion geht so weit, dass die Gesellschaft selbst dem Beleidiger, dem Ehebrecher, dem Verleumder den Kampf mit gleichen Waffen gegen den schuldlos Gekränkten gestattet; denn insofern er noch »ehrenhaft« ist, setzt man die Möglichkeit voraus, dass er doch vielleicht ein Recht zu seinem Tun hatte.

Dieses günstige Vorurteil aber hegt jeder Stand, als der soziologische Träger der Ehre, natürlich nur von seinen Mitgliedern, weshalb die Mitglieder eines andern Standes, außer den notorisch ehrlosen des eignen, nicht »satisfaktionsfähig« sind.

So bildet die Ehre, nicht trotz, sondern wegen der rein personalen Form ihrer Erscheinung und ihres Bewusstseins, eine der wunderbarsten, instinktiv herausgebildeten Zweckmäßigkeiten zur Erhaltung der Gruppenexistenz.

Von solchen Anknüpfungen der sozialen Selbsterhaltung an eine Einzelperson, an eine sachliche Substanz, an einen idealen Begriff kommen wir nun zu den Fällen, in denen sie sich an ein aus einer Mehrheit von Personen bestehendes Organ anlehnt: das objektive Prinzip, in dem ihre Einheit sich darstellt, trägt selbst wieder Gruppencharakter.

So verkörpert die religiöse Gemeinde ihren Zusammenhalt und ihr Lebensmotiv in der Priesterschaft, die politische nach innen betrachtet im Beamtentum, nach außen im Kriegerstand, dieser seinerseits wieder im Offizierkorps, jeder dauernde Verein in seinem Vorstand, jede flüchtige Vereinigung in ihrem Komitee, jede politische Partei in ihrer parlamentarischen Vertretung.

Die Bildung solcher Organe ist das Resultat soziologischer Arbeitsteilung.

Die Wechselwirkungen unter Individuen, in denen jede Vergesellschaftung besteht, und deren besondere Form den Charakter der Gruppe als solcher bestimmt, gehen ursprünglich ganz unmittelbar zwischen den einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft vor sich.

So entsteht die Einheitlichkeit des Wirkens durch direkte Verabredung oder durch gegenseitige Anpassung der Interessen; die Einheit der religiösen Gemeinde durch das nach Zusammenschluss drängende religiöse Bedürfnis eines jeden; die militärische Verfassung der Gruppe durch die Schutz- und Trutzinteressen jedes waffenfähigen Mannes; die Verwaltung der Gerechtigkeit durch unmittelbaren Urteilsspruch der Gemeinde; die Organisation nach Führenden und Geführten durch die persönlichen Vorzüge Einzelner vor den übrigen; der ökonomische Zusammenhalt durch unmittelbaren Tausch zwischen den Produzenten.4)

Allein um die sachliche Bedeutung der arbeitsteiligen sozialen Organe klarzumachen, darf man es voraussetzen - selbst wenn es nur eine Fiktion wäre, was es sicher für unzählige Fälle nicht ist.

(> 407) Diese von den Interessenten selbst ausgeübten, die soziale Einheit bewirkenden Funktionen gehen nun auf besondere Teilgruppen über.

Die Wechselwirkungen der Elemente untereinander werden dadurch ersetzt, dass jedes dieser Elemente für sich mit dem neu herausgebildeten Organ in Beziehung tritt; anders ausgedrückt: während dort, wo keine Organbildung erfolgt, die individuellen primären Elemente allein substanzielle Existenz haben, und ihr Zusammenhang ein rein funktioneller ist, gewinnt nun dieser Zusammenhang selbst einen eigenen, gesonderten Bestand, und zwar nicht nur jenseits aller Gruppenangehörigen, auf die er sich überhaupt bezieht, sondern auch jenseits derjenigen Einzelelemente, die ihn tragen oder erfüllen.

So ist der Handelsstand ein für sich bestehendes Gebilde, das als solches gleichgültig gegen allen Wechsel der Personen seine Funktionen als Vermittler zwischen den Produzenten ausübt; so besteht noch deutlicher das Amt als ein objektives Organ, durch das die einzelnen Beamten gleichsam nur traversieren und hinter dem ihre Persönlichkeiten oft genug verschwinden - vollständiger noch als beim Einzelherrscher, dessen individuelle Position mit ihrem Träger immerhin noch enger verschmolzen ist als eine pluralistische; so ist die Kirche ein unpersönlicher Organismus, dessen Funktionen von den einzelnen Priestern aufgenommen und ausgeführt, aber nicht produziert werden.

Kurz, was man früher in bezug auf die Lebewesen irrig geglaubt hat: dass das Leben, das doch tatsächlich nur eine Art der Wechselwirkung zwischen gewissen physischen Atomen ist, von einem eigenen Lebensgeist getragen werde, - das gilt als zutreffendes Gleichnis von dem sozialen Wesen: was seinem Ursprung nach eine direkte Wechselwirkung ist, das wird schließlich von einem besonderen, für sich seienden Gebilde getragen.

Aber nur als überpersönliche Totalität übt dieses Sondergebilde seine Funktion, d. h. die der Gesamtgruppe; seine einzelnen Elemente bleiben im übrigen individuelle Angehörige der letzteren und unterliegen als solche selbst den Bedingungen, unter die die Wirksamkeit jener Organe alle Elemente des Ganzen stellt: der Kaufmann muss die Gegenstände seines persönlichen Bedarfs gleichfalls kaufen, der Richter unterliegt den Gesetzen, die er exekutiert, der Steuereinnehmer muss selbst Steuern bezahlen, der Priester selbst muss beichten.

Jenseits all solcher Personalität allein vertreten diese arbeitsteiligen Gebilde die Idee oder die Kraft, die die Gruppe in, der fraglichen Beziehung zusammenhält, und verdichten diese gleichsam aus dem funktionellen in einen substanziellen Bestand.

Es ist eine der tiefstgelegenen, und für das menschliche Wesen spezifischsten Tatsachen, dass sowohl Individuen wie Gruppen erhebliche Kräfte und Förderungen aus Gebilden beziehen, welche sie selbst erst mit den dazu erforderlichen Energien und Qualitäten ausgerüstet haben.

Die Spannkräfte des Subjekts, die seiner Erhaltung und Entwicklung dienen, äußern sich oft auf dem Umwege, dass sie erst ein scheinbar objektives Gebilde konstruieren, aus dem (> 408) sie dann auf das Subjekt zurückströmen: so verfahren wir wie jemand, der sich im Kriege einen Bundesgenossen wirbt, aber alle Streitkräfte, mit denen dieser ihm zu Hilfe kommen soll, ihm erst selber stellt.

Ich erinnere an die Idee von Göttern, welche die Menschen erst mit allen möglichen, aus den eigenen Seelen geschöpften Qualitäten, Werten und Erhabenheiten ausstatten, um dann scheinbar von ihnen die sittlichen Gesetze und die Kraft zu ihrer Befolgung zu erhalten.

Ich erinnere daran, dass wir unsere eigenen Gefühle, Tiefen, Bedeutsamkeiten in die Landschaft hinein legen, um dann aus ihr Trost, Vertiefung, Anregung heimzutragen.

Ich erinnere daran, wie oft Freunde und Frauen uns intellektuell und gemütlich zu bereichern scheinen, bis wir erkennen, dass alle diese Seeleninhalte von uns selbst stammen und von jenen nur auf uns zurückgestrahlt werden.

Wenn in allen solchen Vorgängen ein Selbstbetrug liegt, so ist er sicher nicht ohne tiefe Zweckmäßigkeit.

Sicher bedürfen viele Kräfte unsres Wesens einer solchen Erweiterung, Umformung, Projizierung, um zu ihrer höchsten Verwertung zu kommen; wir müssen sie in eine gewisse Distanz von uns stellen, damit sie mit maximaler Stärke auf uns selbst wirken -- wobei die Täuschung über ihre eigentliche Quelle offenbar sehr nützlich ist, um diese Wirkung nicht zu stören.

Die Herausbildung differenzierter Organe für einzelne soziale Zwecke fällt vielfach in diesen Formtypus. die Gruppenkräfte werden in einem besonderen Gebilde konzentriert, das nun der Gruppe als Ganzem mit eigenem Bestande und Charakter entgegentritt; indem es die Gruppenzwecke fördert, scheinen selbständige Kräfte von ihm auszugehen, die nichts sind als eben die umgeformten Kräfte derselben Elemente, auf die es nun zurückwirkt.

Diese Umformung ist indes etwas durchaus Radikales und Schöpferisches.

Wir werden zwar erkennen, welche hohe Zweckmässigkeit für die sozialen Prozesse schon die blosse Vertretung der Massenhandlung durch die Aktion weniger Vertreter besitzt; allein hinter oder neben dieser Bedeutung der blossen Quantität steht eine tiefere und qualitative der Funktionsübertragung von der Gesamtgruppe auf eine kleinere, ausgewählte Teilgruppe.

Dies findet eine Analogie in der wissenschaftlichen Welterkenntnis.

Keine Wissenschaft kann die Fülle der wirklichen Vorgänge im Dasein oder der an irgendeinem Ding bestehenden qualitativen Bestimmungen erschöpfend beschreiben oder formulieren.

Wenn wir uns deshalb der Begriffe bedienen, die jene Unübersehbarkeiten in sich verdichten und gleichsam handlich machen - so ist das nicht nur eine Vertretung des Ganzen durch einen ihm im wesentlichen gleichartigen Teil; sondern der Begriff hat eine andre innere Struktur, einen andern erkenntnistheoretischen, psychologischen, metaphysischen Sinn als das Ganze der ihm unterstehenden Dinge, er projiziert dieses Ganze auf eine neue Ebene, drückt das Extensive nicht nur mit einer geringeren Extensität, sondern in einer prinzipiell andern Form aus, deren Synthesen kein Miniaturbild jener unmittelbaren Totalitätserscheinungen, sondern autonome Gebilde aus dem Material dieser sind.

So ergeben sich, wie sich zeigen wird, völlig neue, nicht nur in einer (> 409) Massreduktion bestehende soziologische Lebensphänomene, wenn sich über einer Gruppe gleichsam als ihr Extrakt oder als der allgemeine Begriff über einem Bezirk unübersehbar vieler Einzelaktionen das vertretende und führende Organ erhebt.

Von welcher Bedeutung solche Organe für die Selbsterhaltung der Gruppe sind, wird vielleicht durch Betrachtung eines gegenteiligen Beispiels am klarsten.

Die ursprüngliche genossenschaftliche Verfassung Deutschlands ist zum Teil daran zugrunde gegangen, dass die Genossenschaft keine Organe ausbildete.

Sie hatte wohl Vertreter mit einzelnen Vollmachten, aber diese waren eben rein individueller Natur; man übertrug einer einzelnen Vertrauensperson die gerade erforderliche Funktion.

Wie aber ein Vertreter dieser Art sich von einem Beamten unterscheidet, ist vom juristischen wie vom soziologischen Standpunkt aus unverkennbar, wenngleich es für unsre jetzige Untersuchung oft irrelevant ist und auch historisch genug Mischungen und Übergänge auftreten.

An dieser Stelle ist wesentlich, dass der Vertreter mehr Beziehung zu den Einzelnen und ihrer Summe und zu deren einzelnen Interessen hat, der Beamte aber mehr zu der objektiven sozialen Einheit jenseits der Individuen 5); dies letztere wird dadurch besonders formal begünstigt und verdeutlicht, dass es sich eben in der Regel um eine Beamtenschaft handelt, um eine Organisation mehrerer oder vieler, die selbst eine überpersönliche Einheit, ein den einzelnen nur wie zufällig einschliessendes Gebilde formen.

Zu solcher aber kam es in jener germanischen (>410) Frühzeit nicht.

Die Einheit der Gruppe blieb auf die unmittelbaren Wechselwirkungen der personalen Elemente beschränkt.

Sie verdichtete sich weder im ganzen zu der objektiven Staatsidee, für die jeder momentane Bestand an Individuen gleichsam nur ein Beispiel oder ein Träger wäre, noch eben deshalb zu den einzelnen Organen, von denen jedes eine besondere soziale Funktion auf sich nahm und die Gesamtheit von ihr entlastete.

Die Schädigungen für die Selbsterhaltung der Gruppe, die aus diesem Mangel entsprangen, lassen sich etwa unter die folgenden drei Hauptbegriffe subsumieren.

1. Das arbeitsteilige Organ ermöglicht eine leichtere Beweglichkeit des sozialen Körpers. Sobald für einen einzelnen Zweck die ganze Gruppe in Aktion treten muss: für politische Beschlüsse, Rechtsfindung, Verwaltungsmassregeln usw., wird diese an einer ungeheuren Schwerfälligkeit kranken, und zwar nach zwei Seiten hin.

Zunächst nach der physischen oder lokalen: damit die Gruppe als ganze wirken könne, muss sie überhaupt erst einmal sich versammeln.

Die Schwierigkeit und Langsamkeit, ja die häufige Unmöglichkeit, sie ganz und gar zusammen zu bringen, verhindert unzählige Vornahmen überhaupt, hält andre so lange auf, bis es zu spät ist.

Die ganz instinktive Zweckmässigkeit schafft in dieser Hinsicht einen Unterschied zwischen Gruppen, in denen die Schwierigkeit des Zusammenkommens besteht und in denen sie nicht besteht.

Vergleicht man die Verfassung Athens und die des achäischen Bundes: in Athen wurde dreimal monatlich Volksversammlung gehalten, und so konnte das Volk, da jeder leicht anwesend sein konnte, unmittelbar herrschen, die Beamten hatten nur seine Befehle auszuführen.

Der achäische Bund dagegen war so ausgedehnt, dass nur ein kleiner Bruchteil des Volkes zu der - jährlich zweimaligen - Versammlung kommen konnte.

So, obgleich im Prinzip der Bund gerade so demokratisch war wie Athen, mussten die Beamten mit grösserer Machtvollkommenheit und freierem Belieben ausgestattet werden, sie waren viel mehr »Beamte«, im Sinne der Träger der jenseits ihrer momentanen Elemente stehenden Gruppeneinheit.

Ist aber diese äussere Schwierigkeit des Zusammenkommens überwunden, so erhebt sich die des psychischen Zusammenkommens: Einstimmigkeit unter einer grossen Masse zu erzielen.

Jede weiter ausschauende Aktion einer Menge schleppt einen Ballast von Bedenken, Rücksichten, abseits liegenden Interessen und besonders von Interesselosigkeit Einzelner mit sich, von dem ein soziales Organ frei ist, insofern es ausschliesslich diesem einen sachlichen Zweck zu dienen bestimmt ist, und das aus relativ wenigen Personen besteht.

Solche Organe der Gruppe dienen also ihrer Selbsterhaltung durch eine gesteigerte Geschmeidigkeit und Präzision des sozialen Tuns, gegen die die Bewegungen der Totalgruppe einen starren und schleppenden Charakter tragen.6)

Diesen physisch-psychischen Schwierigkeiten (> 411) werden die Mängel der Massenaktion offenbar da zugeschrieben, wo die Vertreter nicht nach speziellen Qualifikationen und Fachkenntnissen kreiert werden.

So spricht eine Verordnung aus dem Dürkheimer Kreise am Ende des 15. Jahrhunderts von Angelegenheiten, »Welche einer ganzen Gemeinde zu verhandeln zu viel und schwer sein würden; also haben sie acht tüchtige Personen aus der Gemeinde gewählt, welche gelobten, alles das, was eine ganze Gemeinde zu verrichten gehabt, zu vertreten«.

So handelt es sich in unzähligen Fällen der einfachen Repräsentation einer Vielheit durch Wenige um dies äusserliche Moment: eine Vereinigung Weniger hat schon rein als solche, auch ohne spezifische Vorzüge, den Vorteil leichterer Beweglichkeit, schnelleren Zusammenfindens, präziserer Entschlüsse vor der vielköpfigen Menge voraus; so dass man dies als Prinzip des unspezifischen Organs bezeichnen könnte: das qualitative Mehr, das die Vertreter gegenüber der unmittelbaren Gruppenaktion leisten, ruht ausschliesslich auf ihrem quantitativen Weniger.

Der römische Staat war ursprünglich die in der Volksversammlung organisierte Gesamtheit der Bürger; und nun sagen die späteren Juristen, dass nur die Schwierigkeiten, den sehr vermehrten Populus zu Gesetzgebungszwecken an einem Ort zusammenzubringen, es ratsam gemacht haben, senatum vice populi consuli.

Am radikalsten wird der unspezifische Charakter des vertretenden oder führenden Organs damit zum Ausdruck gebracht, dass dieses nicht einmal gewählt wird, sondern die Position einfach reihum geht.

Es bedarf hierfür keiner Beispiele; besonders auffallend ist dieser Modus nur etwa in dem Falle der ersten englischen Gewerkvereine, der trade clubs, die um 1800 herum eines Ausschusses bedurften, die Mitglieder desselben aber ohne besondere Wahl »in der Reihenfolge ernannten, in der die Namen in den Büchern standen«.

Denn bei dem geistigen Standard jener Arbeiter war die (> 412) Qualifikation jedes beliebigen zur Vertreterschaft höchst zweifelhaft; so dass der mechanische Turnus hier den überwiegenden Nutzeffekt des quantitativen Momentes: dass Wenige statt der Vielen agieren -völlig rein darstellt.

Die lokale Schwierigkeit äussert sich übrigens nicht nur in Fällen einer notwendigen Versammlung der Totalgruppe; sie tritt auch bei den wirtschaftlichen Tauschen hervor.

Solange Tausch und Kauf sich nur in unmittelbarem Zusammenkommen von Produzenten und Konsumenten vollzieht, ist beides offenbar sehr unbeholfen und unvollkommen und muss durch die Schwierigkeiten dieser lokalen Bedingung ausserordentlich oft verhindert werden.

Sobald indessen der Händler dazwischen tritt, schliesslich ein Stand von Händlern den Austausch systematisiert und jede überhaupt mögliche Verbindung zwischen den wirtschaftlichen Interessenten, zustande bringt, wird offenbar der gesamte Zusammenhang der Gruppe ein unvergleichlich engerer und kräftigerer.

Das Einfügen eines neuen Organs, das sich zwischen die primären Elemente schiebt, bewirkt, wie so oft das Meer zwischen den Ländern, nicht Trennung, sondern Verbindung.

Die Einheit der Gruppe, die in der irgendwie vermittelten Verbindung jedes Gliedes mit jedem besteht, muss auf Grund der Tätigkeit des Handelsstandes eine sehr viel energischere und gründlichere werden.

Schliesslich entsteht durch die dauernde Wirksamkeit des Handelsstandes ein System von regelmässig funktionierenden, gegenseitig balanzierten Kräften und Beziehungen, als eine allgemeine Form, in die sich die einzelne Produktion und Konsumtion nur wie ein zufälliger Inhalt einfügt, und die über dieser steht, wie der Staat über dem einzelnen Bürger oder wie die Kirche über dem einzelnen Gläubigen.

Das für die Erhaltung der Lebensform der Gruppe hier und in ähnlichen Fällen besonders wichtige ist dies: dass die zur Organfunktion berufenen Elemente ihren Beruf nicht gleich aufgeben können, wenn einmal nichts zu tun ist -während die auf unmittelbare Wechselwirkung der Elemente angewiesene Verkehrsform in viel radikalerer Weise paralysiert ist, wenn jene einmal stockt, und deshalb viel grössere Schwierigkeiten momenten der Monarchie, dass der Monarch immer da und in Aktivität ist, während die Vielherrschaft auf der einen Seite Kräfte verschwendet, auf der andern völlige Lücken ihrer Daseinsbetätigung zeigt.

Wenn das Volk nicht auf der Pnyx oder im Ding versammelt war, so schlief die Staatsaktivität und musste erst geweckt werden, während der Fürst sozusagen immer wach ist.

Sobald die Wechselwirkung ein sie tragendes Organ geschaffen hat verkörpert sich in ihm, auch während jeder Unterbrechung jener, die Möglichkeit der Wiederaufnahme, und wo bei der primären Unmittelbarkeit des Verkehrs eine vielleicht nicht mehr auszufüllende Lücke entsteht, bleibt jetzt die Brücke geschlagen, die auch unbetreten die Kontinuität der Form und die Chance, sie in jedem Augenblick wieder zu aktualisieren, erhält. -

Zu den sozialpsychologischen Motiven endlich, die die Herausbildung gesonderter Sozialorgane gerade an die quantitative Ausdehnung der Gruppe knüpfen, gehört auch dieses: dass der Bezirk dessen, was allen Elementen (> 413) gemeinsam ist, um so geringer ist, um je mehr Elemente es sich handelt, weil damit natürlich die subjektive wie die objektive Vermannigfaltigung und Distanzierung unter den Individuen steigt.

Das Gemeinsame nimmt in einer sehr grossen Gruppe deshalb eine relativ unbedeutende Stellung im Einzelnen ein, seine Verschmelzung mit dem Ganzen der Persönlichkeit erstreckt sich nicht sehr weit und es ist deshalb relativ leicht herauszulösen und auf Gebilde jenseits der Summe der Individuen zu übertragen.

2. Wo die gesamte Gruppe der gleichberechtigten und gleichgestellten Elemente sich für einen speziellen Zweck in Bewegung setzen muss, da treten unvermeidlich innere Gegenstrebungen auf, von denen jede a priori das gleiche Gewicht hat und für die es an der entscheidenden Instanz fehlt.

Der adäquate Ausdruck dieses Zustandes ist es dann, wenn nicht einmal Majorität entscheidet, sondern jeder Dissentierende entweder den Beschluss überhaupt vereitelt oder wenigstens für seine Person nicht an denselben gebunden ist.

Dieser Gefahr, nicht nur für das äussere zweckmässige Handeln, sondern auch für die innere Form und Einheit der Gruppe, begegnet die Herausbildung sozialer Organe wenigstens nach zwei Seiten hin.

Zunächst wird ein Amt, eine Kommission, eine Delegation usw. grössere Sachkenntnis haben, als die Gesamtheit der anderen Personen; es werden also diejenigen Reibungen und Oppositionen, die aus blosser Sachunkenntnis entspringen, von vornherein vermindert sein.

Jene Einheitlichkeit des Tuns, die überall aus der objektiven Erkenntnis der Sachlage und dem Ausschluss der oszillierenden Subjektivität entspringt, wird der Gruppe deshalb um so mehr eigen sein, je mehr die Leitung ihrer speziellen Vornahmen einem eigens dafür designierten Organe untersteht: die Sachkenntnis bedeutet deshalb eigentlich prinzipiell schon Vereinheitlichung, weil es der subjektiven Irrungen unzählige gibt, bei objektiv richtigem Vorstellen aber alle zu demselben Resultat kommen müssen.

Nicht so auf der Hand liegt die Bedeutung eines zweiten, mit jenem indes verwandten Momentes.

Der Mangel an Sachlichkeit, der so oft die Einheitlichkeit in den Aktionen der Masse verhindert, ist nicht immer die Folge von blosser Sachunkenntnis, sondern oft auch von der sehr weitgreifenden soziologischen Tatsache, dass die Parteiungen, welche auf irgendeinem wichtigen Gebiet die Gruppe spalten, diese Spaltung auch in Entscheidungen hineintragen, die nach sachlichen, der Parteifrage überhaupt nicht berührbaren Kriterien zu fällen wären.

Die formale Tatsache der Parteiung konkurriert als Entscheidungsgrund mit der sachlichen Einsicht.

Unter den täglichen und zahllosen Beispielen hierfür ist der Typus besonders folgenreich, den die Zerspaltung einer Gruppe in zentralistische und partikularistische Tendenzen mit sich führt; denn es gibt für sie vielleicht wenig Fragen, denen nicht, ganz jenseits ihres inneren Sinnes und der Sachgründe ihrer Beantwortung, eine Bedeutung für jene Tendenzen abzugewinnen wäre.

An gewissen Kontroversen über das Armenwesen etwa tritt dies um so krasser hervor, als dieses Gebiet seinem sozialethischen Charakter nach der Parteipolitik entzogen sein sollte.

Als es sich aber im Anfang des neuen Deutschen Reiches (> 414) darum handelte, ob eine höchste Instanz für das Armenwesen nur die interterritorialen Streitigkeiten schlichten oder auch die Fälle innerhalb jedes einzelnen Staates entscheiden sollte - da kam in der Diskussion nicht sowohl die sachliche Zweckmässigkeit der einen oder der andern Massregel, als vielmehr die Tendenz der Parteien auf Partikularismus oder auf Einheit zu Worte.

Und nicht einmal das bleibt das Entscheidende, wie ein ja oder Nein, ganz abgesehen von seiner sachlichen Rechtfertigung, sich zu der prinzipiellen Ueberzeugung der Partei verhalte.

Sondern noch darüber hinaus muss die Partei bedenken, wie sich dies ja oder Nein zu der Steigerung ihrer Macht unter der momentanen Sachlage verhalte, wie diese oder jene für die Partei wichtige Persönlichkeit dadurch berührt wird, usw.

Ist dieses letztere, bei dem jegliche innere Verbindung zwischen der Tendenz der Partei und ihrem aktuellen Verfahren aufgehoben ist, gleichsam eine Unsachlichkeit zweiter Ordnung, so steigert sich dies noch zu einer solchen dritter Ordnung: die Form der Partei bewirkt oft, dass die Entscheidung überhaupt nicht mehr aus einem praktischen wie auch unsachlichen Motive erfolgt, sondern in einer, die Parteiprobleme als solche gar nicht berührenden Frage nur deshalb auf Ja fällt, weil sich der Gegner für Nein entschieden hat, und vice versa.

Die Linie, welche die Parteien in einer vitalen Angelegenheit spaltet, setzt sich durch alle möglichen sonstigen Angelegenheiten vom allgemeinsten bis zum speziellsten Charakter fort, und zwar nur, weil man mit dem Gegner in jener hauptsächlichen Frage überhaupt nicht mehr an einem Strang ziehen mag, und die blosse Tatsache, dass er sich für eine Seite irgendeines Dualismus entscheidet, schon hinreicht, um selbst die entgegengesetzte zu ergreifen.

S0 haben die Sozialdemokraten in Deutschland gegen arbeiterfreundliche Massregeln gestimmt, weil sie von andern Parteien oder von der Regierung befürwortet wurden.

Der Parteidualismus wird gleichsam zu einem Apriori der Praxis, derart, dass jedes überhaupt auftauchende Problem sich sogleich nach seinem Ja oder Nein auf die bestehenden Parteien verteilt, dass die einmal statthabende Spaltung zu einer formalen Notwendigkeit des Getrenntbleibens auswächst.

Ich nenne nur noch zwei Beispiele für die verschiedenen Typen.

Als im 19. Jahrhundert in Frankreich die Frage der Urzeugung auftauchte interessierten sich die Konservativen leidenschaftlich für deren Verneinung, die Liberalen ebenso für ihre Bejahung. Entsprechend ist es an verschiedenen Orten dem Problem der ästhetischen Volkserziehung, den verschiedenen Richtungen der Literatur u. a. gegangen.

Und wenn selbst irgendein entferntes Verhältnis der einzelnen Entscheidung zu der ganzen Weltanschauung einer Partei zu finden wäre, so wird doch das Mass der Leidenschaft und Kompromisslosigkeit für jede einzelne nur dadurch gegeben, dass die andere Partei eben die andre Richtung vertritt; und wenn ein Zufall die eine Partei etwa für die umgekehrte Richtung engagiert hätte, so würde auch die andre die entsprechende, umgekehrte, selbst wenn sie ihr eigentlich unsympathisch wäre, ergriffen haben.

Und nun das andre: Als die deutschfreisinnige Partei des Reichstages am 6. Mai 1893 sich aus Anlass der (> 415) Militärvorlage in zwei Gruppen schied, blieb die Landtagsfraktion bis in den Juli hinein beisammen. In den Landtagswahlen (Oktober) traten dann plötzlich dieselben Personen, die bis dahin zusammengewirkt hatten, als Gegner auf.

In dem neu eröffneten Landtag wurde von keiner Seite eine Meinungsverschiedenheit in irgendeiner vom Landtag zu entscheidenden Frage behauptet; aber die Trennung blieb dennoch aufrecht erhalten.

Die Sinnlosigkeit solcher Parteiungsformen tritt besonders grell, aber auch besonders häufig hervor, wenn die Gegensätze innerhalb eines engen, durch persönliche Interessen bestimmten Kreises entstanden sind und sich nun auf die Fragen des grössten Kreises fortpflanzen, über die zwar die gleichen Personen entscheiden, aber von völlig andern Gesichtspunkten aus entscheiden sollten.

In deutschen agrarischen Bezirken ist häufig beobachtet worden, dass die Bauern und die Arbeiter nur deshalb anders als der Grossgrundbesitzer zu den Parlamenten wählen, weil dieser in kommunalen Angelegenheiten ihren Wünschen entgegengetreten ist.

Was mit alledem für scharf gegeneinander konstituierte Parteien aufgezeigt ist, wird allenthalben wirksam, wo eine grössere Masse - die nicht gerade von einem momentanen Impulse gepackt ist - Massregeln ergreifen soll.

Denn unvermeidlich werden sich in ihr Parteiungen bilden, deren Macht durch den objektiven Sachverhalt nicht zu überwinden ist und sich mindestens in hemmenden Verschiebungen und Verstimmungen, Übertriebenheiten und Vernachlässigungen offenbart.

Diese Macht der Partei als blosser Form, welche sich an ihrer kontinuierlichen Fortsetzung durch die heterogensten Interessengebiete zeigt, ist eines der schwersten Hindernisse für die Einheitlichkeit, ja überhaupt für das Zustandekommen der Aktionen einer Gruppe.

Der Zerrissenheit und Hinderung, die hieraus folgt, soll die Übertragung der zu führenden Gruppenangelegenheiten an besondere Organe abhelfen.

Indem diese von vornherein von dem Gesichtspunkt des sachlich bestimmten Zweckes aus konstruiert sind, rückt dieser sogleich von den sonstigen Interessen und Meinungen der Personen psychologisch weiter ab.

Diese Gruppe besteht als solche eben nur ad hoc, und das löst im Bewusstsein des Einzelnen das hoc, das Sachliche, sehr scharf von allem los, was nichts mit ihm zu tun hat, lässt es schwerer zu den, entweder pointierten, oder naiven, Verschmelzungen mit sachlich nicht hingehörigen Tendenzen kommen.

Dadurch wird die Aktion des Organs sehr viel einheitlicher, lebhafter, zielbewusster; die Selbsterhaltung der Gruppe gewinnt in dem Masse, in dem die Kraftverschwendung aufhört, die in jenen Vermischungen und der aus ihnen folgenden gegenseitigen Paralysierung der Kräfte liegt und die bei der unmittelbaren, nicht arbeitsteiligen Besorgung der Gruppenangelegenheiten durch die ganze Gruppe unvermeidlich ist. .-

Dass dieser Vorzug nicht ohne Abzug ist, liegt auf der Hand.

Es ist freilich wahrscheinlich, dass der Beamte, sozusagen nicht aus sich, sondern aus der Idee der Gruppe heraus handelnd, pflichtmässig verfahren wird; aber auch dass er nur pflichtmässig verfahren wird.

Mit derselben Objektivität, die seine Vornahmen und Entscheidungen reguliert, (> 416) wird er auch das Mass seines Krafteinsatzes abgrenzen und seine subjektive Persönlichkeit, wie er sie nicht in den Inhalt seines Tuns einfliessen lassen darf, auch ihrem Energievorrat nach nicht weiter für dieses verbrauchen, als es objektiv normiert ist.

Und mit den bedenklicheren werden auch wertvollere Seiten der Persönlichkeit, die Herzenswärme, die Vorbehaltlosigkeit des Sich-Hingebens, das grossherzige Nicht-Unterscheiden zwischen dem eigenen und dem fremden Interesse, durch die Objektivierung des Organs abgestellt werden.

Wie Objektivität allenthalben das Korrelat der Arbeitsteilung ist, so ist, was man als die Objektivität des Beamten als solchen rühmt, eben die Folge der Differenzierung, mit der die Beamtenschaft um sachlich-spezielle, aus den Verschmelzungen und deshalb den Spaltungen des Gesamtlebens gelöste Zweckgesichtspunkte herum erwachsen ist.

3. Betrafen diese Vorzüge, die die Organbildung vor der Aktion der Totalgruppe für die Erhaltung derselben aufweist, gleichsam das Tempo und den Rhythmus der gruppenerhaltenden Prozesse, so erstrecken sie sich weiterhin auf ihre qualitativen Bestimmungen.

Hier ist nun zuerst die psychologische Konstellation entscheidend, die uns schon so oft wichtig wurde: die Gesamtaktion der Menge wird in intellektueller Hinsicht immer auf einem relativ niedrigen Niveau stehen; denn derjenige Punkt, auf den eine grosse Anzahl von Individuen sich vereinigt, muss sehr nahe an dem Niveau des Tiefststehenden unter ihnen liegen; und dies wiederum, weil jeder Hochstehende hinabsteigen, aber nicht jeder Tiefstehende hinaufsteigen kann, so dass dieser und nicht jener den Punkt angibt, an dem beide sich zusammenfinden können: was allen gemeinsam ist, kann nur der Besitz des am wenigsten Besitzenden sein.

Diese Regel, die für alle Kollektivaktionen - von einem Strassenmob bis zu gelehrten Körperschaften - von grösster Bedeutung ist, besitzt natürlich keine mechanisch-gleichmässige Gültigkeit.

Die Höhe der hochstehenden Menschen ist nicht einfach ein Plus ebenderselben Qualitäten, von denen dem Tiefstehenden ein Minus zukommt, so dass jener unter allen Umständen besässe, was dieser besitzt, aber dieser nicht, was jener.

Vielmehr, der superiore Mensch ist von dem untergeordneten in manchen Hinsichten so sehr der Art nach unterschieden, dass er in ihnen sich überhaupt nicht auf dessen Standpunkt begeben kann, weder der Wirklichkeit nach, noch dem Begreifen nach: wenn der Kammerdiener den Helden nicht versteht, so versteht auch der Held den Kammerdiener nicht.

Nur der räumlich-symbolische Ausdruck des Hoch- und Niedrigstehens lässt hier an einen blossen Massunterschied glauben, so dass der höhere Mensch nur seinen Überschuss abzustellen brauchte, um sich mit dem niederen auf einem Niveau zusammenfinden.

Indes kann es bei Bestehen eines so generellen Unterschiedes, der durch kein Sich-Herabstimmen und keine Paralysierung eines quantitativen Überwiegens in eine Einheit übergehen kann, auch zu keiner eigentlichen Kollektivhandlung kommen.

Es mag hier der eine äusserlich etwas mit dem andern mitmachen, aber das geschieht nur mit Energien oder Teilen der Persönlichkeit, die nicht solche der wirklichen Persönlichkeit sind.

Soll eine Mehrheit (> 417) wirklich zusammenhandeln, so wird es nur nach denjenigen Richtungen geschehen, die ein Herabsteigen des Höheren zu dem Niveau des Tieferen ermöglichen.

Deshalb ist es schon ein optimistischer Irrtum, wenn man ein solches soziales Niveau als das »durchschnittliche« bezeichnet; nicht nach dem Durchschnitt, dem Mittleren zwischen den höchsten und den tiefsten Elementen, sondern nach diesen letzteren zu muss der Charakter einer Gruppenhandlung gravitieren.

Dies ist eine zu allen Zeiten bestätigte Erfahrung - von Solon an, der von den Athenern sagte, jeder einzelne sei ein schlauer Fuchs, aber auf der Pnyx seien sie eine Herde Schafe, bis zu Friedrich dem Grossen, der seine Generale für die vernünftigsten Leute erklärte, wenn er mit jedem allein spräche, aber für Schafsköpfe, wenn sie zu einem Kriegsrat versammelt wären; was dann Schiller zu dem Epigramm. zusammenfasste, dass leidlich kluge und verständige Leute in corpore zu einem Dummkopf würden.

Das ist nicht nur der Erfolg jener fatalen Nivellierung nach unten zu, die die Kooperation einer Masse bedingt. Sondern es liegt auch daran, dass in einer versammelten Menge den temperamentvollsten, radikalsten, lungenkräftigsten Elementen die Führung zufallen wird, nicht aber den intellektuell bedeutendsten, denen sehr oft die leidenschaftliche Subjektivität, die mitreissende Suggestivkraft fehlt.

»Weil nun die Verständigen zurücktreten und schweigen, sagt Dio Chrysostomos zu den Alexandrinern, darum entstehen bei euch die ewigen Streitigkeiten, die zügellosen Reden, die Verdächtigungen«.

Wo Erregung und Äusserung von Gefühlen in Frage steht, gilt diese Norm nicht, weil sich in einer aktuell zusammen befindlichen Masse eine gewisse Kollektivnervosität erzeugt - ein Mitgerissen-Werden des Gefühls, gegenseitig ausgeübte Stimulierungen -, so dass eine momentane Erhöhung der Individuen über die durchschnittliche Intensität ihrer Gefühle erfolgen mag.

Wenn deshalb Karl Maria von Weber über das grosse Publikum sagt: »Der Einzelne ist ein Esel, und das Ganze ist doch Gottes Stimme« - so ist dies die Erfahrung eines Musikers, der an das Gefühl der Masse appelliert, nicht an ihre Intellektualität.

Diese vielmehr bleibt an jenes undurchschnittliche Niveau gefesselt, auf dem der Höchste und der Niedrigste sich zusammenfinden kann, und das einer erheblichen Steigerung erfahrungsmässig wohl auf dem Gebiet des Gefühls und der Willensimpulse, aber nicht auf dem des Intellekts zugänglich ist. Während nun die Erhaltung der Gruppe einerseits auf den unmittelbaren Verhältnissen von Individuum zu Individuum beruht und in diesen jeder Mensch den ganzen, ihm überhaupt eigenen Intellekt voll entfaltet, ist dies andrerseits in denjenigen Angelegenheiten absolut nicht der Fall, wo die Gruppe als Einheit zu handeln hat.

Man kann jenes die molekularen, dieses die molaren Bewegungen der Gruppe nennen; in jenen ist eine Vertretung der Individuen prinzipiell weder möglich noch erforderlich; in diesen ist beides der Fall.

Die Erfahrung der grossen englischen Gewerkvereine - um ein Beispiel von unzähligen zu nennen - hat gezeigt, dass die Massenversammlungen oft die törichtsten und verderblichsten Beschlüsse fassen (man nannte die aggregate meetings (> 418) darum aggravated meetings), und die meisten von ihnen haben sie zugunsten von Delegiertenversammlungen aufgegeben.

Wo eine grössere Gruppe ihre Angelegenheiten unmittelbar selbst führt, da hält die Notwendigkeit, dass ein jeder die Massregel einigermassen begreife und billige, dieselbe an der Norm der Trivialität fest; erst wenn sie einer aus relativ wenigen Personen bestehenden Organisation übergeben ist, kann in ihrer Behandlung das spezifische Talent zur Geltung kommen.

Begabung und Sachkenntnis, wie sie immer nur wenigen unter den Vielen eigen sind, müssen innerhalb der beschliessenden Gesamtgruppe sich, im besten Falle, ihren Einfluss jedes Mal erkämpfen, während sie denselben innerhalb des differenzierten Organs wenigstens prinzipiell unbestritten besitzen.7)

Darin liegt die Überlegenheit des Parlamentarismus vor dem Plebiszit.

Man hat bemerkt, dass unmittelbare Volksabstimmungen selten eine Majorität für originelle und kühne Massregeln zeigen, dass diese vielmehr meistens auf der Seite der Ängstlichkeit, Bequemlichkeit, Trivialität ist.

Der einzelne Vertreter, den die Masse wählt, besitzt noch personale Qualitäten ausser denjenigen, die - besonders in. den Epochen reiner Parteiwahlen - im Bewusstsein der wählenden Menge sind.

Er bringt etwas hinzu, was ausserhalb dessen steht, (> 419) das eigentlich an ihm gewählt ist.

Einer der vorzüglichsten Kenner des englischen Parlamentes sagt darum, es gelte für einen Abgeordneten als Ehrensache, die Wünsche seiner Wählerschaft nicht zum Ausdruck zu bringen, wenn er dies nicht mit seiner Überzeugung vereinigen könnte.

So können in Parlamenten persönliche Talente und intellektuelle Nuancierungen, wie sie sich nur an Einzelsubjekten finden, erheblichen Einfluss gewinnen, und sogar über die Trennung in Parteien hinweg, die die Einheit der Gruppe so oft bedrohen, ihrer Erhaltung dienen.

Freilich leidet die Wirksamkeit des personalen Prinzipes im Parlamente an neuen Nivellierungen: einmal, weil das Parlament, zu dem der Einzelne spricht, selbst eine relativ grosse Körperschaft ist, die äusserst verschiedene Parteien und Individuen einschliesst, so dass die Punkte gemeinsamen und gegenseitigen Verständnisses in der intellektuellen Skala nur recht niedrig liegen können.

(Bei wie geistig unerheblichen Scherzen z. B. verzeichnen die Parlamentsberichte: Heiterkeit!)

Zweitens, weil der Einzelne einer Partei angehört, die als solche nicht auf einem individuellen, sondern auf einem sozialen Niveau steht und die seine parlamentarischen Betätigungen gleich an ihrer Quelle nivelliert; weshalb denn auch alle parlamentarischen und parlamentsähnlichen Vertretungen in ihrem Werte herabgesetzt sind, sobald sie imperativische Mandate haben, nur die Transportmittel sind, um die »Stimmen« der »Masse« mechanisch an einem Ort zusammen zu bringen.

Drittens, weil der Abgeordnete mittelbar, aber doch absichtlich zum ganzen Lande spricht.

Wie sehr dies gerade den inneren Charakter der Äusserungen bestimmt, sieht man daraus, dass das Gerichtetsein der parlamentarischen Reden an die Nation als ganze in England schon im 17. Jahrhundert etwas ganz Klares und Bewusstes ist - obgleich damals noch an keine Veröffentlichung der Debatten zu denken war.

Die Notwendigkeit aber, es einer Masse recht zu machen, verdirbt nicht nur den »Charakter«, wie es Bismarck von der Politik gesagt hat und wie es, trotz aller gerechten Korrekturen, die sittliche Labilität des Schauspielertums zeigt, sondern es unterbindet auch unendlich oft die Feinheit und Besonderheit der intellektuellen Aeusserungen.

Die Vertreter der Masse scheinen als solche etwas von der Unzurechnungsfähigkeit der Masse selbst zu haben - wozu ein gewisser Machtkitzel, die Unverantwortlichkeit, eine Unbalanciertheit zwischen der Bedeutung der Persönlichkeit und der der Ideen und Interessen, die sie vertritt, endlich etwas sehr Unlogisches, aber psychologisch doch Begreifliches zusammenwirken: nämlich gerade das Bewusstsein, im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit zu stehen.

Ohne Momente dieser Art hinzuzuziehen, könnte man die Gassenbubenszenen nicht begreifen, die in manchen Parlamenten etwas schlechthin Gewöhnliches, und in sehr wenigen etwas schlechthin Ungewöhnliches sind.

Schon der Kardinal Retz bemerkt in seinen Memoiren, wo er das Pariser Parlament zur Zeit der Fronde beschreibt, dass derartige Körperschaften, wenn sie auch noch so viel hochstehende und gebildete Personen einschliessen, bei gemeinschaftlichem Beraten immer wie der Pöbel handeln.

Diese Abzüge vom intellektuellen Vorteile der Organbildung sind (> 420) indes nur mit dem Parlamentarismus verbunden und treffen nicht ihre sonstigen Formen.

Ja, eben diese Nachteile bilden, wie die Entwicklung des Parlamentarismus zeigt, auf höherer Stufe gerade einen Beweis für die Notwendigkeit der Organbildung.

In England führte die Unmöglichkeit, mit einer so zahlreichen, heterogenen, unbeständigen und doch zugleich schwer beweglichen Körperschaft, wie das House of Commons war, zu regieren, am Ende des 17. Jahrhunderts zu der Bildung des Ministeriums.

Das englische Ministerium ist tatsächlich ein Organ des Parlaments, das sich zu diesem ungefähr so verhält wie das Parlament selbst zu dem ganzen Lande.

Indem es aus führenden Mitgliedern des Parlaments gebildet wird und die jeweilige Majorität desselben repräsentiert, vereinigt es die Gesamttendenz der grössten Gruppe - die es gleichsam in sublimierter Form darstellt - mit den Vorteilen individueller Begabung, wie sie nur bei der Führung durch Einzelpersönlichkeiten und innerhalb einer so wenig zahlreichen Vereinigung wie ein Ministerium ist, zur Geltung kommen können.

Das englische Ministerium ist ein geniales Mittel, durch weitere Konzentrierung des differenzierten Organs diejenigen Mängel auszugleichen, mit denen das letztere die Unzulänglichkeit der Gesamtgruppenaktion wiederholt, zu deren Vermeidung es gerade gebildet war.

In andrer Weise haben die englischen Gewerkvereine die Vorteile der parlamentarischen Form durch ihre Nachteile hindurch gerettet.

Mit ihrer Vertreterversammlung, ihrem »Parlament« allein konnten sie sich nicht recht verwalten, mit besoldeten Beamten aber glaubten sie sich einer schwer kontrollierbaren Bureaukratie ausgeliefert.

Die grossen Gewerkvereine halfen sich nun so, dass sie neben den Beamten des Gesamtvereins solche für die Distrikte anstellten und diese in das Parlament, das die ersteren zu kontrollieren hat, delegierten.

Die letzteren haben durch ihre enge Verbindung mit ihren besonderen Wählerschaften ganz andre Interessen und Aufgaben, als die Beamten der Föderation, was sie hindert, mit diesen zusammen eine einheitliche Bureaukratie zu bilden.

Die zwei Positionen: als Vertreter eines Distriktes und als dessen angestellter Beamter bilden wechselseitige Gegengewichte und die Funktion, die im Landesparlament das Ministerium übt. ist vermöge dieser Einrichtung durch das Parlament selbst hin verteilt - eine soziologische Formung, die in primitiverer Art der »Rat« der deutschen Städte, wie er im 12. Jahrhundert überall entstand, antizipiert hatte.

Denn als dessen Wesen wird es bezeichnet, dass er den Fortschritt von einem entweder bloss vertretenden oder bloss herrschenden Beamtentum zu einem zugleich vertretenden und herrschenden darstelle.

Indem der Rat regierte, tat er es doch als Organ, nicht als Herr - was sich damit symbolisierte, dass er der Stadt schwur. -

Und hier tritt ein Versuch auf, mit einer ganz andern Technik, als sie das Verhältnis des englischen Ministeriums zum Parlament bestimmt, und doch mit der formgleichen Teleologie, die Vorteile einer engen Gruppe mit denen einer weiteren in bezug auf das praktische Regiment zu vereinigen.

Der Frankfurter Rat bestand eine Zeitlang, um das Jahr 1400 herum, aus 63 Mitgliedern, von denen aber immer nur ein Drittel wirklich die Geschäfte führte, (> 421), und zwar in regelmässigem einjährigem Turnus; in wichtigen Fällen war aber der amtierende Teil berechtigt, einen oder beide andre hinzuzuziehen.

Hierdurch wurden die Vorteile erreicht, die an eine grosse Zahl von Ratsmitgliedern gebunden waren: das Vertrauen der Bürgerschaft, die Vertretung vielseitiger Interessen, die gegenseitige, der Kliquenwirtschaft entgegenarbeitende Kontrolle; zugleich aber auch die, die sich gerade an eine numerische Beschränkung des Organes knüpfen, die straffere Zentralisation, die Leichtigkeit der Verständigung, die billigere Verwaltung. -

Der Beweis für die Notwendigkeit jener, über das Parlament hinauswachsenden Organbildung ist nicht weniger ex contrario zu führen.

Die ungeheure Verschwendung von Zeit und Mitteln, mit der in Nordamerika die Staatsmaschine sich vorwärts bewegt, schiebt einer ihrer besten Kenner darauf, dass die öffentliche Meinung alles machen soll, aber keine derartig führende Potenz sich gegenüber hat, wie es in Europa die Ministerien seien.

Weder im Kongress noch in dem Parlament eines Einzelstaates sitzen Regierungsbeamte mit ministerieller Autorität, deren spezielle Pflicht und Lebensaufgabe es wäre, die Initiative auf noch nicht betretenen Gebieten zu ergreifen, die Behandlung der Geschäfte durch leitende Ideen zu vereinheitlichen, die Verantwortung für Erhaltung und Fortschritt des Ganzen zu tragen - kurz, dasjenige zu leisten, was nur Individuen als solche leisten können, und was, wie dieses Beispiel zeigt, durch die Gesamtaktion der primären Gruppenelemente - hier in der Form der »öffentlichen Meinung« - gar nicht ersetzt werden kann.

-> Exkurs über Sozialpsychologie


Die angeführten Momente vereinigen sich, um eine Gesellschaft ohne Organbildung den lockernden und zerstörenden Kräften auszusetzen, welche jede soziale Struktur in ihrem eigenen Innern erzeugt.

Dafür ist u. a. entscheidend, dass die Persönlichkeiten, die antisozial und destruktiv, besonders einer bestimmten bestehenden Sozialform gegenüber wirken, sich in der Regel ganz diesem Kampf widmen, auch wenn es ein indirekter ist.

Ihrer ganzen Persönlichkeit, die sie einsetzen, müssen auch ganze Persönlichkeiten zur Verteidigung der bestehenden Ordnung entgegentreten.

Die Totalität des Menschen entwickelt eben spezifische Kräfte, die nicht durch Summierung der Teilkräfte vieler Individuen aufgewogen werden können.

Darum bedarf die soziale Selbsterhaltung nun der Organbildung vor allem auch gegenüber starken individuellen Mächten, die nicht eigentlich zerstörerisch und als sozial negative Potenzen wirken, sondern die die Gruppe zu unterwerfen trachten.

Dass die evangelische Kirche den Fürsten gegenüber widerstandslos war und ihre Souveränität als soziologisches Gebilde unendlich viel weniger als die katholische zu wahren vermochte, scheint mir zum großen Teil daran zu liegen, dass sie nach ihrem ganzen individualistischen, auf den persönlichen Glauben des Einzelnen gebauten Prinzip nicht den überindividuellen, objektiven Geist ausbilden konnte, den die katholische Kirche in ihren Organen anschaulich und wirksam werden ließ: nicht nur in der festgefügten Hierarchie, deren persönliche Spitze gerade dem Fürstentum ein formales Paroli zu bieten vermochte, sondern in dem Mönchstum, das die Strenge seiner kirchlichen Zusammengehaltenheit und Teleologie in wunderbar kluger Weise mit der großen Mannigfaltigkeit seiner Beziehungen zur Laienwelt verband: als heilig-ideales Beispiel, als Prediger, Beichtiger, als Bettler.

Eine Schar von Bettelmönchen war ein Organ der Kirche, mit dem ein Fürst schlecht kämpfen konnte und dem die evangelische Kirche kein annähernd wirksames an die Seite stellte.

Solcher Mangel an Ausbildung von Organen wurde gerade in dem Fall, an den ich diese ganze Erörterung anknüpfte, zum Verhängnis: für die altgermanische Genossenschaftsverfassung.

Denn jenen starken Herrscherpersönlichkeiten, wie sie in und nach dem Mittelalter in den lokalen und zentralen Fürstentümern auftauchten, war sie nicht gewachsen.

Sie ging zugrunde, weil ihr fehlte was nur von individuellen Kräften getragene Organe einer Gesellschaft sichern können: Schnelligkeit der Entschlüsse, bedingungslose Zusammennahme aller Kräfte und jene höchste Intellektualität, die immer nur von Individuen entwickelt wird - sei (> 426) es nun, dass deren Motiv der Wille zur Macht oder das Verantwortlichkeitsgefühl ist.

Sie hätte des »Beamten« (im weitesten Sinne) bedurft, dessen soziologisches Wesen es ist, das »soziale Niveau« in der Form der individuellen Intellektualität und Aktivität zu vertreten oder zu ihr heraufzubilden.

Diese zweckmäßige Entferntheit des Organs der Gruppe von ihrer unmittelbaren Aktion geht so weit, dass bei Beamten, deren Funktionen den Charakter der unmittelbaren Verantwortung, Beweglichkeit, summarischen Entschließung tragen, selbst die Wahl durch eine Gemeinde nicht angezeigt ist, sondern nur die Anstellung durch die Regierung.

Der unmittelbaren Gesamtheit fehlt die besondere, hier nötige Objektivität; nach welchem Modus sie auch wähle, stets ist es die Partei, also die Summe subjektiver Überzeugungen, die entscheidet.

Als im 14. Jahrhundert in England das vor der Gemeinde und durch sie geführte Gerichtsverfahren sich als immer ungeeigneter herausstellte, den erweiterten Kreis der polizeilichen Aufgaben zu erfüllen, und die Notwendigkeit von Einzelbeamten unverkennbar wurde, die sich dann allmählich zu den »Friedensrichtern« formten - wollten die Stände durchaus deren Wahl für sich beanspruchen.

Sie wurden aber immer zurückgewiesen und, wie der Erfolg zeigte, mit Recht.

Gerade seit dem Beginn des Parlamentarismus wurde unverbrüchlich daran festgehalten, dass alle Gerichtsgewalt nur aus Ernennung, niemals aus Wahl hervorgehen dürfe; deshalb hat die englische Krone auch schon früh die höchsten Richter selbst besoldet und hat, als das Parlament sich einmal erbot, seinerseits die Gehälter zu bezahlen, diesen Vorschlag abgelehnt.

Dadurch, dass die Regierung den Beamten ernennt, ist sein Organcharakter gleichsam in die zweite Potenz erhoben - entsprechend der allgemeinen Kulturentwicklung, in der die Ziele der Menschen durch einen immer reicher gegliederten Bau von Mitteln, durch das immer häufigere Einschieben von Mitteln der Mittel erreicht werden, aber trotz dieses scheinbaren Umweges dennoch sicherer und in weiterem Umfange als durch die Unmittelbarkeit des primitiven Verfahrens.

Andrerseits wird nun die Selbsterhaltung der Gruppe davon abhängen, dass das so herausdifferenzierte Organ keine absolute Selbständigkeit erhalte.

Es muss vielmehr die Idee immer wirksam (wenngleich keineswegs immer bewusst) bleiben, dass es sich hier doch nur um verkörperte Abstraktion der Wechselwirkungen in der Gruppe selbst handelt, dass diese schließlich die Grundlage bleiben, deren latente Energien, Entwicklungen, Zwecke in jenen Organen nur eine besonders praktische Form, eine Steigerung und Bereicherung durch die spezifischen Leistungen der Individualität erhalten.

Das Organ darf nicht vergessen, dass seine Unabhängigkeit nur seiner Abhängigkeit dienen soll, dass sein Charakter als Selbstzweck nur ein Mittel ist.

So kann es sogar kommen, dass die Organfunktion nach manchen Seiten hin vollkommen geübt wird, wenn sie nicht die gesamte Existenz des Funktionärs ausfüllt, sondern die Art eines Nebenamts bewahrt.

Die ältesten Bischöfe waren Laien, die .ihre Stellung in der Gemeinde als Ehrenamt inne hatten.

Gerade so (> 427) aber konnten sie reiner und unweltlicher ihrem Amte leben, als später, wo dies ein selbständig differenzierter Beruf wurde.

Denn damit wurde es unvermeidlich, dass die Formen des Berufsbeamtentums, die die Weltlichkeit ausgebildet hatte, nun auch auf den Geistlichen Anwendung fanden; wirtschaftliche Interessen, hierarchische Gliederungen, Herrschsucht, Verhältnisse zu äußeren Mächten mussten sich dadurch der rein religiösen Funktion anbilden.

Insofern gewährt das Nebenamt eine reinere Sachlichkeit der Funktion, gerade die Form des Hauptberufes kann außersachliche soziologische und materielle Konsequenzen mit sich bringen.

So ist der Dilettant oft der Kunst reiner und selbstloser hingegeben als der Professional, der auch von ihr leben muss, so ist die Liebe eines Liebespaares oft von reiner erotischem Charakter als die eines Ehepaares.

Dies ist natürlich eine exzeptionelle Formung, die nur zu der Begründung davon überleiten soll, dass die Verselbständigung und Lösung eines Organes aus der Abhängigkeit von dem Gesamtleben der Gruppe seine erhaltende Wirkung gelegentlich in eine zerstörende wandeln kann.

Ich führe hierfür zwei Typen von Gründen an.

Erstens. Wenn das Organ ein zu starkes Selbstleben gewinnt und sein Wertakzent nicht mehr auf dem liegt, was es der Gruppe leistet, sondern was es für sich selbst ist - so kann seine Selbsterhaltung mit der der Gruppe selbst in Konflikt kommen.

Ein meistens harmloser, aber gerade deshalb den Typus sehr rein repräsentierender Fall dieser Art ist die Bureaukratie.

Das Bureauwesen, eine formale Organisation zur Durchführung einer ausgedehnteren Verwaltung, bildet in sich einen Schematismus aus, der mit den variablen Erfordernissen des praktisch sozialen Lebens sehr oft kollidiert, und zwar einerseits, weil das Fachwerk des Bureauwesens nicht auf sehr individuelle und komplizierte Fälle eingerichtet ist, die nun dennoch innerhalb seiner erledigt werden müssen, andrerseits, weil das Tempo, in dem die Bureaumaschinerie allein arbeiten kann, oft in schreiendem Widerspruch gegen die Dringlichkeit des einzelnen Falles steht.

Wenn nun ein nur unter solchen Unzuträglichkeiten funktionierendes Gebilde seine Rolle als bloß dienendes Organ vergisst und sich als Selbstzweck seiner Existenz gebärdet, so muss die Differenz zwischen seinen Lebensformen und denen der Totalgruppe sich zu einer direkten Schädigung der letzteren zuspitzen.

Die Selbsterhaltungen beider sind nicht mehr miteinander verträglich.

Man könnte in dieser Hinsicht den bureaukratischen Schematismus mit dem logischen vergleichen, der sich zu dem Erkennen der Wirklichkeit überhaupt verhält wie jene zu der staatlichen Verwaltung: eine Form und ein Werkzeug, unentbehrlich in der organischen Verbindung mit den Inhalten, die es zu gestalten berufen ist, in denen aber auch sein ganzer Sinn und Zweck liegt.

Wenn die Logik indes sich als selbständige Erkenntnis auftut, und ohne Rücksicht auf die realen Inhalte, deren bloße Form sie ist, sich anmaßt, ein abgeschlossenes Wissen aus sich selbst aufzubauen, so konstruiert sie sich eine Welt, die mit der wirklichen in erheblichem Gegensatz zu stehen pflegt.

Die logischen Formen in ihrer Abstraktion zu einer besonderen Wissenschaft sind ein (> 428) bloßes Organ der Totalerkenntnis der Dinge; sobald sie statt dieser Rolle eine völlige Selbstgenugsamkeit erstrebt und sich für den Abschluss statt für ein Mittel der Erkenntnis hält, so ist sie für die Erhaltung, den Ausbau und die Einheit der Gesamtheit des Erkennens so hemmend, wie es gelegentlich der bureaukratische Schematismus gegenüber der Gesamtheit der.Gruppeninteressen werden kann«

Darum hat man von dem Kollegienwesen und dem »Provinzialsystem« gesagt, es wäre zwar minder konsequent, sachkennerisch, verschwiegen, als das bureaukratische Fachsystem; dafür aber milder und rücksichtsvoller, geneigter, die Person des Untertanen und die für sie etwa angezeigte Ausnahme von der unerbittlichen Regel gelten zu lassen.

Es ist in diesen Systemen eben die abstrakt staatliche Funktion noch nicht so objektiv und selbstherrlich geworden, wie in der Bureaukratie.

Ja sogar das Recht entgeht dieser soziologischen Konstellation nicht immer.

Es ist von vornherein nichts andres als diejenige Form der gegenseitigen Beziehungen der Gruppenmitglieder, die sich als die notwendigste für den Bestand der Gruppe herausgestellt hat; sie genügt für sich allein nicht, diesen Bestand oder gar den Fortschritt der Gesellschaft zu gewährleisten, aber sie ist das Minimum, das als Grundlage jeder Gruppenexistenz bewahrt werden muss.

Die Organbildung ist hier eine doppelte: aus den tatsächlich geforderten und allermeistens wirklich geübten Handlungen differenziert sich »das Recht«, die abstrahierte Form und Norm dieser Handlungen, logisch verbunden und vervollständigt, welche dem wirklichen Handeln nun maßgebend gegenübersteht.

Dieses ideelle, der Selbsterhaltung der Gruppe dienende Organ braucht nun aber zu seiner Wirksamkeit gegenüber Verstößen noch eines konkreten Organs; technische Gründe heben jene ursprüngliche Einheit auf, in der entweder der pater familias oder die versammelte Gruppe die Rechtsprechung vollzog, -und verlangen einen besonderen Stand, um die Aufrechterhaltung jener Normen in dem Verkehr der Gruppenelemente zu sichern.

So zweckmäßig und unentbehrlich nun sowohl jene Abstraktion des Gruppenverhaltens zu einem logisch geschlossenen System von Gesetzen, wie die Verkörperung seines Inhaltes in einem Richterstand, ist, so unvermeidlich bringt beides doch die Gefahr mit sich, dass gerade die so nötige Festigkeit und innere Geschlossenheit dieser Bildungen gelegentlich in Gegensatz zu den fortschreitenden oder individuell komplizierten realen Verhältnissen und Erfordernissen der Gruppe trete.

Das Recht erlangt durch die logische Kohäsion seines Baues und die Würde seiner verwaltenden Organe nicht nur eine tatsächliche und durch seinen Zweck in weitem Umfang erforderliche Selbständigkeit, sondern es schöpft aus sich selbst - freilich durch einen circulus vitiosus - das Recht auf unbedingte und von allen Rücksichten gelöste Selbsterhaltung.

Indem nun gelegentlich die konkrete Lage der Gruppe andre Bedingungen für die Selbsterhaltung dieser fordert, entstehen die Situationen, die man durch die Worte. fiat iustitia, pereat mundus und summum jus summa injuria ausgedrückt hat.

Die Biegsamkeit und Schmiegsamkeit, die das Recht vermöge seines bloßen Organcharakters haben soll, sucht (> 429) man freilich durch den Spielraum zu erreichen, den es dem Richter in der Anwendung und Interpretation des Gesetzes lässt.

An der Grenze dieses Spielraumes liegen jene Fälle der Kollision zwischen den Selbsterhaltungen des Rechtes und denen der Gruppe, die hier nur als Beispiel der Tatsache dienen sollen: dass gerade die Festigkeit und Selbständigkeit, die die Gruppe ihren Organen um ihrer eigenen Erhaltung willen zugestehen muss, den Organcharakter derselben verwischen können und dass die Autonomie und Starrheit des Organs, das sich selbst als Ganzes geriert, in eine Schädigung der Gruppentotalität umschlagen kann.

Bei der Bureaukratie wie bei dem Formalismus des Rechtes ist dieses Auswachsen eines Organs zu selbstherrlicher Totalität um so gefährlicher, als es den Schein und Vorwand hat, dass es doch um des Ganzen willen stattfinde.

Das ist eine Tragik jeder höheren sozialen Entwicklung: dass die Gruppe um ihrer eigenen, kollektiv-egoistischen Zwecke willen die Organe mit der Selbständigkeit ausstatten muss, die diesen Zwecken oft wieder entgegenwirkt.

Auch die Stellung des Militärs kann gelegentlich diese soziologische Form verwirklichen; denn dieses, ein arbeitsteiliges Organ für die Selbsterhaltung der Gruppe, muss aus technischen Gründen selbst so sehr wie möglich ein Organismus sein; die Züchtung seiner Berufsqualitäten, besonders sein enger, innerer Zusammenhalt fordert einen energischen Abschluss gegen die übrigen Stände - anhebend von dem besonderen Ehrbegriff des Offizierkorps bis zu der Besonderheit der Bekleidung.

So sehr diese Verselbständigung des Militärs zu einer spezifischen Lebenseinheit im Interesse des Ganzen liegt, so kann dieselbe doch eine Absolutheit und Starrheit annehmen, welche das Militär als einen Staat im Staate aus den Zusammenhängen der Gruppe überhaupt löst und so die Verbindung mit den Wurzeln zerstört, aus denen ihm schließlich doch allein seine Kraft und Richtung kommen 'kann.

Das moderne Volksheer sucht dieser Gefahr zu begegnen, und es stellt durch die temporäre Dienstpflicht des ganzen Volkes ein glückliches Mittel dar, die Selbständigkeit des Militärs mit seinem Organcharakter zu verbinden.

Dass sich um der Erhaltung der Gruppe willen ihre Organe als gewissermaßen selbständige ihr gegenüberstellen und aus der Breite ihres unmittelbaren Lebens lösen müssen, diese Selbständigkeit aber um eben derselben Selbsterhaltung willen sehr entschiedener Grenzen bedarf - das drückt sich ersichtlich in den Problemen der Amtsdauer aus.8)

Auch wenn das Amt prinzipiell »ewig« ist, als Ausdruck und Folge der Ewigkeit der Gruppe, mit der es als lebensnotwendiges Organ verbunden ist, so ist die Selbständigkeit seiner (> 430) realen Ausübung dennoch dadurch modifiziert, wie lange der einzelne Inhaber es verwaltet.

Der Exkurs über das Erbamt zeigte das Extrem nach der Seite der Lebenslänglichkeit, denn die Vererbung ist gleichsam die Fortsetzung der individuellen Funktion über das Lebensmaß des Individuums hinaus.

Dabei aber ergab sich freilich eine Entgegengesetztheit der Folgen: die Vererbung des Amtes gab ihm einmal eine Selbständigkeit, mit der es wie zu einer autonomen Macht innerhalb des Staates wurde, ein andres Mal ließ sie es grade in Unbedeutendheit und leere Formalität sinken.

In eben demselben Dualismus nun wirkt die Länge der persönlichen Amtsdauer.

Das Amt des Sheriff war im englischen Mittelalter von großer Bedeutung; es verlor diese indes, als Eduard III 1338 bestimmte, dass kein Sheriff länger als ein Jahr im Amte bleiben sollte.

Umgekehrt: die »Sendgrafen«, die unter Karl d. Gr. ein sehr wichtiges Organ der Zentralgewalt für die Oberleitung der Provinzen waren, wurden regelmäßig nur für ein Jahr ernannt; sie verloren indes ihre Bedeutung und die ganze Einrichtung verfiel, als später die Ernennungen auf unbestimmte Zeit erfolgten.

Es liegt nahe anzunehmen, dass die lange Dauer bzw. die Lebenslänglichkeit eines Amtes dann zweckmäßigerweise zu seiner Verselbständigung und damit zu einer stabilen Bedeutsamkeit führen wird, wenn es einen Umkreis regelmäßiger, in einem systematischen und kontinuierlichen Betrieb zu erfüllender Funktionen umschließt und dafür eine Routine fordert, die häufig wechselnde Inhaber nicht erwerben können.

Wo andrerseits ein Amt immer neue und nicht vorherzusehende Aufgaben stellt, wo schnelle Entschlüsse und geschmeidige Anpassung an immer wechselnde Lagen und Forderungen auftreten - da wird sozusagen eine häufige Auffrischung des Blutes zweckmäßig sein, weil der neue Funktionär immer mit frischem Interesse herangehen und es für ihn zu der Gefahr, ein Routinier zu werden, nicht kommen wird.

Eine erhebliche Verselbständigung solcher Ämter wird hier bei oftmaligem Wechsel der Inhaber keine Schädigungen der Gruppe bewirken, wie denn vielfach bei sehr selbständigen und verantwortungslosen Ämtern die häufige Rotation ihrer Besetzung als Gegengewicht und Schutz der Allgemeinheit gegen ihren egoistischen Missbrauch gedient hat.

In eigentümlicher Weise wird dieses Motiv bei der Ämterbesetzung der Vereinigten Staaten wirksam, und zwar vermöge der demokratischen Gesinnung, die die führenden Stellungen in möglichster unmittelbarer Nähe des primären Gruppenlebens, der Summe der einzelnen Subjekte, festhalten möchte.

Indem die Ämter mit den Anhängern des jeweiligen Präsidenten besetzt werden, kommt zunächst überhaupt eine größere Zahl von Anwärtern nach und nach in den Ämterbesitz.

Dies aber verhindert, zweitens und hauptsächlich, die Bildung einer geschlossenen Bureaukratie, die statt einer Dienerin zu einer Herrin des Publikums werden könnte.

Die langen Traditionen einer solchen mit ihren Kenntnissen und Usancen verhindern, dass jeder (> 431) ohne weiteres jede Stellung einnehmen kann, und dies widerspricht nicht nur dem demokratischen Geiste, der den Amerikaner *eigentlich an seine Eignung zu jedweder Funktion glauben lässt, sondern es begünstigt das ihm ganz Unerträgliche: dass der Beamte sich als ein höheres Wesen vorkomme, das durch eine sonst nicht erreichbare Weihe über die große Masse und ihr Leben erhoben ist.

Diese Gruppe glaubte - wenigstens bis vor kurzem - ihre besondere Form eben nur erhalten zu können, wenn ihre Organe in dauernder Labilität blieben, fortwährendem Austauschverhältnis mit der Masse, möglichster Vermeidung der Selbständigkeit des Amtes.

Nun aber ist das Eigentümliche, dass dieser sozial-teleologische Zustand gerade einen äußersten Egoismus der Funktionäre zur Basis hat.

Die siegende Partei teilt sich die Ämter unter dem offenen Wahlspruch: »Dem Sieger die Beutel«, das Amt gilt als ein Besitz, als ein persönlicher Vorteil, im allgemeinen nicht einmal durch das Vorgeben verschleiert, um der Sache willen oder um des Dienstes an der Gesellschaft willen gesucht zu werden.

Und gerade dies soll die Beamten als Diener des Publikums erhalten, soll die Bildung autonomer Bureaukratien hindern!

Der Dienst der Sache oder des dauernden und objektiven Interesses der Gesamtheit fordert eine herrschende Stellung über den Individuen der Gruppe, weil mit ihm das Organ der überpersönlichen Einheit des Ganzen entwächst.

Der prinzipielle Demokrat aber will nicht beherrscht werden, selbst um den Preis, dass ihm damit gedient wird; er erkennt nicht an, dass jener Satz: ich bin ihr Führer, also muss ich ihnen dienen - ebenso umgekehrt werden kann: ich will ihnen dienen, also muss ich sie führen.

Durch jenen egoistischen Subjektivismus der Gesinnung in Bezug auf die Ausübung des Amtes wird die reine Sachlichkeit seines Sinnes und seiner Führung verhindert, die eine gewisse Höhe und Vollendung dieser letzteren bedingt, aber allerdings die Gefahr einer bureaukratischen, hochmütigen Lösung des Organes von der unmittelbaren Lebendigkeit der Gruppe einschließt.

Und je nachdem diese Gefahr für die Struktur der Gruppe etwas mehr oder weniger Bedrohliches ist, wird sie das Auswachsen der Ämter zum Charakter eines Selbstzweckes hindern oder begünstigen.

Zweitens. Nicht nur die Möglichkeit eines Antagonismus zwischen dem Ganzen und dem Teile, der Gruppe und ihren Organen sollte die Selbständigkeit der letzteren unterhalb einer gewissen Grenze halten; sondern dies ist auch zweckmäßig, damit im Notfall die differenzierte Funktion wieder an das Ganze zurückgehen kann.

Die Entwicklung der Gesellschaft hat das Eigentümliche, dass ihre Selbsterhaltung die zeitweilige Rückbildung bereits differenzierter Organe fordern kann.

Dies ist nicht in genaue Analogie mit jenen Rückbildungen tierischer Organe zu stellen, welche durch den Wechsel der Lebensbedingungen eintreten, wie z. B. das Rudimentärwerden des Sehapparates bei Tieren, welche dauernd in dunklen Höhlen leben.

Denn in diesen Fällen wird die Funktion selbst überflüssig und dies ist der Grund, aus dem das sie ausübende Organ allmählich abstirbt; in jenen sozialen Entwicklungen dagegen ist die Funktion gerade unentbehrlich und muss deshalb (> 432) bei eintretender Unzulänglichkeit des Organs wieder auf die Wechselwirkungen unter den primären Gruppenelementen zurückgehen, als deren arbeitsteiliger Träger ursprünglich jenes Organ entstand.

In manchen Fällen ist die Struktur der Gruppe von vornherein auf ein solches Alternieren zwischen der unmittelbaren und der durch ein Organ vermittelten Funktion angelegt.

So bei Aktiengesellschaften, deren technische Leitung zwar der Direktion obliegt, während doch die Generalversammlung imstande ist, die Direktion abzusetzen oder auch ihr gewisse Richtlinien vorzuschreiben, zu denen diese selbst entweder nicht die Tendenz oder nicht die Kompetenz hatte.

Hierher gehört vor allem die Macht des Parlaments, in rein parlamentarisch regierten Ländern, über die Regierungsorgane. -

Die englische Regierung saugt ihre Kraft immer wieder aus dem Mutterboden. des Volkes, die im Parlament gleichsam vordestilliert ist.

Natürlich hat dessen Kompetenz allerhand Schattenseiten gerade für die kontinuierliche Selbsterhaltung der Gruppe, da die rein objektive und konsequente Behandlung der Angelegenheiten durch die Eingriffe des Parlaments und besonders durch die Rücksicht auf sie gefährdet ist.

In England wird dies durch den allgemeinen Konservativismus gemildert und durch eine feine Differenzierung zwischen den Beamten und Verwaltungszweigen, die der unmittelbaren Kompetenz des Parlaments unterliegen, und denen, die einer relativen Unabhängigkeit und Kontinuität bedürfen.

Kleinere Vereinigungen, die ihre Angelegenheiten durch einen Vorstand oder einen Ausschuss besorgen lassen, pflegen so eingerichtet zu sein, dass diese Organe ihre Vollmachten freiwillig oder unfreiwillig der Gesamtheit zurückgeben, sobald sie der Last oder Verantwortung ihrer Funktionen nicht mehr gewachsen sind.

Jede Revolution, in der eine politische Gruppe ihre Regierung entthront und Gesetzgebung und Verwaltung wieder an die unmittelbare Initiative der Elemente bindet, gehört dieser soziologischen Formung an.

Es ergibt sich nun freilich ohne weiteres, dass solche Rückbildsamkeit der Organe nicht in allen Gruppen möglich ist.

Bei sehr großen oder in sehr komplizierten Bedingungen lebenden Gruppen ist die Übernahme der Verwaltung durch die Gruppe selbst schlechthin ausgeschlossen.

Die Organbildung ist eine unwiderrufliche geworden und ihre Bildsamkeit, ihr lebendiger

Zusammenhang mit den Elementen kann sich höchstens darin zeigen, dass diese letzteren die Personen, welche in einem gegebenen Augenblick das Organ ausmachen, durch geeignetere ersetzen.

Immerhin kommt das Zurückströmen der Gruppenkraft aus den Organen auf deren ursprüngliche Quelle, wenn auch nur als Durchgangsstadium zu erneuter Organbildung, noch in Fällen ziemlich hoher soziologischer Ausbildung vor.

Die Episkopalkirche in Nordamerika litt bis Ende des 18. Jahrhunderts schwer darunter dass sie keinen Bischof besaß, da die englische Mutterkirche, die allein einen solchen hätte weihen können, es ihr aus Gründen der Politik versagte.

Da, in der höchsten Not und in der Gefahr völliger Zersetzung entschlossen sich die Gemeinden, sich selber zu helfen.

Sie entsandten im Jahre 1784 Delegationen, Laien und Geistliche, (> 433) welche zusammenkamen und sich als oberste Kircheneinheit, als Zentralorgan und zur Besorgung der Kirchenleitung konstituierten.

Ein Spezialhistoriker dieser Epoche schildert es so: »Never had so strange a sight been seen before in Christendom, as this necessity of various members knitting themselves together into one. In all other cases the unity of the common episcopate had held such limbs together: every member had visibly belonged to the community of which the presiding bishop was the head.«

Der innere Zusammenhang der Gläubigen, welcher bis dahin in dem Organ: Bischof - gleichsam eine außerhalb dieser liegende Substanz geworden war, trat jetzt in seinem ursprünglichen Wesen wieder hervor.

Der unmittelbaren Wechselwirkung der Elemente wurde jetzt die Kraft zurückgewährt, die sie aus sich heraus projiziert und die sich dann von außen her an ihr betätigt hatte.

Dieser Fall ist deshalb so besonders interessant, weil die Funktion des Zusammenhaltens der Kirchenglieder dem Bischof durch die Konsekration, das heißt, von oben her aus einer scheinbar von jener soziologischen Funktion unabhängigen Quelle kam - und nun doch rein soziologisch ersetzt wurde, wodurch die Quelle jener Kraft sich unzweideutig offenbarte.

Dass die Gemeinden es verstanden, nach einer so lange dauernden und so wirkungsvollen Differenzierung ihrer soziologischen Kräfte auf ein Organ, dieses wieder durch die Unmittelbarkeit jener zu ersetzen, war ein Zeichen außerordentlicher Gesundheit ihres religiössozialen Lebens.

Sehr viele Gemeinschaften der verschiedensten Art sind daran zugrunde gegangen, dass das Verhältnis zwischen ihren elementar-sozialen Kräften und den aus diesen entstandenen Organen nicht mehr bildsam genug war, um bei Wegfall oder Untüchtigkeit der letzteren die zur sozialen Selbsterhaltung nötigen Funktionen wieder auf die ersteren zurückzuleiten.

Die Herausbildung differenzierter Organe ist sozusagen ein substanzielles Hilfsmittel der sozialen Selbsterhaltung; der Struktur der Gesellschaft wächst damit ein neues Glied zu.

Ganz gesondert davon ist die Frage zu behandeln, wie der Trieb der Selbsterhaltung das Leben der Gruppe in funktioneller Hinsicht bestimmt.

Die Frage, ob es sich in undifferenzierter Einheit oder mit gesonderten Organen vollzieht, ist hierfür sekundär; es handelt sich vielmehr um die ganz allgemeine Form oder das Tempo, in dem sich die Lebensprozesse der Gruppe abspielen.

Hier begegnen uns zwei hauptsächliche Möglichkeiten.

Die Gruppe kann erhalten werden

1. durch möglichste Konservierung ihrer Form, durch Festigkeit und Starrheit derselben, so dass sie andrängenden Gefahren substanziellen Widerstand entgegensetzt und das Verhältnis ihrer Elemente durch allen Wechsel der äußeren Umstände hindurch bewahrt;

2. durch möglichste Variabilität ihrer Form, indem sie den Wechsel der äußeren Bedingungen durch einen solchen ihrer selbst beantwortet und sich im Fluss erhält, so dass sie sich jeder Forderung der Umstände anschmiegen kann.

Diese Zweiheit von Möglichkeiten geht offenbar auf ein ganz allgemeines Verhalten der Dinge zurück, denn es findet auf allen möglichen Gebieten seine Analogie, sogar auf dem physikalischen.

Vor der Zerstörung durch (> 434) Druck und Stoß ist ein Körper geschützt entweder durch Starrheit und unverrückbaren Zusammenhang seiner Elemente, so dass die angreifende Kraft überhaupt keinen Eindruck macht, oder durch Biegsamkeit und Elastizität, die jedem Angriff zwar nachgibt, aber nach seinem Aufhören dem Körper sogleich die vorige Form wiedergibt.

Auch hängt die Selbsterhaltung der Gruppe entweder durch Stabilität oder durch Labilität damit zusammen, dass die Einheit eines Wesens sich auf beiderlei Weise dokumentiert: wir erkennen ihm diese entweder daraufhin zu, dass es sich den verschiedensten Reizen und Situationen gegenüber immer als das gleiche zeigt oder dass es sich jedem Umstände gegenüber in der besonderen, gerade ihm entsprechenden Weise verhält, wie eine Rechnung aus zwei Faktoren bei Wechsel des einen gerade dann ein immer gleiches Resultat ergeben muss, wenn auch der andre Faktor sich entsprechend ändert.

So nennen wir einen Menschen einheitlich, der z. B. allen möglichen Lebensinhalten gegenüber die ästhetische Betrachtungs- und Empfindungsweise zeigt, aber nicht weniger den, der sich ästhetisch verhält, wo das Objekt es von sich aus rechtfertigt, wo aber vom Objekt her eine andre Reaktionsart erfordert wird, eben diese leistet.

Ja, dies ist vielleicht die tiefere Einheitlichkeit, weil mannigfaltige Bewährungen, deren Mannigfaltigkeiten aber dem Objekt entsprechen, auf eine um so unerschütterlichere Einheit des Subjekts hinweisen.

So wird uns ein Mensch einheitlich erscheinen, wenn eine sklavenhafte Lebenslage in ihm eine Devotion des Benehmens ausgebildet hat, die er auch in allen sonstigen, mit jener nicht verbundenen Situationen zeigt; aber nicht weniger »einheitlich« ist es, wenn er gerade umgekehrt sich für die erzwungene Devotion nach oben durch Brutalität nach unten schadlos hält.

Und schließlich sind der Konservativismus und die Variabilität als soziologische Tendenzen nur Unterarten von viel allgemeiner menschlichen.

Auch als solche können sie, als reine Verhaltungsformen, eine Bedeutung erhalten, die die divergentesten Inhalte verbindet - wie denn Augustus selbst den Cato gerühmt hat, mit der Begründung, dass jeder, der den bestehenden Zustand des Staates nicht geändert haben wollte, ein guter Mensch und Bürger sei.

Es handelt sich nun um die näheren Bestimmungen dieser beiden Methoden der sozialen Selbsterhaltung.

Die Selbsterhaltung durch konservatives Verfahren scheint da angezeigt zu sein, wo die Gesamtheit aus sehr disparaten Elementen mit latenten oder offenen Gegnerschaften besteht, so dass überhaupt jeder Anstoß, gleichviel in welchem Sinne, gefährlich wird und selbst Maßregeln der Erhaltung und positiver Nützlichkeit, sobald sie eine Bewegung mit sich bringen, vermieden werden müssen.

So wird ein sehr kompliziertes und fortwährend nur in labilem Gleichgewicht zu haltendes Staatswesen wie das österreichische, im ganzen stark konservativ sein, weil jede Bewegung eine irreparable Störung des Gleichgewichts erzeugen könnte.

Dieser Erfolg knüpft sich ganz im allgemeinen an die Form der Heterogenität der Bestandteile in einer größeren Gruppe, sobald diese Verschiedenheit nicht zu einem harmonischen Ineinandergreifen und Zusammen- (> 435) wirken führt.

Die Gefahr für die Erhaltung des sozialen status quo liegt hier nämlich darin, dass jeder Anstoß in den verschiedenen, mit ganz entgegengesetzten Energien geladenen Schichten äusserst verschiedenartige Erfolge hervorrufen muss. 

Je weniger innere Zusammengehörigkeit unter den Elementen der Gruppe besteht, desto wahrscheinlicher ist es, dass neue Anregungen, neue Aufrüttelungen des Bewusstseins, neue Veranlassungen zu Entschlüssen und Entwicklungen, die Gegensätze noch weiter auseinander treiben werden.

Denn es gibt immer unzählige Wege, auf denen man sich voneinander entfernen, aber oft nur einen einzigen, auf dem man sich einander nähern kann.

Mag deshalb die Veränderung an sich noch so nützlich sein - ihre Wirkung auf die Elemente wird die ganze Heterogenität dieser zum Ausdruck bringen, ja, zum gesteigerten Ausdruck in demselben Sinn, in dem die bloße Verlängerung divergierender Linien ihre Divergenz schärfer hervortreten läßt.9)

Die Vermeidung jeder Neuerung, jeder Abbiegung von dem bisherigen Wege, ein strenger und starrer Konservativismus wird hier also angezeigt sein, um die Gruppe in ihrer bestehenden Form zu erhalten.

Für die Zweckmäßigkeit dieses Verhaltens bedarf es übrigens nur einer sehr weiten, aber nicht notwendig einer feindseligen Divergenz der Gruppenelemente.

Wo die sozialen Unterschiede sehr erheblich sind und nicht durch Zwischenstufen ineinander übergehen, muss jede rasche Bewegung und Erschütterung der Struktur des Ganzen viel gefährlicher werden, als wo vermittelnde Schichten vorhanden sind; denn da die Evolution immer zuerst nur einen Teil der Gruppe ausschließlich oder besonders stark ergreift, so wird im letzteren Falle eine Allmählichkeit ihrer Erfolge oder Verbreitungen stattfinden, während im ersteren die Bewegung eine sehr viel gewaltsamere, auch das Undisponierte und Fernstehende plötzlich ergreifende sein wird.

Die mittleren Stände werden so als Puffer oder Stoßkissen wirken, die die bei raschen Entwicklungen unvermeidlichen Erschütterungen der Struktur des Ganzen sacht aufnehmen, mildern, verteilen.

Daher der liberale Charakter von Gesellschaften mit stark ausgebildeten mittleren Ständen.

Und umgekehrt ist es da am notwendigsten, dass um jeden Preis sozialer Friede, Stabilität, konservativer Charakter des Gruppenlebens erhalten werde, wo es sich um die Erhaltung einer diskontinuierlichen, (> 436) durch starke innere Unterschiede charakterisierten sozialen Struktur handelt.

Deshalb bemerken wir auch tatsächlich, dass bei ungeheuren und unversöhnlichen Klassengegensätzen eher Friede und Beharrlichkeit der sozialen Lebensformen herrscht, als bei vorhandener Annäherung,

Vermittelung und Mischung zwischen den Extremen der sozialen Leiter.

Im letzteren Falle vereinigt sich der Bestand des Ganzen im Status quo ante weit eher mit labilen Zuständen, ruckweise Entwicklungen, fortschrittlichen Tendenzen.

Aristokratische Verfassungen sind deshalb die eigentlichen Sitze des Konservativismus; von den später zu behandelnden Motiven dieser Verbindung interessiert hier dieses: Aristokratien bilden einerseits die stärksten sozialen Unterschiede aus - mehr als es prinzipieller Weise die Monarchie tut, die oft gerade auf Nivellierung ausgeht und nur wo sie sich mit dem aristokratischen Prinzip verbindet, was aber durchaus keine innere und oft auch keine äußere Notwendigkeit hat, scharfe Klassenunterschiede schafft; andrerseits sind jene Verfassungen von innen her für eine ruhige, formerhaltende Konsequenz disponiert, weil sie weder von den Unberechenbarkeiten eines Thronwechsels noch von den Launen einer Volksmasse etwas zu besorgen haben.

Dieser Zusammenhang zwischen Stabilität des Sozialcharakters und Weite der sozialen Abstände erweist sich auch in der umgekehrten Richtung.

Wo die Selbsterhaltung der Gruppe durch Stabilität äußerlich erzwungen wird, da bilden sich daraufhin manchmal starke soziale Unterschiede.

Dies zeigt etwa die Entwicklung der bäuerlichen Leibeigenschaft in Russland.

Im Russen lag stets ein starker Nomadentrieb, dem der Flächencharakter des Landes noch begünstigend entgegenkam.

Um dem Boden regelmäßige Bebauung zu sichern, war es deshalb nötig, dem Bauern die Freizügigkeit zu nehmen; das geschah unter Fedor I. im Jahre 1593.

Nun er aber einmal an die Scholle gebunden war, verlor er allmählich die bis dahin besessenen Freiheitsrechte.

Die erzwungene Unbeweglichkeit des Bauern wurde hier, wie auch vielfach im übrigen Europa, die Handhabe, durch die der Grundherr ihn tiefer und tiefer herabdrückte.

Jene ursprünglich nur provisorische Maßregel machte ihn schließlich zu einem bloßen Inventar des Gutes.

Nicht nur also bewirkt der Selbsterhaltungstrieb der Gruppe bei vorhandenen starken Gegensätzen eine Tendenz zur Stabilität der Lebensformen; sondern wo er diese letztere unmittelbar hervorruft, gliedern sich, jenen Zusammenhang prinzipiell beweisend, wachsende soziale Unterschiede an sie an.

Ein weiterer Fall, in dem die Selbsterhaltung der Gruppe auf möglichste Stabilität und Starrheit ihrer Form drängen wird, liegt bei überlebten Gebilden vor, die keine innere Daseinsberechtigung mehr haben, und deren Elemente eigentlich in andre Beziehungen und soziale Lebensformen hineingehören.

Seit von Ende des Mittel alters an die deutschen Gemeindegenossenschaften durch die erstarkenden Zentralgewalten in ihrer Wirksamkeit und ihren Rechten herabgedrückt wurden und statt der lebendigen Kohäsionskraft, die sie aus der Wichtigkeit ihrer bisherigen sozialen Rolle gezogen (> 437) hatten, nur noch die Maske und Äußerlichkeit dieser letzteren ihnen blieb - seitdem war das letzte Mittel ihrer Selbsterhaltung ein äußerst strenger Abschluss, die unbedingte Verhinderung des Zutritts neuer Genossen.

Jede quantitative Erweiterung einer Gruppe verlangt nämlich gewisse qualitative Modifikationen und Anpassungen, die ein veraltetes Gebilde nicht mehr durchmachen kann, ohne zu zerbrechen. Ein früheres Kapitel zeigte die soziale Form in ihrem engen Abhängigkeitsverhältnis zu der numerischen Bestimmtheit ihrer Elemente: die Struktur der Gesellschaft, die für eine bestimmte Anzahl von Mitgliedern die richtige ist, ist es nicht mehr für eine gewachsene Anzahl.

Der Umwandlungsprozess aber in die neue erfordert die Assimilierung und Verarbeitung der neuen Elemente, er verbraucht Kraft.

Gebilde, welche ihren inneren Sinn verloren haben, besitzen eben diese für die Aufgabe nicht mehr, sondern brauchen alle, die sie noch haben, um die einmal bestehende Form gegen innere und äußere Gefahren zu schützen.

Jener strenge Ausschluss neuer Genossen - wie er auch später die überlebte Zunftverfassung charakterisierte - bedeutete also nicht nur unmittelbar eine Stabilisierung der Gruppe, die er an die einmal gegebenen Mitglieder und ihre Nachkommenschaft fesselte, sondern er bedeutete auch die Vermeidung jener strukturellen Umbildungen, die bei jeder quantitativen Erweiterung der Gruppe erforderlich sind und zu denen ein unzweckmäßig gewordenes Gebilde nicht mehr die Fähigkeit hat.

Der Instinkt der Selbsterhaltung wird ein solches deshalb auf die Maßregeln eines starren Konservativismus führen.

Überhaupt werden konkurrenzunfähige Gebilde zu diesem Mittel der Selbsterhaltung neigen.

Denn in dem Maße, in dem ihre Form eine labile ist, vielerlei Stadien durchläuft, neue Anpassungen vollzieht - wird dem Konkurrenten Gelegenheit zu gefährlichen Angriffen gegeben.

Das angreifbarste Stadium für Gesellschaften wie für Individuen ist das zwischen zwei Anpassungsperioden.

Wer in Bewegung ist, kann nicht in jedem Augenblick so nach allen Seiten hin gedeckt sein, wie wer sich in ruhender, stabiler Position befindet.

Eine Gruppe, die sich ihren Konkurrenten gegenüber unsicher fühlt, wird deshalb um ihrer Selbsterhaltung willen alle Labilität und Evolution ihrer Form vermeiden und nach dem Grundsatz: quieta non movere, leben.

Dieses starre Sich-Abschließen wird insbesondere da zweckmäßig sein, wo Konkurrenz noch nicht in Wirklichkeit besteht, aber es sich darum handelt, sie zu verhindern, weil man sich ihr nicht gewachsen fühlt.

Rigorose Abschlußmaßregeln werden hier allein den status erhalten können, weil das Entstehen neuer Beziehungen, die Darbietung neuer Anknüpfungspunkte nach außen die Gruppe in einen größeren Kreis hineinzöge, in dem sie einer übermächtigen Konkurrenz begegnen würde.

In sehr versteckter Art mag diese soziologische Norm in dem folgenden Zusammenhang wirksam sein.

Ein nicht einzulösendes Papiergeld hat die Eigentümlichkeit dem gedeckten gegenüber, dass es nur innerhalb des Bezirks der emittierenden Regierung gilt und nicht exportfähig ist.

Dies wird gerade als sein größter Vorteil reklamiert: es bleibt im Lande, ist dort stets für alle Unternehmungen bereit, es tritt nicht in jenen Ausgleich des Edelmetalls mit andern Staaten ein, der bei relativem Überfluss von Geld und daraus folgender Erhöhung der Warenpreise sofort Import fremder Waren und Geldabfluss bewirkt.

So ist die auf das Ursprungsland beschränkte Zirkulation des Geldes ein inneres Band desselben und eine Selbsterhaltung seiner sozialen Form, indem sie es von der großen Konkurrenz des Weltmarktes absperrt.

Ein wirtschaftlich starkes und jedem Wettbewerb gewachsenes Land würde dieses Mittel nicht brauchen, sondern sicher sein, dass es gerade unter der Labilität, den Wechselfälle und Entwicklungen einer gegenseitigen Abhängigkeit mit allen andern eine Kräftigung seiner wesentlichen Lebensform gewinnt. -

Es soll nicht etwa behauptet werden, dass relativ kleine Gruppen überhaupt ihre Erhaltung in der Form der Stabilität, große in der der Variabilität suchen; derartige einfache und definitive Relationen gibt es überhaupt nicht zwischen so weiten Gebilden und Verhaltungsweisen, denn jede umfasst eine Fülle verschiedener Bestimmungen, die gegenseitig die mannigfaltigsten Kombinationen eingehen.

Gerade sehr große Kreise fordern selbstverständlich eine Stabilität ihrer Institutionen, die kleinere durch rasche Anpassungen ihrer Ganzheit ersetzen können.

Ein gewisses Bestreben der englischen Gewerkvereine, den Sitz ihrer Zentralbehörden von Zeit zu Zeit zu verlegen, zwischen den einzelnen Zweigvereinen wechseln zu lassen, hat in letzter Zeit überall einer Stabilisierung ihrer Leitung an einem bestimmten Orte, und durch bestimmte Personen Platz gemacht.

Der große Kreis kann diese Stabilität seiner Institutionen vertragen, weil er durch seine Größe noch immer für genug Wandlungen, Abweichungen, lokale und zeitliche Anpassungen Raum gibt.

Ja, man kann sagen: der große Kreis steigert beides in sich, wie er Generalisierung und Individualisierung in sich steigert, während der kleinere entweder eines oder das andere oder beides in unvollkommener Ausbildung darstellt.

Das wesentliche individual-psychologische Motiv, das die Erhaltung eines Verhältnisses in der Form der Stabilität trägt, bezeichnet man als Treue.

Die soziologische Bedeutung dieser umgibt indes den spezifischen Gegenstand dieses Kapitels in einer so weiten Peripherie und das unmittelbar Hierher gehörige ist mit dem darüber Hinausgehenden so eng verschmolzen, dass ich ihre Erörterung in einen besonderen Exkurs verlege, in dem ich auch die Bedeutung der Dankbarkeit für die soziologische Struktur, oder vielmehr als eine soziologische Form selbst abhandle.

Denn, in speziellerer Art freilich als die Treue, verhindert die Dankbarkeit das Abreißen einer einmal geknüpften Beziehung, wirkt als eine Energie, mit der sich ein Verhältnis seinen unvermeidlichen Störungen positiver und negativer Art gegenüber im status quo erhält.

-> Exkurs über Treue und Dankbarkeit


Entgegen der Stabilität und substanziellen Festigkeit, die gewisse Kreise als Bedingung ihrer Selbsterhaltung ausbilden, bedürfen andre gerade der größten Geschmeidigkeit und Auswechselbarkeit der soziologischen Formen; z. B. solche, die ihre Existenz innerhalb (> 448) eines größeren entweder nur geduldet oder gar nur per nefas führen. 

Nur durch die vollkommenste Elastizität kann eine solche Gesellschaft die Festigkeit des Zusammenhanges mit der fortwährenden Defensive und Offensive vereinigen. 

Sie muss sozusagen in jedes Loch schlüpfen, sich je nach den Umständen ausdehnen und zusammenziehen können, muss wie ein Körper in flüssigem Aggregatzustand jede Form annehmen, die sich ihr bietet. 

So müssen Gauner- und Verschwörerbanden die Fähigkeit erwerben, sich sofort zu teilen und in getrennten Gruppen zu agieren; sich bedingungslos bald dem, bald jenem Führer unterzuordnen, bald in direktem, bald in indirektem Kontakt doch immer den gleichen Gemeingeist zu bewahren; nach jeder Zersprengung sich sofort in irgendeiner gerade möglichen Form von neuem zu organisieren usw. 

Dadurch gelangen sie zu jener Selbsterhaltung, infolge deren die Zigeuner von sich zu sagen pflegen: es wäre unnütz, sie zu hängen, da sie doch nie stürben. 

Ähnliches hat man von den Juden behauptet. 

Die Stärke ihres sozialen Zusammenhanges, das praktisch so wirksame Solidaritätsgefühl zwischen ihnen, der eigentümliche, wenn auch oft nachlassende Abschluss gegen alle Nichtjuden - dieses soziologische Band habe seit der Emanzipation wohl seine konfessionelle Färbung verloren, habe diese aber nur gegen die kapitalistische ausgetauscht. 

Eben deshalb sei »die unsichtbare Organisation« der Juden eine unüberwindliche" »denn sobald der Hass gegen das Judentum diesem zuerst die Macht der Presse, dann jene des Kapitals entringen, endlich dessen Gleichberechtigung aufheben sollte, gehe nicht der jüdische Gesellschaftsverband unter, sondern er würde nur seiner gesellschaftspolitischen Organisation beraubt, erstarke aber wieder in seiner ursprünglichen konfessionellen Verbandsgestalt. Dieses gesellschaftspolitische Spiel habe sich örtlich schon wiederholt und könne sich auch im allgemeinen wiederholen.« 

Ja, man könnte die Variabilität des einzelnen Juden, seine merkwürdige Fähigkeit, sich in die mannigfaltigsten Aufgaben hineinzufinden und sein Wesen den wechselndsten Lebensbedingungen anzupassen - man könnte dies als eine Abspiegelung der soziologischen Gruppenform in der Form des Individuums bezeichnen. 

Ganz unmittelbar ist gerade die Elastizität der Juden in sozialökonomischen Beziehungen als ein Träger ihrer Resistenz bezeichnet worden. 

Der bessere englische Arbeiter ist von dem Lohn, der ihm für seinen Standard nötig scheint, überhaupt nicht abzudrängen: er streikt oder tut lieber unqualifizierte Arbeit oder sucht irgend Verdienst andrer Art, als dass er für seine Facharbeit einen Lohn unterhalb des einmal fixierten Standards annimmt. 

Der Jude aber nimmt lieber den geringsten Lohn, als dass er überhaupt nicht arbeitet, und kennt dafür nicht die ruhige Zufriedenheit mit einem erreichten Standard, sondern strebt unermüdlich darüber hinaus: kein Minimum ist ihm zu gering, kein Maximum genug. 

Diese Schwingungsweite, die sich aus dem individuellen Leben ersichtlich in das der Gruppe fortsetzt, ist für den Juden ebenso das Mittel der Selbsterhaltung, wie in dem Beispiel des englischen Arbeiters gerade die Starrheit und Unverrückbarkeit. 

Gleichviel nun, ob die zuerst angeführte (> 449) Behauptung über die Geschichte des Judentums inhaltlich zutreffend ist oder nicht, für uns ist jedenfalls ihre Voraussetzung belehrend - dass die Selbsterhaltung einer sozialen Einheit gerade durch den Wechsel ihrer Erscheinungsform oder ihres materialen Grundes geschehen könne, dass ihre Beständigkeit gerade in ihrer Bildsamkeit beruhe. 

Diese beiden Wege der sozialen Selbsterhaltung treten durch ihre Beziehungen zu weiteren soziologischen Hauptbegriffen in besonders charakteristische Entgegengesetztheit.  

Wenn nämlich die Erhaltung der Gruppe sehr eng damit verbunden ist, dass eine bestimmte Schicht in ihrer Existenz und Eigenart erhalten werde - die höchste, die breiteste, die mittlere - ' so fordern die beiden ersten Fälle mehr Starrheit der sozialen Lebensform, der letztere mehr Elastizität derselben. 

Aristokratien werden, wie ich bereits hervorhob, im allgemeinen konservativ sein. 

Denn, wenn sie wirklich sind, was der Name besagt: die Herrschaft der Besten - so sind sie der adäquateste Ausdruck für die tatsächliche Ungleichheit zwischen den Menschen. 

In diesem Fall - von dem ich nicht untersuche, ob er sich nicht etwa immer nur sehr partiell realisiert - fehlt der Stachel für umwälzende Bewegungen: die Unangemessenheit zwischen den inneren Qualifikationen der Personen und ihrer sozialen Lage - der Ausgangspunkt ebenso für die größten Leistungen und Tapferkeiten der Menschheit, wie für ihre unsinnigste Unterriehmungen. 

Diesen günstigsten Fall der Aristokratie also einmal gesetzt, wird ein genaues Beharren ihres gesamten Bestandes an Bestimmungen und Inhalten für ihre allgemeine Erhaltung erforderlich sein, weil jede experimentierende Verschiebung jene feine und seltene Proportionalität zwischen Qualifikation und Position entweder in Wirklichkeit oder für das Gefühl der Betroffenen bedrohen und damit den Anreiz zu einer prinzipiellen Umgestaltung geben würde. 

Die wesentliche Veranlassung zu einer solchen aber wird in einer Aristokratie doch die sein, dass jene absolute Gerechtigkeit der Herrschaftsverhältnisse kaum je besteht, dass vielmehr die Herrschaft der Wenigen über die Vielen sich auf ganz andren Fundamenten als dem einer idealen Angemessenheit dieses Verhältnisses zu erheben pflegt. 

Unter diesen Umständen werden die Herrschenden das äußerste Interesse haben, keine Veranlassung zu unruhigen und neuern den Bewegungen zu geben, weil jede derselben die berechtigten oder vermeintlichen Ansprüche der Beherrschten anregen würde. 

Es läge daher die Gefahr vor - und das ist für unseren Gedankengang das entscheidende - dass nicht nur die Personen getauscht, sondern die ganze Verfassung geändert würde.  

Sobald Gebilde sehr ängstlich auf Selbsterhaltung bedacht sind und diese insbesondere nur durch eine latente oder aktuelle Defensive durchführen können, vermeiden sie fortschrittliche Entwicklung. 

Denn in den Perioden von Entwicklung verbraucht ein Wesen seine Kräfte nach innen und hat keine für die Verteidigung frei. 

Für jede Entwicklung ist ihr Gelingen, ihren inneren wie ihren äußeren Chancen nach, etwas Problematisches, und deshalb wird auch der, dem es nicht so viel darauf ankommt, wie er existiert, als dass er (> 450) existiert, keinen Entwicklungstrieb ausbilden. 

Es steht damit in fundamentaler Beziehung, dass in Aristokratien in der Regel das Alter die führende Stellung hat, wie in Demokratien die Jugend. 

Das Alter aber hat eine physiologisch begründete Neigung zum Konservativismus, es kann sich nur noch »konservieren« und darf es nur in Fällen von exzeptionellem Kräftevorrat noch auf die Gefahren immer weiterschreitender Entwicklung ankommen lassen. 

Und noch von andrer Seite her wird, wo das Alter der praktischen Ehrfurcht und Machtstellung genießt, Konservativismus herrschen: die Jungen, auf deren Kosten jetzt das Alter seine Privilegien hat - z. B. schon die in Aristokratien häufige höhere Altersgrenze für die Besetzung von Ämtern - dürfen nur unter gleichgebliebenen Verhältnissen hoffen, auch einmal in diese einzurücken. 

Aus solchen Zusammenhängen heraus wird die aristokratische Verfassungsform sich am besten durch möglichste Unbeweglichkeit ihres status erhalten; und dies gilt keineswegs nur für politische Gruppen, sondern für kirchliche, für Zweckvereine, für familiäre und gesellige Gruppierungen, die der aristokratischen Formung zugänglich sind. 

Überall wird, sobald diese sich einmal hergestellt hat, ein strenger Konservativismus nicht nur für den momentanen, personalen Bestand der Herrschaft, sondern auch für ihre formale, prinzipielle Erhaltung das günstigste sein. - 

Gerade die Geschichte der reformatorischen Bewegungen in aristokratischen Verfassungen macht dies oft klar genug. 

Die Anpassung an neu entstehende soziale Kräfte oder Ideale, wie sie durch Milderung der Ausbeutung oder Unterwerfung, gesetzliche Festlegung der Vorrechte statt willkürlicher Auslegung, Hebung der Rechte und der Güteranteile der niederen Schichten geschieht - diese Anpassung pflegt, soweit sie freiwillig konzediert wird, ihren Endzweck nicht in dem zu haben, was dadurch geändert werden soll, sondern umgekehrt in dem, was dadurch erhalten werden soll. 

Die Herabsetzung der aristokratischen Prärogativen ist die conditio sine qua non, um das aristokratische Regime überhaupt zu retten. 

Hat man aber die Bewegung erst soweit vorschreiten lassen, so sind diese Konzessionen meistens nicht mehr genügend. jede Reform pflegt neue reformbedürftige Punkte zu enthüllen, und die Bewegung, welche zur Erhaltung der bestehenden Ordnung eingeleitet war, führt wie auf einer schiefen Ebene entweder zu einem Umsturz derselben, oder, wenn die neu aufgewachsenen Ansprüche sich nicht durchsetzen können, zu einer radikalen Reaktion, die auch die schon eingeräumten Änderungen rückgängig macht. 

Diese Gefahr, welche bei jeder Modifikation und Biegsamkeit einer aristokratischen Verfassung besteht: dass die zu ihrer Erhaltung geschehene Konzession durch ihr eigenes Schwergewicht zu einer totalen Umwälzung führt - lässt für die Sozialform der Aristokratie den Konservativismus à outrance und die in der unbedingten Starrheit und Unnachgiebigkeit bestehende Verteidigungsform als die günstigste erscheinen.  

Wo die Form der Gruppe nicht durch das Überragen einer numerisch kleinen Schicht, sondern durch die breiteste Schicht und deren Autonomie bestimmt ist, wird ihre Selbsterhaltung gleichfalls (> 451) durch Stabilität und unbewegte Festigkeit begünstigt werden. 

Hierauf wirkt zunächst die Tatsache hin, dass die breite Masse, insoweit sie als dauernde Trägerin einer gesellschaftlichen Einheit funktioniert, sehr starren und unbeweglichen Sinnes ist. 

Sie unterscheidet sich darin aufs schärfste von der aktuell zusammenbefindlichen Menge, die in ihren Stimmungen und Entschlüssen von äußerster Labilität ist und auf die flüchtigsten Impulse hin von einem Extrem des Verhaltens in das andre umschlägt. 

Wo die Masse nicht unmittelbar sinnlich erregt wird und durch die gegenseitig ausgeübten Stimulierungen und Suggestionen ein nervöses Schwanken, eine Entwurzelung der festen Direktiven eintritt, die die Masse jedem aktuellen Impuls preisgibt, wo vielmehr ihr tieferer und dauernder Charakter wirksam wird - da folgt sie gleichsam dem Trägheitsgesetz: sie ändert ihren Zustand von Ruhe oder Bewegung nicht von selbst, sondern nur durch das Einwirken neuer, positiver Kräfte. 

Deshalb gehen ebenso Bewegungen, die von großen Massen getragen und sich selbst überlassen sind, konsequent bis an ihr Extrem, wie andrerseits das einmal erlangte Gleichgewicht des Zustandes nicht leicht, soweit es auf die Masse ankommt, verlassen wird. 

Es entspricht dem zweckmäßigen Instinkt der Masse, dem Wechsel der Umstände und Anregungen gegenüber ihr Selbst durch substanzielle Festigkeit und Unnachgiebigkeit ihrer Form, statt durch schmiegsame Anpassung und rasch eingestellten Wechsel ihres Verhaltens zu bewahren. 

Es kommt für die politischen Verfassungen als wesentlich dazu, dass die Begründung ihrer sozialen Form auf die breiteste und gleichberechtigte Schicht sich meistenteils bei Ackerbauvölkern findet: der altrömische Bauernstand, die altgermanische Gemeinde der Vollfreien. 

Hier ist durch den Inhalt der, gesellschaftlichen Interessen das Verhalten ihrer Formen präjudiziert. 

Der Ackerbauer ist a priori konservativ. sein Betrieb verlangt lange Fristen, dauernde Einrichtungen, zähe Stetigkeit. 

Die Unberechenbarkeit der Wettergunst, von der er abhängt, weist ihn auf einen gewissen Fatalismus hin, der sich den äußeren Gewalten gegenüber mehr durch Aushalten als durch Ausweichen zeigt; seine Technik kann den Wechsel der Konjunkturen überhaupt nicht durch so schnelle qualitative Modifikationen beantworten, wie es der Industrielle und der Handelsmann imstande ist. 

Dazu kommt, dass der Ackerbauer vor allem Ruhe in seinem Staat haben möchte und dass es ihm - was die Politiker der verschiedenen Zeiten gewusst und benutzt haben - demgegenüber weniger darauf ankommt, welche Form dieser Staat hat. 

Die technischen Bedingungen also schaffen hier den Gruppen, deren Formerhaltung mit der einer breitesten ackerbauenden Schicht zusammenfällt, die Disposition, diese Erhaltung durch Festigkeit und Zähigkeit, nicht aber durch Labilität ihrer Lebensprozesse zu gewinnen.  

Ganz anders steht es da, wo der Mittelstand die Führung übernommen hat und die soziale Form der Gruppe mit seiner Erhaltung steht und fällt. 

Der Mittelstand allein hat eine obere und eine untere Grenze, und zwar derart, dass er fortwährend sowohl von dein oberen wie von dem unteren Stand Individuen aufnimmt und an beide solche (> 452) abgibt. 

Es ist ihm also der Charakter der Fluktuierung aufgeprägt, und die Zweckmäßigkeit seines Verhaltens wird deshalb großenteils eine Zweckmäßigkeit von Anpassungen, Variierungen, Nachgiebigkeiten sein, durch welche die nun einmal unvermeidliche Bewegung des Ganzen wenigstens so gelenkt bzw. ihr so begegnet wird, dass die. wesentliche Form und Kraft in allem Wechsel der Zustände erhalten bleibt. 

Man kann die soziologische Form einer Gruppe, die durch die Breite und das Vorherrschen eines Mittelstandes charakterisiert wird, als die der Kontinuität bezeichnen; eine solche besteht weder bei einer wirklichen, durchgehenden, also nicht abgestuften Gleichheit der Individuen, noch bei einem Bestand der Gruppe aus einer oberen und einer unvermittelt davon geschiedenen unteren Schicht. 

Der Mittelstand bringt zu diesen beiden tatsächlich ein ganz neues soziologisches Element hinzu, er ist nicht nur ein drittes zu den vorhandenen zweien, das sich zu jedem von diesen ungefähr und nur in quantitativer Abschattung so verhielte, wie sie beide untereinander. 

Das Neue ist vielmehr das Hervorgehobene, dass er selbst eine obere und eine untere Grenze hat, dass an diesen fortwährender Austausch mit den beiden andern Schichten stattfindet und durch diese ununterbrochene Fluktuation eine Grenzverwischung und kontinuierliche Übergänge erzeugt werden. 

Denn eine wirkliche Kontinuität des sozialen Lebens entsteht nicht dadurch, dass die Individuen in Positionen mit noch so kleinen Abständen übereinander gebaut werden - dies würde noch immer eine diskontinuierliche Struktur ergeben -, sondern nur so, dass die einzelnen Individuen durch höhere und tiefere Positionen zirkulieren: erst hierdurch wird der Abstand der Schichten in eine wirkliche Ununterbrochenheit übergeführt. 

Im Schicksal der Individuen muss sich erst die obere und die untere Situation begegnen können, damit das soziologische Bild eine wirkliche Vermittlung zwischen oben und unten zeige. 

Und dies eben und nicht nur ein einfaches Dazwischenstehen bringt der Mittelstand zuwege. 

Es bedarf geringer Überlegung, um einzusehen, dass diese Allmählichkeit der Abstufung auch für die Grade innerhalb des Mittelstandes selbst gelten muss. 

Die Kontinuität der Lagen in bezug auf Ansehen, Besitz, Tätigkeit, Bildung usw. liegt nicht nur in der Kleinheit der Unterschiede, welche sie, in eine objektive Skala eingeordnet, aufweisen, sondern. in der Häufigkeit des Wechsels, der eine und dieselbe Person durch eine Mehrheit solcher Lagen führt und so gleichsam fortwährende und variierende Personalunionen der objektiv verschiedenen Lagen herbeiführt. 

Unter diesen Umständen wird das soziale Gesamtbild den Charakter der Elastizität tragen: der dominierende Mittelstand verleiht ihm eine leichte Verschiebbarkeit der Elemente, so dass die Selbsterhaltung der Gruppe durch den Wechsel äußere. oder innerer Umstände und Angriffe hindurch sich nicht sowohl durch Festigkeit und Starrheit in der Kohäsion ihrer Elemente, als durch leichte Nachgiebigkeit und schnelle Umformung vollziehen wird. 

Die bloße Tatsache der Differenziertheit einer Gesellschaft gibt ihren Individuen eine größere Bewegungsfreiheit, ohne dass damit die soziale Selbsterhaltung bedroht wäre. 

Den intoleranten (> 453) Konservativismus der athenischen Majorität, dem Sokrates zum Opfer fiel, hat man damit begründet, dass die Gleichartigkeit der Bevölkerung jede Erschütterung besonders gefährlich machte. 

Bei einer größeren Anzahl mannigfaltiger, über- und untergeordneter Schichten mag sich irgendeine problematische, ja selbst umstürzlerische Idee in vielen Köpfen verbreiten - es gibt so viele hemmende Mächte, zwischen einer solchen Bewegung und der Entscheidung der Gesamtheit oder der maßgebenden Faktoren liegen Instanzen von so mannigfaltigen Tendenzen, dass die Erschütterung nicht so bald das Ganze ergreift. 

Wo aber weder solche unmittelbare Mannigfaltigkeit noch eine arbeitsteilige Beamtenschaft vorhanden ist, da pflanzt sich eine irgendwo ansetzende Erschütterung leicht in das Ganze fort. 

Deshalb wird diesem der Instinkt der Selbsterhaltung zur Unterdrückung von Bewegungen und Agitationen Einzelner raten, die auch nur die Chance sozialer Gefahren enthalten. 

Den formal gleichen Zusammenhang zeigt von andrer Seite her eine Entwicklung innerhalb des frühen Christentums. 

Die ersten Gemeinden bewahrten den Geist ihrer Gemeinschaft in einer außerordentlichen Strenge und Reinheit, die kein Kompromiss mit sittlich Unzulänglichen oder in den Verfolgungen einmal Abgefallenen kannte; dieser Stabilität des Gesamtlebens entsprach eine vollkommen gleichmäßige Beschaffenheit der Mitglieder in sittlicher und religiöser Beziehung. 

Allein die vielfachen Abfälle in der Zeit der Verfolgungen zwangen die Kirche schließlich doch, von der Unbedingtheit ihrer Forderungen abzulassen und einer ganzen Skala mehr oder weniger vollkommener Persönlichkeiten die Mitgliedschaft einzuräumen. 

Die innere Differenzierung aber bedeutete zugleich eine wachsende Elastizität und Nachgiebigkeit der Kirche als ganzer; diese neue Technik ihrer Selbsterhaltung, mit der sie schließlich den wechselvollen Verhältnissen zu allen möglichen Lebensmächten genügen lernte, schloss sich an jenes Durchbrechen ihrer inneren Gleichartigkeit an, an die Toleranz, mit der sie ihren Elementen eine unbegrenzte Mannigfaltigkeit von Wertstufen einzunehmen gestattete. 

Es ist interessant, dass die Zeitlosigkeit des kirchlichen Prinzips sich technisch ebenso wohl in unabbiegbarer Starrheit wie in grenzenloser Biegsamkeit realisiert. 

Die Selbsterhaltung der Kirche steht gleichsam in so abstrakter Höhe, dass sie sich ganz unpräjudiziert des einen wie des andern Mittels bedienen kann. 

Ganz allgemein kann man zeigen, dass eine Gruppe mit sehr vielen, in enger Skala übereinander gebauten Positionen den Charakter entschiedener Labilität und Variabilität tragen muss, wenn nicht die größten Unzuträglichkeiten und Brüche resultieren sollen. 

Bei einer großen Mannigfaltigkeit möglicher Lagen ist es nämlich von vornherein sehr viel unwahrscheinlicher, dass jeder gleich an der richtigen Stelle steht, als bei einem Ständewesen, das jeden in eine große, viele Spielarten umfassende Gruppe einstellt. 

Wo eine Gruppe nur wenige, scharf geschiedene Lebenslagen enthält, da sind die Individuen in der Regel von vornherein für ihren Kreis gezüchtet. 

Solche Verfassungen können die Übereinstimmung zwischen den Dispositionen und der Lage des Einzelnen dadurch (> 454) hervorbringen, dass die einzelnen Kreise relativ große und ihre Forderungen und Chancen hinreichend weite sind, um den durch Vererbung, Erziehung, Beispiel bestimmten Individuen im allgemeinen einen passenden Platz zu gewähren. 

Die ständische Verfassung weist so gleichsam eine prästabilierte oder durch Züchtung hergestellte Harmonie zwischen den Qualitäten oder Dispositionen des Individuums und seiner Stellung im sozialen Ganzen auf. 

Wo aber die scharf begrenzten Stände dank der Existenz eines breiten Mittelstandes in eine große Anzahl abgestufter Situationen auseinander gegangen sind, da können die genannten Kräfte den Einzelnen nicht mit Sicherheit zu der Stellung prädisponieren, in die er hineingehört; die Ordnung also, in die dort das Individuum gleich harmonisch gestimmt eintrat, muss hier gleichsam a posteriori, empirisch erreicht werden: der Einzelne muss die Möglichkeit haben, aus einer ungeeigneten Stellung in eine geeignete überzugehen. 

In diesem Fall also fordert die Selbsterhaltung der Gruppenform eine leichte Verschiebbarkeit der Gruppe, ein stetes Korrigieren, eine Auswechselbarkeit der Stellungen, ebenso aber auch eine Bildsamkeit dieser letzteren selbst, so dass besondere Individuen auch besondere Positionen finden können. 

So bedarf eine Gruppe mit vorherrschendem Mittelstand eines völlig andern Verhaltens, um sich in ihrem Selbst zu erhalten, als eine Gruppe mit aristokratischer Führung oder ohne Stufenbildung überhaupt. 

Freilich kann die Beweglichkeit, die das Dominieren der mittleren Erscheinungen einer Gruppe verleiht, sich auch bis zu destruktivem Charakter steigern. - 

Denn derselbe Formtypus: dass die gleichzeitige Nähe und Entferntheit, die die mittleren oder gemischten Elemente den mehr polaren gegenüber besitzen, zur Opposition anregt, ist offenbar in der Tatsache wirksam, dass die Kinder aus gemischten Ehen oft die gefährlichsten Gegner der Aristokratie sind. 

Aus dem Altertum ist die Bemerkung überliefert, dass Tyrannen, die die Adelsherrschaften stürzten, größtenteils unebenbürtige Adelssprösslinge waren. 

So sind im südlichen Amerika unvergleichlich viel weniger Aufstände von Negern und Indianern, als von Mestizen und Mulatten angezettelt, und so sind die Kinder aus jüdisch-christlichen Ehen oft besonders scharfe Kritiker sowohl der jüdischen wie der germanischen Lebensordnungen. 

Es kommt aber folgendes hinzu. Was die Labilität und Variabilität der Gruppenform im Nacheinander ist, das ist die Arbeitsteilung im Nebeneinander. 

Handelt es sich bei jener darum, dass die Gruppe als Ganzes sich den verschiedenen, nacheinander auftretenden Lebensbedingungen vermittels entsprechender Modifikation ihrer Form anpasse, so bei der Arbeitsteilung darum, dass sie für die verschiedenen gleichzeitig vorhandenen Erfordernisse die ihnen korrespondierenden Verschiedenheiten ihrer einzelnen Mitglieder herausbilde. 

Die ganze Vielfältigkeit und Abstufung in Berufen und Stellungen, die wir oben hervorhoben, ist offenbar nur durch Arbeitsteilung möglich; und entsprechend ist diese, wie ihr Gegenstück, die Variabilität der sozialen Lebensform, ein Charakteristikum des Mittelstandes und seiner Vorherrschaft. 

Weder die Aristokratie noch der Bauernstand der Vollfreien tendiert zu erheblicherer Arbeitsteilung (> 455). 

Die Aristokratie nicht, weil jede Arbeitsteilung solche Abstufungen des Ranges mit sich bringt, die dem Standesbewusstsein und seiner Einheit widersprechen; der Bauernstand nicht, weil seine Technik sie gar nicht verlangt oder gestattet. 

Nun aber ist das Eigentümliche, dass Variabilität und Arbeitsteilung, so sehr sie sachlich -und in ihren Trägern zusammenhängen, in bezug auf die Selbsterhaltung der Gruppe manchmal direkt einander entgegengesetzt wirken. 

Das ergibt sich einerseits schon aus der vorhin betonten Tatsache, dass eine Vielheit und langsame Abgestuftheit von Positionen - die eben aus der Arbeitsteilung hervorgeht, - zu allerhand Schwierigkeiten und Bedenklichkeiten führt, wenn nicht eine leichte Beweglichkeit und Verschiebbarkeit innerhalb der sozialen Elemente dazu kommt. 

Diese wirkt den Gefahren entgegen, die aus der weitgetriebenen Arbeitsteilung stammen: der Zersplitterung, der Einseitigkeit, der Diskrepanz zwischen den Anlagen und der Stellung des Einzelnen. 

Von der andern Seite her stellt sich das Ergänzungsverhältnis von Arbeitsteilung und Variabilität in bezug auf die Erhaltung der Gruppen so dar. 

Es wird viele Fälle geben, in denen die Labilität der mittleren Schichten eine Unsicherheit, Unbestimmtheit, Entwurzelung erzeugt. 

Das wird nun durch die Arbeitsteilung paralysiert, indem sie die Elemente der Gruppe außerordentlich eng aneinander kettet. 

Kleine Gruppen von Naturvölkern, so zentralistisch sie organisiert sein mögen, splittern doch leicht auseinander, weil schließlich jede beliebige Abteilung von ihnen gleich bestandsfähig ist; jeder kann dasselbe, was der andere kann, und so sind sie zwar wegen der Schwierigkeiten ihrer Lebensfristung in äußerer Beziehung aufeinander angewiesen, allein eine besondere Qualifikation der sich Zusammenschließenden kommt dabei nicht in Frage, und sie können sich ganz beliebig zusammentun. 

Der Zusammenhalt einer großen Kulturgruppe dagegen beruht auf ihrer Arbeitsteilung. 

Einer ist in ihr unbedingt des Andern benötigt, das Auseinanderbrechen der Gruppe würde jeden Einzelnen ganz hilflos lassen. 

So wirkt die Arbeitsteilung mit ihrer Aneinanderkettung der Einzelnen der Variabilität entgegen, wenn diese der Erhaltung der Gruppe schädlich werden will. 

Das wird schon im kleineren Kreise bemerkbar sein. 

Eine Ansiedlergruppe wird im ganzen sehr biegsam und variabel sein; sie wird sich bald zentralistisch, bald sehr freiheitlich gestalten, je nachdem sie etwa von außen bedrängt wird oder Spielraum hat; sie wird die Führung je nach den wechselnden Interessen oft wechselnden Personen überlassen; sie wird bald im Anschluss an andre Gruppen, bald in möglichstem Abschluss und Autonomie ihr Heil suchen müssen. 

Diese Variationen ihrer soziologischen Form werden zwar im einzelnen Falle immer ihrer Selbsterhaltung dienen; im ganzen aber werden sie doch zu Konflikten, Unsicherheiten, Absplitterungen Veranlassung geben. 

Dem aber tritt eine ausgebildete Arbeitsteilung unter ihnen kräftig entgegen, indem sie einerseits das Individuum auf die Gruppe anweist, andrerseits dieser ein erhöhtes Interesse gibt, den Einzelnen festzuhalten. -  

Die leichte Veränderlichkeit des Gruppenlebens, seine Geneigtheit (>456) zu Verschiebungen formaler und personaler Art war in allen bisher betrachteten Fällen eine Anpassung an die Not des Lebens - ein Biegen, um nicht zu brechen, erforderlich, sobald nicht die substanzielle Festigkeit vorhanden ist, an der überhaupt jede destruktive Kraft abprallt. 

Durch ihre Variabilität beantwortet die Gruppe den Wechsel der Umstände und gleicht ihn so aus, dass das Resultat der Bestand ihres Selbst ist. 

Nun aber kann man fragen, ob solche Veränderlichkeit, solches Hindurchgehen durch wechselnde und oft entgegengesetzte Zustände wirklich nur als Reaktion auf den Wechsel äußerer Bedingungen der Erhaltung der Gruppe dient, ob nicht etwa auch ihr innerstes Existenzprinzip die gleiche Anforderung stellt. 

Ganz abgesehen davon, welche äußeren oder inneren Veranlassungen die Variierungen ihres Verhaltens hervorrufen - ist nicht vielleicht die Kraft und Gesundheit ihrer Lebensprozesse, als Entwicklung rein innerlicher Energien, an einen gewissen Wechsel Ihrer Aktivität, eine Verschiebung ihrer Interessen, ein häufigeres Umbilden ihrer Form gebunden? 

Von dem Individuum wissen wir, dass es zu seiner Erhaltung wechselnder Reize bedarf, dass es die Kraft und die Einheit seiner Existenz nicht durch mechanische Immer-Gleichheit äußerer und innerer Bedingtheit und Tätigkeit bewahrt, sondern dass es gleichsam von innen heraus darauf angelegt ist, seine Einheit im Wechsel nicht nur von Handeln und Leiden, sondern auch im Wechsel innerhalb jedes von diesen zu bewähren. 

So ist es nicht unmöglich, dass das zusammenhaltende Band der Gruppe abwechselnde Anregungen braucht, um im Bewusstsein und in Kraft zu bleiben. 

Ein Hinweis auf ein solches Verhalten der Dinge liegt von vornherein in gewissen Erscheinungen, die eine enge Verschmelzung zwischen der sozialen Einheit überhaupt und einem bestimmten Inhalt oder Ausgestaltung ihrer darbieten. 

Eine derartige Verschmelzung tritt nämlich begreiflicherweise dann ein, wenn ein inhaltlich oder sonst bestimmter Zustand sehr lange unverändert besteht, und es ist Gefahr, dass er, durch irgendein äußeres Ereignis schließlich doch umgewälzt, die soziale Einheit selbst in seinen Sturz hineinzieht - gerade wie religiöse Vorstellungen oft mit moralischen Gefühlen durch lange Wechselbeziehung eng verwachsen sind und kraft dieser Assoziation, wenn sie durch Aufklärung beseitigt werden, die sittlichen Normen mit entwurzeln können. 

So zerfällt eine bisher reiche Familie oft in sich, wenn sie verarmt, aber auch manche arme, wenn sie plötzlich reich wird. 

So entstehen in einem bisher immer freien Staat die schlimmsten inneren Parteiungen und Zerrissenheiten, wenn er seine Freiheit verliert (ich erinnere an Athen nach der mazedonischen Zeit), aber ebenso auch in einem bisher despotisch regierten, sobald er plötzlich frei wird, was die Geschichte der Revolutionen oft genug beweist. 

Es scheint, als ob eine gewisse Wandelbarkeit in den Bestimmungen oder Formungen der Gruppe sie dagegen schützte, ihre innere Einheit mit einer bestimmten solchen gleichsam starr zu verbinden; geschieht dies letztere, so ist mit einer dennoch eintretenden Wandlung gleich der tiefste Lebensnerv der sozialen Einheit mitbedroht. 

Hiergegen scheint jener häufigere (> 457) Wandel als eine Art Impfung zu dienen, die Verbindungen zwischen den wesentlichsten und den weniger vitalen Bestimmungen bleiben lockerer und die Erschütterung der letzteren ist eine geringere Gefahr für die Erhaltung der Gruppeneinheit überhaupt.  

Wir sind leicht geneigt, den Frieden, die Interessenharmonie, die Eintracht für das Wesen der sozialen Selbsterhaltung anzusehen, jede Gegnerschaft aber als eine Störung der Einheit, um deren Konservierung es sich handelt, und als das fruchtlose Aufbrauchen von Kräften, welche zum positiven Aufbau des Gruppenorganismus verwandt werden könnten. 

Dennoch scheinen die anderen Meinungen richtiger zu sein, welche einen gewissen Rhythmus zwischen Frieden und Kampf für die erhaltendere Lebensform erklären und zwar gleichsam nach zwei Dimensionen hin: sowohl der Kampf der Gruppe als ganzer gegen äußere Feinde in seiner Alternierung mit friedlichen Epochen, wie der Kampf der Konkurrenten, der Parteien, der entgegengesetzten Tendenzen jeder Art neben den Tatsachen der Gemeinsamkeit und der Eintracht; jenes eine Alternierung zwischen harmonischen und kontradiktorischen Erscheinungen im Nacheinander, dieses im Nebeneinander. 

Das Motiv für beides ist im letzten Grunde eines und dasselbe, realisiert sich aber auf verschiedenen Wegen. 

Der Kampf gegen eine Macht, die außerhalb der Gruppe steht, bringt dieser ihre Einheit und die Notwendigkeit, sie unerschüttert zu bewahren, zu eindringlichstem Bewusstsein. 

Es ist eine Tatsache von der größten soziologischen Bedeutung, eine der wenigen, die fast ohne Ausnahme von Gruppenbildungen jeder Art gelten: dass die gemeinsame Gegnerschaft gegen einen Dritten unter allen Umständen zusammenschließend wirkt, und zwar mit sehr viel größerer Sicherheit so wirkt, als die gemeinsame freundliche Beziehung zu einem Dritten. 

Es gibt wohl kaum eine Gruppe - familiärer, kirchlicher, ökonomischer, politischer oder welcher Art immer - die dieses Kittes ganz entbehren könnte. 

Es scheint, als ob für uns Menschen, deren ganzes geistiges Wesen auf die Unterschiedsempfindlichkeit gebaut ist, immer ein Trennungsgefühl neben dem Einheitsgefühl bestehen müsste, um dieses letztere merkbar und wirksam zu machen. 

Nun aber kann dieser Prozess, wie erwähnt, sich auch innerhalb der Gruppe selbst vollziehen. Aversionen und Antagonismen von Gruppenelementen untereinander können die trotzdem vorhandene Einheit des Ganzen zu schärfster Wirksamkeit bringen; indem sie die sozialen Verbindungsfäden allerdings gleichsam verkürzen, spannen sie sie eben, und machen sie dadurch fühlbarer; freilich ist dies auch der Weg dazu, sie reißen zu lassen; allein bis dahin werden jene Gegenbewegungen, die ja nur auf Grund einer fundamentalen Zusammengehörigkeit und Beziehungsenge möglich sind, diese letzteren zu einem kräftigeren Funktionieren bringen, gleichviel, ob das auch mit um so schärferem Bewusstsein davon begleitet ist oder nicht. 

So haben Angriffe und Vergewaltigungen unter den Mitgliedern der Gemeinschaft den Erlas von Gesetzen zur Folge, die ihnen wehren sollen, und die, obgleich sie sich nur auf dem Grunde des feindseligen Egoismus Einzelner erheben, dennoch der Gesamtheit (> 458) ihre Zusammengehörigkeit, Solidarität, Interesseneinheit zum Bewusstsein und Ausdruck bringen. 

So ist die wirtschaftliche Konkurrenz eine äußerst enge Wechselbeziehung, die die Konkurrenten und die Abnehmer näher aneinander bringt, jene von diesen und auch voneinander abhängiger macht, als wenn die Konkurrenz von vornherein ausgeschlossen wäre. 

So führt vor allem der Wunsch, der Gegnerschaft vorzubeugen und ihre Konsequenzen zu mildern, zu Vereinheitlichungen (z. B. industriellen und politischen Kartellen), zu allerhand Usancen des wirtschaftlichen und sonstigen Verkehrs, die, obgleich nur auf dem Grunde eines wirklichen oder möglichen Antagonismus erwachsen, dem Zusammenhalt des Ganzen doch positive Förderung bringen. 

Es lag einem besonderen Kapitel dieses Buches ob, die Soziologie des Kampfes zu erörtern, dessen Kraft für die Selbsterhaltung der Gesellschaft deshalb hier nur ihrer allgemeinen Tatsächlichkeit nach anzudeuten war. Gegnerschaft und Kampf sind in ihrer Bedeutung für die Selbsterhaltung der Gruppe das charakteristischste Beispiel für den Wert, den die Variabilität des Gruppenlebens, der Wechsel seiner Betätigungsformen für diesen Zweck besitzen. 

Denn so wenig der Antagonismus überhaupt je ganz und überall ausstirbt, so sehr liegt es doch in seiner Natur, immer nur einen räumlich und zeitlich begrenzten Abschnitt zwischen den Geltungsbereichen zusammenschließender und einheitlich harmonisierender Kräfte zu bilden. 

Seinem eigenen Wesen nach stellt er einen jener Abwechslungsreize dar, nach denen das Einheitsprinzip der Gesellschaft offenbar aus ihren innersten Lebensbedürfnissen heraus verlangt; vielleicht deshalb verlangt, weil hier wie überall das Bleibende sich nur am Wechselnden herauszustellen und zu bewusster Kraft zu kommen vermag. 

Die soziale Einheit ist die Form oder das Kontinuitätsmoment oder wie man es sonst bezeichnen mag, das sich als das Feste in allem Wechsel ihrer eigenen speziellen Ausgestaltung, ihrer Inhalte, ihrer Beziehungen zu den materialen Interessen und Erfahrungen erweist und um so mehr erweist, je lebendiger der Wechsel eben dieser letzteren ist. 

Die Vertiefung, Festigkeit und Einheit z. B. der ehelichen Verbindung ist sicher ceteris paribus eine Funktion der Mannigfaltigkeit und Veränderlichkeit der Schicksale, deren Erleben sich von der formalen Unveränderlichkeit der ehelichen Gemeinsamkeit abhebt. 

Es ist das Wesen des Menschlichen, dass die Lebensbedingung seiner einzelnen Momente die Existenz ihres Gegensatzes ist. 

Die Mannigfaltigkeit der Formungen, der Wechsel der Inhalte ist für die Selbsterhaltung der Gruppe nicht nur in dem Maße der Unterschiedsempfindungen wesentlich, die die Einheit jener sich von den darüberhingleitenden Veränderlichkeiten abheben lassen; sondern vor allem, weil diese, Einheit immer als die identische wiederkehrt, während die Formungen, Interessen, Schicksale, von denen unser Bewusstsein sie trennt, jedes Mal andre sind. 

Sie gewinnt dadurch allen Unterbrechungen gegenüber diejenige Chance der Festigkeit und Wirksamkeit, die die Wahrheit gegenüber dem Irrtum besitzt. 

So wenig die Wahrheit an und für sich im einzelnen Falle einen Vorsprung oder mystische Kraft des Sich-Durchsetzens (> 459) vor dem Irrtum besitzt, so ist ihr schließlicher Sieg doch daraufhin wahrscheinlich, dass sie nur eine ist, während der Irrungen über denselben Gegenstand unzählige sind. 

Es ist deshalb von vornherein anzunehmen, dass sie im Gewoge der Meinungen öfter wiederkehrt, zwar nicht als der Irrtum überhaupt, aber doch als jeder bestimmte Irrtum. 

So hat die Einheit der sozialen Gruppe die Chance, sich gegenüber allen Unterbrechungen und Schwankungen zu erhalten, zu stärken und zu vertiefen, weil diese immer verschiedener Art sind, sie aber bei ihrem jedesmaligen Auftauchen immer als dieselbe wiederkehrt. 

Vermöge dieser Lage der Dinge können die oben hervorgehobenen günstigen Erfolge der sozialen Variabilität für die Erhaltung der Gruppe bestehen bleiben, ohne dass die Tatsache des Wechsels überhaupt dem Einheitsprinzip eine ernstliche Konkurrenz zu machen brauchte.  


Anmerkungen

1)  An diese Formung knüpft sich auch die besondere Erscheinung, die man hier etwa als Loyalität bezeichnet: die unbedingt persönliche Hingabe an eine Person, aber nicht weil sie diese bestimmte, sondern weil sie der Träger der Herrschaft ist.
Dies ist durchaus nicht die allgemeine Suggestivkraft des Herrscherbegriffes überhaupt, die freilich auch eigentümliche Ergebenheitserscheinungen zeitigt.
Es handelt sich vielmehr nur um den Herrscher der eigenen Gruppe. »Ich bin meinem Fürsten treu bis in die Vendée, schreibt Bismarck einmal, aber gegen alle andern fühle ich in keinem Blutstropfen eine Spur von Verbindlichkeit, den Finger für sie aufzuheben.«
Diese Empfindung steht ebenso jenseits der Mannentreue, die rein von Person zu Person gilt, wie des Patriotismus überhaupt, der nur zufällig dieser oder jener, für das Ganze zweckmäßigsten Einzelerscheinung gilt, ist vielmehr ein Drittes, das eine Einheit aus Zügen dieser beiden bildet. Es knüpft sich daran, daß die soziale Einheit, in dem Zugleich wie dem zeitlichen Nacheinander ihrer Existenz, in eine personale Form projiziert ist, die aber ihr Leben aus dem Inbegriff der Gruppe, nicht aus der Person heraus lebt, von der sie getragen wird.
Dies spezifische Gefühl gilt einem Sozial-Ueberpersönlichen, das doch in der Form einer vollen Persönlichkeit lebt - darin noch nuanciert gegen die Pietät für den Priester, in dem die Persönlichkeit mehr gegen die kirchlich-göttliche Sendung zurücktritt -, aber auch: einer Persönlichkeit, nicht weil sie diese Persönlichkeit ist, sondern weil sie gleichsam eine endliche Strecke des an sich unendlichen Lebens der Gruppe bezeichnet, das der eigentliche Gegenstand dieser Verehrung ist - wie manche vergänglichen und an sich vielleicht nicht bedeutsamen Erscheinungen der äußeren Natur mit Ehrfurcht ansehen, indem wir die Gesetze ahnen, deren zeitlose Gültigkeit sich in der Zufälligkeit jener darstellt.
Der Gedanke, daß der König nicht stirbt, erzeugt den klassischen Fall dieses Gefühlstypus, der gegenüber dem Gefühl für den rein personalen Herrscher ein prinzipiell neuer ist. (zurück)

2) Es gehört zu den ganz wesentlichen soziologischen Charakterisierungen und Verschiedenheiten der Vergesellschaftung: in welchem Maße die Gruppen den Eintritt und den Austritt der einzelnen Mitglieder erleichtern und erschweren.
Man könnte von diesem Gesichtspunkt aus eine Skala aller Vergesellschaftungen aufstellen. Gruppen, denen es auf viele Mitglieder ankommt, weil sie ihre Macht aus ihrem bloßen Umfänge ziehen, werden durchgängig den Eintritt erleichtern und den Austritt erschweren.
Umgekehrt werden aristokratische Gruppen im allgemeinen den Eintritt erschweren; aber grade in dem Maße, in dem sie innerlich sehr auf sich halten, werden sie den Austritt sozusagen erleichtern, denn sie werden denjenigen, der an den Prärogativen des Adels nicht mehr teilnehmen will, weil er aus irgendeinem Grunde auch dessen Verpflichtungen nicht auf sich nehmen will, nicht halten wollen.
Indessen findet auch innerhalb des Adels dasjenige formale Verhalten des Ganzen zum Einzelnen statt, dessen höchste Steigerung wir früher schon an der katholischen Kirche bemerkten.
Die katholische Kirche hat zu allen Zeiten die Tendenz gehabt, auch die unsicheren Kantonisten, die Ketzer oder der Sezession Verdächtigen, doch noch so lange wie möglich als ganz selbstverständlich zu ihr gehörig zu behandeln, über das, was jene von ihr trennte, hinwegzugehen, als ob es nicht gesagt wäre, in dem Augenblicke aber, wo das nicht mehr angeht, nun auch den Ketzer, den Dissidenten, mit absoluter Entschiedenheit und ohne irgendein Kompromiss oder ohne irgendwelche Übergangserscheinungen auszustoßen.
Diese Praxis schließt einen großen Teil der Macht und der Klugheit der katholischen Kirche ein: die ungeheure Weitherzigkeit, solange es noch möglich ist, den Dissidenten in sich zu bewahren, und umgekehrt die radikale Abstoßung seiner, sobald dies eben nicht mehr möglich ist.
Sie hat dadurch die Vorteile eines maximalen Umfanges mit denen einer scharfen Begrenzung vereinigt. -
In bezug auf die Dazugehörigkeit steht das Verhalten des Einzelnen zu einer Gruppe einmal unter der Formel: »Das Erste steht uns frei, beim Zweiten sind wir Knechte« -ein andermal aber auch unter der genau entgegengesetzten; dann wiederum ist Eintritt und Austritt gleichmäßig leicht oder auch gleichmäßig schwer.
Ferner ist der Unterschied der Mittel, mit denen beiderlei Erleichterung und Erschwerung stattfindet, zu beachten: ob sie ökonomisch oder moralisch sind, ob sie als äußeres Gesetz, als egoistischer Vorteil der Mitglieder, als innere Beeinflussung dieser wirken.
Alles dies forderte eine eingehende Untersuchung, deren Material alle überhaupt vorhandenen Gruppentypen wären und in der sich die letzten Formprobleme ihres Lebens kreuzen müssten, und zwar nach den beiden wesentlichen Kategorien: dem Gruppenleben in seinem überpersönlichen Für-sich-sein wie dem Verhältnis des Individuums zu dieser gesellschaftlichen Einheit. (zurück)

3) Die entsprechende formale Position hat sich in dem 2. Kapitel auch Tür die Sitte aufzeigen lassen. (zurück)

4) Ich will nicht behaupten, dass dieser logisch einfachste Zustand auch wirklich überall den historischen Ausgangspunkt der sozialen Weiterentwicklung gebildet habe. (zurück)

5)  Dazu kommt, als eine Tatsache von grosser formal soziologischer Bedeutung, dass der »Vertreter« in der Regel nur ein Einzelner aus der Gruppe ist, der durch die Beauftragung nicht aus dieser prinzipiellen Koordination herausgehoben ist, während der »Beamte«, mag für ihn als Privatperson auch ebendasselbe gelten, doch als Beamter allen Einzelpersonen der Gruppe gegenübersteht.
Dies ergibt z. B. einen wichtigen Zusammenhang, wo Arbeitgeber und Arbeitnehmer über Tarifverträge unterhandeln.
Das deutsche Gewerbegerichtsgesetz bestimmt, dass solche Verhandlungen nur von »Beteiligten«, d. h. von Unternehmern und Arbeitern als Vertretern ihrer jeweiligen Gruppen geführt werden dürfen.
Das mag rein technische Gründe haben, indem man nur den Beteiligten die erforderliche Sachkenntnis und Interessiertheit zutraut.
Soziologisch aber hängt es damit zusammen, dass die Parteien nicht notwendig und meistens überhaupt nicht »juristische Personen« oder Analogien solcher bilden.
Besonders auf Seiten der Arbeitnehmer werden die Vertreter in der Regel von Versammlungen einer ganz unkontrollierten, fluktuierenden Menge gewählt, es ist gar keine Rede davon, dass alle vom Tarifvertrag Betroffenen die Vollmacht miterteilt haben, und es fehlt, was dies überflüssig machen würde: die gesellschaftliche Einheit, die ein Ganzes jenseits ihrer Mitglieder, der zufällig anwesenden oder abwesenden, bildet.
Dies ist tatsächlich die typische Situation des »Vertreters«, d. h. des Mitgliedes einer aus der Summe ihrer Elemente bestehenden Masse, das von dieser beauftragt wird, und zwar, mit treffender soziologischer Logik, in der Regel mit einem imperativischen Mandat.
Der Beamte dagegen, der aus dem Geiste der überpersönlichen Gruppeneinheit heraus handelt, besitzt dem Komplex der aktuellen Mitglieder gegenüber viel grössere Freiheit.
Grade im Unterschied gegen die Situation jenes Arbeitervertreters ist es bezeichnend, dass der Generalsekretär der englischen Gewerkvereine, die doch unbedingt demokratisch angelegt sind, eine ganz überragende Macht besitzt, weil er sich eben als ständiger Beamter ausschliesslich - und nicht als »Beteiligter« - den Angelegenheiten des Vereins widmet; und dass er in den Gewerkvereinen, wo er der einzige ständige Beamte ist, tatsächlich eine persönliche Diktatur ausüben soll (zurück)

6) Die grössere Beweglichkeit des arbeitsteiligen Organs verhindert durchaus nicht, dass dieses, insbesondre wenn es die ganz zentralen Gruppeninteressen trägt, konservativen Charakter hat. ja, es muss dies sogar, insofern es die Gruppeneinheit zu erhalten bestimmt ist, um die die singulären, individuell bestimmten Vorgänge an und unter den Gruppenelementen mit unberechenbarer Amplitüde, mit einer um jene Einheit unbekümmerten Zufälligkeit schwingen.
Auf den Beamten geht das Prinzip der Gruppe über, das sonst von deren Unmittelbarkeit - wenn auch vielleicht nicht mit gleichem Bewusstsein und gleicher technischer Vollkommenheit - realisiert war.
Ein sehr reines Beispiel zeigt die moralische Normierung innerhalb des Christentums, in dessen Frühperiode jedes Gemeindemitglied zu derselben strengen Moral wie der Presbyter oder der Bischof verpflichtet war.
Mit der ungeheuren Ausdehnung des Christentums aber wurde dies untunlich, die Mitglieder der Gemeinde fielen in die landläufige sittliche Praxis zurück.
Aber von den Beamten der Kirche wurde erwartet - und mit Erfolg -, dass sie die besondre, mit dem Wesen dieser Religion zentral verbundene Moral bewahrten.
Was einst für jeden die Bedingung für die Aufnahme in das Christentum gewesen war, das wurde nun zur Bedingung für die Ordination.
Bei diesem Typus von Erscheinungen ruht der Konservativismus der Beamtenschaft auf dem tiefen soziologischen Grunde, dass auf sie die gesellschaftliche Funktion oder Bestimmung übertragen ist, die sonst der ganzen Gruppe zukam, aber bei ihrer Entwicklung in die Breite und Mannigfaltigkeit von ihr nicht aufrecht erhalten werden kann, sondern ein arbeitsteiliges, besonders designiertes Organ fordert.
Damit erscheint der Konservativismus nicht als ein blosses Akzidenz des Beamtentums, sondern - vielen gleich und entgegengesetzt gerichteten Bestimmungen freilich Raum gebend - als der Ausdruck seines soziologischen Sinnes. (zurück)

7) Zweifellos kommen auch entgegengesetzte Erscheinungen vor: innerhalb einer Beamtenschaft enthält oft Eifersüchtelei dem Talente den Einfluss vor, der ihm gebührt, während andrerseits gerade die grosse Masse leicht und mit Hintansetzung des eigenen Urteils einem begabten Einzelnen folgen mag.
Für eine abstrahierende Wissenschaft wie die Soziologie ist es unvermeidlich, dass die einzelnen typischen Zusammenhänge, die sie darstellt, nicht die ganze Fülle und Komplikation der historischen Wirklichkeit erschöpfen können. Denn so gültig und wirksam auch der Zusammenhang sei, den sie behauptet: das konkrete Geschehen wird immer noch ausser diesem eine Reihe anderweitiger Kräfte enthalten, die in dem schliesslich sichtbaren Gesamteffekt die Wirkung jenes ersteren verdecken können.
Auch den Inhalt der Physik bilden zum Teil gewisse gesetzliche Zusammenhänge von Bewegungen, die in der empirisch gegebenen Welt sich niemals in der reinen Konsequenz darstellen, in der die mathematische Berechnung oder das Experiment im Laboratorium sie zeigt.
Darum sind die so festgestellten Kräftebeziehungen nicht weniger in all den Fällen wirklich und wirksam in denen die wissenschaftlich festgestellten Bedingungen bezw. die AnfangsgIieder ihrer sich finden; nur dass ihr Verlauf nicht die Reinheit des wissenschaftlichen Schemas zeigt, weil ausser ihnen noch stets eine Reihe andrer Kräfte und Bedingungen auf die gleiche Substanz einwirkt; in der Resultante von diesen und jenen, in der das wirkliche Geschehen schliesslich besteht, mag der Anteil jener für die unmittelbare Beobachtung sich verbergen, nur einen unwahrnehmbaren und nicht herauszulösenden Teil zum Gesamteffekt beitragen.
Diese Unzulänglichkeit, welche jede typisch-gesetzliche Erkenntnis eines Zusammenhanges gegenüber der Wirklichkeit aufweist, gelangt ersichtlich in den Wissenschaften vom Geiste auf ihren Höhepunkt, weil auf ihrem Gebiete nicht nur die Faktoren des einzelnen Geschehens sich in einer kaum entwirrbaren Komplikation verweben, sondern auch das Schicksal des einzelnen, den man herausanalysieren mag, sich der Feststellung durch Mathematik oder Experiment entzieht.
Jeder Zusammenhang zwischen Ursachen und Folgen, den man aus historischen Begebenheiten oder psychologischer Wahrscheinlichkeit heraus als den normalen ansehen mag, wird in vielen Fällen, in denen seine Bedingungen gegeben sind, dennoch nicht einzutreten scheinen.
Dies braucht an der Richtigkeit seiner Feststellung nicht irrezumachen, sondern beweist nur, dass auf die fraglichen Individuen ausser jener Kraft noch andre, vielleicht entgegengesetzt gerichtete, gewirkt haben, welche in dem sichtbaren Gesamteffekt überwogen.  (zurück)

8) Diese hier und schon vorhin angedeutete Beziehung gehört in den großen, einer künftigen Behandlung vorbehaltenen Aufgabenkreis: welche Rolle die rein zeitlichen Bestimmungen für die Konstituierung und das Leben der gesellschaftlichen Formen spielen.
Wie die Änderung der Beziehungen, von den intimsten bis zu den offiziellsten, als Funktion ihrer Dauer auftritt, ohne dass äußere Momente beeinflussend dazuträten; wie ein Verhältnis von vornherein dadurch eine Form und Färbung bekommt, dass es auf eine begrenzte Zeit oder dass es auf Lebenslänglichkeit angelegt ist; wie die Wirkung der Begrenzung selbst sich danach gänzlich modifiziert, ob das Ende der Beziehung, der Institution, der Anstellung usw. von vornherein auf einen Zeitpunkt festgelegt oder ob dieser unbestimmt ist, von "Kündigung", Erlahmen der vereinigenden Impulse, Änderung äußerer Umstände abhängt - alles dies müsste im Einzelnen untersucht werden. Einige Bemerkungen darüber im Kapitel über den Raum. (zurück)

9) Dass gerade die Erschütterungen eines äußeren Krieges oft dazu dienen, die auseinanderstrebenden und in ihrem Gleichgewicht bedrohten Elemente des Staates wieder zusammenzubinden und seine Form zu erhalten - ist eine scheinbare, tatsächlich aber die Regel bestätigende Ausnahme.
Denn der Krieg appelliert an diejenigen Energien, welche den entgegengesetzten Elementen der Gemeinschaft dennoch gemeinsam sind und hebt diese, die vitaler und fundamentaler Natur sind, so stark ins Bewusstsein, dass die Erschütterung hier gerade die Voraussetzung für ihre Schädlichkeit. die Divergenz der Elemente - selbst annulliert.
Wo sie andrerseits nicht stark genug ist, die vorhandenen Gegnerschaften in der Gruppe zu überwinden, da übt der Krieg auch die oben behauptete Wirkung: wie oft hat er innerlich zerrütteten Staatswesen den letzten Stoß gegeben, wie oft stehen auch nichtpolitische, von inneren Gegensätzen gespaltene Gruppen vor der Alternative, im Falle des Kampfes gegen andre ihre Zwistigkeiten entweder zu vergessen oder sie umgekehrt unheilbar ausarten zu lassen. (zurück)

 

Georg Simmel: Soziologie
Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung

Duncker & Humblot, Berlin 1908 (1. Auflage) 

Das Problem der Soziologie

Exkurs über das Problem: wie ist Gesellschaft möglich?

Die quantitative Bestimmtheit der Gruppe

Über- und Unterordnung

Exkurs über die Überstimmung

Der Streit

Das Geheimnis und die geheime Gesellschaft

Exkurs über den Schmuck
Exkurs über den schriftlichen Verkehr

Die Kreuzung sozialer Kreise

Der Arme

Exkurs über die Negativität kollektiver Verhaltensweisen

Die Selbsterhaltung der sozialen Gruppe

Exkurs über das Erbamt
Exkurs über Sozialpsychologie
Exkurs über Treue und Dankbarkeit

Der Raum und die räumlichen Ordnungen der Gesellschaft

Exkurs über die soziale Begrenzung
Exkurs über die Soziologie der Sinne
Exkurs über den Fremden

Die Erweiterung der Gruppe und die Ausbildung der Individualität

Exkurs über den Adel
Exkurs über die Analogie der individualpsychologischen und der soziologischen Verhältnisse

 


 

Editorial:

Prof. Hans Geser
Soziologisches Institut
der Universität Zürich
Andreasstr. 15 
8050 Zürich 
Tel. ++41 55 2444012