Georg Simmel:
Philosophie
des Geldes
Duncker & Humblot
Verlag, Berlin 1900 (1. Auflage)
6. Kapitel: Der Stil des
Lebens
- Teil I (S. 480-501)
Durch die Geldwirtschaft
vermitteltes Übergewicht der intellektuellen über die
Gefühlsfunktionen; Charakterlosigkeit und Objektivität des
Lebensstiles
Die Doppelrolle des Intellekts wie
des Geldes; ihrem Inhalte nach überpersönlich, ihrer Funktion nach
individualistisch und egoistisch; Beziehung zu dem Rationalismus des
Rechtes und der Logik
Das rechnende Wesen der Neuzeit
In diesen Untersuchungen ist öfters erwähnt worden, daß die seelische
Energie, die die spezifischen Erscheinungen der Geldwirtschaft trägt, der
Verstand ist, im Gegensatz zu denjenigen, die man im allgemeinen als
Gefühl oder Gemüt bezeichnet und die in dem Leben der nicht
geldwirtschaftlich bestimmten Perioden und Interessenprovinzen-
vorzugsweise zu Worte kommen.
Dies ist zunächst die Folge des Mittelscharakters des Geldes.
Alle Mittel als solche bedeuten, daß die Verhältnisse und Verkettungen
der Wirklichkeit in unseren Willensprozeß aufgenommen werden.
Sie sind nur durch ein objektives Bild tatsächlicher
Kausalverknüpfungen möglich, und offenbar würde ein Geist, welcher die
Gesamtheit dieser fehlerlos überschaute, für jeden Zweck von jedem
Ausgangspunkt aus die geeignetsten Mittel geistig beherrschen.
Aber dieser Intellekt, der die vollendete Möglichkeit der Mittel in
sich bärge, würde darum noch nicht die geringste Wirklichkeit eines
solchen produzieren, weil dazu die Setzung eines Zweckes gehört, im
Verhältnis zu dem jene realen Energien und Verbindungen erst die
Bedeutung von Mitteln erhalten und der seinerseits nur durch eine
Willenstat kreiert werden kann.
So wenig in der objektiven Welt, wenn kein Wille zu ihr hinzutritt,
etwas Zweck ist, so wenig in der Intellektualität, die doch nur eine
vollkommenere oder unvollkommenere Darstellung des Weltinhaltes ist.
Und vom Willen hat man richtig gesagt, aber meistens falsch verstanden,
daß er blind ist.
Er ist es nämlich nicht in demselben Sinne, wie Hödhr oder der
geblendete Cyklop, die aufs Geratewohl losstürmen; er wirkt nichts
Unvernünftiges, im Sinne des Wertbegriffes Vernunft, sondern er kann
überhaupt nichts wirken, wenn er nicht irgendeinen Inhalt erhält, der
niemals in ihm selbst liegt; denn er ist nichts anderes als eine der
psychologischen Formen (wie das (> 481) Sein, das Sollen, das Hoffen
usw.), in denen Inhalte in uns leben, eine der - wahrscheinlich in
begleitenden Muskel- oder sonstigen Gefühlen psychisch realisierten -
Kategorien, in die wir den an sich bloß ideellen Gehalt der Welt fassen,
damit er für uns eine praktische Bedeutung gewinne.
So wenig also der Wille - der bloße, zu einer gewissen
Selbständigkeit gesteigerte Name dieser Form - von sich aus irgendeinen
bestimmten Inhalt erkürt, so wenig geht aus dem bloßen Bewußtsein der
Weltinhalte, also aus der Intellektualität, irgendeine Zwecksetzung
hervor.
Vielmehr, zu der völligen Indifferenz jener und aus ihnen selbst nicht
berechenbar, tritt an irgendeinem Punkte ihre Betonung durch den Willen.
Ist dies erst einmal geschehen, so findet freilich rein logisch und
durch die theoretische Sachlichkeit bestimmt, die Überleitung des Willens
auf andere, mit jener ersten kausal verbundene Vorstellungen statt, die
nun als »Mittel« zu jenem »Endzweck« gelten.
Überall, wo der Intellekt uns führt, sind wir schlechthin abhängig,
denn er führt uns nur durch die sachlichen Zusammenhänge der Dinge, er
ist die Vermittlung, durch die das Wollen sich dem selbständigen Sein
anpaßt.
Fassen wir den Begriff der Mittelberechnung in voller Schärfe, so sind
wir, in ihr verweilend, rein theoretische, absolut nicht-praktische Wesen.
Das Wollen begleitet die Reihe unserer Überlegungen nur wie ein
Orgelpunkt oder wie die allgemeine Voraussetzung eines Gebietes, in dessen
inhaltliche Einzelheiten und Verhältnisse sie nicht eingreift, in das
aber erst sie Leben und Wirklichkeit einströmen läßt.
Die Anzahl und Reihenlänge der Mittel, die den Inhalt unserer
Tätigkeit bilden, entwickelt sich also proportional mit der
Intellektualität, als dem subjektiven Repräsentanten der objektiven
Weltordnung.
Da nun jedes Mittel als solches völlig indifferent ist, so knüpfen
sich alle Gefühlswerte im Praktischen an die Zwecke, an die Haltepunkte
des Handelns, deren Erreichtheit nicht mehr in die Aktivität, sondern nur
in die Rezeptivität unserer Seele ausstrahlt.
Je mehr solcher Endstationen unser praktisches Leben enthält, desto
stärker wird sich also die Gefühlsfunktion gegenüber der
Intellektfunktion betätigen.
Die Impulsivität und Hingegebenheit an den Affekt, die von
Naturvölkern so vielfach berichtet wird, hängt sicher mit der Kürze
ihrer teleologischen Reihen zusammen.
Ihre Lebensarbeit hat nicht die Kohäsion der Elemente, die in höheren
Kulturen durch den einheitlich das Leben durchziehenden »Beruf«
geschaffen wird, sondern besteht aus einfachen Interessenreihen, die, wenn
sie ihr Ziel überhaupt erreichen, es mit relativ wenig Mitteln tun; wozu
besonders viel die Unmittelbarkeit der Bemühung um den Nahrungserwerb
beiträgt, die dann in höheren Verhältnissen fast durchgehends (>
482) vielgliedrigen Zweckreihen Platz macht.
Unter diesen Umständen ist Vorstellung und Genuß von Endzwecken ein
relativ häufiger, das Bewußtsein der sachlichen Verknüpfungen und der
Wirklichkeit, die Intellektualität, tritt seltener in Funktion, als die
Gefühlsbegleitungen, die sowohl die unmittelbare Vorstellung wie den
realen Eintritt der Endzwecke charakterisieren.
Noch das Mittelalter hatte durch die ausgedehnte Produktion für den
Selbstbedarf, durch die Art des Handwerksbetriebes, durch die Vielfachheit
und Enge der Einungen, vor allem durch die Kirche eine viel größere Zahl
definitiver Befriedigungspunkte des Zweckhandelns, als die Gegenwart, in
der die Umwege und Vorbereitungen zu solchen ins Endlose wachsen, wo der
Zweck der Stunde so viel häufiger über die Stunde hinaus, ja, über den
Gesichtskreis des Individuums hinausliegt.
Diese Verlängerung der Reihen bringt das Geld zunächst dadurch
zustande, daß es ein gemeinsames, zentrales Interesse über sonst
auseinanderliegenden schafft und sie dadurch in Verbindung bringt, so daß
die eine zur Vorbereitung der anderen, ihr sachlich ganz fremden, werden
kann (indem z. B. der Geldertrag der einen und damit sie als Ganzes zum
Unternehmen der anderen dient).
Das Wesentliche aber ist die allgemeine, nach ihrem Zustandekommen
bereits früher besprochene Tatsache, daß das Geld allenthalben als Zweck
empfunden wird und damit außerordentlich viele Dinge, die eigentlich den
Charakter des Selbstzwecks haben, zu bloßen Mitteln herabdrückt.
Indem nun aber das Geld selbst überall und zu allein Mittel ist,
werden dadurch die Inhalte des Daseins in einen ungeheuren teleologischen
Zusammenhang eingestellt, in dem keiner der erste und keiner der letzte
ist.
Und da das Geld alle Dinge mit unbarmherziger Objektivität mißt und
ihr Wertmaß, das sich so herausstellt, ihre Verbindungen bestimmt - so
ergibt sich ein Gewebe sachlicher und persönlicher Lebensinhalte, das
sich an ununterbrochener Verknüpftheit und strenger Kausalität dem
naturgesetzlichen Kosmos nähert und von dem alles durchflutenden Geldwert
so zusammengehalten wird, wie die Natur von der alles belebenden Energie,
die sich ebenso wie jener in tausend Formen kleidet, aber durch die
Gleichmäßigkeit ihres eigentlichen Wesens und die Rückverwandelbarkeit
jeder ihrer Umsetzungen jedes mit jedem in Verbindung setzt und jedes zur
Bedingung eines jeden macht.
Wie nun aus der Auffassung der natürlichen Prozesse alle
Gefühlsbetonungen verschwunden und durch die eine objektive Intelligenz
ersetzt worden sind, so scheiden die Gegenstände und Verknüpfungen
unserer praktischen Welt, indem sie mehr und mehr zusammenhängende Reihen
bilden, die Einmischungen des Gefühles aus, die sich nur an
teleologischen Endpunkten einstellen, (> 483) und sind nur noch Objekte
der Intelligenz, die wir an der Hand dieser benutzen.
Die steigende Verwandlung aller Lebensbestandteile in Mittel, die
gegenseitige Verbindung der sonst mit selbstgenügsamen Zwecken
abgeschlossenen Reihen zu einem Komplex relativer Elemente ist nicht nur
das praktische Gegenbild der wachsenden Kausalerkenntnis der Natur und der
Verwandlung des Absoluten in ihr in Relativitäten; sondern, da alle
Struktur von Mitteln - für unsere jetzige Betrachtung - eine von
vorwärts betrachtete Kausalverbindung ist, so wird damit auch die
praktische Welt mehr und mehr zu einem Problem für die Intelligenz; oder
genauer: die vorstellungsmäßigen Elemente des Handelns wachsen objektiv
und subjektiv zu berechenbaren, rationellen Verbindungen zusammen und
schalten dadurch die gefühlsmäßigen Betonungen und Entscheidungen mehr
und mehr aus, die sich nur an die Cäsuren des Lebensverlaufes, an die
Endzwecke in ihm, anschließen.
Diese Beziehung zwischen der Bedeutung des Intellekts und der des
Geldes für das Leben läßt die Epochen oder Interessengebiete, wo beides
herrscht, zunächst negativ bestimmen: durch eine gewisse
Charakterlosigkeit.
Wenn Charakter immer bedeutet, daß Personen oder Dinge auf eine
individuelle Daseinsart, im Unterschiede und unter Ausschluß von allen
anderen, entschieden festgelegt sind, so weiß der Intellekt als solcher
davon nichts: denn er ist der indifferente Spiegel der Wirklichkeit, in
der alle Elemente gleichberechtigt sind, weil ihr Recht hier in nichts
anderem als in ihrem Wirklichsein besteht.
Gewiß sind auch die Intellektualitäten der Menschen charakteristisch
unterschieden: allein genau angesehen, sind dies entweder Unterschiede des
Grades: Tiefe oder Oberflächlichkeit, Weite oder Beschränktheit - oder
solche, die durch den Beisatz anderer Seelenenergien, des Fühlens oder
Wollens entstehen.
Der Intellekt, seinem reinen Begriff nach, ist absolut charakterlos,
nicht im Sinne des Mangels einer eigentlich erforderlichen Qualität,
sondern weil er ganz jenseits der auswählenden Einseitigkeit steht, die
den Charakter ausmacht.
Eben dies ist ersichtlich auch die Charakterlosigkeit des Geldes.
Wie es an und für sich der mechanische Reflex der Wertverhältnisse der
Dinge ist und allen Parteien sich gleichmäßig darbietet, so sind
innerhalb des Geldgeschäftes alle Personen gleichwertig, nicht, weil
jede, sondern weil keine etwas wert ist, sondern nur das Geld.
Die Charakterlosigkeit aber des Intellekts wie des Geldes pflegt über
diesen reinen, negativen Sinn hinauszuwachsen.
Wir verlangen von allen Dingen - vielleicht nicht immer mit sachlichem
Recht - Bestimmtheit des Charakters und verdenken es dem rein
theoretischen Menschen, daß sein Alles -Verstehen (> 484) ihn bewegt,
alles zu verzeihen - eine Objektivität, die wohl einem Gotte, aber
niemals einem Menschen zukäme, der sich damit in offenbaren Widerspruch
sowohl gegen die Hinweisungen seiner Natur wie gegen seine Rolle in der
Gesellschaft setze.
So verdenken wir es der Geldwirtschaft, daß sie ihren zentralen Wert
der elendesten Machination als ein völlig nachgiebiges Werkzeug zur
Verfügung stellt; denn dadurch, daß sie es der hochsinnigsten
Unternehmung nicht weniger leiht, wird dies nicht gut gemacht, sondern
gerade nur das völlig zufällige Verhältnis zwischen der Reihe der
Geldoperationen und der unserer höheren Wertbegriffe, die Sinnlosigkeit
des einen, wenn man es am anderen mißt, in das hellste Licht gestellt.
Die eigentümliche Abflachung des Gefühlslebens, die man der Jetztzeit
gegenüber der einseitigen Stärke und Schroffheit früherer Epochen
nachsagt; die Leichtigkeit intellektueller Verständigung, die selbst
zwischen Menschen divergentester Natur und Position besteht - während
selbst eine intellektuell so überragende und theoretisch so interessierte
Persönlichkeit wie Dante noch sagt, gewissen theoretischen Gegnern dürfe
man nicht mit Gründen, sondern nur mit dem Messer antworten; die Tendenz
zur Versöhnlichkeit, aus der Gleichgültigkeit gegen die Grundfragen des
Innenlebens quellend, die man zuhöchst als die nach dem Heil der Seele
bezeichnen kann und die nicht durch den Verstand zu entscheiden sind - bis
zu der Idee des Weltfriedens, die besonders in den liberalen Kreisen, den
historischen Trägern des Intellektualismus und des Geldverkehrs gepflegt
wird: alles dies entspringt als positive Folge jenem negativen Zuge der
Charakterlosigkeit.
An den Höhenpunkten des Geldverkehrs wird diese Farblosigkeit
sozusagen zur Farbe von Berufsinhalten.
In den modernen Großstädten gibt es eine große Anzahl von Berufen,
die keine objektive Form und Entschiedenheit der Betätigung aufweisen:
gewisse Kategorien von Agenten, Kommissionäre, all die unbestimmten
Existenzen der Großstädte, die von den verschiedenartigsten, zufällig
sich bietenden Gelegenheiten, etwas zu verdienen, leben.
Bei diesen hat das ökonomische Leben, das Gewebe ihrer teleologischen
Reihen überhaupt keinen sicher anzugebenden Inhalt, außer dem
Geldverdienen, das Geld, das absolut Unfixierte, ist ihnen der feste
Punkt, um den ihre Tätigkeit mit unbegrenzter Latitüde schwingt.
Eine besondere Art von »unqualifizierter Arbeit« liegt hier vor,
neben der die gewöhnlich so bezeichnete sich doch noch als qualifiziert
herausstellt: nämlich dadurch, daß das Wesen der letzteren in der
bloßen Muskelarbeit besteht, bei völligem Überwiegen des aufgewendeten
Energiequantums über die Form seiner Äußerung, bekommt diese Arbeit der
niedrigsten Arbeiter (> 485) doch eine spezifische Färbung, ohne die
schon die bloßen, neuerdings in England gemachten Versuche, sie in
Gewerkvereinen zu organisieren, nicht möglich wären.
Sehr viel mehr entbehren jene, den divergentesten
Verdienstgelegenheiten nachgehenden Existenzen jeder apriorischen
Bestimmtheit ihres Lebensinhaltes - im Unterschiede vom Bankier, bei dem
das Geld nicht nur der Endzweck, sondern auch das Material der Tätigkeit
ist, als welches es durchaus besondere, festgelegte Direktiven,
eigenartige Interessiertheiten, Züge eines bestimmten Berufscharakters
zeitigen kann.
Erst bei jenen problematischen Existenzen haben die Wege zu dem Endziel
Geld jede sachliche Einheit oder Verwandtschaft abgestreift.
Das Nivellement, das das Geldziel den einzelnen Betätigungen und
Interessen bereitet, findet erst hier ein Minimum von Widerstand, die
Bestimmtheit und Färbung, die der Persönlichkeit aus ihren ökonomischen
Tätigkeiten kommen könnte, ist aufgehoben.
Nun ist offenbar eine solche Existenz nur bei nicht gewöhnlicher
Intellektualität von irgendwelchem Erfolge, ja Möglichkeit, und zwar in
jener Form, die man als »Schlauheit« bezeichnet - womit man die Lösung
der Klugheit von jeder Festgelegtheit durch die Normen der Sache oder der
Idee und ihre vorbehaltlose Dienstbarkeit für das jeweilige persönliche
Interesse meint.
Zu diesen »Berufen« - denen gerade das »Berufensein«, d. h. die
feste ideelle Linie zwischen der Person und einem Lebensinhalt fehlt -
sind begreiflicherweise die überhaupt entwurzelten Menschen disponiert,
und ebenso begreiflich ruht auf ihnen der Verdacht der Unzuverlässigkeit;
wie sogar schon in Indien gelegentlich der Name für Kommissionär,
Vermittler, zugleich der Name für jemanden geworden ist who lives by
cheating his fellow-creatures.
Jene großstädtischen Existenzen, die nur auf irgendeine, völlig
unpräjudizizierte Weise Geld verdienen wollen und dazu um so mehr des
Intellekts als allgemeiner Funktion bedürfen, weil spezielle Sachkenntnis
für sie nicht in Frage kommt - stellen ein Hauptkontingent zu jenem Typus
unsichrer Persönlichkeiten, die man nicht recht greifen und »stellen«
kann, weil ihre Beweglichkeit und Vielseitigkeit es ihnen erspart, sich
sozusagen in irgendeiner Situation festzulegen.
Daß das Geld und die Intellektualität den Zug der Unpräjudiziertheit
oder Charakterlosigkeit gemeinsam haben, das ist die Voraussetzung dieser
Erscheinungen, die auf einem anderen Boden als auf der Berührungsfläche
jener beiden Mächte nicht wachsen könnten.
Gegen derartige Züge der Geldwirtschaft ist die Heftigkeit der
modernen Wirtschaftskämpfe, in denen kein Pardon gegeben wird, doch nur
eine scheinbare Gegeninstanz, da sie durch das unmittelbare Interesse am
Gelde selbst entfesselt werden.
Denn nicht nur, daß (> 486) diese in einer objektiven Sphäre vor
sich gehen, in der die Persönlichkeit nicht sowohl als Charakter, sondern
als Träger einer bestimmten sachlichen Wirtschaftspotenz wichtig ist und
wo der todfeindliche Konkurrent von heute der Kartellgenosse von morgen
ist; sondern vor allem: die Bestimmungen, die ein Gebiet innerhalb seiner
erzeugt, können durchaus denen heterogen sein, die es außerhalb seiner
gelegenen, aber von ihm beeinflußten, mitteilt.
So kann eine Religion innerhalb ihrer Anhänger und ihrer Lehre die
Friedfertigkeit selbst und doch sowohl den Ketzern wie den ihr
benachbarten Lebensmächten gegenüber äußerst streitbar und grausam
sein; so kann ein Mensch in Anderen Gefühle und Gedanken hervorrufen, die
seinen eigenen Lebensinhalten völlig heterogen sind, so daß er gibt, was
er selbst nicht hat; so mag eine Kunstrichtung ihrer eigenen Überzeugung
und artistischen Idee nach völlig naturalistisch sein, in dem Verhältnis
der Unmittelbarkeit und bloßen Reproduktion zur Natur stehend, während
die Tatsache, daß es überhaupt eine so treue Hingabe an die Erscheinung
des Wirklichen und eine künstlerische Bemühung um ihre Abspiegelung
gibt, im System des Lebens ein absolut ideales Moment ist und sich, im
Vergleich zu dessen anderen Bestandteilen, weit über alle naturalistische
Wirklichkeit hinaushebt.
So wenig die Schärfe theoretisch-logischer Kontroversen hindert, daß
die Intellektualität doch ein Prinzip der Versöhnlichkeit ist - denn
sobald der Streit aus dem Gegensatz der Gefühle oder der Wollungen oder
der unbeweisbaren, nur gefühlsmäßig anerkennbaren Axiome in die
theoretische Diskussion übergegangen ist, muß er prinzipiell beigelegt
werden können -, so wenig hindern die Interessenkämpfe in der
Geldwirtschaft, daß diese doch ein Prinzip der Indifferenz ist, die
Gegnerschaften aus dem eigentlich Persönlichen heraushebt und ihnen einen
Boden bietet, auf dem schließlich immer eine Verständigung möglich ist.
Gewiß hat -die rein verstandesmäßige Behandlung der Menschen und
Dinge etwas Grausames; aber sie hat dies nicht als positiven Impuls,
sondern als einfache Unberührtheit ihrer bloß logischen Konsequenz durch
Rücksichten, Gutmütigkeit, Zartheiten; weshalb denn auch entsprechend
der rein geldmäßig interessierte Mensch es gar nicht zu begreifen
pflegt, wenn man ihm Grausamkeit und Brutalität vorwirft, da er sich
einer bloßen Folgerichtigkeit und reinen Sachlichkeit seines Verfahrens,
ohne irgendeinen bösen Willen, bewußt ist.
Bei alledem ist festzuhalten, daß es sich nur um das Geld als Form der
Wirtschaftsbewegungen handelt, denen darum doch aus anderweitigen,
inhaltlichen Motiven noch ganz davon abweichende Züge kommen können.
Man kann dieses jenseits der Charakterbestimmtheiten, in das das Leben,
unbeschadet (> 487) aller sonstigen, gegensatzverschärfenden Folgen
der Intellektualität und der Geldwirtschaft, durch sie gestellt wird, als
Objektivität des Lebensstiles bezeichnen.
Dies ist nicht ein Zug, der sich der Intelligenz hinzugesellte, sondern
er ist ihr Wesen selbst; sie ist die einzige dem Menschen zugängige Art,
auf die er zu den Dingen ein nicht durch die Zufälligkeit des Subjektes
bestimmtes Verhältnis gewinnen kann.
Angenommen selbst, daß die gesamte objektive Wirklichkeit durch die
Funktionen unseres Geistes bestimmt ist, so nennen wir eben diejenigen
Funktionen die intelligenten, durch die sie uns als die objektive, im
spezifischen Sinne des Wortes, erscheint, so sehr die Intelligenz selbst
auch durch anderweitige Kräfte belebt und dirigiert sei.
Das glänzendste Beispiel für diese Zusammenhänge ist Spinoza: ein
objektivstes Verhalten zur Welt, jeder einzelne Akt der Innerlichkeit als
ein harmonisches Weiterklingen der Notwendigkeiten des allgemeinen Daseins
gefordert, den Unberechenbarkeiten der Individualität nirgends gestattet,
die logisch-mathematische Struktur der Welteinheit zu durchbrechen, die
Funktion, die dieses Weltbild und seine Normen trägt, die rein
intellektuelle; auf das bloße Verstehen der Dinge ist diese
Weltanschauung selbst subjektiv aufgebaut, und es reicht zur Erfüllung
ihrer Forderungen aus; diese Intellektualität selbst aber allerdings auf
ein tief religiöses Fühlen gegründet, auf eine völlig
über-theoretische Beziehung zum Grunde der Dinge, die nur nie in das
Einzelne des in sich geschlossenen intellektuellen Prozesses eingreift.
Im großen zeigt das indische Volk dieselbe Verbindung.
Aus den ältesten wie aus modernen Zeiten wird berichtet, daß zwischen
den kämpfenden Heeren indischer Staaten der Landmann ruhig sein Feld
bebauen könne, ohne von einer feindlichen Partei belästigt zu werden;
denn er sei »der gemeinsame Wohltäter von Freund und Feind«.
Offenbar ist dies ein äußerstes Maß objektiver Behandlung der
praktischen Dinge: die als natürlich erscheinenden subjektiven Impulse
sind völlig zugunsten einer nur der sachlichen Bedeutung der Elemente
entsprechenden Praxis ausgeschaltet, die Differenzierung des Verhaltens
folgt nur noch einer objektiven Angemessenheit statt denen der
persönlichen Leidenschaft.
Aber dieses Volk war auch völlig intellektualistisch gestimmt: an
scharfer Logik, grüblerischer Tiefe der Weltkonstruktion, ja, einer
kahlen Verstandesmäßigkeit selbst seiner gigantischsten Phantasien wie
seiner gesteigertsten ethischen Ideale war es in alten Zeiten allen
anderen ebenso überlegen, wie es an ausstrahlender Wärme des
eigentlichen Gemütslebens und an Willenskraft hinter sehr vielen
zurückstand; es war ein bloßer Zuschauer und logischer Konstrukteur des
Weltlaufs geworden - aber daß es das geworden war, das (> 488) ruhte
dennoch auf letzten Entscheidungen des Gefühles, auf einer
Unermeßlichkeit des Leidens, die zu einem metaphysisch-religiösen
Fühlen seiner kosmischen Notwendigkeit auswuchs, weil der Einzelne mit
ihm weder innerhalb der Gefühlsprovinz selbst, noch durch die Ableitungen
einer energischen Lebenspraxis fertig werden konnte.
Eben diese Objektivität der Lebensverfassung geht auch von deren
Beziehung zum Gelde aus.
Ich habe in früherem Zusammenhang darauf hingewiesen, eine wie große
Erhebung über die ursprüngliche undifferenzierte Subjektivität des
Menschen schon der Handel darstellt.
Noch heute gibt es Völker in Afrika und Mikronesien, die keinen
anderen Besitzwechsel als in der Form des Raubes und des Geschenkes
kennen.
Wie aber dem höheren Menschen neben und über den subjektivistischen
Antrieben von Egoismus und Altruismus - in deren Alternative die Ethik
leider noch die menschlichen Motivierungen einzusperren pflegt - objektive
Interessen erwachsen, ein Hingegebensein oder Verpflichtetsein, das gar
nicht mit Verhältnissen von Subjekten, sondern mit sachlichen
Angemessenheiten und Idealen zu tun hat: so entwickelt sich, jenseits der
egoistischen Impulsivität des Raubes und der nicht geringeren
altruistischen des Geschenkes, der Besitzwechsel nach der Norm objektiver
Richtigkeit und Gerechtigkeit, der Tausch.
Das Geld aber stellt das Moment der Objektivität der Tauschhandlungen
gleichsam in reiner Abgelöstheit und selbständiger Verkörperung dar, da
es von allen einseitigen Qualifikationen der tauschbaren Einzeldinge frei
ist und deshalb von sich aus zu keiner wirtschaftlichen Subjektivität ein
entschiedeneres Verhältnis hat als zu einer anderen - gerade wie das
theoretische Gesetz die für sich seiende Objektivität des
Naturgeschehens darstellt, der gegenüber jeder einzelne, von jenem
bestimmte Fall als zufällig - das Seitenstück zu dem Subjektiven im
Menschlichen - erscheint.
Daß dennoch die verschiedenen Persönlichkeiten gerade zum Gelde die
verschiedensten inneren Beziehungen haben, beweist gerade seine
Jenseitigkeit von jeder subjektiven Einzelheit; es teilt diese mit den
anderen großen historischen Potenzen, die weiten Seen gleichen, aus denen
man von jeder Seite her und alles das schöpfen kann, was das mitgebrachte
Gefäß nach Form und Umfang gestattet.
Die Objektivität des gegenseitigen Verhaltens der Menschen - die
freilich nur eine Formung eines ursprünglich von subjektiven Energien
gelieferten Materiales ist, aber eine von schließlich selbständigem
Bestande und Normgebung - gewinnt an den rein geldwirtschaftlichen
Interessen ihre restloseste Ausprägung.
Was gegen Geld fortgegeben wird, gelangt an denjenigen, der das meiste
dafür gibt, gleichgültig, was und wer er sonst sei; wo andere (> 489)
Äquivalente ins Spiel kommen, wo man um Ehre, um Dienstleistung, um
Dankbarkeit sich eines Besitzes entäußerst, sieht man sich die
Beschaffenheit der Person an, der man gibt.
Und umgekehrt, wo ich selbst um Geld kaufe, ist es mir gleichgültig,
von wem ich das kaufe, was mir erwünscht und den Preis wert ist; wo man
aber um den Preis der Dienstleistung, der persönlichen Verpflichtung in
innerlicher und äußerlicher Beziehung erwirbt, da prüft man genau, mit
wem man zu tun hat, weil wir nichts anderes von uns als gerade nur Geld
jedem Beliebigen geben mögen.
Die Bemerkung auf den Kassenscheinen, daß der Wert derselben dem
Einlieferer »ohne Legitimationsprüfung« ausgezahlt wird, ist
bezeichnend für die absolute Objektivität, mit der in Geldsachen
verfahren wird.
Auf ihrem Gebiete findet sich selbst bei einem sehr viel
leidenschaftlicheren Volke als den Indern doch ein Gegenstück zu jener
Exemtion des Ackerbauers von den kriegerischen Bewegungen: bei einigen
Indianern darf der Händler unbehelligt durch Stämme ziehen und Handel
treiben, die mit dem seinigen auf dem Kriegsfuß stehen!
Das Geld stellt Handlungen und Verhältnisse des Menschen so außerhalb
des Menschen als Subjektes, wie das Seelenleben, soweit es rein
intellektuell ist, aus der persönlichen Subjektivität in die Sphäre der
Sachlichkeit, die es nun abspiegelt, eintritt.
Damit ist ersichtlich ein Überlegenheitsverhältnis angelegt.
Wie der, der das Geld hat, dem überlegen ist, der die Ware hat, so
besitzt der intellektuelle Mensch als solcher eine gewisse Macht
gegenüber dem, der mehr im Gefühle und Impulse lebt.
Denn soviel wertvoller des letzteren Gesamtpersönlichkeit sein mag, so
sehr seine Kräfte in letzter Instanz jenen überflügeln mögen - er ist
einseitiger, engagierter, vorurteilsvoller als jener, er hat nicht den
souveränen Blick und die ungebundenen Verwendungsmöglichkeiten über
alle Mittel der Praxis wie der reine Verstandesmensch.
Aus diesem Überlegenheitsmoment heraus, in dem das Geld und die
Intellektualität durch ihre Objektivität gegenüber jedem singulären
Lebensinhalt zusammentreffen, hat Comte in seinem Zukunftsstaat an die
Spitze der weltlichen Regierung die Bankiers gestellt, da sie die Klasse
der allgemeinsten und abstraktesten Funktionen bildeten.
Und dieser Zusammenhang klingt schon bei den mittelalterlichen
Gesellenverbänden an, in denen der Seckelmeister zugleich der Vorstand
der Bruderschaft zu sein pflegt.
Diese Begründung der Korrelation zwischen Intellektualität und
geldmäßiger Wirtschaft auf die Objektivität und charakterologische
Unbestimmtheit, die beiden gemeinsam wären, begegnet nun aber einer sehr
entschiedenen Gegeninstanz.
Neben der unpersönlichen (> 490) Sachlichkeit nämlich, die der
Intelligenz ihren Inhalten nach eigen ist, steht eine äußerst enge
Beziehung, die sie gerade zur Individualität und zum ganzen Prinzip des
Individualismus besitzt; das Geld seinerseits, so sehr es die
impulsiv-subjektivistischen Verfahrungsweisen in überpersönliche und
sachlich normierte überführt, ist dennoch die Pflanzstätte des
wirtschaftlichen Individualismus und Egoismus.
Hier liegen also offenbar Mehrdeutigkeiten und Verschlingungen der
Begriffe vor, die klar auseinandergelegt werden müssen, um den durch sie
bezeichenbaren Lebensstil zu verstehen.
Jene Doppelrolle, die sowohl der Intellekt wie das Geld spielen, wird
begreiflich, sobald man ihren Inhalt, den Sachgehalt ihres Wesens, von der
Funktion unterscheidet, die diesen trägt, bzw. von der Verwendung, die
von ihm gemacht wird.
In dem ersteren Sinne hat der Intellekt einen nivellierten, ja, man
möchte sagen: kommunistischen Charakter.
Zunächst, weil es das Wesen seiner Inhalte ist, daß sie allgemein
mitteilbar sind, und daß, ihre Richtigkeit vor-ausgesetzt, jeder
hinreichend vorgebildete Geist sich von ihnen muß überzeugen lassen
können - wozu es auf den Gebieten des Willens und des Gefühles gar kein
Analogon gibt.
Auf diesen hängt jede Übertragung der gleichen inneren Konstellation
von der mitgebrachten und jedem Zwange nur bedingt nachgiebigen Verfassung
der individuellen Seele ab; ihr gegenüber gibt es keine Beweise, wie sie
dem Intellekt, wenigstens prinzipiell, zu Gebote stehen, um die gleiche
Überzeugung durch die Gesamtheit der Geister zu verbreiten.
Die Belehrbarkeit, die ihm allein eigen ist, bedeutet, daß man sich auf
einem mit Allen gemeinsamen Niveau befindet.
Dazu kommt, daß die Inhalte der Intelligenz, von ganz zufälligen
Komplikationen abgesehen, die eifersüchtige Ausschließlichkeit nicht
kennen, die die praktischen Lebensinhalte so oft besitzen.
Gewisse Gefühle, z. B. die mit dem Verhältnis zwischen einem Ich und
einem Du verbundenen, würden ihr Wesen und ihren Wert völlig verlieren,
wenn eine Mehrzahl sie genau so teilen dürfte; gewissen Willenszielen ist
es unbedingt wesentlich, daß Andere von ihnen, sowohl dem Erstreben wie
dem Erreichen nach, ausgeschlossen sind.
Theoretische Vorstellungen dagegen gleichen, wie man wohl gesagt hat,
der Fackel, deren Licht darum nicht geringer wird, daß beliebig viele
andere an ihr entzündet werden; indem die potenzielle Unendlichkeit ihrer
Verbreitung gar keinen Einfluß auf ihre Bedeutung hat, entzieht sie sie
mehr als alle sonstigen Lebensinhalte dem Privatbesitz.
Endlich bieten sie sich durch die Fixierung, über die sie verfügen,
in einer Art dar, die von der Aufnahme ihres Inhaltes alle individuellen
Zufälligkeiten, wenigstens prinzipiell, ausschließt.
Wir haben (> 491) gar keine Möglichkeit, Gefühlsbewegungen und
Willensenergien in so restloser und unzweideutiger Weise niederzulegen,
daß jeder in jedem Augenblick darauf zurückgreifen und an der Hand des
objektiven Gebildes den gleichen inneren Vorgang immer wieder erzeugen
kann - wozu wir allein intellektuellen Inhalten gegenüber in der in
Begriffen und ihrer logischen Verknüpfung sich bewegenden Sprache ein
zulängliches, von der individuellen Disposition relativ unabhängiges
Mittel besitzen.
Nach ganz anderer Richtung aber entwickelt sich nun die Bedeutung des
Intellektes, sobald die realen geschichtlichen Kräfte mit jenen
abstrakten Sachlichkeiten und Möglichkeiten seines Inhaltes zu schalten
beginnen.
Zunächst ist es gerade die Allgemeingültigkeit der Erkenntnis und
ihre daraus folgende Eindringlichkeit und Unwiderstehlichkeit, die sie zu
einer furchtbaren Waffe der irgend hervorragenderen Intelligenzen macht.
Gegen einen überlegenen Willen können wenigstens die nicht
suggestiblen Naturen sich wehren; einer überlegenen Logik aber kann man
sich nur durch ein eigensinniges: Ich will nicht - entziehen, womit man
sich denn doch als den schwächeren bekennt.
Es kommt hinzu, daß zwar die großen Entscheidungen zwischen den
Menschen von den überintellektuellen Energien ausgehen, der tägliche
Kampf um das Sein und Haben aber durch das einzusetzende Maß von Klugheit
entschieden zu werden pflegt.
Die Macht der größeren Intelligenz beruht gerade auf dem kommunistischen
Charakter ihrer Qualität: weil sie inhaltlich das Allgemeingültige und
überall Wirksame und Anerkannte ist, gibt schon das bloße Quantum ihrer,
das jemandem durch seine Anlage zugängig ist, ihm einen unbedingteren
Vorsprung, als ein qualitativ individuellerer Besitz es könnte, der eben
wegen seiner Individualität nicht überall verwendbar ist und nicht
ebenso an jedem Punkte der praktischen Welt irgendein Herrschaftsgebiet
findet.
Hier wie sonst ist es gerade der Boden des gleichen Rechtes für Alle,
der die individuellen Unterschiede zur vollen Entwicklung und Ausnutzung
bringt.
Gerade weil die bloß verstandesmäßige, auf die unbegründbaren
Betonungen des Wollens und Fühlens verzichtende Vorstellung und Ordnung
der menschlichen Verhältnisse keinen a priori gegebenen Unterschied
zwischen den Individuen kennt, hat sie ebensowenig Grund, dem a posteriori
hervortretenden irgend etwas von der Ausdehnung abzuschneiden, zu der er
von sich aus gelangen kann - was durch den sozialen Pflichtwillen wie
durch die Gefühle von Liebe und Mitleid so oft geschieht.
Darum ist die rationalistische Weltauffassung - die, unparteiisch wie
das Geld, auch das sozialistische Lebensbild genährt hat - die Schule des
neuzeitlichen Egoismus und des rücksichtslosen Durchsetzens der (>
492) Individualität geworden.
Für die gewöhnliche - nicht gerade vertiefte - Anschauung ist das Ich
im Praktischen nicht weniger als im Theoretischen die selbstverständliche
Grundlage und das unvermeidlich erste Interesse; alle Motive der
Selbstlosigkeit erscheinen nicht als ebenso natürliche und autochthone,
sondern als nachträgliche und gleichsam künstlich angepflanzte.
Der Erfolg davon ist, daß das Handeln im selbstischen Interesse als
das eigetlich und einfach »logische« gilt.
Alle Hingabe und Aufopferung scheint aus den irrationalen Kräften des
Gefühls und Willens zu fließen, so daß die bloßen Verstandesmenschen
dieselbe als einen Beweis mangelnder Klugheit zu ironisieren oder als den
Umweg eines versteckten Egoismus zu denunzieren pflegen.
Gewiß ist dies schon deshalb irrig, weil auch der egoistische Wille
eben Wille ist, so gut wie der altruistische, und so wenig wie dieser aus
dem bloßen verstandesmäßigen Denken herausgepreßt werden kann; dieses
vielmehr kann, wie wir sahen, immer nur die Mittel, für das eine wie für
das andere, an die Hand geben, es steht dem praktischen Zweck, der diese
auswählt und verwirklicht, völlig indifferent gegenüber.
Allein da jene Verbindung der reinen Intellektualität mit dem
praktischen Egoismus nun einmal eine verbreitete Vorstellung ist, so wird
sie wohl, wenn auch nicht mit der angeblichen logischen Unmittelbarkeit,
so doch auf irgendwelchen psychologischen Umwegen irgendeine Wirklichkeit
haben.
Aber nicht nur der eigentlich ethische Egoismus, sondern auch der
soziale Individualismus erscheint als das notwendige Korrelat der
Intellektualität.
Aller Kollektivismus, der eine neue Lebenseinheit aus und über den
Individuen schafft, scheint dem nüchternen Verstande etwas Mystisches,
ihm Undurchdringliches zu enthalten, sobald er es eben nicht in die bloße
Summe der Individuen auflösen kann - wie die Lebenseinheit des
Organismus, soweit er ihn nicht als Mechanismus der Teile verstehen kann.
Darum ist mit dem Rationalismus des 18. Jahrhunderts, der sich zur
Revolution aufgipfelte, ein strenger Individualismus verbunden, und erst
die Opposition gegen den ersteren, die von Herder über die Romantik
führte, hat mit der Anerkennung der überindividuellen Gefühlspotenzen
des Lebens auch die überindividuellen Kollektivitäten als Einheiten und
historische Wirklichkeiten anerkannt.
Die Allgemeingültigkeit der Intellektualität ihren Inhalten nach
wirkt, indem sie für jede individuelle Intelligenz gilt, auf eine
Atomisierung der Gesellschaft hin, sowohl vermittels ihrer wie von ihr aus
gesehen erscheint jeder als ein in sich geschlossenes Element neben jedem
anderen, ohne daß diese abstrakte Allgemeinheit irgendwie in die konkrete
überginge, in der der Einzelne erst mit den anderen zusammen (> 493) eine Einheit bildete.
Endlich hat die innere Zugängigkeit und Nachdenkbarkeit theoretischer
Erkenntnisse, die sich niemandem so prinzipiell versagen können, wie
gewisse Gefühle und Wollungen es tun, eine Konsequenz, die ihr
praktisches Resultat direkt umkehrt.
Zunächst bewirkt gerade jene allgemeine Zugängigkeit, daß Umstände
ganz jenseits der personalen Qualifikation über die tatsächliche
Ausnutzung derselben entscheiden: was zu dem ungeheuren Übergewicht des
unintelligentesten »Gebildeten« über den klügsten Proletarier führt.
Die scheinbare Gleichheit, mit der sich der Bildungsstoff jedem bietet,
der ihn ergreifen will, ist in der Wirklichkeit ein blutiger Hohn, gerade
wie andere Freiheiten liberalistischer Doktrinen, die den Einzelnen
freilich an dem Gewinn von Gütern jeder Art nicht hindern, aber
übersehen, daß nur der durch irgendwelche Umstände schon Begünstigte
die Möglichkeit besitzt, sie sich anzueignen.
Da nun die Inhalte der Bildung - trotz oder wegen ihres allgemeinen
Sich-Darbietens - schließlich nur durch individuelle Aktivität
angeeignet werden, so erzeugen sie die unangreifbarste, weil ungreifbarste
Aristokratie, einen Unterschied zwischen Hoch und Niedrig, der nicht wie
ein ökonomisch-sozialer durch ein Dekret oder eine Revolution
auszulöschen ist, und auch nicht durch den guten Willen der Betreffenden;
Jesus konnte dem reichen Jüngling wohl sagen - Schenke deinen Besitz den
Armen, aber nicht: Gib deine Bildung den Niederen.
Es gibt keinen Vorzug, der dem Tieferstehenden so unheimlich erschiene,
dem gegenüber er sich so innerlich zurückgesetzt und wehrlos fühlte,
wie der Vorzug der Bildung; weshalb denn Bestrebungen, die auf die
praktische Gleichheit ausgingen, so oft und in so vielen Variationen die
intellektuelle Bildung perhorreszierten: von Buddha, den Zynikern, dem
Christentum in gewissen seiner Erscheinungen an bis zu Robespierres: nous
n'avons pas besoin de savants.
Wozu das sehr Wesentliche kommt, daß die Fixierung der Erkenntnisse
durch Sprache und Schrift abstrakt betrachtet, ein Träger ihres
kommunistischen Wesens eine Anhäufung und namentlich Verdichtung
derselben ermöglicht, die die Kluft zwischen Hoch und Niedrig in dieser
Hinsicht sich stetig er-weitern läßt.
Der intellektuell beanlagte oder material sorgenfreiere Mensch wird um
so mehr Chancen haben, über die Masse hinauszuragen, je größer und
zusammengedrängter der vorliegende Bildungsstoff ist.
Wie dem Proletarier heute mancherlei früher versagte Komforts und
Kulturgenüsse zugängig sind, zugleich aber - besonders wenn wir mehrere
Jahrhunderte und Jahrtausende zurücksehen - die Kluft zwischen seiner
Lebenshaltung und der der höheren Stände doch viel größer geworden
ist: so bringt die allgemeine Erhöhung (> 494) des Erkenntnisniveaus
durchaus keine allgemeine Nivellierung, sondern das Gegenteil davon
hervor.
Ich habe dies so ausführlich erörtert, weil die Gegensätzlichkeit
des Sinnes, die der Begriff der Intellektualität zeigt, am Gelde ihre
genaue Analogie findet.
Dem Verständnis des Geldes dient so nicht nur seine Wechselwirkung mit
der Intellektualität, durch die ihre Formen sich gegenseitig an
ähnlichen, sondern vielleicht auch der damit gegebene Hinweis auf ein
tiefer gelegenes, ihnen gemeinsames Prinzip, das die Gleichheit ihrer
Entwicklung trägt - etwa auf jene fundamentale Beschaffenheit oder
Stimmung der historischen Elemente, die, indem sie die Formung derselben
bewirkt, ihren Stil ausmacht.
Wie sehr nun das Geld auf der Basis seiner prinzipiellen
All-Zugänglichkeit und Objektivität dennoch der Ausbildung der
Individualität und Subjektivität dient; wie gerade seine Immer- und
Allgleichheit, sein qualitativ kommunistischer Charakter bewirkt, daß
jeder quantitative Unterschied sogleich zu qualitativen Differenzen führt
- ist in den vorangehenden Kapiteln beschrieben.
Es zeigt sich aber auch hier in der mit keinem anderen Kulturfaktor
vergleichbaren Ausbreitung seiner Macht, die die entgegengesetztesten
Lebenstendenzen zu gleichen Rechten trägt, als die Verdichtung der rein
formalen Kulturenergie, die jedem beliebigen Inhalt zugesetzt werden kann,
um ihn in seiner eigenen Richtung zu steigern und zu immer reinerer
Darstellung zu bringen.
Ich hebe deshalb nur einige spezielle Analogien mit der
Intellektualität hervor, des Inhalts, daß die Unpersönlichkeit und
Allgemeingültigkeit seines abstrakten, sachlichen Wesens, sobald es auf
seine Funktion und Verwendung ankommt, in den Dienst des Egoismus und der
Differenzierung tritt.
Der Charakter des Rationellen und Logischen, der sich am Egoismus
herausstellte, haftet auch an der vollen und rücksichtslosen Ausnutzung
des Geldbesitzes.
Wir haben früher als das Bezeichnende des Geldes andern Besitzen
gegenüber festgestellt, daß es keinerlei Hinweis auf irgendeine
bestimmte Verwendungsart und ebendeshalb keinerlei Hemmung in sich
schließt, durch die ihm die eine Verwendung ferner oder schwieriger wäre
als die andere; in jede, gerade fragliche, geht es restlos auf, ohne daß
ein Verhältnis seiner Qualität zu der der realen Objekte spezifisch
fördernd oder abbiegend wirkte - darin den logischen Formen selbst
vergleichbar, die sich jedem beliebigen Inhalt, seiner Entwicklung oder
Kombination gleichmäßig darbieten und eben dadurch freilich dem sachlich
Unsinnigsten und Verderblichsten dieselbe Chance der Darstellung und
formalen Richtigkeit wie dem Wertvollsten gewähren; und nicht weniger den
Schematen des Rechtes analog, dem es oft genug an Schutzvorrichtungen (>
495) dagegen fehlt, daß das schwerste materielle Unrecht sich mit
unangreifbarer formaler Gerechtigkeit ausstatte.
Diese absolute Möglichkeit, die Kräfte des Geldes bis aufs Letzte
auszunutzen, erscheint nun nicht nur als Rechtfertigung, sondern sozusagen
als logisch-begriffliche Notwendigkeit, es auch wirklich zu tun.
Da es in sich weder Direktiven noch Hemmungen enthält, so folgt es dem
je stärksten subjektiven Impuls, - der auf den Gebieten der
Geldverwendung überhaupt der egoistische zu sein pflegt.
Jene Hemmungsvorstellungen: daß an einem bestimmten Gelde »Blut
klebt« oder ein Fluch haftet, sind Sentimentalitäten, die mit der
wachsenden Indifferenz des Geldes - indem es also immer mehr bloß Geld
wird - ihre Bedeutung ganz einbüßen.
Die rein negative Bestimmung, daß keinerlei Rücksicht sachlicher oder
ethischer Art, wie sie sich aus andern Besitzarten ergibt, die Verwendung
des Geldes bestimmt, wächst ohne weiteres zur Rücksichtslosigkeit als
einer ganz positiven Verhaltungsart aus.
Seine Nachgiebigkeit, die aus seinem völligen Gelöstsein von singulären
Interessen, Ursprüngen und Beziehungen folgt, enthält als anscheinend
logische Konsequenz die Aufforderung, uns in den von ihm beherrschten
Lebensprovinzen keinerlei Zwang anzutun.
An seiner absoluten Sachlichkeit, die gerade aus dem Ausschluß jeder
einseitigen Sachlichkeit hervorgeht, findet der Egoismus reinen Tisch vor,
wie er ihn auch an der bloßen Intellektualität fand - aus keinem anderen
Grunde, als weil diese Triebfeder die logisch einfachste und
nächstliegende ist, so daß die rein formalen und indifferenten
Lebensmächte an ihr ihre erste, gleichsam natürliche und wahlverwandte
Erfüllung finden.
Es ist nicht nur, wie ich es oben berührte, die Rechtsform überhaupt,
die sich mit der reinen Intellektualität und dem Geldverkehr darin
trifft, daß sie alle sich dem sachlich und sittlich perversesten Inhalte
nicht entziehen; sondern es ist vor allem das Prinzip der
Rechtsgleichheit, in dem diese Diskrepanz zwischen der Form und dem realen
Inhalt gipfelt.
Alle drei: das Recht, die Intellektualität, das Geld, sind durch die
Gleichgültigkeit gegen individuelle Eigenheit charakterisiert; alle drei
ziehen aus der konkreten Ganzheit der Lebensbewegungen einen abstrakten,
allgemeinen Faktor heraus, der sich nach eigenen und selbständigen Normen
entwickelt und von diesen aus in jene Gesamtheit der Interessen des
Daseins eingreift und sie nach sich bestimmt.
Indem alle drei also Inhalten, gegen die sie ihrem Wesen nach
gleichgültig sind, Formen und Richtungen vorzuschreiben mächtig sind,
bringen sie unvermeidlich die Widersprüche, die uns hier beschäftigen,
in die Totalität des Lebens hinein.
Wo die Gleichheit die formalen Fundamente der Beziehungen (> 496)
zwischen Menschen ergreift, wird sie zum Mittel, ihre individuellen
Ungleichheiten zum schärfsten und folgenreichsten Ausdruck zu bringen,
der Egoismus hat sich, indem er die Schranken der formalen Gleichheit
einhält, mit inneren und äußeren Hindernissen abgefunden und besitzt
nun gerade in der Allgemeingültigkeit jener Bestimmungen eine Waffe, die,
weil sie jedem dient, auch gegen jeden dient.
Die Formen der Rechtsgleichheit bezeichnen den Typus hierfür, den
einerseits die Intellektualität in ihrer oben geschilderten Bedeutung,
andrerseits das Geld wiederholt: seine allgemeine Zugängigkeit und
Gültigkeit, sein potenzieller Kommunismus beseitigt sowohl für die Oben-
wie für die Unten- wie für die Gleichstehenden gewisse Schranken, die
aus der apriorischen, standesmäßigen Abgrenzung der Besitzarten gefolgt
waren.
So lange der Grundbesitz und die Berufe in den Händen bestimmter
Klassen waren, brachten sie Verpflichtungen gegen die Tieferstehenden,
Solidaritäten der Genossen, selbstverständliche Begehrlichkeitsgrenzen
der Ausgeschlossenen mit sich, zu denen für einen »aufgeklärten«
Rationalismus kein Grund mehr vorliegt, sobald jeder Besitz in einen Wert
überführbar ist, von dessen unbegrenzter Erwerbung niemand prinzipiell
fernzuhalten ist - womit natürlich die Frage nach der Gesamt-Zu- oder
Abnahme des Egoismus im Lauf der Geschichte keineswegs entschieden ist.
Endlich erwähne ich das äußerst Charakteristische, daß auch jene
Aufhäufung intellektueller Errungenschaften, die dem irgendwie
Begünstigten einen unverhältnismäßigen und rapid wachsenden Vorsprung
gönnt, in den Akkumulierungen des Geldkapitals ihre Analogie findet. - Die
Struktur der geldwirtschaftlichen Verhältnisse, die Art, wie das Geld
Renten und Gewinn erzielt, bringt es mit sich, daß es von einer gewissen
Höhe ab sich wie von selbst vermehrt, ohne durch verhältnismäßige
Arbeit des Besitzers befruchtet zu werden.
Dies entspricht der Struktur der Erkenntnisse in der Kulturwelt, die von
einem bestimmten Punkte an einen immer geringeren Selbsterwerb des
Einzelnen fordern, weil sich die Wissensinhalte in verdichteter und mit
ihrer größeren Höhe immer konzentrierterer Form darbieten.
Auf den Höhen der Bildung fordert jeder weitere Schritt oft im
Verhältnis zu dem Tempo der Erwerbungen niederer Stufen ebenso viel
weniger Mühe, wie er einen höheren Erkenntnisertrag liefert.
Wie die Objektivität des Geldes ihm schließlich ein von personalen
Energien relativ unabhängiges »Arbeiten« gestattet, dessen sich
aufhäufende Erträge wie automatisch zu weiteren Aufhäufungen in
steigenden Proportionen führen - so bewirkt das Objektivwerden der
Erkenntnisse, die Lösung der Resultate der (> 497) Intelligenz von dem
Prozesse der letzteren selbst, daß diese Resultate sich zu verdichteten
Abstraktionen aufhäufen, und daß man sie, wenn man nur schon hoch genug
steht, wie Früchte pflücken kann, die ihren Reifeprozeß ohne unser
Zutun vollzogen haben.
Als Erfolg von alledem wird das Geld, das seinem immanenten Wesen und
seinen begrifflichen Bestimmungen nach ein absolut demokratisches,
nivelliertes, jede individuelle Sonderbeziehung aus-schließendes Gebilde
ist, gerade von den auf allgemeine Gleichheit ausgehenden Bestrebungen
aufs entschiedenste verworfen - die gleiche Konsequenz aus den gleichen
Voraussetzungen, wie wir sie der Intellektualität gegenüber beobachten
konnten.
Die Allgemeinheit im logisch-inhaltlichen Sinne und die im
sozial-praktischen Sinne fallen in diesen beiden Provinzen auseinander.
In anderem gehen sie oft genug zusammen: so hat man es als das Wesen
der Kunst - gleichviel, ob erschöpfend oder nicht - bezeichnet, daß ihr
Inhalt die typisch-allgemeinen Züge der Erscheinungen darstelle, damit
aber auch an die typischen Seelenregungen der Gattung in uns appelliere,
ihren prinzipiellen Anspruch auf allgemeine subjektive Anerkennung auf die
Ausschaltung alles Zufällig-Individuellen in ihrem Objekte gründe.
So erheben sich die Gebilde der Religion ihrem Begriff nach über alle
Besonderheit irdischer Gestaltung zum Absolut-Allgemeinen und gewinnen
eben dadurch die Beziehung zu dem Allgemeinsten und alle Individuen
Verbindenden in der Menschenwelt; sie erlösen uns von dem bloß
Individuellen in uns, indem sie dieses durch die All-Einheit ihres Inhalts
auf die fundamentalen, als die gemeinsamen Wurzeln alles Menschlichen
empfundenen Züge zurückführen.
Ebenso verhält sich die Moral im Sinne Kants.
Die Handlungsweise, welche eine logische Verallgemeinerung verträgt,
ohne mit sich selbst in Widerspruch zu geraten, sei zugleich sittliches,
für jeden Menschen ohne Ansehn der Person gültiges Gebot, das Kriterium:
daß man sich die praktische Maxime als Naturgesetz denken könne, also
ihre begriffliche, objektive Allgemeinheit, entscheidet über die
Allgemeinheit für alle Subjekte, die sie als moralische Forderung
besitzt.
Im Gegensatz zu diesen Gebilden scheint das moderne Leben an anderen
gerade eine Spannung zwischen der sachlich -inhaltlichen und der
praktisch-personalen Allgemeinheit aufwachsen zu lassen.
Gewisse Elemente gewinnen immer größere Allgemeinheit ihres Inhalts,
ihre Bedeutung wird über immer mehr Einzelheiten und Beziehungen
mächtig, ihr Begriff schließt, unmittelbar oder mittelbar, einen immer
größeren Teil der Wirklichkeit ein; so das Recht, die Prozesse und
Ergebnisse der Intellektualität, das Geld.
Hand in Hand damit geht aber die Zuspitzung derselben zu (> 498)
subjektiv differenzierten Lebensgestaltungen, die Ausnutzung ihrer
ausgreifenden, allen Interessenstoff ergreifenden Bedeutung für die
Praxis des Egoismus, die erschöpfende Entwicklung personaler Unterschiede
an diesem nivellierten, allgemein zugängigen und gültigen, und deshalb
jedem Sonderwillen gegenüber widerstands-losen Material.
Die Wirrnis und das Gefühl geheimen Selbstwiderspruches, das den Stil
der Gegenwart an so vielen Punkten charakterisiert, wird zum Teil auf
dieser Unausgeglichenheit und Gegenbewegung beruhen, die zwischen dem
Sachgehalt, der objektiven Bedeutung jener Gebiete und ihrer personalen
Verwendung und Ausgestaltung in Hinsicht auf Allgemeinheit und Gleichheit
besteht. - Ich komme in dem Stilbilde der Gegenwart auf einen letzten Zug,
dessen Rationalistik den Einfluß des Geldwesens sichtbar macht.
Die geistigen Funktionen, mit deren Hilfe sich die Neuzeit der Welt
gegenüber abfindet und ihre inneren - individuellen und sozialen
-Beziehungen regelt, kann man großenteils als rechnende bezeichnen.
Ihr Erkenntnisideal ist, die Welt als ein großes Rechenexempel zu
begreifen, die Vorgänge und qualitativen Bestimmtheiten der Dinge in
einem System von Zahlen aufzufangen, und Kant glaubt in der Naturlehre nur
soviel eigentliche Wissenschaft zu finden, wie in ihr Mathematik angewandt
werden kann.
Aber nicht nur die körperliche Welt gilt es mit Wägen und Messen
geistig zu bezwingen; den Wert des Lebens selbst wollen Pessimismus wie
Optimismus durch ein gegenseitiges Aufrechnen von Lust und Leid
festsetzen, der zahlenmäßigen Fixierung beider Faktoren mindestens als
ihrem Ideal zu-strebend.
In derselben Richtung liegt die vielfache Bestimmung des öffentlichen
Lebens durch Majoritätsbeschlüsse.
Die Majorisierung des Einzelnen durch die Tatsache, daß andere, von
vornherein doch nur gleichberechtigte, anderer Meinung sind, ist
keineswegs so selbst-verständlich, wie sie uns heute erscheint; alte
germanische Rechte kennen sie nicht: wer dem Beschluß der Gemeinde nicht
zustimmt, ist auch nicht - durch ihn gebunden; im Stammesrat der Irokesen,
in den aragonesischen Cortes bis ins 16. Jahrhundert hinein, im polnischen
Reichstag und anderen Gemeinschaften gab es keine Überstimmung; der nicht
einstimmige Beschluß war ungültig.
Das Prinzip, daß -die Minorität sich zu fügen hat, bedeutet, daß
der absolute oder qualitative Wert der individuellen Stimme auf eine
Einheit von rein quantitativer Bedeutung reduziert ist.
Die demokratische Nivellierung, der jeder für einen und keiner für
mehr als einen gilt, ist das Korrelat oder die Voraussetzung dieses
rechnenden Verfahrens, in dem das arithmetische Mehr oder Weniger
unbenannter Einheiten (> 499) die innere Wirklichkeit einer Gruppe
ausdrückt und ihre äußere lenkt.
Dieses messende, wägende, rechnerisch exakte Wesen der Neuzeit ist
-die reinste Ausgestaltung ihres Intellektualismus, der freilich auch hier
über der abstrakten Gleichheit die selbstsüchtigste Besonderung der
Elemente wachsen läßt: denn mit feiner instinktiver Einsicht versteht
die Sprache unter einem »berechneten« Menschen schlechthin einen, der im
egoistischen Sinne berechnet ist.
Gerade wie bei der Verwendung von »verständig« oder »vernünftig«,
wird hier der scheinbar ganz unparteiische Formalismus des Begriffes in
seiner Disposition, sich gerade mit einem bestimmten einseitigen Inhalt zu
erfüllen, durchschaut.
Der hiermit charakterisierte zeitpsychologische Zug, der sich in so
entschiedenen Gegensatz zu dem mehr impulsiven, auf das Ganze gehenden,
gefühlsmäßigen Wesen früherer Epochen stellt, scheint mir in enger
kausaler Verbindung mit der Geldwirtschaft zu stehen.
Sie bewirkt von sich aus die Notwendigkeit fortwährender
mathematischer Operationen im täglichen Verkehr.
Das Leben vieler Menschen wird von solchem Bestimmen, Abwägen,
Rechnen, Reduzieren qualitativer Werte auf quantitative ausgefüllt.
Eine viel größere Genauigkeit und Grenzbestimmtheit mußte in die
Lebensinhalte durch das Eindringen der Geldschätzung kommen, die jeden
Wert bis in seine Pfennigdifferenzen hinein bestimmen und spezifizieren
lehrte.
Wo die Dinge in ihrem unmittelbaren Verhältnisse zueinander gedacht
werden - also nicht auf ihren Generalnenner Geld reduziert sind -, da
findet viel mehr Abrundung, Setzen von Einheit gegen Einheit statt.
Die Exaktheit, Schärfe, Genauigkeit in den ökonomischen Beziehungen
des Lebens, die natürlich auf seine anderweitigen Inhalte abfärbt, hält
mit der Ausbreitung des Geldwesens Schritt - freilich nicht zur Förderung
des großen Stiles in der Lebensführung.
Erst die Geldwirtschaft hat in das praktische Leben - und wer weiß, ob
nicht auch in das theoretische - das Ideal zahlenmäßiger Berechenbarkeit
gebracht.
Auch von dieser Wirkung aus gesehen stellt sich das Geldwesen als
bloße Steigerung und Sublimierung des wirtschaftlichen Wesens überhaupt
dar.
Über die Handelsgeschäfte zwischen dem englischen Volke und seinen
Königen, in denen jenes, besonders im 13. und 14. Jahrhundert, diesen
allerhand Rechte und Freiheiten abkaufte, bemerkt ein Historiker: » Dies ermöglichte für schwierige Fragen, die in der Theorie unlösbar
waren, eine praktische Entscheidung.Der König hat Rechte als Herr seines Volkes, das Volk hat Rechte als
freie Männer und als Stände des Reiches, das der König personifiziert.Die Feststellung der Rechte eines jeden, prinzipiell äußerst schwer,
wurde in der (> 500) Praxis leicht, sobald sie auf eine Frage von Kauf
und Verkauf zurück-geführt war.«
Das heißt also, sobald ein qualitatives Verhältnis praktischer
Elemente ganz von derjenigen Bedeutung seiner repräsentiert wird, die
seine Behandlung als Handelsgeschäft zuläßt, gewinnt es eine
Genauigkeit und Fixierungsmöglichkeit, die seinem direkten, den ganzen
Umfang seiner Qualitäten einschließenden Ausdruck versagt bleibt.
Hierzu bedarf es nun noch nicht unbedingt des Geldes, da derartige
Transaktionen auch oft durch Hingabe naturaler Werte, z. B. von Wolle,
abgeschlossen wurden.
Es ist aber offenbar, daß, was hier das Handelsgeschäft überhaupt
für die Präzisierung der Werte und Ansprüche leistete, durch das Geld
in sehr viel schärferer und exakterer Weise geleistet werden kann.
Auch nach dieser Seite hin darf man vielleicht sagen, daß sich das
Geldgeschäft zum Handelsgeschäft überhaupt verhält, wie dieses zu der
sonstigen, vor dem Tausch bestehenden Bestimmtheit oder Verhältnis der
Dinge; es drückt sozusagen das reine Geschäft an der geschäftsmäßigen
Behandlung der letzteren aus, wie die Logik die Begreiflichkeit an den
begreiflichen Dingen darstellt.
Und indem nun das abstrakte Gebilde, das den aus den Dingen
herausgezogenen Wert ihrer ausmacht, -die Form arithmetischer Genauigkeit
und damit die un-bedingte rationale Bestimmtheit besitzt, muß dieser
Charakter auf die Dinge selbst zurückstrahlen.
Wenn es wahr ist, daß die jeweilige Kunst allmählich die Art bestimmt,
wie wir die Natur sehen, wenn die spontane und subjektive Abstraktion aus
der Wirklichkeit, die der Künstler vollzieht, das scheinbar so
unmittelbare sinnliche Bild derselben für unser Bewußtsein formt - so
wird wohl der Überbau der Geldrelationen über der qualitativen
Wirklichkeit in noch viel eingreifenderer Weise das innere Bild derselben
nach seinen Formen bestimmen.
Durch das rechnerische Wesen des Geldes ist in das Verhältnis der
Lebenselemente eine Präzision, eine Sicherheit in der Bestimmung von
Gleichheiten und Ungleichheiten, eine Unzweideutigkeit in Verabredungen
und Ausmachungen gekommen -wie sie auf äußerlichem Gebiet durch die
allgemeine Verbreitung der Taschenuhren bewirkt wird.
Die Bestimmung der abstrakten Zeit durch die Uhren wie die des
abstrakten Wertes durch das Geld geben ein Schema feinster und sicherster
Einteilungen und Messungen, das, die Inhalte des Lebens in sich
aufnehmend, diesen wenigstens für die praktisch-äußerliche Behandlung
eine sonst un-erreichbare Durchsichtigkeit und Berechenbarkeit verleiht.
Die rechnende Intellektualität, die in diesen Formen lebt, mag von
ihnen wiederum einen Teil der Kräfte beziehen, mit denen sie das moderne
Leben beherrscht.
Wie in einen Brennpunkt werden alle diese Beziehungen (> 501) durch
die negative Instanz gesammelt, daß der Typus von Geistern, welche der
ökonomischen Betrachtung und Begründung der menschlichen Dinge am
fernsten und feindlichsten gegenüberstehen würden: Goethe, Carlyle,
Nietzsche - zugleich einerseits prinzipiell anti-intellektualistisch
gestimmt sind, und andrerseits jene rechnerisch-exakte Naturdeutung
völlig ablehnen, die wir als das theoretische Gegenbild des Geldwesens
erkannten. (> 502)
-> Teil 2
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