Soziologisches Institut der Univ. Zürich Aktuelles Studium Personen Online Publications

Schweizer Gemeindestudien

Vom hoheitlichen zum kooperativen Vollzugshandeln 

Neue Chancen für die traditionelle Milizverwaltung? 

Hans Geser

Soziologisches Institut der Universität Zürich 

1997

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Zusammenfassung

Die Gemeindeverwaltung steht unmittelbarer als die Kantons- und Bundesverwaltung unter dem Zwang, im Vollzughandeln den Erwartungen und Bedürfnissen der Bürger(innen) sowie der kommunalen Vereinigungen und Organisationen Rechnung zu tragen. Immer häufiger gibt es Aufgaben, die nur in enger Kooperation mit privaten Instanzen gelöst werden können. Dadurch beginnen die Grenzen zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Sphäre unschärfer zu werden, weil die Gemeinde einerseits einem privaten Betrieb ähnlich wird, während manche privaten Akteure andererseits einen "parastaatlichen" Status zugewiesen erhalten.
 
 

Inhaltsverzeichnis

1. Der Trend zum bürgernahen "Allzweckamt" 

2. Vom "autoritativen" zum "interaktiven" Umgang mit Bürgern 

3. Die Individualisierung der Bedürfnisse und Lebensstile als Druck zur Flexibilisierung 

4. Kooperative Verflechtungen mit privatem Leistungsträgern 

5. Schluss

Literatur

  

1. Der Trend zum bürgernahen "Allzweckamt" 

Werbeaktivitäten wie die Initiative "Im Dienste aller" des Zürcherischen Gemeindeschreiberverbandes oder die Kampagne "Täglich für alle da" der Baselbieter Gemeinden signalisieren das Streben der Kommunalverwaltungen, sich nicht als verlängerter Arm der staatlichen Obrigkeit zu verstehen, sondern ganz im Gegenteil als eine öffentliche Dienstleistungsstelle, die ihre Arbeit nach Kräften an den Wünschen und Forderungen der Bürger(innen) orientiert.
Darin manifestiert sich einerseits ein momentan sehr weit verbreiteter Trend zur erhöhten Kundenorientierung, der beispielsweise auch die Reformen in Kliniken, Schulen, Gefängnisse oder Armeen sowie - unter dem Titel "customer focus - die aktuellen Reorganisationsbestrebungen in privaten Industrie- und Dienstleistungsunternehmungen nachhaltig prägt (vgl. z.B. Peters 1993: passim).

Andererseits reagieren die Gemeinden damit auf veränderte Einstellungen und Leistungserwartungen der Bürger(innen) gegenüber der öffentlichen Verwaltung, die in der zunehmenden Individualisiertheit ihrer Lebensführung und ihrer wachsenden Sensibilität gegenüber autoritären staatlichen Eingriffen ihre Ursache haben.

In diesem Sinne wird z.B. versucht, durch flexiblere Schalteröffnungszeiten den veränderten Lebensgewohnheiten der Bevölkerung Rechnung zu tragen. [1]

Ebenso werden die einzelnen Beamten oder Beamtinnen durch moderne Computertechnologie in die Lage versetzt, für dieselbe Person verschiedenste Verwaltungsvorgänge zu vollziehen und Informationen zu erteilen: so dass z.B. Neuzugezogene bei der Anmeldung an einem einzigen Schalter alle Formalitäten erledigen können.
Hier erweist es sich von Vorteil, dass die meisten Kommunalverwaltungen dank ihrer Kleinheit schon seit jeher sehr polyvalente Verwaltungsstellen und Beamtenrollen ausgebildet haben. Damit können sie sich die Ausdifferenzierung spezifischer "Bürgerämter" sparen, wie sie beispielsweise in deutschen Städten den Einwohnern als "Anlaufstellen" mit generalisierter Zuständigkeit angeboten werden (vgl. Beyer/Brinckmann 1990: 139ff.).[2]
 
 

2. Vom "autoritativen" zum "interaktiven" Umgang mit Bürgern

Es gehört zu den generellsten Einsichten der neueren Verwaltungssoziologie, dass öffentliche Ämter weniger häufig als vermutet zur "ultima ratio" zwingender hoheitlicher Verfügungen (Gebote oder Verbote) greifen, und stattdessen sehr häufig mit den Adressaten ihres Vollzugshandelns in interaktive Beziehungen (Konsultationen, Verhandlungen usw.) treten (vgl. z.B. Geser 1981, 234ff., Schnabel 1980, Garlichs 1980, Cigler 1990: 49f.).

Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Verwaltung

  1. nicht genug Kenntnisse und Informationen zur adäquaten Problemlösung besitzt, so dass sie darauf angewiesen ist, von den Adressaten selbst wichtige fachliche Auskünfte zu erhalten; 
  2. über zu wenig autoritative Machtmittel verfügt, so dass sie sich zuerst der Kooperation ihrer Adressaten versichern muss, um ihre Entscheidungen überhaupt durchzusetzen (vgl. Schnabel 1980; Garlichs 1980). 
Diese beiden Bedingungen sind im Falle kleiner Kommunalverwaltungen in sehr hohem Masse erfüllt, da sie einerseits mit bescheidenen Fachqualifikationen und Machtressourcen ausgestattet sind und andererseits mit immer komplexeren Sachproblemen konfrontiert werden sowie immer qualifizierteren und potenteren Adressaten (z.B. Unternehmern, institutionelle Bauherrschaften etc.) gegenüberstehen.

Dementsprechend ist damit zu rechnen, dass an die Stelle autoritativer Weisungen immer mehr jene informelleren Verfahren treten, die der Schreibende selbst in einer früheren Buchpublikation als "interaktiver Vollzug" bezeichnet hat.[3]
Charakteristisch dafür ist beispielsweise, dass die Behörden sich bereits vorgängig mit den Adressaten ihrer Verfügungen in Verbindung setzen, um allenfalls ein "freiwilliges Entgegenkommen" zu erzeugen oder um zu einer "Lösung" zu kommen, die allen Beteiligten optimal entspricht.

Dazu gehört auch, dass beispielsweise Bauherren vorgängig kostenlose Rechtsberatung erhalten, damit sie sicher sein können, bereits mit ihrer ersten Eingabe zum erwünschten Ziel zu gelangen.

Je mehr die Verwaltungstätigkeit sich in intensiver Kommunikation mit dem Bürger (anstatt in unilateralen Hoheitsakten) vollzieht, desto wichtiger wird es, dass die Verwaltungsstellen für die "Klienten" räumlich möglichst leicht erreichbar sind. Und je mehr dafür Absprachen zwischen verschiedenen Verwaltungsstellen erforderlich sind, desto vorteilhafter ist es, wenn sich alle administrativen Stellen im selben Gebäude befinden - was selbst in mittelgrossen Gemeinden häufig nicht mehr der Fall ist.

Das neuerwachte Interesse an einem möglichst bürgernahen Dienstleistungsangebot gibt also all jenen Auftrieb, die für eine Beibehaltung der traditionell-kleinräumigen Gemeindestruktur votieren, denn

  • trotz der hohen (Auto-)Mobilität scheinen es viele Bürger(innen) zunehmend zu schätzen, in kurzer Gehdistanz von "ihrer" Gemeindeverwaltung zu wohnen; 
  • trotz des wachsenden Bedarfs nach hoch professioneller Verwaltungsarbeit hat die kleine Allzweckverwaltung, in der dieselbe Person über alle informiert und für alles zuständig ist, nichts von ihrer Attraktivität verloren; 
  • trotz des wachsenden Bedarfs nach formell einwandfreier Gesetzesanwendung und strikter Gleichbehandlung (vgl. 1.10) schätzt man die "unbürokratische Informalität" kleiner Verwaltungsstellen, dank der häufig eine flexible, dem Einzelfall angepassten Vollzugslösung gelingt. 

3. Die Individualisierung der Bedürfnisse und Lebensstile als Druck zur Flexibilisierung

Die von der Gemeinde angebotenen Dienstleistungen müssen sich daran adaptieren, dass die Menschen zunehmend individualistischer und ihre Lebensverhältnisse immer vielfältiger und variabler werden.
Dies hat zur Folge, dass auch ihre an öffentliche Instanzen gerichteten Wünsche und Forderungen heterogener und unberechenbarer werden.

Dies zeigt sich deutlich in der Altenfürsorge, wo sich das Schwergewicht von der institutionellen Heimbetreuung immer mehr auf ambulante SPITEX-Dienste verschiebt.
Diese unterliegen ihrerseits dem Druck, ihre Einsätze äusserst flexibel zu gestalten, um den zahlreichen nur punktuellen Bedürfnissen verschiedener Benutzer gerecht zu werden.

"Jeweils um 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr morgens ist in der Stadt Luzern ein Dreier-Team mit dem Auto unterwegs, ausgerüstet mit Natel, Funkgerät und mobilem Notebook. Das über eine zentrale Telefonnummer ständig erreichbare Team setzt jeweils eine Mitarbeiterin beim Klienten ab. Dort bleibt sie nur so lange, wie sie gebraucht wird."
"Über das Notebook können unterwegs sämtliche Angaben von Adressbeschreibung bis zu den medizinischen Daten von über 400 registrierten Pflegefällen abgerufen werden."
"Mit dem neuen Modell können nicht mehr nur 12 bis 15, sondern 30 bis 40, in Spitzennächten gegen 45 Personen betreut werden. Für die öffentliche Hand wurden Einsparungen von 36% errechnet." [4]

Der auf die Gemeinden zukommende Pflegeaufwand wächst heute vor allem deshalb an, weil immer mehr Wert darauf gelegt wird, Kranke und Sterbende in ihrer "gewohnten familiären Umgebung" zu belassen, anstatt sie in geschlossenen Anstalten zu betreuen.
So werden in Luzern seit einigen Jahren selbst pflegebedürftige Senioren zum Teil nicht mehr in Anstalten, sondern in gewöhnlichen Wohnungen betreut. [5]
Daraus entsteht logischerweise ein Bedarf, eine breite Palette ambulanter Dienstleistungen aufzubauen, deren Inanspruchnahme nicht gut vorausgesehen werden kann. [6]
Im Grenzfall reduziert sich die Funktion der öffentlichen Hand darauf, die Senioren bei der autonomen Gestaltung ihres Umfelds zu unterstützen. In diesem Sinne hat z.B. der stadtärztliche Dienst der Stadt Zürich eine Vermittlungsstelle für Wohnpartnerschaften eröffnet mit dem Ziel, jährlich ca. 50 bis 100 Senioren zum gemeinsamen Wohnen zu motivieren und damit sowohl ihre psychische wie auch ihre materielle Lebenssituation zu verbessern. [7]

Auch an den öffentlichen Verkehr wird immer mehr die Forderung gestellt, er solle auf hoch spezifische Bedürfnislagen Rücksicht nehmen.
So artikulieren vor allem jüngere Menschen ohne eigenes Auto zunehmend das Bedürfnis, zumindest am Wochenende auch lange nach Mitternacht noch im öffentlichen Verkehrsmittel nach Hause fahren zu können. Weil die offiziellen Verkehrsbetriebe dazu meist nicht willens (bzw. in der Lage) sind, liegt die Lösung oft darin, ein privates Taxi-Unternehmen durch Subventionen zum Angebot dieser Dienstleistung zu verpflichten. [8]

Generell sind Verkehrsfragen vor allem deshalb so konfliktträchtig geworden, weil moderne Bürger einerseits ein immer individualisierteres, idiosynkratischeres Mobilitätsverhalten zeigen, andererseits aber gleichzeitig immer mehr Wert darauf legen, dass zur Erfüllung dieser Bedürfnisse öffentliche (d.h. auf kollektive Bedürfnisse abgestimmte) Verkehrsmittel zur Verfügung stehen.

Die immanenten Unvereinbarkeiten zwischen diesen konträren Wünschen werden umso schmerzhafter sichtbar, je mehr es im Zuge von Sparmassnahmen nötig ist, das öffentliche Verkehrsangebot auf einen Kernbereich kollektiver Mobilitätsansprüche (z.B. den morgendlichen und abendlichen Berufspendelverkehr) zu konzentrieren.

Im Gegensatz zum administrativen Handeln, wo kleine Gemeinden ihre Flexibilitätsvorteile ausspielen können, sind es auf der Ebene operativer Dienstleistungsprozesse meist die grösseren Organisationen, die der immer breiteren Palette verschiedener Kundenwünsche am besten Rechnung tragen können.
So könnten Gemeinden verstärkt zur interkommunalen Kooperation genötigt werden, wenn sich auch bei der ländlichen Bevölkerung beispielsweise das Bedürfnis ausbreitet, "rund um die Uhr" einen vollen Spitex-Service verfügbar zu haben oder in der örtlichen Bibliothek auch Bücher über sehr spezielle Sachgebiete ausleihen zu können.
 
 

4. Kooperative Verflechtungen mit privatem Leistungsträgern

Auf sehr hoher theoretischer Abstraktionslage lässt sich die Hypothese formulieren, dass soziale Systeme verschiedenster Art einer immer komplexeren und variableren Problemumwelt gegenüberstehen und infolgedessen häufiger als früher Informationen, Qualifikationen, technische Apparaturen und andere Ressourcen einbeziehen müssen, die sie nicht im eigenen System verfügbar haben.
Für politische Gemeinden mag dies insofern in besonders ausgeprägter Weise gelten, als sie
  • aufgrund ihrer Gebundenheit an ein bestimmtes Territorium und die ihnen vom Staat übertragenen Aufgaben keine Möglichkeit haben, im Falle von "Überforderung" in einfachere Umweltnischen zu migrieren; 
  • oder derart klein und administrativ unterdotiert sind, dass sie selbst in den alltäglichen Vollzugsaktivitäten auf den Zufluss externer Ressourcen aus dem Privatbereich angewiesen bleiben. 
Tatsächlich spricht vieles dafür, dass kleinere Gemeinden bereits viel früher zur Kultivierung von vielerlei Aussenbeziehungen gezwungen sind, zu denen sich die grösseren Städte, die traditionellerweise alle Kapazitäten in ihrem öffentlichen Verwaltungsapparat präsent haben wollen, erst in Phasen sehr fortgeschrittener Umweltkomplexität genötigt sehen.
Und im Rahmen des gesamten politischen Systems scheinen die Kommunen generell die Funktion zu haben, die Integration zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Sphäre sicherzustellen, während die überlokalen Ebenen eher darum besorgt sind, die Ausdifferenziertheit und Eigenständigkeit des Staatlichen zu artikulieren.

Diese Strategie umweltoffener Adaptation erfüllt die doppelte Funktion

  1. die Ressourcen der Gesellschaft für das öffentliche Handeln nutzbar zu machen und; 
  2. Vollzugsaktivitäten zu entwickeln, die dank der Mitwirkung privater Instanzen "realitätsnah" sind und deshalb in der Bevölkerung eine hohe Akzeptanz und Legitimiertheit geniessen. 
Andererseits machen sich die Gemeinden dadurch mehr als jemals davon abhängig, dass die Privatakteure aus "Gemeinsinn" handeln und den ihnen übertragenen halboffiziellen Status nicht zur Verfolgung partikulärer Interessen missbrauchen (vgl. Cigler 1990).
 
 

4.1 Einbezug von Einzelpersonen

Am besten sind die Gemeinden für Verflechtungen mit privaten Einzelpersonen gerüstet, weil sie hier an traditionelle Organisationselemente aus vormoderner Zeit anknüpfen können, als die für den liberalen Rechtsstaat charakteristische Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre noch nicht vorherrschend war.

Vor allem die Institutionen der kommunalen Milizverwaltung erweisen sich in diesem Zusammenhang als überaus funktional: weil sie es erlauben, die zusätzlich nötigen Qualifikationen mittels personeller Rekrutierung direkt ins politisch-administrative System zu internalisieren, anstatt sie mittels fallweiser Kooperationen und mühsamer Kommunikationsprozesse von externen Personen zu beziehen.

Als Folge aktueller Entwicklungen in der Berufswelt gibt es in der Einwohnerschaft der meisten Gemeinden immer mehr Bürger(innen), die zur Ausübung verschiedener politischer und administrativer Funktionen über geeignete berufliche Vorkenntnisse verfügen: z.B. Buchhalter oder Revisoren, die in der Rechnungsprüfungskommission nützliche Dienste leisten, Techniker und Ingenieure, die in Fragen des Bauwesens oder der öffentlichen Werke ihr Wissen gut einbringen können, oder wirtschaftliche Führungskräfte, die für ihr Talent zur speditiven Sitzungsführung und zum überzeugenden Vortrag von Argumenten neue Entfaltungschancen finden.

Im Vergleich zur früheren Bauern- und Gewerblergesellschaft produziert die moderne "Angestelltengesellschaft" sehr viel mehr Personen, die in ihrer normalen Berufstätigkeit mit organisatorischen Verfahrensabläufen und Prozessen der Entscheidungsfindung, mit Problemen der Personalrekrutierung oder mit juristischen Fragen in Berührung kommen, und ihr öffentliches Amt deshalb nicht als eine prinzipiell fremde Welt erfahren (vgl. Geser 1987: 191).

Als Folge davon können Spezialkommissionen gerade in modernen Gemeinden an Kompetenz und Autorität gewinnen und auf die kommunalpolitischen Vorgänge einen grösseren Einfluss geltend machen.
In Übereinstimmung mit dieser Hypothese hat der Verfasser im Rahmen eines früheren kommunalsoziologischen Forschungsprojekts nachweisen können, dass der Einfluss der Rechnungsprüfungskommission mit zunehmender Grösse der Gemeinde steigt (Geser 1987: 82ff.).

In Gemeinden, in denen aus demographischen oder anderen Gründen keine hinreichend qualifizierten Personen für Milizämter zur Verfügung stehen, ist damit zu rechnen, dass sich der Schwerpunkt des Einflusses sehr stark auf die professionellen Verwaltungsstellen - allenfalls auf überlokaler Ebene - verlagert.

In jüngerer Zeit aber scheinen zahlreiche neue Kooperationsbedürfnisse mit Instanzen ausserhalb des politischen Sektors zu entstehen, die nicht im Rahmen der administrativen Milizorganisation bewältigt werden können. Eine erste Ursache dafür besteht in der zunehmenden Häufigkeit singulärer Problemfälle, die den punktuellen Einbezug hoch spezifischer, vielleicht nicht einmal innerhalb der Schweiz vorfindbarer Expertisen, Fähigkeiten oder materiellen Hilfsmittel verlangen.

Zu diesem Zweck müssen sie Kontakte mit Experten und Leistungsträgern aus dem privaten Raume kultivieren, um bei Bedarf von deren Wissen, Fähigkeiten oder materiellen Handlungsmitteln zu profitieren.
Im besonderen haben die immer vielfältigeren Aktivitäten im Bereich der Umweltpolitik die gemeinsame Eigenschaft, dass der Einbezug hochspezialisierter wissenschaftlich-technischer Expertisen notwendig wird: z.B. wenn es gilt, die "Umweltverträglichkeit" eines Deponiestandorts zu ermitteln, neue energiesparende Baumassnahmen zu treffen, grundlegende administrative Reformen zu konzipieren oder ein verkommenes Jugendstil-Hotel kunstgerecht zu restaurieren.

Kommunale Behördemitglieder und Beamte werden es also häufiger als früher nützlich oder sogar unerlässlich finden, z.B. mit Rechtsanwälten, Baufachleuten, Finanzexperten, örtlichen Gewerbebetrieben, Ingenieuren oder Universitätsprofessoren in Verbindung zu treten, um sie in bestimmte Phasen der Beratung, Entscheidungsfindung, der Planung oder der konkreten Vollzugsarbeit einzubeziehen.
Durch formelle Integration solcher Personen in (vielleicht zusätzlich geschaffene oder erweiterte) Spezialkommissionen kann es gelingen, diese "Vorratshaltung an privaten Hilfskapazitäten" auf eine stabile Basis zu stellen, um jederzeit ohne besondere Formalitäten darauf zugreifen zu können.
Als Folge davon ergibt sich ein "Import" an juristischen Vorstellungen, Planungstechniken, betriebswirtschaftlichen Modellen und vielerlei anderen Elementen, die sich innerhalb des privatwirtschaftlichen Raums entwickelt haben und sekundär für öffentliche Zwecke nutzbar gemacht werden müssen.

Bei einzelnen Bauprojekten wie z.B. Chemiefabriken oder Grossdeponien sind die im Zusammenhang mit dem Umweltschutz auftretenden Fragen derart komplex, dass äusserst hohe finanzielle Aufwendungen nötig sind, um das nötige Sachwissen zu beschaffen.

So musste die Gemeinde Niederhasli kürzlich ein derart komplexes Deponieprojekt beurteilen, dass sie ein privates Expertenbüro für den Betrag von Fr. 200 000.- (!) damit beauftragen musste, eine Analyse des mit der Projekteingabe mitgelieferten Umweltverträglichkeitsberichts zu erstellen. Immerhin haben sich die Gemeindebehörden dadurch in die Lage versetzt, sich unabhängig vom kantonalen Umweltschutzamt eine eigene Meinung dazu zu bilden. [9]

Und in Filisur (GR) beispielsweise müssen alle Bauherren, die innerhalb der (geschützten) Wohnzone ein Projekt realisieren wollen, sich von einer von der Gemeinde bestimmten Fachperson beraten lassen. Damit soll gewährleistet werden, dass das Bauvorhaben nicht nur den juristischen Regeln, sondern auch den Kriterien der Ästhetik und des Ortsbildschutzes genügt. [10]

Auch die grösseren Verwaltungen städtischer Gemeinden sind hier auf teure privatwirtschaftliche Expertisen angewiesen, weil niemand innerhalb der Beamtenschaft über die erforderlichen (äusserst spezialisierten) professionellen Kenntnisse verfügt.

Eine weitere Verflechtungstendenz zeigt sich neuerdings im Bereich der inneren Sicherheit, wo immer mehr Gemeinden dazu übergehen, jene Bereiche der polizeilichen Überwachungstätigkeit, bei denen umfassende Präsenz und örtliche Vertrautheit wichtiger als Spezialqualifikationen sind, an private Sicherheitsdienste oder an formell in die Pflicht genommene Einzelbürger zu übertragen.

So haben etwa 50 Gemeinden des Kantons Zürichs im Rahmen der "Zivilen Gemeindeführungsorganisation" in den letzten Jahren einen "Gemeindesicherheitsdienst" eingerichtet, der komplementär zur Kantonspolizei damit beauftragt ist, auf dem Gemeindegebiet Wandalismus, unerlaubten Drogenhandel usw. zu bekämpfen oder Jugendliche durch wiederholtes "Ansprechen" vom Absturz in die Drogensucht zu bewahren.

Leitgebend dafür ist die Einsicht, dass eine flächendeckende Prävention von Kriminalität eine breit angelegte intensive Überwachungstätigkeit voraussetzt, die von der offiziellen Polizei aus personellen und finanziellen Gründen nicht gewährleistet werden kann.

"Der Gemeinderat (von Fehraltorf d. V.) war von Anfang an bestrebt, Personen mit der Patrouillentätigkeit zu beauftragen, die mit den Gemeindeverhältnissen vertraut sind und die viele Gemeindeeinwohner persönlich kennen. Innerhalb der Zivilschutzorganisationen konnten Freiwillige gefunden werden, die nach Absolvierung eines kantonalen Kurses der Koordinationsstelle für Gesamtverteidigung durch die Bezirkspolizei auf gemeinsamen Patrouillengängen für den in Fehraltorf vorgesehenen Einsatz ausgebildet wurden.
Begonnen wurde mit vier Mann, heute sind es zehn, die für ihre Aufgabe vom Stadthalter vereidigt wurden. Sie führen mindestens zu zweit ihre Patrouillengänge durch und können bei Bedarf per Funk die Kantonspolizei anfordern.
Meistens werden sie von einem Lehrer oder einem Mitglied der Schulpflege oder des Gemeinderats begleitet." [11]

Durch die Vereidigung wird eine formelle Einbindung der Freiwilligen in den offiziellen kantonalen Polizeiapparat vollzogen; damit wird der Bildung privater "Bürgerwehren" einen Riegel vorgeschoben, die das staatliche Gewaltmonopol in Frage stellen würden.[12]

In der Stadt Zürich wurde die Überwachung des ruhenden Verkehrs praktisch vollständig an Zivilpersonen übertragen, die von Verkehrsbeamten in ihre Aufgabe eingeführt worden sind.

In der Stadt Bern wird zumindest ein Teil der Verkehrsüberwachung von der Securitas geleistet, deren Angestellte nach einwöchigem Kurs vereidigt werden und die Kompetenz erhalten, Ordnungsbussen zu erheben (nicht aber: Anzeige zu erstatten) [13] .
Hier zeigt sich deutlich die häufig feststellbare Tendenz, eine Aufgabe, die bisher integral von einer öffentlichen Institution wahrgenommen wurde, nun an einen kooperativen Verbund von öffentlichen und privaten Instanzen zu übertragen.

Nach wie vor in öffentlichen Händen bleiben jene Aspekte, die unmittelbar mit der Ausübung hoheitlicher Kompetenzen und der Anwendung von Zwangsmitteln zusammenhängen; privatisiert werden hingegen die routinisierbaren technisch-administrativen Vollzugsaufgaben, die im Regelfall ohne Rekurs auf staatliche Autoritätsgewalt vor sich gehen können.

Allerdings wird es nötig, den in den Dienst genommenen privaten Instanzen einen quasi-öffentlichen Autoritätsstatus zuzuweisen und sich auf deren interne Fähigkeiten zur Diszipliniertheit zu verlassen.

Private Kontrollagenturen sind vor allem nützlich, damit Delikthandlungen mit höherer Wahrscheinlichkeit wahrgenommen und Informationen darüber den Behörden regelmässiger übermittelt werden. So hat z.B. die Gemeinde Kriens die Securitas engagiert, um Sprayereien an Schulhäusern besser zu bekämpfen. [14]

Aber auch für den Vollzug überlokaler Gesetze und Verordnungen wird oft eine wachsende Überwachungstätigkeit auf kommunaler Ebene benötigt.
In Richterswil (ZH) beispielsweise muss die Gemeindepolizei neuerdings kontrollieren, ob die Empfänger von Arbeitslosengeldern keine Schwarzarbeit verrichten.[15]

Schliesslich scheinen auch im Umweltschutz zusätzliche, nicht dem formellen Polizeiapparat zumutbare Kontrollaktivitäten erforderlich zu werden, um Übertretungen der ständig restriktiver werdenden Verhaltensnormen im Umgang mit Abwasser, Schmutzstoffen und Abfällen zu sanktionieren.
So wird in einigen Gemeinden beispielsweise gegen "Abfallsünder" vorgegangen, indem man aus dem Inhalt der illegal deponierten Säcke deren Besitzer eruiert, um ihm dann eine saftige Bussenverfügung zuzustellen. [16]
 
 

4.2 Kooperation mit Wirtschaftsunternehmen

In ihrer Analyse "Neue Trends in der Stadtpolitik" kommt Margrit Mayer zum Schluss, dass die deutschen Städte in den 80er-Jahren zu einer aktiveren wirtschaftlichen Interventionspolitik übergegangen sind und in diesem Zusammenhang vielerlei intensive Kooperationsbeziehungen zu Firmen entwickelt haben. Charakteristisch sind hier aber nicht so sehr generelle Strategien, sondern um punktuelle Einzelmassnahmen, wie sie z.B. bei drohender Schliessung oder Emigration eines Betriebs notwendig werden oder zum Anlocken zusätzlicher Unternehmungen nützlich sind (vgl. Mayer, 1991). Nach Ansicht der Autorin ergibt sich daraus ein nichthierarchischer, pluralistischer Politikstil, der eher durch wechselseitige Akkordierung als durch einseitige Subordination gekennzeichnet ist. Dies wiederum hat die methodologische Konsequenz, dass an die kommunale Politikforschung sehr komplexe Anforderungen gestellt sind, weil neben den formellen öffentlichen Instanzen gleichrangig auch vielerlei andere massgebliche Akteure mit einbezogen werden (Mayer 1991: 62f., vgl. auch Hesser 1983: 11ff.).

Auch in der Schweiz sind - vor allem im Zusammenhang mit der jüngsten Wirtschaftsrezession - mannigfache kommunalpolitische Problemlagen entstanden, die engere - und in ihrer Form teilweise neuartige - Kooperationsverhältnisse zwischen den Gemeindebehörden und privaten Unternehmungen notwendig machen.

Die Wiedereingliederung von Arbeitslosen stellt sich typischerweise als Problem, in denen öffentliche Stellen und die Privatwirtschaft komplementär zusammenwirken müssen. In ihrer Genese sind solche innovativen Vorgehensweisen stark von guten informellen Beziehungen zwischen Behörden und Privatwirtschaft abhängig, wie sie auf kommunaler Ebene am leichtesten herstellbar sind (bzw. aufgrund der personellen Verflechtungen, die das Milizsystem mit sich bringt, ohnehin bereits existieren).

"Das Stadtparlament Uster (ZH) hat Mitte September 94 einen Bruttokredit von Fr. 422'000.- für das Projekt "Berufspraktikum für stellenlose Lehrabgänger" bewilligt. Dieses wird von der Stadt getragen und vermittelt zusammen mit den örtlichen Arbeitgebern Stellen für ein halbjähriges Praktikum. An vier Wochentagen wird gearbeitet; der fünfte ist zur Weiterbildung bestimmt. [17]

In ähnlicher Weise können "gute informelle Beziehungen" benutzt werden, um Privatbetriebe auf ein stärker umweltorientiertes Verhalten zu verpflichten. So hat beispielsweise die Umwelt- und Naturschutzstelle der Stadt Kriens mit den einschlägigen Detaillisten der Gemeinde eine Abmachung getroffen, wonach auf den 1. August 1992 keine Feuerwerkskörper verkauft werden sollen. Massgebend dafür waren die katastrophal hohen Luftschadstoffwerte, die in den vorangehenden Bundesfeiernächten gemessen wurden. [18]

Kooperative Einbindungsverhältnisse mit der Wirtschaft entstehen natürlich auch überall dort, wo eine Gemeinde beschliesst, bisher öffentlich erbrachte Produktionen oder Dienstleistungen an Privatunternehmen zu übertragen.

Schrittweisend für die Zukunft ist möglicherweise das Vorgehen der Stadt Bern, die 1993 zum erstenmal ein Buslinienprojekt öffentlich ausgeschrieben hat und es damit den eigenen Verkehrsbetrieben (VBZ) ermöglichte, sich an einem Wettbewerb mit privaten Anbietern mitzubeteilige. [19]

Die Stadt Solothurn hat ihre öffentliche Schulzahnklinik geschlossen und die Schulzahnpflege der privaten Zahnärzteschaft des Ortes übertragen. Damit stellt sie sich in die Reihe der kleineren Gemeinden, die mangels eigener Institutionen schon immer auf Verträge mit Privatärzten angewiesen waren. [20]

Wenn eine Gemeinde ein Altersheim, einen Gasthof, ein Schwimmbad oder eine andere öffentliche Einrichtung nicht mehr selber betreiben und instand halten will, macht sie häufig von der Möglichkeit Gebrauch, die entsprechende Immobilie im Baurechtsvertrag an eine private Trägerschaft abzutreten.
Dadurch gelingt es ihr, einerseits alle unternehmerischen Risiken auf den Privatbereich abzuwälzen, andererseits aber regelmässige Zinseinnahmen zu sichern und langfristig das Bodeneigentum zu bewahren. [21]

Derartige Privatisierungen werden heute in zunehmendem Umfang auch vom überlokalen Recht her unterstützt. So lässt beispielsweise das Kantonalbernische Recht die Option offen, dass Gemeinden ihr Zivilstandsamt verwaltungsunabhängig durch Fürsprecher oder Notare führen lassen.

Schliesslich kommt es neuerdings im Bereich der Abfallentsorgung zu sehr langfristigen Kooperationsverträgen, die es logisch erscheinen lassen, dass sich die Gemeinde am Aktienkapital der entsprechenden Firma mitbeteiligt. So hat beispielsweise die Stadt Zürich im Jahre 1992 Anteilscheine einer Firma im Kanton Schwyz erworben, die sich mit der Wiederverwertung der von der Stadt gesammelten Ganzgläser befasst. [22]

All diese Beziehungen sind durch ein reziprokes Austauschverhältnis in dem Sinne charakterisiert, dass die Firma ein durch exklusive Konzessionen oder Vertragsabmachungen gesichertes Absatzvolumen zugewiesen erhält und sich im Gegenzug verpflichtet, ihre Leistungen zuverlässig und unter Beachtung öffentlich konstituierter Regeln (der Gleichbehandlung aller Klienten, der Vertraulichkeit, der Einhaltung von Fristen und Periodizitäten usw.) zu erfüllen.

Analog zu den in halb-offizieller Funktion tätigen Einzelbürgern wird also auch von Firmen eine Identifikation mit der "Gemeinwohnperspektive" verlangt - und darüber hinaus, dass sie über die erforderlichen Qualifikationen (z.B. in der Form gut ausgebildeter Buschauffeure oder absolut vertrauenswürdiger Notariatspersonen) verfügen.
 
 

4.3. Zusammenarbeit mit freiwilligen Vereinigungen

Für das politische System der Schweiz ist generell charakteristisch, dass Vereinigungen privaten Rechts unverzichtbare öffentliche Funktionen erfüllen.
Auf Bundesebene gilt beispielsweise für den SEV und den SIA, die mit der Kompetenz zur verbindlichen Festlegung technischer Normen (im Elektro- und Baubereich) ausgestattet sind, oder für die vielen Schützenvereine, die für die Erfüllung der obligatorischen militärischen Schiesspflicht sorgen.
Und a fortiori haben sich die Gemeinden seit jeher beispielsweise im Bereich der Feuerwehr, der Landschaftspflege oder der sozialen Fürsorge auf die Leistungen lokaler Vereine abgestützt und sie durch materielle Unterstützung dazu veranlasst, im Dienste des Gemeinwesens zu funktionieren.

In neuester Zeit lassen sich vielfältige Beispiele dazu finden, dass lokale Vereine in intensiverer und teilweise auch völlig neuartiger Weise in die öffentliche Pflicht genommen werden - was drängender als bisher die Frage aufwirft, ob diese Gruppierungen auch in Zukunft auf hinreichend zahlreiche aktive Mitglieder zählen können.

  1. Die im Sozialbereich tätigen Vereinigungen werden stärker als bisher in das von der politischen Gemeinde administrierte System öffentlicher Fürsorge integriert, weil es angesichts knapper Mittel und steigende Problembelastungen immer notwendiger wird, die Leistungen verschiedener Instanzen komplementär aufeinander abzustimmen. Zu diesem Zweck beispielsweise wurde in Oetwil am See (ZH) 1994 eine "Alterskonferenz" durchgeführt, an der sich alle in der Gemeinde mit Altersbetreuung befassten Vereine und Institutionen beteiligt haben (vgl. Schwegler 1995: 17). 
  2. In der kommunalen Seniorenbetreuung treten an die Stelle von Altersheimen immer häufiger offene Alterssiedlungen. Deren Erstellung und operative Betriebsführung wird meist von privaten Vereinigungen übernommen, während als Trägerschaft oft ein überkommunaler Verband fungiert. Dementsprechend beschränkt sich die Rolle der Gemeinde dann darauf, günstige planerische und infrastrukturelle Rahmenbedingungen für die Realisierung bereitzustellen.

  3. So z.B. in Moosseedorf (BE): "Für das Erstellen der zwei Mehrfamilienhäuser mit Mietwohnungen und der Cafeteria ist die Wohnbaugenossenschaft Moossee (WBG) verantwortlich. Das Land wird - sofern die Gemeindeversammlung am 30. März zustimmt - von der Gemeinde im Baurecht zur Verfügung gestellt. Ein Betriebsverein ist für den Betrieb der Cafeteria, der Spitex-Räume und -Dienste sowie für Koordinationsaufgaben verantwortlich. Der Fürsorgeverband Münchenbuchsee übernimmt die Trägerschaft für die Pflegewohnung (sieben Stellen). [23] 
  4. Bei den Spitex-Diensten sind die Gemeinden sogar völlig auf die Existenz entsprechender privater Trägervereine angewiesen. Wo diese nicht bestehen, wird ihre Gründung häufig von den Gemeindebehörden her induziert [24] oder sie werden gar an der Gemeindeversammlung gegründet. [25]

  5. Als formell privatrechtliche, gleichzeitig aber von der öffentlichen Hand mitfinanzierte und mitbestimmte Gebilde eine juristisch schwer definierbare Zwitterstellung, in der sich die zunehmende Durchdringung öffentlicher und privater Sphären widerspiegelt. 
  6. Die momentan in den meisten Kantonen diskutierte Einführung von Tagesschulen hat in den meisten Fällen zur Voraussetzung, dass eine leistungsfähige private Trägervereinigung besteht, welche die Betreuung und Speisung der Kinder über die Mittagszeit organisiert. [26] 
  7. Beim Einbezug von Arbeitslosen in öffentliche Beschäftigungsprogramme hat man verschiedentlich Dispositive erarbeitet, die ohne eine substantielle Mitwirkung von Privatvereinen nicht realisierbar (gewesen) wären: "Beim Bahnhof Langenthal sollen Arbeitslose einen bewachten Veloabstellplatz betreiben. Das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (SAH) plant in Zusammenarbeit mit der Interessengemeinschaft Velo Oberaargau, der Gemeinde Langenthal und weiteren Beteiligten ein Beschäftigungsprogramm, das sich vorab an wenig qualifizierte Arbeitslose richtet.

  8. Vorgesehen ist, dass jeweils 10 Personen im Schichtbetrieb den Veloabstellplatz am Bahnhof von 1 Uhr morgens bis 5 Uhr nachts bewachen. Damit können (mit einem Betrag von Fr. 60'000.-) 10 Arbeitslose teilbeschäftigt werden. [27] 
  9. Immer häufiger arbeiten Gemeinden auch im Bereich des öffentlichen Verkehrs mit privaten Vereinigungen zusammen. Sie erfüllen ihre Hauptfunktion vor allem in relativ wenig frequentierten Zonen, wo ein idealistisches Zusatzengagement nötig ist, um die mangelnde wirtschaftliche Rentabilität zu kompensieren. [28
  10. Häufig kommt es vor, dass öffentliche Anstalten aufgrund der hohen Personal- und Betriebskosten nur noch eingeschränkt betrieben werden können. So hat sich z.B. die Stadt Zürich im Zuge ihrer Sparbemühungen 1995 gezwungen gesehen, die Öffnungszeiten für zwei Quartierhallenbäder in einer wenig benutzerfreundlichen Weise drastisch zu reduzieren.

  11. Als Lösung bot sich an, die Bäder in der übrigen Zeit für fixe Wochenstunden an Schwimmvereine und neuerdings auch an Gruppen von Privaten zu vermieten, die während dieser Zeit mit eigenen Mitteln die betriebliche Aufsicht übernehmen. [29]
    Die Sparmassnahmen zwingen also dazu, die Arbeit vollamtlicher öffentlicher Angestellter partiell an nebenamtlich tätige Milizpersonen zu übertragen und private Vereinigungen stärker als Mitträger an sich öffentlicher Betriebsaktivitäten einzubeziehen.
    Auch hier besteht also die charakteristische Arbeitsteilung darin, dass die öffentliche Hand einerseits die physischen Infrastrukturen zur Verfügung stellt und andererseits die einzuhaltenden Verordnungen und Verhaltensregeln erlässt, während die operative Betriebsorganisation privaten Instanzen übertragen wird. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass diese privaten Trägerschaften hinreichend organisiert und diszipliniert sind, um die Einrichtung ähnlich zuverlässig wie öffentlich Bedienstete zu verwalten. 
  12. In zahlreichen - meist kleineren - Gemeinden sind in den letzten Jahren mit öffentlicher Unterstützung "defensive" Vereine oder Genossenschaften gegründet worden zum Zweck von der Schliessung bedrohte Dorfläden, Poststellen, Bahnhöfe und andere lokale Dienstleistungseinrichtungen weiterzuführen. Die ökonomische Sicherung geschieht meist dadurch, dass sich die öffentliche Hand und Private die Übernahme der finanziellen Risiken teilen. [30] 
Besonders instruktiv ist in diesem Zusammenhang die Gemeinde Bruggen (SG), wo der Weiterbetrieb des SBB-Bahnhofs durch eine gross angelegte kommunale Selbsthilfeaktion gewährleistet wurde. [31]

Generell fällt auf, in welch hohem Masse sich vielerorts die traditionellen Vereine bereit gefunden haben, sich neuen Problemlagen zu öffnen und im Zuge des Wandels neue Aktivitäten zu übernehmen (vgl. Joye, Huissoud, Schuler 1995: 226).

Damit ist der Entfaltungsspielraum für neu gegründete Vereine relativ bescheiden geblieben; und viele der in den 70er und 80er-Jahren noch sehr geräuschvollen Initiativgruppen, die über die Artikulation von Forderungen hinaus keine Verpflichtungen einzugehen bereit waren, sind unterdessen wieder verschwunden.
 
 

4.4. Übergreifende "Gemeinschaftsaufgaben" 

Gewisse neuere Problemlagen erweisen sich hinsichtlich ihrer Entstehungsursachen und/oder ihrer Auswirkungen als derart komplex, dass zu ihrer Bewältigung übergreifende, die Gemeinde als integrale "Gemeinschaft" fordernde, Kooperationsstrukturen notwendig erscheinen.

So ist beispielsweise die Suchtprävention bei Kindern und Jugendlichen zu einer vordringlichen erzieherischen Zielsetzung geworden, die vom Gemeinwesen mitgetragen werden muss, da sie niemals von den Eltern allein geleistet werden kann.
Es handelt sich hier um eine Aufgabe, die sehr umfassende Absprachen und Koordinationsbemühungen zwischen Eltern, Lehrern, Gemeindebehörden, Ladenbesitzern, Wirten, Polizeistellen, Jugendorganisationen usw. erforderlich macht: d.h. all jener Instanzen, die für die Sozialisation und das Verhalten von Kindern und Jugendlichen eine Mitverantwortung tragen.

Ähnlich wie in der Krankenpflege ist es also die Gemeinde, die eine von der Familie nicht mehr bewältigbare Aufgabe primär übernimmt. An die Stelle rein familieninterner "Mikrosozialisation" tritt die "kommunale Mesosozialisation", die aus dem Zusammenwirken von öffentlichen und privaten Stellen sowie individuellen und kollektiven Akteuren entsteht. Zudem werden auch privatwirtschaftliche Akteure in eine moralische Mitverantwortung eingebunden. [32]
Den Gemeindebehörden kommt dabei wahrscheinlich zunehmend eine rein koordinierende und katalysierende Bedeutung zu.

In der Verfolgung derartiger Ziele kann die moderne Gemeinde möglicherweise wieder gewisse Aspekte jener "moralischen Gemeinschaft" zurückgewinnen, die man im Zeitalter der Individualisierung und zunehmend überlokalen Orientierung für endgültig verloren glaubte.
Massgebend dafür ist z.B. der sehr breite Konsens darüber, dass Kinder vor der Drogensucht bewahrt werden müssten - genauso wie das ebenso übergreifende Interesse, die Gemeinde vor schädigenden Industriegiften oder grosstechnologischen Katastrophenrisiken freizuhalten und vor ungehemmtem Lastwagentransitverkehr zu schützen.

Analoge "moralische Offensiven" sind letzthin beispielsweise im Kampf gegen Sprayereien gestartet worden:
"Auf Initiative der 'Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige" (GGG) hin sind die Politiker in der Stadt Basel aktiv geworden. Arbeitslose haben Fassaden von Sprayereien gereinigt. Der Regierungsrat gab ein Konzept für Aufklärungsarbeiten an den Schulen in Auftrag und schuf für das unter der Leitung der GGG geschaffenen "Spray-Out Team" eine Koordinationsstelle beim Polizei- und Militärdepartement. Anfang Sept. 94 bewilligte die Regierung zudem einen Kredit von Fr. 200'000.- für Kostenbeiträge an Reinigungen privater Liegenschaften. Für Eltern, Schüler und Jugendliche werden Aufklärungsbroschüren verbreitet, und längerfristig wird an die Einführung eines Fachs 'Soziales Verhalten' gedacht. [33]
 
 

5. Schluss

Kommunale Politik ist seit Urzeiten dadurch geprägt, dass die öffentlichen Organe über äusserst begrenzte (personelle, organisatorische und finanzielle) "Bordmittel" verfügen und deshalb in fast allen Vollzugsaufgaben auf die Unterstützung privater Instanzen angewiesen bleiben. Dementsprechend hat sich auch die Idee einer autoritativen öffentlichen Gewalt weniger ausprägen können als auf kantons- und Bundesebene, wo die Existenz eines personell ausdifferenzierten Verwaltungsapparats die Grundlage dafür schafft, um den Bürgerinnen und Bürgern als unabhängige, allein auf die Durchsetzung der Gesetze bedachte Autoritätsinstanz gegenüberzutreten.
In neuerer Zeit scheint das reine "Autoritätsmodell" selbst auf überlokalen Ebenen in eine ernsthafte Krise zu geraten, weil selbst ein administrativ gut dotierter Staatsapparat angesichts der wachsenden Vielfalt und Komplexität der Vollzugsaufgaben immer weniger in der Lage ist, die anstehenden Probleme ohne Kooperationsbeziehungen mit privaten Leistungsträgern zu erfüllen.
Analog zu den Wirtschaftsunternehmungen muss heute auch die öffentliche Hand ein verstärktes "outsourcing" betreiben, um Zugang zu hochspezialisierten, relativ selten gebrauchten Leistungskapazitäten zu gewinnen und um sich besser auf die ihm eigenen "Kernkompetenzen" konzentrieren zu können.
Für die Schweizer Gemeinden bedeutet dies, dass die traditionell etablierten Formen der Milizverwaltung neue Aufgaben zugewiesen erhalten und dass neben Einzelindividuen auch Gruppen und Institutionen (lokaler oder überlokaler Art) vermehrt in Kooperationsbeziehungen eingebunden werden.
 
 

Literatur

Beyer, Lothar / Brinckmann Hans: Kommunalverwaltung im Umbruch, Verwaltungsreform im Interesse von Bürgern und Beschäftigen (Bund-Verlag, Köln 1990).

Cigler, Beverly A.: Trends Affecting Local Administrations (in: Perry, James L. (ed.) Handbook of Public Administration, Jossey Bass Publishers, San Francisco 1990: 50-53).

Garlichs, Dieter: Grenzen zentralstaatlicher Planung in der Bundesrepublik ( H. Wollmann, Politik im Dickicht der Bürokratie. Westdeutscher Verlag, Opladen 1980: 71-102).

Geser, Hans: Bevölkerungsgrösse und Staatsorganisation (Peter Lang Verlag, Bern/Frankfurt 1981: 234ff. + 274ff.).

Geser, Hans: Kommunales Regieren und Verwalten. Ein empirisches Handbuch (Verlag Rüegger, Grüsch 1987).

Hesser, Joachim Jens (Hrsg.): Stadt und Staat: Veränderungen der Stellung und Funktion der Gemeinden im Bundestaat? (in: Hesse, Joachim u.a. (Hrsg.) Staat und Gemeinden zwischen Konflikt und Kooperation, Nomos, Baden-Baden 1983: 11ff.)

Joye, Dominique/Huissoud, Thérèse / Schuler, Martin: Habitants des quartiers, citoyens de la ville? (Seismo Verlag, Zürich 1995).

Mayer, Margit: Neue Trends in der Stadtpolitik - eine Herausforderung für die Lokale Politikforschung (in: Blanke, Bernhard (Hrsg.) Staat und Stadt, Sonderheft 22/1991 der "Politischen Vierteljahresschrift", Westdeutscher Verlag Opladen 1991: 51-71).

Peters, Tom: Jenseits der Hierarchien. Liberation Management. (ECON-Verlag, Düsseldorf u.a. 1993).

Schnabel, F: Politik ohne Politiker (in: H. Wollmann (Hrsg.) Politik im Dickicht der Bürokratie. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1980: 49-70).

Schwegler, Roman: "Schwierige Entscheidungsfindung" (Zürichsee-Zeitung 15.2.1995: 17).
 
 

Anmerkungen

  1. vgl. z.B. für Hombrechtikon (ZH): "'Im Dienste aller' morgen erstmals auch über Mittag" (Zürichsee-Zeitung 9.2.1995: 21). 
  2. So z.B. in Rastatt (Baden-Württemberg): "Gänge auf die Verwaltung sollen künftig in einem einzigen Büro erledigt werden. Zu diesem Zweck wurde ein sogenanntes Bürgeramt eingerichtet. Das neue Amt ist ein Service-Center, an dessen Schaltern von eigens geschulten Mitarbeitern alle wesentlichen An liegen der Einwoner schnell erledigt werden. Eine nach Sachgruppen geordnete Zuständigkeit gibt es nicht, vielmehr umfasst die Einrichtung Verwaltungsleistungen verschiedener Ämter zusammen: un ter anderem Meldewesen, Fundsachen, Ausstellung von Personalausweisen und Pässen, von Lohnsteu erkarten und Behindertenausweisen" (vgl. "Traktandum" 13, 1994: Nr. 2: 12). [zurück
  3. In einer vom Verfasser durchgeführten komparativen Untersuchung auf kantonaler Ebene hat sich ge zeigt, dass bei der Zuger Kantonalverwaltung ein sehr flexibler, interaktiver Vollzugsstil vor herrscht, der dem oft sehr geringen "Qualifikationsgefälle" zwischen Verwaltungsbeamten und ih ren Klienten entspricht. In Aargau und Zürich dagegen dominiert ein regelhaft-bürokratischer Stil, in dem sich die höhere Autorität und Qualifikation, andererseits aber auch die grössere Schwerfäl ligkeit dieser umfangreicheren Apparate widerspiegelt. Die Vermutung liegt nahe, dass zwischen kleindörflichen und grosstädtischen Verwaltungen analoge Unterschiede bestehen (vgl. Geser, 1981: 234ff.). [zurück
  4. vgl. "Traktandum" 13, 1994: Nr. 7: 11. 
  5. vgl, "Traktandum", 9, 1990: Nr. 3: 8. Analoges gilt auch für die Aidskranken (vgl. "Traktandum" 11, 1992: Nr. 8: 11). 
  6. vgl. z.B. für die Gemeinde Bolligen (BE): "Traktandum" 12, 4, 1993: 10. 
  7. vgl. "Traktandum" 12,1993: Nr. 4: 10. 
  8. vgl. "Traktandum" 12, 4, 1993: 13. 
  9. vgl. "Gemeinderat Niederhasli ruft zum Widerstand auf" (Tages Anzeiger, 12.4.1995: 23). 
  10. vgl. "Traktandum" 10, 1991: Nr. 7: 11. 
  11. vgl. "Kampf gegen Drogen und Vandalismus" (Neue Zürcher Zeitung, 22.11.1994: 57). 
  12. Auch dies ist ein Beispiel für die generelle Tendenz, dass Gemeinden immer häufiger freiwillig dazu gelangen, ihre Vollzugskapazitäten in überlokale Organisationsstrukturen einzuordnen, ohne durch formelle Gesetzesgebungen oder Weisungen dazu genötigt zu werden. Generell zeigt sich in solchen Entwicklungen die Tendenz zur Bildung dezentralisierter Strukturen, in der die unmittelbare Anwe senheit am Ort und rasche Einsatzbereitschaft höher rangiert als Professionalität und straff ge führte Organisation. In diesem Sinne hat z.B. auch das Freiburger Polizeikorps vom technokratisch motivierten Modell der Zentralisierung und spezialisierten Professionalisierung der 70er Jahre wie der Abschied genommen und ist zur dezentraleren Struktur der "Quartierposten" zurückgekehrt, die mit polyvalenten und ortsverbundenen "Allzweckpolizisten" ausgestattet werden (vgl. "Traktan dum" 9, 1990: Nr. 7: 17). [zurück
  13. vgl. "Traktandum" 13, 1994: Nr. 7: 18. 
  14. ebenda. 
  15. vgl. "Traktandum" 12, 7, 1993: 12. Wenn sich die beteiligten Vollzugsorgane nicht einer strengen Selbstdisziplinierung befleissigen, könnte leicht ein unerträgliches Klima der Unfreiheit und des Denunziantenums entstehen. [zurück
  16. So z.B. in Sattel (SZ), vgl. "Traktandum" 9, 1990: Nr. 6: 10. 
  17. vgl. "Traktandum" 13, 1994: Nr. 7: 10. 
  18. vgl. "Traktandum" 11, 8, 1992: 14. 
  19. vgl. "Traktandum" 12, 1993: Nr. 3: 12. 
  20. vgl. "Traktandum" 9, 1990: Nr. 2: 8. 
  21. vgl. z.B. "Private sollen den "Strohhof" beflügeln" (Tages Anzeiger 2.2.1995: 18. 
  22. vgl. "Traktandum" 11, 8, 1992: 14. 
  23. vgl. "Interesse an Alterssiedlung" (Berner Zeitung 24.3.1995: 36). 
  24. z.B. in der Stadt Zürich (vgl. "Traktandum", 13, 1994: Nr. 6: 15). 
  25. z.B. in Lungern (OW), vgl. "Traktandum" 9, 1990: Nr. 2: 8). 
  26. vgl. "Traktandum" 11, 4, 1992: 6/7. 
  27. vgl. "Traktandum" 13, 7, 11.1994: 10. 
  28. So z.B. im Bereich des Schwarzsees (FR), der vom unteren Sensebezirk aus durch einen Trägerverein erschlossen wird, der sich verpflichtet hat, am Wochenende einen regelmässigen Busbetrieb auf recht zu erhalten (vgl. "Traktandum" 12, 1993: Nr. 2: 18). [zurück
  29. vgl. "Der Sparzwang fördert die Eigeninitiative" (Tages Anzeiger, 2.2.1995: 17). 
  30. vgl. "Traktandum" 9, 1990: Nr. 7: 19. 
  31. vgl. "Traktandum" 10, 1990: Nr. 1: 17. 
  32. vgl. "Suchtprävention wird wichtiger" (Zürichsee-Zeitung 15 2.1995: 17). 
  33. "Traktandum 13,1994: Nr. 7: 15. 

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  aktualisiert am 21.10.2011