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Schweizer Gemeindestudien

Die Organisation öffentlicher Sozialhilfe in den Gemeinden der Deutschschweiz

Teilauswertung der Spezialbefragung „Wandel des Sozialwesens in der Gemeinde"

Jürgen Stremlow, Mai 1997

Teil 1: Die Behördenorganisation

Inhalt

Die öffentliche Sozialhilfe ist im Rahmen der schweizerischen Sozialpolitik das letzte soziale Auffangnetz. Ihr Aufgabe ist die materielle Hilfe in Form von Unterstützungsleistungen an Personen oder Familien, die von Armut betroffen sind und die immaterielle Hilfe im Sinne persönlicher Beratung und Betreuung. Mit wenigen Ausnahmen haben die Kantone den Vollzug und die Finanzierung der öffentlichen Sozialhilfe an die Gemeinden delegiert. Die öffentliche Sozialhilfe ist deshalb ausgesprochen föderalistisch strukturiert. Der Aufsatz gibt einen Überblick über die Vielfalt der Organisationsformen im Bereich der öffentlichen Sozialhilfe und fragt nach Determinanten der vorgefundenen Strukturen. Im ersten Teil wird die Behördenebene analysiert und der zweite Teil wendet sich dem Vollzug bei den kommunalen Verwaltungen zu.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Teil 1: Die Organisation der Sozialhilfe auf Behördenebene 

1.1 Einsetzung und Kompetenzen kommunaler Sozialbehörden 
1.2 Die personelle Zusammensetzung der Sozialbehörden 
1.3 Die Arbeitsbelastung kommunaler Sozialbehörden 
Teil 2: Die Organisation der Sozialhilfe auf Verwaltungsebene 
2.1 Organisationsformen kommunaler Sozialabteilungen 
2.2 Die Stellenausstattung kommunaler Sozialabteilungen 
2.3 Bearbeitungsprozesse bei Vergabe von Unterstützungsleistungen 
Schlussbetrachtung 

Literatur

 

Einleitung

Mit Ausnahme der Sozialversicherungen sind viele Bereiche des schweizerischen Sozialwesens ausgesprochen heterogen aufgebaut, so z.B. das System der Familienzulagen (Spycher, Bauer, Baumann, 1995). Insbesondere gilt diese Tatsache auch für die öffentliche Sozialhilfe (Höpflinger & Wyss, 1994). Bis vor einigen Jahren war sie allerdings noch kein Thema von breitem Interesse und auch ihre organisatorische Vielgestaltigkeit standen noch nicht zur Diskussion. Erst im Zeichen markant ansteigender Fürsorgefälle und den Untersuchungen zum Thema „neue Armut" (Füglistaler/Hohl, 1992; Ulrich/Binder, 1992; Mäder/Biedermann; u.a., 1990) wurde die öffentliche Sozialhilfe als letztes Auffangnetz im System der sozialen Sicherheit plötzlich Gegenstand sozialpolitischer Erwägungen. Dazu kommt, dass mit Ausnahme des Buches von Höpflinger & Wyss (1994), das Formen und Funktionen der öffentlichen Sozialhilfe miteinander vergleicht und analysiert, bisher nahezu keine entsprechenden Studien vorliegen. Die Erhebung von Höpflinger & Wyss (1994) beruht vor allem auf qualitativen Analysen und Beschreibungen, namentlich was die Organisation der öffentlichen Sozialhilfe betrifft. Mit dem hier vorliegenden Datensatz über die Organisation, den Wandel und den Problemdruck des Sozialwesens in den Gemeinden der Deutschschweiz und dem ausserordentlich umfangreichen Datenmaterial der bisherigen Gemeindeforschungen ist es nun möglich, vermehrt quantitativ geprägte Analysen über die Organisation der öffentlichen Sozialhilfe vorzunehmen. Die vorliegende Arbeit möchte dazu einen Beitrag leisten und versuchen die Vielgestaltigkeit der öffentlichen Sozialhilfe zu beschreiben und nach wichtigen Einflussfaktoren ihrer Ausgestaltung zu fragen. Die zentrale Forschungsfrage lautet daher wie folgt:

Wie ist die öffentliche Sozialhilfe/Fürsorge in den Gemeinden der Deutschschweiz organisiert und durch welche Faktoren wird ihre Ausgestaltung und Organisation wesentlich determiniert?

Insbesondere dem zweiten Teil der Forschungsfrage ist Beachtung zu schenken, da er Bezug auf die umfangreichen Strukturdaten der Gemeinden nimmt, die durch die bisherigen Gemeindeforschungen zur Verfügung stehen. Anhand dieser Daten sollte es möglich sein, die Organisationsformen der öffentlichen Sozialhilfe nicht nur zu beschreiben, sondern auch erklärende Faktoren für ihre Ausgestaltung zu identifizieren. In der vorliegenden Arbeit werden deshalb neben eher beschreibenden Erklärungsfaktoren wie Kantonszugehörigkeit, Gemeindegrösse und Nähe/Distanz einer Gemeinde zu Grosszentren (d.h. ihre räumliche Lage auf einer Zentrum/Peripherie-Achse) auch zahlreiche Variablen zur demographischen, sozio-ökonomischen und politischen Struktur von Gemeinden einbezogen. Dabei wird die Analyse der Organisationsformen einerseits auf der Behördenebene, und andererseits auf der Verwaltungsebene vorgenommen, wobei zwischen beiden Ebenen immer wieder Interferenzen auftauchen und analysiert werden können.

Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Behördenorganisationen und gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Bestellungsverfahren der Sozialbehörden in den einzelnen Kantonen, analysiert ihre Entscheidungskompetenzen bei der Vergabe von Unterstützungsleistungen, setzt sich mit ihren Mitgliederstrukturen (z.B. ihrer Professionalisierung) und ihrer Arbeitsbelastung auseinander.

Gegenstand des zweiten Kapitels ist die Organisation der öffentlichen Sozialhilfe auf Verwaltungsebene. Im ersten Abschnitt wird gezeigt, wie sie bei den einzelnen Gemeindeverwaltungen organisiert ist und welche Formen kommunaler Sozialabteilungen sich unterscheiden lassen. Gleichzeitig wird versucht, Merkmale zu identifizieren, die diese unterschiedlichen Organisationsformen bedingen. Der zweite Abschnitt widmet sich der Stellenausstattung der kommunalen Sozialabteilungen und fragt nach Determinanten, die den Ausbau beeinflussen. Im dritten und letzten Abschnitt wird die institutionelle Bearbeitung bei der Vergabe von Unterstützungsleistungen untersucht und typische Bearbeitungskonstellationen ausgearbeitet.

 

1. Die Organisation der Sozialhilfe auf Behördenebene

1.1 Einsetzung und Kompetenzen kommunaler Sozialbehörden

In den meisten Kantonen fällt die öffentliche Sozialhilfe in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinden. Wolffers (1993, 59) schreibt in seinem Buch „Grundriss des Sozialhilferechtes" dazu: „Für die Ausgestaltung der Behördenorganisation ist zunächst entscheidend, ob die Sozialhilfe innerkantonal in die Kompetenz der Gemeinden fällt oder ob eine zentralistische Lösung mit kantonaler Verantwortlichkeit gewählt wurde. In den meisten Kantonen obliegt die Sozialhilfe den Gemeinden, wobei das Sozialhilferecht teilweise einen Zusammenschluss einzelner Gemeinden zur gemeinsamen Aufgabenbewältigung vorsieht. Die kantonalen Sozialhilfegesetze gestehen den Gemeinden in der Regel bei der Ausgestaltung der Behördenorganisation eine erhebliche Autonomie zu." Zumindest was die Bestellung oder Wahl der Sozialbehörden betrifft, sind in den meisten kantonalen Sozialhilfegesetzen Regelungen zu finden. Höpflinger & Wyss (1994, 35) haben die entsprechenden Gesetze in den einzelnen Kantonen analysiert und dabei drei Grundformen unterschieden. Aufgrund des vorliegenden, stärker quantitativ geprägten Materials dieser Untersuchung, ist es sinnvoll, bei den Bestellungsverfahren in den einzelnen Kantonen vier Typen zu bilden:

a) Kantone mit Gemeinderat als Sozialbehörde

In den Kantonen Luzern, Zug, Aargau, Schaffhausen, Ob- und Nidwalden amtiert der Gemeinderat gleichzeitig als Sozialbehörde. Mit Ausnahme des Kantons Luzern ist in allen Kantonen eine Aufgabendelegation an eine Fachkommission möglich. Die nachfolgende Übersicht zeigt, in welchem Umfang die Gemeinderäte in diesen Kantonen tatsächlich von der Möglichkeit Gebrauch machen, eine Fachkommission einzusetzen:

Tabelle 1.1: Kantone mit Gemeinderat als Sozialbehörde

Kantone Gemäss Sozialhilfegesetz: Anteil der Gemeinden im Kanton:
  Gemeinderat ist Sozialbehörde Delegation an Fürsorgekommission möglich mit Gemeinderat als Sozialbehörde mit Delegation an Fürsorgekommission n=185
Luzern Ja - 100% - 50
Aargau Ja Ja 91% 9% 104
Zug Ja Ja 89% 11% 9
Schaffhausen Ja Ja 67% 33% 9
Obwalden Ja Ja 20% 60%1 5
Nidwalden Ja Ja 12% 88% 8
1In den verbleibenden 20% der Gemeinden im Kanton Obwalden wird die Sozialbehörde gewählt

Im Kanton Luzern gehört die öffentliche Sozialhilfe in den Aufgabenbereich der Bürgergemeinden. Mit Ausnahme von vier Gemeinden, in denen der Bürgerrat eine eigenständige, gewählte Behörde ist, amtiert in den meisten übrigen Gemeinden der Gemeinderat zugleich auch als Bürgerrat. Wo keine Bürgergemeinde mehr besteht, ist die Einwohnergemeinde zuständig. Gemäss Sozialhilfegesetz vom 2. März 1983 ist auch im Kanton Aargau der Gemeinderat die zuständige Sozialbehörde. Wie Tabelle 1.1 zeigt, delegiert dieser in 9% der untersuchten Gemeinden die Aufgaben der öffentlichen Sozialhilfe an eine Fachkommission, d.h. in etwa 90% der Gemeinden amtiert der Gemeinderat als letzte Entscheidungsinstanz. Nur im Fall von einer Gemeinde delegiert im Kanton Zug der Gemeinderat Aufgaben an eine Fürsorgekommission. Diese Behörde verfügt allerdings nur über Antrag stellende Kompetenzen und ist zu zwei Dritteln mit Gemeinderäten besetzt. Das bedeutet faktisch, dass die Entscheidungen über die kommunalen Sozialaufgaben in allen Gemeinden des Kantons in den Händen der Gemeinderäte liegen. Im Kanton Schaffhausen amtiert in zwei Dritteln der untersuchten Gemeinden der Gemeinderat als Sozialbehörde. In den verbleibenden Gemeinden arbeiten vom Gemeinderat eingesetzte Fachkommissionen, die sich allerdings zu 80% aus Gemeinderäten zusammensetzen und hauptsächlich beratende Funktionen ausüben, d.h. in praktisch allen Gemeinden des Kantons entscheidet die Gemeindeexekutive die Belange der öffentlichen Sozialhilfe. In den meisten Gemeinden (etwa 88%) des Kantons Nidwalden hat der Gemeinderat Fachkommissionen eingesetzt. Allerdings verfügt nur ein guter Viertel (29%) dieser Kommissionen über sämtliche Entscheidungskompetenzen, was dazu führt, dass in ungefähr 75% der Gemeinden der Gemeinderat nach wie vor in letzter Instanz entscheidet. Am wenigsten eindeutig kann der Kanton Obwalden dieser Gruppe zugeordnet werden, da die vom Gemeinderat eingesetzten Fachkommissionen häufig über sämtliche Entscheidungskompetenzen verfügen. Umgerechnet auf alle untersuchten Gemeinden des Kantons ist in 40% der Gemeinden der Gemeinderat die Belange der öffentlichen Sozialhilfe zuständig, in weiteren 40% eine Fürsorgekommission und in 20% eine gewählte Sozialbehörde.

b) Kantone mit eigenständigen, gewählten Sozialbehörden

In den Kantonen Glarus, Uri und Basel-Land werden die Sozialbehörden durch die Volkswahl bestimmt. Im Kanton Zürich ist die Volkswahl ebenfalls vorgesehen, wobei die Sozialbehörden in den grösseren Städten von den Gemeindeparlamenten gewählt werden.

Tabelle 1.2: Kantone mit gewählter Sozialbehörde
Kantone Gemäss Sozialhilfegesetz: Anteil der Gemeinden im Kanton:
  Wahl der Sozialbehörde mit gewählter Sozialbehörde mit eingesetzter Sozialbehörde n=148
Glarus Ja 100% - 10
Uri Ja 100% - 7
Basel-Land Ja 94% 6% 31
Zürich Ja 89% 2%1 100
 1In den verbleibenden 9% der Gemeinden des Kantons Zürich amtiert der Gemeinderat als Sozialbehörde

Im Kanton Glarus bestehen in allen Gemeinden eigenständige Fürsorgegemeinden, die für den Bereich der öffentlichen Sozialhilfe zuständig sind. Sie verfügen über ein eigenes Budget und können separate Steuern erheben. Exekutive der Fürsorgegemeinden ist der Fürsorgerat, der von der Fürsorgegemeindeversammlung gewählt wird. Der Fürsorgerat hat auch in allen Gemeinden des Kantons die Entscheidung über Unterstützungsleistungen in letzter Instanz inne. Mit dieser formalen Organisation der Sozialbehörden hat der Kanton Glarus von allen untersuchten Kantonen das ausgeprägteste Milizsystem. Wie Tabelle 1.2 zeigt, werden ebenfalls in allen Gemeinden des Kantons Uri die Fürsorgebehörden vom Volk gewählt. Im Gegensatz zum Kanton Glarus verfügen allerdings nur 57% dieser Sozialbehörden über sämtliche Entscheidungskompetenzen, sodass in den übrigen Gemeinden der Gemeinderat in letzter Instanz entscheidet. Die Stimmbürger wählen im Kanton Basel-Land die Fürsorgebehörden in gut 90% aller Gemeinden. In den verbleibenden Gemeinden werden sie vom Gemeinderat eingesetzt. Praktisch alle dieser Behörden verfügen bei der Zusprache von Unterstützungsleistungen über sämtliche Entscheidungskompetenzen. Im überwiegenden Teil der untersuchten Zürcher Gemeinden wird die Fürsorgebehörde gewählt, wobei zu 82% vom Volk und zu 7% vom Gemeindeparlament. In einigen Gemeinden (9%) amtiert der Gemeinderat gleichzeitig als Sozialbehörde, wie das gemäss kantonalem Sozialhilfegesetz ebenfalls möglich ist. Ähnlich wie im Kanton Basel-Land verfügt die überwiegende Mehrheit der gewählten und eingesetzten Behörden bezüglich der Vergabe von Unterstützungsleistungen über sämtliche Entscheidungskompetenzen (in 88% der Fälle), bei 11% der Gemeinden entscheidet die Gemeindeexekutive und bei 1% das Sozialamt in letzter Instanz.

c) Die Sozialbehörde ist eine selbständige Behörde, wird aber vom Gemeinderat eingesetzt

In den Sozialhilfegesetzen der Kantone Appenzell-Ausserrhoden, Schwyz, Wallis und St. Gallen ist eine derartige Bestellung vorgesehen. In praktisch allen untersuchten Gemeinden des Kantons Thurgau sind die Sozialbehörden vom Gemeinderat eingesetzt, obwohl gemäss Sozialhilfegesetz auch eine Volkswahl möglich ist. Das neue Sozialhilfegesetz des Kantons Fribourg, das am 1.7.1994 in Kraft trat, sieht unter anderem vor, dass auf regionaler Ebene Sozialkommissionen arbeiten, deren Mitglieder von den angeschlossenen Gemeinden eingesetzt werden. Insofern ist der Kanton Fribourg in dieser Gruppe ein Sonderfall.

Wie Tabelle 1.3 zeigt, werden im Kanton Thurgau in 92% der untersuchten Gemeinden die Fürsorgekommission durch den Gemeinderat eingesetzt. Diese sind bei der Vergabe von Unterstützungsleistungen mit sämtlichen Entscheidungskompetenzen ausgestattet, was ihre Eigenständigkeit betont.

Tabelle 1.3: Kantone mit Sozialbehörden, die vom Gemeinderat eingesetzt werden

Kantone Gemäss Sozialhilfegesetz: Anteil der Gemeinden im Kanton:
  Bestellung durch Gemeinderat Gemeinderat als Sozialbehörde mit eingesetzter Sozialbehörde (vom Gemeinderat) mit gewählter Sozialbehörde mit Gemeinderat als Sozialbehörde n=133
Thurgau möglich möglich 92% 4% 4% 21
Fribourg Ja - 91% - 9% 12
Appenzell-AR Ja - 85% 7% 8% 13
Schwyz Ja - 78% 22% - 18
Wallis Ja - 67% 33% - 12
St. Gallen Ja - 51% 7% 42% 57
 

Mit der Änderung des Sozialhilfegesetzes im Kanton Fribourg vom 1.7.1994 wurde die Verantwortung für die Sozialhilfe vermehrt auf die Bezirksebene übertragen. 91% der untersuchten Gemeinden haben Mitglieder in eine regionale Sozialkommissionen bestellt. In den verbleibenden Gemeinden amtiert der Gemeinderat als Sozialbehörde. Bezogen auf die Gesamtzahl der untersuchten Gemeinden verteilt sich die letztinstanzliche Entscheidungsgewalt bei wirtschaftlicher Sozialhilfe zur Hälfte auf die Gemeindeexekutive, zu einem Drittel auf die regionalen Sozialbehörden und zu knapp 20% auf die regionalen Sozialdienste. Gemäss dem Gesetz über die Sozialhilfe vom 18. Mai 1983 hat im Kanton Schwyz der Gemeinderat eine Fürsorgebehörde mit maximal 11 Personen zu bestellen. In 78% der untersuchten Gemeinden des Kantons wird dieses Bestellungsverfahren angewandt und in den restlichen Gemeinden wird die Sozialbehörde vom Parlament (16%) oder vom Volk (6%) gewählt. Wie im Kanton Thurgau verfügen auch im Kanton Schwyz alle Sozialbehörden über vollständige Entscheidungsbefugnisse. Im Kanton Appenzell-Ausserrhoden werden in 85% der Gemeinden die Sozialbehörden durch den Gemeinderat eingesetzt. In 7% der Gemeinden amtiert eine gewählte Behörde und bei 8% der Gemeinderat selber. Die Entscheidungskompetenzen dieser Sozialbehörden sind allerdings nicht so umfassend wie in den Kantonen Thurgau und Schwyz, wodurch sie einen Teil ihrer Autonomie einbüssen: 75% verfügen über sämtliche Entscheidungsbefugnisse und 25% über eingeschränkte. In den Gemeinden des Kantons Wallis werden in 67% der Gemeinden die Sozialbehörden vom Gemeinderat ernannt und in den verbleibenden Gemeinden gewählt. Allerdings verfügen nur 25% dieser Behörden über vollständige Entscheidungskompetenzen. Im Kanton St.Gallen werden in der Hälfte aller Gemeinden die Sozialbehörden vom Gemeinderat eingesetzt, in gut 40% amtiert der Gemeinderat als Sozialbehörde und in den verbleibenden Gemeinden wird die Sozialbehörde gewählt. Die eingesetzten und gewählten Sozialbehörden verfügen in praktisch allen Gemeinden über umfassende Entscheidungskompetenzen bei der Vergabe von Unterstützungsleistungen.

d) Kantone mit uneinheitlicher Form der Einsetzung

Zu dieser Gruppe werden Kantone gezählt, in denen kein bestimmtes Bestellungsverfahren vorherrscht und die Sozialhilfegesetze wenig entsprechende Regelungen vorgeben. Sofern im Kanton Bern keine andere Behörde bestimmt wird, ist gemäss Sozialhilfegesetz der Gemeinderat zuständig, was jedoch tatsächlich nur in 26% der untersuchten Gemeinden der Fall ist, denn in 52% der Gemeinden wird die Behörde gewählt und bei den restlichen 22% durch den Gemeinderat bestellt. Gut drei Viertel der gewählten oder eingesetzten Sozialbehörden verfügen über sämtliche Entscheidungskompetenzen, d.h. im Kanton Bern entscheidet der Gemeinderat in 30% der Gemeinden über die Vergabe von Unterstützungsleistungen, in etwa 60% eine eigenständige Sozialbehörde und in 10% andere Gremien (Sozialamt und regionaler Sozialdienst). Die Bestellung der Sozialbehörden im Kanton Graubünden ist ähnlich heterogen wie im Kanton Bern: in 45% der untersuchten Gemeinden amtiert der Gemeinderat als Sozialbehörde, in 40% setzt er diese ein und in 15% wird sie gewählt. Von den gewählten und eingesetzten Behörden verfügen rund die Hälfte (48%) über sämtliche Entscheidungskompetenzen. Die wichtigste Entscheidungsinstanz ist damit der Gemeinderat und zwar in gut 60% der Gemeinden. Bei knapp 30% der Gemeinden entscheiden die entsprechenden Sozialbehörden in eigener Kompetenz und in den verbleibenden Gemeinden ein kommunales Sozialamt. Im Kanton Solothurn werden in 49% der Gemeinden die Sozialbehörden vom Gemeinderat eingesetzt, in 49% gewählt und in den restlichen 2% amtiert der Gemeinderat als Sozialbehörde, wobei die eigenständigen Sozialbehörden in fast allen Gemeinden mit sämtlichen Entscheidungsbefugnissen ausgestattet sind. Die Kantone Basel-Stadt und Appenzell-Innerrhoden verfügen nicht im eigentlichen Sinn über kommunale Sozialbehörden und werden deshalb hier nicht ausführlicher beschrieben.

Wie bereits Wolffers (1993, 59) vermutet, könnte die Grösse einer Gemeinde ebenfalls einen wichtigen Einfluss auf die Bestellung der Sozialbehörde ausüben: so ist denkbar, dass in kleinen Gemeinden der Gemeinderat gleichzeitig auch die Aufgaben der Fürsorge übernimmt, da einerseits die Problemdichte gering und andererseits das politische System wenig ausdifferenziert ist. Auch Höpflinger & Wyss (1994, 37) kommen zum Schluss, dass es in Kleingemeinden oder Kleinstgemeinden zum Teil wenig sinnvoll ist, neben dem Gemeinderat weitere Behörden zu bestimmen. Nach ihrer Ansicht kann es zudem auch in grösseren Gemeinden, welche die Sozialaufgaben entweder an einen regionalen Sozialdienst oder an ein gemeindeeigenes Sozialamt delegieren, nicht in jedem Fall funktional sein, eine eigenständige Sozialbehörde einzusetzen.

Tabelle 1.4: Einsetzung der Sozialbehörde nach Gemeindegrösse (n=649)

Einwohnerzahl Anteil Gemeinden mit Gemeindeexekutive als Sozialbehörde Anteil Gemeinden mit eingesetzter Sozialbehörde Anteil Gemeinden mit gewählter Sozialbehörde 
750-1’999 51% 25% 24%
2’000-4’999 34% 27% 39%
5’000-9’999 21% 36% 43%
über 10’000 19% 29% 52%
 

Mit zunehmender Gemeindegrösse steigt der Anteil gewählter Sozialbehörden kontinuierlich an, während der Anteil derjenigen Gemeinden abnimmt, bei denen die Gemeindeexekutive zugleich auch als Sozialbehörde amtiert. Der Anteil eingesetzter Sozialbehörden wächst mit ansteigender Einwohnerzahl ebenfalls; bei grossen Gemeinden geht er allerdings wieder leicht zurück.

Bei der vorliegenden Untersuchung interessierten neben der formalen Organisation zahlreiche weitere Merkmale der kommunalen Sozialbehörden: z.B. ihre Zusammensetzung, ihre Arbeitsintensität und -belastung. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass für diejenigen Sozialbehörden, die mit der Gemeindeexekutive identisch sind, keine diesbezüglichen Informationen erhoben wurden. Die Daten für die nachfolgend beschriebenen Sozialbehörden beziehen sich also nicht auf alle in die Untersuchung einbezogenen Gemeinden der Deutschschweiz (N=663), sondern auf die 416 Gemeinden, in denen die Sozialbehörde entweder von der Exekutive eingesetzt oder gewählt wurde. Das sind 63% aller untersuchten Gemeinden.

Tabelle 1.5: Kompetenzen eigenständiger Sozialbehörden nach Gemeindegrösse (n=416)

Einwohnerzahl Anteil der Sozialbehörden mit folgenden Entscheidungskompetenzen:
  In allen Fällen In bestimmten Fällen Nur beratende, Antrag stellende Funktion
750-1’999 72% 10% 18%
2’000-4’999 79% 14% 7%
5’000-9’999 93% 2% 5%
über 10’000 85% 11% 4%
 

Hier zeigt sich generell, dass mit steigender Gemeindegrösse die Kompetenzen der Sozialbehörden zunehmen. Offenbar wächst die Autonomie der Sozialbehörden mit der Einwohnerzahl. Das erklärt sich vor allem dadurch, dass in vielen kleinen Gemeinden trotz gewählter oder eingesetzter Sozialbehörde der Gemeinderat in letzter Instanz entscheidet. Bei 40% der kleinen Gemeinden (750-1’999 Einwohner) mit eingesetzter Behörde trifft der Gemeinderat die letztinstanzliche Entscheidung bei der Vergabe von Unterstützungsleistungen. In grossen Gemeinden (10'000 und mehr Einwohner) mit eingesetzter Behörde ist dies nur noch bei 5% der Fall. Eine etwas abgeschwächte, aber vergleichbare Entwicklung lässt sich bei gewählten Sozialbehörden beobachten. Wie bereits gezeigt, steigt mit zunehmender Gemeindegrösse der Anteil gewählter Behörden, die im Vergleich zu Behörden über grössere Entscheidungskompetenzen verfügen. 

Beachtenswert ist bei dieser Tabelle zudem, dass bei grossen Gemeinden mit über 10'000 Einwohnern die Kompetenzen der Sozialbehörden wieder abnehmen. Dieser Rückgang erklärt sich vor allem damit, dass mit zunehmender Gemeindegrösse eine stetig steigende Entscheidungsverantwortung der kommunalen Sozialämter zu beobachten ist. Der Entscheid über Unterstützungsleistungen wird in grossen Gemeinden wesentlich häufiger auf der Verwaltungsebene getroffen. In Gemeinden mit 750 bis 1’999 Einwohnern werden 2% aller Gesuche um wirtschaftliche Sozialhilfe auf Verwaltungsebene in eigener Kompetenz entschieden. Bei einer Gemeindegrösse von 5’000 bis 9’999 Einwohnern beläuft sich dieser Anteil bereits auf 10% und bei grossen Gemeinden (über 10'000 Einwohner) steigt dieser Wert sprunghaft auf 20% an. Wichtig an diesem Befund erscheint, dass offenbar mit steigender Einwohnerzahl ein vermehrter Entscheidungstransfer von der politischen Behörde hin zur professionellen Organisation stattfindet. Während in kleineren Gemeinden der Entscheid über Unterstützungsleistungen in den Kompetenzbereich von politischen Akteuren fällt, geht er mit mit ansteigender Gemeindegrösse immer ausgeprägter in die Hand von (professionellen) Vertretern des Sozialwesens über.

 

1.2 Die personelle Zusammensetzung der Sozialbehörden

Bei etwa einem Drittel aller Kantone sind in den Sozialhilfegesetzen Regelungen über die Mitgliederzusammensetzung zu finden (Höpflinger & Wyss, 1994, 36). Diese Regelungen betreffen einerseits die Mitgliederzahl und andererseits die Mitwirkung der Gemeindeexekutive in der Sozialbehörde. Bei etwa der Hälfte der Kantone hat der Gemeinderat ein Mitglied zu delegieren oder sogar das Präsidium zu übernehmen und bei einem Drittel sind Richtlinien über die Gesamtzahl enthalten. In der vorliegenden Untersuchung wurden verschiedene Daten zur Zusammensetzung der Sozialbehörden erhoben. Die nachfolgende Tabelle gibt einen ersten Überblick. Ein Vergleich mit der entsprechenden Behörde für das Bauwesen zeigt, dass Sozialbehörden sich bezüglich ihrer gesamten Mitgliederzahl, ihres Anteils an Vertretern der Gemeindeexekutive und an Parteimitgliedern nicht unterscheiden. Im Durchschnitt setzen sich beide Behörden aus 6 Mitgliedern zusammen, verfügen über einen Anteil an Gemeinderäten von 25% und einen Anteil an Parteimitgliedern von etwa 60%.

Tabelle 1.6: Vergleich der Mitgliederstruktur von Sozial- und Baubehörden (n=416)
 
Mitgliederstruktur Sozialbehörden Baubehörden
Durchschnittliche Zahl der Mitglieder 6 Personen 6 Personen
Frauenanteil 50% 5%
Anteil Mitglieder der Gemeindeexekutive 25% 29%
Anteil Fachleute mit höherer Ausbildung 5% 24%
Anteil Parteimitglieder 68% 60%
 

Im Gegensatz zu Baubehörden weisen Sozialbehörden hingegen einen wesentlich höheren Frauenanteil auf. Genau die Hälfte ihrer Mitglieder sind nämlich Frauen. Bei den Baubehörden beläuft sich dieser Anteil lediglich auf 5%. Auch wenn man aufgrund des allgemein hohen Engagements von Frauen bei vielen freiwilligen und auch professionellen Aufgaben im Sozialwesen erwarten konnte, dass ihr Anteil in Sozialbehörden relativ hoch liegt, erstaunt ein derart hoher Anteil doch. Dafür sind Sozialbehörden im Vergleich zu Baubehörden wesentlich weniger professionalisiert. Im Durchschnitt setzen sich die Baubehörden zu einem Viertel aus Fachpersonen mit einer höheren Ausbildung zusammen. Bei den Sozialbehörden beträgt dieser Anteil lediglich 5%. Diese sehr tiefe professionelle Kompetenz von Sozialbehörden (im Vergleich zu Baubehörden) hat zur Folge, dass man die Entscheide über die Vergabe von Unterstützungsleistungen in erster Linie als politischen und nicht als fachlich ausgewiesenen Entscheid betrachten muss. In Baubehörden hat dagegen der schlussendlich politisch gefällte Entscheid ein wesentlich stärkeres fachliches Fundament. Bei einer zunehmenden Zahl von Unterstützungsfällen, immer vielgestaltigeren sozialen Problemlagen und einer insgesamt steigenden Problemkomplexität, kann man sich die Frage stellen, ob Sozialbehörden mit einem derart geringen Professionalisierungsgrad aus der Sicht der Unterstützungsempfänger wie auch aus der Sicht der zu verteilenden Mittel der öffentlichen Sozialhilfe mit ausreichenden Fachkompetenzen ausgerüstet sind.

Bisher wurde gezeigt, dass gewählte Behörden gegenüber (vom Gemeinderat) eingesetzten über einen grösseren Kompetenzspielraum verfügen und ihr Anteil mit zunehmender Gemeindegrösse kontinuierlich anstiegt. Es ist zu vermuten, dass sie eine umfassendere Eigenständigkeit besitzen als eingesetzte Sozialbehörden. Dieser Befund erhärtet sich, wenn man den Anteil der Exekutivmitglieder betrachtet: Von der Gemeindeexekutive bestellte Behörden setzen sich im Durchschnitt zu 35% aus Gemeinderäten zusammen, während dieser Anteil bei gewählten Behörden genau halb so gross ist (17%).

Tabelle 1.7: Behördenzusammensetzung nach BestellunArt der Einsetzung
 
Bestellungsart Durchschnittliche Mitgliederzahl Anteil Exekutivmitglieder Anteil Fachpersonen Frauenanteil Anteil Parteimitglieder
Vom Gemeinderat eingesetzte Behörde 6 35% 4.6% 57% 63%
Gewählte Behörde 7 17% 4.6% 51% 71%
Durchschnitt 6 25% 4.6%   67%
n 390 382 362 382 364
 

Auf die Professionalisierung der Sozialbehörden haben die unterschiedlichen Bestellungsverfahren keinen Einfluss. Wie aus der Tabelle hervorgeht, entsprechen eingesetzte wie gewählte Sozialbehörden dem durchschnittlichen Anteil von Fachpersonen, der bei knapp 5% liegt. Auch beim Frauenanteil sind keine wesentlichen Unterschiede zu beobachten. Dagegen ist der Anteil von Parteimitgliedern bei gewählten Sozialbehörden mit 73% etwas höher, was naheliegend ist, da hier die Parteizugehörigkeit eine grössere Bedeutung für den Zugang, rsp. die Wahl, in die Sozialbehörde haben dürfte.

Welche Unterschiede in der personellen Zusammensetzung der Sozialbehörden je nach Grösse einer Gemeinde bestehen, zeigt die nachfolgende Tabelle:

Tabelle 1.8: Behördenzusammensetzung nach Gemeindegrösse
 
Gemeindegrösse Mitgliederzahl Anteil Exekutivmitglieder Anteil Fachpersonen Frauenanteil Anteil Parteimitglieder
750-1’999 5.5 29% 3.5% 46% 49%
2’000-4’999 6.5 24% 4.7% 53% 71%
5’000-9’999 6.6 26% 5.0% 49% 80%
über 10’000 7.6 21% 5.4% 55% 85%
Durchschnitt 6.3 25% 4.6% 50% 68%
n 400 391 372 394 373
 

Mit zunehmender Gemeindegrösse steigen die Mitgliederzahlen der Sozialbehörden an. Dieser Anstieg erklärt sich teilweise sicher dadurch, dass mit zunehmender Gemeindegrösse auch der Anteil der gewählten Behörden ansteigt, die - wie bereits gezeigt wurde - eine höhere Mitgliederzahl aufweisen. Beim Anteil der Gemeinderäte in der Sozialbehörde wird ein umgekehrter Effekt sichtbar: Bei grossen Gemeinden ist der Anteil der Gemeindeexekutive geringer als bei kleinen Gemeinden. Generell kann man also feststellen, dass mit zunehmender Gemeindegrösse der Einfluss der Gemeindeexekutive ab- und damit eine gewisse Unabhängigkeit der Sozialbehörden zunimmt. Besonders beachtenswert ist auch die Zunahme von Fachpersonen innerhalb der Sozialbehörden bei steigender Einwohnerzahl. In grösseren Gemeinden sind die Sozialbehörden stärker professionalisiert als in kleinen. Das gleiche Bild ergibt sich auch, wenn man den Anteil der Sozialbehörden betrachtet, in denen überhaupt keine Fachpersonen Einsitz nehmen: In Gemeinden mit 750 bis 1’999 Einwohnern sind dies 81% und bei grossen Gemeinden mit mehr als 10'000 Einwohnern noch 69%. Hier stellt sich die Anschlussfrage, ob ein Zusammenhang zwischen dem Professionalisierungsgrad der kommunalen Sozialabteilungen (Verwaltungsebene) und der vorgesetzten Behörde besteht. Man könnte z.B. vermuten, dass in Gemeinden mit einer professionellen Struktur auf der Verwaltungsebene, die vorgesetzte Behörde ebenfalls vermehrte Fachkompetenz aufweisen sollte, da sie eine Aufsichtsfunktion wahrnimmt. Geht man von einer Komplementarität zwischen Verwaltungs- und Behördenebene aus, könnte allerdings auch genau der umgekehrte Zusammenhang bestehen, d.h. wenn die kommunale Sozialabteilung hoch professionalisiert ist, bedarf es gar nicht mehr unbedingt einer fachlich qualifizierten Behörde.

Tabelle 1.9: Professionalisierungsgrad der Behörde nach Typ der Sozialabteilung (n=344)
 
Typ der kommunalen Sozialabteilung Keine Mitglieder mit höherer Fachausbildung Anteil Mitglieder mit höherer Fachausbildung bis 20% Anteil Mitglieder mit höherer Fachausbildung grösser als 20%
Ausdifferenziertes Sozialamt grosser Gemeinden 55% 36% 9%
Ausgebautes Sozialamt 68% 26% 6%
Teildelegation an regionalen Sozialdienst 75% 16% 9%
Totaldelegation an regionalen Sozialdienst  71% 12% 17%
Wenig professionalisiertes Sozialamt  80% 14% 6%
Keine Sozialabteilung 85% 2% 13%
 

Die Tabelle unterscheidet in der Vertikalen verschiedene Organisationsformen kommunaler Sozialabteilungen. Dieser Typifizierung liegt die Idee einer zunehmenden Professionalisierung zu Grunde: kleinere Gemeinden, die über keine spezialisierte Sozialabteilung verfügen, sind wesentlich weniger professionalisiert als grosse Gemeinden, die über ein ausgebautes Sozialamt mit einem integrierten Sozialdienst verfügen. Die Tabelle zeigt, dass mit zunehmender Professionalisierung auf der Verwaltungsebene auch der Anteil der Fachpersonen in der Behörde ansteigt. Offenbar besteht zwischen Verwaltungs- und Behördenebene keine Substitutionseffekt und die Eindeutigkeit dieses Zusammenhangs begründet sich vor allem in der Aufsichtsfunktion der Sozialbehörden über die Sozialabteilungen: in kleinen Gemeinden, in denen z.B. eine Gemeindeverwaltung oder ein kleines Sozialamt ohne professionelle Mitarbeiter die Aufgaben der öffentlichen Sozialhilfe wahrnimmt, ist für die Aufsicht keine besondere fachliche Qualifikation notwendig. Dagegen bedarf ein ausdifferenziertes Sozialamt mit spezialisierten Abteilungen und einem Pool von professionellen Mitarbeitern ausgewiesene Fachkompetenz in der vorgesetzten Behörde, um die internen Abläufe verstehen und kontrollieren zu können. In Gemeinden mit einer hohen Professionalisierung auf Verwaltungsebene werden demzufolge auch die Entscheide und die strategischen Aufgaben der Sozialbehörde mit grösserer Fachkompetenz ausgeführt. Offenbar führt eine Professionalisierung auf Verwaltungsebene zu einer verstärkten Fachkompetenz auf Behördenebene. Wichtig ist hier zu sehen, dass in Gemeinden mit einem tiefen Professionalisierungsgrad auf Verwaltungs- wie Behördenebene die öffentliche Sozialhilfe stärker als rein politische Angelegenheit behandelt wird, während sie in Gemeinden mit einer spezialisierten und professionellen Struktur wesentlich ausgeprägter aus der Sicht des Sozialwesens wahrgenommen und bearbeitet wird.

 

1.3 Die Arbeitsbelastung kommunaler Sozialbehörden

a) Auswirkungen des kommunalen Umfeldes auf die Arbeitsbelastung

In diesem Abschnitt soll der Frage nachgegangen werden, wie stark die Sozialbehörden durch die Wahrnehmung ihrer Aufgaben im kommunalen Sozialwesen belastet werden und welche Faktoren eine besonders hohe Arbeitsbelastung bedingen. Es sei hier noch einmal erwähnt, dass sich die Aussagen dieses Abschnitts nur auf die vom Gemeinderat eingesetzten und gewählten Sozialbehörden beziehen. Für diejenigen Gemeinden, in denen der Gemeinderat gleichzeitig als Sozialbehörde amtiert, wurden in der vorliegenden Untersuchung keine Daten erhoben.

Die Hauptaufgabe der meisten kommunalen Sozialbehörden besteht in der Behandlung und Entscheidung von Gesuchen um Unterstützungsleistungen. Man könnte deshalb vermuten, dass die Anzahl von Unterstützungsempfängern innerhalb einer Gemeinde einen direkten Einfluss auf die Arbeitsintensität der Sozialbehörde ausübt. Höpflinger & Wyss (1994, 163) konnten mit einer multiplen Regressionsanalyse (bei der soziostrukturelle, soziopolitische Merkmale einer Gemeinde und das Vorhandensein eines Sozialdienstes miteinbezogen wurden) nachweisen, dass der Urbanitätsgrad und die Gemeindegrösse die grösste Erklärungskraft für die Zahl der unterstützten Personen aufweisen. Auch bei der vorliegenden Untersuchung korrelieren Gemeindegrösse und Urbanitätsgrad mit der Anzahl Unterstützungsempfänger in ähnlicher Weise. In grösseren und urbaneren Gemeinden steigt der Anteil der Unterstützungsempfänger an der Gemeindebevölkerung. Bedeutet dieser Befund nun automatisch, dass die Arbeitsbelastung für die Sozialbehörden zunimmt?

Die durchschnittliche Arbeitsbelastung der 401 untersuchten Sozialbehörden liegt bei knapp 24 Stunden pro Jahr. Das entspricht in etwa einer monatlichen Sitzungsdauer von zwei Stunden. Dabei zeigt sich, dass mit zunehmender Gemeindegrösse die zeitliche Beanspruchung der Sozialbehörden tatsächlich zunimmt.

Tabelle 1.10: Arbeitsbelastung nach Gemeindegrösse (n=401)
 
Einwohnerzahl Jährliches Arbeitspensum in Stunden n
750-1’999 17 131
2’000-4’999 26 131
5’000-9’999 25 81
über 10'000 30 58
So beträgt die zeitliche Belastung der Sozialbehörden in Gemeinden mit 750 bis 1’999 Einwohnern im Durchschnitt 17 Stunden pro Jahr und stiegt für grosse Gemeinden mit über 10'000 Einwohnern bis auf 30 Arbeitsstunden. Die Sozialbehörden mittelgrosser Gemeinden mit 2000 bis 10'000 Einwohnern sind praktisch gleich stark belastet. Die Korrelation zwischen Gemeindegrösse und Arbeitsbelastung der Sozialbehörden liegt bei einem Wert von 0.33 und ist damit relativ gering, jedoch signifikant.

Deutlichere Unterschiede in der Arbeitsbelastung der Fürsorgebehörden ergeben sich, wenn die Reisezeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln der einzelnen Gemeinden zur nächsten Grossstadt in die Analyse einbezogen wird. Es zeigt sich, dass Sozialbehörden in Gemeinden, die über 90 Minuten von der nächsten Grossstadt entfernt liegen, ein durchschnittliches jährliches Arbeitspensum von 13 Stunden aufweisen, während die Arbeitsbelastung mit zunehmender Stadtnähe kontinuierlich bis auf 29 Stunden im Jahr ansteigt. So zeigt auch die Korrelation zwischen jährlicher Arbeitsbelastung und Reisedistanz zur nächsten Grossstadt einen zwar nach wie vor geringen, jedoch etwas stärker ausgeprägten Zusammenhang als dies für Arbeitsbelastung und Gemeindegrösse der Fall ist. Der Korrelationskoeffizient beträgt hier -0.41, d.h. je grösser die Reisedistanz zur Stadt wird, umso mehr nimmt die jährliche Arbeitszeit ab. Der Zusammenhang ist ebenfalls (höchst) signifikant. Die nachfolgende Tabelle zeigt ausserdem, dass die Arbeitsintensität der Sozialbehörden für kleinere, mittelgrosse und grosse Gemeinden in ähnlicher Weise mit zunehmender Nähe zur Grossstadt anwächst. Einzig bei mittelgrossen Gemeinden mit 5000 bis 10'000 Einwohnern nimmt die jährliche Arbeitszeit der Sozialbehörden in Grossstadtnähe leicht ab und bei grossen Gemeinden ist der Anstieg nicht ganz linear.

Tabelle 1.11: Arbeitsbelastung nach Grossstadtnähe und Gemeindegrösse (n=348)
 
Reisezeit zur nächsten Grossstadt
(> 100'000 Einwohner)
Jährliche Arbeitszeit der Sozialbehörde in Stunden
  750-1’999 Einwohner 2’000-4’999 Einwohner 5’000-9’999 Einwohner über 10'000 Einwohner Mittelwert
Bis 20 Minuten 26 31 28 29 29
21-40 Minuten 19 31 31 19 27
41-60 Minuten 19 27 24 25 23
61-90 Minuten 11 18 20 - 16
Über 90 Minuten 11 17 17 - 13
n 121 127 61 39 348
 

Die Tabelle zeigt deutlich, dass die Nähe zur nächsten Grossstadt bei kleinen Gemeinden (750-1’999 Einwohner) den stärksten Einfluss auf das Arbeitspensum der Sozialbehörden ausübt. Mit anwachsender Gemeindegrösse nimmt nämlich der Unterschied in der jährlichen Arbeitsbelastung zwischen den entferntesten und stadtnächsten Gemeinden schrittweise ab: während sich der Unterschied bei Gemeinden mit 750-1’999 Einwohnern auf 15 Jahresarbeitsstunden beläuft, beträgt er bei mittelgrossen Gemeinden (5’000-9’999 Einwohner) noch 11 Stunden und bei grossen Gemeinden lediglich 4 Stunden. Insgesamt gesehen sind die Sozialbehörden in den Gemeinden mit der grössten Reisedistanz zur nächsten Grossstadt und der kleinsten Einwohnerzahl am geringsten belastet. Die grösste Arbeitsintensität weisen dagegen nicht die stadtnahen, grossen Gemeinden auf, wie man vielleicht hätte vermuten können, sondern stadtnahe, mittelgrosse Gemeinden mit 2’000 bis 4’999 Einwohnern, wobei die Unterschiede in der jährlichen Arbeitszeit zu den grösseren Gemeinden relativ gering ausfallen. Trotzdem kann man generell festhalten, dass mit anwachsender Gemeindegrösse und zunehmender Zentrumsnähe die Belastung für die Sozialbehörden stetig zunimmt. 

Neben der Behandlung und Genehmigung von Unterstützungsleistungen, die wahrscheinlich den wichtigsten Stellenwert in der Behördenarbeit einnehmen, sind die Sozialbehörden in vielen Gemeinden noch für zahlreiche weitere soziale Aufgaben und Projekte zuständig, so z.B. für die Führung von Alters- und Pflegeheimen, den Spitexbereich, die Betreuung von Jugendlichen und Arbeitslosen, die Zusammenarbeit mit privaten Hilfeträgern usw. Daraus ergeben sich zwei weitere mögliche Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung:

  • Einerseits dürften die Belastungen von Behörden in den Gemeinden grösser sein, die in letzter Zeit von einer grossen Zahl sozialer Probleme stark betroffen wurden,
  • andererseits sind die Sozialbehörden derjenigen Gemeinden wahrscheinlich stärker belastet, die eine grosse Anzahl von sozialen Aufgaben innerhalb ihrer Gemeinde in eigener Regie wahrnehmen, z.B. nicht an regionale Sozialdienste delegieren oder diese Aufgaben vom Kanton oder privaten Stellen übernommen werden.
Zunächst gehen wir der Frage nach, ob ein hohes Aufkommen sozialer Probleme in einer Gemeinde zu einer zusätzlichen Arbeitsbelastung der Sozialbehörden führt. Mit der vorliegenden Befragung wurde erhoben, wie stark die einzelnen Gemeinden von insgesamt 16 sozial relevanten gesellschaftlichen Veränderungen (Verlust an Arbeitsplätzen in der Gemeinde, steigende Mieten, wachsende Zahl von Alleinerziehenden, zunehmende Jugendprobleme usw.) im Verlauf der letzten zehn Jahre betroffen wurden. Mehr als ein Drittel der Gemeinden wurden von vier und mehr sozialen Problemfeldern stark betroffen, je ein Viertel von ein oder zwei Problemkreisen und 15% von drei sozial relevanten gesellschaftlichen Veränderungen. Für die Arbeitsbelastung der Sozialbehörden zeigt sich, dass sie mit der Anzahl der sozialen Probleme ansteigt. Fürsorgebehörden in Gemeinden mit einer hohen Anzahl sozialer Problemfelder weisen eine wesentlich höhere durchschnittliche jährliche Arbeitszeit auf, wie Tabelle 1.12 deutlich zeigt:

Tabelle 1.12: Arbeitsbelastung nach Anzahl sozialer Probleme (n= 293)
 
Anzahl der Problemfelder Jährliche Arbeitszeit der Sozialbehörde in Stunden n
Von einem Problemfeld stark betroffen 21 70
Von zwei Problemfeldern stark betroffen 23 70
Von drei Problemfeldern stark betroffen 26 44
Von vier und mehr Problemfeldern stark betroffen 32 109
 

Zwischen der Anzahl der Problemfelder und der Arbeitsbelastung der Fürsorgebehörde liegt eine hoch signifikante Korrelation mit einem Wert von 0.30 vor. Wie bereits gezeigt, hängt die Belastung der Fürsorgebehörden nicht nur von der Anzahl der sozialen Probleme in einer Gemeinde ab, sondern auch von ihrer Grösse und ihrer Zentrumsnähe. So könnte in Gemeinden in der Nähe einer Grossstadt oder mit einer grossen Einwohnerzahl die Anzahl der sozialen Probleme höher liegen und damit auch die zeitliche Belastung der Fürsorgebehörden zunehmen. Die Beziehung zwischen Arbeitsbelastung und Anzahl sozialer Probleme wäre in diesem Fall nur ein Abbild der Gemeindegrösse oder ihrer Nähe zur nächsten Grossstadt. Die Anzahl sozialer Problemfelder innerhalb einer Gemeinde würde in diesem Fall keinen eigenständigen, unabhängigen Effekt erzeugen. Kontrolliert man die Gemeindegrösse (mit einer Partialkorrelation), so zeigt sich, dass der Korrelationskoeffizient auf einen hoch signifikanten Wert von 0.23 sinkt. Wird der Einfluss der Zentrum-/Peripherie-Achse ausgeschaltet, so verändert sich der Korrelationskoeffizient stärker und fällt auf einen Wert von 0.12, der allerdings nicht das gleich hohe Signifikanznivau erreicht, jedoch nach wie vor signifikant ist. Die Beziehung zwischen Arbeitsbelastung und Anzahl der sozialen Problemfelder scheint von der Gemeindegrösse offenbar relativ wenig beeinflusst zu werden, d.h. in kleinen wie in grossen Gemeinden können sich ähnliche Zusammenhänge ergeben. Die Nähe/Distanz zu einer Grossstadt übt dagegen einen wesentlich stärkeren Einfluss aus. Wie stark sich die Zahl der sozialen Probleme auf die Arbeitslast der zuständigen Behörde auswirkt, verändert sich mit zunehmender Grossstadtnähe. In ländlich-peripheren Gemeinden, die von einer kleinen Zahl sozialer Probleme betroffen sind, ist auch die durchschnittliche Arbeitszeit geringer. Die Anzahl sozialer Problemfelder ist aus diesem Grund eher ein Abbild der Nähe bzw. Distanz zur nächsten Grossstadt und weniger ein eigenständiger Indikator für die Arbeitsbelastung einer Sozialbehörde.

b) Einfluss der Verwaltungsorganisation auf die Arbeitsbelastung 

Bisher wurden Einflüsse des kommunalen Umfeldes auf die Arbeitsbelastung der Sozialbehörden diskutiert, einerseits soziostrukturelle Faktoren wie die Nähe/Distanz zur nächsten Grossstadt oder die Gemeindegrösse, andererseits der soziale Problemdruck (Betroffenheit von sozialen Problemen). In diesem Abschnitt sollen nun Einflussgrössen betrachtet werden, die sich auf die Verwaltungsorganisation der sozialen Aufgaben beziehen, wie z.B. die Aufgabenbelastungen, die in der Zusammenarbeit zwischen Sozialbehörde und -verwaltung entstehen oder mit der Ausstattung und Belastung der kommunalen Sozialabteilungen zusammenhängen.

Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass die meisten Fürsorgebehörden eher auf der strategischen als auf der operativen Ebene tätig sind, also z.B. Entscheide über Fürsorgeleistungen fällen, neue Projekte initiieren oder genehmigen, Stossrichtungen der kommunalen Sozialpolitik festlegen, die Aufsicht über das Sozialamt oder den Sozialdienst ausüben usw. Die eigentliche Bearbeitung der anstehenden (Sozial-)Aufgaben wird dann - abgesehen von einigen Ausnahmen wie z.B. Milizbehörden im Kanton Glarus oder Uri oder in sehr kleinen Gemeinden mit einer wenig ausgebauten Sozialabteilung - von den spezialisierten Mitarbeitern der Gemeindeverwaltung, von kommunalen, regionalen oder kantonalen Sozialdiensten wahrgenommen, also nicht in erster Linie von der Behörde. In diesem Zusammenhang stellt sich generell die Frage, ob die Ausgestaltung der Verwaltungsorganisation auf die Belastung der Sozialbehörden Auswirkungen hat oder nicht. Folgende konkrete Anschlussfragen sind mit dieser generellen Frage verbunden:

  • Sind Sozialbehörden in denjenigen Gemeinden stärker belastet, die eine vergleichsweise grosse Anzahl von Sozialaufgaben in eigener Regie wahrnehmen und z.B. nicht an andere Stellen delegieren?
  • Entsteht in Gemeinden, in denen die kommunale Sozialverwaltung stark belastet ist oder relativ gering ausgebaut ist, eine zusätzliche Belastung für die Behörde?
  • Hat die Organisationsform der Sozialabteilung einen Einfluss auf die Belastung der Behörde? Trägt z.B. die Milizorganisation kleiner Gemeinden zu einer intensiveren Arbeitszeit der Behörde bei als ein ausdifferenziertes Sozialamt grösserer Gemeinden?
  • Ergibt sich aus einer schlechten Zusammenarbeit zwischen Behörde und Verwaltung eine Mehrbelastung für die Behörde?
Zunächst könnte man vermuten, dass eine grosse Anzahl in der Gemeinde wahrgenommene Aufgaben, die Behörden zeitlich stärker belastet, da jede Aufgabe ja nicht nur auf der operativen, sondern auch auf der strategischen Ebene Anstrengungen voraussetzt. So könnten z.B. die Behörden grosser Gemeinden, die von einem umfangreicheren Spektrum sozialer Problemlagen, z.B. Gassenarbeit, Obdachlosenhilfe, Überlebenshilfe im Drogenbereich, betroffen sind, und daher mehr Aufgaben wahrnehmen müssen als kleinere, ländliche Gemeinden, intensiver belastet sein.

Bei der vorliegenden Befragung wurden insgesamt 17 verschiedene soziale Aufgaben erhoben und die Gemeinden danach befragt, welche Instanz die Hauptlast bei der Durchführung dieser Aufgaben trägt. Es zeigt sich, dass die jährliche Arbeitszeit von Sozialbehörden in Gemeinden höher ist, in denen eine gemeindeeigene Stelle oder Behörde eine grosse Anzahl von Aufgaben wahrnimmt.

Tabelle 1.13: Arbeitsbelastung nach Anzahl kommunaler Sozialaufgaben (n=387)
 
Anzahl durch die Gemeinde wahrgenommene Sozialaufgaben Durchschnittliche Jahresarbeitsstunden der Sozialbehörde n
1-5 Aufgaben 19 112
6-10 Aufgaben 25 209
11-17 Aufgaben 28 66
 

Insgesamt besteht eine geringe, signifikante Korrelation mit einem Wert von 0.21, die sich auch nicht verändert, wenn der Einfluss der Gemeindegrösse ausgeschaltet (mit einer Partialkorrelation kontrolliert) wird. Der Einfluss der Zentrum/Peripherie Dimension ist leicht ausgeprägter, aber immer noch relativ gering. Damit handelt es sich offenbar bei der Anzahl der in einer Gemeinde wahrgenommenen Sozialaufgaben um einen Indikator, der einen unabhängigen (zumindest von Gemeindegrösse und Grad an Urbanität) und eigenständigen Einfluss auf die Arbeitsbelastung der Sozialbehörden ausübt.

Das praktisch identische Bild ergibt sich, wenn man untersucht, wieviele der 17 erhobenen Sozialaufgaben in den letzten 10 Jahren neu dazugekommen sind oder in ihrer Belastung zugenommen haben. Sozialbehörden, in deren Gemeinden eine überdurchschnittliche Aufgabenzunahme stattgefunden hat, weisen ebenfalls eine höhere jährliche Arbeitszeit auf. Dabei ist der Zusammenhang mit der Arbeitsbelastung der Sozialbehörde praktisch genau gleich stark und signifikant wie bei der Anzahl kommunaler Aufgaben. Gemeindegrösse und die Urbanität einer Gemeinde modifizieren diesen Zusammenhang ebenfalls nur geringfügig. Die Ähnlichkeit dieser beiden Variablen legt jedoch den Verdacht nahe, dass sie sich gegenseitig beeinflussen, d.h. in Gemeinden, die eine grosse Anzahl von Sozialaufgaben in eigener Regie wahrnehmen (und nicht regionalen, kantonalen oder privaten Stellen übergeben), auch unmittelbarer und in grösserem Ausmass davon belastet werden. Wenn die Anzahl der kommunal wahrgenommenen Aufgaben kontrolliert wird, sinkt die Korrelation von Aufgabenzunahme und Arbeitsbelastung tatsächlich relativ stark, d.h. Gemeinden mit einer grossen Anzahl wahrgenommener Aufgaben verzeichnen auch eine stärkere Aufgabenzunahme resp. Aufgabenbelastung in den letzten Jahren und damit eine intensivere Belastung für die Sozialbehörden. Die Variable „Aufgabenzunahme in den letzten Jahren" hat damit etwas von ihrer unabhängigen Erklärungskraft eingebüsst.

Als Indikator für die Belastung von kommunalen Sozialabteilungen (Sozialamt, Sozialdienst, allgemeine Gemeindeverwaltung usw.) wurden die im Jahr 1994 unterstützten Personen und Familien auf sämtliche in der Gemeinde vorhandenen Stellen (auch Anteile der regionalen Sozialdienste) bezogen. Diese Indikatorbildung ist nicht ganz unproblematisch, da in den einzelnen Kantonen einerseits unterschiedliche Definitionen von Unterstützungsfällen vorliegen und andererseits die Aufgaben kommunaler Sozialabteilungen sich zum Teil unterscheiden, sodass diese beiden Variablen für kantonsübergreifende Vergleiche lediglich allgemeine Tendenzen aufzeigen und nicht als exakte Masszahlen betrachtet werden können.

Tabelle 1.14: Jährliche Arbeitszeit der Behörde und Belastung der Sozialabteilung (n=220)
 
Belastung der kommunalen Sozialabteilungen Jährliche Arbeitszeit der Behörde in Stunden n
Beratungsbelastung hoch (über 60 Fälle pro Stelle) 23 60
Beratungsbelastung mittel (20 bis 60 Fälle pro Stelle) 26 115
Beratungsbelastung tief (bis 20 Fälle pro Stelle) 21 45
Mittelwert 24 220
 

In Gemeinden, in denen die Sozialabteilungen mit einer Vollstelle über 60 Personen/Familien zu betreuen haben, liegt die durchschnittliche jährliche Arbeitszeit bei 23 Stunden pro Jahr. Bei einer wesentlich tieferen Arbeitsbelastung ist die durchschnittliche Arbeitsbelastung praktisch gleich hoch. Sie liegt bei 21 Arbeitsstunden pro Jahr. Offenbar resultiert für die Sozialbehörden von Gemeinden, die mit einer Vollstelle eine grosse Zahl von Unterstützungsempfängern zu betreuen haben, keine höhere Arbeitszeit. Am höchsten liegt die jährliche Arbeitszeit der Sozialbehörden in Gemeinden, die über einen mittleren Belastungsgrad verfügen. Eine entsprechende Korrelation zwischen „der Belastung mit Beratungsfällen" und der Arbeitsbelastung der Sozialbehörden zeigt ebenfalls deutlich, dass kein Zusammenhang vorliegt: r liegt in der Nähe von Null. Das bedeutet, dass die Arbeit und Belastung, die mit der Betreuung von Sozialhilfe-Empfängern verbunden ist, praktisch ausschliesslich auf der Ebene der Verwaltung abgearbeitet und nicht auf die Behördenebene transferiert wird.

In der Befragung wurde ein weiterer möglicher Indikator für die Arbeitsbelastung der Sozialabteilungen erhoben, nämlich die Frage nach Personalengpässen. Hier zeigen sich Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung der Sozialbehörden etwas deutlicher, allerdings immer noch nicht sehr ausgeprägt. In Gemeinden, in denen die Sozialverwaltung keine personellen Engpässe verzeichnet, beträgt die jährliche Arbeitszeit für die Sozialbehörden 21 Stunden und für Gemeinden mit Personalengpässen steigt sie auf 29 Stunden an.

An diese Diskussion schliesst die Frage an, ob die organisatorisch unterschiedliche Ausgestaltung der Verwaltungsebene Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung der Sozialbehörden hat. Sind z.B. die Sozialbehörden grosser Gemeinden, mit ihrer wahrscheinlich ausgeprägten Aufsichtsfunktion über ein professionelles und ausgebautes Sozialamt stärker belastet als die Behörden kleiner Gemeinden, welche die meisten anfallenden Aufgaben im Nebenamt bearbeiten und über keine sie unterstützende, ausgebaute Verwaltungsabteilung verfügen?

Tabelle 1.15: Arbeitspensum nach Typ der Sozialabteilung (n=366)
 
Typ der kommunalen Sozialabteilung Durchschnittliche Jahresarbeitsstunden n
Ausdifferenziertes Sozialamt grosser Gemeinden 21 16
Ausgebautes Sozialamt 27 103
Totaldelegation an regionalen Sozialdienst  21 78
Teildelegation an regionalen Sozialdienst  21 70
Wenig professionalisiertes Sozialamt 27 50
Keine Sozialabteilung 21 49
Durchschnitt 24 366
 

Die Tabelle zeigt, dass sich die jährliche Arbeitsbelastung der Sozialbehörden bei den unterschiedlichen Typen von Sozialabteilungen praktisch nicht unterscheidet. Der Grad der Professionalisierung der Sozialabteilungen scheint für die Belastung der vorgesetzten Sozialbehörden unerheblich zu sein. Sie sind in kleinen Gemeinden mit kaum professionalisierten Sozialabteilungen genau gleich intensiv belastet wie die Sozialbehörden grosser Gemeinden, welche ausdifferenzierten Sozialämtern vorstehen. Hält man sich vor Augen, wie unterschiedlich das Aufgabenspektrum der Sozialbehörden je nach Typ der Sozialabteilung ist, erstaunt diese Homogenität in der Belastung besonders. Einzig in Gemeinden mit Sozialämtern sind die Sozialbehörden leicht überdurchschnittlich belastet. Bei allen anderen Typen unterscheiden sich die jährlichen Arbeitsstunden der Sozialbehörden nicht. Sie liegen leicht unter dem generellen Durchschnittswert von 24 Jahresarbeitsstunden.

Zusammenfassend kann bisher festgestellt werden, dass weder eine hohe Belastung noch der Professionalisierungsgrad einer Sozialabteilung die Arbeitsbelastung der zuständigen Sozialbehörden beeinflusst. Neben diesen Belastungs- und Ausstattungsdimensionen wurden in der vorliegenden Untersuchung verschiedene Fragen zur Kooperation zwischen den Sozialabteilungen (Verwaltungsebene) und den Behörden gestellt. Dabei wurde unter anderem Beurteilungen über die Zusammenarbeit zwischen Verwaltungs- und Behördenebene und die Kooperation zwischen Sozialdienst und Sozialbehörde erhoben.

Tabelle 1.16: Arbeitsbelastung nach Kooperation mit Verwaltung/Sozialdienst (n=360)
 
Qualität der Zusammenarbeit Jährliche Arbeitsstunden nach Zusammenarbeit zwischen Sozialamt/-abteilung und Behörde n=368 Jährliche Arbeitsstunden nach Zusammenarbeit zw. Sozialdienst und Behörde n=360
Sehr gut 23 205 22 157
Eher gut 23 100 24 124
Mittelmässig 22 22 29 38
Eher schlecht - 0 39 6
Sehr schlecht * 1 - 0
Besteht nicht 30 40 27 35
Durchschnitt 24 - 24 -
* n zu klein

56 % der untersuchten Gemeinden bezeichnen die Zusammenarbeit zwischen Sozialbehörde und Sozialabteilung/-amt (Verwaltungsebene) als „sehr gut", 27% als „gut" und 6% der Gemeinden beurteilen sie als „mittelmässig" und bei 11% besteht sie nicht (Milizsystem kleiner Gemeinden, in denen die Sozialbehörden die Hauptakteure darstellen). Aus der unterschiedlichen Beurteilung der Zusammenarbeit zwischen Sozialamt/-abteilung entstehen allerdings keine Belastungsunterschiede für die Sozialbehörden. Offenbar scheint die Kooperation zwischen den kommunalen Sozialabteilungen und den vorgesetzten Behörden in den meisten Gemeinden relativ frei von Konflikten zu sein; aber auch wenn sie problematischer ist, scheint daraus für die Sozialbehörden kein zusätzlicher Arbeitsaufwand zu resultieren. Dass die Abarbeitung auch bei einem relativ hohen Konfliktpotential wenig zeitliche Ressourcen beansprucht, könnte ein Indiz für die institutionelle Nähe von Sozialbehörde und der ihr unterstellten Sozialabteilung sein, d.h. mögliche Schwierigkeiten werden bereits in der täglichen Zusammenarbeit behandelt und bearbeitet, noch bevor grössere Schwierigkeiten auftreten.

Die Zusammenarbeit zwischen Sozialdiensten und Sozialbehörden wird dagegen als problematischer beurteilt. Die Zahlen in Klammern stellen die Vergleichswerte für die Kooperation zwischen Sozialbehörde und Sozialabteilung rsp. Sozialamt dar:

  • 44% der Gemeinden bezeichnen sie als „sehr gut" (56%),
  • 34% als „eher gut" (27%),
  • 11% als „mittelmässig" (6%),
  • 2% als „eher schlecht" und in 9% der Fälle besteht sich nicht.
Im Gegensatz zur Zusammenarbeit zwischen Behörde und Sozialamt/-abteilung sticht in der Tabelle sofort ins Auge, dass mit zunehmendem Konfliktpotential die Arbeitsbelastung der Sozialbehörden ansteigt. Wird die Zusammenarbeit als sehr gut bezeichnet, beträgt die durchschnittliche jährliche Arbeitszeit 22 Stunden; wird sie hingegen als eher schlecht beurteilt, steigt sie auf 39 Stunden im Jahr an. Das sind im Vergleich zur Zusammenarbeit zwischen Behörde und Sozialamt/-abteilung grosse Unterschiede. Eine mögliche Erklärung für die stärkeren Auswirkungen problematischer Zusammenarbeit auf die Arbeitszeit der Sozialbehörde könnte in den unterschiedlichen Referenzbezügen von Sozialdienst und Behörde begründet sein: die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Sozialdiensten nehmen ihre Tätigkeit auf Grund ihrer fachlichen Kenntnisse wahr, d.h. aus der Perspektive der Sozialarbeit oder des Sozialwesens. Die vorgesetzte Sozialbehörde ist dagegen in das Referenzsystem Politik eingebunden, in dem nicht fachliche Erwägungen aus der Sicht der Sozialarbeit bzw. des Sozialwesens, im Vordergrund stehen, sondern politische Einschätzungen und Rahmenbedingungen wie z.B. der momentane Spardruck, parteipolitische Bindungen usw. Die Unterschiede in den Referenzbezügen zwischen Sozialwesen und Politik sind bezüglich ihrer institutionellen Aufarbeitung offensichtlich wesentlich arbeitsintensiver. 

c) Behördeninterne Belastungsfaktoren

Neben dem kommunalen Umfeld einer Gemeinde, der Art und Ausstattung der gemeindeeigenen Sozialabteilungen und ihrer Zusammenarbeit mit der vorgesetzten Sozialbehörde existieren eine Reihe von behördeninternen Faktoren, die sich auf ihre Arbeitsbelastung auswirken. So zeigt sich, dass gewählte Sozialbehörden eine wesentlich höhere durchschnittliche jährliche Arbeitszeit zu leisten haben als eingesetzte Behörden. Sie arbeiten pro Jahr im Durchschnitt 12 Stunden länger. Für diesen Befund gibt es zumindest zwei wichtige Erklärungsfaktoren: einerseits ist die durchschnittliche Mitgliederzahl von gewählten Behörden grösser, andererseits verfügen sie im Vergleich zu eingesetzten Behörden über umfassendere Entscheidungskompetenzen. Beide Faktoren dürften interne Kooperations- und Aushandlungsprozesse schwieriger und aufwendiger machen.

Betrachtet man, wie in der folgenden Tabelle dargestellt, die jährliche Arbeitszeit zusätzlich für unterschiedliche Gemeindegrössen, zeigt sich, dass eingesetzte Sozialbehörden in kleinen Gemeinden (750-1’999 Einwohner) mit Abstand das kleinste jährliche Arbeitspensum zu bewältigen haben. Es liegt bei 12 Arbeitsstunden und ist damit fast dreimal kleiner als die jährliche Arbeitszeit von gewählten Behörden grosser Gemeinden, welche im Durchschnitt 34 Stunden pro Jahr arbeiten. Im übrigen wachsen die jährlichen Arbeitsbelastungen für beide Bestellungsverfahren relativ kontinuierlich mit zunehmender Gemeindegrösse an, wobei eingesetzte Sozialbehörden durchwegs 10 bis 12 Jahresarbeitsstunden weniger zu leisten haben als gewählte Behörden.

Tabelle 1.17: Arbeitsbelastung nach Bestellungsverfahren (n=389)
 
Einwohnerzahl Durchschnittliche Jahresarbeitsstunden für
  Vom Gemeinderat eingesetzte Sozialbehörden Gewählte Sozialbehörden n
750-1’999  12 23 128
2’000-4’999 20 31 128
5’000-9’999 21 28 79
über 10’000 23 34 54
Mittelwert 17 29 389
 

Wird die interne, personelle Zusammensetzung der Sozialbehörden betrachtet, lassen sich ebenfalls einige Faktoren eruieren, welche zu einer höheren rsp. tieferen Arbeitsbelastung führen, wie die nachfolgende Tabelle darlegt:

Tabelle 1.18: Arbeitsbelastung nach personeller Zusammensetzung
 
Personelle Zusammensetzung der Sozialbehörde Art und Stärke des Zusammenhangs Signifikanz n
Mitgliederzahl 0.33 0.000 389
Anteil Mitglieder der Gemeindeexekutive -0.35 0.000 381
Anteil Parteimitglieder 0.30 0.000 366
Frauenanteil 0.23 0.000 385
Mitgliederanteil mit höherer Fachausbildung 0.01 nicht sig. 364
Anteil Mitglieder mit langer Amtsdauer -0.09 nicht sig. 367
 

Zwischen der jährlichen Arbeitszeit der Sozialbehörden und ihren Mitgliederstrukturen bestehen folgenden Beziehungen, wobei es sich in vier von sechs Fällen um geringe, allerdings signifikante Korrelationen handelt:

  • Je höher die Mitgliederzahl der Sozialbehörde ist, desto stärker steigt die Arbeitsbelastung an, was unmittelbar einleuchtet, da Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse bei einer grossen Mitgliederzahl aufwendiger und vielschichtiger sind.
  • Je ausgeprägter die Mitwirkung von Gemeinderäten in einer Sozialbehörde ist, umso eher sinken die jährlichen Arbeitszeiten. Von allen behördeninternen Faktoren hat dieser Zusammenhang den grössten Einfluss auf die Arbeitszeit der Behörde. Es ist zu vermuten, dass Gemeinderäte - auf Grund ihrer vermehrten politischen Erfahrung und ihrem Selbstverständnis als politische Akteure - die Problemkomplexität der zu behandelnden sozialen Aufgaben eher senken und diese in Folge effizienter behandelt werden können, was wiederum die Arbeitszeit der Sozialbehörde senkt.
  • Im Zusammenhang mit dem Frauenanteil, der im Vergleich zu den Gemeinderäten einen gegenteiligen Effekt verursacht, d.h. je höher der Frauenanteil ist, mit desto längeren Arbeitszeiten ist zu rechnen, könnte man die gewagte These aufstellen, dass gerade Frauen - z.B. aufgrund ihres stärkeren Engagements im Bereich der Freiwilligenarbeit und dem damit verbunden Erfahrungshorizont - die Problemkomplexität der zu bearbeitenden Aufgaben höher auflösen und dadurch zu einer Verlängerung der durchschnittlichen Arbeitszeit der Behörde beitragen.
  • Je grösser der Anteil der Parteimitglieder ist, desto intensiver wird die Arbeitsbelastung. Diese Beziehung dürfte damit zusammenhängen, dass in Sozialbehörden mit einem hohen Anteil von Parteimitgliedern die Wahrscheinlichkeit steigt, dass unterschiedliche sozialpolitische Vorstellungen und Ausrichtungen aufeinander stossen, was den Entscheidungsprozess aufwendiger gestaltet. Es wäre ausserordentlich interessant, diese These zu überprüfen. Leider wurde mit der vorliegenden Befragung die politische Zusammensetzung der Sozialbehörden nicht derart detailliert erhoben, dass diese Frage beantwortet werden kann.
  • Der Grad an Professionalisierung einer Sozialbehörde hat keinen Einfluss auf das Arbeitspensum. Da der Anteil von Fachpersonen in den Sozialbehörden ohnehin sehr tief liegt (5%), ist auch nicht zu erwarten, dass er grössere Auswirkungen auf das Arbeitspensum zur Folge hat. Diese Tatsache ist ein weiteres Indiz für den schon mehrfach angesprochenen geringen Einfluss fachlicher Erwägungen aus der Sicht der Sozialarbeit bzw. des Sozialwesens bei der Tätigkeit von Sozialbehörden.
  • Der Anteil von Behördenmitgliedern mit einer langen Amtsdauer hat ebenfalls keinen Einfluss auf die jährliche Arbeitsbelastung der Sozialbehörden. Allenfalls hätte vermutet werden können, dass ein diesbezüglich hoher Anteil die Arbeitszeit verkürzt, da Behörden mit einer langjährigen und konstanten internen Zusammenarbeit effizienter arbeiten dürften.
In der vorliegenden Befragung wurde ausserdem versucht, Aspekte der internen Arbeitsweise von Sozialbehörden zu erheben wie z.B. die Art der internen Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse, die Effizienz der Arbeitsweise, das Arbeitsklima und die Mitgliederkonstanz.

Tabelle 1.19: Arbeitsbelastung und interne Arbeitsweise
 
Aspekte der Arbeitsweise Jährliche Arbeitsstunden der Sozialbehörde
  trifft zu teils/teils trifft nicht zu n
Verliert viel Zeit mit Detaildiskussion 31 27 20 389
Beizug von externen Experten 24 24 24 391
Entscheidungsfindung schwierig wegen Meinungsverschiedenheiten * 29 23 392
Speditive Arbeitsweise 23 27 20 393
Angenehmer Arbeitsstil 23 26 * 399
Häufiger Mitgliederwechsel * 28 23 388
* n zu klein für eine verlässliche Interpretation

Die grössten Auswirkungen auf die jährliche Arbeitsbelastung sind im Verhandlungsstil zu finden. Sozialbehörden, die viel Zeit mit Detaildiskussionen verlieren, weisen eine wesentlich längere jährliche Arbeitszeit auf - genau 11 Stunden - als Behörden, die einen anderen Verhandlungsstil pflegen. Die anderen Dimensionen der internen Arbeitsweise zeigen insgesamt kleinere Effekte auf die Arbeitsbelastung der Sozialbehörde. Am ehesten könnte man noch erwarten, dass schwierige Entscheidungsfindungen wegen Meinungsverschiedenheiten oder ein häufiger Mitgliederwechsel die jährliche Arbeitszeit beeinflussen. Beachtenswert erscheint auch, dass der Beizug von externen Experten die Arbeitszeit nicht tangiert. Die Behördenarbeit ist nicht nur von verschiedensten Aspekten ihrer inneren Zusammenarbeit geprägt, sondern geschieht auch auf dem Hintergrund von internen sozialpolitischen Auseinandersetzungen und steht im Einflussbereich parteipolitischer Kritik. In der folgenden Tabelle werden verschiedene diesbezügliche Kristallisationspunkte präsentiert und auf ihre Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung für die Sozialbehörden überprüft.

Tabelle 1.20: Arbeitsbelastung und sozialpolitische Auseinandersetzungen (n=379)
 
Sozialpolitische Forderungen Jährliche Arbeitsstunden der Sozialbehörde
  Weder Auseinandersetzung, noch Parteikritik Nur Kritik von Parteien Nur Auseinandersetzung in Behörde Auseinandersetzung und Parteikritik n
Vermehrte Kontrolle der Sozialhilfeempfänger 22 24 27 31 379
Restriktivere Zusprachepraxis bei Unterstützungsleistungen 22 24 27 30 379
Vermehrte Präventivmassnahmen in der Sozialpolitik 23 25 27 29 379
Ausbau der Unterstützungsleistungen 24 20 27 * 379
* n (=4) zu klein für eine verlässliche Interpretation

Eine vermehrte Kontrolle von Sozialhilfeempfängern und eine restriktivere Zusprachepraxis bei Unterstützungsleistungen sind bei 28% der untersuchten Gemeinden Gegenstand behördeninterner sozialpolitischer Auseinandersetzungen und Anlass zur Kritik von Parteien. Präventive Massnahmen in der Sozialpolitik und die Forderung nach einem Ausbau der Unterstützungsleistungen sind wesentlich weniger brisante Themen und nur in 19% bzw. in 7% der Gemeinden Diskussionsgegenstand. Bei den ersten beiden Themenbereichen (vermehrte Kontrolle und Restriktion) zeigen sich in der obenstehenden Tabelle dann auch systematische Effekte auf die Arbeitsbelastung der Sozialbehörden: Behörden, die keinen diesbezüglichen sozialpolitischen Disputen ausgesetzt sind, arbeiten pro Jahr im Durchschnitt 22 Stunden. Muss die Kritik von Parteien verarbeitet werden, steigt die jährliche Arbeitszeit auf 24 Stunden. Finden diesbezügliche behördeninterne Auseinandersetzungen statt, wächst die Arbeitsbelastung auf 27 Jahresarbeitsstunden an und bei gleichzeitiger behördeninterner Auseinandersetzung und Kritik von Prteien erreicht das Arbeitspensum 31 Jahresarbeitsstunden. Abschliessend kann man festhalten, dass bei einem knappen Drittel der untersuchten Gemeinden restriktive Massnahmen bei der Vergabe wirtschaftlicher Sozialhilfe für sozialpolitische Auseinandersetzungen sorgen und von den zuständigen Behörden mit einem doch ganz beachtlichen zeitlichen Arbeitsaufwand kompensiert werden müssen. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass vor allem restriktive Massnahmen für sozialpolitische Brisanz sorgen und eher präventive Massnahmen als sozialpolitische Stossrichtungen wesentlich wenig diskutiert werden.

d) Zusammenfassende multiple Regressionsanalyse

Die nachfolgende multiple Regressionsanalyse stellt dar, welche der bisher vorgestellten (unabhängigen) Variablen am besten die Unterschiede in der jährlichen Arbeitszeit der Sozialbehörden erklären. Wie der obere Teil der folgenden Tabelle zeigt, wurden nicht alle bisher untersuchten unabhängigen Variablen in die Analyse einbezogen. Insbesondere fehlen die Variablen zum Ausbau-, Belastungs- und Professionalisierungsgrad der kommunalen Sozialabteilungen rsp. Sozialämter, da sie keine Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung der ihnen vorgesetzten Behörden hatten. Bei einigen anderen Einflussgrössen wurden jeweils nur diejenigen Dimensionen in die Regressionsanalyse aufgenommen, die den ausgeprägtesten Effekt verursachten: so wurde z.B. bei der internen Arbeitsweise der Behörde nur die Variable „Zeitverlust mit Detaildiskussionen" berücksichtigt oder bei den sozialpolitischen Auseinandersetzungen ausschliesslich der Themenkreis „vermehrte Kontrolle von Sozialhilfeempfängern".

Tabelle 1.21: Multiple Regression zur Arbeitsbelastung der Sozialbehörde
 
Abhängige Variable Arbeitsstunden der Sozialbehörde pro Jahr
Unabhängige
Variablen
Gemeindestruktur
  Einwohnerzahl
  Reisedistanz zur nächsten Grossstadt
  Sozialer Problemdruck
  Zahl der unterstützten Personen/Familien (relativ zur Einwohnerzahl)
  prozentualer Anstieg der unterstützten Personen/Familien seit 1990
  Anzahl stark zugenommene soziale Problemfelder innerhalb der Gemeinde
  Umfang der kommunalen Sozialaufgaben
  Anzahl in der Gemeinde wahrgenommene Sozialaufgaben
  Anzahl seit 1985 neuer und belastungsintensiver Sozialaufgaben
  Behördeninterne Faktoren
  formale Organisation der Sozialbehörde (Dummy-Variable)
  Mitgliederzahl der Sozialbehörde
  prozentualer Anteil Exekutivmitglieder in der Sozialbehörde
  Arbeitsweise: Zeitverlust mit Detaildiskussionen
  politische Auseinandersetzungen innerhalb Behörde (Dummy-Variable)
  Kritik von Parteien an kommunaler Sozialpolitik (Dummy-Variable)
Ergebnisse Variablen mit Erklärungskraft
  Variablen erklärte Varianz
(adjusted R Square)
Signifikanz
  gewählte Sozialbehörde (Dummy-Variable) 0.17 0.002
  zusätzlich: Reisedistanz nächste Grossstadt 0.23 0.002
  zusätzlich: Zeitverlust mit Detaildiskussionen 0.27 0.008
  zusätzlich: Anzahl kommunale Sozialaufgaben 0.30 0.001
  zusätzlich: Anteil Exekutivmitglieder 0.32 0.011
  zusätzlich: Einwohnerzahl 0.33 0.044
  Total: keine weiteren Variablen 0.33
 

Die multiple Regressionsanalyse zeigt, dass das Bestellungsverfahren der Sozialbehörden die grösste Erklärungskraft aufweist und 17% der Gesamtvarianz der abhängigen Variable „Arbeitsstunden der Sozialbehörden pro Jahr" erklärt. Wie bereits dargestellt, ist das Arbeitspensum von gewählten Sozialbehörden deutlich höher als von eingesetzten und zwar unterscheiden sie sich bezüglich ihrer jährlichen Arbeitszeit im Durchschnitt um 12 Stunden. Mit deutlich geringerer Erklärungskraft von 6% folgt an zweiter Stelle ein Aspekt des kommunalen Umfeldes: die Reisedistanz zur nächsten Grossstadt. Die Sozialbehörden von Gemeinden in der Nähe einer Grossstadt weisen eine wesentlich höhere durchschnittliche Jahresarbeitszeit auf als die Sozialbehörden peripherer Gemeinden, so arbeiten z.B. die Behörden kleiner Gemeinden mit sehr peripherer Lage durchschnittlich 11 Stunden im Jahr, während die jährliche Arbeitszeit von Behörden grossstadtnaher, mittelgrosser Gemeinden bei etwa 30 Arbeitsstunden liegt. Die drittgrösste Erklärungskraft (4%) weist ein Faktor auf, der mit der internen Arbeitsweise der Sozialbehörde zusammenhängt: der Zeitverlust mit Detaildiskussionen. Sozialbehörden, die diesbezüglich wenig effizient arbeiten, weisen eine deutliche höhere Jahresarbeitszeit auf. Von den drei Variablen mit der grössten Erklärungskraft beziehen sich zwei auf die Sozialbehörde und ihre innere Arbeitsweise und haben nichts mit dem Kontext zu tun, in dem sie ihre Arbeit verrichtet. Der grösste Anteil der hohen Arbeitsbelastung ist sozusagen „hausgemacht", d.h. hängt mit der Sozialbehörde im engeren Sinn zusammen und ist nicht durch äussere Ursachen bedingt. Die restlichen drei in die Regressionsrechnung einbezogenen unabhängigen Variablen „Anzahl kommunale Aufgaben in einer Gemeinde", der Anteil der Gemeinderäte in der Sozialbehörde und die Gemeindegrösse erklären noch insgesamt 6% der Varianz der abhängigen Variable „jährliche Arbeitsstunden der Sozialbehörden" und haben damit eine relativ marginale Bedeutung.

Dass keine der ursprünglich in die Regressionsanalyse einbezogenen Variablen zum sozialen Problemdruck als Faktoren mit einer hohen Erklärungskraft erscheinen, ist ein weiteres Indiz für die bisherigen Befunde, dass die sozialen Probleme innerhalb einer Gemeinde grösstenteils durch die Sozialabteilungen (Verwaltungsebene) abgebaut werden und sich nur noch in einem relativ geringen Ausmass auf die zeitliche Arbeitsbelastung der Sozialbehörde auswirken.

Insgesamt erklären die sechs in der Analyse verbliebenen unabhängigen Variablen 33% der Gesamtvarianz der Arbeitsbelastung der Sozialbehörden. Das ist keine besonders hohe Erklärungskraft, d.h. wichtige für die jährliche Arbeitszeit verantwortliche Determinanten konnten in der vorliegenden Analyse nicht identifiziert werden. Trotz dieser Defizite hat die Regressionsanalyse dazu beigetragen, den Stellenwert einiger unabhängiger Variablen zu klären.

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  aktualisiert am 21.10.2011