Beitrag zu einer modernen Demokratiekritik

Moritz Nauer

 

Inhaltsverzeichnis


1. Einleitung und Konzept

Die vorliegende Arbeit kann grob in drei Teile gegliedert werden: Der erste Teil soll vor allem anhand eines historischen Abrisses eine Einführung ins Thema liefern und gewissermassen ein minimales Grundwissen über Demokratie vermitteln. In einem zweiten Teil dann geht es darum, einige wichtige Spannungsfelder der Demokratieproblematik zu erfassen und sie kurz zu diskutieren. Im dritten Teil schliesslich sollen diese Argumente mit zwei grundsätzlich verschiedenen Konzeptionen von Demokratie und Gesellschaft in Beziehung gesetzt werden. Es sind dies auf der einen Seite die Idee der<<Demokratischen Elitenherrschaft>>[1] und auf der anderen Seite die <<Dynamische Demokratie>>[2]. Beide dieser Theoriekomplexe haben einen gemeinsamen Ursprung: Sie stellen das Funktionieren der modernen Demokratie in Frage und versuchen, eine Alternative zu präsentieren.

Die gesellschaftlichen und politischen Ziele und Idealvorstellungen der beiden Ansätze könnten aber widersprüchlicher nicht sein. Während <<Dynamische Demokratie>> ein Mangel an Demokratie konstatiert und eine intensivere und sich in alle Lebensbereiche erstreckende Demokratisierung propagiert, fordert die <<Demokratische Elitenherrschaft>> gerade das Gegenteil, nämlich eine Einschränkung der Volksrechte und eine Oligarchisierung bzw. eine Konzentration der Entscheidungsmacht auf eine fähige Elite. Insofern wir möglichst breite Partizipation an Entscheidungsprozessen als Bedingung von Demokratie begreiffen, geht es also vereinfacht gesagt darum, Demokratie entweder ab- oder aber auszubauen:

Ziel dieser Arbeit ist es, die beiden Demokratiekonzeptionen, die ich hier mit <<Dynamischer Demokratie>> und <<Demokratischer Elitenherrschaft>> bezeichnen will, einander gegenüberzustellen und die in ihnen zum Ausdruck kommende Polarität zu untersuchen. Es sollen dazu nicht nur die einzelnden Argumentationslinien erfasst und besprochen werden, sondern darauf aubauend auch deren ex- und impliziten theoretischen Prämissen. Dies soll erlauben, Rückschlüsse auf die Form des je zugrundeliegenden Staats- und Gesellschaftsverständnis zu ziehen. Auf dieser Basis werde ich im Kapitel 5 dann eine persönliche Bewertung vornehmen.

Diese Vorgehensweise, also die theoretische Rückführung der unterschiedlichen Kritikpunkte und Problemfelder innerhalb der Demokratiediskussion auf umfassendere Konzeptionen und Visionen von Staat und Gesellschaft, ist deshalb sinnvoll, weil sie helfen kann, die in der heutigen Demokratiedebatte häufig vereinzelt auftretenden oder auch aus ihrem theoretischen Kontext herausgerissenen Argumente zu ordnen bzw. zusammenhängend und ganzheiltich in allen ihren direkten und indirekten gesellschaftlichen Implikationen zu erfassen. In diesem Sinne geht es hier auch darum, eine theoretische Orientierungshilfe zu schaffen: Nur wenn die zersplitterten Einwände und Gedanken zu Demokratie und Gesellschaft auch <<zu Ende gedacht>> werden, d.h. auch alle ihre theoretischen und praktischen Prämissen und Konsequenzen miteinbezogen werden, können wir sie effizient evaluieren.

Obwohl das sozialwissenschaftliche Material, auf das in dieser Arbeit Bezug genommen wird, nicht neuesten Datums ist,[3] hat die Kernfrage, um die es bei der Gegenüberstellung von <<Demokratischer Elitenherrschaft>> und <<Dynamischer Demokratie>> geht, nichts an Aktualität eingebüsst. Im Gegenteil: Gerade in der Zeit des gewaltigen gesellschaftlichen Wandels, mit dem die westlichen Industrieländer heute konfrontiert sind - die Fülle sozialwissenschaftlicher Forschung und Literatur dazu ist erschlagend - müssen wir uns der Frage stellen, wie wir die Zukunft unserer Gesellschaft aktiv gestalten wollen. Demokratie ist eines der wichtigsten Mittel, dies zu tun. Divergierende gesellschaftliche Interessen haben aber zur Folge, dass verschiedene Ansprüche an die Demokratie und deren Output gestellt werden, und es ist anzunehmen, dass sie deshalb in Zukunft auch immer härter umkämpft werden wird. In diesem Zusammenhang flammt auch die Auseinandersetzung zwischen <<Dynamischer Demokratie>> und <<Demokratischer Elitenherrschaft>> wieder auf.[4]

Anhand der eruierbaren Meinungstendenzen und Argumentationslinien in aktuellen Demokratiedebatten lässt sich dieser Konflikt mit etwas Gespür dann auch tatsächlich feststellen.[5] So kommt es beispielsweise vor, dass sich zunächst Alle einig darin sind, dass Demokratie in ihrer bestehenden Form keineswegs optimal gelöst ist, doch bereits bei der Diagnose der Probleme werden unterschiedliche Prioritäten gesetzt und spätestens wenn es um Lösungsvorschläge, Alternativen und Visionen zum status quo geht, können unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten auftreten.

Es stellt sich schliesslich heraus, dass die Einen das Problem eben in der Inkompetenz der Masse des Volkes, die Anderen aber in der faktischen Herrschaft einer politischen und wirtschaftlichen Elite sehen. In der Folge werden auch von beiden Parteien gänzlich verschiedene Lösungswege vorgeschlagen. Natürlich manifestiert sich diese Bipolarität nicht immer in der Vollständigkeit und Klarheit, wie es das Schema auf Seite 1 zeigt, doch häufig sind eben in Diskussionen zum Thema Demokratie tatsächlich Formen des Raisonnements erkennbar, die indirekt auf den Antagonismus zwischen <<Demokratischer Elitenherrschaft>> und <<Dynamischer Demokratie>> bzw. Abbau versus Ausbau von Demokratie verweisen.

Aus den bisher gemachten Ausführungen sollte hervorgehen, dass die Bezeichnungen <<Dynamische Demokratie>> und <<Demokratische Elitenherrschaft>> idealtypisch verwendet werden; Die Begriffe sind nicht im Sinne zweier ganz spezifischer Demokratietheorien zu verstehen sondern vielmehr als zwei sich konkurriende ideologische Kategorien, die in sich wiederum nach weiteren unterschiedlichen Richtungen oder Subkategorien differenzierbar wären. Einschränkend soll an dieser Stelle auch gesagt werden, dass es sich bei den zur Sprache kommenden Problemfeldern der Demokratie lediglich um eine Auswahl handelt. Der Rahmen dieser Arbeit ist zu klein und der Themenbereich zu umfassend, um mehr zuzulassen.

Inhalt


2. Was ist Demokratie?

2.1 Das Definitionsproblem

Bemühen wir uns um eine Definition von <<Demokratie>>, so stellen wir zunächst einmal fest, dass es keine allgemein anerkannte und universelle Begriffsdefinition gibt. Wie dies auch bei anderen Abstrakta - beispielsweise <<Gesellschaft>> - der Fall ist, gibt es auch für den Begriff <<Demokratie>> eine ganze Fülle von Definitionen, die stark vom jeweiligen theoretischen Kontext abhängen, in welchem der Terminus verwendet wird. Die eigentliche Verwirrung, die um die inhaltliche Erfassung von <<Demokratie>> herrscht, ist jedoch nicht nur in einem wissenschaftlichen Disput begründet. Insbesondere die Popularisierung und der enorme Prestigegewinn des Begriffs in neuerer Zeit erschweren eine differenzierte Analyse:

<<Denn der Siegeszug der Demokratie war und ist vor allem ein verbaler Erfolg: Seit dem Ende der faschistischen Grossreiche existiert kaum noch eine relevante politische Strömung, die nicht vorgibt, Demokratie zu sein. Unterschiedliche politische Systeme werden als Demokratien bezeichnet, gegensätzliche Interessen beanspruchen die Demokratie für sich. Alles will Demokratie sein. Undemokratisch, antidemokratisch, nichtdemokratisch, das ist der jeweilige politische Gegner.>> (A. Pelinka, 1974, S. 20)

Die Formulierung einer allgemein gültigen Demokratietheorie bzw. das Anfüllen der Floskel <<Demokratie>> mit universell verbindlichem Inhalt ist angesichts dieses Umstandes umso dringlicher: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, dass sich eine Systemeinheit zu Recht als demokratisch bezeichnen kann? Kann Demokratie graduelle Abstufungen erfahren und wenn ja, aufgrund welcher Kriterien geschehen sie? Die Konfrontation mit sozialen Systemen, die von sich behaupten, bereits Demokratie zu sein, bringt zudem ein grundsätzliches theoretisches und methodisches Problem zum Vorschein. Es stellt sich nämlich die Frage, ob eine Demokratietheorie normativ oder empirisch argumentieren soll. Ist es ihre Aufgabe, eine gesellschaftliche Idealvorstellung zu postulieren und zu verfolgen, oder soll sie in erster Linie eine Beschreibung der politischen Wirklichkeit sein?

Im Dienste einer differenzierten wissenschaftlichen Betrachtung, scheint es mir sinnvoll, beides zu tun; Orientiert sich die Demokratietheorie ohne Bezug zur sozialen Realität nur normativ, so riskiert sie, als blosse Utopie diskreditiert zu werden; konzentriert sie sich andererseits aber ausschliesslich auf die Empirie, so läuft sie Gefahr, den status quo eines angeblich demokratischen Systems nicht genügend zu hinterfragen oder gar in affirmativer Weise undemokratische Zustände zu legitimieren (Vgl. A. Pelinka, 1974, S. 10). Ob ein Ansatz tendenziell normativ oder tendenziell empirisch ist, kann bei der Beschäftigung mit existierenden Theorien zur Demokratieproblematik ein nützliches und weiterführendes Differenzierungskriterium sein. Wie wir in Kapitel 4. sehen werden, unterscheiden sich die zwei Theoriensysteme <<Dynamische Demokratie>> und <<Demokratische Elitenherrschaft>> gerade in diesem Punkt in entscheidender Weise.

Inhalt

2.2 Eine historisch begründete Annäherung

Um der zeitgenössischen Verklärung und Verwischung des Begriffs der Demokratie zu entrinnen und zu einem wissenschaftlich fundierten Verständnis der Materie vorzustossen, muss u.a. historisch argumentiert werden. Wenn wir wissen, wie Demokratie entstanden ist, wie und aufgrund welcher Bedingungen sie sich in ihrem gesellschaftlichen und politischen Kontext gewandelt hat, werden wir mehr verstehen von ihrer Funktionalität und Eigenart. Es ist an dieser Stelle zwar nicht möglich, einen detaillierten historischen Abriss der geistesgeschichtlichen Idee und praktischen Umsetzung von <<Demokratie>> zu liefern, aber es sollen einige wichtige geschichtliche Phasen und Ereignisse erwähnt werden, die ihre Entwicklung geprägt haben.

2.2.1 Antike Demokratien

Die vermutlich erste, für die abendländische Geschichte bedeutende Demokratiebewegung ist in der Antike zu finden. Die griechischen Stadtstaaten, allen voran Athen, und auch das Römische Reich, haben wohl als erste demokratische Ideen systematisch und erfolgreich in Form einer mehr oder weniger durchrationalisierten Staatsform institutionalisiert. Das Wort <<Demokratie>> ist auch altgriechischen Ursprungs: [omicron] d[eta]u[omicron][varsigma] was soviel wie <<das Volk>> heisst und [kappa][rho]a[tau][epsilon][iota][nu] was mit <<herrschen>> übersetzt werden kann, sind seine konstituierenden Elemente. Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs <<Demokratie>> ist also die der <<Volksherrschaft>>. Es liegt nicht zuletzt in dieser Etymologie begründet, dass <<Demokratie>> über den gesellschaftlichen Wandel und zivilisatorischen Fortschritt von 2500 Jahren hinweg den Anspruch auf Volksherrschaft bewahren konnte; sie erhebt diesen schon nur kraft der sprachlichen Bedeutung des Wortes.[6] Die Idee der <<Volksherrschaft>> kann durchaus auch als Ausgangspunkt und normativer Prüfstein des modernen wissenschaftlichen Diskurses bezeichnet werden. Robert Dahl betont, dass zu einer umfassenden theoretisch-wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Begriff der <<Volksherrschaft>> aber nicht nur eine Bestimmung von <<Herrschaft>>, sondern auch von <<Volk>> vonnöten ist (R. Dahl, 1975, S. 52 ff.). Dieser Hinweis ist deshalb wertvoll, weil gerade in diesem Punkt die Demokratien der Antike aus heutiger Sicht unvollständig waren; sowohl bei den Griechen als auch bei den Römern waren grosse Teile der Bevölkerung von der Partizipation am politischen Prozess ausgeschlossen, u.a. alle Frauen und alle Sklaven. Bei den Griechen waren die stimmberechtigten Bürger ausserdem in vier Klassen eingeteilt, die unterschiedliche Pflichten und Rechte hatten; bei den Römern z.Bsp. durfte nur mitreden, wer Bürger der Stadt Rom war.[7]

2.2.2 Die Aufklärung

Eine weitere, für die modernen Demokratien äusserst relevante historische Phase, war die im ausgehenden 17. Jahrhundert einsetzende Aufklärung.[8] Ihr Postulat, einzig und allein die menschliche Vernunft sei als Kriterium zur Wahrheitsfindung zugelassen, war zu radikal, als dass es sich in seiner Wirkung nur auf bestimmte Lebensbereiche hätte beschränken können. Nicht nur in Wissenschaft, Kunst und Wirtschaft gab es neue Strömungen, sondern auch Gesellschafts- und Staatsverständnis wurden neu definiert, was in einer Zeit, in der sich Könige noch auf Gottesgnadentum beriefen, wahrhaft revolutionären Charakter hatte. Die Antike spielte dabei insofern eine wichtige Rolle, als dass sie für die Denker der Aufklärung als Vorlage und Inspiration diente. Ihre philosophisch-sozialen Ideale wurden wieder aufgegriffen, modifiziert, und durch neue Ideen ergänzt. So orientiert sich das moderne Öffentlichkeitsideal - der herrschaftsemanzipierte Diskurs unter gleichen, freien Bürgern - mitunter an der Tradition der griechischen und römischen Markt- und Versammlungsplätze der Antike.

Eine für die spätere Demokratisierung westlicher Gesellschaften ausschlaggebende Idee, welche die Denker der Aufklärung hervorbrachten, ist die Vorstellung des <<Gesellschaftsvertrags>>. Dieser besagt, dass Staatsgewalt das Ergebnis einer Vertragsschliessung von zusammenlebenden Menschen sei, die so eine Instanz zur Regelung der das Kollektiv betreffenden Ereignisse schaffen. Die Staatsgewalt hat den Auftrag, sich um das Allgemeinwohl aller Mitglieder der Gemeinschaft zu sorgen, und ist diesen gegenüber auch verantwortlich. Sollte sie diese Pflicht nicht erfüllen, so soll sie vom Volk abgesetzt werden können und durch eine neue ersetzt werden. Der <<Gesellschaftsvertrag>> begründet somit die Frage nach der demokratischen Legitimation einer Regierung. In diesem Zusammenhang wurden von John Locke, einem der Begründer des <<Gesellschaftsvertrags>> die ersten Menschenrechte definiert. Die wichtigsten davon waren Anspruch auf das eigene Leben, auf persönliche Freiheit und auf den sicheren Besitz des zu rechtens erworbenen Eigentums. Um die festgelegten Grundrechte zu garantieren bzw. zu verhindern, dass diese von einer Regierung bloss willkürlich eingehalten oder gar unterdrückt werden konnten, wollte man eine unabhängige Kontrollinstanz schaffen. Die Einhaltung des <<Gesellschaftsvertrags>> von Seiten der Machthaber sollte also überwacht werden. Inspiriert von der parlamentarischen Monarchie Englands, die damals immerhin schon einige hundert Jahre alt war und sich zu bewähren schien, forderte man deshalb die Einsetzung eines regierungsunabhängigen, vom Volk gewählten Parlaments als kontrollierendes Gegengewicht zur Regierung. Der französische Jurist Montesquieu baute diesen Gedanken in seinem Werk <<De l'Esprit des Lois>> weiter aus und begründete die Gewaltenteilung; legislative, exekutive und iudikative Gewalt sollten getrennt werden und von gegenseitig unabhängigen Körperschaften ausgeübt werden.

Ein wichtiges und berühmtes Werk der Aufklärung war <<Le Contrat Social>> des Genfers Jean-Jacques Rousseau. Mit seiner ausführlichen Abhandlung zur Idee des <<Gesellschaftsvertrags>> lieferte Rousseau einen der wichtigsten Beiträge zur Begründung des modernen Gesellschafts- und Staatsverständnisses. Zumindest in zwei zentralen Punkten unterschieden sich seine Überlegungen jedoch in grundlegender Weise von denen seiner Zeitgenossen: Rousseau's Interpretation des <<Gesellschaftsvertrags>> enthält eine radikalisierende Erweiterung: Er glaubte nämlich, dass es so etwas wie eine <<Volonté générale>>, also einen Allgemeinwillen gebe, der die Bedürfnisse des Kollektivs präzise und vollständig formuliere und der das für die Gemeinschaft schlechthin Gute verkörpere. Diesen einen Allgemeinwillen durchzusetzen war nach Rousseau oberstes Gebot: Gegen ihn konnte keinerlei Opposition geduldet werden und er sollte nötigenfalls auch mit Gewalt durchgesetzt werden.

Rousseau war aufgrund dieser Idee ein vehementer Gegner von Parteienbildung und Parlamentarismus.[9]Hier würde nämlich nicht die <<Volonté Générale>> gefördert, sondern <<volontés particulières>>: Partikularinteressen und nicht der Allgemeinwille kämen zum Zuge. Rousseau war der Meinung, der Allgemeinwille könne nur zum Ausdruck kommen, wenn sich das Volk versammle und sämtliche Regierungsbeschlüsse in direkter Weise selber fasse. Er lehnte jede Art der Volksvertretung ab und nur direkteDemokratie war für ihn auch wahre Demokratie: 

<<Jedes Gesetz, das das Volk nicht persönlich bestätigt hat, ist null und nichtig: es ist kein Gesetz. Das englische Volk wähnt frei zu sein: es täuscht sich ausserordentlich; nur während der Wahlen der Parlamentsmitglieder ist es frei; haben diese stattgefunden, dann lebt es wieder in Knechtschaft, ist Nichts>> (Rousseau (Buch 3, Kap. 15) in: Dahl, 1975, S. 69)

Die Thesen Rousseau's, die sicher auch für eine moderne Demokratiediskussion wertvoll sein können, gaben in verschiedener Hinsicht immer wieder Anlass zu Kritik: Die Annahme, es existiere ein einziger definierbarer Allgemeinwillen, insbesondere aber auch die Konsequenz, die Rousseau daraus zieht, nämlich, dass gegen diesen keine Opposition geduldet werden könne, provozierte immer wieder den Vorwurf, er liefere damit - auch wenn dies nicht seine Absicht war - eine theoretische Grundlage für Despotismus. Einer autoritären Staatsgewalt werde so die Möglichkeit gegeben, Gewaltsherrschaft und Repression zu rechtfertigen, indem sie sich auf den zugegebenermassen abstrakten Allgemeinwillen beruft, bzw. vorgibt, in letzter Instanz doch das Gute für das Volk zu wollen.[10] Eine solche Entwicklung sollte durch die von Rousseau postulierte direkte Demokratie zwar verhindert werden, doch muss diese Form der Entscheidungsfindung bezüglich ihrer Effizienz und Durchführbarkeit heute stark relativiert werden. Die Möglichkeiten der direkten Demokratie mit ihrem konstituierenden Element der Volksversammlung, werden nicht zuletzt schon durch rein organisatorische Probleme wie z.Bsp. der Anzahl der stimmberechtigten Bürger eingeschränkt (R. Dahl, 1975, S. 74 ff. oder auch R. Michels, 1970, S. 30 ff.).[11] Für Rousseau's Stadtstaat Genf aber spielte dieser Aspekt im Gegensatz zu den heutigen Nationalstaaten noch keine entscheidende Rolle. Die dortige Volksversammlung war nämlich relativ klein. Dies nicht zuletzt deshalb, weil das <<Volk>> wie schon bei den Stadtstaaten Griechenlands und im Römischen Reich, wiederum sehr eng definiert war. Robert Dahl kritisiert an Rousseau dann auch stark, dass er diesen Umstand unerwähnt lässt. Überhaupt thematisiere er die Frage, wie denn nun der Begriff <<Volk>> zu deuten sei, d.h. konkret wen es umfasse, nur am Rande (R. Dahl, 1975, S. 72).[12]

Obwohl sich die Staatsgedanken und Gesellschaftsvisionen der Aufklärung nicht mit einem Schlag durchsetzen konnten, veränderten sie längerfristig und in kontinuierlicher Weise doch grundlegend die politischen Systeme aller europäischen Länder und wurden so zu wichtigen Elementen der mit der Aufklärung eingeleiteten Moderne. Zunächst kam es allerdings zu Mischformen zwischen alt und neu: Preussen und Österreich z.Bsp. waren typische Vertreter des aufkommenden <<aufgeklärten Absolutismus>>.[13]. Wie der Name sagt, war dies eine Herrschaftsform, die versuchte, die absolutistische Monarchie mit dem Gedankengut der Aufklärung zu vereinen. Nach wie vor war zwar die Macht des Herrschers uneingeschränkt, aber der Staatszweck lag vermehrt auch in der Förderung des Wohlstands und des Wohlergehens der Beherrschten. Der Staatsapparat wurde gemäss der neuen Staatsidee modernisiert und zahlreiche Reformen wie z.Bsp. die Beseitigung historisch gewachsener Sonderrechte wurden eingeleitet.

Am unmittelbarsten kam das neue Staats- und Gesellschaftsverständnis jedoch in den zwei grossen politischen Revolutionen des 18. Jahrhunderts zum Ausdruck; Während nach der Französischen Revolution von 1789[14] langwierige politische Machtkämpfe schliesslich zur Errichtung des Kaiserreichs Napoleons führten,[15] war die Entwicklung nach der Amerikanischen Revolution eine effizientere. Mit der Unabhängigkeitserklärung von 1776 beriefen sich die ehemaligen Kolonien Englands direkt auf die Idee des <<Gesellschaftsvertrags>>:

<<We hold these truths to be self-evident; that all men are created equal; that they are endowed by their creator with certain inalienable rights; that among these are life, liberty, and the pursuit of Happiness; that to secure these rights, governments are instituted among men, deriving their just power from the consent of the governed; that whenever any form of government becomes destructive of these ends, it is the right of the people to alter or to abolish it, and to institute new government.>> [16]

2.2.3 Weitere Entwicklung

Die Entwicklung und Ausbreitung von Demokratie seit der Aufklärung bzw. der Französischen und Amerikanischen Revolution bis heute soll und kann wegen ihrer Komplexität und Vielseitigkeit an dieser Stelle nicht in detaillierter Form behandelt werden. Auch wenn hier nur die <<grossen Zusammenhänge>> aufgezeigt werden, sollte sich aber doch ein relativ klares Bild ergeben. Wie bereits erwähnt wurde, beschränkte sich der Rationalismus der Aufklärung in seiner Wirkung nicht auf bestimmte Lebensbereiche, sondern erfasste alle Segmente der Gesellschaft. Besonders die mathematischen Naturwissenschaften und als Konsequenz davon die Technik erlebten nie dagewesene Entwicklungsschübe. Die Industrielle Revolution, die im 18. Jahrhundert zuerst in England einsetzte kann als Konsequenz dieser Entwicklung gesehen werden. Es wäre falsch, sie lediglich als ein von der Ausbreitung der neuen Staats- und Gesellschaftslehren isoliertes, allenfalls parallel-laufendes Phänomen zu verstehen. Vielmehr stellt die Industrielle Revolution eine eigentliche Triebfeder der damaligen Demokratisierungsbewegungen dar:

Mit der Intensivierung der Industrialisierung nämlich gewann das bürgerliche Unternehmertum als Träger des Industriekapitals enorm an Bedeutung und formierte sich zu einer gesellschaftlich bedeutenden Klasse. Eines der Hauptinteressen dieser einflussreichen Schicht war, dass ihre Unternehmertätigkeit von Seiten des Staates nicht durch gesetzliche Handelshemnisse eingeschränkt würde. Es war klar, dass die der Aufklärung entsprungenen neuen Staatslehren in ihrer Proklamation individueller Freiheitsrechte auch Garanten für Gewerbe- und Handelsfreiheit waren und der Entfaltung kapitalistisch-industrieller Tätigkeit förderlicher sein würden als das bestehende, unflexible und mit alt hergebrachten, vererbten Privilegien angefüllte Herrschaftssystem. Überlegungen solcher Art trugen dazu bei, dass das Bürgertum im 19. Jahrhundert zum wichtigsten Träger der neuen, der Aufklärung entsprungenen Gesellschaftsidee sprich des Liberalismus wurde.[17] Auch die im zersplitterten Deutschland und Italien erstarkenden nationalstaatlichen Bemühungen fanden grosse Unterstützung bürgerlicher Unternehmer.[18] Praktisch das ganze 19. Jahrhundert war geprägt vom Kampf der bürgerlichen, national-liberalen Bewegung gegen die aristokratischen, konservativen Staatsmächte.

Die Entmachtung der Monarchien bzw. die Beseitigung undemokratischer und die Errichtung liberaler Herrschaftsverhältnisse erwies sich aber als langwieriges von Rückschlägen geprägtes Unternehmen. Mit der <<Wiener Friedensordnung>>, die 1815 nach Napoleon in Europa errichtet wurde, schafften es die alten, konservativen Eliten, die ursprünglichen, sprich vorrevolutionären Herrschaftsverhältnisse zu einem grossen Teil wiederherzustellen. Das künstlich durch Staatenaufteilung geschaffene Gleichgewicht der Grossmächte beinhaltete auch ein System gegenseitiger Garantien und militärischer Hilfestellung, aufgrund dessen es den Regierungen immer wieder gelang, Unruhen und Aufstände an den verschiedensten Orten Europas gewaltsam zu unterdrücken. Auch das paneuropäische Revolutionsjahr 1848 brachte nur gerade Piemont, der Schweiz, Dänemark und den Niederlanden demokratische, liberale Verfassungen. In allen anderen Ländern wurden die Erneuerungsbewegungen niedergeschlagen.

Der Triumph der reaktionären Kräfte über die 48er Bewegung verhinderte in der Folge einen effizienten Abbau monarchischer, autoritärer Herrschaftsformen, die sich so in vielen Ländern noch bis ins 20. Jahrhundert erhalten konnten.[19] Doch obwohl es noch lange Könige und Kaiser gab, sank deren soziale Relevanz kontinuierlich. Die Zugeständnisse der aristokratischen Machthaber an den eigentlichen Liberalismus blieben zwar formal klein[20], aber sie boten dem unternehmerischen Bürgertum genügend Spielraum, seine Bedeutung im Industrialisierungsprozess und somit seine soziale Macht weiter auszubauen - der Adel versank gegenüber der aufstrebenden, industriellen Bourgeoisie immer weiter in der Bedeutungslosigkeit. Es kam zur kontinuierlichen bürgerlichen Durchdringung des politischen Systems, sei es aufgrund von Zugeständnissen von Seiten der Staatsgewalt, sei es mittels des politischen Kampfes. Dieser Prozess führte längerfristig zum politischen Ende der erblichen Aristokratie und deren seit Jahrhunderten gehaltenen gesellschaftlichen und politischen Vormachtstellung.

Die schrittweise Verdrängung der alten Eliten führte jedoch nicht von selbst zu einer Demokratisierung im Sinne der Errichtung einer <<Volksherrschaft>>. Es zeigte sich nämlich je länger je mehr, dass mit dem politischen Aufstieg des Bürgertums und dem Ausscheiden der Aristokraten weniger eine breitangelegte Demokratisierung der Gesellschaft als vielmehr eine personelle Umbesetzung der oligarchischen Entscheidungs- bzw. Machtstrukturen stattfand. Immer deutlicher war es mit der fortschreittenden Industrialisierung zu einer Spaltung der Gesellschaft in eine grosse besitzarme Arbeiterklasse und eine wohlhabende, grossbürgerliche Unternehmerklasse gekommen. Diese soziale Ungleichheit floss in das politische System ein;[21] Jetzt waren es nicht mehr die alten Aristokraten, die sich der effizienten Umsetzung des <<Gesellschaftsvertrags>> widersetzten, sondern das an die Macht gelangte besitzende Bürgertum, das sich von den <<besitzlosen Massen>> bedroht fühlte und seine Machtstellung hartnäckig verteidigte. Es ist nicht unwesentlich der sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Organisation der Arbeiterbewegungen und ihrem politischen Kampf zuzuschreiben, dass bis Mitte des 20. Jahrhunderts schliesslich die meisten westlichen Demokratien wenigstens formal gleiche Rechte für alle garantierten. Formale politische Gleichheit - one man, one vote - aber war und ist auch heute noch kein Gradmesser der sozialen Gleichheit innerhalb einer Gesellschaft. In diesem Zusammenhang haben bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts Sozialwissenschaftler und Ökonomen wie Robert Michels und Max Weber aufgedeckt worden, dass mit dem bürgerlichen, liberalen Demokratiemodell[22] die Demokratiefrage nicht befriedigend gelöst war. Das von Michels formulierte <<Eiserne Gesetz der Oligarchie>> zeigte, dass <<die Revolutionierung der Organisationen die Struktur der Demokratie unbemerkt durchdrungen und transformiert hatte.>> (P. Bachrach, 1970, S. 8). Nicht nur hatte also die formale Gleichstellung im politischen Subsystem die wachsende soziale Ungleichheit nicht wettmachen können, sondern es schien, als führte die zunehmenden Spezialisierung und Hierarchisierung im ökonomischen System zwangsläufig und unausweichlich zu einer Oligarchisierung der Machtstruktur im politischen System. Daraus resultierte - wie besonders Weber das thematisierte - u.a. ein dem Durchschnittsbürger entfremdeter, bürokratisierter Staatsapparat, dessen Kontrolle hauptsächlich in den Händen einer Elite mit hoher ökonomischer und sozialer Macht lag.

Wie wir aus neueren sozialwissenschaftlichen und auch ökonomischen Studien - etwa zur gesamtgesellschaftlichen Vermögensverteilung - wissen, sind Machtressourcen auch heute nach wie vor ungleich verteilt. Das seit Mitte des 20. Jahrhunderts dominierende sozial-marktwirtschaftliche Gesellschaftsmodell scheint daran nicht viel geändert zu haben. Seine Leistung bestand in erster Linie darin, dass der materielle Wohlstand Aller angehoben wurde. So wie sich die Ressourcen der ehemaligen Unterschichten vermehrt hatten, waren eben auch die Ressourcen der gesellschaftlichen Eliten angewachsen. Bezüglich der relativen Verteilung scheint sich somit nicht viel verändert zu haben.[23]

Demokratietheoretisch ist die Frage nach der Gleichheit deshalb relevant, weil die ungleiche Verteilung sozialer Macht bedeutet, dass die Mittel zur Selbstbestimmung und der maximalen, persönlichen Entfaltung ungleich verteilt sind. Der <<pursuit of happiness>> ist also nicht allen Menschen in gleicher Weise möglich.[24] Die Beschäftigung mit dem in der klassischen Demokratietheorie implizierten Gleichheitspostulat wurde zu einem prägenden Element der modernen Demokratiediskussion. Die Frage, was unter Gleichheit denn zu definieren ist und weiterführend insbesondere auch, wie dieser ideelle Wert mit einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung zu vereinen ist, welche soziale Ungleichheit gerade zu fördern scheint, ist bis heute aktuell geblieben.Wie wir sehen werden unterscheiden sich die beiden Demokratiekonzeptionen der <<Dynamischen Demokratie>> und der <<Demo-kratischen Elitenherrschaft>> in ihrer Interpretation dieses für die Demokratie zentralen Begriffs ganz entscheidend.

Inhalt


3. Einige Spannungsfelder

3.1 Regeln der Entscheidungsfindung

3.1.1 Allgemeine Problematik

Auf ein erstes Problemfeld der Demokratie und ihrer Praktiken stossen wir, wenn wir uns die grundlegende Problematik und Eigenart des Vergesellschaftungsprozesses überhaupt vergegenwärtigen; die zentrale Frage, um die es dabei immer wieder geht, ist, wie sich die Eigenheit und Totalität des einzelnen Individuums mit der unterschiedlichen, durch das Kollektiv erst entstandenen, eigenen Dynamik und Anforderung der Gesellschaft vereinen lässt.[25] Die ganze Evolution gesellschaftlicher Systeme kann auch als kontinuierlicher Versuch gesehen werden, eine optimale Kombination sprich ein Gleichgewicht zwischen diesen antagonistischen Ansprüchen zu schaffen (G. Simmel, 1983, S. 142). Für den hier zur Diskussion stehenden demokratietheoretischen Kontext können wir daraus folgende Problemstellung formulieren:Wie kann ein soziales System allen seinen Mitgliedern mit all ihren unterschiedlichen Ambitionen ein Maximum an Selbstbestimmung und Freiheit gewähren und doch gleichzeitig als Einheit handlungsfähig bleiben und für das ganze Kollektiv verbindliche Entscheide treffen?

Dieses Dilemma zu lösen, ist normativer Inhalt der klassischen Demokratietheorie; sie hat nichts geringeres zum Ziel, als aus der heterogenen Masse der Individuen einen homogenen Allgemeinwillen zu extrahieren. Wie aber soll das konkret geschehen? Beschäftigen wir uns mit der Umsetzung dieses Anspruches in die Praxis, so stossen wir auf eine Vielfalt von Ideen und Methoden und auf die verschiedensten Formen ihrer staatspolitischen Institutionalisierung. Ein Element, das wir in existierenden <<demokratischen>> Systemen[26] durchgehend finden, ja welches oftmals als geradezu konstituierend für die Demokratie überhaupt verstanden wird, ist das Mehrheitsprinzip.

3.1.2 Das Mehrheitsprinzip

Es ist wissenschaftlich nicht unbestritten, worauf der Zusammenhang von Mehrheitsregel und demokratischem Herrschaftssystem beruht. Rein empirisch lässt sich zeigen, dass die Mehrheitsregel keineswegs bloss demokratischen Systemen vorbehalten ist und deshalb auch nicht als ein für die Demokratie konstituierendes Element angesehen werden kann. Mit anderen Worten können weder der Wert der Gleichheit noch der der Freiheit von der Mehrheitsregel abhängig gemacht werden.[27] Roberto Bobbio, der gegen die geläufige Begriffsverkürzung von Demokratie, d.h. ihre Fehlinterpretation als simple Mehrheitsherrschaft argumentiert, kommt zum Schluss, dass die Mehrheitsregel in erster Linie ein geeignetes technisches Mittel zur kollektiven Entscheidungsfindung ist (R. Bobbio, 1984, S. 114). Im Folgenden nun soll es weniger darum gehen, die Vorteile der Mehrheitsregel als Instrument zur kollektiven Entscheidungsfindung zu diskutieren, sondern vielmehr darum, einige offensichtliche Schwächen ihrer Anwendung zu diskutieren.

Zunächst einmal gibt es Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, die sich der Erfassung durch die Mehrheitsregel entziehen. Hierzu können z.Bsp. die in allen liberalen Verfassungen formulierten Grund- und Bürgerrechte der Menschen gezählt werden. Da sie von der Natur des menschlichen Daseins abgeleitet sind, ja schlussendlich gar biologisch begründbar scheinen, gelten sie als unantastbar und können deshalb auch mittels Mehrheitsentscheid nicht abgeschafft werden. Des weiteren gibt es verschiedene Lebensbereiche, die individuell mit starken ethischen und moralischen Motivationen angefüllt sind, und die sich deshalb ebenfalls jeglichem politischen Eingriff widersetzen (Vgl. a. Dahl, 1975, S. 16/17).[28] Bobbio leitet daraus das allgemeines Prinzip ab,

<<dass ein Unterscheidungskriterium zwischen dem, was der Mehrheitsregel unterworfen werden kann und was nicht, in der Unterscheidung zwischen dem Diskussionsfähigen und dem Nicht-Diskussionsfähigen besteht; eine Unterscheidung, die eine andere nach sich zieht zwischen dem, was öffentlich verhandelt werden kann und was nicht.>> (R. Bobbio, 1984, S. 121)[29]

Von weitaus grösserer Wichtigkeit scheinen aber die Probleme zu sein, die inhärent in der Methode des Mehrheitsprinzips selbst begründet liegen: Mehrheitsentscheide sind in ihrer Art nämlich Null-Summen-Spiele (Vgl. u.a. G. Sartori, 1984, S. 89 ff). Wie der Name sagt, bedeutet dies, dass die Summen der Gewinne und der Verluste zusammen Null ergeben; die eine Partei gewinnt genau soviel wie die andere verliert. Bei der Mehrheitsregel nun ist der Verlierer die Minorität, die aufgrund ihrer geringeren Stimmenzahl der Majorität unterliegt und sich deren Beschlüssen unterwerfen muss. Aufgrund seiner Kompromisslosigkeit scheint das Mehrheitsprinzip längerfristig nur funktionieren zu können, wenn nicht immer die gleiche Minderheit Verlierer ist. Dahl schreibt in diesem Zusammenhang: 

<<Aus der Perspektive des Individuums ist das Kriterium der Selbstbestimmung dann mit dem Mehrheitsprinzip vereinbar, wenn in entscheidenden Fragen meine persönliche Entscheidung mit der Mehrheit zusammenfällt. Aus einer allgemeineren Perspektive betrachtet, muss ein ziemlich hohes Mass an Konsens zwischen allen Mitgliedern der Gesellschaft vorliegen.>> (R. Dahl, 1975, S. 15)

Es scheint, als müsste dieser Konsens mindestens so gross sein, dass er eine Fluktuation der Minderheiten bzw. Mehrheiten zulässt. Besteht in einer Gesellschaft über grundlegende Fragen des Zusammenlebens ein starker und starrer Dissens, so kann es dazu kommen, dass die zahlenmässig unterlegene Fraktion bei Mehrheitsentscheiden kontinuierlich unterliegt und sich niemals durchsetzen kann. Das Mehrheitsprinzip wird damit seiner Aufgabe, gesellschaftliche Konflikte zu lösen, nicht mehr gerecht, ja es perpetuiert sie geradezu. Eine derartig vergewaltigte Minorität kann auf verschiedene Arten reagieren. Politischer Kampf auf der einen Seite oder Resignation und Sich-Fernhalten vom Entscheidungsprozess auf der anderen Seite sind die zwei Pole, die die Spannweite der Möglichkeiten umreissen.[30] Welchen Weg eine Minderheit wählt hängt u.a. auch davon ab, wie hoch ihre Intensität ist. Hier stossen wir denn auch sogleich auf eine weitere Schwäche des Mehrheitsprinzips. Indem nämlich lediglich die Anzahl der Stimmen pro Antwort ermittelt wird, d.h. die Entscheidung, wessen Wille nun gilt, auf rein quantitativer Basis gefällt wird, kommt die Qualität und mit ihr die Intensität der Meinungspräferenzen in keiner Weise zum Ausdruck. So kann eine Minderheit mit sehr hoher Intensität ihrer Präferenzen durchaus einer Mehrheit mit geringer Motivation oder gar Gleichgültigkeit bezüglich des anstehenden Themas unterliegen. Immer wieder kommt es deshalb vor, dass sich intensive Minderheiten weigern, Mehrheitsentscheide und deren Rechtsmässigkeit anzuerkennen (G. Sartori, 1984, S. 90 ff).

Das <<demokratische Wesen>> des Mehrheitsprinzips muss noch weiter relativiert werden. Nicht nur lässt sich, wie eingangs erwähnt wurde, kein klarer Zusammenhang zwischen Mehrheitsregel und den zentralen Werten der Freiheit und der Gleichheit finden, sondern es können überhaupt keinerlei Rückschlüsse auf die Art des dem Mehrheitsentscheid vorausgehenden Prozesses der Meinungsbildung gezogen werden; 

<<Als technisches Mittel ist die Mehrheitsregel gleichgültig gegenüber der Tatsache, dass die zu zählenden Stimmen mehr oder weniger frei, aus Überzeugung oder aus Angst, aus Liebe oder aufgrund von Zwang abgegeben worden sind.>> (R. Bobbio, 1984, S. 114)[31]

Man kann noch weiter gehen: es ist anzunehmen, dass die Eigenart der Merheitsregel im Sinne eines Null-Summen-Spiels, das klare Gewinner und Verlierer hervorbringt, die Härte des politischen Kampfes noch zusätzlich verschärft und deshalb indirekt auch den Prozess der Meinungsbildung beeinflusst. Mit anderen Worten hat die durch das Mehrheitsprinzip bewirkte Überhöhung des politischen Sieges zur Folge, dass konkurrierende Parteien und andere einflussreiche, am Ausgang des politischen Prozess interessierte Gruppierungen vermehrt zu <<undemokratischen>> Mitteln wie bewusste Manipulation und Fehlinformation greifen, um die Stimmen der Bürger für sich zu gewinnen. Trifft diese Annahme zu, so würde dies bedeuten, dass der Zusammenhang von Mehrheitsprinzip und <<Demokratiegrad>> des Meinungsbildungsprozess nicht nur kein positiver ist, sondern dass er negativer Art ist. Ob diese Vermutung auch wissenschaftlich bestätigt werden kann, entzieht sich meiner Kenntnis. Fest steht auf jeden Fall, dass das Mehrheitsprinzip nicht zuletzt aufgrund seiner Radikalität und Kompromisslosigkeit für sich alleine noch kein Garant für eine demokratische Gesellschaftsform ist.

3.1.3 Konsensentscheidungen

Konsensentscheidungen sind, wie der Name sagt, Entscheidungsprozesse, die keine klaren Gewinner und Verlierer hervorbringen, sondern auf der Idee des Kompromisses beruhen. Im Gegensatz zum Mehrheitsprinzip handelt es sich nicht um Null-Summen-, sondern um Positiv-Summen-Spiele; vorwiegend mittels Verhandlungen wird versucht, den jeweiligen Interessenskonflikt derart zu lösen, dass alle Parteien in ihren Anliegen berücksichtigt werden und in der einen oder anderen Form von der Lösung profitieren. Konsensentscheidungen können in verschiedenen Zusammenhängen und Ausprägungen zur Anwendung kommen und von grossem Nutzen sein. Wenn z.Bsp. eine Regierung mit einer intensiven Minderheit Verhandlungen führt, die zu einem Vertragswerk führen, in dem die gegenseitigen Forderungen und Zugeständnisse festgelegt werden, dann ist dies ein klassisches Beispiel einer Konsensentscheidung. Der Vorteil dieser Art von Entscheidungfindung liegt denn gerade auch in der Berücksichtigung derIntensität der Meinungspräferenzen.Dies kommt auch klar zum Ausdruck in der Arbeitsweise politischer Gremien (Sartori, 1984, S. 93 ff). Das Gremium folgt normalerweise der Einstimmigkeitsregel. Längerfristig ist dies deshalb möglich, weil die Konsensfindung gemäss dem Grundsatz <<do ut des>> abläuft (Vgl. a. R. Bobbio, 1984, S. 116). Sartori bezeichnet diese Vorgehensweise auch als das Prinzip der vertagten äquivalenten Gegenleistung.

Kurz gesagt, geht es darum, dass die Mitglieder, die kein besonders grosses Interesse an einem zur Diskussion stehenden Problem haben, denjenigen Zugeständnisse machen, bei denen das der Fall ist und dafür von diesen bei anderen für sie selber wichtigen Verhandlungspunkten Gegenleistung erhalten. Das Funktionieren dieses Verhandlungsprinzips ist allerdings an mehrere Bedingungen geknüpft: erstens muss es sich um eine relativ kleine Gruppe handeln, deren Mitglieder in unmittelbarem Interaktionskontakt stehen; zweitens muss ein kontinuierlicher Strom an Entscheidungsproblemen da sein; drittens müssen die Intensitäten von Meinungspräferenzen auch wirklich ungleich verteilt sein und viertens sollte eine eingermassen ausgeglichene Machtverteilung unter den Teilnehmern herrschen.[32] Die Entscheidungfindung in Gremien hat also wie bereits die Mehrheitregel klare Grenzen und es wäre wohl falsch, die Gremiendemokratie als optimale Lösung der Demokratieidee zu bezeichnen (Vgl. a. G. Simmel, 1983, S. 142-147).

Konsensentscheide an sich jedoch scheinen eine sehr sinnvolle Alternative zum Mehrheitsprinzip zu sein. Da, wie wir gesehen haben, durch Mehrheitsentscheide allein das demokratische Grundrecht der Eigenbestimmung, das insbesondere auch Minderheiten zusteht, nicht garantiert wird, müssen in einer Demokratie auch andere Instrumente und Wege zur Konfliktlösung bereitgestellt werden. Verhandlungs-, Konsens- und Kompromissbereitschaft scheinen in diesem Sinne wichtige Elemente einer gut funktionierenden Demokratie zu sein.

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3.2 Effizienz

Eines der bedeutendsten Argumente in der modernen Demokratiediskussion ist der Einwand, Demokratie sei nicht effizient sondern leistungshemmend. Es ist dies eine in vielen Varianten formulierte These, die gerade in neuerer Zeit, d.h. im Zeichen des derzeitigen sozialen Wandels und dem durch ihn verschärften Kampf um Demokratie wieder stark an Popularität gewonnen zu haben scheint.[33] Der Umstand, dass der Vorwurf der Leistungsunfähigkeit demokratischer Prinzipien auch immer wieder dazu dient,<<...Privilegien ideologisch abzudecken, die in keinem Kausalzusammenhang mit der Effizienz stehen.>> (A. Pelinka, 1974, S. 68/69)[34], ja der Begriff der Effizienz heute zu einem eigentlichen Schlagwort gegen alles Demokratische geworden ist und häufig in sehr undifferenzierter Weise verwendet wird, lässt die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der zugrundeliegenden Problemstellung als umso dringender erscheinen (Zur Ideologisierung der Effizienzdiskussion auch: Hondrich, 1972, S. 13 ff.).

Verstehen wir Effizienz zunächst einmal abstrakt als die zu optimierende Leistungsfähigkeit oder Zweck-Mittel-Relation eines Prozesses, so ist damit per definitionem noch nichts darüber ausgesagt, auf was für ein Leistungsziel sich diese bezieht, sondern lediglich wie dieses erreicht wird oder vielmehr erreicht werden soll, nämlich mit dem kleinstmöglichen Aufwand an Mitteln. Das inhaltliche Ziel der Handlung ist durch das Wesen des Prozesses selber bestimmt.

Wenn nun Demokratie oder vielmehr existierende demokratische Systeme einer schwachen Effizienz bezichtigt werden, so bezieht sich dieser Vorwurf darauf, dass die inhaltlichen Ziele von Demokratie nicht effizient umgesetzt werden. Setzen wir als Ziel von Demokratie den normativen Anspruch der <<Volksherrschaft>> ein, so bedeutet der Vorwurf der mangelnden Effizienz also, dass die praktische Realisierung von <<Volksherrschaft>> ineffizient ist bzw. einen zu grossen Aufwand an Mitteln benötigt bzw. zu hohe Kosten verursacht. Dass dies tatsächlich ein Problem sein kann, merkt man spätestens dann, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der <<Allgemeinwille>> ein Abstraktum ist, an das man sich höchstens annähern kann, und dass - wie das im vorigen Kapitel bereits zum Ausdruck kam - kollektive Entscheidungsfindungen in der Praxis moderner demokratischer Systeme aufgrund der Berücksichtigung all der verschiedenen Interessen äusserst komplexe Prozesse sein können. Je mehr Menschen und Organisationen zur Teilnahme an der Entscheidungsfindung berechtigt sind und je stärker die zu berücksichtigenden Interessen divergieren, umso ineffizienter wird der Prozess, da der dazu nötige Aufwand bzw. die anfallenden Kosten steigen. Konkret geht es dabei vor allem um Zeit-Kosten: der Entscheidungsfindungsprozess kann zu einem langwierigen und ermüdenden Unternehmen werden, ja er kann in Folge verhärteter Fronten gar vorübergehend oder endgültig blockiert werden (Vgl. R. Dahl, 1975, S. 36ff.)[35].

Man kann nun folgende These aufstellen: je mehr ein demokratisches System auf Konsensentscheidungen aufbaut und je direkter es ist, umso grösser ist seine Ineffizienz.[36] Verstehen wir Konsensbereitschaft und möglichst breite direkte Partizipation an Entscheidungsprozessen[37] als mit der Idee der Demokratie untrennbar verbundene Elemente, so scheint eine Effizienzsteigerung deshalb unweigerlich zum Abbau der demokratischen Qualität eines Systems zu führen. Ja, verfolgen wir den Gedanken zu Ende, so kommen wir zwangsläufig zum Schluss, dass die diktatorische Ein-Mann-Entscheidung die effizienteste von allen ist; Interessenskonflikte fallen hier nicht ins Gewicht, weil sie erst gar nicht in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Die Entscheidungskosten sind praktisch gleich null (G. Sartori, 1984, S. 85).[38]

Es scheint an dieser Stelle angebracht, die Effizienzdiskussion um einen wichtigen Aspekt zu erweitern. Indem wir lediglich die im Zuge des Entscheidungsprozesses anfallenden Kosten betrachten, gelingt es nämlich noch nicht, die Wirkung der getroffenen Entscheidung auf das jeweilige Kollektiv hinreichend zu erklären; sowohl die Ein-Mann-Entscheidung des Alleinherrschers als auch die direktdemokratische Entscheidung, die vom ganzen betroffenen Kollektiv gefällt wird, kann sowohl richtig als auch falsch sein, d.h. sie kann für die Erfüllung der im <<Allgemeinwillen>> erfassten gemeinsamen Bedürfnisse des ganzen Kollektivs sowohl von Nutzen sein oder aber sie kann ihr schaden. Dies liegt daran, dass die Wahrscheinlichkeit, eine sich für das Allgemeinwohl positiv auswirkende Entscheidung zu treffen, nicht nur positiv mit der Erweiterung der Partizipation bzw. dem vermehrten Miteinbezug unterschiedlicher Interessen korreliert , sondern noch von einer weiteren wichtigen Grösse abhängt.

Es ist dies das Kriterium der Fähigkeit oder auch der Fachkompetenz (R. Dahl, 1975, S. 26 ff.). Immer wieder befinden wir uns in Situationen, in denen es sinnvoll ist, eine Entscheidung, deren Konsequenz uns durchaus direkt betrifft, einer anderen Person oder Gruppe zu überlassen, weil sich diese in der betreffenden Angelegenheit besser auskennt und somit fähiger ist, eine vernünftige Problemlösung zu finden.[39] Wir verzichten in diesem Moment auf den Anspruch auf Selbstbestimmung und lassen uns sozusagen freiwillig fremdbestimmen. Der Grund hierfür liegt wiederum in der Effizienz; die Aneignung der zur Problemlösung benötigten Mittel, die in den meisten Fällen in einem bestimmten Fachwissen bestehen, wäre derart umfassend, dass das Ziel unter Umständen überhaupt nicht erreicht werden könnte, würde die Entscheidungsmacht nicht an jemanden delegiert, der diese Mittel bereits besitzt.

Das in der enormen technologischen Differenzierung begründete, hohe Mass an Arbeitsteilung unserer modernen Gesellschaft verstärkt die Bedeutung des Fähigkeitskriteriums zwangsläufig: unausweichlich geraten wir heute in allen Lebensbereichen immer wieder in die Abhängigkeit von Experten, die sich auf das für unsere Problemlösung benötigte Fachwissen spezialisiert haben. Dies ist auch bei demokratischen Entscheidungsprozessen der Fall. Häufig erweisen sich die zur Diskussion stehenden Sachverhalte als derart komplex, dass es für jemanden, der nicht über eine eigentliche Fachkompetenz auf dem entsprechenden Gebiet verfügt, kaum nachvollziehbar ist, ob sich eine bestimmte Entscheidung letzten Endes positiv oder negativ auf seine bzw. die Interessen der Allgemeinheit auswirken wird. Da wir im Sinne der Effizienz nicht nur daran interessiert sind, den Aufwand für die Problemlösung möglichst gering zu halten, sondern eben gerade auch sichergehen wollen, dass das Resultat bzw. der Output des Entscheidungsprozesses für uns tatsächlich positive Auswirkungen hat[40], sind wir somit wohl oder übel vom Fachwissen von Spezialisten abhängig. Schon nur aufgrund des Zahlenverhältnisses zwischen der relativ kleinen Gruppe der <<kompetenten>> Spezialisten und der grossen <<inkompetenten>> Masse, lässt sich sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Entscheidung mit negativen Auswirkungen zu treffen, mit steigender Partizipation wächst. Den Meinungen der Experten müssen daher ungleich mehr Gewicht beigemessen werden als den <<DurchschnittsbürgerInnen>>. Auch wenn dies nicht zwingend dazu führen muss, dass wir den Anspruch auf Selbstbestimmung vollständig aufgeben und die gesamte Entscheidungsmacht den Experten übergeben, so scheint dadurch die demokratische Qualität des Entscheidungsfindungsprozesses doch bedroht.

Wie auch schon das Argument der Entscheidungskosten scheint auch das Argument der Fähigkeit im Dienste einer effizienten Entscheidungsfindung für eine Oligarchisierung oder zumindest für eine starke Einengung der Beteiligungsrechte am demokratischen Prozess zu sprechen. Dies aber steht in klarem Widerspruch zum demokratischen Gleichheitsprinzip. Offensichtlich lässt sich dieser Sachverhalt auf die bekannte These reduzieren, dass die Idee der Effizienz d.h. das Leistungsprinzip mit dem Gleichheitsprinzip grundsätzlich unvereinbar ist. Trifft dies, wie das auch viele Sozialwissenschaftler vermuten, tatsächlich in dieser Kompromisslosigkeit zu[41], so würde das bedeuten, dass sich jede Gesellschaft zwangsläufig vor den Grundsatzentscheid gestellt sieht, welches der beiden Prinzipien sie als prioritär behandeln will, denn sie kann nie beide gleichzeitig anstreben; sobald sie das eine verfolgt, vernachlässigt sie das andere automatisch. Angesichts des Ausmasses der heutigen gesellschaftlichen Arbeitsteilung und deren Irreversibilität wäre die Offenheit der Wahl aber trügerisch: vom gesellschaftlichen Kontext unter Druck gesetzt, wäre das demokratische System längerfristig gezwungen, das Leistungsprinzip als Leitmotiv anzuerkennen. Der demokratische Gleichheitsanspruch würde zunehmend in den Hintergrund treten müssen.

In der Realität existierender demokratischer Systeme nun scheinen die politischen Subsysteme im Zuge des derzeitigen gesellschaftlichen Wandels tatsächlich unter einem solchen erhöhten Effizienzdruck zu stehen und die Frage, ob vermehrt dem Gleichheits- oder dem Leistungsprinzip entsprochen werden soll, erweist sich als höchst aktuell.[42] Die vieldiskutierte Idee des <<New Public Management>> z.Bsp. ist eindeutig eine Reaktion auf die gesteigerte Effizienzanforderung, die sich dem politischen Subsystem stellt. Verwaltung und öffentlich-rechtliche Institutionen sollen dabei vermehrt nach privatwirtschaftlichen Methoden arbeiten.[43] Ganz im Sinne des privatwirtschaftlichen Konzepts der Profit-Center erhalten die Verwaltungen von den Regierungen klare aber undetaillierte Leistungsaufträge. Bezüglich der konkreten Umsetzung und Erfüllung dieser Aufträge sind sie dann weitgehend autonom. Dies äussert sich auch darin, dass ihnen die Regierungsstellen bei der Budgetplanung lediglich Gesamtsummen vorgeben. Gerade um diese einzuhalten, sind die einzelnen Institutionen und Verwaltungen gezwungen, effizient zu arbeiten. Eine Effizienzsteigerung ist das NPM-Modell auch deshalb, weil sich die Parlamente nur mehr mit strategischen Entscheiden beschäftigen und die operativen mehrheitlich der Verwaltung überlassen werden.

Indem New Public Management tendenziell Macht weg vom Parlament hin zu Regierung bzw. Exekutive sowie der Verwaltung verlagert, vermindert sich die direkte bzw. indirekte Beeinflussungsmöglichkeit des Volks. Wiederum können wir eine Oligarchisierungstendenz ausmachen;[44] erneut scheint sich die Effizienzsteigerung negativ auf das Gleichheitsprinzip auszuwirken. Angesichts solcher Tendenzen scheint es dringend, uns mit der Frage zu beschäftigen, wie die Werte der Gleichheit und der Effizienz nun tatsächlich zusammenhängen oder in welcher Form sie in einem bestehenden demokratischen System institutionalisiert sind, bzw. institutionalisiert werden können und sollen. Des weiteren scheint insbesondere eine seriöse Auseinandersetzung mit der Dynamik und Problematik der Oligarchiebildung dringend erforderlich. Das nächste Kapitel soll die Diskussion um diesen Punkt erweitern.

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3.3 Die Oligarchisierungsproblematik

Die Aneignung von Kenntnissen über oligarchische Strukturen und ihr Funktionieren scheint mir aufgrund folgender zwei Überlegungen wichtig: Erstens ist in den heutigen existierenden demokratischen Systemen das Effizienzstreben oder Leistungsprinzip, das, wie wir gesehen haben eine Oligarchisierung der Machtstruktur zu begünstigen scheint, der dominierende gesellschaftliche Wert, da das ökonomische Subsystem praktisch alle Lebensbereiche durchdrungen hat. Kenntnisse über oligarchische Prozesse können also helfen, die soziale Realität besser zu begreifen. Zweitens entsteht wie schon gesagt, aufgrund der Omnipräsenz des Leistungsprinzip ein Druck auf das politische Subsystem, für welches der demokratisch begründete Wert der Gleichheit - institutionalisiert in Form der politischen Gleichberechtigung - ein konstituierendes Element darstellt. Da eine Effizienzsteigerung staatspolitischer Prozesse möglicherweise eine Tendenz zur Oligarchisierung impliziert, müssen wir, um den Effekt auf die demokratische Qualität des Gesamtsystems oder auch bloss des politischen Subsystems abklären zu können, mehr wissen über die Dynamik oligarchischer Strukturen.

Im Folgenden sollen anhand einer empirischen Untersuchung einige Merkmale der Oligarchisierung von Machtstrukturen herausgearbeitet werden. Es handelt sich dabei um eine unter der Leitung des deutschen Soziologen Herbert Rauch durchgeführte Studie zur Partizipation und Leistung in entscheidungsfindenden Grossgruppen-Sitzungen.[45] Auf eine detaillierte Beschreibung der konkreten Methodik und technischer Finessen der Untersuchung wird hier zugunsten einer summarischen Herausstreichung einiger wichtiger Ergebnisse verzichtet.

Rauch weist zunächst darauf hin, dass die Ergebnisse der Kleingruppenforschung nur bedingt auf grössere Sozialsysteme übertragen werden können, und deshalb die sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit Grossgruppen von grosser Wichtigkeit ist. Dies insbesondere auch deshalb, weil

<<...in westlichen Staaten aufgrund der graduell zunehmenden partizipativen Demokratie in vielen Bereichen (Parteigremien, Bürgerversammlungen, Tagungen, Lehrveranstaltungen etc.) ein fühlbarer Bedarf nach solchen Kenntnissen besteht.>>(H. Rauch, 1983, S. 256).

Die Gruppengrösse ist deshalb wichtig, weil sie die Sender-Empfänger Relation massgeblich beeinflusst. Es scheint einleuchtend, dass mit wachsendem Gruppenumfang die Interaktion unter den Mitglieder an Unmittelbarkeit verliert und anonymer wird und dies einen Einfluss auf die informelle Organisation der Mitglieder untereinander hat.[46] In diesem Zusammenhang ist anzufügen, dass die von Rauch untersuchten Grossgruppen (mit je 20 bis 50 Mitgliedern) zu Beginn keinerlei organisatorischen Formalisierungsgrad in Form einer vorgegebenen Arbeitsstruktur aufwiesen. Vorgegeben wurden der Gruppe jeweils lediglich eine Reihe von Problemstellungen und ein Zeitrahmen, in dem diese zu lösen waren.

Rauch stellte nun fest, dass Grossgruppen - gerade auch im Gegensatz zur Kleingruppendynamik - nicht eine ständige Tendenz zur Homogenisierung der verschiedenen Meinungsäusserungen bzw. der zugrundeliegenden Wertvorstellungen aufweisen, sondern im Gegenteil eine diesbezügliche Heterogenität aufrechterhalten wird. Im Laufe des Gruppenprozesses verfestigt sich diese zunehmend und es entstehen klar zu unterscheidende <<Richtungen>> - Rauch spricht von <<latenten Fraktionen>> weil es sich nicht um klar definierte, formal organisierte Gruppen handelt (H. Rauch, 1983, S. 260). Interessant für unseren Zusammenhang ist nun, dass sich innerhalb dieser Untergruppen eine klare funktionale Hierarchisierung ausbildete; die Teilnehmer jeder dieser Fraktionen konnten nämlich klar in drei Kategorien eingeteilt werden, die sich nach Partizipationsgrad stark unterschieden: Passive, Teilaktive und Aktive. Gemessen am gesamten Interaktionsvolumen steuerten die Passiven 7.6%, die Teilaktiven 39.5%, und die Aktiven 52.9% Interaktionsanteile bei (Vgl. Tabelle 2, S. 262, ebd.).

Zwischen den aktiven Sprechern - normalerweise waren dies jeweils etwa 4 bis maximal 8 Personen - und dem Rest der jeweiligen Untergruppe schien ein zuweilen reichlich subtiles Interaktionsmuster zu spielen. Die tendenziell passiven Mitglieder liessen den aktiven Sprechern, die sozusagen eine Delegiertenfunktion übernahmen, nämlich in häufig auch nonverbalen Reaktionsformen Unterstützung zukommen. Es zeigte sich insbesondere auch, dass Sprecher, die mit ihrem Engagement keine positive Resonanz der passiveren Teilnehmer ihrer Gruppe erwirkten, mit fortschreitendem Prozess von diesen immer mehr isoliert wurden und immer weniger Unterstützung bekamen, bis sie schliesslich aus der Arena der Hauptsprecher eliminiert waren. Dieser eigentliche Absetzungsmechanismus trat z.Bsp. auf, wenn die Meinung der Sprecher nicht kongruent war mit derjenigen ihrer Gruppe und sie zu eigenmächtig und selbstsüchtig handelten.

Die Hauptsprecher scheinen also in einem Spannungsverhältnis zu stehen: sie bewegen sich in ihrem Engagement in der Arena einerseits zwischen der totalen Aufgabe ihrer persönlichen Meinung und Ansicht zugunsten einer absoluten Übernahme des Willens der zu repräsentierenden Gruppe und andererseits der Möglichkeit, deren starken Druck zu ignorieren und ihre Autonomie in Selbstdarstellung und Meinungsäusserung voranzustellen, was längerfristig aber zum Entzug der Delegiertenfunktion führen kann. Um sich ihrer sowohl inhaltlichen wie auch rollenspezifischen Position, also auch ihrer Legitimation als tonangebende Sprecher zu versichern, sandten sie auch dementsprechende Impulse an ihre Gruppe (Rauch nennt dies den Mobilisierungseffekt). Die Interaktion zwischen der delegierenden Gruppe und dem Delegierten ist also eine wechselseitige.

Betrachten wir nun die Grossgruppe als Gesamtheit, so können wir sagen, dass sie sich nicht zuletzt im Dienste einer effizienten Problemlösung von selbst eine Herrschaftsstruktur gibt. Die Legitimation dieser Herrschaftsstruktur kann dabei unterschiedlich stark sein. Unabhängig davon wie gross sie zu Beginn ist, stellt Rauch fest, dass sich die Unzufriedenheit der Teilnehmer, wobei alle Mitglieder einer Grossgruppe gemeint sind, mit forschreitendem Prozess steigt. Grossgruppen, die von Beginn an auf <<Zucht und Ordnung>> aufbauen und klar geregelte und kontrollierte Interaktionsmuster durchzusetzen versuchen, werden zunehmend als zu unflexibel, starr und rigid empfunden und solche Gruppen, die zunächst sehr informell und ohne klare Regelungen vorgehen, werden zunehmend von einem <<Unordnungsstress>>, der sich z.Bsp. in Nachbargesprächen und anderen Unruhesymptomen äussert, geplagt. Wie auch immer die Herrschaftsstruktur der Gruppe aufgebaut ist, provoziert sie also nach einer gewissen Zeit Opposition, und es kommt früher oder später zu einer Krise.[47]

Rauch unterscheidet zwei Typen von Krisen: latente Krisen sind solche, die nie offen ausbrechen weil Probleme verdrängt und ignoriert werden. Die Ursachen der Missstände werden hier nie klar artikuliert und es bleibt ein schwelender Konflikt. Dies hat zur Folge, dass das Sozialklima zunehmends verkümmert. Manifeste Krisen mit offen ausgetragenen Konflikten auf der anderen Seite sind für das Sozialklima zuträglicher, das sie meistens relativ kurz und heftig sind und mehr oder weniger grosse Änderungen im Machtgefüge bewirken. Rauch folgert:

<<Auf einen Nenner gebracht bedeutet dies, dass die Qualität des sozialen Klimas von der <<Konfliktfähigkeit>>, d.h. der offenen Konfrontation und deren Verarbeitung abhängt.>> (H. Rauch, 1983, S. 269).

Die Direktheit, mit der wir die hier erwähnten Ergebnisse der Grossgruppen-Studie Rauchs mit der Demokratie- und insbesondere der Oligarchiediskussion in Beziehung setzen können[48], ist erstaunlich; Rauch konstatiert dementsprechend auch, dass die Grossgruppe <<...das kleinste soziale Gebilde zu sein scheint, welches gesellschaftliche Grundprozesse en miniature darstellt bzw. widerspiegelt.>> (Ebd., S. 271). Unsere Demokratiediskussion kann um folgenden Beitrag erweitert werden: Mit der kontinuierlichen wechselseitigen Interaktion zwischen dem Delegierten und dem zu vertretenden Kollektiv haben wir einen wichtigen Aspekt der Repräsentation kennengelernt. Derartige Interaktionsformen sind deshalb wichtig, weil die Gruppe so die Möglichkeit hat, die Tätigkeit ihres Vertreters zu überwachen und ihn nötigenfalls abzusetzen. Dadurch ist u.a. gewährleistet, dass sich der Repräsentant auch wirklich an den Interessen und Bedürfnissen <<seiner Leute>> orientiert und diese ernst nimmt, da er sonst seine Vormachtstellung einbüsst. Aufgrund der Übersichtlichkeit der Grossgruppe scheint der Repräsentations- oder vielmehr der Kontrollmechanismus ausgezeichnet zu funktionieren.

In existierenden demokratischen Systemen ist diese Unmittelbarkeit zwischen Volk und Repräsentanten jedoch nicht gegeben. Es besteht die Gefahr, dass sich die Volksvertreter vom Volk ablösen und sich nicht mehr an dessen Interessen orientieren, ja gar eine Politik betreiben die den eigentlichen Bedürfnissen der Bevölkerung zuwiderläuft. Dies ist das Problem jeglicher Oligarchisierungstendenzen; auch dann, wenn die Oligarchisierung lediglich im Zeichen einer Effizienzsteigerung geschieht und Demokratie nach wie vor das normative Ziel des Systems ist. Regelmässige Wahlen und selbst das imperative Mandat[49] sind kaum ausreichende Mittel, um die Volkstreue der Repräsentanten sicherzustellen. Dies auch deshalb nicht, weil diese ihren Wissens- und Informationsvorsprung auch bewusst und zuweilen sehr subtil zur Manipulierung des Volkes einsetzen können. Weil nämlich die Repräsentanten  

<<...selbst die geheimsten Schlupfwinkel des von ihnen zu behandelnden Themas kennen und durch Abschweifungen, Umschreibungen, terminologische Kunststücke auch die einfachste und natürlichste Frage der Welt in ein Mysterium zu verwandeln wissen, zu dem nur sie den Schlüssel haben, sind sie für die grossen Massen, deren <<theoretische Exponenten>> sie nur sein sollten, geistig völlig unnahbar und technisch unkontrollierbar.>> (R. Michels, 1970, S. 81).

Eine kontinuierliche,wechselseitige Interaktion zwischen den Repräsentanten und dem Volk ist gerade auch um der Konfliktfähigkeit des Systems willen wichtig. Wie auch die Untersuchung von Rauch gezeigt hat, treten Interessenkonflikte und Krisen früher oder später in allen sozialen Gebilden auf. Eine Herrschaftsstruktur muss fähig sein, diese zu rezipieren und sie zur möglichst grossen Befriedigung aller Betroffenen zu bewältigen, ohne dass dabei die gesamte soziale Einheit zerbricht.[50] Wird das System aber von einer mehr oder weniger autonomen und volksfremden Elite geleitet, so wird die Konfliktfähigkeit stark eingeschränkt und das ganze System wird starr und unflexibel, da Bedürfnisse und Probleme erst gar nicht mehr bis zu den regierenden sprich entscheidungsfähigen Kräften vordringen. Sozialer Konflikt bleibt somit ungelöst. Das System ist undemokratisch. Zusammenfassend können wir sagen, dass eine Oligarchisierung in grossen sozialen Systemen deshalb zu einer Entdemokratisierung führt, weil sie eine Verminderung der kontinuierlichen zweiseitigen Interaktion zwischen Delegierten und Delegierenden bewirkt. Die Tatsache, dass eine Oligarchisierung eine Effizienzsteigerung mit sich bringt, fördert die Entdemokratisierung zusätzlich in dem Sinne, dass eine erhöhte Machtkonzentration auf die Eliten auch eine Erhöhung deren Fähigkeit zur Manipulation ihrer Gefolgschaft bedeutet. Die Gefahr jeglicher Oligarchisierung ist implizit die Umkehrung der demokratisch intendierten Machtverhältnisse. Nicht mehr das Volk hat die Macht und kontrolliert die zur Ausführung des Volkswillens bestimmten Abgeordneten, sondern die Macht liegt de facto bei der Elite der Delegierten, die es verstehen die Bevölkerung durch geschicktes Agieren zu ihren Gunsten zu manipulieren.

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4. Zwei unterschiedliche Demokratiekonzeptionen

4.1 Demokratische Elitenherrschaft

In diesem Kapitel soll die Demokratiekonzeption der <<Demokratischen Elitenherrschaft>> vorgestellt werden. Wie in der Einleitung bereits gesagt wurde, handelt es sich dabei nicht um eine bestimmte Theorie, sondern um einen idealtypischen, kategorialen Begriff, der eine Vielzahl verschiedener demokratietheoretischer Ansätze in sich vereint. Deren Gemeinsamkeit liegt darin, dass sie sich alle mehr oder weniger stark dafür einsetzen, politische und soziale Macht auf eine relativ kleine Elite zu konzentrieren. Breite Partizipation an Entscheidungsprozessen soll einer Oligarchisierung der Entscheidungsstruktur weichen, ohne dass das soziale System dabei an demokratischer Qualität verliert.

Historisch gesehen ist <<Demokratische Elitenherrschaft>> eine Reaktion auf die sozialwissenschaftliche Erkenntnis, dass auch in den moderneinn westlichen Demokratien die wichtigsten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungen von elitären Minoritäten getroffen werden (Vgl. Kap. 2.2.3. u.a. P. Bachrach, 1970, S. 18). <<Demokratische Elitenherrschaft>> hält angesichts dieser Tatsache die den klassischen Demokratievorstellungen zugrundeliegenden Prinzipien - allen voran das Gleichheitsprinzip - für unrealistisch und unternimmt den Versuch einer Neubestimmung von Demokratie. Ziel ist eine aktualisierte bzw. modifizierte Demokratietheorie, die in ihren Prämissen und Forderungen nicht mehr im Widerspruch zur arbeitsteiligen, hierarchisierten gesellschaftlichen Realität steht, sondern sich mit dieser versöhnen lässt.[51] Die Vormachtstellung von Eliten soll also demokratisch legitimiert werden.

Einen der Gründe, welche die <<Demokratische Elitenherrschaft>> für die Oligarchisierung der Entscheidungsstruktur vorbringt, können wir von den Ausführungen zu den <<Regeln der Entscheidungsfindung>> (Kap. 3.1.2.) ableiten. Unter anderem haben wir dort gesehen, dass Mehrheitsentscheide aufgrund ihrer Null-Summen-Logik eine gewisse Radikalität aufweisen, dass sie also klare Gewinner und Verlierer hervorbringen, und dass dieser Umstand der Bereitschaft zu einer gezielten Manipulation der wahlberechtigten Bürger förderlich sein kann. <<Demokratische Elitenherrschaft>> behauptet nun ganz in diesem Sinne, dass Mehrheitsentscheide für eine Demokratie gefährlich sind, weil sie der Entfaltung von Charismatikern und Manipulatoren Vorschub leisten. Ganz allgemein wird befürchtet, dass die Offenheit des demokratischen Systems im Sinne breit ausgelegter sprich basisdemokratischer Partizipationsrechte der Bevölkerung von geschickt manipulierenden, machtstrebenden Demagogen dazu benützt werden kann, die Machtstellung existierender, durchaus demokratisch legitimierter, staatspolitischer Institutionen wie z.Bsp. des Parlaments zu untergraben, indem sie sich nämlich auf die unmittelbare, direkte Unterstützung und Sympathiebekundung einer breiten Masse der Bevölkerung berufen können.

Die Befürchtung ist mit anderen Worten die, dass Demagogen ihren direktdemokratisch begründeten - allerdings aber eben manipulativ zustandegekommenen - Legitimationsüberschuss gegenüber den bestehenden demokratischen Intitutionen dazu benützen, diese zu umgehen. Die Demokratie würde sich in der Betonung möglichst breiter Partizipationsmöglichkeiten also in gewissem Sinne das eigene Grab schauffeln;

<<(...) die staatspolitische Gefahr der Massendemokratie liegt in allererster Linie in der Möglichkeit starken Vorwiegens emotionaler Elemente in der Politik. Die <<Masse>> als solche (einerlei, welche sozialen Schichten sie im Einzelfall zusammensetzen) <<denkt nur bis übermorgen>>.>> (M. Weber, Parlamentarismus und Demokratie, 1972, S. 868).

Diese Aussage von Max Weber führt uns zu jenem zentralen Punkt der <<Demokratischen Elitenherrschaft>>, der besagt, dass das Volk sprich der Durchschnittsbürger bezüglich staatspolitischer Erfordernisse apathisch, schlecht informiert und voller Vorurteile sei.[52] Dadurch ist im Falle einer breitgestreuten Partizipation nicht nur die Gefahr der Massenpropaganda und -manipulation gegeben, sondern das ganze bestehende demokratische System droht, als Folge der Inkompetenz der stimmberechtigten Bürger ineffizient zu werden; ja betrachten wir wie Sartori dies tut, Fehlentscheidungen als externe Risiken so können wir im Prinzip die gesamte auf die Naïvität und Unwissenheit der Masse des Volkes gründende Problematik als ein Effizienzproblem verstehen.[53] <<Demokratische Elitenherrschaft>> fordert deshalb eine Machtkonzentration auf eine kleine verantwortungsvolle Elite, weil sie in der Verfolgung des Allgemeinwohls eben effizienter als das Volk ist, da sie einerseits der Manipulation von Demagogen weniger leicht zum Opfer fällt und andererseits ihr Fachwissen im politischen Prozess ungestört und direkt umsetzen kann.

Die Frage, die sich stellt, ist, wie wir gesehen haben, wie eine solche Oligarchie ihren demokratischen Charakter bewahren kann bzw. wie verhindert wird, dass sich die Eliten zusehends vom Volk emanzipieren. Die <<Demokratische Elitenherrschaft>> beruft sich in diesem Punkt auf die Vorstellung des Elitenpluralismus; die nach wie vor stattfindenden demokratischen Wahlen, deren Zweck in erster Linie darin besteht, eine qualifizierte Führungsschicht auszuwählen, bewirken, dass die verschiedenen politischen Elitengruppen, die an der Erhaltung ihrer Privilegien interessiert sind, um die Gunst des Volkes buhlen und so untereinander in einem Konkurrenzverhältnis stehen, was eine gewisse Transparenz ihrer politischen Tätigkeiten garantieren soll (Vgl. G. Sartori in P. Bachrach, 1970, S. 54ff.)[54]. Diese Überlegung ist für die Theorie der <<Demokratische Elitenherrschaft>> von zentraler Relevanz, denn sie ist eigentliche Voraussetzung für die Annahme, dass die Eliten trotz ihrer grossen Handlungsautonomie auch wirklich <<Diener der Masse>> bleiben würden.

Wir können nun sagen, dass die Bedeutung der <<Demokratischen Elitenherrschaft>> als ganzheitliche demokratietheorietische Konzeption darin besteht, dass die der klassischen liberalen Demokratietheorie und ihrer Postulierung von Freiheit und Gleichheit zugrundeliegen Prämissen bezüglich des Verhältnisses von Elite und Masse, gerade umgekehrt werden. Die grösste Gefahr für ein demokratisches System geht nicht mehr von einer willkürlich und selbstsüchtig herrschenden Elite aus wie sie die Monarchien einst darstellten, sondern gerade von der unberechenbaren Masse des Volkes. Die Eliten werden aufgrund ihres demokratischen Bestrebens und savoir-faire als die wichtigsten Hüter des Systems angesehen.

Stellen wir uns die Frage, auf welche Weise die Konzeption der <<Demokratischen Elitenherrschaft>> den demokratisch relevanten Werten der Freiheit und der Gleichheit Rechnung trägt und in welchem Verhältnis diese zueinander stehen, so können wir verallgemeinernd feststellen, dass der Wert der Gleichheit zugunsten der Aufrechterhaltung und Bewahrung der Freiheit zurückgestellt wird. Letzterer ist der gesellschaftlich dominierende Wert, der sich insbesondere im Effizienzstreben des ökonomischen Subsystems ausdrückt. Den Wert der Gleichheit interpretiert <<Demokratische Elitenherrschaft>> in erster Linie als Chancengleichheit, d.h. in Form der gleichen Startbedingungen für alle Mitglieder der Gesellschaft.[55] Dadurch rechtfertigt sie die gesamtgesellschaftlich ungleiche Verteilung von Machtressourcen, welche durchaus auch <<Ungleichheiten in der Fähigkeit zur wirksamen Durchsetzung des Prinzips der Selbstbestimmung>> impliziert (Vgl. R. Dahl, 1975, S. 95, Kap. 3.1.: <<Erstes Problem: Ungleiche Verteilung der Ressourcen>>). Diesem Umstand schenkt die Konzeption <<Demokratischer Elitenherrschaft>> allerdings nicht weiter Beachtung, da sich die demokratisch verantwortungsvollen - und sich gegenseitig konkurrierenden - Eliten ohnehin an den Bedürfnissen des Volkes orientieren.

Die Interpretation von Gleichheit als eigentliche Machtgleichheit hält <<Demokra-tische Elitenherrschaft>> ausschliesslich im politischen Subsystem in Form der politischen Gleichberechtigung von <<one man one vote>> für legitim. Eine Ausdehnung des Anspruchs der Machtgleichheit auf die ganze Gesellschaft, insbesondere auf das ökonomische Subsystem, verwirft <<Demokratische Elitenherrschaft>> unter Vorbringung des Effizienzarguments vehement und bezeichnet solche Vorstellungen angesichts der Irreversibilität der heutigen Arbeistteilung zuweilen auch als <<Sozialromantik>>. Wir erkennen darin, dass die Idee einer <<Demokratischen Elitenherrschaft>> in ihrem Versuch einer Revidierung der klassischen liberalen Demokratievorstellung durchaus eine gewisse Realitätsnähe aufweist. Sowohl die Relativierung bzw. die Anpassung des Gleichheitspostulats an unsere modernen, hoch differenzierten Gesellschaften sowie die Tatsache, dass der Vorwurf der demokratischen Unmündigkeit des Durchschnittsbürgers durchaus von den Ergebnissen moderner empirischer Forschung gestützt wird[56], weisen deutlich darauf hin. Man könnte sagen, dass es sich bei der Konzeption der <<Demokratischen Elitenherrschaft>> um eine tendenziell empirische Demokratietheorie handelt. Die gesellschaftliche Realität von Herrschaft wird für das Funktionieren eines demokratischen Systems dabei als notwendig erachtet. Eine normative Demokratietheorie hingegen würde gerade diesen Umstand als grösstes Hindernis für eine effiziente Demokratisierung sehen.

Dass Demokratie aus der Sicht der <<Demokratischen Elitenherrschaft>> keinen solchen normativen Inhalt hat, zeigt sich auch klar in der Argumentation Schumpeters.[57] Für Schumpeter bedeutet Demokratie nämlich nicht, <<...dass das Volk tatsächlich herrscht, jedenfalls nicht im üblichen Sinn der Begriffe <<Volk>> und <<herrschen>>. Demokratie bedeutet nur, dass das Volk die Möglichkeit hat, die Männer, die es beherrschen sollen, zu akzeptieren oder abzulehnen.>> (J. Schumpeter, 1950, S. 452). Schumpeter bringt das Demokratieverständnis <<Demokra-tischer Elitenherrschaft>> explizit auf den Punkt, wenn er weiter sagt, Demokratie sei in erster Linie<<eine politische Methode, das heisst: eine gewisse Art institutioneller Ordnung, um zu politischen (...) Entscheidungen zu gelangen, und daher unfähig, selbst ein Ziel zu sein.>> (Ebd., S. 384).

Indem die Theorie <<Demokratischer Elitenherrschaft>> Demokratie als reine Methode mit nur geringem normativem Inhalt versteht, ist sie insofern affirmativ, als sie es nicht vermag, den status quo der Herrschaftsverhältnisse in existierenden demokratischen Systemen zu hinterfragen. Dies ist nicht ihr Ziel. Wie wir gesehen haben, liegt die Problematik moderner demokratischer Systeme für die <<Demokra-tische Elitenherrschaft>> nicht darin, die soziale Realität gemäss den klassisch-demokratischen Idealen zu gestalten, sondern gerade darin, diese Ideale neu d.h. eben <<realitätsbezogen>> zu definieren. Dass eine solche Neubestimmung von Demokratie keineswegs zwingende Konsequenz der modernen Demokratieproblematik sein muss, soll im folgenden Kapitel mit der Behandlung einer alternativen Demokratiekonzeption gezeigt werden.

Inhalt

4.2 Dynamische Demokratie

Wie auch schon bei der Konzeption der <<Demokratischen Elitenherrschaft>>[58] handelt es sich bei der <<Dynamischen Demokratie>> weniger um eine bestimmte Theorie, sondern um einen idealtypischen, kategorialen Begriff, der eine Vielzahl verschiedener demokratietheoretischer Ansätze in sich vereint. Deren Gemeinsamkeit besteht darin, dass sie alle mehr oder weniger stark eine quantitative und qualitative Ausdehnung der demokratische Prinzipien in den modernen Gesellschaften postulieren.

Auch die Konzeption der <<Dynamischen Demokratie>> ist eine Reaktion auf die sozialwissenschaftliche Erkenntnis, dass in den modernen westlichen Demokratien die wichtigsten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungen von elitären Minoritäten getroffen werden. Die Konsequenz, die sie daraus zieht unterscheidet sich aber von der der <<Demokratischen Elitenherrschaft>> in grundlegendster Weise. Das moderne Scheitern der klassischen Demokratievorstellung - insbesondere des implizierten Gleichheitsprinzips - wird nicht darauf zurückgeführt, dass diese auf realitätsfremden Fehlüberlegungen beruht, sondern einfach darauf, dass sie ihre - durchaus vernünftig begründeten - normativen Ansprüche im Konflikt mit der sozialen Realität und insbesondere der Macht existierender Eliten bis heute noch nicht durchsetzen konnte. Nicht nur weigert sich also <<Dynamische Demokratie>> wie die <<Demokratische Elitenherrschaft>> die heutige Eliten-Massenstruktur als unüberwindlich oder gar erforderlich für das gute Funktionieren einer Demokratie zu sehen, sondern sie sieht in ihrer Existenz gerade den Grund dafür, dass es bis heute nicht zu einer erfolgreichen gesamtgellschaftlichen Demokratisierung gekommen ist.

In ihrer Bemühung, <<...eine demokratische Theorie für das zwanzigste Jahrhundert zu schaffen...>> (P. Bachrach, 1970, S. 118), will die <<Dynamische Demokratie>> dann auch nicht einfach die klassische Demokratievorstellung abändern und den heutigen Realitäten anpassen, sondern versuchen, die moderne Gesellschaft mit Hilfe einer realistischen, aber weiterhin normativen Demokratie- und Gesellschaftstheorie zu begreifen und zu gestalten. Es scheint klar, dass <<Dynamische Demokratie>> aufgrund dieser theoretischen Prämissen auch erklärter Gegner der <<Demokratischen Elitenherrschaft>> ist. Bachrach z.Bsp. macht den Vertretern jener Richtung folgenden polemischen Vorwurf:<<Sich jenen Kräften, die die Demokratie zu verstümmeln drohen, unterwerfen zu wollen, Werte eilfertig den Tatsachen anzupassen, wenn sich diese gegen uns kehren, das ist nicht die Haltung eines Wissenschaftlers, sondern eines Defaitisten.>> (P. Bachrach, 1970, S. 119, Kap. 7: <<Ein alternativer Weg>>, Bachrachs Kritik an der <<Demokratischen Elitenherrschaft>>).

Für die <<Dynamische Demokratie>> führt jegliche Elitenbildung zu einer Entdemokratisierung. Die elitäre Minderheit, die keineswegs in einem kontinuerlichen Interaktionszustand mit der Masse des Volkes steht[59], benützt ihren Informationsvorsprung tatsächlich zu deren Manipulation und kehrt somit das demokratisch intendierte Machtverhältnis um. Auch allgemeine, formal demokratische Wahlen und Abstimmungen sind so de facto undemokratisch, da die Meinungsbildung der Bevölkerung jeweils unter der manipulativen Beeinflussung der politischen Eliten steht. Die von der <<Demokratischen Elitenherrschaft>> angenommene Elitenkonkurrenz kann ebenfalls angezweifelt werden. Die <<Dynamische Demokratie>> geht vielmehr von einem Elitenkonsens aus. Die mangelnde Kontrolle und der grosse Wissensvorsprung der Eliten scheinen den erwünschten positiven Effekt des Elitenpluralismus nämlich zu untergraben. Elitengruppen, die theoretisch z.Bsp. aufgrund ihrer unterschiedlichen Parteienzugehörigkeit in einem Konkurrenzverhältnis stehen sollten, scheinen in der Realität ihren Konflikt untereinander zu reduzieren;

<<Das Verhältnis von Konflikt und Konsens ist auf der Ebene der Eliten ein anderes als auf der Ebene der Nicht-Eliten. Empirische Untersuchungen kommen zu einem Ergebnis, das zumindest auf eine Neigung kompetitiver Eliten schliessen lässt, in ihrem eigenen Bereich den Konsens in einem Ausmass zu stabilisieren, der auf der Ebene der Nicht-Eliten keine Entsprechung findet.>> (A. Pelinka, 1974, S. 37).

Wohlgemerkt würde der <<Demokratischen Elitenherrschaft>> mit der Widerlegung der Idee der Elitenkonkurrenz die Voraussetzung dafür genommen, dass sich die politischen Eliten auch tatsächlich am Allgemeinwohl orientieren. Sie wäre dann nichts weiteres als ein positivistischer Versuch, die heutigen gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse zu rechtfertigen, oder aber eine wahrhaft realitätsfremde Theorie, da ihr letztlich nur die naive Hoffnung auf das demokratische Wohlwollen der politischen Eliten bleibt.

Im Folgenden wollen wir uns zunächst aber wiederum die Frage stellen, auf welche Weise die <<Dynamische Demokratie>> den demokratisch relevanten Werten der Freiheit und der Gleichheit Rechnung trägt und in welchem Verhältnis diese zueinander stehen. Was die Gleichheit angeht, so wird sie von der <<Dynamischen Demokratie>> durchaus als Machtgleichheit verstanden. Es soll und kann an dieser Stelle zwar nicht detailliert auf die Definitionsproblematik von Macht eingegangen werden, aber es ist unumstritten, dass sich die Mehrheit der unterschiedlichen zuweilen nuanciert differenzierenden Machtdefinitionen in der Weberschen Definition auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. Er versteht Macht bekanntlich als 

<<Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzten, gleichviel worauf diese Chance beruht.>> (Max Weber in: A. Pelinka, 1974, S. 39).

Ein solches Verständnis von Macht verdeutlicht, dass eine demokratische Theorie, die sich am Prinzip der Selbstbestimmung orientiert, zwangsläufig in Konflikt mit bestehenden Machtstrukturen geraten muss, da Macht per definitionem Fremdbestimmung impliziert. Dies ist der Grund, weshalb <<Dynamische Demokratie>> Gleichheit als Machtgleichheit versteht. Da Macht als soziales Phänomen omnipräsent ist, beschränkt sich das Postulat der Machtgleichheit der <<Dynamischen Demokratie>> auch nicht nur auf das politische Subsystem sondern beansprucht gesamtgesellschaftliche Gültigkeit[60] Demokratie im Sinne der <<Dynamischen Demokratie>> ist deshalb keineswegs bloss eine Entscheidungsmethode, sondern eine bestimmte Form der Vergesellschaftung, die sehr wohl durch konkrete normative Inhalte bestimmt ist. (Vgl. u.a. A. Pelinka, 1974, S. 28 ff., Kap. 1.2.: <<Extensive Demokratie - Demokratie als Veränderung>>).

Die Ausdehnung der als Macht-Veränderung verstandenen Demokratisierung in sämtliche Gesellschaftsbereiche (U.a. K. O. Hondrich, 1972, S. 24/25) bringt die <<Dynamische Demokratie>> ganz offensichtlich in Konflikt mit dem Effizienzargument. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Auseinandersetzung darüber, wie sich Effizienz und Gleichheit nun wirklich zueinander verhalten, mangels ausreichender empirischer Evidenz nicht entschieden ist.[61] Hier sei nur gesagt, dass es auch Untersuchungen gibt, die auf eine positive Korrelation zwischen Effizienz und Gleichheit hinweisen. Karl Otto Hondrich z.Bsp. erwähnt in der Einleitung zu seinem Werk <<Demokratisierung und Leistungsgesellschaft>> zwei Beispiele aus der Industriesoziologie, die einen solchen Zusammenhang suggerieren (K. O. Hondrich, 1972, S. 19 ff.) Hondrich stellt schliesslich die These auf, dass Demokratisierung in sozialen Systemen zu Leistungssteigerung führt, solange folgende Bedingungen erfüllt werden:

  • Leistungs-Mittel und -Ziele sind variabel

  • Demokratisierung erfolgt verhältnismässig zu den Leistungs-Mitteln

  • Demokratisierung wird im Vergleich zu andern Befriedigungen relativ konstant bewertet

  • Es besteht weitgehende Übereinstimmung in bezug auf Leistungs-Ziele und die sie vertretenden Instanzen.

Hondrich weist einschränkend darauf hin, dass das direkt auf eine Demokratisierung zurückführbare Ausmass an Leistungssteigerung gering ist, da es noch unzählige weitere Faktoren gibt, die Leistung determinieren: 

<<Dadurch wird die empirische Überprüfung der These erschwert. Ihre politische bzw. handlungsleitende Relevanz darf nicht zu hoch veranschlagt werden, wenn man als Ziel nur Leistungssteigerung als Produktivitätserhöhung im Auge hat; strebt man dagegen in erster Linie Demokratisierung an, dann genügt es schon zu wissen, dass dieses Ziel unter bestimmten Bedingungen mit dem der Leistungssteigerung verträglich ist.>> (Alle Ausführungen ebd., S. 36 ff.)

Für die <<Dynamischer Demokratie>> trifft dieser letzte Punkt zu: Demokratisierung gilt als oberstes gesamtgesellschaftliches Ziel, auf das sich alle Systemeinheiten ausrichten. Gleichheit soll zur gesellschaftlichen Idee der Organisation werden.  

<<Da die Schrankenlosigkeit der Freiheit angesichts der Güterknappheit nicht zu verwirklichen ist, bedarf jede Gesellschaft einer bestimmten Formung, einer Ordnung der Freiheit. Die Demokratie will das Prinzip Gleichheit in den Mittelpunkt dieser Ordnung stellen.>> (A. Pelinka, 1974, S. 73)

Der Wert der Freiheit wird in der <<Dynamischen Demokratie>> lediglich insofern beschnitten, als das Gleichheitspostulat eine einseitige und uneingeschränkte Machtakkumulation durch eine egalitäre Umverteilung verhindern will.[62] <<Dynamische Demokratie>> stellt somit die gesellschaftliche Arbeitsteilung auch nicht grundsätzlich in Frage, sondern sie fordert, dass Hierarchisierung und Machtstrukturen auf ihr funktional notwendiges Mass beschränkt bleiben, und nicht auf derivativem Machtüberschuss beruhen (Vgl. K. O. Hondrich, 1972, Kap. 2.3., S. 56 ff.)[63] Herrschaft muss immer demokratisch legitimiert werden können. Demokratische Legitimation von Herrschaft bedeutet auch, dass Autoritäten in grösstmöglichem Ausmass an die Interessen derer gebunden werden, auf die sich ihre Macht bezieht. Die freie Bestellung, die freie Kontrolle und die freie Ablösung der rein funktional begründeten Eliten muss gewährleistet sein. Sie müssen in kontinuierlicher Abhängigkeit von ihren Auftraggebern stehen, damit verhinidert wird, dass sie sich vom Volk emanzipieren.[64] Obwohl es zwar auch erklärtes Ziel der <<Dynamischen Demokratie>> ist, direkte Partizipation in allen Gesellschaftsbereichen in denen kollektiv verbindliche Entscheidungen gefällt werden, auszubauen, erkennt sie die Notwendigkeit von Repräsentativsystemen an. Macht soll aber beschränkt und kontrolliert werden.

<<Die dynamische Demokratie ist nicht herrschaftsfeindlich, sie ist jedoch herrschaftsskeptisch. Sie ist nicht gegen die Obrigkeit an sich, sie wirft aber immer wieder die Frage auf, wie eine konkrete Obrigkeit noch intensiver in den demokratischen Mechanismus eingespannt werden kann.>> (A. Pelinka, 1974, S. 33)

Die wichtigste Prämisse, die der <<Dynamischen Demokratie>> im Sinne einer dem demokratischen Ideal der Volksherrschaft verpflichteten Gesellschaftsvision, zugrunde liegt, und ohne welche wohl ihre ganze Existenz in Frage gestellt würde, ist die, dass Gesellschaft plan- und gestaltbar ist. Demokratie und Determinismus nimmt sie als grundsätzlich unvereinbar an - Zukunft geschieht nicht, sondern sie wird gemacht. Damit Gesellschaft aktiv geplant und gestaltet werden kann , muss sie offen sein, d.h. sie muss ein Maximum an unterschiedlichen Gestaltungsimpulsen einfliessen lassen. Konfliktfähigkeit und Öffentlichkeit sind in diesem Sinne wichtige Voraussetzungen für das Funktionieren eines demokratischen Systems: 

<<Mehr Demokratie erfordert mehr Offenheit; mehr Offenheit erfordert mehr Konflikt. Demokratie bedeutet gesellschaftliche Unruhe.>> (Ebd., S. 57)

Dynamische Demokratie ist sich der Probleme und Hindernisse durchaus bewusst, die der gesellschaftlichen Umsetzung ihres normativen Inhalts im Wege stehen. Hierzu zählt nicht zuletzt auch die von der <<Demokratischen Elitenherrschaft>> so stark thematisierte demokratische Unmündigkeit des Durchschnittsbürgers. <<Dynamische Demokratie>> versteht diesen Umstand aber nicht als eine unabänderliche Tatsache, sondern sieht dessen Ursprung gerade in der Eliten-Massenstruktur der modernen Gesellschaft begründet. Werden diese Herrschaftsstrukturen nun kontinuierlich abgebaut, so dürfte sich auch das Bewusstsein der Menschen ändern; 

<<Die Mehrheit der Individuen kann nur durch eine aktivere Partizipation an bedeutsamen Entscheidungen des Gemeinwesens Selbstbewusstsein gewinnen und ihre Fähigkeiten besser entfalten. Das Volk hat daher im allgemeinen ein doppeltes politisches Interesse - Interesse an den Endresultaten und Interesse am Prozess der Partizipation.>> (P. Bachrach, 1970, S. 119/120)[65]

<<Dynamische Demokratie>> erkennt auch die Bedeutung der Sozialisation. Sozialwissenschaftliche Forschungen zur sozialen Schichtung zeigen ja immer wieder, dass durch den Sozialisationsprozess bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten perpetuiert und verfestigt werden.<<Dynamische Demokratie>> will diesen Prozess brechen und eine Sozialisation im Dienste des gesellschaftlichen Leitmotivs der Gleichheit schaffen. 

<<Die dynamische Demokratie kann sich mit einer affirmativen, bloss adaptiven Sozialisation niemals abfinden. Die dynamische Demokratie will vielmehr die Sozialisation als gesellschaftliches Korrektiv einsetzen, als mittel der Egalisierung. Die Sozialisation ist als ein mögliches Instrument eines gesellschaftlichen Ausgleichs anzusehen.>> (A. Pelinka, 1974, S. 105)

Es zeigt sich klar, dass <<Dynamische Demokratie>> in ihrer kontinuierlichen Hinterfragung gesellschaftlicher Machtverhältnisse an die soziale Realität ungleich höhere Ansprüche stellt, als dies die Konzeption der <<Demokratischen Elitenherrschaft>> tut, welche den Demokratiebegriff auf eine blosse Entscheidungsmethode reduziert. All die hier angeführten Merkmale der <<Dynamischen Demokratie>>, auch wenn sie hier nur oberflächlich gestreift wurden, können letzten Endes auf ein und dieselbe Prämisse zurückgeführt werden, nämlich die, dass Demokratie im Sinne einer bestimmten idealtypische Form von Vergesellschaftung auch in der heutigen Zeit normativ verstanden werden muss.

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5. Persönliche Bewertung

In diesem letzten Teil der Arbeit werde ich versuchen, die beiden behandelten DemokratieKonzeptionen in einem grösseren Kontext sprich in ihren gesamtgesellschaftlichen Implikationen zu bewerten. Einschränkend sollte vielleicht gesagt werden, dass ich dabei zugunsten einer kohärenten und möglichst weitreichenden Problemdarstellung darauf verzichten werde, alle die hier aufgestellten Thesen und supponierten Wirkungszusammenhänge wissenschaftlich korrekt zu unterstützen.

Wenn wir <<Demokratische Elitenherrschaft>> und <<Dynamische Demokratie>> auf ihre konkreten Vor- und Nachteile untersuchen wollen, so scheint es mir wichtig, danach zu fragen, wie sich der unterschiedliche Realitätsbezug der beiden Konzeptionen auf eine kritische komparative Auseinandersetzung mit ihren Inhalten auswirken könnte. Wir haben gesehen, dass sich <<Demokratische Elitenherrschaft>> näher bei der sozialen Realität bewegt, als dies die <<Dynamische Demokratie>> mit ihren sehr allgemein gefassten, normativen Inhalten tut. Betrachten wir die Annahme, dass heute selbst moderne Demokratien de facto von einer oder mehreren Elitengruppen geführt werden, als gegeben an - dies war wohlgemerkt die Prämisse, die beiden Interpretationen von Demokratie vorangestellt war - so können wir die <<Demokratische Elitenherrschaft>> durchaus als die Form von Demokratie bezeichnen, die wir in der sozialen Realität vorfinden.[66] <<Dynamische Demokratie>> auf der anderen Seite erscheint losgelöst von gesellschaftlicher Praxis als ein rein theoretisches Gedankenexperiment.

Dies hat insofern Auswirkungen auf die Überprüfbarkeit der verwendeten Argumente, als dass sich <<Demokratische Elitenherrschaft>> mit konkreten, sozialwissenschaftlichen Forschungsresultaten konfrontiert sieht, die ihre theoretischen Prämissen in Frage stellen, während die Überprüfung der Thesen der <<Dynamischen Demokratie>> als die eines fiktiven Gesellschaftsmodells schwerer ist. Die Durchführbarkeit von <<Dynamischer Demokratie>> steht somit unter einem ungleich grösseren Rechtfertigungszwang, will sie nicht zu einer ideologisierenden Utopie verkommen. Es ist klar, dass es sich eine solche Demokratietheorie nicht leisten kann, bloss in abstraktem Theoretisieren zu verharren, sondern dass sie auch konkret werden muss.

Beschäftigen wir uns etwas genauer mit der Idee der <<Dynamischen Demokratie>>, so muss der Utopievorwurf freilich relativiert worden. Die Argumentation der <<Dynamischen Demokratie>> kann keineswegs lediglich als Ausdruck einer weltfremden Sozialromantik bezeichnet werden. Erstens beruft sie sich in der Formulierung ihrer Gesellschaftsvision klar auch auf sozialwissenschaftliche Empirie, und zweitens ist sie sich der Tragweite und der Probleme bei der Umsetzung ihrer Postulate bewusst. <<Dynamische Demokratie>> macht auch konkrete Vorschläge zur Erreichung ihrer Ziele. Pelinka z.Bsp. weist im Zusammenhang mit der Oligarchisierungsproblematik auf die Bedeutung von Elitenrotationsmodellen hin. Des weiteren betont er die Notwendigkeit, Macht operationalisierbar zu machen, denn nur wenn klare Kriterien zu Erfassung des zugegebenermassen abstrakten Begriffs festgelegt werden, kann der Anspruch, Machtgleichheit gesamtgesellschaftlich zu optimieren, überhaupt erst als realistisch akzeptiert und ernsthaft diskutiert werden (A. Pelinka, 1974, S. 63ff., Kap. <<Gleichheit - Massstab der Gesellschaft>>). Auch sei in diesem Zusammenhang noch einmal betont, dass <<Dynamische Demokratie>> Machtgleichheit als ein Ideal sieht, an das es sich anzunähern gilt, das aber angesichts des Ausmasses der heutigen Arbeitsteilung nie in reiner Form erreicht werden kann.

<<In erster Linie ergibt sich nicht zwingend, dass ein politisches Kriterium deshalb, weil es nicht vollkommen erfüllt werden kann, für alle praktischen Zwecke aufgegeben werden sollte. Ich sehe keinen Grund, warum ein sowohl als erstrebenswertes Ideal wie als Massstab zur Beurteilung des Fortschritts eines politischen Systems bei der Verwirklichung dieses Ideals dienendes Prinzip praktisch vollkommen realisierbar sein muss, um seine Funktion zu erfüllen.>> (P. Bachrach, 1970, S. 104)

Der unterschiedliche Realitätsbezug der beiden Demokratiekonzeptionen wirkt sich natürlich nicht nur auf die Argumentationsgrundlage der <<Dynamischen Demokratie>>, sondern auch auf die der <<Demokratischen Elitenherrschaft>> aus. Letztere setzt sich nämlich, wie bereits erwähnt wurde, in ihrer Bejahung des status quo dem Verdacht aus, blosse ideologische Rechtfertigung der bestehenden Machtverhältnisse zu sein. Auch ihr angeblich empirischer Charakter ist nicht über alle Zweifel erhaben, denn einige wichtige, für das Funktionieren des Modells essenzielle Prämissen scheinen empirisch kaum hinreichend verifizierbar zu sein. Dazu gehört nicht nur die Elitenkonkurrenz, an deren Stelle in der sozialen Realität wohl eher ein Elitenkonsens bzw. eine entsprechende Konfliktreduktion tritt[67], sondern z.Bsp. auch die Annahme, die Bürger könnten auf die Politik der Elite mittels Organisation in Interessensgruppen zwischen den Wahlen genügend Einfluss nehmen und hätten damit bereits ein angemessenes Mittel der Partizipation. Forschungen zeigen nämlich, dass auch in pluralistischen Gesellschaften nur eine Minderheit, der Menschen, und dies insbesondere wenn sie unteren sozialen Schichten angehören, Mitglieder organisierter Interessensgruppen sind (P. Bachrach, 1970, S. 51). Des weiteren sind auch die Annahmen, welche Dynamische Elitenherrschaft für die aufrechtzuerhaltende Autonomie des ökonomischen Subsystems vorbringt, eher falsifiziert als bestätigt.

Einerseits ist das Prinzip der Chancengleichheit durch den sozialwissenschaftlichen Nachweis der Statusvererbung weitgehend als illusorisch erkannt worden. Andererseits lässt sich heute auch ganz grundsätzlich die liberalistische Idee des freien Marktes, der aufgrund seiner Betonung der Kompetivität eine optimale Orientierung an den Bedürfnissen der Menschen garantieren sollte und deshalb als der Demokratie zuträglich oder gar als deren Bedingung bezeichnet wird, u.a. aufgrund der heutigen Entwicklungstendenzen in Richtung Monopolkapitalismus in Frage stellen (A. Pelinka, 1974, S. 90).

Die grösste Fehlüberlegung der <<Demokratischen Elitenherrschaft>> allerdings liegt anderswo. Indem sie nämlich von Eliten ausgeht, die aufgrund ihrer demokratischen Reife für das Volk ohne dessen Zutun immer das Beste anstreben und umsetzen, geht sie mitunter von einem verkürzten Bedürfnissbegriff aus. Demokratische Elitenherrschaft sieht die allgemeinen Bedürfnisse lediglich als Resultat und nicht als Prozess, d.h. sie lässt ausser acht, dass gerade die Partizipation am Entscheidungsprozess an sich selber ein Wert ist. Damit vernachlässigt die <<Demokratische Elitenherrschaft>> klar das fundamentale demokratietheoretische Prinzip der Selbstbestimmung. <<Dynamische Demokratie>> hingegen geht davon aus, dass selbst wenn die gegen jegliche Machtkorrumption immunen, moralisch perfekten Führer wie z.Bsp. die Philosophen in Platons <<Staat>> tatsächlich existierten, diese niemals einen Ersatz für die <<Volksherrschaft>> sein könnten, weil es eben auch eines der Grundbedürfnisse der Menschen ist, ihr Leben selber zu bestimmen bzw. sich und ihre Bedürfnisse bei der Gestaltung der Gesellschaft einzubringen (Vgl. P. Bachrach, 1970, S. 13 ff.).

Der Einwand der <<Demokratischen Elitenherrschaft>>, dies sei angesichts der Apathie und der Unmündigkeit der Menschen nicht möglich oder nicht erwünscht, ist ebenfalls Ausdruck einer verkürzten Sicht, in dem Sinne nämlich, dass <<Demokratische Elitenherrschaft>> die Frage nach den sozialen Ursachen dafür erst gar nicht stellt, sondern die Unmündigkeit als unabänderliche Tatsache hinnimmt und präsentiert. <<Dynamische Demokratie>> wiederum versteht die Apathie und Unmündigkeit der BürgerInnen gerade als Folgeerscheinungen der modernen Eliten-Massenstruktur. Sie sind nicht zuletzt auf die für die modernen, kapitalistisch hoch entwickelten Länder charakteristische Verkürzung des individuellen Lebensinhaltes zurückzuführen. So wie nämlich die materiellen Bequemlichkeiten und Verschönerungen des eigenen Lebens für die Menschen in den Vordergrund rückten und zu primären Bedürfnissen wurden, so verschwand auch zunehmends der Anspruch an die Gesamtgesellschaft, möglichst offen und vielseitig gestaltbar zu bleiben. Der Stellenwert der Demokratie in den Köpfen der Menschen sank kontinuierlich und überhaupt ging das Bewusstsein, dass Gesellschaft ein soziales Konstrukt ist, zunehmend verloren. Dies liess zu, dass die Formung und die Steuerung des sozialen Systems weiterhin in den Händen einer elitären Minorität blieb.

Die Emanzipation wurde und wird dadurch zusätzlich insofern erschwert, als die herrschenden Eliten ihren Machtvorsprung zuweilen bewusst zur Erhaltung der bestehenden Machtverhältnisse einsetzen, sei es einerseits weil sie ihre persönlichen Privilegien nicht aufgeben wollen, andererseits aber auch weil sie überzeugt sind, für die effiziente Führung der Gesellschaft unabdingbar zu sein. Die Wenigen, die versuchen, grundsätzlich alternative Wege zur bestehenden Gesellschaftform zu verfolgen oder auch nur schon zu thematisieren, haben angesichts der Übermacht der politischen Elite, aber insbesondere der von diesen geschickt manipulierten, eindimensional nicht über die Systembedingtheit hinaus denkenden grossen Masse der Bevölkerung kaum eine Chance[68]. Die Eliten-Massenstruktur verschliesst somit die Gesellschaft bzw. verhindert deren Öffnung für grundsätzlich neue Ideen und beeinträchtigt mitunter auch die Konfliktfähigkeit des ganzen sozialen Systems. Ihre Beseitigung wird zur eigentlichen Bedingung für das Entstehen einer demokratischen, freien Gesellschaft.

Gerade auch eine solche Rückführung der <<Dynamischen Demokratie>> auf eine kritische Theorie der modernen Gesellschaft wie sie die Frankfurter Schule vertrat, mag den Vorwurf produzieren, die ganze hier geführte Diskussion und insbesondere die Gegenüberstellung von <<Dynamischer Demokratie>> und <<Demokratischer Elitenherrschaft>> seien nicht zeitgemäss. Nun, es scheint unbestritten, dass es sich die Sozialwissenschaften der Gegenwart nicht leisten können, jahrzehntealte Theorien unreflektiert in ihrer Ganzheit zu übernehmen und weiterhin als erklärungssignifikant weiterzuführen. In diesem Sinne müssten sicherlich auch die kritische Theorie der <<Dynamischen Demokratie>> sowie die <<Demokratische Elitenherrschaft>> und ihre theoretischen und empirischen Prämissen genauer auf ihre Aktualität untersucht werden. Eine weitere interessante Frage wäre auch, inwiefern postmaterialistische Theorieansätze die vorliegende Diskussion bereichern würden. All dies konnte in dieser Arbeit leider nicht berücksichtigt werden.

An mehreren Stellen dieser Arbeit wurde aber auf die Aktualität hingewiesen, die den hier gemachten Ausführungen im Zusammenhang mit dem heutigen gesellschaftlichen Wandel zukommt.[69] Es wurde die These aufgestellt, dass nicht zuletzt aufgrund der sich immer schneller ändernden Produktionsverhältnisse - Stichwort Globalisierung - ein grösserer Effizienzdruck auf die Demokratie bzw. die demokratisierten politischen Subsysteme vorhanden ist. Die modernen Gesellschaften scheinen heute an einem Wendepunkt zu stehen, an dem Demokratie als Mittel zur sozialen Richtungsgebung im Brennpunkt divergierender Interessen steht. Auch wenn die unterschiedlichen Forderungen an die Demokratie nicht immer so klar formuliert werden wie dies die beiden hier besprochenen Demokratiekonzeptionen tun, so sind die beiden Richtungen in der modernen Demokratiediskussion doch eindeutig spürbar. Immer wieder lassen sich nämlich - und gerade in diesem Sinne soll die vorliegende Arbeit eine Orientierungshilfe sein - die vorgebrachten Argumente und Meinungen entsprechend des in der Einleitung präsentierten Schemas auf die simple aber äusserst relevante Frage reduzieren, ob wir die bestehenden demokratischen Mechanismen beschneiden oder aber erweitern wollen. <<Demokratische Elitenherrschaft>> und <<Dynamische Demokratie>> sind somit die zwei möglichen idealtypischen Entwicklungspfade, zwischen denen wir uns heute entscheiden müssen.

Ich glaube in dieser Arbeit nicht zuletzt auch anhand der historisch begründeten Annäherung an das Phänomen Demokratie sowie der Hervorhebung einzelner Problemfelder gezeigt zu haben, dass im Sinne einer asymptotischen Annäherung an das Ideal der <<Volksherrschaft>> das Demokratieverständnis der <<Dynamischen Demokratie>> demjenigen der <<Demokratischen Elitenherrschaft>> vorzuziehen ist. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass sich die Gesellschaft mit einem Schlag in diese Richtung lenken lässt, so birgt der heutige ökonomische und soziale Wandel doch ein enormes Veränderungspotential in sich, und die Möglichkeit, die Demokratisierung der Gesellschaft endlich weiter voranzutreiben ist realer denn je. Voraussetzung dazu ist, dass wir Demokratie als das wiedererkennen, was sie einst war und was sie auch heute sein muss: eine potentiell revolutionäre Doktrin.

Inhalt


6.Literaturverzeichnis

Bachrach, Peter: Die Theorie demokratischer Elitenherrschaft, Kritische Studien zur Politikwissenschaft. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1970

Bobbio, Norberto: Die Mehrheitsregel: Grenzen und Aporien. In: An den Grenzen der Mehrheitsdemokratie, Guggenberger B. / Offe K. (Hrsg.) Westdeutscher Verlag, Opladen 1984, S. 108-131

Dahl, Robert: Und nach der Revolution?, Herrschaft in einer Gesellschaft freier Menschen. Campus, Frankfurt / New York 1975

Hondrich, Karl Otto: Demokratisierung und Leistungsgesellschaft, Macht- und Herrschaftswandel als sozio-ökonomischer Prozess. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1972

Marcuse, Herbert: Der eindimensionale Mensch, Studien zur Ideologie der fort-geschrittenen Industriegesellschaft. Ex Libris, Zürich 1967

Michels, Robert: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, Kröner Verlag, Stuttgart 1970, S. 24-86

Pelinka, Anton: Dynamische Demokratie, Zur konkreten Utopie gesellschaftlicher Gleichheit. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1974

Rauch, Herbert: Partizipation und Leistung in Grossgruppensitzungen. In: Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien. Sonderheft 25 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Neidhart Friedhelm (Hrsg.), Westdeutscher Verlag, Opladen 1983: 256-274

Sartori, Giovanni: Selbstzerstörung der Demokratie? Mehrheitsentscheidungen und Entscheidungen in Gremien. In: An den Grenzen der Mehrheitsdemokratie, Guggenberger B. / Offe K. (Hrsg.) Westdeutscher Verlag, Opladen 1984, S. 83-107

Schumpeter, Joseph: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. A. Francke Verlag, Bern 1950

Simmel, Georg: Exkurs über die Überstimmung. In: Soziologie; Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Duncker & Humblot, Berlin 1983, S. 142-147

Weber, Max: Parlamentarismus und Demokratie. In: Wirtschaft und Gesellschaft, Mohr, Tübingen 1972, S. 857-868

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7.Weitere Verweise:

* Ein Effizienzproblem?!: <<Das Kollegialsystem am Anschlag>>, Neue Zürcher Zeitung Nr. 250, 26./27.10.96, S. 13

* Einer der zahlreichen Beiträge zur anstehenden Totalrevision der Bundesverfassung: <<Volksrechte nicht erschweren>>, Tages-Anzeiger, 14./15.9.96.

* Diskussion um die PUKs (Parlamentarische Untersuchungskommissionen): <<Schafft die PUKs ab! Nur permanent gründliche Kontrolle kann Vertrauen schaffen.>>, Tages-Anzeiger, 19./20.10.96, S. 2 (auch S. 5 und 15)

* Diskussion um New Public Management: <<Wenn Manager den Staat drannehmen>>, Tages-Anzeiger, 9.10.96, S. 2

* Evaluation der Verwaltung des Kantons Genf nach NPM-Kriterien: <<L'Etat de Genève ausculté: un diagnostic impitoyable>>, Le Nouveau Quotidien, 16.10.96, S. 1, 2, 10

* Interview mit Hanspeter Kriesi <<...über die Identitätskrise und die verkrusteten Strukturen der Schweiz>>, Cash Nr. 31, 2.8.96, S. 38/39

* Jean-Pascal Delamuraz über das Amt des Bundespräsidenten, Cash Nr. 42, 18.10.96, S. 27

* Diskussion um die Schweizer Demokratie: <<Je direkter, desto produktiver>>, Cash Nr. 38, 20.9.96, S. 71 ff.

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Fussnotenverzeichnis

[1] Die Bezeichnung wurde von einem Werk Peter Bachrachs übernommen; <<Die Theorie demokratischer Elitenherrschaft>>, P. Bachrach, 1970. Die ausführliche Behandlung dieser Demokratiekonzeption erfolgt in Kap. 4.1. S. 24 ff.

[2] Übernommen von einem Werk Anton Pelinkas: <<Dynamische Demokratie>>, A. Pelinka, 1974. Die ausführliche Behandlung dieser Demokratiekonzeption erfolgt in Kap. 4.2. S. 28 ff.

[3] So wird u.a. auch auf ein Werk Joseph Schumpeters Bezug genommen werden. Vgl. Literaturverzeichnis S. 37

[4] Auch in der CH-Presse scheint heute die Demokratiediskussion vermehrt auf der Agenda zu stehen. Vgl. z.Bsp. das Interview mit dem Soziologen und Politikwissenschaftler Hanspeter Kriesi: Cash Nr. 31, 2.8.1996, S. 38/39

[5] Dies gilt auch für die Diskussionen im Rahmen dieser Seminarveranstaltung.

[6] Der amerikanische Politologe Robert Dahl sagt z.Bsp., Demokratie sei heute wie ehedem eine revolutionäre Doktrin, weil sie nie voll erreicht worden sei. Dahl, 1975, S. 8

[7] Die antike Konzeption der Klassengesellschaft wurde auch von Platon in seinem berühmten Werk <<Der Staat>> nicht in Frage gestellt. Es ging ihm in erster Linie darum, die Oligarchie von unfähig und selbsüchtig regierenden Aristokraten und Plutokraten durch eine Oligarchievon Philosophen abzulösen. (Oligarchie als <<Herrschaft von Wenigen über Viele>>; die Entscheidungsmacht für das ganze soziale System liegt in der Hand einer kleinen Elite.)

[8] Vereinzelt gab es bereits während des Mittelalters demokratisierte Gesellschaften. Die Stadtstaaten Norditaliens des 10. und 11. Jahrhundert sind ein prominentes Beispiel. Für die vorliegende Betrachtung scheinen sie mir aber nicht weiter relevant, da sie sich erstens längerfristig nicht durchsetzen konnten, und zweitens, weil es sich wie bei den antiken Staatsformen um verkürzte Demokratien handelte, bei der nur privilegierte Kreise tatsächlich Mitspracherechte hatten.

[9] Auf eine detaillierte Definition wird verzichtet. Gemeint sei hier mit Parlamentarismus die indirekte Partizipation des Volkes an den Regierungsentscheidungen in Form von gewählten Volksvertretern, die ein Parlament bilden.

[10] Dies ist heute - wie bereits angetönt wurde (Vgl. S. 4) - ja auch verbreitete, politische Praxis.

Ein bekanntes, historisches Beispiel dafür wäre der von Robespierre begründete <<Grande Terreur>> unmittelbar nach der Französischen Revolution.

[11] Michels erwähnt auch massenpsychologische Phänomene, welche die freie Entscheidungskraft der (versammelten) Masse beeinträchtigen können. Einwände zu direkt- und basisdemokratischen Entscheidungsfindungen werden ausführlicher in Kap. 3.1.2. und 4.1. erwähnt.

[12] Angeblich sollen im damaligen Genf nur gerade ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung den Bürgerstatus innegehabt haben.

[13] Auch das damalige Spanien, Portugal, Dänemark und Schweden können dazu gezählt werden.

[14] Es ist anzunehmen, dass es deshalb gerade in Frankreich zur Revolution kam, weil Louis XVI die Ideen der Aufklärung nicht berücksichtigt und keinerlei Reformen eingeleitet hatte.

[15] Trotz absolutistischer Herrschaft behielt Napoleon die Errungenschaften der Revolution (u.a. den <<Code Civil>>) mehr oder weniger bei, ja er verbreitete sie sogar auf seinen Feldzügen in ganz Europa.

[16] Die 1789 in Kraft gesetzte Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, die u.a. auch auf einer konsequent durchgeführten Gewaltentrennung beruht, kann ebenfalls als direkte und erfolgreiche praktische Umsetzung der Theorien und Staatslehren der Aufklärung gesehen werden.

[17] Liberalismus als die auf die Aufklärung zurückgehende Denkrichtung und Lebensform, zu deren Grundsätzen Freiheit, Autonomie, Verantwortung und freie Entfaltung der Persönlichkeit gehören. Das gewerbetreibende Bürgertum war auch das einzige Gesellschaftssegment, das über genügend soziale Macht und Ressourcen (Finanzielle Mittel, Bildung etc.) verfügte, um eine Änderung der Herrschaftsverhältnisse herbeizuführen.

[18] Es ging dabei nicht zuletzt um den Zusammenschluss zu grösseren Wirtschaftsräumen.

[19] So in Österreich-Ungarn, oder auch in Preussen, bzw. dem unter Bismarck kriegerisch geeinigten Deutschen Reich.

[20] <<Demokratische Elemente>> wie Parlamente und Wahlrecht waren zu dieser Zeit in den meisten Ländern eingeführt. Doch unter dem Einfluss autoritärer Herrscher waren sie häufig nur Farce.

[21] Das preussische Dreiklassenwahlrecht z.Bsp., das die Stimmkraft von der individuellen Steuerleistung abhängig macht, ist ein krasses Beispiel für die Institutionalisierung sozialer Ungleichheit: Die Wähler der dritten Klasse, bzw. diejenigen mit der niedrigsten Steuerleistung hatten gerade eine Stimme, die der zweiten Klasse 5,4 und die der ersten Klasse 20,25 Stimmen. Die grosse Masse der mittellosen Lohnarbeiter war somit faktisch von der Partizipation am politischen Entscheidungsprozess ausgeschlossen. Dieses System blieb bis nach Ende des Ersten Weltkriegs bestehen.

[22] Es sei an dieser Stelle auf die moderne Bedeutungsverkürzung des Begriffs <<liberal>> bzw. <<Liberalismus>> hingewiesen: Während er ursprünglich durchaus stellvertretend für die Gesamtheit der im <<Gesellschaftsvertrag>> begründeten Prinzipien stand, reduzierte er sich in neuerer Zeit zunehmends auf die bürgerlich-unternehmerische Interpretation, welche die Freiheit des Liberalismus in erster Linie als Freiheit zur freien sprich uneingeschränkten Akkumulation von Machtressourcen sieht. Damit wird allerdings ausschliesslich der ökonomische Aspekt von <<Freiheit>> erfasst.

[23] Für die Entwicklung der kapitalistischen Ökonomie war dieser Schritt aber dennoch sehr entscheidend. Im Zuge des enormen Zuwachs an individuellem materiellem Wohlstand, den die Hochkonjunktur der Nachkriegszeit den Menschen in den industrialisierten Zentrumsländern brachte, wurde mit der Konsumgesellschaft nicht nur ein neuer Lebensstil geschaffen, sondern gleichzeitig auch die marxistisch-klassenantagonistischen Weltdeutungsmuster entwertet. Die klassischen sozialen Schichten lösten sich weitgehend auf. Die Rede von den ausbeuterischen Kapitalisten und den verarmten Proletariern hat eindeutig an sinnstiftender Kraft eingebüsst.

[24] In der Unabhängigkeitserklärung wird die Forderung nach Gleichheit davon abgeleitet, dass alle Menschen <<gleich geschaffen sind.>>. Vgl. Kap. 2.2.2.

[25] Der Wille des Menschen zur Gemeinschaftsbildung wird hier als gegeben angenommen.

[26] Gemeint sind damit in erster Linie die modernen, auf liberalen Verfassungen aufbauenden westlichen Zentrumsländer. Ob der Begriff Demokratie für diese Systeme zutreffend und gerechtfertigt ist, wird dem Leser überlassen. Ich hoffe, dass diese Frage am Ende dieser Arbeit etwas weniger unergründlich erscheint.

[27] Auch in undemokratischen Herrschaftssystemen gab und gibt es durchaus Beschlüsse, die aufgrund der Mehrheitsregel gefällt werden. Wie wir bereits gesehen haben, können ganze Teile des Volkes von der Partizipation am Entscheidungsprozess ausgeschlossen sein, während der

teilnahmeberechtigte Teil isoliert betrachtet demokratischen Ansprüchen genügt.

Bsp.: Sklaverei in den USA , kein Frauenstimmrecht, etc.

[28] Dahl schreibt auch: <<In der Tat, was immer man als wertvollsten Teil des eigenen Ichs betrachtet, es wird stets etwas sein, in das einzugreifen man jeder Regierung verwehren würde, wie <<demokratisch>> sie auch sein mag.>> Wird dies von Seiten der Staatsmacht trotzdem getan, so wird das Gesetz häufig umgangen. Auch Mehrheitsentscheidungen können Konflikte dieser Art nicht lösen.

[29] Ethische Postulate können also dem Mehrheitskriterium nicht unterworfen werden, weil sie per definitionem (andererseits wären es keine Postulate) nicht diskussionsfähig sind.

[30] Dahl z.Bsp. erwähnt drei Möglichkeiten, wie eine Minderheit in einer solchen Situation trotzdem zu ihrem Recht auf Eigenbestimmung kommen kann: 1. durch die Bildung getrennter Gemeinschaften

2. durch einen Schiedsspruch und durch ein System gegenseitiger Garantien 3. der Streitpunkt wird in den Bereich der autonomen Entscheidungen verwiesen (So in vielen Ländern geschehen z.Bsp. mit der Abtreibungsfrage). R. Dahl, 1975, S. 17 ff.

[31] Hier ist auf die demokratietheoretische Relevanz von Öffentlichkeit hinzuweisen, die im Sinne ihres aufklärerischen Ideals einen freien Meinungsbildungsprozess ermöglichen soll (vgl. Kap. 2.2.2.). Auf den Wandel und die Eigenart der modernen Öffentlichkeit - Stichwort Massenkommunikation - kann in dieser Arbeit leider nicht weiter eingegangen werden.

[32] Macht im Sinne der zur Beeinflussung des Gegners vorhandenen Mittel.

[33] Vgl. dazu Kap. 1

[34] Pelinka weist darauf hin, dass das Effizienzargument z.Bsp. auch gegen die Einführung gleichen Wahlrechts angeführt: <<Unterschiedliche Leistungen etwa im ökonomischen Bereich müssten in unterschiedlichen politischen Rechten eine Entsprechung finden, andernfalls wäre das Leistungsprinzip auch im ökonomischen Bereich gestört.>>. Zitiert ebenda.

[35] Auch wenn wir nicht besessen davon sind, alles möglichst schnell zu erledigen, so liegt es doch in der Natur der Zeit, dass sie nur beschränkt zur Verfügung steht und alles was wir tun zeitlichen Aufwand mit sich bringt. Wenn wir uns während einer bestimmten Zeit mit einer bestimmten Sache beschäftigen so fehlt uns diese Zeit für die Erledigung anderer Dinge. Je nach Grad der Befriedigung, die uns die Beschäftigung gibt, sind wir deshalb daran interessiert, sie mehr oder weniger schnell sprich effizient zu erledigen.

[36] Das demokratische System der Schweiz, das beiden dieser Kriterien ausgiebig Rechnung zu tragen versucht, scheint deshalb auch durch das Effizienzargument besonders verwundbar zu sein. Kritiker werfen ihm immer wieder Trägheit vor. Vgl. z.Bsp. den Beitrag in: Cash, 20.9.96, S. 71 ff.

[37] Dass es heute - wie bereits erwähnt wurde - aufgrund der Grösse der Entscheidungseinheiten häufig nicht möglich ist, wirkliche direkte Demokratie zu betreiben, ist schlussendlich eben ein Effi- zienzproblem. Die in existierenden demokratischen Systemen anzutreffenden Mechanismen der Repräsentation wie z.Bsp. die Parlamente sind in diesem Sinne durchaus effizienz-bedingt.

[38] Individuelle, psychische Kosten werden hier nicht berücksichtigt.

[39] Dahl führt u.a. das amüsante und einleuchtende Beispiel an, dass wohl niemand darauf bestehen würde, dass die Passagiere eines Flugzeugs mittels Mehrheitsentscheid gleichberechtigt mit Crew und Piloten an der Navigation der Maschine teilnehmen könnten. Die Fachkompetenz der Piloten wird von den meisten anerkannt. Dito, S. 28

[40] Sartori spricht in diesem Zusammenhang von den <<externen Risiken>>, die alle kollektiv

verbindlichen Entscheidungen mit sich bringen. Extern nennt er sie deshalb, weil sie sich nicht wie die anfallenden Kosten auf die Entscheidenden selber beziehen, sondern auf die Entscheidungs-betroffenen. Im Falle negativer Auswirkungen der gefällten Entscheidung könnte man auch von Kosten sprechen. Sind die Auswirkungen aber positiver Art, so macht dies keinen Sinn, deshalb verwendet Sartori den Begriff der Risiken. G. Sartori, 1984, S. 84-86

[41] Die These von der Antagonie von Gleichheits- und Leistungsprinzip kann wissenschaftlich nicht eindeutig bestätigt oder widerlegt gelten. Pelinka z.Bsp. führt vier verschiedene Modelle an, die erklären wie Effizienz und Gleichheit zusammenhängen könnten. A. Pelinka, 1974, S. 69 ff.

Auf eine Kritik an der negativen Korrelation der Prinzipien wird weiter hinten in Kap 4.2. eingegangen.

[42] Inwieweit eine Effizienzsteigerung auf Kosten des Gleichheitsprinzips gehen kann und darf, kommt auch in der aktuellen Diskussion um die Totalrevision der Schweizerischen Bundesverfassung zum Ausdruck. Ein in dieser Hinsicht umstrittener Punkt ist insbesondere die geplante Erhöhung der Unterschriftenzahlen bei Referenden und Initiativen. Tages-Anzeiger vom 14./15.9.96

[43] Hinsichtlich der Einführung des New Public Management - Konzepts werden auch immer wieder Verwaltungen auf ihre Effizienz hin geprüft. Dies wurde kürzlich u.a. auch mit der Verwaltung des Kantons Genf getan. Das Urteil fiel nicht positiv aus. Le Nouveau Quotidien vom 16.10.96

[44] Dass dies eine Gefahr sein kann, wird durchaus erkannt. Insbesondere fordern Volksvertreter auch neue parlamentarische Instrumente um eine substantielle Schwächung ihrer Position zu verhindern. Tages-Anzeiger, 9.10.96, S. 2 Vgl. Kap. 3.3.

[45] Alle folgenden Ausführungen beziehen sich auf diese Untersuchung: <<Partizipation und Leistung in Grossgruppen-Sitzungen - Qualitative und quantitative Vergleichsanalyse von 20 Fallstudien zum Sitzungsprozess entscheidungsfindender Grossgruppen>> von Herbert Rauch, 1983, S. 256-274

[46] Die Grossgruppe ist mit anderen Worten tendenziell stärker kognitiv und weniger affektiv strukturiert als die Kleingruppe. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung bestätigten diese Annahme.

[47] Rauch schliesst daraus weiter auf eine eigentliche Phasenfolge, die ganz prinzipiell für soziale Prozesse charakteristisch zu sein scheint: 1. Die Phase der Strukturbildung, 2. die Phase der Kooperation als Strukturnutzung und 3. die Phase der Strukturkrise, welche dann zu einer neuen Strukturbildung überleiten kann, womit der Prozess wieder von vorne beginnt. ebd., S. 266 ff.

[48] Es wurde hier wohlgemerkt nur ein kleiner Teil der Resultate der Untersuchung erwähnt.

[49] Vor allem in der Parteipolitik: Der Beauftragte ist zwingend an die Beschlüsse der Beauftragenden gebunden. Das imperative Mandat erweist sich aber als sehr unflexibel, da der Delegierte in der Verhandlung allfällige neu auftauchende Argumente nicht mehr in die Beschlussfassung einbeziehen kann. Deshalb hat sich auch mehrheitlich das freie Mandat, das die Unabhängigkeit des Abgeorneten von den Wählern sowie von den organisierten Interessen wie Verbände und Parteien, garantieren soll, durchgesetzt. Es ist zusammen mit der Gewaltentrennung ein Kernelement des klassischen Parlamentarismus; A. Pelinka, 1974, S. 76

[50] Auf die Bedeutung der Konsensbereitschaft wurde in Kap. 3.1.3. hingewiesen.

[51] Dies ist ganz klar das Ziel, das Joseph Schumpeter mit seiner <<anderen Theorie von Demokratie>> beabsichtigt. J. Schumpeter, 1950, S. 427 ff.

[52] Nicht immer beschränken sich die Elitentheoretiker auf eine solche verhältnissmässig harmlose Wortwahl; J.Schumpeter z.Bsp. schrieb: <<So fällt der typische Bürger auf eine tiefere Stufe der gedanklichen Leistung, sobald er das politische Gebiet betritt. Er argumentiert und analysiert auf eine Art und Weise, die er innerhalb der Sphäre seiner wirklichen Interessen bereitwillig als infantil anerkennen würde.>> Schumpeter, 1950, S. 416 Ähnliches trifft auch für Mosca und Pareto zu, die Bachrach ebenfalls zu den Vorläufern <<Demokratischer Elitenherrschaft>> zählt. Pareto z.Bsp. bezeichnete den Souverän und das Parlament als

<<ignorant und gewalttätig>>. Bachrach, 1970, S. 22

[53] In Kap. 3.2. S. 16 ff. Der von Sartori postulierte Ausbau der Gremiendemokratie würde zu einem nahezu perfekten Modell <<Demokratischer Elitenherrschaft>> führen. G. Sartori, 1984

[54] J. Plamenatz, der gemäss Bachrach eine gemässigte Form <<Demokratischer Elitenherrschaft>> vertritt, argumentiert, dass in den Zeiträumen zwischen den Wahlen Interessensverbände dafür sorgen würden, dass sich Elitengruppen nicht zu weit vom Volkswillen entfernten. dito, S. 49

[55] Das Bildungssystem z.Bsp. trägt dieser Idee mit der für alle gleichen Einschulung Rechnung (<<Stunde Null>>).

[56] In seiner Abhandlung zum Wandel des <<klassisch-demokratischen>> Verständnis von Elite und Masse in seine Umkehrung weist Bachrach auf die Bedeutung hin, die der sozialwissenschaftichen Forschung bei der Desillusionierung bezüglich der demokratischen Fähigkeiten und Ambitionen des <<gemeinen Mannes>> zukam. Als ernüchterndes Beispiel dafür, wie antidemokratische Bewegungen häufig breite Unterstützung in der Bevölkerung fanden - und dies auch in Phasen relativen Wohlstands - führt Bachrach die Kommunistenhetze unter der McCarthy Bewegung in den USA an. Bachrach, 1970, S. 40 ff. (Kap. 3.: <<Der Aufstand der Massen>>)

[57] Bachrach sieht in Schumpeter einen der wichtigsten Vorläufer der Theorie von der <<Demokratischen Elitenherrschaft>>. Mit der Ausformulierung und stringenten theoretischen Einbindung der Idee der Elitenkonkurrenz und dem Verständnis von Demokratie als Methode zur Entscheidungsfindung hat er einen Grundstein für spätere Theoretiker dieser Richtung gelegt. Ebd. S. 30 ff.

[58] Um eine Gegenüberstellung der beiden antagonistischen Demokratiekonzeptionen zu erleichtern, versuche ich, die folgenden Ausführungen in einem möglichst ähnlichen Aufbau vorzunehmen wie im Kapitel zur <<Demokratischen Elitenherrschaft>>.

[59] Die Distanz zwischen Delegierten und Delegierenden ist nicht zuletzt schon rein geographisch gegeben.

[60] Vgl. dazu z.Bsp.

[61] Kap. 3.2.

[62] Eine derartige Begriffsverkürzung von Freiheit ist Voraussetzung für die Behauptung, Gleichheit sei mit Freiheit grundsätzlich unvereinbar. Vgl. ......

[63] K.O Hondrich unterscheidet zwischen originärer und derivativer Leistung bzw. Leistungs- und Herrschafts-Autorität. Eine solche Unterscheidung und die Einsicht, dass sich die beiden Herrschaftsgrundlagen nicht immer decken, ist Voraussetzung einer kritischen Auseinandersetzung mit dem sozialen Phänomen Macht. Hondrich hält diese Dialektik konsequent durch.

[64] Ein wichtiges Mittel, Eliten nicht übermächtig werden zu lassen, ist das vertikale Rotationsmodell: Inhaber von Elitenpositionen müssen diese nach bestimmter Zeit abgeben. A. Pelinka, 1974, S. 44 ff.

[65] . Dies ist ein nicht zu unterschätzender Mechanismus: Dass bereits Partizipation an sich die Zufriedenheit und die Motivation der Beteiligungsberechtigten steigert, kann als einen der Gründe angenommen werden, der zu Produktionssteigerung sprich höherer Effizienz des jeweiligen sozialen Systems führt.

[66] Die Forderung, die Partizipationsmöglichkeiten der Bevölkerung, wie sie heute im politischen Subsystem existieren, weiter einzuschränken, wäre lediglich eine Überhöhung der im status quo anzutreffenden Machtverhältnisse.

[67] Zugegebenermassen wurde diese Frage in dieser Arbeit gar nicht untersucht.

[68] Die Anspielung auf Herbert Marcuses <<Eindimensionalen Menschen>> ist bewusst gewählt.

[69] Auf die aktuelle Demokratiediskussion in der Schweiz wurde bereits mehrmals verwiesen. Immer wieder lassen sich auch die in der Arbeit besprochenen Spannungsfelder beobachten. Bsp.:

* In einem Beitrag in der Neuen Zürcher Zeitung wird das bundesrätliche Kollegialprinzip als <<zu wenig effizient>> und <<zu langsam>> kritisiert. (--> Stichwort Effizienzargument. NZZ, 26./27.10.96, S. 13)

* J.-P. Delamuraz beklagt sich über die kurze Amtszeit des Bundespräsidenten (Bundespräsident hat lediglich Repräsentationsfunktion --> Stichwort: Elitenemanzipation, Elitenrotationsmodell, Cash, 18.10.96, S. 27)

* Die Wirksamkeit der PUKs (Parlamentarische Untersuchungskommissionen) wird diskutiert.

(--> Stichwort: Elitenemanzipation, Elitenkontrollmechanismen, Tages-Anzeiger, 19.10.96, S. 2)

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Last update: 03 Feb 15

 

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