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Sociology of Work and Organization 

 

Bibilographische Zitation:
Güttinger, Franziska:
Behinderte Menschen auf dem Arbeitsmarkt. Zugangschancen und Hindernisse. In: Sociology in Switzerland: Sociology of Work and Organization. Online Publikationen. Zürich, März 1998. http://socio.ch/arbeit/t_fguetti1.htm


 

Behinderte Menschen auf dem Arbeitsmarkt

Zugangschancen und Hindernisse

lic. phil. Franziska Güttinger

Februar 1998

 

Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

1.1 Gegenstand
1.2 Fragestellung
1.3 Zur Definition des Begriffes "Behinderung"
1.4 Demographischer Überblick

2. Behinderte in der Arbeitswelt

2.1 Sozialgeschichtlicher Rückblick
2.2 Die Bedeutung von Arbeit
2.3 Die berufliche Integration
2.4 Das berufliche Umfeld
2.5 Arbeitslosigkeit

3. Neue Technologien

3.1 Die Wirkungen des technischen Wandels auf die Arbeitssituation
3.2 Internet und Telearbeit – eine Chance?

4. Zusammenfassung

Literaturliste

 

1. Einführung

1.1 Gegenstand

Behinderte Menschen werden heute immer noch als ein marginales Bevölkerungssegment wahrgenommen, obwohl davon ausgegangen werden kann, dass etwa 10% der Schweizer Bevölkerung im weiteren Sinne körperlich, geistig oder psychisch behindert ist. Deshalb kann die Forderung nach gesellschaftlicher und beruflicher Integration von Behinderten kaum als ein Problem abgetan werden, dass nur eine Randgruppe betrifft. In einer Arbeitswelt, die sich im stetigen Wandel befindet, stellt die Eingliederung in die Berufswelt sowie die Behauptung auf dem Arbeitsmarkt bereits an Nichtbehinderte hohe Anforderungen. Wieviel schwieriger gestaltet sich dies für jemanden, der als eingeschränkt leistungsfähig gilt. Ein Teil der Behinderten kann nur in geschützten Werkstätten oder Beschäftigungsstätten einer angemessenen Tätigkeit nachgehen. Doch die Bestrebungen von institutioneller wie auch von Seiten der Behinderten gehen dahin, dass bei Eignung und entsprechenden Fähigkeiten leistungsverminderte oder behinderte Menschen in den offenen Arbeitsmarkt eingegliedert werden sollen.

Inhalt

1.2 Fragestellung

Das Ziel der Arbeit ist es, die Situation körperlich Behinderter auf dem freien Arbeitsmarkt zu analysieren unter Berücksichtigung der damit verbundenen Problemstellungen. Im weiteren sollen ebenfalls die neuen technologischen Möglichkeiten und deren Auswirkungen auf die Erwerbschancen von Behinderten betrachtet werden. Konkret stellen sich folgende Fragen: Wie hat sich der Wandel der Arbeitswelt auf die Integration von Behinderten ins Berufsleben ausgewirkt? Schafft die Technologisierung mehr Arbeitsplätze für Behinderte? Sind sie durch die neuen Technologien konkurrenzfähiger?

Nach einer Erläuterung des Begriffes "Behinderung" (Kapitel 1.2) soll ein demographischer Überblick einen Eindruck über die Anzahl der von körperlichen Einschränkungen betroffenen Menschen in der Schweiz vermitteln (Kapitel 1.3). Den Schwerpunkt bildet eine Analyse der Integration von körperlich Behinderten in die Arbeitswelt (Kapitel 2), die mit einem sozialgeschichtlichen Rückblick eingeleitet wird (Kapitel 2.1) und im weiteren die Bedeutung von Arbeit für behinderte Menschen (Kapitel 2.2), ihre berufliche Integration (Kapitel 2.3), das berufliche Umfeld (Kapitel 2.4) sowie das Thema der Arbeitslosigkeit anspricht (Kapitel 2.5). Schliesslich wird in Kapitel 3 auf die neuen Technologien am Arbeitsplatz sowie deren Vor- oder Nachteile für behinderte Menschen eingegangen.

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1.3 Zur Definition des Begriffes "Behinderung"

Der Begriff "Behinderung" wird im Deutschen oft sehr undifferenziert gebraucht und ist deshalb auch schwer fassbar. Rückgreifend auf den englischen Sprachgebrauch bietet die WHO (World Health Organisation) in diesem Zusammenhang ein Begriffssystem an, bei dem sie zwischen "impairment", "disability" und "handicap" unterscheidet. Die Definitionen lauten wie folgt:

Impairment: "any loss or abnormality of a psychological or anatomical structure or function"

Disability : any restriction or inability (resulting from an impairment) to perform an activity in the manner or within the range considered normal for a human being"

Handicap: "any disadvantage for a given individual, resulting from an impairmant or a disability, that limits or prevents the fulfillment of a role that is normal... for that individual"

(World Health Organisation, Division of Mental Health and Prevention of Substance Abuse, and WHO Collaborating Centres, 1980)

Bezüglich der deutschen Übersetzung der Begriffe herrscht Uneinigkeit. Einer Übersicht von Lindmeier (1993, S.190) kann entnommen werden, dass sie meist mit Schaden/Schädigung für "impairment", mit Behinderung für "disability" und mit Benachteiligung/Beeinträchtigung/Behinderung für "handicap" übersetzt werden. Dabei spricht der erste Begriff eine medizinische, die zwei letzteren hingegen eine soziale Kategorie an. Die Definitionen umfassen also Störungen auf organischer Ebene (impairment), Beschränkungen beim Ausüben von Aktivitäten, denen die behinderte Person ausgesetzt ist (disability), sowie Einschränkungen auf sozialer und/oder beruflicher Ebene, wenn dies aus dem Blickwinkel der als Norm geltenden Möglichkeiten betrachtet wird. Wichtig ist vor allem, dass mit dem Begriff "Behinderung" nicht ein Gesundheitszustand an sich beschrieben, sondern dass damit die Dimension der sozialen Beeinträchtigung wiedergegeben wird. Bei einer Behinderung handelt es sich also um eine "funktionale Einschränkung bezüglich der Normen und Anforderungen der Sozietät" (Lindmeier 1993, S 209).

Diese Ausführungen weisen darauf hin, dass von Behinderung hauptsächlich vor dem Hintergrund von Norm bzw. Normalität gesprochen wird, denn der Terminus "Normalität" scheint im Zusammenhang mit einer Behinderung bzw. mit einem behinderten Körper eine unausweichliche Bezugsgrösse zu sein. Jedoch birgt der Begriff der Normalität "die grosse Gefahr einer diffamierenden Zuschreibung bei Abweichungen und ist wissenschaftlich kaum greifbar" (Badelt 1992, S 19). Trotzdem ist sie meist das wesentliche Kriterium, auf das sich die Definition von Behinderung bezieht.

Davis (1995, S. 23ff) sieht die Schwierigkeit vor allem in der Art und Weise wie Normalität konstruiert und dadurch das "Problem" Behinderung geschaffen wird. Norm und Normalität bezeichnet er als gesellschaftlich geschaffene Konzepte. Zur Illustration stellt er zwei Grundvorstellungen, die sich auf das Körperliche beziehen, einander gegenüber: das Norm-Konzept und das Ideal-Konzept. Das Norm-Konzept bezieht sich auf ein Mittelmass, wobei alles innerhalb einer gewissen Bandbreite Liegende noch diesem Mittelmass zugerechnet wird. Erst stark vom Durchschnitt abweichende Extreme entsprechen nicht mehr der gesetzten Norm. Dieses Konzept hat zur Folge, dass damit auch das Konzept der Abweichungen geschaffen wird. In Gesellschaften, wo gewisse Normen gelten, werden solche, die diesen nicht entsprechen, als deviant bezeichnet. Beim Ideal-Konzept hingegen haben alle Menschen den Status des Nicht-Idealen, denn das Ideal ist lediglich ein Wunschbild, aber keine realisierbare Bezugsgrösse. Als Beispiel dafür dient die griechische Antike. Künstler jener Zeit schufen menschliche Skulpturen, die ein Schönheitsideal verkörperten, das in Wirklichkeit niemals erreicht werden konnte.

Genau an diesem Beispiel zeigt sich, dass die Begriffe Behinderung und Normalität keine absoluten, sondern gesellschaftlich konstruierte Konzepte sind. Jemanden als behindert zu bezeichnen muss deshalb immer als eine Zuweisung betrachtet werden, die sich auf eine bestimmte Lebenswelt und deren Anforderungen bezieht.

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1.4 Demographischer Überblick

Als Behinderte im weiteren Sinne sind ca. 10% der Bevölkerung der Schweiz anzusehen (Schwaninger 1993, S. 82). Über das effektive Ausmass von Behinderungen können keine genauen statistischen Angaben gemacht werden genau so wenig wie über den Umfang der verschiedenen Behinderungsformen. Es gibt lediglich Schätzungen aufgrund der von der IV ausgerichteten Leistungen in Form von Renten und individuellen Leistungen. Diese sind jedoch insofern undifferenziert, da die IV in ihrer Statistik nicht ausweist, welche Versicherten das eine oder das andere oder beides erhalten.

Invalidität wird gemäss IV folgendermassen definiert: "Als Invalidität im Sinne des Gesetzes gilt die durch einen körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden als Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall verursachte, voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit" (SAEB 1996, S. 66). Ein Gesundheitsschaden, ob körperlicher, geistiger oder psychischer Art ist für die IV erst dann ausschlaggebend, wenn er die Erwerbsfähigkeit einschränkt. Bei nichterwerbsfähigen Personen liegt nur dann eine Invalidität vor, wenn ihre Arbeitsfähigkeit innerhalb ihres Tätigkeitsbereiches, z.B. Haushalt und Familienaufgaben, eingeschränkt ist. Invalidenrenten werden erst dann ausgerichtet, wenn der Verdienstausfall einer Person mindestens 40% beträgt, wobei je nach Invaliditätsgrad Viertelsrenten, halbe oder ganze Renten ausgezahlt werden. Ziel der IV ist es jedoch, die wirtschaftliche Integration der betroffenen Personen zu fördern. Um ihr Leitmotiv "berufliche Eingliederung vor Rente" in die Tat umzusetzen, bietet die IV einerseits Dienste wie Berufsberatung und Arbeitsvermittlung an, andererseits trägt sie einen Teil der Kosten bei erstmaliger beruflicher Ausbildung, Umschulung und beruflicher Weiterbildung. Eine weitere Massnahme besteht in der Finanzierung von Hilfsmittel zur Berufsausübung.

Die Schätzungen für das Jahr 1989 gehen von etwa 150'000 Personen aus, die wegen einer durch Behinderung beeinträchtigten Erwerbsfähigkeit Anrecht auf eine Invalidenrente und/oder Hilflosenentschädigung haben. Das Geschlechterverhältnis beträgt dabei drei zu zwei, d.h. es sind rund 90'000 Männer und 60'000 Frauen rentenberechtigt. Unter den einzelnen Alterskategorien bestehen bedeutende Unterschiede, wenn der Anteil an Invaliden im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung betrachtet wird. Bis etwa zum Alter von 50 Jahren steigt der Prozentsatz bei beiden Geschlechtern kontinuierlich an und erreicht etwa 4% gemessen an der Gesamtbevölkerung. Danach nimmt der Anteil von männlichen Rentenbezügern rapide zu und erreicht beim Pensionierungsalter von 65 Jahren einen Anteil von 20% (Buri / Weiss 1993, S. 77).

Wie untenstehender Tabelle zu entnehmen ist, ist die Ursache der Behinderung bei den Bezügern von Invalidenrenten in drei Viertel aller Fälle eine Folge von Krankheit. Auffallend ist der grosse Unterschied zwischen den Geschlechtern bei Unfall.

Ursache der Behinderung

Männer

Frauen

Gesamt

Krankheit

71%

73%

72%

Geburtsgebrechen

16%

21%

18.5%

Unfall

13%

6%

9.5%

(Quelle: Gesundheit in der Schweiz, 1993)

Bei den krankheitsbedingten IV-Renten sind die meisten unabhängig des Geschlechtes auf Psychosen bzw. Psychoneurosen und Krankheiten der Knochen bzw. der Bewegungsorgane zurückzuführen.

Diese Zahlen vermitteln zwar einen Überblick über die RentenbezügerInnen der IV, geben aber in keiner Weise eine Vorstellung über die Anzahl von teil- oder vollzeit-erwerbstätigen Behinderten mit körperlichen Einschränkungen. Solange in der Schweiz ein Mangel an detaillierten Informationen über die Häufigkeit und den Grad von Behinderungen besteht, können auch keine weiteren Aussagen über positive oder negative Entwicklungen oder Problemtrends gemacht werden.

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2. Behinderte in der Arbeitswelt

2.1 Sozialgeschichtlicher Rückblick

Die Einstellung gegenüber Behinderten und deren Situation in der Gesellschaft ist stark von den jeweiligen Normen des Zeitgeistes geprägt und unterliegt dementsprechend auch einem sozialen Wandel. In den vergangenen Jahrhunderten reichte die Haltung gegenüber behinderten Menschen von Gleichgültigkeit bis zur Forderung nach Ausmerzung von "unzulänglichem" Leben bei den Eugenikern und deren Anhängern (Davis 1995, S. 25ff). Im folgenden soll in einer kurzen Übersicht auf die veränderte Situation von Behinderten eingegangen werden, wie sie sich durch die Verlagerung der Produktion seit der Industriellen Revolution manifestiert hat.

Vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert hinein wurden Behinderte als in der Gesellschaft geduldete Personen betrachtet. Je nach familiärer Situation und den finanziellen Möglichkeiten der Familie überliess man sie entweder sich selbst, so dass sie mehr oder weniger vor sich hin vegetierten und vom Betteln bzw. von Almosen leben mussten, oder sie wurden innerhalb der Familie versorgt (Kaschade 1993, S. 12). Sofern die Arbeitskraft von Behinderten verwertbar war, wie zum Beispiel in der Landwirtschaft oder bei Heimarbeit, waren sie nicht vom Produktionsprozess ausgeschlossen, sondern trugen nach ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten zu ihrem eigenen und zum familiären Unterhalt bei.

Mit dem Aufkommen von Manufakturen und Fabriken änderte sich ihre Situation grundlegend. Die maschinelle Produktion gab das Tempo und die Produktionsnormen vor und forderte viel Disziplin von den Arbeitern und Arbeiterinnen. Dies war höchst ungünstig für Behinderte. Zwar wird es auch in den ausserhäuslichen Produktionsstätten einfache Hilfsarbeiten zu erledigen gegeben haben, doch kann angenommen werden, dass genügend "gesunde" Arbeitnehmer, darunter auch viele Frauen und Kinder, zur Verfügung standen. Mit dem Fortkommen der industriellen Entwicklung wurden Behinderte also mehr und mehr vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Dazu kam der Umstand, dass Frauen, vor allem solche aus der Arbeiterklasse, jetzt auch ausser Haus tätig waren und somit ihre behinderten Familienmitglieder weder pflegen, beaufsichtigen, noch ihnen die notwendigen Hilfestellungen zukommen lassen konnten. Gleichzeitig nahm die Zahl der "Verkrüppelten" ständig zu, bedingt durch die körperliche Schwerarbeit von schwangeren Frauen, durch Misshandlungen von Arbeitgebern, durch Arbeitsunfälle, schlechte Arbeitsbedingungen, usw. (Hierdeis 1996, S. 211).

Als Resultat all dieser Umstände wurden Behinderte immer mehr als soziales Problem betrachtet und schliesslich in Arbeitshäuser, Heime und Anstalten abgeschoben. Die Abschiebung in solche Institutionen wurde also als Lösung für die sozialen und familiären Probleme betrachtet, die Behinderte durch die Veränderung der Produktionsweise verursachten (Oliver 1990, S. 25ff). Diese Institutionen hatten aber nicht nur den Zweck der Fürsorge, sondern auch denjenigen der sozialen Kontrolle. Die damit verbundene Ausgrenzung trug wesentlich dazu bei, dass behinderte Menschen von der Teilhabe am sozialen Leben ausgeschlossen wurden. Obwohl sich an der allgemeinen Haltung gegenüber "Krüppeln" nichts änderte, darf der Einrichtung von Asylen, Wohnheimen u.ä. nicht nur negative Seiten abgewonnen werden. Denn erst durch die Internierung von Behinderten entwickelten Fachpersonen medizinisches und pädagogisches Interesse an diesen Menschen. Sie erkannten schliesslich auch ihre Bildungsfähigkeit und ihr Leistungsvermögen, so dass sie ihnen innerhalb dieser Sondereinrichtungen eine Erziehung zukommen liessen (Hierdeis 1996, S. 211).

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2.2 Die Bedeutung von Arbeit

Heute wird von institutioneller Seite als auch von den Behindertenorganisationen nach Möglichkeit die Integration von behinderten Menschen in allen Bereichen der Gesellschaft angestrebt. Dabei besteht aber auch die Gefahr, dass dies eine Anpassung an die Normen der Nichtbehinderten impliziert und den Behinderten keine oder zuwenig Mitsprachemöglichkeiten geboten werden, ihre eigenen Bedürfnisse und Anschauungen einzubringen. Dazu kommt, dass heute "mehr denn je (...) der Wert eines Menschen am materiellen Beitrag zu unserer Wohlstandsgesellschaft gemessen (wird), die sich zwar demokratisch pluralistisch nennt, in der aber ökonomische und technologische Zwänge dominieren" (Specker 1996, S. 274).

Den Interviews von Marianne Pieper (1993) mit behinderten Männern und Frauen kann entnommen werden, dass sie ein möglichst "normales" Leben führen wollen und sich entsprechend an den Normen und Werten der Gesellschaft orientieren, an der sie teilzuhaben wünschen. Sie fordern gleiche Chancen und Rechte, insbesondere auch hinsichtlich ihrer Ausbildung und ihrer Berufstätigkeit. Ein besonderes Anliegen ist ihnen, dass ihre Persönlichkeit und nicht ihre Behinderung im Mittelpunkt stehen soll, was gerade bei der Arbeitsplatzsuche oft nicht der Fall ist. Integration heisst für sie aber auch (wie dies viele andere sogenannte gesellschaftliche Minoritäten formulieren) Akzeptanz als Gleiche in ihrer Andersartigkeit.

Einer Erwerbstätigkeit nachzugehen bedeutet für viele Behinderte am sozialen Leben teilzunehmen, ihre Leistungsbereitschaft und -fähigkeit unter Beweis stellen zu können und schliesslich auch eine relative ökonomische Selbständigkeit zu erreichen. Wie Nichtbehinderte erheben sie den Anspruch, sich durch die Berufsarbeit verwirklichen zu können und eine befriedigende Tätigkeit auszuüben. Die Berufstätigkeit dient als Mittel, um die Anerkennung als ein vollständiges Mitglied der Gesellschaft zu erringen. Es scheint also nicht nur der ökonomische Faktor eine Rolle zu spielen, sondern von noch grösserer Bedeutung ist es, den Status einer vollwertigen Person innezuhaben. Diese Position kann ihrer Ansicht nach erst durch einen Leistungsbeweis errungen werden. Das Paradoxon liegt aber darin, dass sozialer Aufstieg und die Verteilung von Berufspositionen meist nicht durch Leistung bestimmt sind, sondern durch die Ausgrenzung von anderen wie zum Beispiel älterer Arbeitnehmer, Frauen, Andersgläubiger und nicht zuletzt auch von Behinderten (Mikl-Horke 1988, S. 75).

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2.3 Die berufliche Integration

Hinsichtlich der Beschäftigungsmöglichkeiten von Behinderten steht nach Badelt (1992, S. 67) folgendes Spektrum zur Auswahl: (a) die selbständige Tätigkeit, (b) die individuelle, kompetitive Beschäftigung im offenen Arbeitsmarkt, (c) die Beschäftigung auf für Behinderte reservierte Arbeitsplätze, (d) die Beschäftigung in sogenannten "Enklaven" in Unternehmen des offenen Arbeitsmarktes, (e) die Beschäftigung in Selbsthilfefirmen, Kooperativen oder sonstigen Unternehmen, die sich in ihrem Unternehmensziel der beruflichen und damit der sozialen Integration Behinderter widmen und schliesslich (f) die Beschäftigung in Behindertenwerkstätten, die sehr stark auf den offenen Markt hin orientiert sind.

Bis Ende der 80er Jahre stand die Schaffung von Institutionen im Vordergrund, die behindertengerechte Arbeitsplätze zur Verfügung stellen sollten. Da aber die Erfahrung gemacht wurde, dass damit auch der Ausgrenzung Vorschub geleistet wurde, steht heute eine gesamtgesellschaftliche Integration im Vordergrund. Erste positive Schritte hin zu einem Umdenken werden gemacht, das die Behinderten vermehrt als Subjekte und nicht mehr nur als bevormundete Objekte wahrnimmt. Das heisst konkret, Behinderte werden im grösseren Masse in Entscheidungsprozesse einbezogen. Hinsichtlich ihrer beruflichen Eingliederung bedeutet dies, dass mehr auf ihre Wünsche Rücksicht genommen und auf die individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten jedes Behinderten im besonderen Masse eingegangen wird (Schwaninger 1993, S 82).

Ganz allgemein wird im Zuge der Integrationsbemühungen eine Verlagerung der Beschäftigung innerhalb von Institutionen hin zur freien Arbeitsmarktwirtschaft angestrebt. Doch dieser Schritt wird nicht von allen befürwortet. Kaschade( 1993, S. 49ff) bezeichnet es aus wirtschaftlicher Perspektive als "Realitätsbewusstsein", wenn versucht wird, Behinderte vor allem in geschützten Werkstätten zu beschäftigen. Er begründet dies damit, dass dadurch einerseits das Recht auf Arbeit gewährleistet wird und andererseits die Arbeit ohne Stress und angepasst an das Tempo jedes einzelnen ausgeführt werden kann. Der Autor vertritt zudem die Meinung, dass es tragbarer und billiger für die Industriegesellschaft sei, soziale Leistungen umzulagern als eine Integration aller in die Arbeitswelt. Doch diese Haltung gibt die Meinung wieder, dass Behinderte vor allem beschäftigt werden sollen und berücksichtigt nicht, dass dadurch der sozialen Ausgrenzung im Berufsleben Vorschub geleistet wird. Zudem wird ihnen in einer verallgemeinernden Art und Weise nicht zugetraut, eine Leistung in Konkurrenz zum nichtbehinderten Arbeitnehmer erbringen zu wollen und auch erbringen zu können.

Trotzdem darf die Funktion, die Institutionen wie geschützten Werkstätten bei der Bereitstellung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen sowohl für geistig wie auch körperlich Behinderte zukommt, nicht unterschätzt werden. Obwohl sie meist selbst von wirtschaftlich schlechten Zeiten betroffen sind, können sie als eine Art Puffer hin zum freien Arbeitsmarkt betrachtet werden.

Wie aber sieht konkret die Lage von behinderten Arbeitnehmern aus, die bereits auf dem offenen Arbeitsmarkt tätig sind oder eine Stelle in der freien Marktwirtschaft anstreben? Wenn vom behinderten Arbeitnehmer die Rede ist, darf nicht vergessen werden, dass die Bandbreite vom intellektuellen bis zum eher handwerklich begabten reicht. So ergeben sich je nach dem verschiedene Ausgangslagen. Genauso wie im Rahmen dieser Arbeit nicht detailliert auf die einzelnen Behinderungsarten und den damit verbundenen speziellen Anforderungen an den Arbeitsplatz eingegangen werden kann, so muss ich es auch bezüglich der beruflichen Tätigkeiten bei Verallgemeinerungen belassen.

Auf dem offenen Arbeitsmarkt, sind die Anforderungen wie im allgemeinen so auch für Behinderte gestiegen, denn sie müssen mit Nicht-Behinderten konkurrenzieren können. Um mit dem ständigen Wandel mithalten zu können ist auch der behinderte Arbeitnehmer gefordert, sich immer wieder weiterzubilden. Nach Kaschade (1993) kann die Spezialisierung eine Chance für Behinderte darstellen. Dies erfordert jedoch eine überdurchschnittlichen Intellekt und eine gute Ausbildung. So kann vor allem bei Akademikern die körperliche Beeinträchtigung zweitrangig werden, da sie diese durch ihre geistigen Fähigkeiten bei weitem Wett machen können. Zudem scheint die Akzeptanz durch Berufskollegen und deren Toleranz in diesem Bereich grösser zu sein als andernorts. Vielen steht auch in diesen Positionen die Möglichkeit offen, ihre Mitarbeiter selbst auszuwählen oder mindestens die Wahl derselben zu beeinflussen. Damit eine optimale Leistung erbracht werden kann, ist es vor allem wichtig, dass ein geeigneter Arbeitsplatz gefunden wird. Andererseits ist auch das berufliche Umfeld von grosser Bedeutung, da jeder Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz in ein soziales Umfeld eingebunden ist und von diesem getragen werden muss.

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2.4 Das berufliche Umfeld

Aus den Interviews von Abrahamson/Westebbe-Abrahamson (1993, S. 60ff) mit Personalleitern geht hervor, dass nur wenige die berufliche Einbeziehung von Behinderten explizit ablehnen und von Vorurteilen gegenüber dieser Gruppe von Personen geprägt sind. Bezüglich ihres Engagements für behinderte Arbeitnehmer weisen sie darauf hin, dass sie hauptsächlich dafür sorgen, dass Mitarbeiter, bei denen während des Anstellungsverhältnisses eine verminderte Arbeitsfähigkeit eingetreten ist, innerhalb des Betriebes weiterhin beschäftigt werden können. Andererseits betonen Personalverantwortliche, dass sich vor allem Vorgesetzte auf der Stufe von Abteilungsleitern und Meistern sträuben, einen Behinderten oder eine Behinderte einzustellen. Jedoch "dort, wo ausgearbeitete Konzepte zur Eingliederung von Behinderten bestehen, ist die Aufgeschlossenheit grösser als in Betrieben, in denen die moralische Pflicht zwar übernommen werden soll, aber keine konsistenten Handlungsstrategien entwickelt werden" (Abrahamson/Westebbe-Abrahamson 1993, S. 62). Die Autoren stellen fest, dass in vielen Betrieben schlicht und einfach die Auseinandersetzung mit der Behindertenproblematik fehlt. Ein weiteres Problem in Hinblick auf die Beschäftigung von Behinderten ist die Annahme einer geringeren Belastbarkeit, die dann zum Problem wird, wenn z.B. Überstunden geleistet werden müssen. Es wird eine geringere Flexibilität und Mobilität von behinderten Personen angenommen. Missstimmungen unter den Angestellten im Betrieb treten dann auf, wenn ein Behinderter nicht die von ihm erwartete Leistung erbringt und Arbeitskollegen dies kompensieren müssen oder wenn er umgekehrt einen Übereifer an den Tag legt, der Kollegen und Kolleginnen in einem schlechten Licht erscheinen lässt. Kaschade (1993), der es für wirtschaftlich unsinnig hält, Behinderte in den freien Arbeitsmarkt einzugliedern, geht davon aus, dass durch den hohen Technisierungsgrad und die verlangte Produktivität der behinderte Arbeitnehmer überfordert ist. Er wird zur Last für den Arbeitgeber und die Arbeitskollegen, die auf ihn Rücksicht nehmen müssen, aber nicht verstehen warum er bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit den gleichen Lohn bezieht.

Zwar kommen Unstimmigkeiten und gegenseitiger Neid bezüglich Lohnzahlungen und erbrachter Leistungen in vielen Betrieben vor, doch scheint gegenüber behinderten Kollegen diesbezüglich eine besondere Sensibilität zu bestehen.

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2.5 Arbeitslosigkeit

Behinderte gehörten in Zeiten des Arbeitskräfteüberschusses neben Frauen, älteren Arbeitnehmern, Jugendlichen, Ausländern und Bewohnern strukturschwacher Regionen schon immer zu den Gruppen von Menschen, die besonders von Arbeitslosigkeit betroffen sind.

Unter dem Begriff des Behinderten werden heute jedoch auch viele Menschen eingestuft, die vor der Rezession kaum als solche bezeichnet worden wären. Jordi (1996) kommentiert dieses Phänomen wie folgt: "Das Bild des Behinderten hat sich gewandelt, denn mit jeder neuen Rezession wird das Kriterium für Erwerbsfähigkeit von der Wirtschaft nochmals enger definiert. Ein Leiden, das die Arbeitskraft kaum merklich einschränkt, reicht heute aus, um den gnadenlosen Selektionskriterien des Arbeitsmarktes nicht mehr zu genügen". Kurz gesagt ist es also die Wirtschaft, die laufend neue IV-Fälle produziert. Die Zahl der IV-Bezüger hat in den letzten zehn Jahren gesamtschweizerisch um 36% zugenommen. Dem Leitbild der Priorität von beruflicher Wiedereingliederung vor Ausrichtung einer Invalidenrente wird zwar treu geblieben, aber dessen Umsetzung wird zunehmend schwieriger. Es herrscht zweifellos ein Mangel an Arbeitsplätzen, die an behinderte Arbeitnehmer angepasst sind. Die IV-Stellen kämpfen wie die Arbeitsämter mit einer fast unlösbaren Aufgabe: immer mehr Behinderte für immer weniger Stellen. Viele, die zu langsam, zu unflexibel, zu alt, zu unerfahren, zu wenig leistungsfähig oder zu wenig dynamisch sind, bleiben auf der Strecke (Barras 1996, S. 22). Dabei belasten ehemals beruflich integrierte Invalide, die nach einer Entlassung keine Stelle mehr finden, die IV ebenso wie ausgesteuerte Langzeitsarbeitslose mit körperlichen und seelische Problemen. Da bei Behinderten davon ausgegangen wird, dass sie wegen ihrer körperlichen Einschränkungen und nicht in erster Linie wegen strukturellen Gründen wie Arbeitslosigkeit schwer vermittelbar sind, ist für sie die IV zuständig, die berufliche Eingliederungsmassnahmen treffen muss.

Daten über die Anzahl von behinderten Arbeitslosen in der Schweiz und ihre Verbleibdauer in der Arbeitslosigkeit konnten keine gefunden werden. Einer deutschen Studie über Arbeitslosigkeitsrisiken von Behinderten (Frick 1989) kann entnommen werden, dass Schwerbehinderte seltener von Arbeitslosigkeit betroffen sind als Nicht- bzw. Leichtbehinderte. Jedoch wenn sie arbeitslos werden, ist das Risiko für längere Zeit in der Erwerbslosigkeit zu verbleiben ungleich höher als für die anderen Gruppen.

Den Interviews, die Marianne Pieper (1993) mit von Geburt an körperbehinderten Frauen und Männern führte, kann entnommen werden, dass die Probleme bei erwerbslosen Behinderten weitgehend die "klassischen" sind, wie sie auch von Paul Lazarsfeld, Marie Jahoda et al. in der Marienthalstudie hervorgehoben wurden: (a) der Wegfall der geregelten Zeitstruktur, (b) die Reduktion der sozialen Kontakte, (c) das Fehlen eines anerkannten Status, (d) das Fehlen einer regelmässigen Tätigkeit (Mikl-Horke 1988, S. 124). Lediglich (e) die fehlende Beteiligung an kollektiven Zielen, d.h. Rückzug aus dem "öffentlichen Leben" wird für Behinderte nur in beschränktem Masse seine Gültigkeit haben. Denn ob in die Arbeitswelt eingegliedert oder nicht, ihr Zugang zum "öffentlichen Leben" bleibt aufgrund der baulichen und architektonischen Hindernisse für sie eingeschränkt. Bezeichnend ist jedoch, dass sich junge behinderte Menschen, soweit dies den Interviews entnommen werden kann, während ihrer Arbeitsplatzsuche nicht als Teil einer Risikogruppe wahrnehmen. Sie anerkennen ihre Arbeitslosigkeit indes nicht als kollektives Schicksal und fühlen sich mit gleichaltrigen solidarisch, sondern machen ihren Körper für die Situation verantwortlich. "Im Kontext eines Ausschlusses aus dem Arbeitsleben erfahren die Betroffenen ihre gesellschaftliche Ausgrenzung und eine Festlegung auf einen 'defizienten Modus' als besonders einschneidend" (Pieper 1993, S. 272). Dies verwundert nicht, bestätigt doch auch Fraser (1992), dass Behinderte trotz ihrer Intelligenz und ihren beruflichen Fähigkeiten oft nur aufgrund ihres Handicaps von Arbeitsplätze ferngehalten werden.

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3. Neue Technologien

3.1 Die Wirkungen des technischen Wandels auf die Arbeitssituation

In gleicher Weise wie sich Wandlungen in der gesamten Arbeitswelt vollzogen haben, hat sich auch für behinderte ArbeitnehmerInnen eine Veränderung in ihren Berufsspektrum und ihren Erwerbsmöglichkeiten abgezeichnet. Traditionelle Behindertenberufe wie z.B. Besenmacher, Korbflechterin oder Knecht haben zunehmend an Bedeutung verloren. Ein typischer Arbeitsplatz für blinde Frauen und Männer war in vergangenen Zeiten der Telefondienst. Dort kamen ihre guten Fähigkeiten, sich Dinge zu merken, voll zur Geltung. Mit zunehmender Technisierung der Telekommunikation, die Speicherfähigkeit und Selbstwahl beinhaltete, war dieses Können nicht mehr gefragt (Kaschade 1993, S. 56).

Unter all den verschiedenen Trends und Tendenzen in der heutigen Arbeitswelt, soll vor allem der technische Wandel und seine Auswirkungen auf die Erwerbsmöglichkeiten bzw. die Arbeitssituation von behinderten Menschen ins Auge gefasst werden. Neben den technischen Innovationen in der Industrie wird insbesondere viel Hoffnung in die neuen Computertechnologien, wie sie vor allem in Dienstleistungsbetrieben zum Einsatz kommen, gesetzt. In diesem Zusammenhang stellt sich unweigerlich die Frage, ob die neuen Technologien die Chancen von Behinderten auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich verbessern, indem sie körperlich Beeinträchtigten geeignete Einsatzmöglichkeiten bieten, oder ob sie vielmehr als Barrieren wirken, die sie im Gegenteil eher davon ausschliessen.

In der Industrie machte die Mikroprozessoren- und Sensorentechnik in vielen Bereichen die Vollautomatisierung möglich. Dadurch wurde zwar monotone, schmutzige und zum Teil auch gefährliche Arbeiten hinfällig, andererseits verschwanden aber gleichzeitig einfache Arbeitsgänge, die von vermindert leistungsfähigen Arbeitnehmern ausgeführt wurden. Zudem sind im industriellen Bereich durch neue Technologien und Arbeitskonzepte die Belastungen gewachsen. Es haben Umstrukturierungen wie zum Beispiel der Trend zur anspruchsvollen Teamarbeit in autonomen Fertigungszentren stattgefunden. Diese Art der Arbeit überfordert viele Angestellte mit verminderter Leistungskraft. Termindruck und dadurch verursachte Arbeitsüberlastung wirken sich zudem einschränkend auf die Unterstützungsbereitschaft der gesunden Arbeitskollegen und Mitarbeiterinnen aus.

Fraser (1992) bezeichnet den Anbruch des Computerzeitalters als den grössten Durchbruch seit der Erfindung des Rollstuhls, weil den Behinderten zum ersten Mal die Möglichkeit gegeben wird, als ebenbürtige in Computer bezogenen Berufen mit anderen zu konkurrieren. Dass der Computer eine revolutionäre Erfindung ist, sei nicht in Frage gestellt, doch dass Frasers Einschätzung zu euphorisch ist, belegen auch andere Autoren. Unbestritten erleichtern auf Computer basierende technische Hilfen vielen behinderten Menschen das tägliche Leben. Denken wir nur unter anderem an Computer als Kommunikationshilfen für Seh- und Hörbehinderte. Ebenso sind Computer selbst ein wichtiges Werkzeug in der Ausbildung sowie in vielen Bereichen des beruflichen Spektrums geworden. Sie vereinfachen Arbeiten, erledigen viele Arbeitsgänge effizienter und genauer und erhöhen nicht zuletzt dadurch die Produktivität. Viele Arbeiten, die mit Hilfe eines Computers erledigt werden, oder Tätigkeiten im Computerbereich wie Programmieren, Support, Systemanalysen usw. verlangen nicht viel Körperkraft und können im Sitzen ausgeführt werden. Daher sind Arbeiten am Computer für viele körperlich beeinträchtigte Personen sehr geeignet. Hinsichtlich der auszuführenden Tätigkeit erhöht diese Tatsache ihre Konkurrenzfähigkeit zu anderen Arbeitnehmern auf jeden Fall.

Ein nicht zu unterschätzender Faktor bei der Beschäftigung eines behinderten Arbeitnehmers bzw. Arbeitnehmerin ist die Einrichtung des Arbeitsplatzes. Er muss in diesem Falle an die behinderte Person angepasst sein. Dies ist je nach körperlicher Behinderung mit entsprechendem Aufwand verbunden und es gilt, sowohl technische als auch medizinische Probleme zu lösen. Es bedarf einer grossen Sorgfalt beim Einrichten der Hardware eines Computers, damit die verbleibenden körperlichen Kräfte optimal eingesetzt werden können und der oder die Behinderte auch über längere Zeit ohne allzu grosse Ermüdung eine Arbeitsleistung erbringen kann. Je nach Handicap, vor allem aber bei Blinden und Sehbehinderten muss auch eine Anpassung der Software erfolgen. Dies wiederum stellt hohe Ansprüche an die Technik, besonders seit Einführung von graphikorientierten Bedienungsoberflächen. Schliesslich wird der Benutzer geschult und trainiert, um optimalen Gebrauch der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu machen. Und zu guter Letzt muss unter Umständen auch die Umgebung des Behinderten, d.h. im Arbeitsprozess seine Mitarbei-terInnen, entsprechend instruiert werden.

Als Folge der Computerisierung in Büro, Verwaltung und Dienstleistungsbetrieben sind viele neue Arbeitsplätze in diesem Bereich geschaffen worden. Andererseits sind durch den Computereinsatz manche einfache manuelle Tätigkeiten verfangen worden. Hinsichtlich der gefragten Qualifikationen wird im Zusammenhang mit den neuen Technologien im Bürobereich ein tendenziell höheres Mass an Spezialisierungen und Höherqualifizierungen verlangt (Mikl-Horke 1988, S. 136ff), obwohl die blos-se Bedienung eines Computer als Arbeitswerkzeug keine ausgesprochen hohen Qualifikationen fordert. Andererseits stehen den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Computers im Bürobereich die durch dieses Arbeitsmittel verursachten Beeinträchtigungen gegenüber. Bedingt durch die viele Bildschirmarbeit und die immerzu gleiche Haltung ergeben sich Augenbeschwerden, Rückenprobleme und andere körperliche Beschwerden.

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3.2 Internet und Telearbeit – eine Chance?

Mit den Computertechnologien eröffnen sich auch Erwerbs- und Kommunikationsmöglichkeiten, die vom (Arbeits-)Ort unabhängig sind. Eines dieser neuen Technologien, über die die Meinungen zwar auseinander gehen, ob sie den behinderten Menschen nutzt oder eher schadet, stellt das Internet dar. Es kann als Mittel gesehen werden, das die aktive Integration ins Erwerbsleben fördert, z.B. indem es Bildungsmöglichkeiten anbietet, als Stellenanzeiger dient und Arbeitsmöglichkeiten im Bereich der Telearbeit eröffnet. Dabei sollen diese Angebote jedoch keinesfalls soziale Kontakte und Netze ersetzen (Griffon 1997).

Der Telearbeit können positive und negative Seiten abgewonnen werden. Befürworter betonen, wie sie Lösungsansätze für verschiedenste Probleme biete, denen behinderte Menschen im Zusammenhang mit ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt sind (Griffon 1997, Braichet 1997). Durch Telearbeit am Arbeitsplatz zu Hause fällt der meist mühsame und zeitaufwendige Arbeitsweg weg, der für behinderte Personen mit vielen Hürden architektonischer und verkehrstechnischer Art verbunden ist. Zudem vergrössert sich die Zahl der potentiellen Arbeitgeber, da auch für Firmen gearbeitet werden kann, die für Behinderte sonst nicht erreichbar wären. Ein weiterer positiver Aspekt für den Arbeitgeber wie auch für den behinderten Arbeitnehmer ist die Tatsache, dass es keine Probleme mit der Zugänglichkeit von sanitären Anlagen, den Parkplätzen, dem Personalrestaurant u.a.m. gibt.

Die Nachteile, die nicht zu unterschätzen sind und die sowohl für behinderte wie auch für nichtbehinderte Arbeitnehmer gelten, sind die fehlenden Kontakte mit Arbeitskollegen und -kolleginnen. Die Gefahr von Isolierung und Vereinsamung ist um so grösser, je weniger jemand in ein soziales Umfeld eingebunden ist. Da behinderte Menschen bereits einer stärkeren gesellschaftlichen Isolation ausgesetzt sind, besteht die Möglichkeit, durch Telearbeit noch mehr abgesondert zu werden. Zudem fällt es vielen schwer, sich selbst zu motivieren und zwischen Arbeit und Privatleben zu trennen, ob dies nun zu Gunsten oder zu Ungunsten der Arbeit ist. Andererseits kann diese Art der Arbeit auch etwas zur Entschärfung von Abhängigkeiten beitragen, wie sie manchmal zwangsläufig zwischen Behinderten und Nichtbehinderten am Arbeitsplatz bestehen, genauso wie zur Vermeidung von Konflikten unter denselben.

Ob also Telearbeit die ideale Lösung hinsichtlich Erwerbstätigkeit darstellt hängt also sehr vom Behinderungsgrad, der Lebenssituation und dem Wohnort des behinderter Arbeitnehmer oder der behinderten Arbeitnehmerin ab.

Es gibt keine genauen Zahlen über die Anzahl der Telearbeitsplätze in der Schweiz, aber es wird angenommen, dass diese Möglichkeiten bisher eher Randerscheinungen in der Arbeitswelt darstellen und vor allem in der Informatik und im wissenschaftlichen Bereich genutzt werden. Unbestritten aber eröffnen die neuen Technologien behinderten Menschen neue berufliche Perspektiven. Unter diesem Gesichtspunkt wäre eine Verbreitung der Telearbeit wünschenswert. Denn jede Tätigkeit, die eine körperlich beeinträchtigte Person ausüben kann, steigert ihre Lebensqualität und gibt ihr Selbstbestätigung. Ob die neuen Technologien nun integrationsfördernd oder eher hemmend sind, kann nicht pauschal beantwortet werden, sondern hängt von vielen Faktoren rund um das soziale Umfeld des einzelnen ab. Unbestritten kann die Computertechnik in Form von Internet und Telearbeit den Behinderten neuen Welten erschliessen, zu denen sie sonst nicht oder nur beschränkt Zugang hätten.

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4. Zusammenfassung

Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass weder eindeutig ist, wer als behindert gilt, noch dass genaue Aussagen darüber gemacht werden können, wie viele Erwerbstätige als behindert eingestuft werden. Leider kann aufgrund der fehlenden Statistiken auch nichts über bisherige Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt ausgesagt werden, aus welchen sich allenfalls zukünftige Trends für dieses Segment von Arbeitnehmern erarbeiten liessen. Eindeutig ist jedoch die Richtung, in die die Bestrebungen von Institutionen und Behindertenorganisationen gehen. Sie fordern eine vermehrte Integration von Behinderten in die Gesellschaft und die Arbeitswelt. Die Bedürfnisse von behinderten Menschen sollen in grösserem Masse in Betracht gezogen werden, wobei ihnen ein Mitspracherecht zugestanden werden muss, um ihre Anliegen auch selbst zu formulieren und nicht bevormundet zu werden.

In der Schweiz werden körperlich beeinträchtigte Menschen immer noch marginalisiert und es bestehen im Gegensatz zu anderen Ländern keine rechtlichen Grundlagen gegen spezifische Diskriminierungen. Ein Vorstoss in diese Richtung hat der selbst behinderte Nationalrat Suter unternommen. Er unterbreitete eine parlamentarische Initiative in Form einer allgemeinen Anregung, die die Gleichstellung von Behinderten in der Bundesverfassung verankern soll. In der vorgeschlagenen Formulierung eines Verfassungsartikels geht es unter anderem um die Gleichstellung von Behinderten in Schule, Ausbildung und Arbeit, Verkehr, Kommunikation und Wohnen. Zudem werden Massnahmen zur Beseitigung von diesbezüglichen Ungleichheiten verlangt.

Die vorausgegangenen Ausführungen über die Situation von Behinderten auf dem Arbeitsmarkt haben gezeigt, dass ein Handlungsbedarf besteht, diese in vielen Lebensbereichen noch immer benachteiligte Gruppe von Menschen ins allgemeine Bewusstsein zu rufen. Doch das Dilemma zwischen sozialer Verantwortung und wirtschaftlichen Gegebenheiten zeigt sich ganz besonders bei diesem Bevölkerungssegment. Die IV, deren Grundsatz "Eingliederung vor Rente" lautet, bemüht sich offensichtlich, Behinderte beruflich einzugliedern. Doch in der heutigen Zeit, wo nur Stellenabbau und nicht soziale Massnahmen in Betrieben den Shareholder Value in die Höhe treiben, stehen die Chancen für nicht der Norm entsprechende ArbeitnehmerInnen noch schlechter. Zugleich "produziert" die gegenwärtig vorherrschende wirtschaftliche Haltung zunehmend neue IV-Fälle. Dabei handelt es sich um Personen, die aufgrund ihrer verminderten körperlichen Leistungsfähigkeit ausgemustert werden oder um solche, die ihre Arbeitslosigkeit nicht verkraftet haben und von körperlichen und psychischen Beschwerden ergriffen werden.

Die Frage, ob die neuen Technologien, die in die Arbeitswelt Einzug hielten, mehr Arbeitsplätze für Behinderte geschaffen haben, kann im quantitativen Sinne so nicht beantwortet werden. Je nach Sektor und Berufssegment sind die Veränderungen als positiv oder negativ zu bewerten. Die Beschäftigung von Behinderten in der Industrie wird immer schwieriger, da durch neue Technologien und Arbeitskonzepte Arbeitsplätze mit sich wiederholenden, einfachen Handgriffen zusehends wegfallen. Die Chance für behinderte Arbeitnehmer mit entsprechender Ausbildung, Interesse und Fähigkeiten besteht vor allem im Dienstleistungs- bzw. Bürobereich. Hier können viele körperlich Behinderte mit guter Ausbildung durchaus mit Nichtbehinderten konkurrenzieren, vorausgesetzt, der Arbeitsplatz ist auf ihre spezielle Behinderung angepasst. Dasselbe gilt für Telearbeitsplätze, die von der beruflichen Perspektive her als eine Chance für körperlich Beeinträchtigte gesehen werden können.

Trotz der technisch vorhandenen Möglichkeiten bleibt die berufliche Integration für viele körperlich behinderte Personen, die durchaus in den freien Arbeitsmarkt eingliedert werden könnten, ein Wunschtraum. Unsere (schweizerische) Arbeitsgesellschaft ist noch zu wenig für die Hindernisse und Probleme von behinderten Mitmenschen sensibilisiert. Positive Massnahmen, wie sie auch im Zusammenhang mit der Gleichbehandlung der Geschlechter gefordert werden, könnten im gleichen Zug für behinderte ArbeitnehmerInnen getroffen werden. In dieser Hinsicht ist in der Schweiz noch viel Arbeit zu leisten. Für Anregungen und Wege der Verwirklichung lohnt sich auch jeweils ein Blick über die Landesgrenze.

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Literaturliste

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Last update: 02 Feb. 15

 

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Prof. Hans Geser
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