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Sociology of Work and Organization 

 

Bibilographische Zitation:
Albert, Ernest:
Auswirkungen internationalisierter Produktion auf qualifizierte Arbeit in früh industrialisierten Gesellschaften. In: Sociology in Switzerland: Sociology of Work and Organization. Online Publikationen. Zürich Oktober 2004. http://socio.ch/arbeit/t_albert.htm


Auswirkungen internationalisierter Produktion auf qualifizierte Arbeit in früh industrialisierten Gesellschaften

Ernest Albert
ernestalbert@freesurf.ch

Zürich, Oktober 2004

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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungen

1. Einleitung

1.1 Soziologische Relevanz des Themas und Ziel der Arbeit
1.2 Fragestellung
1.3 Methode und Arbeitsaufbau

2. Hauptteil

2.1 Begriffsklärungen

2.1.1 Internationalisierte Produktion
2.1.2 Qualifizierte Arbeit
2.1.3 Früh industrialisierte Gesellschaften

2.2 Beschwichtigende Perspektiven, entwarnende Positionen

2.2.1 Theoriebezug
2.2.2 Argumentationsmuster
2.2.3 Empirische Unterstützung
2.2.4 Handlungsempfehlungen

2.3 Alarmierende Perspektiven, warnende Positionen

2.3.1 Theoriebezug
2.3.2 Argumentationsmuster
2.3.3 Empirische Unterstützung
2.3.4 Handlungsempfehlungen

2.4 Diskussion

2.4.1 Theoretische Diskussion
2.4.2 Diskussion der Empirie
2.4.3 Pragmatische Diskussion

3. Schlussfolgerungen, Synthesen, Zusammenfassung

4. Quellen


Abkürzungen

IP: Internationalisierte Produktion

FIG: Früh industrialisierte Gesellschaften

I(K)T: Informations- (und Kommunikations-) Technologie

F&E: Forschung und Entwicklung

NGO: Non-Governmental Organization

EvB: "Erklärung von Bern" (NGO)

BMWA: (Deutsches) Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit


1. Einleitung

1.1 Soziologische Relevanz des Themas und Ziel der Arbeit

Die grossen weltwirtschaftlichen Entwicklungen haben ein kaum zu überschätzendes Einflusspotenzial auf alle menschlichen Einzelgesellschaften. Denn wie global die Entwicklungen auch sein mögen - spürbar werden ihre Auswirkungen letztlich auf individueller sowie auf regionaler und (supra)nationaler Ebene. Während Kapital Distanzen fast beliebig überwindet, bleibt Arbeit durch ihre unmittelbarere Involviertheit in die physische Welt ortsgebundener. Die wahrscheinlich verbreitetsten Sorgen im Rahmen der sogenannten Globalisierung und insbesondere der Internationalisierung der Produktion betreffen daher lokale Arbeitsmärkte - die Quantität ihres Angebots einerseits und dessen Qualität, beziehungsweise Vielfalt, andererseits. Dauernde Massenarbeitslosigkeit und Mangel an höher entlöhnten Arbeitsstellen bergen ihr je eigenes Anomiepotenzial und erfordern so beide höchste Aufmerksamkeit seitens der Soziologie.

Ziel dieser Arbeit ist es, zu ermitteln, wie berechtigt heute vor allem die Sorgen um höher qualifizierte Arbeitsplätze in früh industrialisierten Gesellschaften sind. Genauer, sollen die im folgenden Abschnitt (1.2.) formulierten Fragen möglichst weitgehend beantwortet werden.

Inhalt

1.2 Fragestellung

Welches sind die Auswirkungen internationalisierter Produktion auf qualifizierte Arbeit in früh industrialisierten Gesellschaften?

Durch welche typischen Theoriebezüge lassen sich beschwichtigende Perspektiven, beziehungsweise entwarnende Forschungspositionen zu diesen Auswirkungen kennzeichnen? Welches sind ihre wichtigsten Argumentationsmuster? Auf welche empirischen Befunde lassen sie sich stützen? Welche Stärke und Richtung eines Handlungsbedarfs sehen sie?

Wie steht es für jeden der vier genannten Bereiche mit alarmierenden Perspektiven beziehungsweise warnenden Forschungspositionen?

Zu welchen Schlussfolgerungen und allfälligen Synthesen lässt sich derzeit bei einem auch bewertenden Vergleich der genannten Haupttendenzen der Forschung über alle vier Bereiche - theoretische Basis, Plausibilität der Einzelargumente, empirische Basis und pragmatische Ausrichtung - gelangen?

Inhalt

1.3 Methode und Arbeitsaufbau

Diese Arbeit dokumentiert keine eigene direktempirische Untersuchung. Sie möchte die unter 1.2. formulierte Fragestellung mit durchgehend interpretativer und argumentativer Methode bearbeiten. Dabei wird sie sich intensiv auf die unter 4. gelisteten Quellen stützen.

Der folgende Hauptteil (2.) soll dazu als erstes die drei wichtigsten Begriffe aus dem Titel der Arbeit, internationalisierte Produktion, qualifizierte Arbeit und früh industrialisierte Gesellschaften im Sinne ihrer hier beabsichtigten Verwendung klären helfen. Sodann soll es eine Eigenschaft dieser Arbeit sein, ihre zentrale Frage primär über den Vergleich konkurrierender Perspektiven und Forschungspositionen zu bearbeiten. Die inhaltliche Aufteilung in eine beobachtbare eher "beschwichtigende" und eine eher "alarmierte" Haupttendenz der Forschung wird daher bereits nach der Begriffsklärung folgen und insoweit typisierend sein, als auch Einzelinhalte sehr ausgewogener Beiträge der besseren Illustration einer von beiden Sichtweisen dienen können. Nach dem Vorstellen der genannten beiden Haupttendenzen unter theoretischem, argumentativem, empirischem und pragmatischem Aspekt folgt eine vergleichende und bewertende Diskussion. Die auf Einzelargumente bezogene Diskussion wird dabei der theoretischen Diskussion eingegliedert.

Den Schlussteil (3.) bilden die Schlussfolgerungen und Synthesen, wie sie sich insbesondere aus dem Diskussionsteil ergeben. Da diese Arbeit als Ganze aus einem Vergleich aktueller, konkurrierender Perspektiven und Forschungspositionen ohne besondere Betonung chronologischer oder sonstiger natürlicher Gliederungskritierien besteht, präsentieren sich die Schlussfolgerungen und Synthesen gleichzeitig als Zusammenfassung (der Ergebnisse) des Gesamttextes. Sie enthalten die wichtigsten Antworten, welche die Arbeit auf die eingangs formulierten Forschungsfragen gefunden hat.

Inhalt


2. Hauptteil

2.1 Begriffsklärungen

2.1.1 Internationalisierte Produktion

Unter internationalisierter Produktion soll eine der bedeutendsten Rationalisierungsstrategien der Gegenwart verstanden werden.

Hirsch-Kreinsen nutzt das Attribut posttayloristisch zu ihrer sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Einordnung. Dies lässt sich in den groben Zügen gut plausibilisieren, doch soll hier nicht auf diesem Attribut insistiert werden, da sich bei näherer Betrachtung Internationalisierungsstrategien und wichtige Elemente tayloristischer Strategien der Produktion keineswegs ausschliessen. Zumindest auf Ebene der Arbeitsorganisation im Zeitalter der Internationalisierung spricht Hirsch-Kreinsen denn auch von einer neo-tayloristischen Entwicklungsvariante (Hirsch-Kreinsen 1994: 434-442).

Ohne Vorbehalt lassen sich indes die drei grundlegenden Substrategien, in die sich internationalisierte Produktion aufgliedern lässt, von Hirsch-Kreinsen übernehmen. Es sind dies, geordnet nach Engagement oder Risikobereitschaft des Investors: (a) die Verlagerung von Produktionsstätten in andere Länder, (b) Direktinvestitionen in ausländische Unternehmen und Joint-Ventures (vorübergehende, projektspezifische Zusammenschlüsse) und (c) die Integration einzelner nationaler Unternehmen zu länderübergreifenden Zuliefer-Abnehmerbeziehungen (ebd.: 435).

In jedem der drei Fälle kommt Rationalisierung wesentlich dadurch zustande, dass über eine gewisse oder die ganze Strecke des Produktionsprozesses billigere oder bessere Arbeit in das Endprodukt eingeht, als es bei ausschliesslicher Nutzung "heimischer" Produktionsstandorte der Fall wäre. Damit sich eine Internationalisierungsstrategie auch praktisch lohnt, müssen zwar viele weitere Faktoren ausser den Arbeitskosten und der Arbeitsqualität berücksichtigt werden, so kulturelle Faktoren, Ausbildungskosten, segmentspezifische Standortstärken und -schwächen, rechtliche Rahmenbedingungen und Transportkosten (vgl. Hirsch-Kreinsen/Schulte 2000: 14-16). Dass aber die Rechnung gegenwärtig immer wieder aufgeht, deutet der hohe Stellenwert von Internationalisierungsstrategien bei heutigen Grossunternehmen und einer gewachsenen Zahl diesbezüglich sogar staatlich geförderter kleiner und mittlerer Unternehmen (KMUs) aus Hochlohnländern an (vgl. BMWA o.J.a, o.J.b, Müller 2001: 2). Während Caporaso und Hirsch-Kreinsen zentrale Hinweise auf die sozial- und wirtschaftshistorischen Wegbereiter der genannten Strategien liefern (Caporaso 1991: 187-219, Hirsch-Kreinsen 1994: 434-437), interessieren diese hier vor allem als bereits gut etablierte Phänomene mit vermutlich grossem eigenem Einflussvermögen auf der sozioökonomischen Makroebene.

Wo der Kontext es erlaubt, werden in dieser Arbeit auch solche Quellen berücksichtigt, die statt internationalisierte Produktion (ab hier abgekürzt IP) inhaltsverwandte Varianten des populären und umfassenderen Globalisierungs-Begriffs verwenden - eingedenk dessen, dass die Passgenauigkeit auf das interessierende Phänomen dort jeweils besonders prüfenswert ist.

Inhalt

2.1.2 Qualifizierte Arbeit

Es liegt ein gewisser Grundwiderspruch in dem Versuch, Qualifikation zu quantifizieren. Das Studium der Literatur zeigt aber, dass sich dennoch forschungspraktische Usancen der Skalierung von Arbeitsqualifikation herausgebildet haben, auf die oft implizit Bezug genommen wird. Üblich sind die Koppelung an formale Bildungsabschlüsse, die mehr oder weniger international vergleichbar sind oder der Vergleich typischer Anlernzeiten für eine Tätigkeit. Nun ist es beim gegebenen Interesse an einer branchen- und sektorenübergreifenden Fragestellung mit Einbezug vieler Forschungsbeiträge nicht sinnvoll, mit einer zu hoch auflösenden Skala zu operieren, die von den meisten Beiträgen nicht unterstützt würde. Daher soll beim Fehlen genauerer Angaben im Text nur eine zweistufige Skala gedacht und von der Kategorie "qualifizierter Arbeit" lediglich solche Arbeit ausgenommen werden, für die keine oder nur elementare formale Bildung und eine Anlern- beziehungsweise Einarbeitungszeit on the job in der Grössenordnung weniger Stunden ausreichend sind. Typischerweise handelt es sich bei diesen übrigbleibenden Tätigkeiten um die direkte Fertigung oft einfacher Massenteile bei hoher Arbeitsteilung. Allerdings liessen sich auch aus dem Dienstleistungssektor zahlreiche Beispiele solcher "unqualifizierter" Arbeit heranziehen (vgl. Caporaso 1991: 205).

Abgesehen von den höheren Anforderungen an die formale Vorbildung und das praktische Fachwissen hebt sich qualifizierte Arbeit durch eine in der Regel bessere Entlöhnung von unqualifizierter Arbeit an demselben Produktionsstandort ab.

Inhalt

2.1.3 Früh industrialisierte Gesellschaften

Die ersten Gebiete, die von der industriellen Revolution erfasst wurden, waren England und seine ehemalige Kolonie, die USA, Frankreich, die Niederlande, Belgien, Deutschland, Österreich und die Schweiz. In all diesen Ländern reichen mindestens die ersten Anzeichen der Industrialisierung ins 18. Jahrhundert zurück, während der eigentliche Takeoff spätestens in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts stattfand (vgl. Kinder/Hilgemann 1987: 42f, Killick 1977: 125-139, Rürup 1984: 62-65). Ihre Gesellschaften zeigen sich durch die frühe Austragung sozialer Kämpfe geprägt, die letztendlich zumindest zu einer Variante des vollentwickelten Wohlfahrtstaates geführt haben; jedoch nicht, wie in manchen bald darauf industrialisierten Gebieten Osteuropas, zu einer zeitweiligen sozialistischen oder kommunistischen Gesellschaftsordnung (Ostdeutschland als kleinerer Teil Deutschlands ausgenommen).

Dass sich ein grosser Teil der für diese Arbeit genutzten Quellen schwerpunktmässig auf Deutschland bezieht, ist kein Nachteil. Der grösste westeuropäische Industriestaat repräsentiert heute die frühindustrialisierten Gesellschaften in mancher Hinsicht besonders gut. Erstens besitzt er ein besonders stark ausgebautes und entsprechend kostspieliges System sozialer Sicherheit und allgemeiner Wohlfahrt; zweitens ist sein grosser industrieller Sektor extrem export- und innovationsabhängig und seine Wirtschaft stark "international verflochten"; drittens kämpft er mit dem Problem einer Massenarbeitslosigkeit von über zehn Prozent der Erwerbsbevölkerung, die man unter anderem aufgrund ihrer bislang geringen quantitativen Beeinflussbarkeit selbst in Hochkonjunkturperioden durchaus "strukturell" nennen kann. Aber auch in vielen anderen Belangen scheinen die frühindustrialisierten Gesellschaften (ab hier abgekürzt FIG) eine sozioökonomische Schicksalsgemeinschaft mit zumindest ähnlichen Eigenschaften und Problemen geblieben oder geworden zu sein, wie Deutschland sie aufweist (vgl. u.a. BMWA 2003: 1-12, Kessler 2004: 1-10).

Inhalt

2.2 Beschwichtigende Perspektiven, entwarnende Positionen

2.2.1 Theoriebezug

Die zentrale These zur Verankerung eher entwarnender Positionen in Bezug auf die hier bearbeitete primäre Forschungsfrage ist die Komplementaritätsthese. Sie behauptet im engeren Sinn eine positive Korrelation zwischen internationalen Direktinvestitionen und Exporten. Dies, weil die Investitionen im Ausland zusätzliche Exportchancen generieren und damit die inländische Arbeitsnachfrage stimulieren (Henneberger/Ziegler 2001: 1; vgl. auch 2.3.1.). Die These scheint aber auch über den Bereich der Direktinvestitionen hinaus erweiterbar und könnte dann dahingehend lauten, dass die unter Internationalisierung subsumierbaren Unternehmensaktivitäten im Allgemeinen den erwähnten ergänzenden Arbeitsmarkteffekt im Ursprungsland zeitigen. Dies, indem auch etwa erfolgreiche strategische Allianzen heimische Unternehmen konkurrenzfähig halten und zunächst die Gefahr von Konkursen mit einem jeweiligen Totalverlust der Arbeitsplätze abwenden; darüberhinaus verbinden sich aber mit der Konkurrenzfähigkeit neue Wachstumschancen. Oder aber, indem die traditionelle Standortvorteile ausnützende Einbindung heimischer Unternehmen in internationale Zuliefer-Abnehmerbeziehungen diesem Unternehmen in der Regel die einträglicheren Abschnitte der Wertschöpfungskette sichert und bei so ermöglichtem Wachstum einen nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ besonders wünschenswerten Effekt auf den heimischen Arbeitsmarkt ausübt.

Die Komplementaritätsthese und inhaltlich verwandte Thesen zeigen sich in der Literatur nicht explizit abhängig von tradierten ökonomischen oder sozialwissenschaftlichen Makrotheorien. Die meisten von diesen Theorien scheinen herbe Ansehensverluste durch dauernde harte Kollisionen mit der empirischen Realität erlitten zu haben. Dennoch unterstützen einige der betreffenden Theorien ihren grundlegenden Visionen nach Sichtweisen wie die Komplementaritätsthese besser als andere.

So ist es in der neoklassischen Wirtschaftstheorie der starke Glauben an die selbständige Regulierungskraft der (Welt-)Märkte und ein Optimismus bezüglich darin langfristig möglicher Vollbeschäftigung (vgl. etwa Fagerberg et al. 1995: 1, Nelson 1994: 290-324), die den Anhänger dem Phänomen der IP gegenüber zuversichtlich stimmen, und zwar sowohl für die Ökonomien der FIG, als auch für die im Zeitverlauf hinsichtlich wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit "konvergierenden" Entwicklungsländer.

Aber auch Anhänger von evolutionären Sozial- und Wirtschaftstheorien haben einige Gründe zur Zuversicht für die Ökonomien und Arbeitsmärkte der FIG. Zwar wandelt sich das globale Wirtschaftsgeschehen in ihrer Sichtweise ständig, wobei viel "schöpferische Zerstörung" im Sinne Schumpeters anfällt. Aber einmal entstandene Standortstärken weisen auch ein beträchtliches Beharrungsvermögen auf, das durch bewusste Unterstützung noch vertärkt werden kann. Denn die Wirtschaftsentwicklung an einzelnen Standorten wird als pfadabhängig gesehen (vgl. etwa Hotz-Hart et al. 2001: 17, 160-163, 215f), als nicht von heute auf morgen von anderen Ökonomien imitierbares Geflecht historisch gewachsener, spezifisch ausgeprägter Standortfaktoren (wie zum Beispiel leistungsfähigen Bildungsanstalten und ihren eingespielten Verbindungen zu innovativen und erfolgreichen lokalen Unternehmen; oder die Sozialisation von Systemvertrauen und besonders "produktiven" Arbeitsethiken).

Inhalt

2.2.2 Argumentationsmuster

Unmittelbar unterhalb der Ebene der Komplementaritätsthese oder ihrer Konkurrenzthese, der Substitutionalitätsthese (vgl. 2.3.1.) lassen sich Beispiele von Argumentationsmustern aufzählen, die typischerweise in den Dienst der betreffenden Thesen gestellt werden. Als Hypothesen liessen sie sich wohl nicht durchwegs bezeichnen, da sie in den Quellen nicht alle zu demselben Grad unabhängiger Operationalisierbarkeit und allenfalls vorläufiger empirischer Bestätigung gediehen sind. Von den empirischen Ergebnissen, die allerdings zur Stützung wichtiger Argumente angeführt wurden, finden sich aussagekräftige Beispiele in den separaten Empirieabschnitten 2.2.3., respektive 2.3.3.. In die Argumentationsmuster sollen gelegentlich kohärente eigene Anschlussüberlegungen einfliessen, wenn jene sich - noch ausserhalb einer eigentlichen Diskussion - so pointierter darstellen lassen.

2.2.2.1 Geringer Kapitalabfluss in Entwicklungs- und Schwellenländer

Produktionsverlagerungen in Niederiglohnländer schaffen Raum für einen produktivitätssteigernden Strukturwandel in den FIG, bei dem es Gewinner und Verlierer gibt. Hochproduktive Arbeitskräfte zählen zu den Gewinnern, wenig qualifizierte Arbeitskräfte zu den Verlierern (vgl. Härtel/Jungnickel 1996: 247-248, Krugman 1998: 54). Dies drückt sich zunächst in einem steigenden Lohngefälle besonders in solchen FIG aus, in denen geringe staatliche Einkommensumverteilung stattfindet. Dass auch die hochproduktiven Arbeitskräfte von dem Strukturwandel herausgefordert werden, ist (1996!) erst mittelfristig, in Europa etwa durch die aufholende Wettbewerbsfähigkeit der osteuropäischen Transformationsländer zu erwarten. Im Rahmen dieses Aufholprozesses werden aber gleichzeitig neue Exportchancen in die aufholenden Länder durch die FIG genutzt werden können (Härtel/Jungnickel 1996: 248).

Demgegenüber ist für Produktion, welche hohe Einkommen ermöglicht, die Standortkonkurrenz durch andere weit entwickelte Industrieländer (1996) das Hauptproblem (ebd.: 249). In diesem Bereich hochqualifizierter Arbeit wäre es somit trotz einigen exotischen Verlagerungsbeispielen verfehlt, sich primär vor den Entwicklungsländern und ihren Tiefstlöhnen zu "fürchten".

So gross die aufsummierten Beträge an internationalen Direktinvestitionen in die Dritte Welt seitens der FIG denn auch scheinen, so bescheiden nehmen sie sich im Vergleich zum Investitionsvolumen in der ersten Welt aus. Deren Kapitalstock fällt dementsprechend nur im Bereich weniger Prozent geringer aus, als es ohne die Investitionen in die Entwicklungs- und Schwellenländer der Fall wäre. Wird davon ausgegangen, dass es die der Arbeit an einem Produktionsstandort zur Seite stehende Kaptialmenge ist, die über die Arbeitsproduktivität und damit über die Reallöhne entscheidet, entsteht bei der erwähnten Investitionsverteilung daher nur ein geringer Druck auf die Löhne in den FIG. Bei Orientierung an einer klassischen Produktionsfunktion handelt es sich um noch weniger Prozent als der genannte geringe Verlust an Kapitalstock, da ja das Kapital nur der eine Produktionsfaktor (neben Arbeit) ist (vgl. Krugman 1998: 51-52). Und bei einem Fokus auf qualifizierte Arbeit in den FIG ist es durchaus sinnvoll, dem Reallohnniveau mindestens so viel Beachtung zu schenken wie der Verfügbarkeit von Arbeit an sich. Denn höher qualifizierte Arbeitnehmer dürften sich in der Regel weniger darum sorgen, irgend eine Arbeit zu finden, als eine gut entlöhnte.

Das für viele so bedenkliche Ausmass an internationalen Direktinvestitionen in Entwicklungs- und Schwellenländer seit den 1990er Jahren ist aber nicht nur im Vergleich zum Investitionsvolumen innerhalb der Triade USA-Westeuropa-Japan gering. Es ist auch gering im Vergleich zum ganz gewöhnlichen Budgetdefizit besonders der USA und damit zu dem konstanten rein inländischen Kapitalstrom, der zu dessen Kontrolle nötig ist. Die Vorstellung eines überall kurzfristig nutzenmaximierenden, frei umherschweifenden Kapitals aus den FIG ist also quantitativ verfehlt - zum grössten Teil verrichtet es daheim den unerfreulichen Hausdienst des Löcherstopfens (vgl. ebd.: 53).

2.2.2.2 Lohnkosten entscheiden oft nicht den Produktionsstandort

Qualifizierte Arbeitskräfte in den FIG fürchten nicht anders als ihre weniger qualifizierten Mitbürger primär Produktionsverlagerungen aufgrund des Standortfaktors der Lohnkosten sowie der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen. Es muss laut Jungnickel aber keineswegs als zwingend gesehen werden, dass die Internationalisierung der Unternehmen primär unter Lohn- oder unter Kostenaspekten überhaupt erfolgt. Unternehmen können ihre Ziele ausser durch Kostenreduktion auch durch Erlössteigerung und damit durch eine Stärkung der Marktposition und der Innovationsfähigkeit erreichen; sie schaffen laut Jungnickel so Spielraum für Preissteigerungen. Wichtige Argumente können gegen eine rein lohnkostenorientierte und für eine an der Marktnähe orientiere Wahl des Produktionsstandortes sprechen: der bessere Marktzugang durch lokale Präsenz, die indirekte Förderung des Exports anderer Produkte und die bessere Beobachtung und Kontrolle der Konkurrenz vor Ort (Jungnickel 1995: 63-64).

Entsprechend ist ein grosser Teil der Gründung oder Aquisition ausländischer Vertriebs-, Service- und Produktionsstätten sowie der grenzüberschreitenden Kooperationen absatzorientiert. Sie konkurriert nicht in erster Linie mit der heimischen Produktion, sondern zielt oft auf das Erschliessen räumlich begrenzter Märkte, die etwa aufgrund von Handelsbeschränkungen nicht durch direkte Exporte beliefert werden können (Härtel/Jungnickel 1996: 267-268).

In Lohnkosten begründete IP betrifft sodann nur Produkte, die überhaupt lohnkostenintensiv sind. Auf manche heute umsatzstarke Hardware wie Chips oder Mobiltelefone trifft dies nicht zu. Sind die teure und qualifikationsintensive Forschung und Entwicklung eines Produkts dieser Sparte einmal abgeschlossen, fällt im Vergleich zu den Material- und sonstigen Kosten kaum mehr Arbeit bis zum fertigen Massenprodukt an und eine Produktionsauslagerung in Billiglohnländer wird auch in Zukunft kaum erforderlich sein. Darüber hinaus gibt es besonders im Bereich qualifizierter Arbeit Tätigkeiten, die sich kaum funktional zergliedern und dann in Stücken "offshoren" lassen (vgl. Müller 2003: o.S., Maly 1995: 86-87).

Wo sich Offshoring dennoch (aufgrund der Arbeitskosten) lohnt, fliessen die eingesparten Unternehmensmittel oft in Inlandsinvestitionen, die nach wie vor einen Grossteil der Gesamtinvestitionen ausmachen können (vgl. BMWA 2003: 5).

2.2.2.3 Unterangebot qualifizierter Arbeit in früh industrialisierten Gesellschaften

Internationale Forschungs- und Entwicklungs- (F&E-) Aktivitäten sind notwendig zur Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit heimischer Unternehmen, nicht eine Gefahr für heimische Standorte. F&E-Aktivitäten sind ein Bereich mit besonders hohem Anteil an qualifizierter Arbeit. Laut Kuemmerle ist ein zentralistischer F&E-Ansatz heute gar nicht mehr aufrechtzuerhalten. Innovationsabhängige Unternehmen müssen ebenso raschen Zugang zum anderswo erzeugten Wissen haben wie zu dem aus heimischen Universitäten und Forschungsinstituten stammenden. Also müssen sie global präsent sein. Ebenso rasch muss dann die Einführung des nur kurze Zeit durch eine bestimmte Innovation attraktiven Produkts - dessen Preis noch unperfekte Konkurrenz spiegelt - auf allen internationalen Märkten erfolgen. Hierfür ist die Präsenz vor Ort erneut notwendig (vgl. Kuemmerle 1998: 235).

Gegen einen Nachfrageschwund nach hochqualifizierter Arbeit in den FIG spricht die generelle Bedeutungszunahme von F&E-Aktivitäten und -Koordination in der Wissensbasierten Volkswirtschaft - deren Merkmal nicht der Verzicht auf ausländische F&E-Aktivitäten ist, sondern die Fähigkeit, Technologien aus verschiedenen Bereichen miteinander und mit ökonomischen Strategien auf breiter Ebene gewinnbringend zu verschmelzen. Die wissensbasierte Volkswirtschaft baut stark auf Phänomene wie das Leontieff-Paradox, wonach Hochlohn-Ökonomien auch in arbeits-, nicht nur kapitalintensiven Sektoren Exportmärkte dominieren können - solange sie immer wieder einen technology gap gegenüber aufholenden Ökonomien öffnen können und der internationale imitation lag länger als der demand lag für die jeweiligen Produkte dauert (vgl. Freeman 1989: 91-92). Soll aber noch weit systematischer als bisher auf solche Effekte gebaut werden, ist eher von einem Unter- statt von einem Überangebot an (hoch)qualifizierter Arbeit in den FIG auszugehen. Denn für die FIG wäre aufgrund überlieferter Standortvorteile vor allem in Form lokaler Innovationsnetzwerke die einträgliche technologische Vorreiterschaft weiterhin eine natürliche Rolle. Aber sie werden gerade aufgrund eines erheblichen Skill-Mismatch zwischen ihrer gegenwärtigen Arbeitnehmerschaft und den zukünftigen Qualifikationsanforderungen dieser Rolle darin behindert, sie weiterhin zu spielen (Hotz-Hart et al. 2001: 5-7, 113-120). Das Problem der qualifizierten Arbeit in den FIG ist so gesehen also, dass sie noch zu wenig oder falsch qualifiziert ist - nicht, dass die Unternehmen sich mit dem Druckmittel ihrer IP-Optionen um gute Löhne drückten.

Müssen ausländische Spitzenkräfte aufgrund des Skill-Mismatch ins Land geholt werden, sollte dies wiederum nicht dramatisiert werden. Der heimische Standort wird dabei ja gefördert, Steuern und Sozialabgaben werden lohnabhängig im Gastland entrichtet; und an die vergebenen Arbeitsplätze sind oft zusätzliche Arbeitsplätze gekoppelt, die mit Einheimischen besetzt werden können (vgl. Kessler 2004: 6).

2.2.2.4 Entscheidender Branchenfokus

Entgegen den zu starken Generalisierungen neoklassischer Modellierungstradition sind nicht alle Produkte mit existierenden Märkten und nicht alle ökonomischen Sektoren, beziehungsweise Branchen grundsätzlich gleichberechtigt. Für die Produktion volkswirtschaftlichen Erfolgs und damit eines attraktiven Arbeitsmarkts war es in den 1970er und 80er Jahren zum Beispiel besser, sich auf Automobile statt auf Pyjamas (im potenziell gleichen Verkaufswert) zu konzentrieren. Dies, weil davon die epochenspezifisch relevanteren Folgeeffekte für die Volkswirtschaft ausgingen und sich aus Automobilen mehr Handelsmacht als aus den Pyjamas gewinnen liess. In einer früheren Epoche war es hingegen die Baumwollverarbeitung, die fast allein über die globale Handelsmacht entschied. Somit sind die Produkte ökonomischer Aktivität nicht nur nach ihrem Marktwert zu quantifizieren, sondern auf einer segmentabhängigen, historisch variablen Qualitätsskala zu verorten, welche Aussagen über den Imperfektionsgrad der Konkurrenz, die Innovationsnähe, den Dynamismus, die Steilheit zugehöriger Lernkurven, die chronologische Ungleichmässigkeit der Investitionsanforderungen, die erforderliche industrielle Konzentration oder das Potenzial einer festen Markenkoppelung des Produkts impliziert (Reinert 1995: 179-193). Rangieren die ökonomischen Aktivitäten der FIG weiterhin zu grossem Teil am oberen Ende dieser Skala, sichern sie sich langfristig und ein Stückweit unabhängig von ihren quantitativen Handelsbilanzen qualifizierte Arbeit (vgl. Gereffi et al. 1994: 1-14).

2.2.2.5 Personalabbau bedarf qualifizierter Arbeit

Wenn sich Firmen (unter Globalisierungsdruck) für eine Reduktion ihres Personalbestands entscheiden, steigen die Qualifikationsanforderungen an das verbleibende Personal, da dieses tendenziell ein breiteres Spektrum von Aufgaben übernehmen muss (vgl. Geser 1999: 17). Dadurch werden relativ qualifizierte Arbeitnehmer in der Regel unterproportional vom Personalabbau betroffen - selbst wenn sie für sich genommen mehr kosten sollten als ihre ehemaligen Teammitglieder. Dies kann überhaupt für Betriebe gelten, die Arbeit durch Kapital substituieren, also in der Regel immer komplexere technische Anlagen betreiben (ebd.: 8).

2.2.2.6 Das Potenzial des Dienstleistungssektors

Einzelne FIG haben ihre aus dem Vergleich mit anderen OECD-Ländern schätzbaren

Beschäftigungspotenziale im wachsenden Dienstleistungssektor noch bei weitem nicht ausgeschöpft. Zwar sind es zu einem grossen Teil Potenziale im Niedriglohnbereich, doch handelt es sich etwa für Deutschland insgesamt um Millionen von Stellen. Für den qualifizierten Arbeitsmarkt sind dabei besonders die erwartbaren Strukturveränderungen in der typischen Organisation mitteleuropäischer Betriebe interessant. Es wird aufgrund des globalisierungsbedingten Anstiegs des Innovations- und Vermarktungsdruckes auf die Firmen erwartet, dass die Innovation generierenden und den Markt bearbeitenden Abteilungen in den Vordergrund und aus dem Schlepptau der Produktion treten werden. Eine höhere Professionalisierung und Spezialisierung dieser Bereiche wird die Entwicklung begleiten. Fachhochschul- und Hochschulabsolventen werden vermehrt an die Stelle von (im Produktionsbereich) selbstausgebildeten Mitarbeitern treten (Baethge 2001: 26-42).

Durch die technischen Entwicklungen im Telekommunikationsbereich verbesserte Möglichkeiten der Telearbeit dürften zwar weniger stark genutzt werden, als in einer vorübergehenden Euphoriephase angenommen. Doch werden es erneut (hoch)qualifizierte Arbeitskräfte mit stark nachgefragten Fähigkeiten sein, die bei den Unternehmen weiterhin auf die Bereitschaft zusätzlicher Kommunikationskosten werden rechnen können (Dostal 2001: 61). Wenn es dem erfolgreichen Texter in freier Mitarbeit beliebt, internationalisiert er bereits heute insoweit seine Produktion, als er etwa mit seinem Laptop-Computer auf einer Ferieninsel am Swimmingpool arbeitet. Über das Internet kann er auf ausreichende Informationsgrundlagen für seine aktuellen Aufträge zugreifen (vgl. Kessler 2004: 6).

2.2.2.7 Wohlstandswachstum ohne Lohnerhöhung

Nicht nur die Versorgung von wertschöpfungs- und qualifikationsintensiven Unternehmensteilen in den FIG durch bessere oder billigere Zulieferungen aus dem Ausland kommt den FIG insgesamt zugute, sondern auch die entsprechende bessere Versorgung der Endverbraucher in den FIG (Jungnickel 1995: 72). Insoweit es eine Eigenschaft des Wohlstands ist, Güter erschwinglich zu machen, bedeutet etwa ein importiertes Elektrogerät gleicher Qualität, aber zu billigerem Preis, eine relative und einkommensunabhängige Verbesserung des Wohlstands seines Käufers.

Ein weiteres Argument in dieser Richtung liefern Härtel und Jungnickel dadurch, dass sie zwar den wachsenden Druck durch IP selbst in die für den regionalen Bedarf produzierenden heimischen Sektoren einräumen, diesen Druck aber als notwendig für

Qualitätsverbesserungen und Kostensenkungen bewerten, die ebenfalls dem Endverbraucher oder lokalen Unternehmer zugute kommen (Härtel/Jungnickel 1996: 31).

2.2.2.8 Ethisch geprägte Grundsatzargumente

Die Sorge um Arbeitsplätze an einem vorbestimmten "Herkunfts-" Standort kann schliesslich als grundsätzlich unzeitgemäss und als Relikt nationaler Denkmuster gesehen werden (vgl. Maly 1995: 83). Weiter könnte argumentiert werden, dass die Überwindung solcher Denkmuster in besonderem Masse den höher gebildeten Anwärtern auf höhere Einkommen mit ihrer erwartbaren grösseren mentalen Flexibilität und Vorbildsfunktion obliegt.

Unter egalitaristischem Gesichtspunkt wird nicht deutlich, weshalb das Phänomen IP erst in dem Moment als alarmierend eingestuft werden sollte, in dem es auch die Hochlohnschicht der Gesellschaft zu betreffen droht.

Ebenfalls unter egalitaristischem Aspekt wurde in den FIG jahrzehntelang auf die Notwendigkeit solidarischer Entwicklungshilfe an Länder der Dritten Welt hingewiesen. Es wird nicht deutlich, weshalb seit den umfangreicheren Unternehmensinvestitionen in diese Länder plötzlich die Sorge um einheimische Arbeitsplätze überwiegen sollte. Dies umso mehr, als die Inhaber einheimischer Arbeitsplätze oft weniger Menschen mit ihrem Lohn ernähren als Arbeitnehmer in Entwicklungsländern.

Inhalt

2.2.3 Empirische Unterstützung

Die im Folgenden erwähnten empirischen Unterstützungen tendenziell beschwichtigender Perspektiven und entwarnender Forschungspositionen sollen in der Regel ohne expliziten Bezug auf eines der vorangegangenen Unterkapitel auskommen, da die im Einzelnen gestützten Argumentationsmuster aus dem Zusammenhang klar werden dürften. In den groben Zügen orientiert sich die Reihenfolge der Befunde zudem an der oben gewählten Reihenfolge der Argumente.

In einem der bisherigen Spitzenjahre der Investitionen in Entwicklungs- und Schwellenländer, 1993, sollen sich die Kapitalflüsse aus allen Industrieländern auf etwa 100 Milliarden US-Dollar summiert haben. Dennoch habe dies nur 3 Prozent der Gesamtinvestitionen der Triade-Länder (Nordamerika, Westeuropa und Japan) entsprochen, respektive einem verminderten Wachstum von dessen gesamtem Kapitalstock von nur 0,2 %. Dass die jährliche Lohnsteigerungsrate in den USA von etwa 2% auf etwa 0,3% abgefallen ist, korreliert schlecht mit den seit den 1990er Jahren markant gestiegenen internationalen Direktinvestitionen, da das erstgenannte Phänomen schon seit 1973 zu beobachten ist und daher andere Hauptursachen haben dürfte (Krugman 1998: 52-54).

Der Versuch, ausschliesslich aufgrund von Kostenüberlegungen Dienstleistungen nach Indien auszulagern, hat sich im Falle der von General Electric betriebenen Call-Centers nicht durchwegs bewährt. So weisen die Call-Centers eine jährliche Fluktuationsrate des Personals von 25% und eine hohe Ausstiegsrate von neuen Mitarbeitern noch während der ersten drei Arbeitsmonate auf. Dadurch kostet die Anwerbung, Auswahl und Einarbeitung neuer Mitarbeiter in Indien ein Vielfaches dessen, was in den USA oder Irland anfallen würde (Müller 2003: o.S.).

Eine Länderauswahl, in denen Stundenlöhne 10 bis 20 Mal tiefer als in Deutschland liegen, bringt es bei den für Investoren entscheidenderen Stückkosten nur auf 3 bis 4 Mal günstigere Standortbedingungen. Stundenlöhne können somit allein nicht als Basis für Standortentscheidungen gelten (Jungnickel 1995: 64).

Eine ganze Reihe von empirischen Untersuchungen kommt - noch ohne Einbezug der 1990er Jahre - zum Schluss, dass der Nettoeffekt deutscher Auslandsproduktion auf Export und heimische Beschäftigung eher positiv ist. Komplementarität der IP dürfte daher bis in die 80er Jahre eher stärker als ihre Substitutionalität gewesen sein (vgl. Maly 1995: 72).

Hufbauer prüfte 1966 für 60 synthetische Materialien und zahlreiche Länder die imitation lags und zeigte, dass die Handelsvorteile eindeutig bei den jeweiligen Innovationsführern, nicht bei den Tieflohnkonkurrenten lag (vgl. Freeman 1989: 92).

Die 8556 ausländischen Computer-Spezialisten, die laut deutscher Regierung bis Mitte 2002 im Rahmen des umstrittenen Green-Card-Programms nach Deutschland geholt wurden, sollen über 20'000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen haben (Berechnungsweise nicht erwähnt; Kessler 2004: 6).

Es lässt sich zeigen, dass historisch erfolgreiche wirtschaftliche Aufholstrategien, Beschäftigungs- und Lohnpotenziale allesamt branchen- und produktgekoppelt waren und sind, was zentrale neoklassische Annahmen zur grundsätzlichen Gleichberechtigung von effizient belieferten Produktmärkten widerlegt. So erwirtschaftet der effizienteste Baseball-Hersteller der Welt, in Haiti, 30 US-Cents pro Arbeitnehmer pro Stunde. Für den effizientesten Hersteller von Golfbällen liegt die Zahl etwa 30mal höher. Bei letzterem kommen mehr maschinelle Fertigungstechnologie und "höher" qualifizierte Arbeitskraft zum Einsatz. Eine Marktführerschaft in der Baseballherstellung und damit in einem Niedriglohnsektor hindert wirtschaftliche Aufholstrategien daher eher, als dass es sie fördern könnte. Umgekehrt dürfte eine Konzentration auf die "richtigen" Branchen auch dann langfristig qualifizierte Arbeitsplätze sichern, wenn in der reinen Handelsbilanz Einbrüche vorkommen (Reinert 1995: 179-189).

Die Qualifikationsanforderungen im Bürobereich in der Schweiz sind in den 1990er Jahren nach Jahrzehnten der Ausbildung eines "Büroproletariats" wieder gestiegen. So ist die Zahl von Lehrstellen für einfache Büroangestellte in der Stadt Zürich zwischen 1992 und 1995 von 250 auf 30 Stellen dramatisch gesunken (vgl. Geser 1999: 17). In der 1999er Prognos-Tätigkeitsprojektion für die Periode von 1995-2010 in Deutschland wird eine Beschäftigungsabnahme von 1,47 Millionen Stellen in der "Gewinnung und Herstellung" und eine Zunahme in den (als höherqualifziert einstufbaren) Handels- und Organisations-/Managementtätigkeiten von 656'000, beziehungsweise 539'000 Stellen vorausgesagt. Einem Gesamtverlust im Produktionsbereich von 2,38 Millionen Stellen soll ein Gesamtgewinn im Dienstleistungsbereich von 1,88 Millionen Stellen gegenüberstehen (Prognos 1999 nach Dostal 2001: 59). Arbeitslosigkeit in Deutschland ist zwischen 1975 und 1997 bedeutend abhängiger von geringer formaler Bildung geworden. Waren noch 1976 nur 5% der Ausbildungslosen arbeitslos, waren es 1997 schon 24%. Demgegenüber waren 1997 nur 3% der Fachhochschulabsolventen und 4% der Universitätsabsolventen arbeitslos. Von letzterer Gruppe schätzt Tessaring 1994, dass sie 2010 96,9% ihres kumulierten Einkommens in Dienstleistungen, nicht in der Produktion erwirtschaften werden (Tessaring nach Dostal 2001: 66). Dies spricht für das Potenzial dieses zukunftsträchtigen Sektors in den FIG im Bereich hochqualifizierter Arbeit.

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2.2.4 Handlungsempfehlungen

Seitens von Positionen, welche die IP im Hinblick auf den qualifizierten Arbeitsmarkt der FIG nicht zu fürchten scheinen und für diese Haltung Argumente finden, liesse sich eher wenig Artikulation eines Handlungsbedarfs erwarten. In den konsultierten Quellen ist aber meist das Gegenteil beobachtbar. Die IP selbst wird zwar nicht als furchteinflössendes Phänomen, sondern als überwiegend vorteilhaft auch für die FIG dargestellt; aber es führt nach allgemeiner Einsicht zum Phänomen eines internationalen Standortwettbewerbs zwischen den Industrieländern. Und dieser Standortwettbewerb wird dann offenbar doch gefürchtet, mehr zumindest, als jener zwischen Hochlohn- und Tieflohnländern. Dies vor allem im Hinblick auf jene europäischen Länder unter den FIG, die ein hochentwickeltes System sozialer Sicherheit aufweisen. Denn damit verbinden sich hohe Personalzusatzkosten und aus Investorensicht "wirtschaftsfeindliche" arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen. Es wird befürchtet, dass die internationalen Investitionsströme Standorte wie Deutschland immer stärker meiden könnten.

Protektionistische Massnahmen werden als problemverschiebend abgelehnt. Als verdeckter Protektionismus bezeichnet Krugman auch internationale Normen für Bezahlung und Arbeitsplatzbedingungen, die nur die Vorstufe härterer Handelsbarrieren sein könnten und die wirtschaftliche Entwicklung in der Dritten Welt behinderten (Krugman 1998: 55).

Vor einem noch weiteren Ausbau des Sozialstaates und regulierender Bürokratie in den FIG wird als grösste Gefahr gewarnt, da die vergangenen Massnahmen in dieser Richtung nebst Bildungs- und Qualifikationsdefiziten als Hauptursache für einen verzögerten Strukturwandel und heutige Standortschwächen in den FIG gesehen werden. Die Sozial- beziehungsweise Altersversicherung sind auf ihre Kernfunktionen zu verschlanken und vor funktionsfremden Lasten freizuhalten (vgl. Tegtmeier.: 197-198).

Infrastruktur- und Wettbewerbsförderung, Deregulierung und Bürokratieabbau sind die meistgennanten, aus anderen Kontexten wohlbekannten wirtschaftspolitischen Rezepte aus dem liberalistischen Standardrepertoire (vgl. Jungnickel 1995: 73).

Für Deutschland wird oft eine Arbeitszeitverlängerung (vgl. BMWA 2003: 7), beziehungsweise -flexibilisierung sowie ein Abstandnehmen vom verbreiteten Missstand der Frühpensionierung empfohlen. Ferner soll zumindest auf einen Dienstleistungsssektor von der Anteilsgrösse des japanischen hingearbeitet werden. Ausserdem soll eine Umorientierung beim Export auf die wachstumsintensivsten Länder der Unterbeschäftigung entgegenwirken (Tegtmeier 1995: 194-200). Grundsätzlich wird Deutschland eine Transformation seines dienstleistungsfeindlichen und unflexiblen Industrialismus empfohlen, zu dem unter anderem eine zu starke Fixiertheit auf ausbildungsdeterminierte und herstellungsorientierte Berufsrollen sowie auf tradierte Geschlechterrollen gehören (Baethge 2001: 28ff). Letzteres lässt in Anbetracht des feministischen Schalldrucks der letzten Jahrzehnte aus Deutschland aufhorchen: hat sich die deutsche Frau vor allem theoretisch, beziehungsweise nur im Rahmen isolierter Subkulturen emanzipiert?

Den zumindest hinsichtlich Entlöhnung bereits "flexibleren" Standorten wie der USA werden Anstrengungen im Bereich der Arbeitsplatzqualität anempfohlen, da dort weniger die Arbeitslosigkeit als die Mühe so manchen (Dienstleistungs-)Arbeitsplatzes, seinen Mann oder seine Frau zu ernähren, als problematisch gilt (Tegtmeier 1995: 195).

Zu rigoroser Personalabbau im Rahmen erhoffter Gesundschrumpfungen von Unternehmen wird nicht mehr befürwortet: es hat sich herausgestellt, dass so manches Unternehmen auf diese Weise unersetzliche Humanressourcen verschleudert hat (vgl. ebd.: 196), obwohl die Personalkosten oft nicht der gewichtigste Kostenfaktor in kapitalintensiven Branchen sind.

Angesichts der soziodemographischen Entwicklung müssen sodann Strukturen geschaffen werden, die eine Bewältigung des techno-ökonomischen Wandels auch durch älteres Personal ermöglichen wird. Seit der Aufsehen erregenden PISA-Studie haben sich die Forderungen nach den gesellschaftlichen Strukturen für lebenslanges Lernen sowie nach besserer Ausbildung auf allen Ebenen noch verstärkt (vgl. BMWA 2003: 10f). Im Anschluss an die Bildungsmassnahmen sollen spezifisch innovationsfördernde Massnahmen greifen, etwa die Einbindung von kleinen und mittleren Betrieben in Innovationsnetzwerke. Ferner sollte der Sozialstaat in FIG Alleinerziehende hinsichtlich der Tagesbetreuung von Kindern entlasten und dadurch dem Arbeitsmarkt verfügbar machen können. Baethge argumentiert, dass ein Anstieg der Frauenerwerbsquote keineswegs nur Arbeit "frisst", sondern weitere Arbeit schafft, indem sie Lebensstile ändert und Bedarf nach Dienstleistungen nach sich zieht, die traditionellerweise privat erbracht wurden (Baethge 2001: 40-41).

Zusammenfassend mündet das bekannte liberalistische Repertoire wirtschaftspolitischer Empfehlungen im Kontext der IP in oft sehr engagierte Umstrukturierungsforderungen an den Staat. Diese beschränken sich angesichts eines durchwegs gesehenen Standortwettbewerbs keineswegs auf den tendenziellen Wiederherstellungsversuch eines Laissez-faire-Zustands. Die Bildungs- und Infrastrukturforderungen im Zusammenhang der wissensbasierten Volkswirtschaft implizieren vielmehr eine sehr aktive Staatsrolle. Durch meist äusserst vorsichtige Formulierungen der Forderungen wird die Evokation eines "Sozialabbaus" in den FIG weitestmöglich vermieden, beziehungsweise an der Einsicht eines notwendigen Sozialumbaus gearbeitet. In der Tat kommen die Autoren zumindest für Deutschland auf eine Vielzahl möglicher Massnahmen, die eher einer Lockerung festgefahrener Verhältnisse als einem dramatischen Abbau sozialer Wohlfahrt zurechenbar scheinen.

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2.3 Alarmierende Perspektiven, warnende Positionen

2.3.1 Theoriebezug

Als zentrale These eher alarmierender Perspektiven und warnender Forschungspositionen im Kontext der IP kann die Substitutionalitätsthese fungieren. Im Gegensatz zur Komplementaritätsthese (vgl. 2.2.1.) geht sie davon aus, dass zwischen Direktinvestitionen und Exporten ein negativer Zusammenhang besteht. Direktinvestitionen ersetzen bisherige Exporte, können sogar zu vertärkten (Re-)Importen führen und tragen so zu einem Abbau der heimischen Beschäftigung bei (Henneberger/Ziegler 2001: 1).

In Bezug auf die Arbeitsplätze kann hervorgehoben werden, dass die Substitutionalitätsthese mit einer einfacheren Grundüberlegung als die Komplementaritätsthese auskommt. Für letztere muss man sich vielfältige Wechselwirkungen wie die folgende vorstellen: Durch die Direktinvestition des heimischen Unternehmens A in eine ausländische Produktions- und Vertriebsstätte B werden zunächst im Ausland Arbeitsplätze generiert, während der heimische Produktionsbedarf für den betreffenden Exportmarkt sinkt; gerade dank B steigt aber mit der Zeit der absolute Produkteabsatz im betreffenden Auslandsmarkt, was dem Unternehmen finanziell zugute kommt und zum Teil auch Produkte betrifft, die nach wie vor exportiert, nicht im Ausland hergestellt werden; an die Stelle weniger verlorener oder gefährdeter Arbeitsplätze in der heimischen Fertigung treten somit neue heimische Arbeitsplätze insbesondere wegen gestiegenem Verwaltungsbedarf und dem Organisationsbedarf des weiteren Aufbaus ausländischer Produktions- und Vertriebsstätten; die nun im Schnitt höher qualifizierte Belegschaft des heimischen Hauptfirmensitzes befruchtet dank höherem Durchschnittseinkommen die lokale Wirtschaft stärker als die bisherige Belegschaft, was im Nebeneffekt weitere Arbeitsplätze sichern hilft, und so weiter. - Für die Substitutionalitätsthese reicht dagegen folgende Grundüberlegung: Arbeitsplätze, die in B geschaffen werden, werden nicht in A geschaffen - fertig. Positive Wechselwirkungen und indirekte Effekte mögen vorkommen, aber es ist nicht naheliegend, dass deren Effektstärken den einfacheren negativen Primäreffekt stets mehr als ausgleichen sollten; schon gar nicht, wenn IP-Strategien immer höher qualifizierte Tätigkeiten betreffen.

Wie schon ihre Antithese, braucht auch die Substitutionalitätsthese nicht zwingend an eine der oft wenig empirisch bewährten, tradierten ökonomischen oder sozialwissenschaftlichen Makrotheorien geknüpft zu werden (vgl. 2.2.1.). Jedoch wird sie der Tendenz nach besser durch solche Theorien gestützt, die ein begrenztes bis geringes Vertrauen in die wünschenswerten Effekte frei wirkender Marktkräfte auf Beschäftigung und allgemeine Wohlfahrt ausdrücken und unterschiedlich grundlegende politische Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen - wie etwa die Einflussnahme auf grosse Investitionsentscheidungen - für notwendig erachten. Umreissbar wird damit ein Theorienspektrum von den evolutionären Sozial- und Wirtschaftstheorien (die als gemässigter Überschneidungsbereich mit dem "anderen Lager" gesehen werden könnten, vgl. 2.2.1.) über den (Neo)Keynesianismus und die Politische Ökonomie bis hin zum (Neo)Marxismus.

Aus evolutionistischer Perspektive liesse sich etwa argumentieren, dass Gesellschaften Stadien des ökonomischen Aufstiegs, der Blüte und des Falls in langen Zyklen durchlaufen und dass das Phänomen der IP und des Kapitalexports aus den FIG im Zusammenhang mit dem bereits heute drohenden Fall der FIG aus ihren weltwirtschaftlich privilegierten Positionen steht.

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2.3.2 Argumentationsmuster

Was bereits unter 2.2.2. einführend zu den Argumentationsmustern bemerkt wurde, soll analog auch hier bei den eher alarmierenden Perspektiven und warnenden Forschungspositionen wieder gelten.

2.3.2.1 Unterwerfung der Staaten und Gemeinden unter die Wirtschaft

Die wachsende Bedeutung internationaler Konzerne und der weltweite Kapitalverkehr haben die nationalstaatliche Handlungsfähigkeit erodiert und erodieren sie ständig weiter, so dass regulatorische Massnahmen zukünftig auch in volkswirtschaftlichen Krisenfällen nicht mehr effektiv sein werden (vgl. Hirsch-Kreinsen 1994: 443). Die Steuereinnahmen administrativer Einheiten wie den politischen Gemeinden sinken in dem Masse, in dem international präsente Unternehmen ihre einzelnen Pflichtabgaben dort entrichten können, wo sie für den jeweiligen Bereich am günstigsten ausfallen (vgl. Kessler 2004: 7). Und dies, obwohl der Standortwettbewerb besondere Mittel für besonders gut ausgebaute Infrastrukturen in den Gemeinden erfordern würde.

Die verschärfte Standortkonkurrenz übt einen Druck auf kostenrelevante wirtschafts- und finanzpolitische Regelungen wie Lohnhöhe, Lohnnebenkosten, Arbeitszeitnormen und Arbeitsschutzbestimmungen in den FIG aus, die auf eine weltmarktbedingte ökonomische Gleichschaltung nationalstaatlicher Politik hinausläuft. Sie führt zu einer tendenziellen Angleichung länderspezifischer Arbeitsregulation auf niedrigem Niveau. Es kann insoweit von einem "Sozial- und Lohndumping" gesprochen werden (Hirsch-Kreinsen 1994: 443).

2.3.2.2 Gesetzmässige Betroffenheit immer qualifizierterer Arbeit durch die IP

Der Arbeitsplatzabbau durch IP beginnt zwar bei den besonders standardisierten und arbeitsintensiven Produktionsprozessen, schreitet aber von dort zu anspruchsvolleren Engineeringfunktionen fort (ebd.: 444) und betrifft so sukzessive immer höher qualifizierte Arbeitskräfte in den Hochlohnwirtschaften der FIG. Die hochqualifizierten Arbeitnehmer der FIG werden gegenwärtig vor allem von osteuropäischen, indischen und anderen asiatischen Arbeitnehmern konkurrenziert. Es wird in diesem Zusammenhang auch von einer zweiten Welle der IP gesprochen, die etwa Ingenieure und IKT-Spezialisten, aber auch viele andere Hochqualifizierte einschliesst (Müller 2003: 18-19).

Dass einige technologieintensive Produktionsprozesse im Inland bleiben können, ist unter dem Beschäftigungsaspekt ein schwacher Trost, da es gerade der durch Automation ständig sinkende Bedarf an Personal ist, der diese Prozesse auszeichnet (vgl. ebd., Kessler 2004: 5).

2.3.2.3 Historisch selbstverschuldete Schwächen heutiger Gewerkschaften

Die gewerkschaftlichen Einflussmöglichkeiten auf negative Beschäftigungseffekte durch IP sind gering, weil die Arbeitnehmerparteien in der Geschichte ihrer Sozialkämpfe einen verhängnisvollen Pakt mit dem Kapital eingegangen sind: sie haben sich für die formale Anerkennung ihrer Organisationen und teilweise ihres Streikrechts, vor allem aber für höheren Lohn und angenehmere Arbeitsbedingungen entschieden - und den Parteien des Kapitals die Gewalt über die Organisation der Produktion, über Investitionsentscheide und Preispolitik überlassen. Dies war kurzsichtig, weil es Macht- und Flexibilitätsasymmetrien zwischen der Arbeit und dem Kapital zur Struktur zementierte, die dem Kapital spätestens seit den 1960er Jahren wieder eine Übermacht am Verhandlungstisch gesichert hat. Im Wesentlichen ist es die Macht, an diesem Tisch nicht mit klassischen Sanktionen zu drohen oder zuschlagen zu müssen. Stattdessen kann das Kapital, bildlich gesprochen, einfach aufstehen, den Verhandlungstisch verlassen und in Billiglohnländern produzieren gehen. Von dieser Möglichkeit konnten anfangs vor allem die grössten, ohnehin international operierenden Unternehmen Gebrauch machen (Caporaso 1991: 201f). Inzwischen ist die Androhung eines Standortwechsels das Standarddruckmittel der Unternehmen auf ihre Belegschaften geworden.

Aber IP drückt nicht nur mittels der Arbeiterkonkurrenz in fernen Ländern auf die Löhne in den FIG. Es gelingt den Unternehmen auch, zusätzlich billige Arbeitskräfte als Migranten in die Ballungsräume der FIG und damit in Produktionsstätten für den heimischen Markt der FIG zu locken. Während manch illegaler Immigrant zum willkommenen Schwarzarbeiter ohne Rechte und mit tiefstem Lohn in einem Sweat shop wird, fungieren auf den höheren Qualifikationsstufen Green-Card-Programme als Lohndrücker, da der nur halbintegrierte Sozialstatus des Green-Card-Inhabers einen ähnlichen Konformitätsdruck ausübt wie der illegale Status eines niedrig Qualifizierten (vgl. ebd.: 204, Müller 2003: 18).

2.3.2.4 Naiver Dienstleistungsglaube

Das Vertrauen in die Hochlohnpotenziale des - als Restkategorie zwangsläufig - wachsenden Dienstleistungssektors dürfte für europäische FIG ähnlich überzogen sein, wie entsprechend optimistische Prognosen es für die USA gewesen waren. Anstelle eines Heers von IT-Systemanalytikern und ähnlich qualifizierten Arbeitnehmern scheint auch für die europäische Dienstleistungsgesellschaft vor allem ein Heer von Pförtnern und einfachem Sicherheitspersonal, von Hilfspflegern, Fahrern, Kassierern und Kellnern realistisch (vgl. Caporaso 1991: 205, Geser 1999: 4). Esping-Andersen spricht denn auch von einem "Service-Proletariat" (Esping-Andersen 1993: 27 nach Baethge 2001: 23). Und die USA als Vorreitergesellschaft hinsichtlich eines dominanten Dienstleistungssektors wurde trotz offiziell geringer Arbeitslosigkeit bereits als Land unqualifizierter Jobs und verlorener sozialer Sicherheit gekennzeichnet, dem nachzueifern für eine nach wie vor recht erfolgreiche Industrie- und Wohlfahrtsgesellschaft wie Deutschland nicht gerade attraktiv scheint (Baethge 2001: 39).

Der Dienstleistungssektor ist sodann nur begrenzt als Gegenmittel zu den negativen Beschäftigungseffekten durch IP in den FIG geeignet, weil dieser Sektor längst ebenfalls erfolgreich internationalisiert wird (vgl. Härtel/Jungnickel 1996: 126). Besonders die englischsprachigen FIG müssen längst mit einer beträchtlichen Abwanderung von kommunikationsintensiven Dienstleistungsjobs in Länder wie Indien oder die Philippinen leben, wo ausreichend englischsprachige Arbeitnehmer mit (Fach-)Hochschulabschluss sie etwa in Form von Nachschichten in Call Centers übernommen haben. Aber auch immer anspruchsvollere sonstige Tätigkeiten sind vom "Offshoring" betroffen (vgl. Müller 2003: 18-22). Es kann sogar plausibilisiert werden, dass eher die qualifizierten Dienstleistungs-Jobs im Büro und aus dem Informationsbereich von Abwanderung bedroht sind, da die Kellner, Fahrer, Pförtner, Sicherheitsleute und Hilfspfleger zwangsläufig vor Ort bleiben müssen. Tätigkeiten, die physische Präsenz erfordern, erfordern oft "lediglich" oder überwiegend physische Kompetenzen, die nicht schwer oder teuer zu erlernen sind.

Schliesslich fasst Dostal, unter anderem Mertens zitierend, in einem bemerkenswert dichten und aufschlussreichen Abschnitt Argumente zusammen, die den makroökonomischen und gesellschaftlichen Wert einer voll- bis überentwickelten Dienstleistungsgesellschaft insgesamt in Zweifel ziehen (Dostal 2001: 67). Demnach lassen sich viele Wertschöpfungsprozesse einer solchen überwiegenden Dienstleistungsgesellschaft als Leerläufe und Pseudo-Wertschöpfung erkennen, sobald der enge Horizont rein ökonomischer Bewertungsusancen gesprengt wird. Dienste neutralisieren sich gegenseitig, indem der eine nur aufgrund der Dysfunktionalitäten des anderen notwendig wird; doch addieren Ökonomen dann die volkswirtschaftliche "Produktivität" des einen Dienstes zu derjenigen des anderen. Dies schliesst explizite Beseitigungskosten von zuvor angerichteten Schäden ein (ebd.). Die angedeuteten kritischen Überlegungen schliessen ihrerseits die Vorstellung einer gesamtgesellschaftlich wünschbaren Hauptrichtung wirtschaftlicher Tätigkeit ein, zu der die Aktivitäten der Wirtschaftssubjekte ungeachtet quantitativer Leistungen qualitativ Unterschiedliches beitragen.

2.3.2.5 Gefahren auch in "zurückhaltenden" IP-Strategien

Scheinbar eher zurückhaltende IP-Strategien wie die strategische Allianz sind in Wirklichkeit keineswegs harmlos für den Fortbestand und damit den Personalbestand von Firmen, zumindest nicht unter dem gleichen, heimischen Management. In vielen Fällen laufen solche Allianzen nach kurzer Zeit auf den Verkauf einer Firma, auf schädigende Konflikte oder irreparabel verschobene Machtgleichgewichte mit notfallmässigem und kostspieligem Ausstieg eines Partners hinaus. Nicht selten reicht einem gut beobachtenden Partner die Allianz zur Übernahme entscheidenden Firmen-Know-hows und damit zu einer Übermacht in der Partnerschaft. Dem Management allianzhungriger Firmen steht anfangs eine ganze Palette schöner Begründungen des Partnerschaftsbedürfnisses zur Verfügung, die aber oft nur einen "strategischen" Selbstbetrug über die angeschlagene Wettbewerbsfähigkeit der Firma dokumentieren (vgl. Bleeke/Ernst 1998: 218-231). Viele kurz vor dem Firmenverkauf noch gesammelte Flugmeilen und Manager-Allüren pflegen nur einen Teil der "qualifizierten" Belegschaft trösten zu können.

2.3.2.6 Dramatische Globalisierungseffekte auf Lebensstile und soziales Klima

Die wichtigsten Folgen der Globalisierung für den Menschen zeichnen sich bereits ab und sind dramatisch. Als zentrale Qualität kann eine maximale Anpassungsfähigkeit identifiziert werden und damit nicht selten der Verzicht darauf, sich fest niederzulassen und feste private Bindungen einzugehen. Der Prototyp des globalisierten Menschen lebt allein und hat allenfalls eine Wochenendbeziehung. Kinderlosigkeit und dauernde hohe Verfügbarkeit im Beruf werden zum entscheidenden Vorteil. Besonders für Menschen, die mit einer solchen Situation, aber auch den vielfältigen Qualifikationsanforderungen der globalisierten Wirtschaft nur schlecht zurechtkommen, steigt die Versuchung nationalistischer oder gar rassistischer Ohnmachtsreaktionen (vgl. Kessler 2004: 6). Eine Entlassung im falschen Moment kann auch für höher Qualifizierte ausreichen - und sie befinden sie ihrerseits in einem sozialen Abseits, das sie stets anderen vorbehalten glaubten und gerade dadurch nur schwer verarbeiten können. Im Rückblick müssen sie sich fragen, ob sich die mühsam erworbene höhere Qualifikation in der "Wissensgesellschaft" womöglich doch nicht zu lohnen braucht - dann nämlich, wenn auf internationalem Parkett Kräfte wirken, auf die individuelle Einflussnahme allein durch "gute Arbeit" so gut wie unmöglich geworden ist.

2.3.2.7 Die "Wissensgesellschaft" als Spezialisten- und Angebergesellschaft

Gerade bei den besser entlöhnten Tätigkeiten geht der Trend zum selbständigen, freiberuflichen Einbringenmüssen seiner Qualifikationen in einen offenen, heterogenisierten Arbeitsmarkt und weg von der festen, auf Jahre hinaus gesicherten Beschäftigung für eine (grosse) Firma (vgl. Dostal 2001: 60f, Geser 1999: 2-4, 8). Das darin enthaltene Arbeitsrisiko macht zwar ein gekonntes Eigenmarketing bestehender Fähigkeiten lohnend, aber den Erwerb eigentlich hoher Qualifikationen nicht unbedingt attraktiver. Besonders dann nicht, wenn parallel zum gestiegenen Risiko auftragsarmer oder erwerbsloser Lebensabschnitte (vgl. Geser 1999: 2) die sozialen Auffanginstitutionen als Folge des Standortwettbewerbs geschwächt dastehen. Zudem wird der Wert vieler formaler Bildungsabschlüsse dadurch beeinträchtigt, dass es nicht so sehr eine hohe Ausbildungsebene zu sein braucht, die Unternehmen nachfragen, sondern ganz bestimmte fachliche oder ausserfachliche Kompetenzen (Dostal 2001: 65). Die wohlklingenden Forderungen nach einer wissensbasierten Volkswirtschaft - in der noch der reflexions- und abstraktionsscheueste Berufsschüler Student genannt sein will und viele vor allem an einer hochelaborierten Visitenkarte arbeiten? - werden doch ein Stückweit entlarvt, wenn sich herausstellt, dass sich eine Firma unter einem qualifizierten Stellenkandidaten eigentlich nur den Beherrscher einer bestimmten Branchensoftware vorstellt, von der in fünf Jahren niemand mehr sprechen wird und auf die jemanden anzulernen die Firma einige Wochen interne Ausbildung gekostet hätte. Oder es wird beim Bewerbungsgespräch für eine Kaderstelle vor allem nach Indikatoren gutbürgerlicher Herkunft gefahndet, die vom Kandidaten somit stets gut sichtbar zu halten, respektive gut zu imitieren sind. Die versteckte Botschaft hinter dem beklagten Skill-Mismatch in den FIG könnte also lauten, dass zu gründliche Ausbildungen gar nicht gefragt sind, sondern ein pausenloses "flexibles" Sichaneignen kurzlebiger Spezialistenkenntnisse sowie die Bereitschaft, diese Kenntnisse bei jeder Gelegenheit mit der kommunizierten Aura eines profunden (Fach-) Wissens zu umgeben - falls man sich als Kaderkandidat nicht überhaupt in eine (Verhaltens-)Aura zurückzieht, die mit dem Beherrschen geschäftlicher Spiel- und gesellschaftlicher Benimmregeln assoziiert werden soll.

2.3.2.8 Ethisch geprägte Grundsatzargumente

Die Sorge um (qualifizierte) Arbeitsplätze in den FIG aufgrund der IP kann nicht auf nationale und regionale Selbstinteressen reduziert werden. Denn Ursache der Gefährdung dieser Arbeitsplätze ist nicht so sehr ein globaler Ausgleich von Berufschancen für Bildungsbeflissene, als vielmehr die kurzfristig motivierte Abschöpfung internationaler Lohn- und Preisdifferenzen, die auch den heute scheinbar geförderten Produktionstandorten bereits morgen wieder den Rücken kehren wird - sobald nämlich ein noch billigerer Standort gefunden ist (Stichwort Runaway Shops). Im Moment der Aufgabe der eben noch geförderten Standorte wird aber nicht eine Situation zurückgelassen, wie sie vorgefunden wurde, sondern eine durch den zwischenzeitigen Produktionsbetrieb ähnlich wie in den FIG gewachsene Abhängigkeit von industieller Beschäftigung. Statt an immer neuen Standorten die Illusion eines nachhaltigen industriellen Aufschwungs und kommenden Wohlstands zu nähren, auf die jedoch überwiegend Arbeit unter kaum erträglichen Bedingungen folgt, bevor die Firmen den Standort wieder verlassen, scheint daher der Erhalt industrieller Arbeit an darauf seit langem eingestellten und von ihr vollkommen abhängigen Standorten mit entsprechend entwickelten Arbeitsgesetzen sinnvoller. Der durch Kapitalexport in periphere Länder getragene Wohlstand pflegt dort erfahrungsgemäss meist kleinen Eliten zugute zu kommen, die jedes Interesse am Erhalt des niedrigstmöglichen Lohnniveaus in ihrem Machtbereich zeigen, gewerkschaftliche Aktivität radikal unterbinden und damit die Chancen weltweiten sozialen Fortschritts vermindern.

Dabei spielt auch jene Firmenstrategie eine grosse Rolle, nicht nur für unqualifizierte Tätigkeiten bevorzugt Frauen zu beschäftigen. Von Arbeitnehmerinnen wird weniger Bereitschaft zum gewerkschaftlichen Kampf und eine allgemeine grössere Gefügigkeit erwartet (Caporaso 1991: 205-211). Dass es dann oft fast nur Frauen sind, die ein Dorf als Herstellerinnen von Gütern ernähren, während es das traditionelle lokale Rollenverständnis anders verlangen würde, muss als sozialer Zündstoff sowie als Zündstoff im einfachsten Wortsinne klassifiziert werden. Denn der Zusammenhang zwischen bombenzündendem religiös-politischem Fanatismus und einem auch durch Unterbeschäftigung massenweise verletzten Männerstolz ist besonders für gewisse Kulturen äusserst plausibel.

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2.3.3 Empirische Unterstützung

Wie schon bei der empirischen Unterstützung für die tendenziell beschwichtigenden Perspektiven und entwarnenden Positionen (2.2.3.), sollten die im Folgenden erwähnten Belegsdaten auch ohne expliziten Bezug problemlos einem oder mehreren der vorangegangenen Argumentationsmuster zugeordnet werden können. Den Anfang macht allerdings das Ergebnis einer besonders integral angelegten Untersuchung.

Henneberger und Ziegler haben 2001 den bemerkenswerten Versuch dokumentiert, die Substitutionalitätsthese zusammen mit ihrer Antithese, der Komplementaritätsthese (vgl. 2.2.1.) sowie einer dazwischenliegenden Neutralitätsthese mittels multipler Regressionen für die schweizerische Industrie "direkt" zu prüfen (der separate Teil für den Dienstleistungsbereich ist zu unvollständig). Im Fokus der umfassenden Untersuchung lagen die Effektstärken der Wachstumsraten der Direktinvestitionsbestände schweizerischer Industrieunternehmen auf die Wachstumsrate der realen schweizerischen Exporte. Geschätzt wurden Gleichungen, in die ausser dem genannten, interessierenden Prädiktor lediglich zwei weitere Prädiktoren eingingen: die Wachstumsrate des realen Bruttoinlandproduktes und die Veränderungsrate des realen Wechselkurses für das jeweilige Empfängerland der Direktinvestitionen. Aus der alle Investitionsziele und Industriebranchen einschliessenden Hauptschätzung (R2 = 0.34) resultiert eine schwache, aber hochsignifikante Stützung der Substitutionalitätsthese (Henneberger/Ziegler 2001: 55). Erst bei einer Differenzierung der Gleichungen nach Branchen ergibt sich auch eine teilweise Stützung der Komplementaritätsthese, nämlich für die chemische Industrie. Was somit für Deutschland in den 1980er Jahren noch verworfen werden konnte (vgl. 2.2.3.), muss für die Schweiz bei Einschluss der 1990er Jahre bereits der Tendenz nach zugegeben werden: IP schadet dem Export - zumindest im industriellen (und vor allem im elektrotechnischen) Sektor. Entsprechende Rückwirkungen auf den qualifizierten Arbeitsmarkt der Schweiz müssen angenommen werden.

Die wegen nicht ausreichenden Steuereinnahmen seit Jahren steigende Finanznot der deutschen Metropolen Frankfurt am Main, München und Berlin hat bereits zur Schliessung von Hallenbädern, Kulturzentren, Theatern, Jugendhäusern, Kindergärten und Spielplätzen in diesen Städten geführt - und damit zu einer Schwächung von Infrastrukturen, wie sie im internationalen Standortwettbewerb als mitentscheidend gelten (Kessler 2004: 7). Ironischerweise hatte man in den Jahrzehnten zuvor mitverfolgen können, mit wieviel Selbstvertrauen insbesondere Frankfurt auf die Kräfte des internationalen Kapitals setzte, um als Standort und Skyline möglichst unübersehbare Bedeutung zu erlangen. Für Berlin ist die Situation aufgrund der deutschen Wiedervereinigung um einiges komplexer.

Gemessen an den Incoming-Direktinvestitionen aus der "Ersten Welt" ist Deutschland bereits in den frühen 1990er Jahren hinter anderen Standorten in der EG/EU zurückgefallen (Härtel/Jungnickel 1996: 87-90). Es gibt keine Berechtigung, anzunehmen, dass sich die darin ausdrückende Standortschwäche nicht auch im Wettbewerb mit neuen Standorten für qualifizierte Arbeit in Schwellen- und Entwicklungsländern nachteilig auswirken sollte und das Phänomen IP daher nicht insgesamt zum Nachteil einer FIG wie Deutschland ausfallen sollte.

Ebenfalls hat sich bereits in den 1990er Jahren gezeigt, dass die Internationalisierung des deutschen Dienstleistungssektors zwar noch geringer als die der deutschen Industrie war, im Vergleich zu dieser aber rascher voranschritt. Den Hauptbeitrag dazu leistete der Handelssektor (ebd.: 121-127). Die Internationalisierung des Dienstleistungssektors betrifft somit keineswegs allein die englischsprachigen FIG mit ihren indischen und philippinischen Call Centers.

Das Dienstleistungs-Offshoring amerikanischer Firmen und Institutionen beschränkt sich aber ebenfalls nicht auf die erwähnten Call Centers, sondern umfasst zum Beispiel auch folgende qualifizierte Tätigkeiten: das Checken von Computer-Tomogrammen des Massachusetts General Hospital in Boston durch Radiologen in Bombay, das Sortieren von New Yorker Strafmandaten für Falschparker durch Mitarbeiter in Ghana und das Entwickeln von Software in grossem Umfang für die US-IKT-Konzerne IBM, Microsoft und Oracle vor allem in Indien. Laut Forrester Research wird der amerikanische Dienstleistungssektor bis zum Jahre 2015 3,3 Millionen Arbeitsplätze an Indien, China und die Phillippinen verlieren, darunter 500'000 IKT-Jobs und zwei Millionen Bürojobs (Müller 2003: 18-22). Unbedroht vom Offshoring sind demnach nur die physische Präsenz erfordernden, zumeist weniger qualifizierten Dienstleistungs-Jobs.

Deloitte Consulting erwartet für die nächsten Jahre die Verlagerung von 15% aller IKT-Arbeitsplätze bei den europäischen Finanzdienstleistern. Die Lufthansa kontrolliert ihr Rechnungswesen in Polen (BMWA 2003: 3). Verlagerungen von Infineon nach Indien und China werden höchstqualifizierte Tätigkeiten wie das Chip-Design einschliessen; bei Siemens gehört sogar die Steuerung weiterer Verlagerungen im Produktedesign bereits zum Aufgabenbereich der indischen Tochter SISL (Müller 2003: 18-22). In einem so fortgeschrittenen Internationalisierungsstadium wie demjenigen von Siemens scheinen andere als historische Assoziationen zwischen dem Konzern dieses Namens und dem Herkunftsstandort Deutschland nicht mehr berechtigt.

Müller zitiert das Beispiel amerikanischer Siemens-Angestellten, die als Greencard-Inhaber nur einen Bruchteil ihrer US-Kollegen verdient haben (28'000 im Vergleich zu 92'000 USD/Jahr); allerdings wird keine genaue Information darüber gegeben, ob es sich wirklich um Jobs mit vergleichbaren Qualifikationsanforderungen gehandelt hat (ebd.).

Wissend um die Exportabhängigkeit der FIG und begierig auf technologische Spillover-Effekte, erzwingen Abnehmerländer in Asien bereits erfolgreich die Produktion eines Grossteils der an sie verkauften ABB-Kraftwerke vor Ort. Somit ist in solchen Exportgeschäften der Export qualifizierter Arbeitsplätze aus den FIG gleich mitenthalten (Châtelain 1994 nach Geser 1999: 25).

Bleeke und Ernst nennen als durchschnittliche Lebensdauer strategischer Allianzen lediglich 7 Jahre. 80% der Joint Ventures enden laut diesen stark an der Wirtschaftspraxis orientierten und besonders im Managementbereich sachkundigen Autoren mit dem Verkauf des einen der beiden Partner (Bleeke/Ernst 1998: 217-218).

Von den 20 Tätigkeiten, die zur Zeit des Dienstleistungsbooms in den USA die meisten Stellen schaffen sollten (1978 bis 1990), erforderten nur zwei einen College-Abschluss - und damit die Vorstufe der Universität (Caporaso 1991: 205). Das Durchschnittseinkommen im Dienstleistungssektor liegt in den meisten westlichen Ländern unter dem des Produktionssektors (Baethge 2001: 39). Unterteilt man den Dienstleistungssektor begründeterweise in einen traditionellen Dienstleistungssektor und einen Informationssektor der Wirtschaft, lässt sich zeigen, dass in den letzten 50 Jahren nur letzterer für den erheblichen Zuwachs des Gesamtsektors verantwortlich war - in traditionellen Dienstleistungen scheint daher keineswegs ein grosses Beschäftigungspotenzial zu stecken (Dostal 2001: 55). Und der in Untersuchungen so oft angesprochene Gesamtsektor muss eigentlich als fragwürdige, äusserst heterogene Rest- und Verlegenheitskategorie gelten, die statistisch beinahe nur wachsen kann, ohne dass dies besonders aussagekräftig wäre (ebd.: 47ff).

Dass sich erbrachte Bildungsanstrengungen im Arbeitsmarkt der FIG und besonders in der zukünftigen "wissensbasierten Volkswirtschaft" besonders auszahlen sollen, wird durch Untersuchung der von heutigen Arbeitgebern tatsächlich häufigstgenannten Qualifikationsanforderungen zu gutem Teil als Mythos entlarvt. "Teamfähigkeit", "interpersonelle Kompetenz" oder "Konfliktfähigkeit" sind vage Umschreibungen von Charakter- und Sozialqualifikationen, die sich womöglich auch in Zukunft nur in geringem Masse formell schulen lassen (Geser 1999: 22). Gerade in dieser Vagheit ermöglichen sie es einem Einstellungsbevollmächtigten, Kriterien der sozialen Herkunft und familiären Sozialisation (vgl. ebd.) implizit höher als fachliche Qualifikationen, als Wissen oder Auffassungsvermögen zu bewerten und damit auch die eigene Position nicht mittels dieser konkreteren Kriterien rechtfertigen zu müssen. Dabei würde gerade eine solche konkretere Legitimation heute von Angestellten, die bei geringem Lohn zunehmend mit Verantwortung und selbständigem Wirtschaftlichkeitsdenken belastet werden, immer stärker gefordert (vgl. ebd.). Aber die Untersuchung der realwirtschaftlichen Kaderebenen erweist diese mit steigendem Hierarchieniveau zunehmend als das Reich schwer messbarer Soft Skills (ebd.: 23), von denen in der wissensbasierten Volkswirtschaft von Hotz-Hart et al. irgendwie nicht die Rede ist, obwohl sie ohne Zweifel eine Form von Wissen darstellen (vgl. Hotz-Hart et al. 5-7). Dass nicht einmal mehr der Meister im Industriebetrieb primär über fachliche Fähigkeiten legitimiert ist (Geser 1999: 23), kann zwar als Meilenstein auf dem Weg zu besserer Teamorganisation und harmonischeren Produktionsabläufen interpretiert werden, aber eventuell auch als Zerfallserscheinung der technologischen Prioritäten, mit denen die FIG-Ökonomien gross geworden sind.

Bezüglich Lohn und Arbeitsbedingungen einer thailändischen Sportbekleidungsnäherin für die deutsche Marke Puma gibt die Organisation EvB einen Monatslohn von ca. 50 USD an, von dem für den Schlafplatz, Reis, Strom, Wasser und die Arbeitnehmer-Registrationsgebühr 15 USD abgezogen werden; in der Hochsaison soll sich die Arbeitszeit bis 2 oder 3 Uhr morgens erstrecken. Als typische Arbeitsanforderung wird das Annähenkönnen von 240 T-Shirt-Kragen pro Stunde genannt (EvB 2004: 2-4). Die dieser Arbeit zugrundeliegende Rationalisierungsstrategie scheint, nur weil es auch eine IP-Strategie ist, nicht automatisch eine posttayloristische zu sein (vgl. 2.1.1).

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2.3.4 Handlungsempfehlungen

Die zur besseren Systematisierung dieser Arbeit gewählte, typisierende Unterscheidung zwischen eher entwarnenden und warnenden Forschungspositionen, für die je nach interessierendem Argumentationsmuster teils die gleichen Quellen herangezogen wurden, stösst im Bereich der Handlungsempfehlungen besonders rasch an ihre Grenzen. Denn selbst wenn man sich die schwerpunktmässigen Vertreter gewisser Argumentationsmuster als Repräsentanten eines von zwei "Lagern" vorstellen möchte, bleiben gerade bei den Handlungsempfehlungen viele Gemeinsamkeiten mit dem anderen Lager. Anders gesagt: der in der IP für qualifizierte Arbeit in den FIG gesehene Bedrohlichkeitsgrad korreliert nur schwach mit bestimmten, qualitativ eigenständigen Handlungsempfehlungen. Ein einfaches Links-rechts-Schema ist zum Beispiel nicht mehr anwendbar, weil eine klassische Domäne "rechter" Denkweise, der Nationalstaat und seine Handlungssouveränität gegenüber dem Ausland, in gewisser Hinischt zum Schutzobjekt traditionell "linker" Liberalismusskeptiker geworden ist und die traditionell "linke" Parole der Internationalität zu demjenigen einer ansonsten "rechtsliberalen" Gesinnung. Ferner konnte in den ökonomischen Krisen der Vergangenheit bereits Erfahrung mit radikalem Laissez-faire ebenso wie mit starken staatlichen Eingriffen in das Wirtschaftsgeschehen gemacht werden - wobei weder die eine noch die andere Politik längerfristig überzeugte und von harscher Kritik aus verschiedensten Lagern verschont blieb. Selbst bei stark abweichenden Grundhaltungen gegenüber dem Phänomen IP unterscheiden sich also die Handlungsempfehlungen oft nur graduell, gar nicht oder sogar in kontraintuitiver Weise.

Henneberger und Ziegler sehen trotz ihres teilweise die Substitutionalitätsthese stützenden Befundes (vgl. 2.2.3.) explizit keinen wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf für die Schweiz, das heisst nicht einmal einen standortfördernden. Somit schliesst sich ausgerechnet an einen eigentlich alarmierenden empirischen Befund zur IP das Paradox einer betonten Laissez-Faire-Empfehlung der Autoren an (Henneberger/Ziegler 2001: 3-4).

Bleeke und Ernst, die auf die Gefahren strategischer Allianzen aufmerksam machen, empfehlen dem Firmenmanagement mit Joint-Venture-Plänen lediglich, sich über die Natur einer bevorstehenden Allianz keine Illusionen zu machen. Eine sorgfältige Analyse muss zeigen, ob wirklich von einem Partner-Gleichgewicht ausgegangen werden kann. Andernfalls sind mindestens sorgfältig formulierte Ausstiegsklauseln im Kooperationsvertrag vorzusehen, mit deren Hilfe im Notfall ein Verkauf noch abgewendet werden kann, falls dies überhaupt die bessere Lösung für die Firma und Belegschaft ist (Bleeke/Ernst 1998: 230-231).

Caporaso, dessen erfreulich vertiefender Beitrag sich als einer der wenigen hier genutzten Texte nicht insgesamt vor der hochgefährlichen Buchstabenkombination "Marx" gescheut hat, weist der Wirtschaftspolitik kein Pflichtenheft zu, das über eine rein konstruktive, langfristige Standortstärkung hinausginge (F&E-, Bildungs-, Wissenschafts-förderung; Caporaso 1991: 212). Um lediglich problemverlagernde Eingriffe zu empfehlen, scheint sein Sinn für den historischen Aufstieg und fast naturgesetzlichen anschliessenden Zerfall blühender Volkswirtschaften (Endstation Dienstleistungsgesellschaft oder imperialistische Dienstleistungsgesellschaft?) - ähnlich wie bei einem Produktezyklus - viel zu geschärft (vgl. ebd.: 219-220).

Müller nennt die politischen Pläne, die deutschen Lohn(neben)kosten in den kommenden Jahren um wenige Prozentpunkte zu senken, albern, da dies den deutschen Arbeitnehmer bestenfalls so "billig" wie französische oder skandinavische Arbeitnehmer machen, an der Lohndifferenz zu Rumänien oder China aber überhaupt nichts ändern würde. Die Konkurrenz Deutschlands mit Frankreich und Skandinavien - man denke an den Automobilbau - sieht er offenbar nicht als Problem an (Müller 2003: 21-22).

Die internationale Vernetzung von Gewerkschaften als naheliegende Reaktion der Arbeiterschaft auf die IP erwähnt Müller mit dem Vorbehalt, dass eine ausländische Gewerkschaft genauso im Interessenskonflikt zwischen der Sicherung von Arbeit im Land und der Verbesserung der Arbeitersituation steckt, wie eine inländische; dennoch seien die Gewerkschaften der FIG zur Diskussion gefordert, insoweit alle "industrialisierten Länder" lohnmässig nicht mit Entwicklungsländern konkurrieren könnten (vgl. ebd.).

Nicht überraschenderweise aus den USA, zieht Müller sodann das Beispiel einer lebhaften dortigen Diskussion um verschiedene Gesetzesentwürfe gegen Offshoring heran (ebd.). Gesetzesbarrieren zum Schutz einheimischer Arbeitsplätze sind somit zu einem Zeitpunkt durchaus ein Thema geblieben, zu dem der Liberalismus gerade in die irakische Ölindustrie gebombt wurde. (Bei einer imperialistischen Interpretation des Irakkriegs würde sich der Widerspruch auflösen, doch wären Marxzitate erforderlich.)

Kessler erwähnt die notwendige Einbindung des Weltmarkts in soziale Rahmenbedingungen. Schon die Durchsetzung der UN-Kernarbeitsnormen von 1988 dürfte nicht überall gesichert sein und stellt insoweit einen Handlungsauftrag an die Staaten dar. Würden diese und noch etwas weiterentwickelte Normen in allen Staaten der Welt gleichermassen durchgesetzt (Kessler 2004: 7f), würde sich tendenziell wieder das bessere Produkt oder höhere Technologie, nicht die am meisten ausgebeutete Arbeitskraft am Markt durchsetzen - so die Hoffnung in Ländern, die mit hochwertigen Produkten und hoher Technologie in der Vergangenheit Erfolg gehabt haben. Die Eliten in Entwicklungsländern halten dem unterschiedlich explizit entgegen, dass billige und teils gutausgebildete Arbeitskraft nun einmal zu den Ressourcen ihrer Länder gehörten und gegenüber den Ressourcen anderer Länder nicht regulatorisch diskriminiert werden dürften. Demgegenüber fragt es sich, ob einem wirklich dadurch ein grösseres Recht auf Ausbeutung zusteht, dass es die Arbeitskraft von Landsleuten ist, die man in Zusammenarbeit mit ausländischen Kapitalgebern ausbeutet. Die Politik müsste daher allenfalls auf einer Anhebung der weltweiten Mindestsozialstandards insistieren.

Einfluss lässt sich in der heutigen Mediengesellschaft allerdings auch über die faktengestützte öffentliche Anprangerung etwa von bekannten Bekleidungsmarken nehmen, die zu Tiefstlöhnen und unter skandalisierbaren Arbeitsbedingungen international produzieren lassen, wie die NGO EvB es vorführt (vgl. EvB 2004). Gerade in Bereichen, wo ein Produkt fast nur noch aus der gelungenen Imagebildung heraus Wert schöpft, scheint ein erhebliches mediales Einflusspotenzial auf dessen Herstellungsbedingungen gespeichert. Dieses Potenzial gilt es im Interesse globaler Mindestsozialstandards - im optimalen Fall mit Unterstützung der betroffenen Arbeitnehmerinnen in Entwicklungsländern, im Notfall einseitig über mobilisierte Konsumentenmassen der FIG - auszunützen.

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2.4 Diskussion

2.4.1 Theoretische Diskussion

Die direkte Gegenüberstellung der Komplementaritätsthese und der Substitutionalitätsthese lässt für eine genauere Modellierung der Beschäftigungseffekte in den investierenden Ökonomien einen Simplizitätsvorsprung der letzteren erkennen: Arbeitsplätze, die am Standort B geschaffen werden, werden nicht am Standort A geschaffen (vgl. 2.3.1.). Die Komplementaritätsthese müsste die Realität aufgrund der weit grösseren Komplexität des darin gedachten positiven Wirkungsmechanismus internationaler Direktinvestitionen auf heimische Arbeitsplätze deutlich besser erklären, um diese grössere theoretische Komplexität zu rechtfertigen. Dafür scheinen ihre Argumentationsmuster jedoch etwas zu häufig vom hier interessierenden Kernproblem des (qualifizierten) heimischen Beschäftigungsangebots auf Nebenthemen wie das "Reallohnniveau", auf Vagheiten wie den "produktivitätssteigernden Strukturwandel" (vgl. 2.2.2.1.) und auf Zukunftsvisionen wie die "wissensbasierte Volkswirtschaft" (vgl. 2.2.2.3.) auszuweichen.

Bereits die neoklassische Vision des Wirtschaftsgeschehens profitiert sicher seit langem von dem Umstand, dass optimistische Sichtweisen frei wirkender (Arbeits-)Marktkräfte von den Eliten marktwirtschaftlich orientierter Gesellschaften besonders gern angenommen werden. Der Grund: vor allem bei diesen Sichtweisen ist das Potenzial der selbsterfüllenden Prophezeiung ein für sie vielversprechendes, da sie mit marktgerechten Ressourcen überdurchschnittlich gut ausgestattet sind. Während bei Vertretung einer sich - auch durch negative Erwartungs- und Investitionshaltungen - erfüllenden pessimistischen These nur die wissenschaftliche Befriedigung (und die Chance rechtzeitig eingeleiteter Gegenmassnahmen?) bleibt, locken bei Vertretung einer sich - auch durch positive Erwartungs- und Investitionshaltungen - erfüllenden optimistischen These nebst der wissenschaftlichen Befriedigung meist grössere Chancen materieller Renditen im Rahmen des vorhandenen Wirtschaftssystems, weniger Zwang zu kostspieligen und womöglich erst nächste Generationen erreichenden Massnahmen und ein durchschnittlich gesteigertes psychisches Wohlbefinden.

Allerdings scheint nicht in allen Argumentationsmustern des "beschwichtigenden Lagers" die zweckoptimistiche Komponente zu dominieren. So überzeugen besonders Reinerts Ausführungen zur sehr unterschiedlichen Qualität wirtschaftlicher Aktivitäten (vgl. 2.2.2.4.) und dem beharrlichen Qualitätsvorsprung, der den Arbeitsmärkten der FIG zumeist daraus erwächst. Niedriglohnländer können auch bei beachtlichem quantitativem Exportvolumen nicht ohne weiteres zu den Ökonomien und Arbeitsmärkten der FIG aufschliessen, da ihre Aufholbemühungen meist auf den "falschen", alternden Branchen mit zu perfekter Konkurrenz basieren. So sehr sich sodann aufholende Ökonomien wie Indien um konkurrenzfähige High-Tech-Sektoren bemühen, so sehr bleibt der grösste Teil des dafür erforderlichen Kapitals und Spezialwissens nach wie vor in früher industrialisierten Ökonomien konzentriert. (Dafür bringt wohl der indische Programmierer die Logik seiner Algorithmen dank dem Niveau seines religiös-kulturellen Erbes relativ spontan und direkt hervor - nicht erst nach einem verzweifelten Befreiungskampf des Gehirns gegen gewisse Irrationalitätszwänge und innere Inkohärenzen der christlichen und nächstverwandten Mentalitäten, wie so mancher Kollege aus dem dualistisch gequälten Abendland.)

Wieder weniger überzeugen solche Argumente des "optimistischen" Lagers, die auf dem relativ geringen Investitionsvolumen der FIG in Entwicklungsländern aufbauen (vgl. 2.2.2.1.). Sind doch solche Investitionen gerade dadurch attraktiv, dass sie bei vergleichsweise geringen Kosten eine erhebliche Zahl von Arbeitsplätzen involvieren - und in den FIG einsparen - können. In allen Fällen, wo kein riesiger und kostspieliger Machinenpark für die Auslandsproduktion erforderlich ist, scheint das Investitionsvolumen in Euro oder Dollar das ungeeignetste Mass, um Beschäftigungseffekte abzuschätzen. Dies gilt auch für qualifizierte Dienstleistungen, die etwa mit einem PC, Modem und Telefonapparat pro Arbeitnehmer auskommen.

Das Argument des nicht zwingend kostenorientierten Auslandsengagements von Firmen aus den FIG (2.2.2.2.) lässt sich sodann vor allem beim Einbezug reiner Vertriebs- und Servicestätten aufrechterhalten. Im Gegensatz zu ausländischen Produktionsstätten sind diese jedoch überhaupt kein Merkmal moderner IP-Strategien, sondern charakteristisch für die unter dem Beschäftigungsaspekt nie kritisiert wordenen traditionellen Internationalisierungsstrategien: Export- und "multinationale" Strategien (vgl. Hirsch-Kreinsen 1994: 438).

Etwas überraschenderweise wäre eines der wenigen wirklich konkurrenzfähigen Argumentationsmuster des idealtypisch "beschwichtigenden" Lagers kein Sachargument, sondern ein ethisches Grundsatzargument: Ein geschaffener qualifizierter Arbeitsplatz bleibt ein solcher, egal wo er geschaffen wurde. Das Bangen um Arbeitsplätze an einem ganz bestimmten Ort lässt sich über die zufällige persönliche Verbundenheit mit diesem Ort hinaus nicht begründen (vgl. 2.2.2.8.). Selbst wenn die inhaltich plausiblen Argumente unter 2.3.2.8. dagegengehalten werden (Verhindern von Runaway Shops, von einseitiger Frauenarbeit und unmenschlichen Arbeitsbedingungen), ist nicht auszuschliessen, dass ihr letzter Motivationsgrund ein selbstbezogen-nationalistischer bleibt und insofern ethisch nicht über der Kostenrechnung einer international produzierenden Firma steht. Allerdings steht im Zentrum dieser Untersuchung primär die Frage nach den Auswirkungen der IP auf die FIG, nicht die ethische Berechtigung dieser Frage.

Während insgesamt überzeugende Argumente des "entwarnenden" Lagers somit Ausnahmen bleiben, ist bei den eher alarmierten Perspektiven und warnenden Positionen das Gegenteil der Fall. Unter anderem profitierend vom obenerwähnten Simplizitäts-vorsprung der Substitutionalistätsthese, beziehen sich die meisten in den Kapiteln 2.3.2.1. bis 2.3.2.8. vorgestellten Argumentationsmuster geradliniger auf die Beschäftigungsfrage in den FIG. Standortstärke wird nicht unabhängig von den Steuereinnahmen dieser Standorte beschworen (2.3.2.1.); im Einbezug immer qualifizierterer Tätigkeiten durch IP-Strategien wird eine wohl wirklich vorhandene Gesetzmässigkeit erkannt (2.3.2.2.) und die unter 2.3.2.3. erklärte Schwäche heutiger Gewerkschaften an den Verhandlungstischen mit dem Kapital lässt sich beim Verfolgen von Verhandlungsrunden in den Medien der FIG fast täglich beobachten.

Das Beschäftigungspotenzial des Dienstleistungssektors wird von der "kritischen" Sichtweise differenzierter analysiert und sowohl im Bereich des Verhältnisses qualifizierter gegenüber unqualifizierter Arbeit problematisch erkannt, als auch im Bereich zusätzlicher Abwanderungschancen gerade des qualifizierten Anteils - da qualifizierte Dienstleistungsarbeit aus ähnlichen Gründen weniger ortsgebunden ist, wie Kapital es gegenüber der Arbeit an sich ist: sie ist weniger direkt in die physische Welt involviert (vgl. 2.3.2.4. und 1.1.).

Auf die Gefahren strategischer Allianzen machen sodann nicht ängstliche Patrioten aufmerksam, sondern Autoren, die vor allem mit Entscheidungsprozessen im Konzernmanagement gut vertraut wirken (2.3.2.5.). Die Argumentationsmuster 2.3.2.6. und 2.3.2.7. zeichnen sich schliesslich durch eine realistische Von-unten-Perspektive, einen konkreten Bezug auf die Probleme heutiger Arbeitnehmer aus. Eine ähnliche Perspektive wird vom "unkritischen" Lager praktisch nur beim Hinweis auf die Preisgünstigkeit heutiger Importprodukte für Endverbraucher in den FIG eingenommen (2.2.2.7.).

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2.4.2 Diskussion der Empirie

Während Maly sich für die 1980er Jahre in Deutschland noch auf empirische Unterstützungen der Komplementaritätsthese insgesamt stützen kann, unterstützt die Schweizer Studie von Henneberger und Ziegler diese nur noch für den chemischen Teilsektor in den 1990er Jahren. Die Hauptschätzung über alle Branchen stützt dort leicht die Substitutionalitätsthese. Dies kann als Indiz für ein sich verschärfendes Beschäftigungsproblem in den FIG im Zusammenhang mit dem Phänomen IP genommen werden, wenn es auch noch kein Beweis ist.

Jungnickels Angabe, dass bei Stundenlohnunterschieden um den Faktor 10 bis 20 zwischen verschiedenen Produktionsstandorten stückkostenbereinigt oft nur Unterschiede um den Faktor 3 bis 4 bleiben, ist kein guter Beleg für die begrenzte Relevanz der Stundenlöhne bei Standortentscheiden der Unternehmen. Denn der verbleibende Unterschied scheint immer noch sehr erheblich.

Die 20'000 zusätzlichen Arbeitsplätze, die laut Kessler durch 8556 ausländische Computerspezialisten in Deutschland geschaffen worden sein sollen, wären wohl auch dann geschaffen worden, wenn anstelle eines Teils der Green-Card-Inhaber dennoch deutsche Arbeitnehmer eingestellt worden wären; wahrscheinlich wären diese pro Qualifikation allerdings teurer gewesen.

Von den teils Prognosen entstammenden "empirischen" Belegen dafür, dass sich höhere Qualifikation in den FIG lohnt und in Zukunft lohnen wird, erweist sich ein grosser Teil bei näherem Hinsehen vor allem als Beleg dafür, dass Unterqualifikation in den FIG immer grössere Gefahren der Arbeitslosigkeit birgt. Thematisiert wird also nur das Verhältnis zwischen den Beschäftigungschancen für Qualifizierte und Unqualifizierte, keineswegs ein absolutes Wachstum qualifizierter Stellenangebote.

Demgegenüber spricht die Finanznot gleich mehrerer deutscher Metropolen für eine steigende Diskrepanz zwischen den Kosten einer von den Unternehmen erwarteten urbanen Qualitäts-Infrasstruktur und den von diesen Unternehmen sowie einer relativ konstanten Zahl tendenziell alternder Einwohner entrichteten, kumulierten Steuern. Während personalbedingte reine Verwaltungsschwächen über Jahre in gleich mehreren Fällen unwahrscheinlich sind, muss allerdings die Möglichkeit erheblich gestiegener bürokratischer Reibungsverluste bei den tendenziell überdimensionierten deutschen Administrationssystemen mit eingeräumt werden.

Die Prognosen von Forrester Research und Deloitte Consulting zu offshoring-bedingten Arbeitsplatzverlusten in FIG werden gegenwärtig oft zitiert und sind eindeutig alarmierend. Der Vorzug kommerzieller Forschungsinstitute ist, dass ihr Ruf mit der Genauigkeit ihrer Prognosen steht und fällt. Da sie sich nicht an einem hypothesenprüfenden Paradigma orientieren müssen, sinkt die Gefahr zwar origineller, aber tendenziöser Prognosen. Ebenso sinkt die Gefahr "froher Botschaften", in denen sich vor allem der unter 2.4.1. besprochene Zweckoptimismus ausdrückt.

Die von heutigen Arbeitgebern gerade für den Kaderbereich häufig genannten Qualifikationsanforderungen stützen die Vorstellung zukünftig gefragter hoher formaler Bildungsabschlüsse in den FIG als wissensbasierten Volkswirtschaften nicht. Als Soft Skills mit erheblichem subjektivem Bewertungsspielraum lassen sie sogar eine Wiedererstarkung standesabhängiger Personalselektion befürchten. Statt dass die Ökonomien der FIG in Zukunft zahlreiche Impulse durch hochgebildete Forscher, Entwickler und Techniker erhalten werden, scheint wahrscheinlicher, dass eine gewachsene private (Weiter-)Bildungsindustrie durch die vielen Hoffnungen prosperieren wird, die sich mehr oder weniger berechtigt an den Besuch teurer Abend-Sprachkurse, an Berufsmaturitäten und an Marketingassistentinnenabschlüsse knüpfen lassen.

Zusammenfassend stützt auch ein Vergleich der unter 2.2.3. und 2.3.3. angeführten empirischen Belege die Substitutionalitätsthese und ihr argumentatives Umfeld besser als die Komplementaritätsthese und deren typische Anschlussargumente.

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2.4.3 Pragmatische Diskussion

Unter 2.2.4. wurde aufgeführt, wie das bekannte Repertoire liberalistischer Handlungsempfehlungen an die Wirtschaftspolitik im Rahmen der IP-Diskussion durch die Vertreter des "entwarnenden" Lagers variiert wird. Die Entwarnung bezieht sich dabei nur auf das Phänomen der IP, nicht auf die gesehene Gefahr von Überreaktionen und Überregulierung. Empfohlenen Massnahmen wie dem Bürokratieabbau kann besonders im Hinblick auf Deutschland nur zugestimmt werden. Ebenso scheint es notwendig, das deutsche Sozialsystem umzubauen - ein weiterer Ausbau scheint jedenfalls volkswirtschaftlich nicht mehr verkraftbar.

Bei der durchaus wichtigen Rolle, die dem Staat allerdings im Bereich der Standortförderung zufallen soll, wird die Frage der Finanzierung gemieden. Die Möglichkeiten der Steuerflucht gerade der umsatzstärksten global operierenden Unternehmen wird nicht problematisiert.

Bei Tegtmeier taucht bezüglich des Dienstleistungssektors die Frage nach der inneren Kohärenz seiner unterschiedlich expliziten Handlungsempfehlungen auf. Einerseits soll Deutschland seinen Dienstleistungssektor ausbauen, wohl wissend, dass dieser überwiegend niedrig qualifizierte und schlecht bezahlte Stellen generiert - besser als die hohe Arbeitslosenrate scheinen sie allemal. Andererseits wird warnend Bill Clintons 1994er Rede von der mangelhaften Arbeitsplatzqualität in eben einer solchen betonten Dienstleistungsgesellschaft (der USA) zitiert und dabei impliziert, dass solcher beruflicher Qualitätsmangel ähnlich schlimm wie Arbeitslosigkeit ist (Tegtmeier 1995: 195).

Die grössere Überzeugungskraft des "alarmierten" Lagers lässt sich von der theoretischen und empirischen Diskussion nicht ohne weiteres auf die pragmatische übertragen (vgl. 2.3.4.). Der Mut zur Regulierung scheint hier nach unerfreulichen Erfahrungen in der Vergangenheit gesunken und Unschlüssigkeit vorzuherrschen. Man schliesst sich teilweise den Empfehlungen der betonten Liberalisten an. Müllers Unverständnis für leichte Korrekturen der deutschen Lohn(neben)kosten nach unten befremdet angesichts des Befunds, dass Deutschland eher noch stärker unter der Konkurrenz aus anderen Hochlohnländern leidet, wie unter dem Arbeitsplatzexport in Entwicklungsländer. Seine Internationalisierungs-Aufforderungen an die Gewerkschaften der FIG bleiben höchst unbestimmt. Die angedeutete Möglichkeit von Gesetzen gegen Offshoring scheinen bereits wieder die Gefahr weiteren bürokratischen Aufwands und von protektionistischen Gegenmassnahmen anderer Länder in sich zu tragen.

Einzig die Forderung nach der Durchsetzung und allenfalls der Anhebung internationaler Mindestsozialstandards scheint der Grössenordnung des Problems gerecht zu werden, ist der Weg auch noch offen, auf dem dergleichen erreicht werden soll. Werden thailändische Wanderarbeiterinnen in Zukunft von UNO-Truppen am Leisten von Überstunden gehindert und der Fabrikleiter mit dem Gewehr in Schach gehalten werden? So unrealistisch dies anmutet, das Anheben und Durchsetzen internationaler Mindestsozialstandards und die stärkere Internationalisierung gewerkschaftlicher Aktivität wären Massnahmen, die inhaltlich den historischen Prozess nachzeichnen würden, der aus dem ausgebeuteten Kinderarbeiter der europäischen Frühindustrialisierung den 35 Stunden pro Woche arbeitenden Wohlfahrtsempfänger der 1990er Jahre gemacht hat. Gegenwärtig profitiert das Kapital zum gleichzeitigen Nachteil vieler Menschen in den FIG und in anderen Ländern von einer Übergangssituation, in welcher der Arbeitsmarkt bereits globalisiert ist, nicht aber die Arbeitsgesetze und die Sozialstandards. Bevor mehr internationale Einigkeit über die Förderung eines entsprechenden Korrekturprozesses erreicht ist, scheint die mediengestützte Skandalisierung besonders ausbeuterisch produzierender Firmen und Marken nicht das schlechteste Mittel, um "freiwillige" Normeneinhaltungen zu bewirken.

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3. Schlussfolgerungen, Synthesen, Zusammenfassung

Das Aufkommen internationalisierter Produktion als bedeutender industrieller Rationalisierungsstrategie der Gegenwart hat bereits vor Jahrzehnten Befürchtungen negativer Beschäftigungseffekte in den früh industrialisierten Gesellschaften geweckt. Dass ein durch einen einzelnen Investor am Ort B geschaffener Arbeitsplatz von diesem nicht gleichzeitig am Ort A geschaffen wird, besitzt eine spontane Plausibilität. Jedoch konnten Untersuchungen mindestens bis in die 1980er Jahre bestätigen, dass die positiven Folgeeffekte von IP-Strategien auf den heimischen Arbeitsmarkt, insbesondere eine stimulierte Nachfrage nach Exportgütern im Ausland, allfällige negative Primäreffekte des internationalen Engagements im Allgemeinen überkompensierten. Besonders an qualifizierten Arbeitsplätzen schien in den früh industrialisierten Gesellschaften kein Mangel zu entstehen, da es der Bereich niedrig qualifizierter Arbeit war, in dem IP-Strategien am lohnendsten und am leichtesten realisierbar schienen und folglich umgesetzt wurden.

Diese Situation schien auch den typischen Anschlussargumenten eher entwarnender, für die qualifizierten Arbeitsmärkte in den FIG optimistischer Forschungspositionen recht zu geben: dem Argument, dass der Kapitalabfluss in Niedriglohnländer ein verhältnismässig geringer blieb und sich allein deshalb nicht wesentlich auf Beschäftigung und Lohnniveau der FIG auswirken konnte; dem Argument, dass rein absatzorientierte, markterschliessende Auslandsinvestitionen nach wie vor mindestens so bedeutend waren wie die rein lohnkostenorientierte Standortflucht aus den FIG; sowie dem Argument, dass keineswegs ein mangelndes Stellenangebot im qualifizierten Arbeitsmarkt der FIG, sondern vielmehr ein Mangel an (IT-)qualifizierten Arbeitnehmern daselbst zu beklagen war. Ebenso beschwichtigend war, dass der Vorsprung der FIG im Bereich qualifizierten Arbeitsangebots auf die Entwicklungsländer nicht allein auf dem Behalten der wertschöpfungsintensivsten Abschnitte in internationalen Produktionsketten, sondern auch auf einem im Allgemeinen qualitativ vorteilhafteren Branchenfokus beruhte. Waren FIG-Unternehmen dennoch von Personalabbau betroffen, blieben dem qualifiziertesten Personal gute Chancen des Stellenerhalts, da von verbleibendem Personal das Übernehmenkönnen eines tendenziell breiteren Aufgabenspektrums erwartet wurde. Gleichzeitig profitierten auch Arbeitslose und von Lohnrunden ausgesparte Arbeitnehmer der FIG von einem relativ steigenden Wohlstand aufgrund der wachsenden Zahl immer billigerer importierter Konsumgüter. Schliesslich winkte etwa in Deutschland Entlastung von einem nicht primär IP-bedingten, strukturellen Arbeitslosenproblem durch die Beschäftigungspotenziale des wachsenden Dienstleistungssektors auch im qualifizierten Bereich. Der internationalisierten Produktion kritisch gegenüberszustehen, weckte den Verdacht des Hegens maroder nationalistischer Denkmuster und der Missgunst gegenüber der wirtschaftlichen Entwicklung in darauf angewiesenen anderen Ländern.

Ohne dass dadurch alle obigen Argumente entkräftet würden, sieht die Situation seit den 1990er Jahren etwas anders aus. Kleine und mittlere Unternehmen haben nach den Grossunternehmen ebenfalls international zu produzieren begonnen und die IP-Strategien haben sich weiterentwickelt: sie schliessen vermehrt höher und hochqualifizierte Tätigkeiten ein. Ein globaler Standortwettbewerb zur Anlockung von Investoren ist entbrannt, doch entgehen den FIG immer mehr Steuereinnahmen, die zur infrastrukturellen Stärkung ihrer Standorte nötig wären, da die globale Präsenz den Unternehmen ausgiebige Möglichkeiten der legalen Steuerflucht eröffnet haben. Die Handlungsfähigkeit staatlicher Institutionen hat insgesamt zugunsten des Kapitals und der Marktkräfte abgenommen. Ebenso geschwächt sitzen die Gewerkschaften der FIG am Verhandlungstisch mit den Arbeitgebern, seit deren oft enorme Standortflexibilität und damit deren jederzeitige Möglichkeit, den Verhandlungstisch zu verlassen, ausser Zweifel steht. Ausländische Green-Card-Inhaber scheinen den Internationalisierungs- und Lohndruck auch in den qualifizierten Arbeitsmarkt für die heimische Produktion in den FIG zu tragen. Selbst zurückhaltende Internationalisierungsstrategien wie Partnerschaften (Joint Ventures) haben sich zudem inzwischen als nicht harmlos für einsteigende Firmen und ihre Belegschaften herausgestellt, indem sie oft mit dem Verkauf des einen von beiden Partnern enden. Zunehmende Erfahrungen mit dem Hoffnungsträger Dienstleistungssektor ernüchtern bezüglich dessen qualifizierten Beschäftigungspotenzialen: einerseits ist der Anteil an höher qualifizierten und besser entlöhnten Tätigkeiten gering, andererseits ist gerade dieser Teil besonders von einer wachsenden Internationalisierung auch des Dienstleistungssektors bedroht - qualifizierte Tätigkeiten erfordern oft weniger physische Präsenz in den bedienten Märkten.

Besinnen sich die FIG in Anbetracht dieser Phänomene auf ihre angestammten Stärken, müssen sie wohl die Vision der wissenbasierten Volkswirtschaft umsetzen. Die Analyse gegenwärtig häufig genannter Qualifikationsanforderungen für die Kaderebene von Unternehmen erweist diese Sphären bislang allerdings nicht als Sammelbereich hoher formaler Bildungsabschlüsse, sondern als das Reich nur vage umschreibbarer Soft Skills, wenn nicht sogar der sozial "standesabhängigen" Personalselektion. Bezüglich dem Gegenwartsphänomen IP steht aber fest: es hat die Welt und nicht zuletzt die früh industrialisierten Gesellschaften bis in den Bereich der Lebensstile und des sozialen Klimas hinein verändert. Arbeitnehmer schützen sich in dem Masse vor seinen grössten Gefahren, in dem sie die Beweglichkeit und nur indirekte Involviertheit in die physische Welt, die das Kapital besitzt, tendenziell nachahmen lernen - äusserlich durch geringe Verbundenheit mit einem geographischen Ort, innerlich durch maximale geistige Flexibilität und einen Verzicht auf zu vielfältige, durch räumliche Nähe vermittelte Beziehungsbindungen.

Vor dem Hintergrund der seit den 1990er Jahren offenbar doch wahrscheinlichen und tendenziell zunehmenden negativen Beschäftigungseffekte der IP in den FIG ist die Salonfähigkeit internationalisierungskritischer Haltungen in diesen Ländern gestiegen. Der Zweifel scheint berechtigt, ob die schmalen Eliten Profite bringenden, oft einseitig weiblich besetzten Runaway Shops mit ihren teils menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen wirklich die Chance eines wirtschaftlichen Aufschliessens neuindustrialisierter Gesellschaften zu den OECD-Ländern bergen. Denn vielleicht sind sie vor allem ein Hemmnis auf dem Weg zu einer Weltwirtschaft, in der nicht nur die Produktion globalisiert ist, sondern auch die gewerkschaftliche Aktionsfähigkeit und effektiv durchgesetzte Mindestsozialstandards.

Massnahmen, die eine solche Weltwirtschaft vorantreiben helfen, müssen nicht oder nicht ausschliesslich die Form harscher Handelsbarrieren annehmen. Die mediengestütze Skandalisierung eines Runaway-Shop-Betreibers ist zum Beispiel keine Handelsbarriere, sondern ein Einfluss auf das Konsumentenverhalten und damit auf die Nachfrage. Der vom betont liberalistischen Lager geforderte Bürokratieabbau und Sozialumbau in einer FIG wie Deutschland sowie die infrastrukturelle Stärkung von FIG-Standorten sind keine Widersprüche zu international durchgesetzten Mindestsozialstandards. Es gibt keinen Grund, nicht sowohl die Empfehlungen des betont liberalistischen Lagers und eines mit Vorbehalten liberalistischen Lagers umzusetzen, wo sie sich nicht direkt widersprechen. Harte internationale Lektionen sowohl mit Über- als auch mit Unterregulierung scheinen zumindest bei Betrachtung eines Teils der für diese Arbeit herangezogenen Quellen die Bereitschaft beider Lager erhöht zu haben, sich wirtschaftspolitisch gelegentlich in der Mitte zu treffen und im Anschluss Verantwortung für das gemeinsame Handeln zu übernehmen. Geeignete Fitnesskuren müssen nicht nur den FIG ihre wesentlichsten, in Jahrhunderten errungenen arbeitsrechtlichen und sozialen Errungenschaften erhalten. Sie müssen diese der Welt insgesamt erhalten - als schlanke Erinnerung daran, was in dem Bereich schon einmal möglich wurde.

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4. Quellen

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Last update: 02 Feb. 15

 

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